Roms sprechende Steine

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Roms sprechende Steine
Neue Z}rcer Zeitung
LITERATUR UND KUNST
Samstag, 02.09.2000 Nr.204
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Roms sprechende Steine
Ein Spaziergang über das Marsfeld
Von Klaus Bartels
Die Ewige Stadt hat einen steinernen Stadtführer. Allezeit dienstbereit steht er an
Tempeln und Triumphbögen, Kirchen und Palästen, Brunnen und Brücken, auf den
Basen von Obelisken, Säulen und Skulpturen. Senat und Volk von Rom, Kaiser und
Päpste sprechen uns in ihren Inschriften über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg unmittelbar an. Aber anders als seine moderne Konkurrenz, der polyglotte
Audioguide, spricht dieser Cicerone nur eine, und eine alte Sprache: Latein.
Auf der Piazza della Minerva seitlich des Pantheons stösst der Besucher Roms auf eine merkwürdige Installation: einen Elefanten, der einen
Obelisken auf dem Rücken trägt und dazu fröhlich seinen Rüssel schwenkt. Die Inschrift auf
dem Sockel löst das Rätsel: «Dass des weisen
Ägypten in den Obelisken eingehauene Schriftzeichen von einem Elefanten, dem stärksten der
Tiere, getragen werden – wer immer du das hier
siehst, versteh es als ein Lehrstück: robustae mentis esse solidam sapientiam sustinere, dass es eines
robusten Geistes bedarf, eine solide Weisheit auszuhalten.»
Da spricht Alexander VII., welcher den Lastelefanten mit der Weisheit auf dem Rücken 1667
der «göttlichen Weisheit» gewidmet hat und mit
der Eiche der «della Rovere» solche «Robustheit» stolz im Wappen führte – Klartext aus erster
Hand, hier über gerade 333 Jahre hinweg. Klartext freilich nur für den, der Latein kann und Geduld hat. Der steinerne Cicerone der Ewigen
Stadt spricht durchweg lateinisch, und das buchstäblich ohne Punkt und Komma und manchmal
so verhackstückt und verschlüsselt, dass auch ein
Lateiner da bald mit seinem Latein am Ende ist.
PIAZZA DEL POPOLO
Piazza del Popolo: Der Willkommensgruss an
der Porta del Popolo, «Felici faustoq(ue) ingressui», «Zu glücklichem und gesegnetem Einzug»,
ist auch hier ein guter Einstieg. Ursprünglich,
1655, galt der Segenswunsch Christine, vormals
Königin von Schweden; von ihr sagt eine Inschrift im Konservatorenpalast mit einem kühnen
Zitat von der Attika des Konstantinsbogens, sie
habe «instinctu divinitatis», «auf Eingebung der
Göttlichkeit», den katholischen Glauben dem ererbten Königreich vorgezogen, und weiter in
nicht minder kühner Bildlichkeit, sie sei «über
sich selbst triumphierend» aufs Kapitol hinauf-
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gestiegen.
In seinem vierten Jahr, 1589, hat Sixtus V. auf
der Piazza del Popolo seinen vierten Obelisken
wiederaufrichten lassen. Zwei Seiten der Basis
tragen die alte augusteische Weihung des Obelisken an den Sonnengott; die Westseite berichtet
von seiner neuen Weihung an das «unbesiegteste
Kreuz». Im Osten, gegenüber S. Maria del
Popolo, kommt der Obelisk selbst zu Wort; wir
übersetzen dies, wie alles hier, zeilen- und wortgetreu: «Vor dem heiligen Gotteshaus derer rage
ich erhabener (‹augustior›!) und freudiger auf, aus
deren jungfräulichem Leib, während Augustus
herrschte, die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen ist.»
So hatte schon zwei Jahre zuvor, 1587, der
Obelisk hinter S. Maria Maggiore seinen alten
Dienst vor dem Mausoleum des Augustus gegen
seinen neuen bei der Krippe von Bethlehem ausgespielt: «Christus', des auf ewig lebenden Gottes, Wiege verehre ich freudigst, der ich dem
Grabmal des toten Augustus freudlos so lange gedient habe.» Freudenrufe, die von einem Stein
zum anderen überspringen; ein Vierteljahrhundert später, 1614, nimmt die unter Paul V. vermeintlich aus Vespasians Friedenstempel auf den
Esquilin versetzte Mariensäule den Jubel auf.
In einem versteckten Winkel links der Porta del
Popolo finden sich zwei Tiberpegel mit Epigrammen und Piktogrammen, hüfthoch der von 1530,
kopfhoch der von dem Jahrhunderthochwasser
am 24. Dezember 1598. Im oberen lässt der Tiber
seinem Unmut freien Lauf: «Als der verwegene
Fluss die hierunter angebrachte Anzeige seiner
selbst erreichte, sich selbst gleich, doch niedriger
als der nahe Brunnen, sagte er: ‹Wir gehen höher;
mich übertrumpfen zu lassen, steht mir nicht an.
Ruhm bei allen will ich mir erjagen; den Himmel
will ich geniessen aus grösserer Nähe, und dem
neuen Jahrhundert will ich mich überliefern so
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mächtig, wie die alte Zeit sich nicht zu erinnern
vermag. Die Marken, Quirinus, drücke hier ein:
Hier bin ich, der Tiber, gewesen!›»
PIAZZA COLONNA,
PIAZZA DELLA ROTONDA
Auf dem Corso zur Piazza Colonna. Die Basis
der 1589 von Sixtus V. restaurierten und mit einer
Paulus-Statue bekrönten Mark-Aurel-Säule berichtet von Siegen Mark Aurels über allerlei Barbaren, einer ersten Weihung «dieser triumphalen
Säule» an seinen Vorgänger Antoninus Pius und
ihrer jüngsten Weihung an den Apostel Paulus.
Zuletzt spricht die Säule im eigenen Namen, und
«Triumph» ist ihr erstes und ihr letztes Wort:
«Triumphal und heilig bin ich jetzt, da ich Christus' wahrhaft gläubigen (‹vere pium›!) Schüler
trage, der durch des Kreuzes Verkündigung über
Römer und Barbaren triumphiert hat.» Wer zuletzt triumphiert, triumphiert am besten.
Hinüber zur Piazza della Rotonda. Gegenüber
dem Pantheon stehen zwei Inschriften übereinander, eine ältere und eine jüngere. In der älteren
von 1822/1823 rühmt sich Pius VII. der Sanierung des Platzes: Er habe «das Areal vor dem
Pantheon, das von unvornehmen Tavernen besetzt war, durch den umsichtigsten Abbruch von
seiner verhassten Verunstaltung befreit»; in der
jüngeren darunter feiert das Fast Food der Goethe-Zeit fröhliche Wiederkehr: «McDonald's»,
«McDonald's» . . .
Kein Fremdenführer, der in der Vorhalle des
Pantheons das geflügelte «Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini», «Was die Barbaren
nicht getan haben, das haben die Barberini getan», für einmal unzitiert liesse. Während die
Ciceroni von Fleisch und Blut die Demontage der
antiken Bronzedecke durch Maffeo Barberini, als
Papst Urban VIII., beklagen, hört keiner auf den
steinernen Cicerone, der ihre Verwertung zu Altarsäulen in der Peterskirche und Geschützrohren
für die Engelsburg als ein sinnvolles Recycling
präsentiert: «Papst Urban VIII. hat der bronzenen Kassettendecke alte Überreste zu den vatikanischen Säulen und zu kriegerischen Geschützen
umgeschmolzen, dass der unnütze und nahezu
der (allwissenden) Fama selbst unbekannte Zierrat werde im vatikanischen Tempel zu Schmuckstücken des apostolischen Grabes, in der hadrianischen Burg zu Werkzeugen der öffentlichen
Sicherheit, im Jahre des Herrn 1632.»
Im Pantheon selbst, an Raffaels Grab, drängen
sich die Gruppen um den 1833 bei der Wiederauffindung und Wiederbestattung der Gebeine
von Gregor XVI. gestifteten Sarkophag. Die alte
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Grabinschrift von 1520 an der Wand links darüber rühmt den «mit den Alten wetteifernden»
Maler und seine «nahezu atmenden Bilder»; sie
gipfelt in Pietro Bembos grossartigem Grabepigramm «Ille hic est Raphael, timuit quo sospite
vinci / rerum magna parens et moriente mori»,
«Der hier: Raffaels ist's, der die Schöpfernatur,
da er lebte, / fürchten liess seinen Sieg, und da er
starb, ihren Tod».
PIAZZA NAVONA
Weiter zur Piazza Navona, zu Berninis Brunnen mit dem Obelisken darüber und der Friedenstaube mit dem Ölzweig zuoberst. Innozenz X. hat den Brunnen 1651 errichten lassen,
«dass er», wie die Inschrift auf der Südseite sagt,
«den Spazierengehenden gesunde Lieblichkeit,
den Dürstenden Trank, den Nachdenkenden
Nahrung grossartig spende»; und die Ostseite
scheint dieses letzte Versprechen sogleich einzulösen, in einem höchst nahrhaften Spiel mit
Namen und Wappen des Papstes, «Trophäe» und
Triumph der Taube: «Die schuldbefleckten Götzen der Ägypter drückt nieder die unschuldige
Taube, die, des Friedens Ölzweig tragend und mit
den Lilien der Tugenden bekränzt, indem sie den
Obelisken als Siegeszeichen für sich aufrichtet, in
Rom triumphiert.»
Ein paar Schritte weiter, gegenüber S. Andrea
della Valle, findet sich ein faschistischer Zweizeiler, der an die Einverleibung Abessiniens in das
allerjüngste römische Reich erinnert: «Kriegerische Tugend hat Italiens Grenzen vorgeschoben,
und neuer Glanz verbreitet sich in unserer Stadt»,
und darunter die doppelte Datierung: «Im Jahre
des Herrn 1937, des Reiches eins.» Dazu passt
der Marschbefehl an den vier adlerbekrönten
Pflöcken vor dem Palazzo Viminale: «Unter dem
Befehl des Führers Italiens / brich auf zu unseren
Grenzen, / siegreich fliege von hier in die Ferne
hinaus, / kühn durch die Welt hin schreiend!»
Nicht ganz so hoch schwingt sich eine Inschrift
auf, die ein paar Schritte weiter an der Via Cavour
steht: «Der göttliche Geist hat die Bürgerschaft
des römischen Volkes in einer herausragenden
und gemässigten Region angesiedelt, dass sie sich
der Herrschaft des Erdkreises bemächtige.» Das
ist weder aus der Era fascista noch aus der «des
Reiches» datiert, sondern aus dem «Jahre des
Herrn 1888», und der Text ist noch einiges älter:
ein wörtliches Zitat aus Vitruvs Handbuch der
Architektur (6, 1, 11).
PONTE SISTO
Über den Campo de' Fiori zum Ponte Sisto. An
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der Südostecke des Campo de' Fiori preist ein
Epigramm aus dem «Jahre des Heils 1483» Sixtus
alias Xystus IV. überschwänglich als den Sanierer
des Marsfelds: «Das du eben noch faulig warst
und dreckig von stinkendem Unrat und voll,
Marsland, von unschönem Schmutz, legst du
(jetzt) unter dem Prinzeps Xystus diese hässliche
Gestalt ab: Alles ist höchst ansehnlich in diesem
strahlenden Quartier! Würdiger Lohn und Preis
wird dem heilbringenden Xystus geschuldet: Oh,
wie sehr ist Rom verschuldet seinem höchsten
Führer!» Zum heiligen Jahr 1475 hatte dieser Sixtus den Ponte Sisto von Grund auf erneuert. Da
wird rechter Hand vermeldet, Sixtus IV. habe
«zum Nutzen des römischen Volkes und der Pilgermenge, die zum Jubiläum kommen wird, diese
Brücke, die man mit Recht ‹Ponte rotto› nannte,
mit grossem Aufwand wiederhergestellt und nach
seinem Namen ‹Ponte Sisto› genannt wissen wollen». Und dafür erhebt die Inschrift linker Hand
noch einen Brückenzoll der ganz besonderen Art:
«Der du hinübergehst dank Xystus' IV. Stiftung,
bitte Gott, dass er diesen Papst, den besten, uns
noch lange heil erhalte und wohl bewahre! Lebe
wohl, wer immer du bist – sobald du dies erbeten
hast!» Bei der Millenniums-Restaurierung 1999
sind die Inschriften neu geschrieben und von der
Brüstung an die Stirnseite der Brücke versetzt
worden.
Wer mit offenen Augen und Ohren für diese
sprechenden Steine die Stadt durchstreift, kann
allenthalben reizvolle Entdeckungen machen. So
etwa, dass die sonst ganz prosaische Bauinschrift
der Scalinata della Trinità dei Monti in ihrer ers-
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ten Zeile «Magnificam hanc, spectator, quam miraris, scalam . . .» den «spectator» in die Mitte
stellt und mit der Spiegelsymmetrie der Wortbezüge die Spiegelsymmetrie der Treppenschwünge
nachbildet: «Die grossartige, diese hier, Betrachter, die du bewunderst, die Treppe . . .» Oder
auch, dass sich in der bekannten Rötelzeichnung
von Johann Heinrich Füssli «Der Künstler, verzweifelnd vor der Grösse der antiken Trümmer»
(1778/1780, Kunsthaus Zürich, Titel von Gert
Schiff) hinter dem Gekrikel und Gekrakel auf der
Basis des kolossalen Fusses ein lapidarer Appell
verbirgt, der einen tatsächlich schier verzweifeln
lassen kann: «Pedem vide et Romanae rei magnitudinem metire!», «Sieh den Fuss, und ermiss
daran die Grösse der römischen Sache!»
Ein Hermes-Fund ist der Grabspruch des spanischen Kardinals Auxias de Podio in S. Sabina
auf dem Aventin: «Ut moriens viveret, vixit ut moriturus.» Sechs lateinische Worte – zweimal
«sterben», zweimal «leben», zweimal ein «ut» –
markieren da in strengster Form eine Schnittstelle
zwischen
delphischer
Todesgewissheit
und
christlicher Lebensverheissung: «Dass er, wenn er
sterbe, lebe, lebte er wie einer, der sterben wird.»
Die Übersetzungen der Inschriftentexte sind aus der zweisprachigen
kommentierten
Sammlung
des
Autors
übernommen,
die unter dem Titel «Roms sprechende Steine. Inschriften aus
zwei
Jahrtausenden»
demnächst
im
Verlag
NZZ/Philipp
von
Zabern, Mainz, erscheint und gegen zweihundert Inschriften aus
dem
inneren
Stadtbereich
zwischen
Porta
del
Popolo
und
Cestius-Pyramide, Vatikan und Lateran vorstellt. Das Zürcher
Literaturhaus
Museumsgesellschaft
veranstaltet
am
25.
November, 20.00 Uhr, eine Buchvernissage.
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