du und das tier 2/2015 09 08 du und das tier 2/2015 titelthema

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du und das tier 2/2015 09 08 du und das tier 2/2015 titelthema
© Foto: Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten
TITELTHEMA
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DU UND DAS TIER 2/2015
DU UND DAS TIER 2/2015
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Von James Brückner und Nadia Wattad
1
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1 Elefanten zeigen
„Kunststücke“ im
Zirkus. 2 Die eintönige
Haltung führt zu Verhaltensstörungen.
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DU UND DAS TIER 2/2015
© Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten (1), Deutscher Tierschutzbund (1)
Tiger, die Männchen machen und dabei auf den Hinterbeinen hüpfen, ein kostümierter Schimpanse, den der Zirkusdirektor an der Leine durch die Manege führt, oder ein
Bär, der Roller fährt – alltägliche Szenen in verschiedenen
deutschen Zirkussen. Mit Unterhaltung oder gar Artenschutz
hat das nichts zu tun, sondern vielmehr mit Tierquälerei –
geduldet von der Politik.
In Freiheit würde eine Großkatze wie der Tiger nie
wie ein Känguru herumhüpfen – im Zirkus aber schon.
Ebenso wenig hat man im Wald schon mal einen Bären
auf einem Roller vorbeirauschen sehen. Und Elefanten
machen in Freiheit keinen Kopfstand. In monatelanger Dressur richtet sie der Dompteur bereits in ihren
jungen Jahren auf dieses widernatürliche Verhalten
ab, bricht ihren Willen und etabliert sich – den Menschen – als ranghöchstes Tier. Nur dann wird auch ein
erwachsener Elefant später noch das in der Manege
tun, was sein Herr von ihm verlangt. Und sollte er
dennoch einmal aufbegehren, stehen Hilfsmittel wie
der Elefantenhaken, ein Stock mit Eisenspitze, oder
ähnliche Folterwerkzeuge parat.
Auch im Circus Krone war es nun wieder so weit.
James Brückner, Experte für Artenschutz vom
Deutschen Tierschutzbund, war bei einer Vorstellung
in München vor Ort: „Die Elefanten marschieren ein.
Auf jedem der Dickhäuter strahlen spärlich bekleidete
Damen für die Zuschauer um die Wette. Zunächst
laufen die Elefanten eine Runde durch die Manege.
Später zeigen die Tiere verschiedene angebliche
Kunststücke; sie sollen das Bein heben, sich ablegen
und dann auf ihrem Hinterteil sitzen, während sie die
Vorderfüße in die Luft strecken. Als Höhepunkt zeigt
Elefantendame Bara dann noch den viel diskutierten Rüssel-Kopfstand. Spätestens jetzt stelle ich mir
die Frage, ob die Zirkusbefürworter ihr Argument
der ‚natürlichen Bewegungsabläufe‘ wirklich ernst
meinen. Natürlich können auch Elefanten wie andere
Tiere oder Menschen komplizierte und anstrengende
Bewegungen ausführen, etwa, wenn sie mit ihrem
Rüssel Blätter von einem Baum holen und sich dabei
strecken. Täglich und im fortgeschrittenen Alter
kommt das aber kaum vor.“
Außerhalb der Manege sucht man eine tiergerechte
Unterbringung im Circus Krone vergeblich. Die Elefanten haben ein Stallzelt, in dem sie nachts untergebracht sind. Angekettet, denn niemand kann die ganze
Nacht darauf achten, dass die Tiere nicht ausbrechen.
Tagsüber beğnden sie sich für wenige Stunden
in einem kleinen Außengehege, das eigentlich
250 Quadratmeter groß sein sollte, auch damit sich
die Tiere zumindest etwas bewegen können und ein
wenig Abwechslung haben. Hier im Zirkus stehen sie
auf blankem Beton, der Festplatz ist wie in vielen Städten eben befestigt – ein Feld oder eine große Wiese
gibt es meist nicht. Ein Sandhaufen, ein Baumstamm
zum Scheuern und ein paar Äste – mehr haben die
Elefanten nicht, um sich zu beschäftigen. Und obwohl
die Tiere in diesem Zirkus sogar Artgenossen um
sich haben, was nicht selbstverständlich ist, sind sie
mit Strombändern voneinander getrennt. Ansonsten
würde es ständig zu KonĠikten kommen, da die bunt
zusammengewürfelte Gruppe sich untereinander nicht
© Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V. (1), Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten (1)
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vertragen würde – anders als in der
freien Wildbahn, wo weibliche Elefanten in Mutterfamilien mit ihren
Verwandten umherziehen. Da die
Zirkuselefanten als Jungtiere von
ihren Familien in der Wildnis getrennt und an den Zirkus verkauft
wurden, haben sie nie richtige
Sozialkontakte gehabt und kein
entsprechendes Verhalten ausleben
können.
Es kommt auch immer wieder
zu Ausbrüchen und Unfällen mit
Wildtieren aus Zirkussen: Ein
Braunbär entkam vor wenigen Jahren aus dem Zirkus Universal Renz
1
und biss einen Polizisten ins Bein.
Das Tier wurde daraufhin erschossen. Ebenso erging es einer Löwin
aus dem Zirkus Humberto, die ihre
Freiheit mit dem Leben bezahlte.
In einem weiteren Fall schleuderte
die Elefantendame eines kleinen
Wanderzirkusses einen Vater mit
seinem Kleinkind durch die Luft,
beide wurden schwer verletzt.
In einem jüngst gesendeten Beitrag
der ZDF-Sendung „Frontal 21“
rechtfertigt der Tierschutzbeauf2
tragte des Circus Krone, Frank
Keller, das Mitführen von Wildtieren. So sei die Arterhaltung der
Tiere eine wichtige Aufgabe der
quert. Artgerecht sieht wohl anders aus. Dasselbe
Zirkusse. James Brückner, Experte
gilt für Tsavo, ein stattliches Breitmaulnashorn, das
für Artenschutz des Deutschen
schon einige Jahrzehnte im Zirkus Barum und nun
Tierschutzbundes dazu: „Das ist
bei Krone auf dem Buckel hat. Die eigentlich majesvölliger Unsinn. Weder sind Zirkus- tätische Erscheinung des grauen Riesen verkommt
se an entsprechenden Zuchtprovor der Zirkuskulisse unweigerlich zur traurigen
grammen beteiligt, noch pĠanzen
Gestalt: Tsavo liegt teilnahmslos in einer Ecke auf
sich Wildtiere – abgesehen von
einem Sandhaufen. Mehr gibt es in seinem Gehege
Löwen und Tigern – unter den
auch nicht, abgesehen von einem Zirkuswagen, in
schlechten Haltungsbedingungen
den er sich zurückziehen kann, und dem Auftritt
im Zirkus ausreichend fort.“
in der Manege, die er täglich einmal umrunden
Auch Seelöwen
darf. Eigentlich müsste
Da Zirkusbetriebe ständig den
gehören zum ProTsavo ein abwechslungsSpielort wechseln, sind Kontrollen
gramm bei Circus
reiches Außengehege von
durch das Veterinäramt schwierig. 1.000 Quadratmetern wie
Krone. Außerhalb
Für jeden Landkreis ist ein anderes seine Artgenossen im Zoo
der Vorstellung sind
Veterinäramt zuständig.
sie in einem Becken
haben – hier muss er sich
aus Planen untergemit rund 125 Quadratbracht. Etwas mehr als einen Meter metern begnügen. Denn Nashörner gelten als
tief und gut 50 Quadratmeter groß
Schautiere, die lediglich vorgeführt, aber nicht für
muss dieses mindestens sein. Die
Dressuren abgerichtet werden können. Aus diesem
wendigen Tiere haben es in weniGrund ist es Zirkussen in Deutschland inzwischen
gen Sekunden mehrfach durchverboten, Nashörner neu anzuschaffen.
1 Das Fluss-
pferd im
fragwürdigen
Einsatz als
Schautier.
1 Die Haltung
im Stallzelt
ist völlig unzureichend.
JAMES BRÜCKNER
VOM DEUTSCHEN
TIERSCHUTZBUND
ÜBER DIE VERHÄLTNISSE IM ZIRKUS
ALBERTI:
Zirkus Alberti wirbt unter anderem mit
Affen, Kamelen, Pferden sowie „Big
Grizzly“, dem größten Braunbären der
Welt. Beim Besuch vor Ort zeigt sich,
dass Ben, so sein Rufname, zwar ein
durchaus stattliches Tier ist, aber ein
eher trauriges Dasein im Käfigwagen
fristet. Ein alter Autoreifen und zwei
Holzstücke sind alles, was ihm dort zum
Spielen bleibt. Im knapp 75 Quadratmeter großen Außengehege liegen zudem
noch einige Äste und ein Müllcontainer,
der wohl als Badebecken dient.
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TITELTHEMA
Unweigerlich denke ich an Bens Artgenossen im
Anholter Bärenwald, die auf mehreren Tausend
Quadratmetern klettern, nach Wurzeln graben oder
in Teichen schwimmen können. Im Winter dürfen
sie dann den weichen Wald- und Wiesenboden unter den Tatzen gegen eine Höhle für die Winterruhe
eintauschen. Ben verbringt die meiste Zeit seines
Lebens im kargen Käfigwagen, einen Winterschlaf
hat er noch nie halten können.
Später, in der Manege, muss Ben Roller fahren,
Männchen machen, balancieren oder Purzelbäume
schlagen. Schwer zu verstehen, dass manche Zuschauer hier applaudieren. Doch vermutlich wissen
sie es einfach nicht besser. Einen Bären haben sie
hier jedenfalls nicht gesehen, eher ein Abziehbild
oder eine Karikatur dieser eigentlich beeindruckenden Tierart.
Das Nashorn ist in einem schlechten
Zustand, eine artgerechte Unterbringung
ist im Zirkus unmöglich. Dasselbe gilt für
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sterben.
VERGLEICH DER GEHEGEMINDESTABMESSUNG
DRESSUR IST NICHT
TIERGERECHT
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> 50 km
2
Außengehege
Außengehege
200 m
50 m
2
2
TIGER (1–2 TIERE)
Die sogenannten „Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung
von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen“ dienen
Zirkusbetreibern als Richtschnur. Sie weichen allerdings erheblich von
den Vorgaben des sogenannten „Säugetiergutachtens“ für Wildtiere in
Zoos oder in Privathaltung ab, welches nur in der spielfreien Zeit und im
Stammquartier gilt. Dieses Gutachten gibt unter anderem vor, wie groß
das Gehege von Säugetieren sein muss. Die geringeren Anforderungen
der Zirkusleitlinien werden ofğziell dann für vertretbar gehalten, „wenn
das gehaltene Tier täglich verhaltensgerecht beschäftigt wird“. Darunter
fallen die Ausbildung, das Training oder das Vorführen der Tiere in der
Manege. In der Praxis sind dies oft nur ein bis zwei Auftritte von je fünf
bis zehn Minuten und sind daher nicht ausreichend. Der Deutsche Tierschutzbund lehnt die These der verhaltensgerechten Beschäftigung durch
die Dressur ab, da sie weder wissenschaftlich belegt noch im Zirkusalltag
überprüfbar ist. Zudem werden auch Zootiere täglich beschäftigt – je
nach Zoo sogar nach Erkenntnissen der Verhaltensforschung. Dies macht
deutlich, dass angesichts der starken Abweichungen der Zirkusleitlinien
im Vergleich zum Säugetiergutachten nicht einmal ansatzweise von einer
artgerechten Unterbringung von Zirkustieren gesprochen werden kann.
KOMMUNEN HABEN ES IN DER HAND
Viele Städte haben die Schwierigkeiten erkannt, die sich ergeben, wenn
Zirkusse mit Wildtieren anreisen. So auch die bayerische Stadt Erding:
„Auslöser waren Grundschüler, die sich beim Oberbürgermeister darüber
© Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten (1), Illustrationen: dworak & kornmesser
Die Dressur von Wildtieren im Zirkus beruht
überwiegend auf Zwang und Gewalt. Neben dem
Dauerstress durch das Training sind die Tiere aber
noch anderen Widrigkeiten ausgesetzt – und diese
sind grundlegend: ihre Unterbringung. So leben die
Showtiere nahezu ihr ganzes Leben unter Transportbedingungen, da jeder Zirkus jährlich 40 bis
50 Mal den Gastspielort wechselt. Das bedeutet,
dass die Tiere grundsätzlich in viel zu kleinen
Käfigen oder Gehegen hausen müssen und sie in
diesen kaum Material zum Beschäftigen haben.
An einen Naturboden ist hier ohnehin nicht zu
denken, meist stehen die Tiere auf nacktem Beton.
Zudem fristen sozial lebende Tiere wie Elefanten
in manchen Zirkussen immer noch ein Leben in
Einzelhaft, da es dort manchmal keine weiteren
Elefanten gibt.
Aus Tierschutzsicht sollte ein Zirkus nur dann Tiere
mit sich führen, wenn deren Haltung auch unter
Transportbedingungen noch tiergerecht sein kann.
Bei Wildtieren ist dies ausnahmslos nicht möglich,
lediglich bei Haustieren oder domestizierten Arten wie
beispielsweise Pferden oder Hunden kann dies unter
Umständen möglich sein. Diese Tiere brauchen
aber geräumige und strukturierte Gehege oder
Boxen, in denen sie ausreichend Platz haben und
sich zurückziehen können. Es gibt neben den allgemeinen Regelungen des Tierschutzgesetzes jedoch
keine konkreten rechtlichen Vorgaben, an die
sich Zirkusunternehmen halten müssen, sondern
lediglich Leitlinien und Gutachten. Diese werden
im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung
und Landwirtschaft (BMEL) erstellt. Inwieweit die
Zirkusbetriebe die Regelungen einhalten, hängt jedoch wesentlich vom zuständigen Amtstierarzt ab.
beklagt hatten, dass sich die Tiere in ihren Käğgen
komisch verhalten würden und es ihnen nicht gut
gehe“, so Robert Buckenmaier, Ordnungsamtsleiter
der Stadt Erding, auf Nachfrage der Redaktion. Ein
Wanderzirkus hatte im vergangenen Jahr sein Zelt
direkt gegenüber dieser Grundschule aufgeschlagen,
sodass die Kinder die Tiere tagtäglich beobachten
konnten. „Der gesamte Stadtrat hat die Entscheidung des Bürgermeisters bestätigt, an Zirkusse, die
mit speziellen Wildtierarten anreisen, keine Fläche
mehr zu vergeben“, so Buckenmaier. Die Klage eines
Zirkusunternehmens gegen das Verbot hatte ein
Gericht ebenfalls abgewiesen. In Bayern gebe es laut
Buckenmaier außerdem viele Kommunen, die es
ebenfalls nicht gerne sehen würden, wenn ein Zirkus
mit Tigern, Elefanten und Co. anreise. Daher würden
immer mehr Städte und Gemeinden solche Verbote
aussprechen. Insbesondere Heidelberg ging noch
bis 2013 mit gutem Beispiel voran. Auf Anfrage der
Redaktion zu der in der Vergangenheit getroffenen
Entscheidung, Zirkussen, die mit speziellen Wildtierarten anreisen, keine StellĠäche zu vermieten, äußerte
sich Christiane Calis von der Pressestelle der Stadt
Heidelberg: „Mit den vor einigen Jahren festgehaltenen
100–400 km
2
Außengehege
Außengehege
500 m
75 m
2
2
BRAUNBÄREN (1–2 TIERE)
bis zu mehrere
1000 km
2
Außengehege
Außengehege
2000 m
250 m
2
2
ELEFANTENKÜHE (1–2 TIERE)
Revier in freier Natur
Säugetiergutachten,
BMEL 2014
Zirkusleitlinie,
BMELV 2000
Die Infografik zeigt die Gehege-Mindestabmessungen der Zirkusleitlinien
und des Säugetiergutachtens sowie
die Reviergröße in freier Wildbahn. Die
Gehegemaße und -anforderungen im
Säugetiergutachten entsprechen weder dem aktuellen wissenschaftlichen
Stand noch den Ansprüchen der Tiere.
DU UND DAS TIER 2/2015
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PROF. DR.
MANFRED
NIEKISCH
leitet seit 2008 den Zoo Frankfurt, den er
seither zu einem modernen Natur- und
Artenschutzzentrum unter dem Leitspruch „Tiere erleben – Natur bewahren“
weiterentwickelt. In einem Interview mit
der Redakteurin Nadia Wattad erklärt er,
dass Wildtiere im Zirkus nichts zu suchen
haben.
Haben Wildtiere im Zirkus ihre
Berechtigung? Wenn wir Wildtiere im
Zirkus sehen, dann lernen wir nichts über
ihre natürlichen Verhaltensweisen und
schon gar nichts über ihre eventuelle
Bedrohung in der Natur. Schon damit ist
eigentlich keine Berechtigung gegeben,
die Tiere im Zirkus zu zeigen. Was wir
über Wildtiere im Zirkus lernen könnten,
ist im Wesentlichen, wie sehr der Mensch
ihnen unnatürliches Verhalten beibringen
kann – und das kann kein vernünftiges
Ziel sein.
Ein Zirkus wechselt mehrmals im
Jahr den Spielort. Welche Auswirkungen hat der ständige Ortswechsel
auf die Tiere? Wir wissen von einigen Wildtierarten genau, dass sie eher
„konservativ“ sind und empfindlich auf
Veränderungen reagieren. Ein ständiger
Ortswechsel ist Stress für viele Tiere.
Wenn es kein Stress mehr ist, dann oft
deswegen, weil die Tiere so abgestumpft
sind, dass von dem einstigen Wildtier
nicht mehr viel übrig ist.
Welche medizinischen Auswirkungen
hat es, wenn der Elefant jahrelang
einen Kopfstand während des Trainings und vor Publikum absolvieren
muss? Das ist eine völlig unnatürliche
Verhaltensweise und man kann ganz klar
sagen, dass viele Kunststücke, die ein
Dompteur von den Elefanten verlangt,
genau das sind, was die Tiere in der Na-
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DU UND DAS TIER 2/2015
tur nie machen würden. Und dann gibt es
noch einen weiteren Aspekt: Die Elefanten sind vielleicht zwei bis drei Stunden
während der Aufführungen „beschäftigt“.
Die andere Zeit stehen sie irgendwo rum,
auf engstem Raum, teilweise natürlich
angekettet, aus Sicherheitsgründen. Was
also zwischen den Aufführungen passiert,
nämlich nichts, das ist für die Elefanten
mindestens genauso schlimm, denn sie
haben ja keinerlei Abwechslung. Beides
ist nicht tiergerecht – weder die Dressur
noch die Haltung.
Ist es überhaupt tiergerecht, einem
Elefanten Dressurlektionen beizubringen? Ein Elefant in der Natur tut
alles, um seine Gelenke und Sehnen
möglichst wenig zu belasten. Wenn man
sich dann mal anschaut, was im Zirkus
passiert, dann ist das das exakte Gegenteil: Sie stehen auf dem Kopf, bilden
eine Pyramide, balancieren auf einem
schmalen Podest und so weiter. Das hat
nichts mit einem natürlichen Verhalten zu
tun und viele Zirkusnummern beanspruchen die Gelenke und Sehnen sehr stark.
Und was bitte lerne ich denn über Elefanten, wenn sie sitzen wie ein Bär oder
Kopfstand machen? So etwas ist nicht
nur völlig unnötig, sondern für die Tiere
sicherlich auch problematisch.
Regeln zum Umgang mit Zirkustieren in Heidelberg und dem
darin formulierten Ausschluss von
bestimmten Wildtieren hatten wir
grundsätzlich gute Erfahrungen
gemacht.“ Im Jahr 2013 setzte man
die Entscheidung jedoch aufgrund
einer nochmaligen rechtlichen
Überprüfung zunächst aus. Calis
weiter: „Derzeit ist vorgesehen, in
diesem Zusammenhang noch in
diesem Jahr eine neue Benutzungsordnung für den Heidelberger
Messplatz zu erarbeiten und dem
Gemeinderat zum Beschluss vorzulegen.“
Eigentlich wäre es Aufgabe der
Bundesregierung, das Mitführen
von Wildtieren endgültig zu verbieten. Eine Chance für ein Wildtierverbot im Zirkus hat es nach einem
ersten Anlauf im Jahr 2003 zuletzt
2011 gegeben. Der Bundesrat hatte
sich auf Initiative von Hamburg
1 Dieser Seelöwe muss wäh-
rend seiner Zirkuskarriere
mit einem viel zu kleinen
Becken vorliebnehmen.
2 Während der Vorstellung
jongliert er mit einem Ball.
3 Braunbär Ben in seinem
tristen Käfigwagen. Sein
Leben ist sowohl hinter den
Kulissen als auch in der
Manege eine Qual.
Vermittelt der Zirkus dem Zuschauer
ein artgerechtes Verhalten der Tiere?
Wenn das der Fall wäre, dann bräuchte
der Dompteur keine Peitsche, keinen
Stock, keinen Reifen, keine Trillerpfeife.
Es ist ja nicht gerade das normale Verhalten eines Tigers, neben einem Löwen
zu sitzen und dann noch durch einen
Feuerreifen zu springen, es ist der Gipfel
der Absurdität. Insofern kann ich nur
sagen, nein, der Zirkus vermittelt seinen
Zuschauern kein artgerechtes Verhalten
von Tieren.
Befürworten Sie ein Wildtierverbot
im Zirkus? Ja, Wildtiere gehören einfach
nicht in den Zirkus.
© Fotos: Zoo Frankfurt (1), Deutscher Tierschutzbund e.V. (2), Deutscher Tierschutzbund e.V./ M. Marten (1)
INTERVIEW
TITELTHEMA
und anderen Bundesländern
mehrheitlich dafür ausgesprochen. Die SPD brachte umgehend
einen entsprechenden Antrag im
Bundestag ein, den die damalige
Regierungskoalition aus CDU/CSU
und FDP jedoch ablehnte. Auch
der tierschutzpolitische Sprecher
der Union, Dieter Stier, ist gegen
ein Wildtierverbot – genau wie
der zuständige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU).
Viele Politiker lassen sich zudem
gerne mit einem Wildtier in Arm
ablichten – darunter Gregor Gysi,
Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag, der Pate
eines weißen Löwen ist. Gerade der
Circus Krone nutzt seine gezüchteten weißen Löwen, um Publikum
anzulocken. „Der weiße Löwe ist
ein Gendefekt. Es gibt keine Art
‚weißer Löwe‘. Wer also solche
Tiere in der Manege hat, der will
3
einfach nur Publikumsneugier auslösen, etwas Besonderes haben. Das hat überhaupt nichts
mehr zu tun mit Arterhaltung, mit artgerechtem Verhalten. Hier züchtet man Tiere mit einem
Gendefekt in Inzucht. Das ist einer der schlimmsten Missstände in den Zirkusmanegen“, so
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.
Auch Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag, steht in der Zirkuswelt gerne im Mittelpunkt. Dass er mal Zirkusdirektor werden wollte, steht sogar in seinem
Lebenslauf auf seiner Internetseite. Währenddessen sich also manche Politiker gerne im
Zirkus zeigen, leiden die Tiere still und leise in ihren Käğgen. Ein unhaltbarer Zustand, den
auch schon andere Länder erkannt haben. So haben einige EU-Mitgliedstaaten das Mitführen
bestimmter Wildtierarten in Zirkussen bereits untersagt. Dazu zählen beispielsweise Österreich, Dänemark, Griechenland, Finnland und Schweden. Rechtsverbindlich eingeschränkt
haben es unter anderen Tschechien, Estland, Ungarn und Polen. Zuletzt haben sich auch
Belgien, die Niederlande und Malta für ein Verbot von Wildtieren im Zirkus ausgesprochen.
Dass Deutschland im Vergleich dazu nur empğehlt, keine Delğne, Pinguine, Menschenaffen,
Greifvögel, Flamingos, Nashörner oder Wölfe mitzuführen, ist grotesk. Christina Jantz, tierschutzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, fordert in einem Interview mit „Frontal21“ ein
Verbot: „Wir werden das auch in dieser Legislaturperiode wieder versuchen anzugehen.“
Zirkusbetreiber selbst fühlen sich an ihrer freien Berufsausübung gehindert, wenn es um das
Verbot von Wildtieren im Zirkus geht. Betrachtet man aber die rechtliche Situation, kann dieses Argument keinen Bestand haben, da ein generelles Wildtierverbot nicht gegen Artikel 14
des Grundgesetzes verstoßen würde. Viele Dompteure treten auch mit domestizierten Tieren
auf oder haben zu Beginn ihrer Karriere mit solchen Vorführungen begonnen. Dass ein Zirkus
auch ohne Wildtiere funktionieren kann, zeigen beispielsweise der Zirkus Flic Flac und der
Zirkus Roncalli. Beide verzichten seit Jahrzehnten auf Wildtiere und setzen stattdessen auf
Clowns und Akrobatik – mit großem Erfolg.
Der Deutsche Tierschutzbund plädiert für ein uneingeschränktes Verbot von Wildtieren im
Zirkus und hält dies auch rechtlich für verhältnismäßig, da es erkennbar den Tierschutz
verbessern würde. Darüber hinaus könnte der Gesetzgeber die Wildtierhaltung im Zirkus
durch Positiv- oder Negativlisten reglementieren. Auch EU-rechtlich spräche nichts gegen ein
Verbot der Wildtierhaltung. Wer mit all diesem Hintergrundwissen in den Zirkus geht, kann
eigentlich nicht anders, als einzusehen, dass es absolut nicht artgerecht ist, was den Zuschauern vorgegaukelt wird: Ein Wildtier, ob in freier Wildbahn oder in Gefangenschaft geboren,
bleibt ein Wildtier und hat nichts im Zirkus zu suchen. Seine Dressur und Haltung ist mit
lebenslangen Qualen und Entbehrungen verbunden – und das um welchen Preis?
2
www.tierschutzbund.de/zirkus
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