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© Foto: Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten TITELTHEMA 08 DU UND DAS TIER 2/2015 DU UND DAS TIER 2/2015 09 Von James Brückner und Nadia Wattad 1 2 1 Elefanten zeigen „Kunststücke“ im Zirkus. 2 Die eintönige Haltung führt zu Verhaltensstörungen. 10 DU UND DAS TIER 2/2015 © Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten (1), Deutscher Tierschutzbund (1) Tiger, die Männchen machen und dabei auf den Hinterbeinen hüpfen, ein kostümierter Schimpanse, den der Zirkusdirektor an der Leine durch die Manege führt, oder ein Bär, der Roller fährt – alltägliche Szenen in verschiedenen deutschen Zirkussen. Mit Unterhaltung oder gar Artenschutz hat das nichts zu tun, sondern vielmehr mit Tierquälerei – geduldet von der Politik. In Freiheit würde eine Großkatze wie der Tiger nie wie ein Känguru herumhüpfen – im Zirkus aber schon. Ebenso wenig hat man im Wald schon mal einen Bären auf einem Roller vorbeirauschen sehen. Und Elefanten machen in Freiheit keinen Kopfstand. In monatelanger Dressur richtet sie der Dompteur bereits in ihren jungen Jahren auf dieses widernatürliche Verhalten ab, bricht ihren Willen und etabliert sich – den Menschen – als ranghöchstes Tier. Nur dann wird auch ein erwachsener Elefant später noch das in der Manege tun, was sein Herr von ihm verlangt. Und sollte er dennoch einmal aufbegehren, stehen Hilfsmittel wie der Elefantenhaken, ein Stock mit Eisenspitze, oder ähnliche Folterwerkzeuge parat. Auch im Circus Krone war es nun wieder so weit. James Brückner, Experte für Artenschutz vom Deutschen Tierschutzbund, war bei einer Vorstellung in München vor Ort: „Die Elefanten marschieren ein. Auf jedem der Dickhäuter strahlen spärlich bekleidete Damen für die Zuschauer um die Wette. Zunächst laufen die Elefanten eine Runde durch die Manege. Später zeigen die Tiere verschiedene angebliche Kunststücke; sie sollen das Bein heben, sich ablegen und dann auf ihrem Hinterteil sitzen, während sie die Vorderfüße in die Luft strecken. Als Höhepunkt zeigt Elefantendame Bara dann noch den viel diskutierten Rüssel-Kopfstand. Spätestens jetzt stelle ich mir die Frage, ob die Zirkusbefürworter ihr Argument der ‚natürlichen Bewegungsabläufe‘ wirklich ernst meinen. Natürlich können auch Elefanten wie andere Tiere oder Menschen komplizierte und anstrengende Bewegungen ausführen, etwa, wenn sie mit ihrem Rüssel Blätter von einem Baum holen und sich dabei strecken. Täglich und im fortgeschrittenen Alter kommt das aber kaum vor.“ Außerhalb der Manege sucht man eine tiergerechte Unterbringung im Circus Krone vergeblich. Die Elefanten haben ein Stallzelt, in dem sie nachts untergebracht sind. Angekettet, denn niemand kann die ganze Nacht darauf achten, dass die Tiere nicht ausbrechen. Tagsüber beğnden sie sich für wenige Stunden in einem kleinen Außengehege, das eigentlich 250 Quadratmeter groß sein sollte, auch damit sich die Tiere zumindest etwas bewegen können und ein wenig Abwechslung haben. Hier im Zirkus stehen sie auf blankem Beton, der Festplatz ist wie in vielen Städten eben befestigt – ein Feld oder eine große Wiese gibt es meist nicht. Ein Sandhaufen, ein Baumstamm zum Scheuern und ein paar Äste – mehr haben die Elefanten nicht, um sich zu beschäftigen. Und obwohl die Tiere in diesem Zirkus sogar Artgenossen um sich haben, was nicht selbstverständlich ist, sind sie mit Strombändern voneinander getrennt. Ansonsten würde es ständig zu KonĠikten kommen, da die bunt zusammengewürfelte Gruppe sich untereinander nicht © Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V. (1), Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten (1) TITELTHEMA vertragen würde – anders als in der freien Wildbahn, wo weibliche Elefanten in Mutterfamilien mit ihren Verwandten umherziehen. Da die Zirkuselefanten als Jungtiere von ihren Familien in der Wildnis getrennt und an den Zirkus verkauft wurden, haben sie nie richtige Sozialkontakte gehabt und kein entsprechendes Verhalten ausleben können. Es kommt auch immer wieder zu Ausbrüchen und Unfällen mit Wildtieren aus Zirkussen: Ein Braunbär entkam vor wenigen Jahren aus dem Zirkus Universal Renz 1 und biss einen Polizisten ins Bein. Das Tier wurde daraufhin erschossen. Ebenso erging es einer Löwin aus dem Zirkus Humberto, die ihre Freiheit mit dem Leben bezahlte. In einem weiteren Fall schleuderte die Elefantendame eines kleinen Wanderzirkusses einen Vater mit seinem Kleinkind durch die Luft, beide wurden schwer verletzt. In einem jüngst gesendeten Beitrag der ZDF-Sendung „Frontal 21“ rechtfertigt der Tierschutzbeauf2 tragte des Circus Krone, Frank Keller, das Mitführen von Wildtieren. So sei die Arterhaltung der Tiere eine wichtige Aufgabe der quert. Artgerecht sieht wohl anders aus. Dasselbe Zirkusse. James Brückner, Experte gilt für Tsavo, ein stattliches Breitmaulnashorn, das für Artenschutz des Deutschen schon einige Jahrzehnte im Zirkus Barum und nun Tierschutzbundes dazu: „Das ist bei Krone auf dem Buckel hat. Die eigentlich majesvölliger Unsinn. Weder sind Zirkus- tätische Erscheinung des grauen Riesen verkommt se an entsprechenden Zuchtprovor der Zirkuskulisse unweigerlich zur traurigen grammen beteiligt, noch pĠanzen Gestalt: Tsavo liegt teilnahmslos in einer Ecke auf sich Wildtiere – abgesehen von einem Sandhaufen. Mehr gibt es in seinem Gehege Löwen und Tigern – unter den auch nicht, abgesehen von einem Zirkuswagen, in schlechten Haltungsbedingungen den er sich zurückziehen kann, und dem Auftritt im Zirkus ausreichend fort.“ in der Manege, die er täglich einmal umrunden Auch Seelöwen darf. Eigentlich müsste Da Zirkusbetriebe ständig den gehören zum ProTsavo ein abwechslungsSpielort wechseln, sind Kontrollen gramm bei Circus reiches Außengehege von durch das Veterinäramt schwierig. 1.000 Quadratmetern wie Krone. Außerhalb Für jeden Landkreis ist ein anderes seine Artgenossen im Zoo der Vorstellung sind Veterinäramt zuständig. sie in einem Becken haben – hier muss er sich aus Planen untergemit rund 125 Quadratbracht. Etwas mehr als einen Meter metern begnügen. Denn Nashörner gelten als tief und gut 50 Quadratmeter groß Schautiere, die lediglich vorgeführt, aber nicht für muss dieses mindestens sein. Die Dressuren abgerichtet werden können. Aus diesem wendigen Tiere haben es in weniGrund ist es Zirkussen in Deutschland inzwischen gen Sekunden mehrfach durchverboten, Nashörner neu anzuschaffen. 1 Das Fluss- pferd im fragwürdigen Einsatz als Schautier. 1 Die Haltung im Stallzelt ist völlig unzureichend. JAMES BRÜCKNER VOM DEUTSCHEN TIERSCHUTZBUND ÜBER DIE VERHÄLTNISSE IM ZIRKUS ALBERTI: Zirkus Alberti wirbt unter anderem mit Affen, Kamelen, Pferden sowie „Big Grizzly“, dem größten Braunbären der Welt. Beim Besuch vor Ort zeigt sich, dass Ben, so sein Rufname, zwar ein durchaus stattliches Tier ist, aber ein eher trauriges Dasein im Käfigwagen fristet. Ein alter Autoreifen und zwei Holzstücke sind alles, was ihm dort zum Spielen bleibt. Im knapp 75 Quadratmeter großen Außengehege liegen zudem noch einige Äste und ein Müllcontainer, der wohl als Badebecken dient. DU UND DAS TIER 2/2015 11 TITELTHEMA Unweigerlich denke ich an Bens Artgenossen im Anholter Bärenwald, die auf mehreren Tausend Quadratmetern klettern, nach Wurzeln graben oder in Teichen schwimmen können. Im Winter dürfen sie dann den weichen Wald- und Wiesenboden unter den Tatzen gegen eine Höhle für die Winterruhe eintauschen. Ben verbringt die meiste Zeit seines Lebens im kargen Käfigwagen, einen Winterschlaf hat er noch nie halten können. Später, in der Manege, muss Ben Roller fahren, Männchen machen, balancieren oder Purzelbäume schlagen. Schwer zu verstehen, dass manche Zuschauer hier applaudieren. Doch vermutlich wissen sie es einfach nicht besser. Einen Bären haben sie hier jedenfalls nicht gesehen, eher ein Abziehbild oder eine Karikatur dieser eigentlich beeindruckenden Tierart. Das Nashorn ist in einem schlechten Zustand, eine artgerechte Unterbringung ist im Zirkus unmöglich. Dasselbe gilt für GLHHPSğQGOLFKHQ*LUDIIHQGLHPHLVWIUđK sterben. VERGLEICH DER GEHEGEMINDESTABMESSUNG DRESSUR IST NICHT TIERGERECHT 12 DU UND DAS TIER 2/2015 > 50 km 2 Außengehege Außengehege 200 m 50 m 2 2 TIGER (1–2 TIERE) Die sogenannten „Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen“ dienen Zirkusbetreibern als Richtschnur. Sie weichen allerdings erheblich von den Vorgaben des sogenannten „Säugetiergutachtens“ für Wildtiere in Zoos oder in Privathaltung ab, welches nur in der spielfreien Zeit und im Stammquartier gilt. Dieses Gutachten gibt unter anderem vor, wie groß das Gehege von Säugetieren sein muss. Die geringeren Anforderungen der Zirkusleitlinien werden ofğziell dann für vertretbar gehalten, „wenn das gehaltene Tier täglich verhaltensgerecht beschäftigt wird“. Darunter fallen die Ausbildung, das Training oder das Vorführen der Tiere in der Manege. In der Praxis sind dies oft nur ein bis zwei Auftritte von je fünf bis zehn Minuten und sind daher nicht ausreichend. Der Deutsche Tierschutzbund lehnt die These der verhaltensgerechten Beschäftigung durch die Dressur ab, da sie weder wissenschaftlich belegt noch im Zirkusalltag überprüfbar ist. Zudem werden auch Zootiere täglich beschäftigt – je nach Zoo sogar nach Erkenntnissen der Verhaltensforschung. Dies macht deutlich, dass angesichts der starken Abweichungen der Zirkusleitlinien im Vergleich zum Säugetiergutachten nicht einmal ansatzweise von einer artgerechten Unterbringung von Zirkustieren gesprochen werden kann. KOMMUNEN HABEN ES IN DER HAND Viele Städte haben die Schwierigkeiten erkannt, die sich ergeben, wenn Zirkusse mit Wildtieren anreisen. So auch die bayerische Stadt Erding: „Auslöser waren Grundschüler, die sich beim Oberbürgermeister darüber © Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten (1), Illustrationen: dworak & kornmesser Die Dressur von Wildtieren im Zirkus beruht überwiegend auf Zwang und Gewalt. Neben dem Dauerstress durch das Training sind die Tiere aber noch anderen Widrigkeiten ausgesetzt – und diese sind grundlegend: ihre Unterbringung. So leben die Showtiere nahezu ihr ganzes Leben unter Transportbedingungen, da jeder Zirkus jährlich 40 bis 50 Mal den Gastspielort wechselt. Das bedeutet, dass die Tiere grundsätzlich in viel zu kleinen Käfigen oder Gehegen hausen müssen und sie in diesen kaum Material zum Beschäftigen haben. An einen Naturboden ist hier ohnehin nicht zu denken, meist stehen die Tiere auf nacktem Beton. Zudem fristen sozial lebende Tiere wie Elefanten in manchen Zirkussen immer noch ein Leben in Einzelhaft, da es dort manchmal keine weiteren Elefanten gibt. Aus Tierschutzsicht sollte ein Zirkus nur dann Tiere mit sich führen, wenn deren Haltung auch unter Transportbedingungen noch tiergerecht sein kann. Bei Wildtieren ist dies ausnahmslos nicht möglich, lediglich bei Haustieren oder domestizierten Arten wie beispielsweise Pferden oder Hunden kann dies unter Umständen möglich sein. Diese Tiere brauchen aber geräumige und strukturierte Gehege oder Boxen, in denen sie ausreichend Platz haben und sich zurückziehen können. Es gibt neben den allgemeinen Regelungen des Tierschutzgesetzes jedoch keine konkreten rechtlichen Vorgaben, an die sich Zirkusunternehmen halten müssen, sondern lediglich Leitlinien und Gutachten. Diese werden im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erstellt. Inwieweit die Zirkusbetriebe die Regelungen einhalten, hängt jedoch wesentlich vom zuständigen Amtstierarzt ab. beklagt hatten, dass sich die Tiere in ihren Käğgen komisch verhalten würden und es ihnen nicht gut gehe“, so Robert Buckenmaier, Ordnungsamtsleiter der Stadt Erding, auf Nachfrage der Redaktion. Ein Wanderzirkus hatte im vergangenen Jahr sein Zelt direkt gegenüber dieser Grundschule aufgeschlagen, sodass die Kinder die Tiere tagtäglich beobachten konnten. „Der gesamte Stadtrat hat die Entscheidung des Bürgermeisters bestätigt, an Zirkusse, die mit speziellen Wildtierarten anreisen, keine Fläche mehr zu vergeben“, so Buckenmaier. Die Klage eines Zirkusunternehmens gegen das Verbot hatte ein Gericht ebenfalls abgewiesen. In Bayern gebe es laut Buckenmaier außerdem viele Kommunen, die es ebenfalls nicht gerne sehen würden, wenn ein Zirkus mit Tigern, Elefanten und Co. anreise. Daher würden immer mehr Städte und Gemeinden solche Verbote aussprechen. Insbesondere Heidelberg ging noch bis 2013 mit gutem Beispiel voran. Auf Anfrage der Redaktion zu der in der Vergangenheit getroffenen Entscheidung, Zirkussen, die mit speziellen Wildtierarten anreisen, keine StellĠäche zu vermieten, äußerte sich Christiane Calis von der Pressestelle der Stadt Heidelberg: „Mit den vor einigen Jahren festgehaltenen 100–400 km 2 Außengehege Außengehege 500 m 75 m 2 2 BRAUNBÄREN (1–2 TIERE) bis zu mehrere 1000 km 2 Außengehege Außengehege 2000 m 250 m 2 2 ELEFANTENKÜHE (1–2 TIERE) Revier in freier Natur Säugetiergutachten, BMEL 2014 Zirkusleitlinie, BMELV 2000 Die Infografik zeigt die Gehege-Mindestabmessungen der Zirkusleitlinien und des Säugetiergutachtens sowie die Reviergröße in freier Wildbahn. Die Gehegemaße und -anforderungen im Säugetiergutachten entsprechen weder dem aktuellen wissenschaftlichen Stand noch den Ansprüchen der Tiere. DU UND DAS TIER 2/2015 13 PROF. DR. MANFRED NIEKISCH leitet seit 2008 den Zoo Frankfurt, den er seither zu einem modernen Natur- und Artenschutzzentrum unter dem Leitspruch „Tiere erleben – Natur bewahren“ weiterentwickelt. In einem Interview mit der Redakteurin Nadia Wattad erklärt er, dass Wildtiere im Zirkus nichts zu suchen haben. Haben Wildtiere im Zirkus ihre Berechtigung? Wenn wir Wildtiere im Zirkus sehen, dann lernen wir nichts über ihre natürlichen Verhaltensweisen und schon gar nichts über ihre eventuelle Bedrohung in der Natur. Schon damit ist eigentlich keine Berechtigung gegeben, die Tiere im Zirkus zu zeigen. Was wir über Wildtiere im Zirkus lernen könnten, ist im Wesentlichen, wie sehr der Mensch ihnen unnatürliches Verhalten beibringen kann – und das kann kein vernünftiges Ziel sein. Ein Zirkus wechselt mehrmals im Jahr den Spielort. Welche Auswirkungen hat der ständige Ortswechsel auf die Tiere? Wir wissen von einigen Wildtierarten genau, dass sie eher „konservativ“ sind und empfindlich auf Veränderungen reagieren. Ein ständiger Ortswechsel ist Stress für viele Tiere. Wenn es kein Stress mehr ist, dann oft deswegen, weil die Tiere so abgestumpft sind, dass von dem einstigen Wildtier nicht mehr viel übrig ist. Welche medizinischen Auswirkungen hat es, wenn der Elefant jahrelang einen Kopfstand während des Trainings und vor Publikum absolvieren muss? Das ist eine völlig unnatürliche Verhaltensweise und man kann ganz klar sagen, dass viele Kunststücke, die ein Dompteur von den Elefanten verlangt, genau das sind, was die Tiere in der Na- 14 DU UND DAS TIER 2/2015 tur nie machen würden. Und dann gibt es noch einen weiteren Aspekt: Die Elefanten sind vielleicht zwei bis drei Stunden während der Aufführungen „beschäftigt“. Die andere Zeit stehen sie irgendwo rum, auf engstem Raum, teilweise natürlich angekettet, aus Sicherheitsgründen. Was also zwischen den Aufführungen passiert, nämlich nichts, das ist für die Elefanten mindestens genauso schlimm, denn sie haben ja keinerlei Abwechslung. Beides ist nicht tiergerecht – weder die Dressur noch die Haltung. Ist es überhaupt tiergerecht, einem Elefanten Dressurlektionen beizubringen? Ein Elefant in der Natur tut alles, um seine Gelenke und Sehnen möglichst wenig zu belasten. Wenn man sich dann mal anschaut, was im Zirkus passiert, dann ist das das exakte Gegenteil: Sie stehen auf dem Kopf, bilden eine Pyramide, balancieren auf einem schmalen Podest und so weiter. Das hat nichts mit einem natürlichen Verhalten zu tun und viele Zirkusnummern beanspruchen die Gelenke und Sehnen sehr stark. Und was bitte lerne ich denn über Elefanten, wenn sie sitzen wie ein Bär oder Kopfstand machen? So etwas ist nicht nur völlig unnötig, sondern für die Tiere sicherlich auch problematisch. Regeln zum Umgang mit Zirkustieren in Heidelberg und dem darin formulierten Ausschluss von bestimmten Wildtieren hatten wir grundsätzlich gute Erfahrungen gemacht.“ Im Jahr 2013 setzte man die Entscheidung jedoch aufgrund einer nochmaligen rechtlichen Überprüfung zunächst aus. Calis weiter: „Derzeit ist vorgesehen, in diesem Zusammenhang noch in diesem Jahr eine neue Benutzungsordnung für den Heidelberger Messplatz zu erarbeiten und dem Gemeinderat zum Beschluss vorzulegen.“ Eigentlich wäre es Aufgabe der Bundesregierung, das Mitführen von Wildtieren endgültig zu verbieten. Eine Chance für ein Wildtierverbot im Zirkus hat es nach einem ersten Anlauf im Jahr 2003 zuletzt 2011 gegeben. Der Bundesrat hatte sich auf Initiative von Hamburg 1 Dieser Seelöwe muss wäh- rend seiner Zirkuskarriere mit einem viel zu kleinen Becken vorliebnehmen. 2 Während der Vorstellung jongliert er mit einem Ball. 3 Braunbär Ben in seinem tristen Käfigwagen. Sein Leben ist sowohl hinter den Kulissen als auch in der Manege eine Qual. Vermittelt der Zirkus dem Zuschauer ein artgerechtes Verhalten der Tiere? Wenn das der Fall wäre, dann bräuchte der Dompteur keine Peitsche, keinen Stock, keinen Reifen, keine Trillerpfeife. Es ist ja nicht gerade das normale Verhalten eines Tigers, neben einem Löwen zu sitzen und dann noch durch einen Feuerreifen zu springen, es ist der Gipfel der Absurdität. Insofern kann ich nur sagen, nein, der Zirkus vermittelt seinen Zuschauern kein artgerechtes Verhalten von Tieren. Befürworten Sie ein Wildtierverbot im Zirkus? Ja, Wildtiere gehören einfach nicht in den Zirkus. © Fotos: Zoo Frankfurt (1), Deutscher Tierschutzbund e.V. (2), Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten (1) INTERVIEW TITELTHEMA und anderen Bundesländern mehrheitlich dafür ausgesprochen. Die SPD brachte umgehend einen entsprechenden Antrag im Bundestag ein, den die damalige Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP jedoch ablehnte. Auch der tierschutzpolitische Sprecher der Union, Dieter Stier, ist gegen ein Wildtierverbot – genau wie der zuständige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Viele Politiker lassen sich zudem gerne mit einem Wildtier in Arm ablichten – darunter Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, der Pate eines weißen Löwen ist. Gerade der Circus Krone nutzt seine gezüchteten weißen Löwen, um Publikum anzulocken. „Der weiße Löwe ist ein Gendefekt. Es gibt keine Art ‚weißer Löwe‘. Wer also solche Tiere in der Manege hat, der will 3 einfach nur Publikumsneugier auslösen, etwas Besonderes haben. Das hat überhaupt nichts mehr zu tun mit Arterhaltung, mit artgerechtem Verhalten. Hier züchtet man Tiere mit einem Gendefekt in Inzucht. Das ist einer der schlimmsten Missstände in den Zirkusmanegen“, so Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Auch Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag, steht in der Zirkuswelt gerne im Mittelpunkt. Dass er mal Zirkusdirektor werden wollte, steht sogar in seinem Lebenslauf auf seiner Internetseite. Währenddessen sich also manche Politiker gerne im Zirkus zeigen, leiden die Tiere still und leise in ihren Käğgen. Ein unhaltbarer Zustand, den auch schon andere Länder erkannt haben. So haben einige EU-Mitgliedstaaten das Mitführen bestimmter Wildtierarten in Zirkussen bereits untersagt. Dazu zählen beispielsweise Österreich, Dänemark, Griechenland, Finnland und Schweden. Rechtsverbindlich eingeschränkt haben es unter anderen Tschechien, Estland, Ungarn und Polen. Zuletzt haben sich auch Belgien, die Niederlande und Malta für ein Verbot von Wildtieren im Zirkus ausgesprochen. Dass Deutschland im Vergleich dazu nur empğehlt, keine Delğne, Pinguine, Menschenaffen, Greifvögel, Flamingos, Nashörner oder Wölfe mitzuführen, ist grotesk. Christina Jantz, tierschutzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, fordert in einem Interview mit „Frontal21“ ein Verbot: „Wir werden das auch in dieser Legislaturperiode wieder versuchen anzugehen.“ Zirkusbetreiber selbst fühlen sich an ihrer freien Berufsausübung gehindert, wenn es um das Verbot von Wildtieren im Zirkus geht. Betrachtet man aber die rechtliche Situation, kann dieses Argument keinen Bestand haben, da ein generelles Wildtierverbot nicht gegen Artikel 14 des Grundgesetzes verstoßen würde. Viele Dompteure treten auch mit domestizierten Tieren auf oder haben zu Beginn ihrer Karriere mit solchen Vorführungen begonnen. Dass ein Zirkus auch ohne Wildtiere funktionieren kann, zeigen beispielsweise der Zirkus Flic Flac und der Zirkus Roncalli. Beide verzichten seit Jahrzehnten auf Wildtiere und setzen stattdessen auf Clowns und Akrobatik – mit großem Erfolg. Der Deutsche Tierschutzbund plädiert für ein uneingeschränktes Verbot von Wildtieren im Zirkus und hält dies auch rechtlich für verhältnismäßig, da es erkennbar den Tierschutz verbessern würde. Darüber hinaus könnte der Gesetzgeber die Wildtierhaltung im Zirkus durch Positiv- oder Negativlisten reglementieren. Auch EU-rechtlich spräche nichts gegen ein Verbot der Wildtierhaltung. Wer mit all diesem Hintergrundwissen in den Zirkus geht, kann eigentlich nicht anders, als einzusehen, dass es absolut nicht artgerecht ist, was den Zuschauern vorgegaukelt wird: Ein Wildtier, ob in freier Wildbahn oder in Gefangenschaft geboren, bleibt ein Wildtier und hat nichts im Zirkus zu suchen. Seine Dressur und Haltung ist mit lebenslangen Qualen und Entbehrungen verbunden – und das um welchen Preis? 2 www.tierschutzbund.de/zirkus +LHUğQGHQ6LHDXVIđKUOLFKH+LQWHUJUXQGLQIRUPDWLRQHQ]XP7KHPD :LOGWLHUHLP=LUNXVXQGGHQ=LUNXVOHLWOLQLHQ'DV6ÃXJHWLHUJXWDFKWHQ VWHKW]XP'RZQORDGEHUHLW www.european-elephantgroup.com 1 'HU9HUHLQ(OHIDQWHQ6FKXW](XURSDLVWHLQ =XVDPPHQVFKOXVVYRQ0HQVFKHQGHQHQGDV 6FKLFNVDOYRQ(OHIDQWHQDP+HU]HQOLHJW(U NOÃUWXQWHUDQGHUHPGDUđEHUDXIGDVVHLQHWLHUJHUHFKWH(OHIDQWHQKDOWXQJLPUHLVHQGHQ=LUNXV XQPùJOLFKLVW DU UND DAS TIER 2/2015 15