Leseprobe Seite 9 - 14 ( PDF , 39,7 kB)
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Einführung Die Luftwaffe der Bundesrepublik Deutschland ist die wohl am umfassendsten technisierte Teilstreitkraft der Bundeswehr. Ihr Fähigkeitsprofil zur Projektion von Luftmacht bedeutet für den Dienst ihrer Soldatinnen und Soldaten einen ständigen Umgang mit Technik. Dies stellt einen Interaktionsprozess dar, der besonders prägend auch für das Selbstverständnis der Luftwaffenangehörigen ist und der einen eigenen Soldatentypus hervor gebracht hat. Hinzu kommt, dass die Bestimmungsgröße Technik bzw. die technologischen Entwicklungen den Menschen einen permanenten Anpassungsprozess abverlangen. Die „Schnittstelle“ Mensch ist im Spannungsbogen zwischen militärischem Auftrag und technischer Realisierung augenscheinlich unverzichtbar. Zunehmende soziotechnische Dynamik im Rahmen militärischen Gewalthandelns verlangt aber neben einer Offenheit in Bezug auf den technischen Fortschritt ganz besonders eine ethische Fundierung jedes Einzelnen. Von all dem sind keineswegs nur die Soldaten in den fliegenden Verbänden betroffen. Weil Luftwaffe nur als ein modulares, interoperables System überhaupt funktionieren kann, sind auch die Angehörigen der Flugabwehrraketentruppe oder der Führungsdienste sowie der Logistik und des Objektschutzes den vielfältigen technischen Einflüssen ausgesetzt. Aus diesen Grundbedingungen resultiert, dass zur Durchführung des technikbasierten Auftrags der Luftwaffe komplexe und permanente Ausbildungen an komplizierten (Waffen)-Systemen als Vorbereitung für den Dienst am Gerät, einschließlich der Vermittlung ethischer Normen, unerlässlich sind. Die Luftwaffe als Ganzes und ihre Soldatinnen und Soldaten im Besonderen haben sich dabei den wandelnden Anforderungen infolge technischer Weiterentwicklungen beständig angepasst. Gleichzeitig wurde die Gesamtorganisation Luftwaffe immer wieder strukturell reformiert, um sowohl die militärischen Aufträge, als auch die technologischen Erfordernissen in Einklang miteinander zu bringen. Mensch und Technik gewährleisten zwar die Erfüllung der militärischen Aufträge im Grundbetrieb wie im Einsatz, gleichwohl bestimmen die verfassungsrechtlichen Normen und die politischen Vorgaben das Aufgabenprofil der Luftwaffe insgesamt. Regierung und Parlament setzen den politischen und finanziellen Rahmen, innerhalb dessen sich Mensch und Technik bewegen. Hinzu kommt, dass die Bundeswehr als Ganzes ein Teil 10 gesellschaftlicher Entwicklung und Handelns ist. Dies schließt selbstverständlich auch die kritische Begleitung durch die Medien als ein wichtiges Korrelativ staatlichen Handels ein. Sie begleiten z. B. größere Beschaffungsvorhaben, beleuchten Friktionen im Dienst der Truppe oder berichten über Unglücksfälle. Sie sorgen somit für Transparenz militärischen Handels innerhalb einer offenen Gesellschaft. Im vorliegenden Band werden im Wesentlichen die Ergebnisse zentraler Themenfelder der 3. Militärhistorischen Tagung der Luftwaffe der Öffentlichkeit präsentiert, die vom 7. bis 8. März 2012 am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam stattgefunden hat. In den publizierten Beiträgen diskutieren die Autoren exemplarisch an einigen Beispielen den Spannungsbogen, in dem die Luftwaffe der Bundesrepublik Deutschland zwischen „Politik und Technik“ eingebunden war und ist. Dabei belässt es dieser Band nicht allein mit historischen Betrachtungen, sondern er enthält ganz bewusst auch gegenwarts- und zukunftsbezogene Ausführungen. Denn die Herausgeber verstehen diese Publikation als ein Instrument der historischpolitischen Bildung, die vor dem Hintergrund historischer Prozesse und Erfahrungen den Gedankenaustausch über gegenwärtige Phänomene mit in Gang setzen will und gegebenenfalls einen zukünftigen Gestaltungsrahmen mit abzustecken hilft. Zudem hat es den Anschein, dass die soziotechnische Dynamik im Bereich zukünftiger Luftkriegsoperationen deutlich mehr Fahrt aufnehmen wird, als es bisher schon der Fall gewesen ist. Mehr noch bietet sich ein Blick auf Gegenwart und Zukunft der Luftwaffe im Beziehungsgefüge Mensch und Technik auch deshalb an, weil in diesem Band u. a. auch hochrangige Vertreter der derzeitigen Akteursebene dieser Teilstreitkraft gerade im Hinblick auf gegenwärtige Herausforderungen und zukünftige Notwendigkeiten zu Wort kommen. In einem ersten thematischen Schwerpunkt setzen sich die Autoren exemplarisch mit technologischen Wandlungsprozessen auseinander, denen sich die Angehörigen deutscher Luftstreitkräfte im 20. Jahrhundert ausgesetzt sahen und die heute bzw. in der Zukunft das Handlungsprofil der Luftwaffe bestimmen werden. Christian Kehrt stellt dar, wie sich die Technikerfahrungen deutscher Militärpiloten vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die späten 1960er Jahre entwickelten. Dabei akzentuiert er im historischen Längsschnitt und unter Nutzung eines kulturhistorischen Ansatzes besonders die Mensch-Maschine-Interaktionen, denen sich Militärpiloten unterworfen sahen. Er betrachtet habituelle Konstruktionsmuster und untersucht 11 Aneignungsprozesse, welche die technischen Entwicklungen erforderlich machten. Welche Komplexität das Führen von Flugzeugen im Jetzeitalter besitzt, beschreibt Michael Stein in seinem gegenwarts- und zukunftsbezogenen Beitrag zur „Automation“ und zum “Crew Ressource Management“. Die zunehmende Computersteuerung von Luftfahrzeugen sorgt zwar im zweiten Schritt für eine Arbeitserleichterung des Piloten, sie setzt im ersten Schritt jedoch voraus, dass er diese Systeme auch begreifen kann. Damit hat sich das Anforderungs- und Tätigkeitsprofil des Flugzeugführers allein in den zurückliegenden dreißig Jahren erheblich verändert. Eine immer vielschichtiger werdende Automation steigert Systemkomplexität und Informationsdarstellung gleichermaßen und verlangt nach Antworten darauf, wie die Arbeitsbelastung von Piloten in einer immer komplexeren Arbeitsumgebung optimal verteilt werden kann. Karl H. Schreiner wirft einen Blick in die Zukunft und versucht, die Rolle und die Bedeutung von Mensch und Technologie für die Luftwaffe im 21. Jahrhundert zu skizzieren. Aufgrund seiner durchaus kulturkritischen Gegenwartsanalyse gelangt der Autor zur Erkenntnis einer zukünftig immer komplexeren sozialen und technologischen Entwicklung und plädiert für die Formierung einer „Wissensgesellschaft“. Mehr noch fordert er diesbezügliche Strategien und Instrumente, um die Lernfähigkeit von Individuen und Organisationen so zu erhalten, dass dem Menschen die Kontrolle über die Technik nicht verloren geht. Ziel für die Streitkräfte insgesamt und für die Luftwaffe im Besonderen müsse es sein, zukünftig den „Wissenssoldaten“ zu generieren. Im zweiten Themenabschnitt steht das Spannungsverhältnis von Luftwaffe – Politik – Technik im Verlauf der 1960er Jahre im Zentrum der Untersuchungen. Er wird eingeleitet durch den Erlebnisbericht eines Zeitzeugen. Hubert Merkel beschreibt, wie er als Flugzeugführer die Umschulung auf den Starfighter und den Flugdienst auf diesem Waffensystem erlebt hat. Schnell wurde es für ihn wie für viele andere offensichtlich, dass die F-104G im Gegensatz zu ihren Vorgängermodellen kein gewöhnliches Flugzeug, sondern eben ein komplexes Waffensystem war, das ebenso komplexe Anforderungen an den Nutzer stellte – sowohl an das Individuum wie auch an die strukturellen Bedingungen der und organisatorischen Zustände in der Luftwaffe insgesamt. Hubert Merkels Bericht bietet damit einen Einstieg in die Befassung mit dem Starfighter, der dem Leser neben persönlichen Eindrücken auch etwas die Entstehungshintergründe jener Starfighter-Krise vermittelt, die die Luftwaffe und das politische wie gesellschaftliche Gefüge 12 der Bundesrepublik damals erschütterte. Sebastian Reis wendet sich dem Umgang des Führungsstabes der Luftwaffe mit diesem Waffensystem zu. Die F-104G schien lange Zeit die Luftwaffe als Gesamtorganisation zu überfordern, obwohl der Führungsstab sowie weitere Dienststellen erstaunlicherweise frühzeitig ein umfassendes Bild von Einzelmaßnahmen zur Lösung der Krise entwickelten. John Zimmermann skizziert anhand des vermeintlichen „Aufstandes der Generale“ im Jahre 1966, wie die Starfighter-Krise auch die Bundeswehrführung erreichte. Wenngleich der Rücktritt des damaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr im August 1966 wenig mit der Luftwaffe zu tun hatte, so zeugte er doch auch von den Problemen, die die Streitkräfte mit einer dominanten Wehrverwaltung hatten. Eingedenk der sozialen Belastungen durch das Militärische in Deutschland bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, waren die Streitkräfte verfassungsrechtlich stark eingehegt worden, wozu auch die Wehrverwaltungsaufgaben gehörten. Der nahezu zeitgleiche Rücktritt des Generalinspekteurs und des Inspekteurs der Luftwaffe legt darüber hinaus scheinbar nahe, dass beide diesen doch auf spektakuläre Art begangenen Akt abgesprochen hatten und damit den Verteidigungsminister gezielt unter Druck setzten. Jedenfalls markierte dieser Vorgang eine eklatante Führungskrise in der Bundeswehr. Angesichts der offenkundigen Probleme in der Luftwaffe mit dem Waffensystem Starfighter und seinen sozialen Ausschlägen bei Piloten und deren Angehörigen sowie dem Dissens zwischen den Streitkräften und der Wehrverwaltung, der im Rahmen der Starfighter-Krise eskalierte, legten die Medien dann auch offen den Finger in die Wunden. Für sie war es neben anderen Forderungen selbstverständlich, dass zur Problemlösung die Rahmenbedingungen des Miteinanders zwischen Luftwaffenführung, politischer Leitung und Wehrverwaltung neu geordnet werden müssten. Heiner Möllers beschreibt, wie Generalleutnant Johannes Steinhoff noch vor Beginn seiner Amtszeit als Inspekteur der Luftwaffe unter geschickter Einbeziehungen namhafter Journalisten dem unter politischem Druck stehenden Verteidigungsminister Voraussetzungen für sein Amt abringt, die so im Organisationsgefüge des Ministeriums nicht vorgesehen waren. Dabei war es Steinhoff von Beginn an klar, dass die Krise zwar durch das Waffensystem F-104G ausgelöst wurde, es letztlich aber eine Krise des gesamten strukturellen Systems der Luftwaffe war. Um die Strukturprobleme dauerhaft zu lösen, bedurfte es seinen Vorstellungen nach eines anderen Typus von Offizier der den gestiegenen 13 technischen Bedingungen und Anforderungen seines Berufes besser gerecht werden könnte. Aus diesem Grund ließ Steinhoff unter Orientierung am internationalen Rahmen bei den verbündeten Luftstreitkräften ein neues „Bild des Offiziers in der Luftwaffe“ gestalten, das mehr mit den sozialen Bedingungen der damaligen Gegenwart in Bezug auf Bildung, Habitus und Technikverständnis übereinstimmen sollte, als dass es einer bisherigen, vergangenheitsbezogenen deutschen militärischen Tradition entsprach. Neben der militärfachlichen Professionalisierung wird darüber aber auch deutlich, dass eine Reduktion auf das Handwerkliche kaum ausreicht, sondern eine solche Modernisierung des Offizierberufs auch Themenfelder wie Politische Bildung, gesellschaftliche Integration und Tradition einschlossen. Dies sind Aspekte, die bis heute an ihrer Aktualität nichts verloren haben, wie Eberhard Birk in seinen diesbezüglichen Darlegungen zum „Bild des Offiziers in der Luftwaffe“ nachweist. Die beiden gegenwartsbezogenen Beiträge im dritten Abschnitt fokussieren anhand zweier unterschiedlicher Themen die politischen, sozialen und ökonomischen Strömungsgrößen, denen die Bundeswehr im Allgemeinen und die Luftwaffe im Besonderen unterliegen. Wie kaum ein anderes Waffensystem spiegeln sich im Eurofighter 2000 „Typhoon“ all jene technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, die dieses Kampfflugzeug der vierten Generation zu einem hochleistungsfähigen Waffensystem machen. Dennoch sind seine Produktionszahlen überschaubar und dem internationalen Verkaufserfolg infolge verfassungsrechtlicher Rahmungen und darauf bezogenen politischen Entscheidungen enge Grenzen gesetzt. Detlef Buch schreibt in seinen Ausführungen davon, dass der politische Umgang mit diesem Flugzeug häufig auf der Grundlage unsicheren Faktenwissens sowie unter Negierung der technischen Möglichkeiten und künftiger militärischer Erfordernisse erfolgt. Er stellt die These auf, dass dieses Rüstungsprojekt vielen Verantwortlichen als „Spielball“ unterschiedlicher Interessen dient und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vollkommen gleichgültig ist. Abgeschlossen werden der Abschnitt und dieser Band mit einem Blick von Norbert Finster auf die zukünftige Bedeutung und gegebenenfalls mögliche Wandlungen von Innerer Führung, Auftragstaktik und Menschenführung in der Bundeswehr – Prinzipien einer Führungsphilosophie, in denen der Mensch, die Soldatin und der Soldat gleich welcher Hierarchieebene, 14 in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger in Uniform im Mittelpunkt stehen. Der Autor war Stellvertreter des Inspekteurs der Luftwaffe und ist als derzeitiger Leiter der im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr gebildeten Abteilung Führung Streitkräfte ein hochrangiger Vertreter der aktuellen Akteursgeneration der Bundeswehr. Die Herausgeber danken allen Autoren ganz herzlich für ihre vorzüglichen Beiträge und besonders dafür, dass diese in so kurzer Zeit nach Abschluss der Tagung eingereicht worden sind. Solches ist nicht immer eine Selbstverständlichkeit! Ein besonders großer Dank geht an die Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe e. V. für die erneut sehr großzügige finanzielle Unterstützung bei der Herausgabe dieses zweiten Bandes der „Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe“. Nicht minder wichtig als die finanzielle ist die ideelle Unterstützung des Projekts der Luftwaffenhistoriker, das wissenschaftsbasierte Wissen um die Geschichte unserer Teilstreitkraft zu mehren und damit auch einen öffentlichen Beitrag zur historisch-politischen Bildung zu leisten. Die ehemaligen Inspekteure der Luftwaffe, die Generalleutnante a. D. Klaus-Peter Stieglitz und Aarne Kreuzinger-Janik, haben das Projekt der Militärhistorischen Tagungen stets als ein wichtiges Instrument der historisch-politischen Bildung befürwortet und auch selbst begleitet. Mehr noch haben sie dafür gesorgt, dass diese Tagungen zu einem Forum des offenen, generationsübergreifenden Dialogs über Themen zur Geschichte der Luftwaffe geworden sind. Wir freuen uns sehr über die Bereitschaft des aktuellen Inspekteurs der Luftwaffe, Tagungs- und Publikationsprojekte auch in der Zukunft weiter zu unterstützen und sind Generalleutnant Karl Müllner für sein Grußwort außerordentlich dankbar. Fürstenfeldbruck, Potsdam, Hamburg im August 2012 Eberhard Birk, Heiner Möllers, Wolfgang Schmidt