Glücksgefühle - Leif Ove Andsnes

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Glücksgefühle - Leif Ove Andsnes
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Leif Ove Andsnes: «Bei Beethoven
findet sich nur noch wenig von
der Rhetorik Mozarts.»
Leif Ove Andsnes interpretiert mit dem Mahler Chamber Orchestra sämtliche Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven
Glücksgefühle
Von kristalliner Klarheit durchdrungen, von einem leuchtenden Tonfall beseelt – so kommt Leif Ove Andsnes’ Beethoven daher. Nie
zuvor hatte der norwegische Pianist ein Werk des Klaviertitanen im Studio eingespielt. Und lange war er der Überzeugung, dafür
noch nicht reif zu sein. Erst jetzt durchbrach das Gefühl innerer Notwendigkeit den Wall respektvoller Zurückhaltung und Andsnes
spielte mit den Musikerinnen und Musikern des Mahler Chamber Orchestra alle Klavierkonzerte sowie die Chorfantasie ein.
Das Resultat ist an zwei Abenden auch beim Lucerne Festival am Piano zu erleben. Der Pianist ist dabei sein eigener Dirigent, und
dieser weiss deshalb in jedem Moment, was der Pianist zu tun beabsichtigt.
Jürgen Otten (Text) & Priska Ketterer (Bilder)
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Die Passage ist legendär, und sie ist magisch. Ludwig van Beethoven, Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur op. 73, das Ende
des zweiten Satzes. Trüb verhangen
schweben die Klänge durch die H-DurWelt, ungewiss über ihre Zukunft. Alles
könnte passieren nach diesem berückenden Adagio un poco mosso, ein Licht
könnte am Horizont aufscheinen, es
könnte aber auch das Fegefeuer um die
Ecke biegen und alles Lebendige in einer Kaskade aus Flammen zum Einsturz
bringen.
Kurzum: Die Stimmung drückt auf
die Seele, man ringt nach Luft, irgendeine Lösung muss doch gefunden werden, denkt man bei sich, irgendetwas
Befreiendes. Und eben in diesem Moment geschieht das Ausserordentliche,
und werden wir Zeuge einer schier unglaublichen Metamorphose. Die Tonart
löst sich auf, übrig bleibt nur ein hohles, harmonieloses «H», das – in den
Hörnern – den Atem anhält. Und dann,
urplötzlich, wie aus dem Nichts, färbt
sich der Klang, taucht er in eine andere, enharmonisch verwechselte Sphäre
Wie viele Interpreten haben nicht
versucht, diesen Übergang glorreich zu
gestalten. Und wie viele haben ihn dann
doch mit Bedeutung überfrachtet und
ihn seines Zaubers beraubt. Weil sie zu
viel wollten, weil sie danach trachteten,
das ohnehin Besondere zu transzendieren. Und dann gab es noch jene Abende, an denen Pianist und Dirigent sich
nicht darauf einigen konnten, wie lange
der Moment der Spannung anhalten
müsse – und die Musik in ein riesiges
Klang- und Sinnloch fiel.
Leif Ove Andsnes kann dergleichen
schwerlich passieren, nicht nur, weil er
stets für einen von kristalliner Klarheit
durchdrungenen
Interpretationsstil
stand. Sein Beethoven-Projekt, welches
die Einspielung sämtlicher Klavierkonzerte sowie der Chorfantasie umfasst,
fusst auf einer ebenso naheliegenden
wie klugen Idee: Der Pianist ist sein eigener Dirigent, und der Dirigent weiss deshalb in jedem Moment, was der Pianist
zu tun beabsichtigt. Und so klingt auch
der Übergang vom zweiten zum dritten
Satz des fünften Klavierkonzerts wie aus
einem Guss. Die Magie entsteht bei Andsnes und seinen Partnern, den famosen
Musikern des Mahler Chamber Orchestra, aus der Logik des Augenblicks, will
sagen: aus der gegebenen musikalischen
Struktur. Die Gespanntheit ist enorm
hoch, wirkt aber nicht gekünstelt, und
der Akt der Befreiung, wenn das Rondo mit Wucht und Verve einsetzt, ist
als solcher mehr als spürbar. Sämtliche
Zweifel, die zuvor umher waberten, sind
mit einem Schlag vernichtet. Die Sonne
scheint. Nein: sie strahlt.
Und so tut es der Klang. Und nicht
nur hier. Durch alle Klavierkonzerte und
auch durch die Chorfantasie zieht sich
dieser leuchtende Tonfall, der Beethovens Botschaft auf eine Art und Weise
vermittelt, wie dies zuvor nur wenigen
Pianisten glückte; man denkt hier etwa
an den jungen Barenboim (in der wun-
«Beethoven packt einen
am Nacken»
und tritt an die Stelle von H-Dur per
überaus sanfter Rückung in die Grundtonart des Konzerts. Noch aber ist alles
Andeutung in milden Dreiklängen. Bis
dann – nach einer Fermate und attacca
– der Sturm einsetzt: das Allegro ma non
troppo.
derbaren Einspielung mit Otto Klemperer), an Alfred Brendels und Simon
Rattles humanistisch geprägte Ausdeutung, oder auch an das glückliche Zusammenwirken von Evgeny Kissin und
Sir Colin Davis. Was all diesen Interpretationen abseits der persönlichen Note
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jedes einzelnen Künstlers innewohnt, ist
ihr gewissermassen idealistischer Standpunkt. Hier klingt die Musik gleichsam
so, als stünden Ludwig van Beethoven
und Friedrich Schiller in der Tür der
Welt und riefen die Menschheit zur Verbrüderung auf.
Was daran im Fall von Leif Ove Andsnes erstaunt, ist nicht die hohe Qualität seines Klavierspiels. Die ist hinreichend bekannt. Was jedoch wirklich
erstaunt, ist die Tatsache, dass er zuvor
nie ein Stück von Beethoven aufgenommen hat. Sicher, im Konzert spielt
er seit Langem immer wieder Sonaten
des Meisters, aber ins Studio zu gehen,
vermied er – wie er selbst bekundet, aus
guten Gründen. Nicht nur war Andsnes
lange genug der Überzeugung für ein
derartig ambitioniertes Projekt, noch
nicht reif zu sein. Auch war ihm natürlich bewusst, dass er damit kein Neuland
betreten würde: «Die Welt ist voll mit
Beethoven-Aufnahmen. Man hat nicht
das Gefühl, sie bräuchte jetzt noch eine
weitere Einspielung mit seinen Werken.» Doch, und das ist die andere Seite
der Medaille, treibt ihn die Hoffnung
an, dass er einiges zu sagen habe über
diese Musik. Und da ist noch etwas anderes: «Für mich war es wichtig, dieses
Projekt anzugehen, weil es eine tiefe innere Notwendigkeit ist.»
Vielleicht ist es exakt das, was man
empfindet, wenn man Leif Ove Andsnes bei seinem Beethoven zuhört. Es ist
dieser Drang der Mitteilung, dieses immanent Beethovensche «Es-muss-sein»Gefühl. Es ist die Ahnung, wenn nicht
gar Gewissheit, dass jede Note jedes
einzelnen Werkes einen Sinn erhält so
wie jedes (menschliche) Molekül seinen
ihm zubestimmten Platz im Universum
einnimmt. Nichts ist beiläufig oder wirkt
aufgesetzt, sozusagen «gespielt» – wiewohl, was uns wenig wundert, die pianistische Souveränität mit der Andsnes
in den Klavierkonzerten zu Werke geht,
über die Massen betörend ist. Dieser
Beethoven zwingt uns in den Sessel und
zur gebannten Aufmerksamkeit.
Die Frage ist nur: Denkt man das
Ganze zyklisch? Als ein opus magnum et
summum aus einem Geist? Leif Ove Andsnes vertritt hier eine klare Position: «Natürlich waren die Klavierkonzerte nicht
als Zyklus gedacht. Es handelt sich dabei
um fünf verschiedene Meisterwerke.
Was offenkundig ist, ist die Entwicklung
von einem Konzert zum nächsten.» Und
sie ist von Beginn an originär beethovensch. Der Ansicht, die Klavierkonzerte
Beethovens seien stilistisch von Haydn
und vor allem von Mozart her zu denken, widerspricht Andsnes: «Der Inhalt
der Konzerte ist komplett unterschiedlich. Bei Beethoven findet sich nur noch
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wenig von der Rhetorik Mozarts, von
dessen Dialogtechnik und vom opernhaften Charakter in Mozarts Konzerten. Beethoven öffnet einen wesentlich
grösseren Raum, und er provoziert weit
mehr als Mozart. Doch nicht im negativen Sinne des Wortes. Es ist einfach
so, dass er einen am Nacken packt und
sagt: Hör zu, ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.» Mit anderen Worten:
Während Mozart den Zuhörer auf eine
imaginäre Bühne der Kunst lockt und
ihn dort verführt, verführt Beethoven
ihn zum aktiven Denken über das, was
man so schön und treffend die condition
humaine nennt.
Es war der französische Romancier Romain Rolland, der dies in einem
Akt höchster poetologischer Erhellung
zum Ausdruck brachte: «O Beethoven!»,
schreibt Rolland in seiner Biografie über
den Komponist, «andere haben vor mir
die Grösse deines Künstlertums gepriesen, du aber bist die Verkörperung des
Heldentums in der ganzen modernen
Kunst, du bist der grösste und beste
Freund der Leidenden, der Kämpfenden. Wenn das Elend der ganzen Welt
uns überwältigt, dann nahst du dich uns,
wie du dich einer trauernden Mutter
nahtest, dich wortlos ans Klavier setztest und der Weinenden Trost reichtest
in dem Gesang deiner ergebenen Klage (...) Du gibst uns deine Tapferkeit,
deinen Glauben daran, dass der Kampf
ein Glück ist, dein Bewusstsein in der
Gottähnlichkeit».Nimmt man das Pathos von Rollands Hommage ein wenig
weg, kommt man dem Ziel, das Leif Ove
Andsnes mit seinem Beethoven-Projekt
verfolgt (und das er durch die stupende
interpretatorische Sinnhaftigkeit seines
Tuns eben auch erreicht!) sehr nahe. Es
ist die Mischung aus ästhetischer Selbstbehauptung, revolutionärem Gedankengut und einer Art persönlicher lyrischer
Verinnerlichung, die Beethovens Konzerte zu dem Meilenstein machen, den
sie zweifelsohne darstellen.
Leif Ove Andsnes war gerade einmal sechs oder sieben Jahre alt, als er
erstmals seiner gewahr wurde. Damals
hörte er das dritte Klavierkonzert in cMoll – und war auf der Stelle, wie er es
sagt, «gefangen». Und Beethoven liess
ihn nicht mehr los. Die Tatsache, dass er
mehrere Jahrzehnte wartete, bis er das
Projekt der Gesamtaufnahme anging,
zeigt, wie tief er in diese Musik eingedrungen ist, um ihrem Geheimnis auf
den Grund zu kommen. Aus der Philosophie wissen wir, dass es von immensem Vorteil ist, den richtigen Zeitpunkt
für ein bestimmtes Handeln zu finden.
Leif Ove Andsnes darf von sich behaupten, dass er zu jenen Glücklichen zählt,
die sich dieser Ansicht verschrieben
haben. Sein Beethoven kommt genau
zum richtigen Augenblick. Das Schöne
daran: Und seine Hörer macht er für
mehr als nur diesen einen Augenblick
glücklich.
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Die Konzerte
Leif Ove Andsnes Klavier und Musikalische
Leitung
Mahler Chamber Orchestra
Montag, 24. November, 19.30 Uhr
KKL Luzern, Konzertsaal
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur
op. 19
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll
op. 37
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur
op. 58
Mittwoch, 26. November, 19.30 Uhr
KKL Luzern, Konzertsaal
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur
op. 15
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur
op. 73
Die CDs
Leif Ove Andsnes: The Beethoven Journey
Mahler Chamber Orchestra,
Prager Philharmonischer Chor
Konzerte Nr. 1 bis 5
Chorfantasie (Sony Classical)
www.andsnes.com/journey
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