Der Goldjunge
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Der Goldjunge
22 L KUNSTUNDKULTUR 2|14 äuft ja nicht so in letzter Zeit“, sagte er. Vosskuhle, der immer mehr wie ein schwer gealterter und verfetteter Roy Black aussah und der diesen Vergleich jedes Mal selbst aufbrachte, wenn er richtig betrunken war. Die Haare so schwarz, wie es ihm die Wirklichkeit eigentlich schon seit Jahrzehnten nicht mehr erlaubte. Der sich Leuten, die er nicht leiden konnte, mit einem windelweichen Händedruck vorstellte und einem dahingehauchten „Fosekuhle“, dass einem richtig übel werden konnte. Der in Momenten großer Schwachheit auch schon mal lila getönte Sonnenbrillen trug. Mein Peiniger und Agent. Mein „Freund“. Der mit dem Pistazientick. „Nüsschen?“, sagte er, ohne mich anzusehen, da mit seiner eigenen aktuellen Pistazie beschäftigt. Die Schalen fielen auf den Boden. „Ich hab ganz gute Kritiken“, sagte ich und versuchte, beiläufig zu klingen. „Kritiken, Schmitiken. Was interessiert mich so ein Feuilleton-Spast, der seinen Elfenbeinturm vollgewichst hat?“ Jetzt sah er mich doch an. „Wie viele Exemplare von deinem letzten Gedichtband hast du eigentlich verkauft? Hä?“ „Keine Ahnung“ – schon war meine ganze Beiläufigkeit dahin. Er hatte mich. Natürlich. „Ich kenn einen, der bumst die Sekretärin von Pemberg. Und die hat die Zahlen. 114 Stück. Du hast im ersten halben Jahr von deinem aktuellen Gedichtband 114 Stück verkauft. Bei ‚Deutschland sucht den Superdichter‘ wärst du ganz vorne mit dabei. Ehrenwort.“ Beiläufig zog er ein Exemplar von „Windeck“ aus der obersten Schublade seines Schreibtischs und warf es zu all dem anderen Kram, der seine Computertastatur schon umrahmte. Ich hatte Mordgedanken. „Weil du ‚gute Kritiken‘ von zwei Kulturtrotteln bekom- Schlagerkranken aus dem letzten Jahrhundert, dessen Namen mir glücklicherweise entfallen war. „Rufschädigend ist das! Wir ham einen Ruf zu verteidigen! Wir waren mal die ZZ Top in der Buchbranche! Die Zynischen Zwei, immer an der Spitze! Und wenn du weiter deine Gemüselyrik da verzapfst, dann ist das endgültig vorbei! Dann nimmt uns keiner mehr ernst! Endgültig!“ Was konnte man machen? Vosskuhle war ein Kind der frühen 1960er, er war mit Roy Black und ZZ Top aufgewachsen. Ich rieb mir die Stirn. „Jetzt mal Luft ablassen, Nüsschen. Wenn du weiter hier so rumbrüllst, dann werde ich taub, und deine Bürowände müssen sich den ganzen Blödsinn allein anhören.“ Vosskuhle setzte sich wieder, zog sich das Hemd zurecht und senkte die Augen. Dann nahm er sich eine Pistazie. „Geht’s jetzt wieder, ja?“ Vosskuhle murmelte irgendetwas Unverständliches. „Also. Wie lange kennen wir uns jetzt? Fünfzehn Jahre? Eins weiß ich: Wenn du so einen Zinnober veranstaltest, dann hast du in Wirklichkeit eine Idee, die so hirnverbrannt ist, dass du dir Mut anschreien musst. Geschrien hast du schon, jetzt her mit deiner Schwachsinnsidee, und dann unterhalten wir uns darüber, von Mann zu Mann.“ „Ich will Umsatz“, sagte Vosskuhle mit gesenktem Kopf. „Ich will Druck am Markt.“ „Du hast vielleicht Druck im Sack, mein Lieber“, sagte ich. „Aber da machst du, was alle Männer in deinem Alter machen: Sie kaufen sich ein rotes Auto mit viel Brummbrumm und drängeln Fahranfänger in den Straßengraben. Wenn’s dich dabei zerlegt, schreib ich auch deinen Nachruf. Alle werden gerührt sein, sogar deine beiden Exfrauen.“ „Halt dein Maul“, sagte er. „Du schreibst was ganz anderes. Den Roman, der allen gefällt.“ in Gefahr, Freiheitsdrang mit gebremstem Schaum. Die handelsübliche Bitterkeit von Verzweifelten, die am Ende sehen, dass das Leben doch schön ist und dass man es immer noch zu was bringen kann, wenn man sich ehrlich anstrengt. Autos, ja, auch Autos, also was du als rotes Auto mit viel Brummbrumm bezeichnet hast, aber das rote BrummbrummAuto ist nicht für alle dasselbe, also braucht es verschiedene Marken. Leder und Seide und Glauben, Glauben in der Krise, Glaubenskrise. Schmerz, der am Abend wieder weg geht, oder zum Weggehen die Zeit braucht, die man ihm grade noch gönnt, Miesepeter will doch keiner. Tief empfunden. Entschlossen, aber nicht zu hart. Natur und Wald, auf jeden Fall. Tiere. Problembären, die nicht stinken. Eisbären. Vielleicht Pferde und Hunde, dann aber von Rasse, oder ganz besonders drollige Promenadenmischungen, intelligent auch. Fußball. Ein guter Opa, eine gute Oma. Bier für die Männer, aber manchmal auch Wein, der auf edle Namen hört, Chateau du Chateau. Das eine macht betrunken, das andere bringt sogar einen Rausch. Abgesunkener Adel, immer noch stolz, Künstler mit Problemen, aufstrebendes Bürgertum, das am Ende belohnt wird für alles. Und Hitler. In Deutschland immer Hitler. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Wenn dein Kackroman ein Haus ist, dann braucht es auch ein Spukzimmer. Dort wohnt Hitler, in deinem Roman.“ Ich sah ihn nur an. Irgendwo in der Stadt knatterte ein Hubschrauber über den Dächern herum. „Du kokst doch wieder“, war alles, was mir einfiel. „Nein!“, rief er, mit einem Hauch ehrlicher Empörung im Gesicht. „Na ja, vielleicht ein bisschen, aber das spielt doch jetzt keine Rolle!“ Ich hatte genug. „Manchmal ist es ganz einfach. Du hattest ja noch nie alle Latten am Zaun. Aber jetzt fehlen dir ein paar zu viel. Der Goldjunge Mein Weg zum perfekten Roman war kurz und steinig. Von Marcus Hammerschmitt Meine Empfehlung.“ men hast und weil dir ein paar andere lebende „Wir sehen uns in einer Woche. Dann sehe Fossilien 20.000 Ocken zugesteckt haben, ich Resultate.“ denkst du jetzt, das war ein großer Erfolg. „Geh aufs Klo, wenn du musst, dann kriegst Aber die Wahrheit über deine lyrischen Ergüsdu auch manchmal ein Resultat.“ se lautet: 114. Nüsschen?“ Als ich unten auf der Straße stand, musste Mit den „lebenden Fossilen“ meinte er die ich kurz meine schmerzenden Schläfen masJury der „Satzbau-Stiftung für deutschsprasieren. Der Hubschrauber flog tief, sein Schatchige Dichtung“, die alle drei Jahre ihren ten wischte über mich hinweg. „Satzbau-Preis“ vergab und in diesem Jahr * eben mich ausgesucht hatte – und „Windeck“. Als ich ihr das Gerede von Vosskuhle vorIch sagte nichts. Aus einer gewissen pergespielt hatte – ich zeichnete jedes meiner Geversen Neugier heraus wollte ich wissen, ob spräche mit ihm heimlich auf – sagte Saskia Vosskuhle die Kurve nehmen würde, die ich nur: voraussah. Ich kannte ihn ja. Er hatte sich ge„Wow.“ rade warmgeboxt und setzte jetzt zu einer Wenn sie auf diese Art „Wow“ sagte, war seiner gefürchteten Kombinationen an. echte Bewunderung im Spiel. Mir schwante Vosskuhle kramte in dem Napf auf seinem Übles, aber ich hoffte noch, mich verhört zu Tisch nach einer neuen Pistazie. haben. „Ich hab hier die neue Abrechnung vom „Der dreht völlig hohl“, meinte ich verFrauenbuch.“ suchsweise. Er hatte noch nie Angst vor Berechenbar„Zweifellos“, sagte sie mit einem verdächtikeit gehabt, wenn bei der Berechnung herauskam, dass er gewann. Verena Issel: „Fitnessklotz“ (girls work out). Durchmesser 20 cm. Stein, Graphit, gen Glitzern in den Augen. „Du hattest da ja schon immer so einen Verdacht; ich auch. An„5.114 Exemplare, die E-Books und die Schaumstoff, 2012. dererseits …“ ganzen anderen Rechte noch nicht mitge„Saskia Vollmann-Stavenhagen …!“ „Was?“ zählt. Sechs Jahre nach Erscheinen. Als Longseller immer Da war dieser spezielle Gesichtsausdruck. Eine gewisse „Ich will die Alten, die Jungen, ich will die Normalos und noch ein Bestseller. Das ist der Unterschied. 114 und die 5 Homos, die Lesben und die Hausfrauen und die lesbischen harte Aufregung in den blauen Augen, die Nüstern leicht gedavor.“ Das „Frauenbuch“. War ja klar gewesen, dass er damit an- Hausfrauen auch, ich will die Linke, die Rechte und die Mitte, bläht, das schmale Gesicht umgeben von ihren sorgfältig kam. Sieben Jahre vorher hatte mich Vosskuhle angeblökt, die Prolos und das Bildungsbürgertum, die Literaten und verwuschelten dunklen Haaren – es war eindeutig dieser Geich solle doch als Frau auftreten und bei den Brigitte-Lese- und… die Analphabeten, die Intelligenz und die Dummheit, sichtsausdruck, der besagte, dass sie Witterung aufgenomrinnen dick absahnen. Ich hatte als „Elena Rehberg“ den Ro- ich will alle von 12 bis 95, ich will, dass der ganze mensch- men hatte. „Andererseits könnte das klappen.“ man „Herzstolpern“ verbrochen, der sich um die völlig nich- liche Urschleim, die brodelnde, blubbernde Masse, komplett „Das sagst du manchmal bei dem größten Mist.“ tigen Abenteuer einer Endzwanzigerin namens „Prissy in dein Buch verliebt ist. Dass sie gar nicht genug von ihm „Sicher, sicher. Aber weißt du, Schatz, man muss auch Augenthaler“ drehte. Vosskuhle hatte den Mist vermarktet – kriegen kann. Als Text, als Hörbuch, als Film, als Computerund wie. Der Schmarren verkaufte sich wie geschnitten Brot, spiel, als Theaterstück, als Übersetzung in zwanzig verschie- mal aus seiner Komfortzone raus.“ „Kleiner Hinweis: das mit der ‚Komfortzone‘ klingt massiv und bevor wir enttarnt wurden, waren 100.000 Exemplare dene Sprachen, Umsatz und Druck, Druck und Umsatz.“ nach vor ein paar Jahren. Da sind wir wieder von weg.“ Ich ließ ihn einfach reden. Manchmal half nur das. über den Tresen gegangen. Den Nachfolger namens „Kenny „Und wenn schon. Was Vosskuhle da über deine Gedichte „Und das geht nur, wenn du hier nicht weiter auf Künstler kann mich“, den ich genau wie „Herzstolpern“ in zwei Monaten zusammengeschmiert hatte, ließ der Verlag dann fallen, machst, sondern dich endlich auf das konzentrierst, was du sagt – ich mag die, ja, aber wer mag sie sonst noch?“ Das mit den guten Kritiken ließ ich diesmal stecken. Ich weil sich die Frauenzeitschriften künstlich darüber aufregten, am besten kannst: Scheißekuchen backen, die ich in Unmenschwieg und genoss meine Schmerzen. dass sie verarscht worden waren (wir hatten ja sogar eine gen von Gold verwandele.“ „Du weißt, dass wir uns ein bisschen anstrengen müssen, Ich dachte an das halbe Jahr in Irland, in dem ich „Windhübsche schauspielerische Naturbegabung als „Elena Rehberg“ durch die Talkshows tingeln lassen) – aber in typischer eck“ geschrieben hatte. Ja, das hatte sich nicht wie das Ba- damit unser Strandhaus doch noch wahr wird. Man braucht Ziele, aber irgendwann muss man sie auch mal erreichen.“ Manier hatte der Qualitätsverlag zwei Monate später „Herz- cken von Scheißekuchen angefühlt. „Also soll ich aus meiner Komfortzone raus, damit du in „Was braucht man in Deutschland, um so was durchzustolpern“ wieder auf den Markt geworfen, diesmal mit meinem Namen auf dem Cover. Da Vosskuhle nicht nur ein ziehen? Ein bisschen Romantik. Ein bisschen Sex, möglichst eine neue rein kannst?“ Es waren schon Rückzugsgefechte, Drecksack, sondern auch ein knallharter Verhandler war, in anschlussfähigen Varianten. Abenteuer, die gut ausgehen. aber jetzt kampflos aufgeben kam nicht in Frage. „Aus dem konnte ich die Tantiemen für „Herzstolpern“ als verlässliches Boy meets girl, ein bisschen Rebellion gegen das Spießertum, Quatsch, den Vosskuhle da erzählt hast, kannst du dir aber aber nicht zu viel, Reisen, viele Schauplätze, Opulenz, Exotik, kein Strandhaus schnitzen. Nicht mal einen Tatort.“ zweites Einkommen ansehen. „Da bin ich mir nicht so sicher. Das könnte klappen. Wer „Jetzt sag ich dir mal was“, meinte er. „Ich habe mir dei- also Farben und Geschmäcker, weil der Urschleim, der Weinen Kunstquatsch lange genug angesehen. Diesen Lyrik- zenschleim sehnt sich nach Erfahrungen, nach dem Echten. sagt denn, dass du gleich lostippen musst? Wer sagt das Dünnschiss. Und weißt du, was das ist? Was ist es?“ Oh ja, Ein bisschen camp und ein bisschen straight, einen Sidekick denn? Mach dir doch einfach mal ein paar Gedanken. EinleiVosskuhle konnte schreien, wenn er wollte. Mit rotem Gesicht und ein paar Umwege, ein bisschen Sternenhimmel und tung, Hauptteil, Schluss. Hauptfiguren, Nebenschauplätze. sah er allerdings nicht mehr wie ein verfetteter alter Roy Dschungel, ein bisschen Großstadt, ein bisschen Dorf. Ge- Das wird ja wohl drin sein.“ Dann küsste sie mich auf die Stirn. Und verließ mich. Black aus, sondern wie die Herzinfarktversion dieses anderen fühl, viel Gefühl, als Sentiment in großer Güteklasse. Kinder KUNSTUNDKULTUR 2|14 Ich schaute aus dem Fenster in einen vorbildlichen Maientag. Allerdings war auch mein Kopfweh wieder da. Meine Frau hatte gesprochen. Und sie war eindeutig gegen mich. * Dass Vosskuhle mich im „Goldmull“ treffen wollte, konnte man nur als Extraschikane begreifen. Der „Goldmull“, muss man wissen, ist ein Biotop, in dem sich Leute wie Vosskuhle ausbreiten. Auch an diesem Tag traf man dort, abgesehen von mir, nur seinesgleichen. Leute mit großen Fürzen in den verkoksten Gehirnen und Kleidern am Leib, die gleichzeitig unsagbar teuer waren und elend scheiße aussahen. Sicher, Vosskuhle und ich, wir kannten uns lange. Den „Goldmull“ aber hatte ich noch jedes Mal mit dem Gefühl verlassen, dass wir uns schon zu lange kannten. Der Laden ist hinreichend beschrieben, wenn man erwähnt, dass er das Fell seines namensgebenden Tieres durch den großzügigen Einsatz von goldfarbenem Samt überall nachzuahmen versucht; goldfarbener Samt, der seit 1953 nicht mehr erneuert worden ist, genauso wie der Rest der Einrichtung. Der Chef, der meist selbst an der Bar mixt, findet es lustig, sich Stan Darts zu nennen, heißt aber in Wirklichkeit Oliver Meier, was ich weiß, weil er in meiner Parallelklasse war. (Wenn es Sie aus einem obskuren Grund je dorthin verschlägt, kleben sie doch bitte für mich einen gut durchgekauten Kaugummi auf einen der Sitze. Danke im Voraus.) Wenigstens hatte mich Vosskuhle nicht in die Eiszapfenbar bestellt. Das machte er nur, wenn er mich wirklich bestrafen wollte. Ich setzte mich. Ob Vosskuhle mich durch seine tiefviolett gefärbten Sonnenbrillengläser hindurch anschaute, war nicht mit letzter Sicherheit festzustellen. Er durfte hier drin nicht rauchen, was dazu führte, dass er mit einer nicht angezündeten Zigarette in der Hand hin und her wedelte. Er hatte mich schon wahnsinnig gemacht, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Die Kellnerin kam und fragte mich nach meinen Wünschen. „Mein größter Wunsch ist es“, sagte ich, „nicht hier zu sein.“ „Dann gehen Sie doch“, meinte sie ruhig. „Sie können einfach gehen.“ Kurz geschnittene, dunkle Haare. Ein Hosenanzug wie die Dietrich. Stan ließ die Kellnerinnen nur im Hosenanzug bedienen. „Das geht leider nicht. Dieser Herr hier“ – ich zeigte auf Vosskuhle – „hat Macht über mich.“ „Dann“, entgegnete sie lächelnd, „hilft vielleicht ein Getränk.“ „Dieser Illusion will ich mich nicht hingeben. Bringen Sie mir trotzdem irgendwas. Egal was.“ Vosskuhle brachte es wirklich fertig, nichts zu sagen, bis sie mit einem Mineralwasser zurück kam und es vor mich hin stellte. Als sie wieder weg war, sagte ich: „Wenn du dein Maul nicht aufmachen willst, dann kann ich ja wieder gehen.“ „Du bist so gereizt“, sagte er. „Sei mal nicht so gereizt.“ „Also was ist jetzt?“ Seit ich ihm meine Ideen geschickt hatte, waren zwei Wochen ohne ein Wort von ihm vergangen. Alles Schikane. „Hm“, sagte er. „Hm. Daniel und Vanessa. Gut. Daniel, der sein Examen vermasselt hat, aus Prüfungsangst. Eigentlich genialer Arzt. Geht nach Südamerika. ‚Waisenkinder reparieren, oder irgend so ein Scheiß‘ – deine Worte. Man muss ja nicht gleich zynisch werden, sonst aber geil.“ „Diese Brille“, dachte ich. „Eines Tages reiße ich dir diese Brille vom Kopf. Und dann knick ich die Bügel ab. Und mit den Bügeln nagele ich deine Hände am Tisch fest.“ „Also Daniel bei den Waisenkindern, klasse Arzt, verbessert alles im Hospital, totale Liebe von den Blagen, von den Schwestern sowieso, Daniel ist knusprig, und sogar die Kollegen und Kolleginnen können mit ihm. Vor allem Samira, ein ziemliches Luder, würde gern mit ihm können - aber Daniel leidet an Keuschheit, auch Frauenangst. Missverständnisse ohne Ende. Der schwule Kollege Federico hat ein Auge geworfen usw. Dann die Guerilla. Voll auf Droge. Haben keinen Bock auf das Hospital, weil sie die Kinder als Kinderdrogensoldaten brauchen oder so was. Kleine wendige Kuriere, die keiner erwischt, und bedrogte kleine Killer, die alles killen, was sich der Guerilla in den Weg stellt.“ Vosskuhle steckte die Zigarette, mit der er bisher in der Luft herumgewedelt hatte, in die Schachtel zurück, um dann mit einer anderen weiter in der Luft herumzuwedeln. „Überfall. Geschrei. Die Guerilla will die Kinder. Daniel schützt, wird angeschossen. Dschungelhospital brennt. Samira zerrt Daniel in den Dschungel. Schlangen, Dunkelheit, Blut. Die Guerilla hinter ihnen her, weil die Kinder nach ihm geschrien haben. Samira kennt die Dschungelpfade, da früher selber Guerillakämpferin. Wenn ihre Ex-Kumpels sie kriegen, dann Hackfleisch. Sie will raus aus der ganzen Dschungelscheiße, und sie will Daniel. Also pflegt sie ihn auf der Flucht, zerbeißt Lianen, um ihn zu versorgen mit Wasser und Medizin, Kugel ist aber noch drin. Daniel fiebert. Sie schlagen sich durch zur Küste. Vom kleinen Fischerort zur Hafenstadt. Von da zurück nach Deutschland. Spezialklinik, die Ärzte ziemliche Loser, außer einer: Vanessa. Zufällig Daniels Jugendliebe, leider problematisch, daher seine Frauenangst. Vanessas dunkles Geheimnis: Drogensucht. Medizinisches Kokain. Daniel, die Kugel, Samira, Vanessa, das Kokain. Wer mit wem wann fickt, willst du noch auskaspern. Dann Liebe, dann Eifersucht, Kampf und Tragik. Usw. usw.“ Während er sich im Ungefähren verlor, wedelte er noch ein bisschen mit seine Zigarette herum, dann nichts mehr. 23 „Also was jetzt?“, fragte ich. „Bringen wir diesen Quatsch, fielen mir nah am Ufer zwei Entenküken auf. Sie waren schmutzig. Verseucht von Entengrütze und dem saisonalen oder was?“ Er hustete. Dann räusperte er sich. Dann trank er von Pflanzenabfall, der gerade an dieser Ecke des Sees besonders heftig von den Bäumen ins Wasser herunterwehte, plantschmeinem Wasser, das ich bisher nicht angerührt hatte. „Ja schon. Eigentlich schon. Aber wo ist Hitler? Ich seh ten sie in ihrem pflanzenabfallverseuchten Wasser herum und freuten sich des Lebens. So wirkte es jedenfalls. Es das noch nicht, wo Hitler ist.“ machte ihnen nichts aus, schmutzig zu sein, es machte ihnen Ich stand auf und ging. nichts aus, dass ihre Entenmutter weit und breit nicht zu se* „Ich finde, das hat Potenzial“, sagte die Frau, die meine hen war und dass sie ein ganzes Leben lang nichts als dumme Frau ist. „Also zum Beispiel, wie du erzählst, als Daniel sich Enten sein würden, war ihnen auch egal. All das kümmerte sie das erste Mal wieder nach dem Duschen im Spiegel sieht, mit einen Scheiß. „Ihr kleinen Enten“, dachte ich auf meine der fiesen Narbe und so, aber immer noch superknusprig. Die schwachsinnige Art. „Ihr kleinen, kleinen Enten.“ Der „Tatort“ war noch nicht zu Ende. Ich setzte mich an Details. Ein cooler Körper mit Schicksal. Das ist so schön! So porno! Oder zum Beispiel die Szene, als Vanessa einen Dro- den Computer. * genrückfall hat, obwohl ihr doch klar sein muss, dass das der „Mein Goldjunge.“ Vosskuhle war aufgestanden und Weg in den Abgrund ist. Die Schuldgefühle! Das Kopfweh! Und wenn die Klinik das merkt, dass sie Stoff verschwinden wollte mich umarmen. Ich verhinderte das, indem ich mich so lässt. Oder – holla, die Waldfee! Der Traum von Samira – alter schnell setzte, dass sein Annäherungsversuch ins Leere ging. Schwede! Und wie sie sich dann später an Vanessa heran- Er hatte eine Fahne. Der Tisch war bereits mit Pistazienschamacht, auch mit ihrem Drogenwissen, denn sie ist ja eine len übersät. Die „Turmklause“. Also wenigstens nicht der falsche Schlange und will Daniel um jeden Preis. Vanessa to- „Goldmull“ und erst recht nicht die Eiszapfenbar. Er wischte tal vernichten! Das ist ihre Mission! Und als dann auch noch sich das Hemd ab und sagte noch einmal: „Goldjunge“. Der Kellner kam, um meine Bestellung aufzunehmen. Mit Federico, der schwule Kollege aus der Waisenklinik auftaucht, der zufällig auch überlebt hat, von den verdrogten Unter- Blick auf die Pistazien-Überreste fragte er Vosskuhle, ob er grundkämpfern im Dschungel aber umgedreht worden ist einen Tischabfalleimer brauche. Aber Vosskuhle meinte nur, und Daniel kidnappen soll, damit er wieder als Dschungelarzt er habe alles im Griff, zumal jetzt, da sein Goldjunge da sei. tätig wird, diesmal aber für den Untergrund. Die Schauplätze! Der Kellner entfernte sich zügig. „Frag mich nicht, ob ich ein Nüsschen will“, sagte ich zu Hamburg, der Schwarzwald, der Gardasee! Und Dolly, die treue Mischlingshündin von Vanessa, die genau weiß, dass dem völlig betrunkenen Roy-Black-Imitat auf der anderen ihr Frauchen schlecht dran ist und die sofort auf Daniel ab- Seite des Tischs. „Bitte nicht.“ „Ja nein“, lallte er. „Wir treffen uns ja hier zum mal richtig fährt, als sie ihn das erste Mal sieht. Das ist alles sehr prall Feiern. Weil: Du hast es mal wieder gerissen. Und ich“ – seine und lebensecht; mitten aus dem Leben gegriffen.“ „Hör auf, mich zu verarschen“, sagte ich. „Das ist kein Ro- Stimme wurde ein wenig lauter – „ich hab das vorgeahnt! Dass du das reißen kannst!“ man, das ist ein offener Trümmerbruch.“ Die Pistazie, mit der er gerade beschäftig war, rutschte Lachend warf sie ihren Kopf in den Nacken. Das hatte ich an ihr schon immer gemocht. Nur eben jetzt fand ich ihre ihm aus den Fingern. Er nahm sich eine neue. „Also die Drogen bei Vanessa, das kommt von ihrer Verungeteilte Begeisterung für den schlechtesten Text, den ich gangenheit. Von ihrer Familie. Der Opa, SS. Arzt, natürlich. je geschrieben hatte, ein wenig ermüdend. „Ja und? Das ist genau das Zeug, das die Leute haben Verbrechen. Und sie kann das nicht aushalten, das Erbe. Ein wollen. Das ist das Zeug, das ich haben will, wenn mein Ge- Opfer der Vergangenheit, traurig über sich selbst. Daher die hirn Urlaub braucht. Und jetzt gib doch schon zu, dass du Drogen. Das ist ganz, ganz wunderbar. Und die zwei dann, beim Schreiben richtig Spaß hattest. Frei sein von allem, was nachdem fast alles überstanden ist, die Therapie hat schon die Literatur verlangt. In die Vollen greifen. Gib es zu!“ „Wie ihr euch das immer vorstellt“, sagte ich und bereute es sofort. Sie grinste. „Tja. Wie wir uns das vorstellen. Deine Leser. Die dich ernähren.“ Sie rückte mir auf die Pelle. Das war alles geplant. „Wir sind so nah dran. So nah. Strandhaus. Wenn’s wirklich gut läuft: ausgesorgt. Ich kann das spüren. Richtig spüren.“ Sie machte eine Pause. Niemand war so gut im Pausenmachen wie meine Frau. „Ich an deiner Stelle würde ihm irgend einen Hitler-Quatsch reinschreiben. Wenn er das so unbedingt will. Er ist nicht mehr ganz sauber, aber in diesem Leben gibt es für dich keinen besseren Vermarkter. Du weißt das.“ „Vielleicht solltest du dich von mir trennen und Vosskuhle heiraten? Könnte klappen, oder?“ Sie lachte wieder. „Netter Versuch. Aber du lenkst jetzt nicht vom Thema ab. Du sollst dich auf deinen Hintern Verena Issel: „Walking Chair“. 40x40 cm, Stoff, Papier und Lack auf Seidenpasetzen und deinen Job machen. Sonst pier, 2011. nix. Und ich will jetzt „Tatort“ gucken. angefangen, und sie gehen spazieren. Zum See, und da sind Allein.“ die kleinen Enten.“ Ich hatte ganz vergessen, dass Sonntag war. Vosskuhle wirkte, als versuche er zu weinen. * „Und sie fassen sich an der Hand und beobachten die Wenn man was machen muss, dann muss man was machen. Meine Frau schaute „Tatort“ und ich schaute, dass ich kleinen, süßen Enten und dann schauen sie sich in die Augen. Und dann ist Schluss. Groß. Ganz groß.“ aus der Wohnung kam. „Ja“, sagte ich. „Das ist ganz großer Scheiß.“ Am Feuersee war es recht still, abgesehen von den JuInteressierte ihn gar nicht. gendlichen, die wie jeden Abend dort saßen, um zu kiffen und „Also wenn du willst, ich verlang das nicht von dir, aber zu saufen. Ich hätte mich an diesem Abend gern zu ihnen gesellt, aber meine Ratlosigkeit war zu alt, um zu ihrer jungen wenn du willst, dann schreibst du auch noch sone Schiene Ratlosigkeit zu passen. Ich hatte schon länger mit dem Kiffen rein mit Nazi und Südamerika und Drogenguerilla. Muss aufgehört als sie am Leben waren, in manchen Fällen wahr- nicht. Nur wenn du willst. Wär halt das Sahne-, äh, -häubscheinlich doppelt so lange. Diese Gedanken taten mir nicht chen. Hab schon die ersten Kritiken bestellt. Zwei Voranfragen vom Film. Das wird abgehen, das kannst du dir gar nicht gut, also setzte ich mich in Bewegung. Unser Feuersee ist klein, man kann ihn in ein paar Minu- vorstellen.“ „Eine Tages bring ich dich um“, sagte ich. ten umrunden. Es ist unklar, ob die städtische Feuerwehr in Vosskuhle lachte. „Das hast du mir schon so oft versproder Vergangenheit dem See je Wasser entnommen hat, um Brände zu löschen. Es ist sogar unklar, wann er angelegt wor- chen. Aber nie machst du ernst! Hast du Hunger? Nein? Dann den ist. „Feuersee, Feuersee“, dachte ich, während ich auto- bestell dir wenigstens mal was Richtiges zum Trinken. Dann matisch einen Fuß vor den anderen setzte. Aus der Richtung bist du nicht mehr so verkrampft. Ich will jetzt mit dir feiern.“ Er hatte schon wieder seine Stimme erhoben. Der Kellner der kiffenden und saufenden Jugendlichen kam ein hysterisches Mädchengelächter herübergeweht. Ich bemerkte, wie schaute zu uns herüber. „Feiern will ich!“, erklärte Vosskuhle. „Weil du mein bester sich ein nachlässiger Abendschwachsinn in meinem Gehirn festsetzte, und ich konnte das nur begrüßen. Ich hatte ja Mann bist!“ schon oft festgestellt, dass ein zünftiger Schwachsinn das Leben erträglicher machte, wenn es ansonsten schon völlig Marcus Hammerschmitt lebt als Autor in Tübinunbeeinflussbar war. Den See hatte ich fast umrundet, da gen. Zuletzt erschien das Hörbuch „Grasland“.