Drucktechnologieforschung in der Schweiz
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Drucktechnologieforschung in der Schweiz
Untersuchung der Tropfenbildung eines Inkjetventils mit Hochgeschwindigkeitskamera, Foto BFH-TI. Drucktechnologieforschung in der Schweiz Fast völlig unbemerkt von der «grafischen Öffentlichkeit» hat sich an der Berner Fachhochschule, am Standort Burgdorf, eine Forschungsgruppe auf Drucktechnologie aus gerichtet. Geleitet wird die Gruppe von Forschenden durch Prof. Fritz Bircher. Nun will man die Tätigkeiten deutlich ausweiten und sich als führendes Institut der Schweiz positionieren. Interessante Perspektiven öffnen sich da auch für die grafische Industrie. «viscom print & communication» ging der Sache nach. Paul Fischer Ein Insider-Tipp An der letzten Ugra-Druckfachtagung war bei den Referenten ein gewisser Prof. Fritz Bircher vom Institut für Drucktechnologie an der Berner Fachhochschule aufgeführt. Fast niemand kannte ihn, fast niemand hatte von seinem Institut schon etwas gewusst. Doch sein Vortrag elektrisierte so manch einen Tagungsteilnehmer. Ausgestattet mit viel Energie und einer schönen Stange Geld, will Bircher das Institut für Drucktechnologie gezielt zu einem bedeutenden europäischen Forschungsstandort für Inkjettechnologie heranzüchten. Wird Papier: UPM Star H, 100 g/m2 damit die Schweiz zu einer Topadresse in Sachen Inkjet? Werden dereinst junge, innovative Inkjettechnologie-Unternehmen wie Frühlingsblüten aus dem Boden spriessen? Und wird die hiesige grafische Branche direkt von den in Burgdorf gewonnen Erkenntnissen profitieren können? Die von Fritz Bircher vorgelegte Entwicklungsstrategie scheint wohldurchdacht, und auch die Finanzierung ist so weit gesichert. Nach einer Vorbereitungsphase geht es jetzt in die Aufbauphase. Der Mitarbeiterstab wurde und wird deutlich erweitert, und die Mittel des Forschungsinstitutes erfahren eine deutliche Erweiterung. Bis 2013 soll die Aufbauphase abgeschlossen sein und das Institut im «Normalmodus» laufen. Um das Ganze wie gewünscht aufzugleisen, braucht es rund 9 Mio. Franken. Mit 2 Mio. Franken unterstützt die Berner Fachhochschule den Institutsaufbau. Rund 4 Mio. Franken stellt die Ursula Wirz-Stiftung zur Verfügung. Die restlichen 3 Mio. Franken werden für Projekte der angewandten Forschung und Entwicklung von der Industrie und über Bundesfördermittel eingebracht. Die Hintergründe Die Ursprünge des Forschungsinstitutes für Drucktechnologie kommen von ganz woanders her: von der Mikroventiltechnik. Als Elektrotechnikingenieur ETH mit jahrelanger Praxiserfahrung in der Industrie wechselte Fritz Bircher vor 17 Jahren von der Industrie in die Fachhochschullandschaft. Es war eine spannende Herausforderung. Durch Verwandlung der Höheren Technischen Lehranstalten in Fachhochschulen musste überall der Bereich Forschung und Entwicklung von Grund auf aufgebaut werden. Fritz Bircher versuchte neue Felder für Forschungsarbeiten und wurde mit der Inkjettechnologie fündig. Die Aufbaupha- viscom print & communication Nr. 14/15, 3. August 2010 Management 9 se erwies sich als ziemlich langwierig, und der Ausflug in völlig neue Forschungsgebiete wurde bei den Verantwortlichen der Berner Fachhochschule nicht von Beginn unterstützt. Doch Fritz Bircher und seine Studenten blieben hartnäckig. Im Rahmen eines ersten Projektes entwickelte man einen Grossflächen- Inkjetdrucker, mit dem man sogar Skipisten «bedrucken» konnte. Den Durchbruch schaffte man mit einem Blindenschriftdrucker, bzw. der dafür entwickelten Drucktechnologie mit dazugehöriger Tinte. Das Patent wird heute von Industriepartnern verwendet und gilt als führende Technologie im Bedrucken von Medikamentenschachteln mit Blindenschrift. Seit der Präsentation der Blindenschrifttechnologie im Jahre 2007 ist das Interesse an den Forschungsleistungen des Instituts für Drucktechnologie stark gestiegen, was es ermöglichte, die gross angelegte Aufbauphase in die Wege zu leiten. Die Eckdaten Was sind die Ziele des Forschungsinstitutes? Drei Dinge stehen im Vordergrund: führender Forschungspartner für die Schweizer Druckindustrie, eine national und international gute Vernetzung sowie die Ausbildung von Technikingenieuren mit anschliessender Vertiefung in Drucktechnologie auf Bachelor- und Masterstufe. Wichtige Unterstützung erhält das Institut durch weitere fachhochschulinterne Forschungsgruppen aus den Bereichen Laser, Piezo und Chemie. Aktuelle Forschungsthemen sind das Drucken und Dosieren von viskosen Tinten, die UV- und Vis-Trockung, der industrielle Inkjetdruck, der Digitaldruck und die Gesamtsimulation von Druckmaschinen und Druckverfahren. Der Personalbestand wird derzeit stark aufgestockt, das Institut soll bis Ende 2010 über 20 Mitarbeitende aufweisen. Das Forschungsinstitut für Drucktechnologie gehört zum Departement Technik und Informatik der Berner Fachhochschule. Stu diengänge werden in den Bereichen Automobiltechnik, Elektro- und Kommunikationstechnik, Informatik, Maschinentechnik und Mikrotechnik angeboten. Die Berner Fachhochschule umfasst daneben die Departemente Wirtschaft und Verwaltung, Künste, Architektur Bau Holz, die Schweizer Hochschule für Landwirtschaft und die Eidgenössische Hoch- schule für Sport. Insgesamt bildet die Berner Fachhochschule derzeit gut 5000 Studierende aus, betreut werden diese durch rund 1000 Dozierende und Lehrbeauftragte. Interview mit Prof. Fritz Bircher «viscom print & communication»: Sie wollen mit Ihrem Forschungsinstitut in den Inkjetbereich expandieren. Was wollen Sie da eigentlich angesichts des Umstandes, dass Riesenkonzerne wie HP oder Epson Milliarden von Franken in F & E (Forschung und Entwicklung) stecken, erreichen? Fritz Bircher: Man muss unterscheiden zwischen der Druckkopfentwicklung und der Druckmaschinenentwicklung. Die Entwicklung von Inkjetdruckköpfen wird auch zukünftig nur von einigen wenigen ganz Grossen dominiert werden, weil die zunehmende Komplexität der Technologie und die hohen Kosten in deren Herstellung nur über riesige Stückzahlen amortisiert werden können. Bezüglich Druckmaschinen sind viele Geräte der erwähnten Konzerne im Einsatz. Diese lassen sich jedoch nur für die dafür vorgesehenen Anwendungen einsetzen. Dort wollen wir mit unserem Institut auch nicht hin. Für viele andere Anwendungen hingegen wie z.B. im Verpackungsdruck oder weiteren zukünftigen Anwendungen im funktionalen Druck, wo die Standarddrucker von HP und Epson oftmals die Anforderungen nicht erfüllen, werden eigene Drucksysteme mit kommerziell erhältlichen Druckköpfen und auf die entsprechende Anwendung optimierte Tintenformulierungen und Härtungsverfahren entwickelt. Dazu braucht es jedoch sehr viel Know-how aus unterschiedlichen Disziplinen und Fachbereichen. Hier können wir unseren Wirtschaftspartnern ein interdisziplinäres Team und ein breit abgestütztes Netzwerk bieten, was zu einer entscheidenden Verkürzung der Entwicklungszeit und einem schnelleren Time-toMarket der industrialisierten Drucklösungen führt. Sie können für den Aufbau Ihres Institutes auf mehrere Millionen Franken Fördergelder des Bundes, der Fachhochschule und der Ursula Wirz-Stif- BFH-BurgdorfGsteig: Büround Laborgebäude des Instituts, Foto BFH-TI. 10 Management viscom print & communication Nr. 14/15, 3. August 2010 Prof. Fritz Bircher, Leiter des Forschungsinstitutes. tung zugreifen. Was mussten Sie alles machen, um an diese Mittel zu kommen? Als ich den Aufbau des Instituts Anfang 2008 zu planen begann, habe ich gesehen, dass wir dazu etwa 10–12 Jahre brauchen würden. Deshalb suchte ich nach einer Möglichkeit, diesen Zeitraum über eine Anschubfinanzierung oder über Sponsoring zu verkürzen. Über verschiedene bestehende Kontakte bin ich schliesslich auf die Ursula Wirz-Stiftung gestossen. Es dauerte mehr als ein halbes Jahr, bis die Eckpunkte des Vorhabens definiert und der detaillierte Antrag ausgearbeitet waren. Dabei versteht es sich von selbst, dass der Antrag auch mit einer substanziellen Beteiligung der Berner Fachhochschule selbst verbunden war. Die Bewilligung Ende August 2008 war denn auch ein enormer Erfolg, eine Bestätigung der jahrelangen Vorarbeit und ein hoch motivierendes Signal für den Start des Instituts. Können Sie unseren Lesern ein bisschen über die aktuellen Projekte erzählen? Grundsätzlich erzähle ich sehr gerne über unsere Forschungstätigkeit. Allerdings laufen bei uns in der angewandten Forschung fast ausnahmslos alle Projekte mit Industriepartnern und somit unter Vertraulichkeit. Obwohl wir in jedem Projekt auch ein Veröffentlichungsrecht besitzen, werden deshalb kaum je wesentliche Forschungsresultate offengelegt. Ich erlaube mir deshalb, nachfolgend eher allgemein unsere Arbeitsweise darzustellen. Ein typisches Projekt an unserem Institut ist sehr interdisziplinär. Nehmen wir beispielsweise das Blindenschriftdruckverfahren. Dabei haben wir sowohl die elektronische Ansteuerung, den Druckkopfaufbau, die Tinte und die Aushärteeinheit selbst entwickelt, also eine gesamtheitliche Lösung der eigentlichen Problemstellung. Nur wenn alle diese einzelnen Elemente möglichst optimal aufeinander abgestimmt sind, liefert das resultierende Verfahren gute Druckresultate und ist stabil genug für einen industriellen Einsatz. So viele Parameter können allerdings nicht mehr nur mit mathePapier: UPM Star H, 100 g/m2 matisch-naturwissenschaftlichen Methoden beherrscht werden. Wir arbeiten deshalb oft experimentell und stossen auf der Basis unserer Erfahrung meist recht schnell auf brauchbare Ansätze. In mehreren Optimierungsschritten suchen wir anschliessend die am besten geeignete Lösung. Durch die enge Projektzusammenarbeit ist unser Industriepartner so in der Lage, das Verfahren jetzt zu kommerzialisieren. Was sind eigentlich die Trends im Inkjetbereich? Was kann man von diesem Verfahren noch alles erwarten? Der Inkjet steht erst am Anfang seiner Möglichkeiten. Für viele grafische Anwendungen ist er noch zu langsam und verbraucht zu viel Tinte, welche sowieso noch zu teuer ist. Die Entwicklung in diese Richtungen schreitet jedoch merklich voran. Neue Anwendungs gebiete und Märkte mit immensem Zukunftspotenzial liegen z.B. bei gedruckten elektronischen Schaltungen, beim Drucken von Solarzellen oder Displays, bei BiotechnologieAnwendungen usw. Diese Anwendungen werden die Entwicklung der Inkjettechnologie in den kommenden 10 Jahren massiv vorantreiben. In einigen dieser Bereiche sind wir mit unserer Forschung bereits aktiv. Diese Entwicklungen können im Übrigen auch für grafische Anwendungen zu neuen Impulsen führen. In der grafischen Branche reden alle vom Digitaldruck. Was erwarten Sie im nächsten Jahrzehnt für die «klassischen» Druckverfahren wie den Offsetdruck? Der Trend geht klar hin zu sehr kurzen Produktionszeiten, der Kunde möchte sein Druckprodukt möglichst sofort und zu individualisierten bzw. personalisierten Druckerzeugnissen. Bei beiden Anforderungsmerkmalen ist der Digitaldruck unschlagbar im Vorteil. Auch hinsichtlich der erreichbaren Druckqualität kann kaum noch zwischen Digital- und Offsetdruck unterschieden werden. Jedoch kann die Verbindung von Digitaldruck und Offsetdruck, beide Verfahren haben meines Erachtens auf Grund ihrer spezifischen Vorteile eine Zukunft, für einen Druckereibetrieb von Vorteil sein und völlig neue Geschäftsfelder eröffnen. So kann z.B. der Inhalt von Werbebroschüren oder Informationsheften auf Grund der Höhe der Auflage preisgünstig im Offset produziert werden, und die Herstellung der personalisierten Umschlagseiten erfolgt im Digitaldruck. Ein weiteres Beispiel ist das Direktmarketing. Der Inhalt kann offsetgedruckt werden und die Umschläge personenbezogen im Digitaldruck. Auf Grund der stärkeren Nachfrage nach kleineren Auflagen wird der Digitaldruck dem Offset im klassischen Druck von Schrift und Bild sicher weiter Marktanteile abnehmen. Aber bei der Entwicklung neuer Technologien mit Hinblick auf die zukünftige Integration von gedruckten Funktionen in Druckprodukte (z.B. Verpackungen) werden die klassischen Druckverfahren, nicht nur Offset, sondern auch Sieb-, Flexo- und Tiefdruck neben dem Digitaldruck eine entscheidende Rolle spielen. Dabei stellt der Digitaldruck das Bindeglied zwischen Internet und klassischem Offset dar. Speziell interessant wird es, wenn es gelingt, die konventionellen Druckverfahren zu «digitalisieren», z.B. mit inline wiederbeschreib baren Offsetplatten. Für alle Druckverfahren bietet das Workflow-Management immer noch ein erhebliches Potenzial zu einer kosteneffizienteren Produktion. Sie möchten mit Ihrem Institut Partner der grafischen Branche sein. Was bedeutet das konkret? Werden Sie dereinst Druckingenieure ausbilden? Wir arbeiten in der angewandten Forschung und Entwicklung stark projektgetrieben. Es ist jedoch klar unser Ziel, nach der Aufbauphase in allen Druckanwendungen Forschungsleistungen für die Schweizer Druckindustrie anbieten zu können. Dies kann entweder durch eigene Forschungsleistungen oder dank unserer national und international rasch wachsenden Vernetzung durch Zusammenarbeit mit geeigneten Forschungspartnern erfolgen. Es werden vorläufig keine Druckingenieure ausgebildet. Es ist sehr fraglich, ob ein Markt bzw. eine genügende Nachfrage für Druck ingenieure in der Schweiz überhaupt vorhanden ist. Dies werden wir nach dem Aufbau noch sorgfältig prüfen. Wir wollen aber Ingenieuren aus den klassischen Disziplinen Maschinentechnik, Elektrotechnik und Informatik eine Vertiefungsausbildung anbieten, die ihnen erstens einen genügenden Bezug zur Drucktechnik bietet und die sie zweitens auch zur Druckbranche bringt. n Das Team des Instituts für Drucktechnologie. Papier: UPM Star H, 100 g/m2 viscom print & communication Nr. 14/15, 3. August 2010 Management 11