Predigt zu Phil 2, 1 - 11 - reformiertes Pfarramt beider Basel an der
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Predigt zu Phil 2, 1 - 11 - reformiertes Pfarramt beider Basel an der
Gottesdienst vom 17.1.15 in der Peterskirche zu Phil 2, 1 – 11 Pfr. Dr. theol. Luzius Müller, reformiertes Pfarramt beider Basel an der Universität Philipper 2 1Wenn es denn in Christus Ermahnung gibt, Zuspruch der Liebe, Gemeinschaft mit dem Geist, Zuwendung und Erbarmen, 2dann macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, einander verbunden in ein und derselben Liebe, einmütig und auf das eine bedacht! 3Tut nichts zum eigenen Vorteil, kümmert euch nicht um die Meinung der Leute. Haltet vielmehr in Demut einander in Ehren; einer achte den andern höher als sich selbst! 4Habt nicht das eigene Wohl im Auge, sondern jeder das des andern. 5Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht: 6Er, der doch von göttlichem Wesen war, hielt nicht wie an einer Beute daran fest, Gott gleich zu sein, 7sondern gab es preis und nahm auf sich das Dasein eines Sklaven, wurde den Menschen ähnlich, in seiner Erscheinung wie ein Mensch. 8Er erniedrigte sich und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. 9Deshalb hat Gott ihn auch über alles erhöht und ihm den Namen verliehen, der über allen Namen ist, 10damit im Namen Jesu sich beuge jedes Knie, all derer, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. Predigt Liebe Gemeinde, die Briefe des Paulus im NT sind gewiss keine leichte Kost: Man hat daran zu beissen. Wenn wir uns davon nicht abschrecken lassen, wenn wir bereit sind zum Beissen und Kauen dieser Texte des Paulus, dann werden wir ihnen Nahrhaftes, ja Essentielles abgewinnen können. Gerade unser heutiger Predigttext ist einer der bedeutensten und wirkmächtigsten Texte der christlichen Überlieferung überhaupt. Lassen sie uns also an diesem, uns vorliegenden Text zu kauen beginnen – wenn ich weiter in diesem Bilde sprechen darf –, gerade so wie an einem etwas zu dick geschnittenen Stück Trockenfleisch. Beginnen wir mit Kauen bei Vers 1: ‚Wenn es denn Ermahnung in Christus gibt, wenn es Zuspruch der Liebe gibt, wenn es eine Gemeinschaft mit dem Geiste gibt, wenn es Zuwendung und Erbarmen gibt’. Paulus formuliert vier parallel gebaute Teilfragen, welche alle dieselbe Intention verfolgen: Darf der Apostel den Mitgliedern der christlichen Gemeinde in Philippi so etwas wie eine moralische Belehrung zumuten? Allerdings meint Paulus nicht eine moralische Belehrung im Sinne einer blossstellenden Strafpredigt, sondern eben im Sinne eines liebevollen Zuspruchs, einer barmherzigen Zuwendung, einer Ermahnung auf der Grundlage einer gemeinsamen geistlichen Basis? Natürlich ist dies für Paulus eine rhetorische Frage. Natürlich will Paulus den Philippern nun eine Belehrung geben, aber vorab wirbt er um die zustimmende Aufmerksamkeit seiner Leser. Auf die vier rhetorischen Fragen in Vers 1 folgen nun in Vers 2 vier moralische Belehrungen: Seid eines Sinnes! Seid einander verbunden in einer Liebe! Seid Einmütig! Seid auf das eine bedacht! In diesen vier Belehrungen geht es offensichtlich um die gemeinschaftliche Verbundenheit der Philipper. Warum unterweist Paulus die Philipper bezüglich ihrer gemeinschaftlichen Verbundenheit? Vermutlich weil er vom Gegenteil gehört hat; vermutlich gab es in der Gemeinde in Philipp Streit und Zwist. Die Streitsache ist zwar nicht genannt, aber auch aus den Versen 3 und 4 geht hervor, dass Paulus offenbar zumindest gerüchtewiese von Auseinandersetzungen gehört haben muss und Sorge hat um seine Lieblingsgemeinde. Die Eintracht der Philipper ist Paulus ein persönliches Anliegen, so schreibt er: Macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid. Paulus hat die Gemeinde in Philippi wie viele andere Gemeinden gegründet. Aber er ist in Philippi nicht mehr gegenwärtig; er ist auf seiner Missionsreise weitergezogen. Er weiss, dass Streit und Zwietracht Gemeinden zerstören kann und versucht nun Mittels Briefen, die Philipper zur gemeinschaftlichen Verbundenheit zu mahnen. In diesem Sinne – im Sinne der gemeinschaftlichen Verbundenheit – fährt Paulus in Vers 3 mit zwei Verboten fort: „3Tut nichts zum eigenen Vorteil, kümmert euch nicht um die Meinung der Leute.“ Die Zürcherbibel übersetzt hier sehr zurückhaltend. Die verwendeten griechischen Worte haben einen negativeren Klang. So könnte man auch übersetzen: ‚Handelt weder aus Selbstsucht, noch aus Ruhmsucht’. Auf das Verbot folgt in Vers 3 eine positive Aufforderung: „ in Demut achte einer den andern höher als sich selbst!“ Auch Vers 4 zeigt ein Verbot, auf welches ein Gebot folgt: „4Habt nicht das eigene Wohl im Auge, sondern jeder das des andern.“ Lassen sie mich kurz zusammenfassen: Vers 1 formuliert vier rhetorische Fragen. In Vers 2 finden wir vier Ermahnungen. Vers 3 und Vers 4 bilden je ein parallel gefasstes Satzgefüge aus Verbot und Gebot – dies alles kreist um das Thema: gemeinschaftliche Verbundenheit. Ein Pfarrkollege von mir, ein begnadeter und beliebter Prediger, sagte mir vor einigen Jahren: Luzi, Du legst viel zu sehr Wert auf sprachliche und formale Aspekte des Textes; Du musst mehr über den theologischen Inhalt der Texte reden. Wäre er heute hier, würde er gewiss sagen: Siehst Du, genau das habe ich gemeint! Und ich würde ihm entgegnen: Man kann so und so predigen; und man kann so und so schreiben. Und Paulus – und das wollte ich ihnen mit meinen sprachlich-formalen Ausführungen zeigen – Paulus schreibt nicht einfach so drauflos. Paulus komponiert seine Texte rhetorisch raffiniert. Als sie den Text zur Hand genommen haben, fiel ihnen vermutlich zuerst der Satz der Zürcher Bibel auf. Die Verse 1 – 4 sind als ein Abschnitt gesetzt, in den Verse 5 – 11 bildet jeder Vers einen eigenen Absatz. Die Zürcher Bibel will mit dieser unterschiedlichen Setzung anzeigen, dass die Verse 1 – 4 in Prosa gehalten sind, dass es sich bei den Versen 6 – 11 jedoch um Poesie handelt. Paulus war kein Poet. Er war ein diskursiver Denker und ein gewiefter Rhetoriker, aber Dichten war seine Sache nicht. Man ist sich in der ntl. Forschung recht einig, dass der zweite, poetische Teil unsres Textes nicht von Paulus selber stammt. Paulus hat ihn – so wird allgemein vermutet – vorgefunden, vielleicht als Teil einer gottesdienstlichen Liturgie, und übernommen. Paulus hat nun den ersten Teil unseres Predigttextes intensiv rhetorisch gestaltet – so als wolle er eine rhetorisch gediegene Entsprechung zum zweiten poetischen Teil schaffen. Die Zürcher Bibel trägt dieser rhetorischen Strukturierung der Verse 1 - 4 in ihrer Übersetzung leider kaum Rechnung. Am griechischen Text lässt sich erkennen, dass Paulus im ersten Teil eine sprachliche Steigerung, Verdichtung und Zuspitzung erzeugt, gewissermassen als Vorbereitung des zweiten, poetischen Teils. Die beiden Teile unseres Predigttextes sind also formal verschieden, aber doch direkt auf einander Bezogen. Der erste Teil lanciert das Thema: gemeinschaftliche Verbundenheit, der zweite wird dieses Thema nun ausführen. Vers 5 verbindet die beiden Teile. „5Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus Jesus entspricht“. Wie ist unser Stand in Christus Jesus? Der zweite Teil unseres Predigttextes wird es uns zeigen. Man nennt diesen zweiten poetischen Teil den Philipper Hymnus, eigentlich würde man zutreffender sagen: Der Christus-Hymnus, das Christus-Lied, des Philipper-Briefes. Dieser Hymnus formuliert in Vers 6, Jesus Christus sei göttlichen Wesens. Das ist für uns Christinnen und Christen des 21. Jhs nicht besonders aufregend, für Menschen im 1. Jh jedoch schon. Bereits bekannt war damals die Bezeichnung Sohn Gottes. Bloss wurde diese Bezeichnung als Ehrentitel gehandelt. Verschiedene historische Figuren, Fürsten, Könige und Pharaonen wurden Sohn Gottes genannt. Dieser Ehrentitel wurde für besonders mächtige oder bedeutungsvolle Personen verwendet. Ihre Macht und Bedeutung galt gleichsam als hervorragend, himmlisch, ja göttlich. Auch war die Vorstellung himmlischer Figuren im antiken Christentum und Judentum weit verbreitet – wir werden gleich noch auf solche treffen; diese Engelwesen, Geister und apokalyptischen Figuren waren aber als Schöpfungswerke Gottes gedacht – so die einschlägigen antiken Lehren. Unser Vers 6 geht weit über den Sohn-Gottes-Titel und die Vorstellungen dieser himmlischen Wesen hinaus: Jesus Christus sei Gott gleich. Dies ist nicht mehr bloss als ein Ehrentitel zu verstehen, sondern dies ist eine Aussage über das Wesen Christi. Diese Aussage schuf ein Problem: Wenn Christus Gott gleich ist, hat das Christentum dann zwei Götter: Gott und Christus? Gibt das Christentum damit den jüdischen Monotheismus auf? Die Frage, wie der Glaube an einen Gott zu retten sei, wenn zugleich auch an Jesus Christus geglaubt wird, beschäftigte die Theologen der alten Kirche während mehrerer Jahrhunderte. Paulus kümmert dieses Problem offensichtlich noch nicht. Ohne lange theologische Reflexionen übernimmt er diesen Christus-Hymnus, der davon spricht, dass Christus göttlichen Wesens sei. Paulus kümmert, was nun im Hymnus folgt: Christus habe an seinem göttlichen Wesen nicht wie an einer Beute festgehalten. Dies ist eine etwas seltsame Formulierung dafür, dass Christus sich nun eben aus der Gott-Gleichheit hinausbewegt, sie Preis gegeben habe und wie ein Mensch geworden sei. Ja, er, der Gott-Gleiche, habe das Wesen eines Sklaven angenommen. Jesus von Nazareth war kein Sklave. Aber gemäss antiker Vorstellung ist der Mensch gegenüber Gott, wie ein Sklave vor seinem Herrn. Der Herr gibt Befehle. Der Sklave empfängt die Befehle gehorsam. Daher wird in Vers 8 auf den Gehorsam Christi Bezug genommen. Der Gehorsam bis zum Äussersten gehört zu dieser Bewegung der Erniedrigung Christi, gehört zur Aufgabe seiner Gott-Gleichheit. Die Worte „bis zum Tod am Kreuz“ am Ende von Vers 8 sind vermutlich ein Zusatz, den Paulus dem Hymnus angefügt hat. Hier konnte er sich wohl der Tradition nicht ganz beugen. Hier stehen wir nämlich am entscheidenden Wendepunkt des Hymnus. Wies der Weg Christi in den Versen 6 – 8 hinunter in die gänzliche Erniedrigung, so folgt nun in den Versen 9 – 11 die Erhebung durch Gott in die höchste Höhe. An diesem entscheidenden Wendepunkt muss für Paulus das Kreuz stehen, das für seine Theologie so wichtig ist. So erlaubt er sich diese Hinzufügung: „bis zum Tod am Kreuz.“ Die Bereitschaft Christi zum Abstieg und zur Erniedrigung in die tiefste Tiefe, habe Gott veranlasst, Christus über alles zu erheben. Weil der Hymnus hier die Vergangenheitsform verwendet, müssen wir annehmen, dass das Lied mit dem Begriff Erhöhung auf die Auferstehung und Himmelfahrt Christi hinweisen will und nicht etwa auf eine Inthronisation Christi am Ende der Tage erst. Christus erhalte nunmehr den Namen, der über allen Namen sei. Mit Namen ist hier nicht ein Eigenname gemeint, sondern ein Ehrentitel; und zwar der höchste Ehrentitel, also die höchste Stellung in der kosmischen Hierarchie. Hinfort müssten sich vor ihm beugen die Knie aller himmlischer, irdischer und unterirdischer Kräfte. Wir treffen wieder auf diese antike Vorstellung einer Bevölkerung aller Sphären mit Engelwesen, Geistern und dergleichen mehr. Hinfort müsste jede Zunge bekennen, dass Jesus Christus der Herr sei. Dies war ein Bekenntnis, welches in der römischen Antike üblicherweise gegenüber dem Kaiser abgelegt werden musste. Ich sagte schon: Die zwei Teile unseres Predigttextes sind direkt aufeinander bezogen. Der erste Teil spricht im Wesentlichen vom Thema gemeinschaftliche Verbundenheit. Auch die Verse 6 – 11 müssen sich also mit dieser Thematik befassen. Auf den ersten Blick legt sich folgender Zusammenhang nahe: Gemeinschaftliche Verbundenheit erzeugen die Philipper unter sich, indem sie Christi Selbsterniedrigung nachahmen. Die Philipper sollten sich ein Vorbild nehmen an dem sich selbst erniedrigenden Jesus Christus. Sie sollten sich also einander unterordnen, auf dass der Streit bei ihnen ein Ende finde: „Einer achte den anderen höher als sich selbst“. Dieser Zusammenhang ist gewiss gegeben. Aber ich meine, es stecke weit mehr in unserem Predigttext. „Seid so gesinnt, wie es eurem Stand in Christus entspricht.“ Der hier angesprochene Stand in Christus ist nicht bloss der Stand der Selbsterniedrigung (status exinanitionis), sondern doch auch der Stand der Erhöhung (status exaltationis). Die Erniedrigung, die Entäusserung, der Abstieg Christi, ist nicht ein Selbstzweck, weil es so tugendhaft wäre, sich klein zu machen. Die Erniedrigung dient vielmehr der Verbindung Gottes mit den Menschen. „Gott ward Mensch, dir Mensch zugute. Gottes Kind, das verbindt, sich mit unserm Blute.“ So und ähnlich heisst es in vielen schönen Weihnachtsliedern, die wir in den vergangenen Wochen gesungen haben. Und ebenso die Erhöhung Christi: Sie nimmt die mit Christus verbundenen Menschen mit hinauf in die Höhe. Alle, die ihre Knie vor Christus beugen und deren Zunge Christus als Herr bekennt, hätten Anteil an der kosmischen Herrschaft Christi. Das Bekenntnis zu Christus als Herr ist nicht als eine Unterwerfung Besiegter zu verstehen, sondern als freudiger Ausdruck der Zugehörigkeit, als Bezeugung gemeinschaftlicher Verbundenheit: ‚Wir verehren Dich, Christus, weil wir zu Dir gehören dürfen; da Du Dich mit uns verbunden hast!’ Dazu habe Christus diese Bewegung von oben nach unten und wieder hinauf vollzogen. Christus sei zu den Menschen hinuntergekommen, um sie mit zu sich hinauf zu nehmen, zu erhöhen. Hinfort sind sie das Volk dieses kosmischen Herrschers. Paulus will der Gemeinde in Philippi etwas über gemeinschaftliche Verbundenheit sagen. Also sagt er ihnen etwas über Christus. Durch Christus sind die Christinnen und Christen in Philippi miteinander verbunden. Paulus gibt den Philippern, die offenbar im Streit sind, nicht bloss moralische Belehrungen, sondern er singt ihnen den Hymnus von Christus vor. Nicht die Philipper erzeugen unter sich gemeinschaftliche Verbundenheit, sondern Jesus Christus habe diese gemeinschaftliche Verbundenheit erzeugt, indem er sie zu seinem Volk machte. Christus ist ihre Einheit und Verbundenheit. Die Menschen in Philippi sollen diese in Jesus Christus bestehende gemeinschaftliche Verbundenheit erkennen und danach leben. Liebe Gemeinde, und wir: Die antike Vorstellungswelt ist uns Menschen des 21. Jhs. wohl einigermassen fremd. Diese Aussagen über das göttliche Wesen Christi und himmlische Gestalten sind für uns, die wir wenig Ahnung von antiker Kultur und Philosophie haben, reichlich rätselhaft. Aber ich hoffe, sie erkennen nun, da wir eine ganze Weile auf dem Text des Paulus herumgekaut und gebissen haben, die inhaltliche Intention des Textes: Durch Jesus Christus hat Gott sich mit uns gemeinschaftlich verbunden. Und das bedeutet auch: Was uns als Christinnen und Christen untereinander gemeinschaftlich verbindet, ist Jesus Christus – bei aller bestehenden Unterschiedlichkeit zwischen uns. Jesus Christus überwindet himmelweite Gegensätze. Er verbindet uns, trotz aller Verschiedenheit. Er ist unsere Einheit. Jesus Christus ist die Mitte der Kirche, weil er der grosse Mittler ist. Amen. Fürbitten Gott, Du Ewiger, Einziger, wir bitten Dich, lass uns erkennen, dass Du das Haupt unserer Kirche, die Mitte unseres Glaubens bist, dass Du uns mit Gott und untereinander verbunden hast über alle Gegensätze und Differenzen hinweg. Gott, Du Tröster und Heiland, für die Kranken, die Todkranken und die Trauernden bitten wir. Lass auch sie erkennen, dass Du Dich mit uns verbunden hast, auf dass uns nichts von Dir trennen kann. Gott, Du Schöpfer und Vollender, für alle Menschen bitten wir, insbesondere für die Menschen, aus Gebieten, die im Chaos des Krieges versinken. Lass uns vom Wege der Gewalt abstand nehmen. Schaffe in uns ein neues Herz und gib uns Deinen Geist, auf dass wir den Frieden lernen. Amen.