Unverkäufliche Leseprobe

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Unverkäufliche Leseprobe
Unverkäufliche Leseprobe
Prima Klima
von Marita Vollborn und Vlad Georgescu
Wie sich das Leben
in Deutschland ändert
ISBN 978-3-7857-2319-7
© 2008 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
KAPITEL I
WETTERFROSCH IM SCHWITZKASTEN –
DAS NEUE DEUTSCHLAND-WETTER
Extrem heiße Sommer und katastrophale Dürren werden über Teile der Welt
hereinbrechen – ein Schreckensszenario, das Deutschland vorerst weder in klimatischer noch in finanzieller Hinsicht hart treffen wird. Zunächst sind es nur
die Wetterkapriolen, die den Bundesbürgern deutlich machen, dass auch sie vom
Klimawandel nicht verschont bleiben, immer häufiger kommen dann Hitzewellen und Unwetter hinzu. Selbst kühle Sommer und niederschlagsreiche Winter
sind Vorboten einer neuen Zeit. Am Ende des Jahrhunderts wird in Deutschland
vieles anders sein; regionale Unterschiede prägen die klimatische Zukunft der
Republik.
Spätestens seit Vorstellung des I P C C-Berichts im Jahr 2007 ist die
Nation mit Klischeebildern gut versorgt. Die Palme auf Norderney
gehört ebenso dazu wie einst die Banane zur wiedervereinigten Republik. Ganzjährig schneefreie Alpen und karibische Nächte am
Rhein – möglich scheint so manches, und nicht wenige Medien
vermarkten die Szenarien als Tatsache.
Wer sich den Folgen des Klimawandels auf diese Weise zu nähern versucht, verkennt wichtige Details. Denn entgegen der landläufigen Meinung wird sich das Klima auf regionaler Ebene zwar
massiv ändern – doch teilweise ganz anders, als es auf den ersten Blick scheint. Tropische Nächte in Deutschland dürfte es womöglich geben, aber weitaus seltener als allgemein angenommen.
Auch werden sich die Menschen durchaus an heiße und trockenere
Sommer gewöhnen müssen – die in einigen Gegenden indes kürzer
ausfallen werden als heute. Selbst das befürchtete Ausbleiben von
Schnee und Frost zeigt sich bis Ende des 21. Jahrhunderts keinesfalls flächendeckend. Väterchen Frost, so lassen es die Simulationen
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der Klimaexperten als wahrscheinlich erscheinen, wird in Zukunft
seinem Namen alle Ehre machen, wenn auch deutlich seltener als
heute.
Ohnehin gilt: Was in fünfzig oder achtzig Jahren in einem Teil
Deutschlands als Dürre daherkommt, kann sich nur wenige Kilometer weiter als Regengebiet manifestieren. Ein Berg, ein Tal, schon
ein niedriger Höhenzug entscheidet über Sein oder Schein der
»Klima-Palme«: In Köln werden die weniger empfindlichen Arten
dieser Pflanzenfamilie eines Tages wohl tatsächlich überwintern
können – auf Norderney trotz Klimawandel auch die frosthärteren
kaum.
Doch derzeit runzeln die meisten von uns die Stirn, wenn von
einem klimabedingten Temperaturanstieg die Rede ist. Regen, Kälte
und triste Tage – keine Spur von Mittelmeer-Wetter. Der Sommer
2007 ist dafür ein gutes Beispiel. Mancherorts im Lande stieg Rauch
aus den Schornsteinen auf, vereinzelt loderten gar Kaminfeuer: Die
Julitage 2007 waren unangenehm und nass. Kleingärtner in vielen Teilen der Republik beklagten sich über kühle Tage und kalte
Nächte, die dem Gemüse schwer zu schaffen machten. Den Tomaten setzten die kargen Grade derart zu, dass die Früchte nicht
reifen wollten und an den Stängeln verfaulten. Auch der in Massen
strömende Regen hinterließ eine Spur der Zerstörung.
Angesichts solcher Witterungseinflüsse schienen Begriffe wie
Treibhauseffekt oder globale Erderwärmung wie Boten aus einer
Märchenwelt. Wie konnte, trotz der gefühlten Kälte im Lande, die
Fachwelt ernsthaft über eine globale Erwärmung der Erdatmosphäre
fachsimpeln?
Die Klimaforscher taten es dennoch, und das zu Recht, wie die
Analyse der Wetterdaten belegt. Denn entgegen dem allgemeinen
Empfinden war der Juli 2007 zwar zu nass und auch zu arm an
Sonnenstunden. Doch die Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes (DW D) belegen: Die Temperaturbilanz lag trotz einiger
kalter Julitage insgesamt geringfügig über dem Normalwert.11 Dem
Wetterdienst zufolge war der Juli 2007 seit August 2006 der elfte zu
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warme Monat in Folge. 17,2 Grad Celsius betrug die Durchschnittstemperatur im Beobachtungszeitraum und lag damit um ganze 0,3
Grad über dem langjährigen klimatologischen Mittelwert von 16,9
Grad Celsius. Warum trotzdem viele von uns diesen Sommermonat ganz anders in Erinnerung behielten, liegt an dessen Beginn.
Ungemütliches Schauerwetter und extrem niedrige Temperaturen
bestimmten das Bild der ersten Tage. Doch bereits Mitte Juli 2007
war der Kältespuk vorbei, schnellten die Quecksilbersäulen in die
Höhe. Beispielsweise kletterte das Thermometer im Ort Coschen
in Brandenburg am 16. Juli auf ungewohnte 38,6 Grad Celsius, einen
Rekordwert.
Doch währte die Freude über die sommerlichen Werte nur
kurz. Gerade im Westen der Republik fielen die Temperaturen
erneut, während der Osten vorerst noch in Sommerstimmung
schwelgen konnte. Dort lagen die Temperaturen in der zweiten
Julihälfte immer noch bei über 25 Grad, mancherorts deutlich
darüber. Während Dresden einen um 1,6 Grad Celsius wärmeren
Juli verzeichnete, maßen die Meteorologen für Saarbrücken einen
Wert von 1,4 Grad Celsius – und zwar unter dem langjährigen
Durchschnitt.
Es sind regionale Unterschiede wie diese und erhebliche Temperaturschwankungen, die den Klimawandel in Deutschland charakterisieren. Das Wetter, so hat es den Anschein, vermag sich
nicht mehr zwischen kalt und warm zu entscheiden. Mal bestimmen feuchte Westwinde vom Atlantik, mal Polarluft aus Skandinavien das Geschehen, und zwischendurch treten stabile Hochs auf,
wie man sie eher aus den kontinental geprägten russischen Weiten
kennt. Vom Segen wärmerer Sommertage profitieren die Menschen
nicht zwangsläufig – Abkühlung folgt der Hitze oftmals in Form
von Regengüssen, die ihresgleichen suchen. 116 Liter Wasser pro
Quadratmeter fielen im Juli 2007 vom Himmel, eine Menge, die
sogar Fachleute erstaunte, lag doch die Niederschlagsmenge 150
Prozent über dem langjährigen Durchschnittswert von 78 Litern.
Einige Regionen traf es indes besonders schlimm: Allein zwischen
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dem 20. und 22. Juli zog ein extremes Niederschlagsgebiet von
Bayern nordwärts nach Mecklenburg-Vorpommern – und ergoss
über einigen Orten weit mehr als 50 Liter Wasser pro Quadratmeter. Das bayerische Oy-Mittelberg verzeichnete allein am 20.
Juli über 80 Liter pro Quadratmeter, Wusterwitz in Brandenburg
toppte den Rekord einen Tag später mit sensationellen 86,5 Litern.
Wiesenburg in Brandenburg wiederum musste Ende des Monats
mehr als das Dreifache der sonst üblichen Regenmenge über sich
ergehen lassen.
Heiße Tage, viel Regen, kalte Zwischenperioden. Sind das die
Vorboten einer neuen Zeit? Vieles spricht dafür, dass sich solche
Wetterlagen häufen werden. Gleichzeitig verändert sich die Zahl der
Sonnentage. Im exemplarischen Monat Juli 2007 strahlte die Sonne
lediglich 189 Stunden und erreichte damit 90 Prozent des sonst
üblichen Mittelwerts von 209 Stunden – bundesweit betrachtet.
Regional traten hingegen wieder deutliche Unterschiede zutage.
Während im Süden und Westen der Republik überzeugte Sonnenanbeter keinen Grund zur Klage hatten, verhingen Wolken den Himmel im Osten. Bundesdeutsche Spitzenreiter blieben die Südbayern,
deren Gemüt sich bei über 250 Sonnenstunden erhellen konnte.
D E U T S C H L A N D - W E T T E R I M J A H R 210 0
Der Klimawandel in Deutschland outet sich als regionales Phänomen mit zahlreichen kuriosen Seiten. Das belegt eine im Januar 2007
vom Umweltbundesamt (U B A) vorgestellte Studie. Das Papier, unter dem sperrigen Titel »Neuentwicklung von regional hoch aufgelösten Wetterlagen für Deutschland und Bereitstellung regionaler
Klimaszenarios auf der Basis von globalen Klimasimulationen mit
dem Regionalisierungsmodell W E T T R E G auf der Basis von globalen Klimasimulationen mit E C H A M 5 / M PI - O M T63 L 31 1010 bis
2100 für die S R E S -Szenarios B1 , A1B und A 2 « vorgestellt, gilt als
eine der bedeutendsten Arbeiten auf diesem Gebiet.
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Das Umweltbundesamt hatte das Max-Planck-Institut für Meteorologie (M PI - M) Hamburg und die Firma Climate & Environment
Consulting GmbH Potsdam beauftragt, Szenarien für mögliche
Klimaänderungen in Deutschland bis zum Jahr 2100 zu erstellen.
Als Grundlage dienten plausible, häufig vereinfachte Annahmen
über künftige demographische, gesellschaftliche, wirtschaftliche
und technische Veränderungen, so dass sich die Szenarien zwar
nicht als Wettervorhersage eignen, doch auf der Basis heutiger Kenntnisse die Möglichkeiten zukünftiger Bedingungen aufzeigen. Zur
Anwendung kamen zwei Verfahren. Mit dem Modell R E M O des
M PI - M konnten die Forscher dynamische Veränderungen in der
Atmosphäre abbilden; damit ist es erstmalig möglich, Klimaszenarien auf einem Gitter von zehn mal zehn Kilometern zu berechnen.
Das Modell W E T T R E G (Wetterlagenbasierte Regionalisierungsmethode) der Firma C E C nutzt die statistischen Wechselbeziehungen bisheriger Klimabeobachtungen, vor allem den Einfluss von
Großwetterlagen auf das lokale Klima.
Die im vorliegenden Buch abgebildeten Grafiken erlauben einen
einzigartigen Blick auf das, was uns in den kommenden Jahrzehnten erwarten könnte (siehe Tafelteil zwischen Seite 160 und 161).
Allein zwischen 2070 und 2100 wird die Zahl der heißen Tage mit
Temperaturen über dreißig Grad vermutlich zunehmen – zwischen
fünf und dreißig solcher Tage stünden den Bundesbürgern dann
zusätzlich jährlich ins Haus. Die Simulationen zeigen auch, dass
Süddeutschland von diesem Trend besonders hart betroffen sein
kann. Ebenfalls zunehmen könnte in fünfzig bis sechzig Jahren die
Zahl der starken Niederschläge – wenn auch regional unterschiedlich verteilt.
Die Winter im Süden des Landes könnten deutlich trockener
ausfallen als heute. Von Trockenheit im Sommer würden zudem
viele Regionen Norddeutschlands betroffen sein. So könnte in
Schleswig-Holstein gegen Ende dieses Jahrhunderts etwa fünfzehn
Prozent weniger Regen fallen als derzeit üblich. Zum Wüstenstaat
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mutiert das nördliche Bundesland trotzdem nicht: Die Winter der
norddeutschen Tiefebene warten wahrscheinlich mit erheblich mehr
Niederschlägen auf.
Was in einer geringen Auflösung lediglich eine farbenprächtige
Kolloration der bundesrepublikanischen Karte zu sein scheint,
zeigt, in einen kleineren Maßstab übertragen, dass kein Bundesland in Sachen Klimawandel dem anderen gleicht. Selbst innerhalb der willkürlich vom Menschen festgelegten Grenzen sind
deutliche Unterschiede zu erkennen. Wer etwa heute plant, ein
Haus an der Nordseeküste in Meeresnähe zu bauen, muss sich fragen, ob sich die Investition auf lange Sicht lohnt – in fünfzig Jahren
könnte es den Fluten zum Opfer fallen (siehe dazu Kapitel 2 »Die
neuen Küsten«). Derart dramatisch wird der Klimawandel andere
Regionen Deutschlands wohl nicht treffen, doch auch dort wird
er deutliche Spuren hinterlassen. Natürlich kann heute niemand
mit Bestimmtheit sagen, wo Wassermangel akut werden wird, wie
oft Stürme und sintflutartige Regenfälle über uns hereinbrechen
oder wie häufig die Sommer heiß und die Nächte tropisch werden. Auch weiß niemand mit Sicherheit, worin sich die Regionen
an Rhein und Elbe, Nord- und Ostsee, Mecklenburger Seenplatte
oder Norddeutscher Tiefebene unterscheiden werden. Doch sind
grobe Schätzungen durchaus seriös. Die vorliegenden Grafiken
ermöglichen einen detaillierten Blick – erstmals für eine breite Öffentlichkeit nach Bundesländern unterschieden und, auch das ist
neu, in Winter- und Sommermonate unterteilt. Die Bilder stellen
dar, wie sich die Temperaturen und die Niederschlagsmengen in
jedem einzelnen Bundesland im Vergleich zu heute ändern könnten.
Obwohl sich R E M O und W E T T R E G in vielen Parametern vom
Modelltyp bis hin zur Struktur unterscheiden, liegen die Ergebnisse
recht eng beieinander, was die Verlässlichkeit der Ergebnisse noch
unterstreicht. Im Folgenden stellen wir einige Beispiele vor. Es handelt sich durchweg um wissenschaftlich begründete Szenarien – sie
sind nicht als Prognosen misszuverstehen. Hier zusammenfassend
die augenscheinlichsten Ergebnisse:
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Originalausgabe
Copyright © 2008 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,
Bergisch Gladbach
Satz: Bosbach Kommunikation & Design GmbH, Köln
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Alle Rechte, auch die der fotomechanischen und elektronischen
Wiedergabe, vorbehalten.
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