Liebe als Lebenshaltung
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Liebe als Lebenshaltung
Predigt im Gottesdienst vom 27. Juli 2014, Pfr. Felix Marti Liebe als Lebenshaltung Lesen 1. Korintherbrief 13,1-13: Dr Poulus schribt im 1. Korintherbrief im 13. Kapitu: I zeigen öich jitz no ne Wäg, wo wyt über das useführt: Wen ig i de Sprache vo de Mönsche oder vo den Ängle rede, aber i ha ke Liebi, so bin ig e Treichle, wo dröhnt, oder es roschtigs Bläch, wo tschäderet. Und wen ig d Prophetegab ha und alli Gheimnis gchenne und dür alls düregseh, und wenn ig e Gloube ha, starch gnue für Bärge z versetze, aber d Liebi han i nid, de bin i nüüt. Und wen i mys ganze Hab und Guet verteile, und wen i my Lyb dragibe, für mi la z verbrönne, aber d Liebi han i nid, treit's mer nüüt ab. D Liebi het e längen Aate, d Liebi isch güetig; si wird nie iifersüchtig; d Liebi plagiert nid, si macht sech nid wichtig, si het geng ds rächte Maas; si wott nid alls für sich; si lat sech nid la vertöube; si treit ds Böse nid nache; si isch nid schadefreudig, aber si fröit sech über d Wahrheit. Si ertreit alls, si gloubt alls, si hoffet alls, si steit alls düre. D Liebi vergeit nie. Di prophetische Rede: einisch verschwinde si. D Zungerede: einisch höre si uuf. O ds Wüsse vergeit. Mir wüsse numen i Bitze, und mir predige numen i Bitze. Aber we (einisch) ds vollkommene Ganze chunnt, de isch's mit em Bitzewäse verby. Won ig es Chind bi gsi, han i gredt wi nes Chind, ha mer alls vorgstellt wi nes Chind, ha überleit wi nes Chind. Won ig e Maa bi worde, han i ds Chindleche vo mer ta. Jitz gseh mer dür ne Spiegel i nes Rätsel yne, aber einisch de der Sach i ds Gsicht. Jitz erchennen i nume bitzewys, einisch erchennen i de alls eso, wi Gott mi erchennt. Gloube, Hoffnig, Liebi, di drüü blybe; aber am grösten vo ne isch d Liebi. (1. Korinther 13,1-13) Liebe Gemeinde Das Hohelied der Liebe – so ist dieser Abschnitt aus dem 1. Brief von Paulus an die Gemeinde in Korinth überschrieben. Dieses Hohelied der Liebe wird gern bei Hochzeiten gelesen. Wenn zwei Menschen sich ihre Liebe versprechen. Und wenn sie ihrer Hoffnung Ausdruck verleihen, dass diese Liebe dauerhaft sein soll – in guten und in schweren Zeiten. Die Liebe ist geduldig und gütig, (...) die Liebe eifert nicht für den eigenen Standpunkt, (...), die Liebe gibt nie jemanden auf, in jeder Lage vertraut und hofft sie für andere; sie erträgt alles mit grosser Geduld. Gut, wenn zwei, die sich lieben, genau das vorhaben. Auch wenn sie wissen, dass Liebe im Alltag gefährdet ist und zerbrechen kann. Zur Liebe gehört der Glaube an die Tragfähigkeit und Dauerhaftigkeit der Liebe – oft gegen besseres Wissen. Auch wenn alles einmal aufhört – Glaube, Hoffnung und Liebe nicht. Diese drei werden immer bleiben; doch am höchsten steht die Liebe. Paulus aber hat nicht allein die Liebe zwischen zwei Menschen im Blick. Er beschreibt Liebe als Lebenshaltung, denn der Geist aus Gott, der Heilige Geist ist das, was uns als Gemeindeglieder in Liebe miteinander verbindet. Liebe – so verstehe ich Paulus hier – gibt Anteil an etwas Grossem, welches über mich und mein Leben hinausweist. Liebe gibt Anteil an Gott selbst. Irgendwann werde ich Gott so nahe sein, dass ich sehe, wie Gott mich sieht. Dann werde ich wissen, wie Gottes Liebe ist. Dann werde ich selbst Teil von ihr sein. Bis dahin lebe ich von der Hoffnung, dass sich die Macht der Liebe nicht nur in der Beziehung zwischen zwei Menschen entscheidet. Und wenn die Beziehung zerbricht, wie das tagtäglich geschieht, dann ist die Liebe an sich zerbrochen. Liebe ist hoffentlich mehr. Ist Lebenshaltung. Ist Teil von Gottes Liebe. Unser Vorgänger in Sachen Liebe als Lebenshaltung ist Jesus. In ihm, dem Gottessohn, hat Gottes Liebe Gestalt angenommen – so glauben wir. Demnach ist Jesus ein göttlicher Liebesbeweis. Gott will sein wie seine Geschöpfe. Gott macht seine eigene Liebe der unseren ähnlich – nachvollziehbar. In der Person Jesu lassen sich unterschiedliche Seiten von Liebe erkennen: Jugendlich, prophetisch-zornig, wenn er die Händler aus dem Tempel vertreibt, weil sie aus dem Haus des Gebets ein Haus der räuberischen Gesinnung gemacht haben. Frisch entbrannt im Glauben – mit ganzer Liebe zur Sache – tritt er für die Reinheit des Tempels ein; geduldig, werbend, wenn er zu den Leuten spricht; sich aufopfernd, indem er anderen hilft und sie heilt; berauschend, wenn er Wasser zu Wein werden lässt; widersprechend, wenn er den Hohenpriestern ihre räuberische Gesinnung vorwirft; antihierarchisch, wenn er dem Stadthalter Pilatus entgegenhält: Mein Reich ist nicht aus dieser Welt! – aus dem bösen Machtstreben der Menschen dieser Welt. verraten, wenn er durch seinen Freund Judas den Feinden ausgeliefert wird; verzweifelt, wenn er am Kreuz schreit: Warum hast du mich verlassen? In der Person Jesu wird offenbar, dass Gott Liebe kennt, so wie wir sie kennen. Mit all ihren verschiedenen Seiten. Von berauschend bis schmerzhaft. In der Person Jesu verschmelzen göttliche und menschliche Liebe miteinander. Das heisst, auch in unserer Liebe kann Gottes Liebe erkennbar sein. Und so werden wir von Gottes Liebe auf die Liebe zueinander, auf die Liebe unter uns verwiesen. Liebe deinen Nächsten/deine Nächste wie dich selbst. (Mt 22,39; 3. Mose, 19,18), – Jesus selbst hat uns diese Regel an die Hand gegeben. Nicht nur für Liebespaare, sondern als Lebensregel. Als Grundhaltung. Und Jesus hat damit die alte Regel, das alte Doppelgebot der Liebe aus dem Ersten Testament unterstrichen. Da wird eine hohe Messlatte an jede christliche Gemeinschaft angelegt. Nämlich christliche Gemeinschaft als Gemeinschaft der Gotteskinder, die sich untereinander lieben. Für gewisse Menschen ist es ein Schock, wenn sie in eine Gemeinde kommen und erleben, dass diejenigen, die sich zur Gemeinde zählen, gar nicht unbedingt so nett miteinander umgehen. Unter Christinnen und Christen gibt es das leider auch, dass sie sich streiten oder Unwahrheiten sagen, nicht gut übereinander reden – Christinnen und Christen sind immer wieder keine besseren Menschen! Paulus hat das hautnah erlebt. Mit seiner Gemeinde in Korinth: Mit diesen Korinthern hatte er es nicht leicht. Immer wieder gab es Streit. Es scheint so, als hätte diese Gemeinde Paulus besonders am Herzen gelegen und zugleich besonders schwer im Magen. Und so nimmt er die Liebe, seine Liebe als Mittel, um der Gemeinde einen Spiegel vorzuhalten. Merkt ihr denn nicht, so höre ich Paulus fragen, dass ihr euch zu Narren macht, wenn ihr darin wetteifert, wer besser sprechen kann – wer von euch der Starredner ist, – wer mehr glaubt, wer von euch die intensivste Gottesbeziehung hat – wer der Starglaubende ist – oder wer mehr spendet, wer von euch am freigiebigsten ist? Merkt ihr denn nicht, dass ihr euch zu Narren macht, wenn ihr dem einen mehr Wert beimesst als der anderen? Seht doch, dass es nur auf eines ankommt, nämlich dass ihr das, was ihr tut von Herzen, also mit Liebe tut. Paulus ist rigoros. Ohne Liebe gilt alles nichts. Nein, Christinnen und Christen sind keine besseren Menschen und schon gar nicht sind sie vollkommen. Damals nicht und heute nicht. Aber sie sind Menschen mit einer guten Voraussetzung: Gottes Liebe. Zu dieser Liebe gehört dann auch, dass er die Probleme der Korinther direkt anspricht. Er macht keinen Bogen darum herum und er versteckt sie auch nicht. Es geht nicht darum, besonders toll dazustehen, besonders perfekt zu sein, als Einzelne und als Gemeinde Aussergewöhnliches zu vollbringen. Es geht darum, die Dinge mit Liebe zu tun, selbst wenn es das Streiten ist. Niemand ist besser als die oder der andere, schon gar niemand ist perfekt – alles was Christen tun ist Stückwerk. Aber das ist auch nicht schlimm – im Gegenteil es ist eine grosse Befreiung: Fast hätte ich mit Wilhelm Busch gesagt: "Ist einmal der Ruf ruiniert – lebt's sich weiter ungeniert.": Ja, diese Befreiuung führt dazu, dass wir erkennen, worum es geht: Mit den Augen der Liebe ist Kaffekochen so wertvoll wie Predigen, ist Beten so wertvoll wie Rasenmähen – gerade weil wir nicht perfekt sind und es auch nicht sein wollen, gerade deshalb sind wir auf die Ergänzung durch andere angewiesen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht alles beliebig. Es kommt einfach darauf an, was eine/einer kann. Was er/sie von Herzen tut. Nur das zählt. Eine Gemeinde wie eine Partnerschaft tun gut daran, sich den Blick der Liebe Gottes zu erhalten. Oder neu zu entdecken. Sich an Gottes Liebe zu erinnern. Und wenn es sein muss, den liebevollen Blick aufeinander zu erneuern. Das Mass wie die Menschen in einer Gemeinde ihre Gaben einbringen und dabei entwickeln können, ist das Mass für die Gesundheit einer Organisation. Wenn Menschen aber ihre Gaben nicht einbringen können und diese auf die Seite gestellt werden und verkümmern, so ist das kein gutes Gesundheitszeichen. Liebe deine Nächste, deinen Nächsten wie dich selbst. Der Liebe als Lebenshaltung sind wir ein gutes Stück nachgegangen. Der Weg hat uns von der Liebe zwischen Zweien zur Liebe zwischen Gott und seinen Geschöpfen geführt, wir haben bei der Person Jesu verweilt und sind schliesslich bei der Liebe innerhalb der christlichen Gemeinde angelangt. Das Doppelgebot der Liebe: Liebe deine Nächste, deinen Nächsten wie dich selbst erfordert noch einen weiteren Schritt, und für heute soll es der letzte sein. Um lieben zu können, muss ich mich auch selbst lieben. Auch mich selbst muss ich mit den Augen der Liebe betrachten. Paulus hält nicht nur seiner Gemeinde in Korinth den Spiegel vor, sondern auch sich selber: Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind (...), als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild ... Kinder sind anders als Erwachsene. Ich verändere mich in meinem Leben und meine Liebe verändert sich. Alte Liebe ist anders als junge. Kinderliebe ist anders als Erwachsenenliebe. Die Liebe ist nicht starr, sondern lebt mit. Und entwickelt sich. So wie ich mich weiterentwickle. Mein Leben lang. Paulus hält uns einen Spiegel vor: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild... Den Blick in den Spiegel, haben Sie ihn heute Morgen getätigt? Erinnern Sie sich an ihn? Für die meisten ist es ein kritischer Blick – ein defizitorientierter Blick, der Blick ins eigene Gesicht: O weh, ein Pickel, eine Falte, ein Fleck! Meistens nehmen wir wahr, was stört. Manchmal sehen wir noch, wie es uns geht: Mein Gott, sehe ich müde aus! Oder zerknirscht. Und genau so defizitorientiert nehmen wir dann die, den anderen wahr. Ich schätze mich nicht, wegen meiner Defizite und ich kann erst recht nicht annehmen, dass ein anderer auch Defizite und Fehler hat – wenn er nicht perfekt ist, hasse ich ihn! – wie wenn perfekte Menschen anziehend wären. Ja, unser Spiegelbild gibt immer wieder ein dunkles Bild von uns selbst wieder. Die Liebe aber hat einen eigenen Blick: "Wenn du mich anschaust, dann werde ich schön!" (Wiederholen) So hat ihn die chilenische Dichterin Gabriela Mistral einmal in Worte gefasst. Die Liebe lässt den Blick von aussen freiwillig zu. Und sie lässt zu, dass ich als gut, schön, strahlend, voller Hoffnung gesehen werde – auch wenn ich mich und darum auch andere selbst nicht so sehe. "Wenn du mich anschaust, dann werde ich schön." Paulus sagt, dass Gottes Blick uns liebend anschaut. Er spiegelt uns nicht dunkel, sondern zeigt unsere strahlende, geliebte und liebende Seite. Grund genug, mit sich und anderen mit seinen und anderen Unvollkommenheiten ehrlich und liebevoll umzugehen. Amen Pfr. Felix Marti