Grundlagen der kognitiven Verhaltenstherapie am Beispiel

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Grundlagen der kognitiven Verhaltenstherapie am Beispiel
05.06.2012
Grundlagen der kogni.ven Verhaltenstherapie am Beispiel Angststörungen Prof. Dr. med. V. Köllner Fachklinik für Psychosoma.sche Medizin, 66440 Blieskastel [email protected] Themen: •  Grundlagen der kogni.ven Verhaltentherapie •  Erklärungsmodelle für Angststörungen •  Differen.aldiagnos.k der Angststörungen •  Wie vermiPele ich einem Pa.enten die Diagnose „Angststörung“? Äthiologiemodell der Verhaltenstherapie Verhaltensanalyse Prädisponierende Faktoren
• Genetik • Physiologische Variablen (z. B. Mitralprolaps) • Kogn.
Schemata • Lebens- und Lerngeschichte • Persönlichkeitsfaktoren • familiäres und soziales Umfeld
Auslösende Bedingungen
• Physiologische Bedingungen, kognitive Bewertung und
emotionale Reaktion in der Auslösesituation
Lebensgeschichte,
Wertesystem
S
O
R
+ lang
-
K
+
kurz
-
Soziales Umfeld, Normen,
Rahmenbedingungen
Aufrechterhaltende Bedingungen
• Operante Verstärkung von Vermeidungsverhalten •
sekundärer Krankheitsgewinn • familiäre Interaktion • soziale Rahmenbedingungen
Was ist Angst? •  Angst ist die natürliche Reaktion des Menschen auf
Gefahren. Sie äußert sich auf allen Ebenen unseres
Verhaltens und Erlebens:
•  im kognitiven und emotionalen Bereich: z. B.
Einengung der Wahrnehmung auf gefahren-relevante
Reize, Einengung des Denkens und Fühlens bei
Befürchtungen, selektives Lernen und Erinnern,
•  im Verhalten: meist Flucht oder Vermeidung
•  auf der körperlichen Ebene: Alarmreaktionen im
sympathischen Nervensystem, z. B. Herzrasen,
Schwitzen, Beschleunigung, Hyperventilation, Zittern.
S = Auslösesituation; O = Organismus-Variablen; R = Reaktion; K = Konsequenzen; lang = langfristig; kurz = kurzfristig. S, R und K können auf der physiologischen,
psychischen und sozialen Ebene beschrieben werden.
Was ist eine Angststörung? •  Andauernde Fehlregula.on des Angst-­‐Streß-­‐
Reak.onssystems •  Angst triP in unangemessener Stärke und in unangemessenen Situa.onen auf •  Erwartungsangst führt zu Dauerak.vierung des Angstsystems •  Vermeidungsverhalten verhindert Habitua.on 1
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Angststörungen sind häufige Erkrankungen  Nach Bundesgesundheitssurvey (1998) liPen 14,2% der Bevölkerung zwischen 18 und 65 innerhalb eines Jahres unter einer klinisch relevanten Angststörung  12-­‐Monatsprävalenz entspricht fast der Lebenszeitprävalenz  50% Komorbidität mit Depression, somatoformen Störungen oder Suchtstörung  Hohe volkswirtschagliche Relevanz z. B. durch häufige AU-­‐Tage und sozialmedizinische Folgen Angstdiagnos.k  Erfragen von Leitsymptomen in der Anamnese  Leitsymptome ermöglichen og schon Diagnose und therapeu.sche Weichenstellung  Zeitlicher Verlauf der Symptoma.k? Zusammenhang mit biographischen Ereignissen? Ausmaß der Beeinträch.gung/Vermeidung?  Genaue Abklärung mit strukturierten Interviews (SKID, DIPS, CIDI), Erfassung von Lebens-­‐ und Lerngeschichte, Symptomtagebüchern und Verhaltensanalyse Häufige DD in der Akutmedizin: Panikanfälle •  34 – 56% aller Pa.enten mit unauffälligem Herzkatheterbefund die diagnos.schen Kriterien einer Panikstörung erfüllen (Fleet et al, 2000) •  16 – 25% aller Pa.enten in einer Notallambulanz als Diagnose einen Panikanfall aufweisen, ebenso wie 25 – 57% aller Pa.enten mit atypischem Brustschmerz (Jeejeebhoy et al, 2000) •  bei 50 – 98% aller Pa.enten, die wegen eines Panikanfalls eine kardiologische Sprechstunde aufsuchen, die Diagnose nicht gestellt wird! (Ormel et al., JAMA, 1994) Bezeichnungen nach ICD-­‐10 •  Agoraphobie •  Soziale Phobie •  Spezifische Phobie staP „phobische Neurose“ •  Panikstörung •  generalisierte Angststörung staP „Angstneurose“ Soma.sche Differen.aldiagnos.k  Cave: Erklärungsmodell des Pa.enten bes.mmt Gebiet des aufgesuchten Arztes (O2-­‐Mangel in vollem Kaunaus => Pneumologe oder Kardiologe)  Cave: Über-­‐ Unter-­‐ und Fehldiagnos.k  Auf Suchterkrankungen (Entzugssymptome achten)  Hausarzt und Vorbefunde einbeziehen  zügige Abklärung soma.scher Symptome gemäß diagnos.scher Leitlinien Problem nicht gestellter Diagnosen: Pa.ent kommt mit körperlichen Symtomen eines Panikanfalls zur Diagnos.k ⇓ Organmedizinische Diagnos.k o. B. ⇓ Arzt: „Sie sind gesund!“ ⇓ Pa.ent hat keine Erklärung für seine Beschwerden erhalten, fühlt sich unverstanden und sucht bei neuen Beschwerden weiterführende Diagnos.k. 2
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Panik-­‐Teufelskreis Wahrnehmung
Körperl. Veränderung
(z. B. Pulsfrequenz ⇑)
Synonyme für Panikstörung in Arztbriefen Bewertung
Gefahr
harmlos

Physiologische Angstreaktion:
Puls  RR  Atmung  Schwitzen,
Vasokonstriktion, Muskelspannung 
•  Neurozirkulatori-­‐sche Asthenie •  Neurasthenie •  Hyperkine.sches Herzsyndrom •  DaCosta-­‐Syndrom •  vegeta.ve Labilität •  Reizherz Herzphobie Herzneurose Hypochondrie Lokomotorische Angst Vasomotorische Neurose •  .... • 
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Angst
Agoraphobie (ICD-­‐10 F40.0)  Leitsymptom: Angst an bes.mmten Orten, von denen aus es keinen „Fluchtweg“ gibt; Versuch, diese zu vermeiden. Kombina.on mit Panik u. Depression häufig  Lebenszeitprävalenz: 5,7% m<w  Arztbesuch v. a. wg. körperlichen Symptomen (z. B. Dyspnoe in vollen Räumen). Viele Pa.enten wissen nicht um die guten Therapiemöglichkeiten und suchen deshalb keine Hilfe. Soziale Phobie F40.1 •  Leitsymptom: Furcht vor prüfender Betrachtung in kleinen Gruppen und sozialen Situa.onen; Versuch, diese zu vermeiden. •  Lebenszeitprävalenz 2 -­‐10%, m=w •  Symptoma.k wird häufig verschwiegen. Arztbesuch allenfalls wg. körperlicher Symptome wie ZiPern, Schwitzen, Erröten. Häufig sek. Alkohol-­‐ oder Med.-­‐Abusus. Spezifische Phobien F40.2 Panikstörung F41.0 •  Leitsymptom: Angst vor spezifischen Objekten/Situa.onen (Tiere, Höhen, Fliegen, Blut, Spritzen); Versuch, diese zu vermeiden. •  Lebenszeitprävalenz 5-­‐15%, m<w •  Viele Pa.enten wissen nicht um die guten Therapiemöglichkeiten und suchen deshalb keine Hilfe. Bei Blut-­‐/Spritzenphobie ist Ohnmacht häufig! Hier gute Behandlungs-­‐
möglichkeit mit Applied Tension (2 -­‐ 4 Sitzungen). •  Leitsymptom: Unvorhersehbar augretende Anfälle mit hegigen vegeta.ven Symptomen und Angst vor Tod oder Kontrollverlust. Häufig Verstärkung durch Hyperven.la.on •  Lebenszeitprävalenz 2,4%; m<w; bei Männern 2. Häufigkeitsgipfel um 40. Lj. •  Pa.enten kommen og zum Arzt, da sie körperl. Ursache der Symptome vermuten. Wich.ge DD in Notallsprechstunden. 3
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Generalisierte Angststörung F41.1 •  Leitsymptom: ständige Sorgen zu wich.gen Lebensthemen, Suche nach Rückversicherung, veget. Symptome, Erschöpfung, Schlafstörung. •  Lebenszeitprävalenz etwa 6%, m=w •  Arztbesuch v. a. wg. Streßsymptomen, Schlafstörung und Erschöpfung. Viele Pa.enten wissen nicht um die guten Therapiemöglichkeiten und suchen deshalb keine Hilfe. Exposi.onstherapie   Wirksamste Behandlung bei Phobien und Zwängen   Massive Konfronta.on wirksamer als abgestuges Vorgehen   Cave: Bei Abbruch vor Symptomabfall oder verdeck-­‐
tem Vermeidungsverhalten Verschlechterung   Systema.sche Desensi-­‐
bilisierung hat nur noch geringe Bedeutung. Medikamentöse Therapie •  Benzodiazepine max. für eine Woche zur Kriseninterven.on, Abhängigkeit mit quälender Entzugs-­‐
symptoma.k bereits nach 3 Wochen möglich. •  β-­‐Blocker pathophysiologisch gute Idee, aber leider wirkungslos. •  SSRI-­‐An.depressiva als Alterna.ve zur VT und bei komorbider Depression •  Kombina.on SSRI & VT ist VT alleine nicht überlegen. •  Gefahr bei Medikamenten: Pa.ent aPribuiert Erfolg auf die Pille und nicht auf sich. Folgen der Chronifizierung •  sekundäre Depression •  Alkohol-­‐ oder Medikamentenabhängigkeit (v. a. Benzodiazepine) •  familiäre Problem •  berufliche Nachteile, häufige AU, Langzeitarbeitslosigkeit Kogni.ve Therapie •  Wirksamste Therapie u. a. bei Panikstörung und GAS •  Beginn: Informa.on und Erarbeiten eines Krankheitskonzepts •  Danach kein Überreden, sondern sokra.scher Dialog, •  strukturierte Selbstbeobachtung und •  Verhaltensexperimente (z. B. Hyperven.la.on-­‐stest. •  Ziel: Modifika.on dyskunk.onaler Überzeugungen und automa.scher Gedanken Physiotherapie und Herz-­‐ Kreislaugraining •  Herz-­‐ Kreislaugraining hilg den Pa.enten, wieder Vertrauen in ihren Körper zu gewinnen. •  Stabilisierung des kardiovaskulären Systems •  hoher an.depressiver Effekt •  Physiotherapie kann bei Verspannung und Fehlhaltung als Ursache thorakaler Beschwerden helfen. 4
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Therapieevalua.on •  Konfronta.onsbehandlung ist das effek.vste Therapieverfahren bei Phobien. Bei 80% der Pa.enten langfris.g Beschwerdefreiheit. Neue Symptome treten nach der Therapie nicht häufiger auf, als in der Allgemeinbevölkerung. •  Massierte Reizkonfronta.on in vivo weist bessere Wirkung auf als systema.sche Desensibilisierung. •  Für die kogni.v-­‐behaviorale Therapie der Panikstörung liegen weniger Studien mit kürzeren Katamnesen vor, die Ergebnisse scheinen jedoch ähnlich güns.g zu sein.  Diagnose: Agoraphobie (F40.00), depress. Reak.on (F43.20)  Therapie: Nach Erstellen einer Angsthierarchie und kogni.ver Vorbereitung 8 Sitzungen abgestuger Exposi.on mit anschließender Anleitung zur Selbstexposi.on. Dazwischen und abschließend 5 Sitzungen zu den Themen Rückzug, Beziehung und Selbstzweifel.  Katamnese: Am Ende der Therapie Symptomfrei-­‐
heit sowohl hinsichtlich der Agoraphobie als auch der Depression. Therapieerfolg stabil seit 1990. Probleme:  Nur 40% aller Pa.enten mit Angststörung erhalten überhaupt eine Behandlung, nur etwa 10% Verhaltenstherapie.  Auch Verhaltenstherapeuten neigen dazu, bei Pa.enten mit phobischem Vermeidungsverhalten keine Konfronta.onsbehandlung durchzuführen.  Unsachgemäß durchgeführte Konfronta.on kann Pa.enten demoralisieren und die Angst verschlimmern.  Was wird aus den verbleibenden 20% therapierefraktärer Pa.enten ? Wie kann ich Chronifizierung verhindern?   Medizinische Diagnos.k entsprechend Leitlinien zügig durchführen   Dem Pa.enten die Glaubhagigkeit der Beschwerden versichern   Krankheitsbild benennen und Informa.on über Teufelskreismodell geben, Symptome des Pa.enten und Befunde (z. B. Sinustachykardie) damit verknüpfen   Hinweis, daß es sich um eine häufige und gut bekannte Diagnose handelt   Bei einzelnen Panikanfällen kann Erklärungsmodell + Verhaltensempfehlungen (keine Schonung!) ausreichen, sonst kogn. Verhaltenstherapie vorschlagen. BiPe nicht vergessen:  Angststörungen sind in der Allgemeinpraxis häufig, die Pa.enten schildern v. a. deren körperliche Symptome.  Aus der Lerntheorie lassen sich hierfür schlüssige Erklärungskonzepte und effek.ve Therapien ableiten.  Diese sind leider vielen nicht bekannt.  Sagen Sie den Pa.enten nicht „Sie haben nichts!“ sondern erarbeiten Sie mit Ihnen ein schlüssiges Erklärungskonzept für die Symptome. 5