Historisch, authentisch und gut geführt

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Historisch, authentisch und gut geführt
FORUM
HISTORISCHE HOTELS UND RESTAURANTS DES JAHRES
Historisch, authentisch
und gut geführt
Seit 20 Jahren zeichnet die Jury von ICOMOS Suisse historische Hotels und Restaurants der
Schweiz aus. Die Wertschätzung, die 1995 an einer Tagung in Luzern ihren Anfang nahm, ist
heute fester Bestandteil in der Angebotspalette des Schweizer Tourismus. Wie ist es dazu
gekommen? Gerold Kunz, Jurypräsident ICOMOS Suisse
D
as denkmalpflegerische Interesse an den Hotels der Belle
Epoque erwachte in den späten 1970er-Jahren. Zuvor
galten die Hotelbauten und Kurorte als schwierige Fälle.
Wie diese zu sanieren waren, wurde während des Zweiten Weltkriegs erarbeitet. Damals entwickelten in einem Arbeitsbeschaffungsprogramm unter der Leitung des Landi-Direktors Armin
Meili über 70 Architekten Strategien und Vorschläge, wie dem
Tourismus wieder auf die Sprünge geholfen werden konnte.
Denn die Schweiz wollte nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an
die Zeiten vor 1914 anknüpfen.
In der Zeit von 1860 bis 1914 war der Tourismus insbesondere in
den Alpen zum wichtigsten Entwicklungsfaktor geworden.
Doch der Erste Weltkrieg beendete den Aufschwung. Die Zäsur
hinterliess ein baukulturelles Erbe, das noch Generationen später
Planer und Bevölkerung beschäftigte. Eine Art Hotelbauverbot
zwischen 1915 bis 1952 stoppte die Entwicklung neuer Hoteltypen und schützte den Bestand vor Konkurrenz. Nur noch selten kam es zu Neubauten, zum Beispiel 1929 in Ascona mit dem
Hotel Monte Verita und in Crans-Montana 1928 mit dem Hôtel
Bella-Lui. Nach 1950 erhielt dann der Ferienhausbau erhöhte
Aufmerksamkeit.
Tagung in Luzern
Umgestaltungen und Abbrüche waren der gewohnte Umgang
mit den Tourismusbauten bis in die 1990er-Jahre. Modernisierungen und Ersatzneubauten veränderten das Bild vieler Tou-
«Viele Betriebe stehen vor
grossen Herausforderungen,
wenn sie Denkmalschutz und
Betriebsansprüche unter einen
Hut bringen wollen.»
rismusorte, nicht nur in den Alpen. Zahlreiche der 1912 verzeichneten 3600 Betriebe waren in den 1980er-Jahren noch vorhanden. Doch die Zahl der Hotelpaläste nahm kontinuierlich ab.
Trotz schweizweiten Rettungsversuchen wurde 1983 in Em-
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metten das Hotel Schöneck abgebrochen, 1995 das traditionsreiche Hotel Quellenhof in Bad Ragaz. Und in Luzern standen
die Zeugheer-Säle des Hotels Schweizerhof auf der Abbruchliste, was die Proteste anschwellen liess, auch innerhalb des Heimatschutzes.
Mit einer Tagung in Luzern reagierte ICOMOS Suisse auf die sich
abzeichnende Zerstörungswelle. «Historische Hotels erhalten
und betreiben» war dabei nicht nur der Tagungstitel, sondern
auch als Programm für den künftigen Umgang mit historischen
Bauten zu verstehen. Die vom damaligen Luzerner Denkmalpfleger Georg Carlen initiierte Tagung brachte erstmals Hoteliers und
Denkmalpflegerinnen an den gemeinsamen Tisch. «Grosse Teilnehmerzahl, geistreiche Aussagen, eine (Über-)fülle von Informationen, lange Vorträge, zu kurze Diskussionszeit, jedoch Ausbleiben von kontradiktorischen Gesprächen und hitzigen Auseinandersetzungen», so das Fazit der Tagung von Jürg Schweizer,
dem damaligen Denkmalpfleger des Kantons Bern, der als kritischer Beobachter an der Tagung teilnahm.
Als Fortsetzung der ideellen Ausrichtung der Tagung versteht
sich die Tätigkeit der ICOMOS-Jury, die 2015 zum 20. Mal die
Auszeichnung «Das historische Hotel/Restaurant des Jahres»
vergeben wird. In der Jury sind neben Arbeitsgruppen-Mitglieder
von ICOMOS Suisse auch die Tourismusverbände Schweiz Tourismus, Gastrosuisse und hotelleriesuisse vertreten. Experten aus
den Bereichen Kunstgeschichte, Architektur und Tourismus ergänzen die Jury.
Der wichtigste Grundsatz für die Vergabe der Auszeichnung lautet kurz und bündig: «Ausgezeichnet werden Eigentümer von
Hotels oder Restaurants, die ihre Gebäude nach denkmalpflegerischen Grundsätzen erhalten und betreiben.» Die Jury beurteilt
dabei den gesamten Gebäudekomplex mit allen Einzelbauten, die
Umgebung und das Interieur. Ein sehr wichtiges Beurteilungskriterium bildet die Art und Weise, wie der historische Bestand
in die Unternehmensphilosophie einfliesst und im Marketing
eingesetzt wird. Immer wieder werden neue – alte – Häuser entdeckt, wo beide Aspekte in perfekter Symbiose vereint sind.
Jury als Thinktank
Die Auszeichnung wird jährlich neu ausgeschrieben. Die Fachjury wählt aus den eingehenden Bewerbungen jene aus, die einer
eingehenden Prüfung unterzogen werden sollen. Die Ergebnisse
werden zusammengetragen und führen zur Wahl der Preisträger.
GastroSuisse
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Die Auszeichnung «Historisches Hotel des Jahres 2015 geht an das Hotel & Restaurant Chesa
Salis in Bever (GR), das
durch den Erhalt seiner
historischen Zimmer besticht.
La distinction «Hôtel de
l’année 2015» est décernée à l’ hôtel-restaurant
Chesa Salis à Bever (GR)
qui a su conserver le cachet historique de ses
chambres.
Für das Jahr 2015 sind dies als Hauptpreisträger die Chesa Salis in
Bever und als Spezialpreisträger das Restaurant Zum Wilden
Mann in Ferrenberg im Kanton Bern.
Aus der langjährige Zusammenarbeit zwischen den Fachleuten
der Kulturgütererhaltung und des Tourismus hat sich 2004 auf
Initiative von hotelleriesuisse die eigenständige Gruppe der
«Swiss Historic Hotels» formiert. Heute sind darin bereits 51 Betriebe vereint, die den hohen Qualitätsanforderungen von ICOMOS Suisse genügen.
Die Jury funktioniert wie ein Thinktank, der jedes Jahr von Neuem diskutiert, was ein historisches Hotel oder ein historisches
Restaurant sein kann. Dies ist wichtig, weil sich der Tourismus
und die denkmalpflegerische Betrachtungsweise in einem steten
Wandel befinden. Historische Hotels der Belle Epoque entstehen
heute aus Marketingüberlegungen sogar neu. Aufgrund der Tiefe
des Umbaus oder der längst entsorgten historischen Substanz
verdienen sie die Auszeichnung hingegen nicht. Viele Betriebe
stehen vor grossen Herausforderungen, wenn sie Denkmalschutz
und Betriebsansprüche unter einen Hut bringen wollen. Auch
werden für die Beurteilung Erweiterungen und Umnutzungen
vermehrt ein Thema.
Restaurant unter den Kandidaten zu bestimmen. Eine Fokussierung auf die historischen Restaurants zeichnet sich als drängende
Aufgabe der Jury demnach ab. Aber auch der Blick weg vom Einzelobjekt zur Anlage, in der es steht, wird immer wichtiger.
Würde heute eine Tagung zur Baukultur des Tourismus wiederholt, müsste sie den Titel «Historische Anlagen erhalten, betreiben und entwickeln» tragen, um den aktuellen Anforderungen gerecht zu werden. Die Qualität des Tourismus hängt nicht von der
Qualität des einzelnen Objekts ab, sondern ist zu einer Frage des
gesamten touristischen Angebots geworden. Der Umgang mit
historischen Bauten, Ortsbildern und der Landschaft erhält dabei
einen immer grösseren Stellenwert. Darin nehmen die historischen Hotels und Restaurants einen wichtigen Platz ein, aber auch
Projekte wie die Heimatschutz-Stiftung Ferien im Baudenkmal.
Jüngste Forschungen zeigen, dass auch dem Ferienhaus als baukultureller Zeuge begegnet werden muss. Will eine Feriendestination heute ihre kulturellen Schätze nutzen, muss sie kuratorisch Wirken. Das ist die drängende Aufgabe im Tourismus.
→ Die Unterlagen für die Bewerbung für die Auszeichnung 2016
sind einzureichen bis Ende Januar 2015 und können heruntergeladen werden auf: www.icomos.ch/arbeitsgruppen/
hotels-und-restaurants/ausschreibung-2016
Ausblick
Während bei den Hotels die Marke «historisch» ein Gütezeichen
geworden ist, sind bei den Restaurants grössere Defizite im Umgang mit der eigenen Geschichte auszumachen. Der Jury bereitete
es in den vergangenen Jahren immer mehr Mühe, ein würdiges
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HÔTELS ET RESTAURANTS HISTORIQUES DE L’ANNÉE
Historique, authentique
et bien géré
Depuis 20 ans, le jury d’ICOMOS Suisse récompense des hôtels et restaurants historiques de
Suisse. La prise de conscience de cette valeur historique a débuté lors d’un colloque organisé
en 1995 à Lucerne. Elle fait aujourd’hui partie intégrante de la vaste palette d’offres de Suisse
Tourisme. Comment expliquer une telle évolution?
Gerold Kunz, président du jury d’ICOMOS Suisse
L’
intérêt pour la conservation de la substance historique
des hôtels Belle Epoque s’est fait jour à la fin des années
1970. Auparavant, les établissements hôteliers et de cure
étaient considérés comme des cas problématiques. Durant la Seconde Guerre mondiale, des études sur la façon de les rénover
avaient été menées. Un programme de création d’emplois dirigé
par le directeur de la Landi Armin Meili avait réuni plus de 70 architectes qui avaient développé des stratégies et des propositions
dans le but d’aider le tourisme à repartir sur de bonnes bases.
Après la Seconde Guerre mondiale, la Suisse entendait revenir à
l’essor touristique qui prévalait avant 1914.
Entre 1860 et 1914, le tourisme était devenu le principal moteur
de développement, des régions alpines notamment. La Première
Guerre mondiale avait coupé net cet essor. Cette rupture avait
laissé un héritage culturel dont allaient se préoccuper, pendant
longtemps encore, plusieurs générations. De 1915 à 1952, une
sorte d’interdiction de construire de nouveaux hôtels avait gelé le
«La manière dont la substance
historique est valorisée dans la
philosophie d’entreprise et
dans le marketing constitue un
critère d’appréciation très
important.»
développement de nouvelles formes d’hôtellerie et mis les établissements existants à l’abri de la concurrence. Rares furent les nouveaux hôtels construits à cette époque, à l’instar de l’Hôtel Monte
Verita à Ascona en 1929 ou de l’Hôtel Bella Lui à Crans-Montana
en 1928. Ensuite, après 1950, l’attention se reporta sur la
construction de résidences secondaires.
Colloque organisé à Lucerne
Jusqu’à la fin des années 1990, les transformations et les démolitions constituèrent le traitement habituellement réservé aux bâtiments touristiques. Les modernisations et reconstructions modifièrent l’aspect de nombreuses stations touristiques, et pas seule-
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ment dans les Alpes. Sur les 3600 entreprises recensées en 1912,
de nombreux établissements étaient encore en activité dans les
années 1980. Cependant, le nombre de palaces était en diminution constante. Malgré des tentatives de sauvetage dans l’ensemble du pays, l’Hôtel Schöneck d’Emmetten fut démoli en
1983 et l’Hôtel Quellenhof de Bad Ragaz, riche d’une longue tradition, en 1995. A Lucerne, les salles Zeugheer de l’Hôtel Schweizerhof figuraient sur la liste des prochaines démolitions, ce qui ne
manqua pas de susciter de fortes protestations, jusque dans les
rangs de Patrimoine suisse.
En organisant un colloque à Lucerne, la section d’ICOMOS Suisse
entendait réagir à la vague de démolitions qui s’annonçait. Le colloque s’intitulait «Sauvegarder et gérer les hôtels», mais il visait
également la mise sur pied d’un programme de gestion des bâtiments historiques. Le colloque lancé par le conservateur lucernois
des monuments de l’époque, Georg Carlen, permit de réunir pour
la première fois autour d’une même table des hôteliers et des
conservatrices et conservateurs du patrimoine. Le conservateur
du patrimoine du canton de Berne de l’époque, Jürg Schweizer,
envoyé en tant qu’observateur critique, résuma la journée de la
manière suivante: «Une participation nombreuse, des observations pertinentes, une profusion d’informations (parfois trop),
des exposés circonstanciés, trop peu d’espaces de discussion, ni
débats contradictoires ni polémiques exacerbées.»
L’activité du jury d’ICOMOS qui a décerné en 2015 la 20e distinction «Hôtel/restaurant historique de l’année» s’inscrit dans la
continuité de ce colloque. Le jury est composé de membres du
groupe de travail d’ICOMOS Suisse ainsi que de représentants des
organisations touristiques Suisse Tourisme, GastroSuisse et hôtelleriesuisse. Des experts de l’histoire de l’art, de l’architecture et
du tourisme le complètent.
Le point essentiel retenu pour accorder la distinction tient en une
simple phrase: «La distinction récompense les propriétaires d’hôtels ou de restaurants qui exploitent et entretiennent leur établissement dans le respect des principes de la conservation du patrimoine.» Le jury examine l’ensemble de l’établissement ainsi que
chaque bâtiment qui en fait partie, l’environnement extérieur et
l’intérieur. La manière dont la substance historique est valorisée
dans la philosophie d’entreprise et dans le marketing constitue un
critère d’appréciation très important. De nouveaux établissements (anciens) qui allient en une parfaite symbiose ces deux aspects sont ainsi régulièrement découverts.
FORUM
Perspectives
Alors que le qualificatif «historique» s’est mué en un label de qualité, on observe d’importantes lacunes dans la conservation des
repères historiques des restaurants. Ces dernières années, le jury
rencontre des difficultés de plus en plus grandes pour sélectionner des restaurants. La tâche prioritaire du jury est par conséquent
de mettre l’accent sur les restaurants historiques. Cependant, il
est également de plus en plus important de considérer l’objet dans
son environnement.
Si l’on devait organiser de nouveau un colloque sur le patrimoine
et le tourisme, on devrait l’intituler «Conserver, exploiter et développer des sites historiques» afin de répondre aux défis de notre
temps. La qualité du tourisme ne dépend pas de la qualité d’un objet isolé, mais de l’ensemble de l’offre touristique proposée. La façon d’approcher les constructions et les sites historiques ainsi que
les paysages prend une importance de plus en plus grande. Les hôtels et restaurants historiques y occupent une place importante,
mais les projets tels que celui de la Fondation Vacances au cœur du
patrimoine ne sont pas en reste. Selon les recherches les plus récentes, les résidences de vacances sont également à considérer
sous l’angle de leur valeur patrimoniale. Une destination de vacances qui souhaite mettre en valeur ses trésors culturels doit
prendre les devants et s’organiser en conséquence. C’est une tâche
qui s’impose dans le domaine du tourisme.
→ Les dossiers de candidature pour la distinction 2016 sont à soumettre
jusqu’au 31 janvier 2015. Le site internet www.icomos.ch/fr/groupes-detravail/hotels-et-restaurants fournit toutes les informations utiles.
GastroSuisse
Le jury en tant que laboratoire d’idées
La distinction est attribuée chaque année. Le jury sélectionne parmi les dossiers qui lui ont été transmis ceux qui méritent un examen plus approfondi. Les résultats sont ensuite compilés et permettent de désigner un lauréat. En 2015, la distinction a été décernée à l’Hôtel-restaurant Chesa Salis à Bever, dans les Grisons, et le
prix spécial au Restaurant Zum Wilden Mann à Ferrenberg, dans le
canton de Berne.
A l’initiative d’hotelleriesuisse, la collaboration instaurée au fil des
années entre spécialistes de la conservation du patrimoine et du
tourisme a donné naissance en 2004 à une organisation indépendante «Swiss Historic Hotels» qui regroupe 51 établissements remplissant les exigences de haute qualité d’ICOMOS Suisse.
Le jury fonctionne comme un laboratoire d’idées. Il réexamine
chaque année ce qu’il faut entendre par hôtel ou restaurant historique. Cette remise en question est importante car le tourisme et
l’approche de la conservation du patrimoine sont en constante
transformation. Aujourd’hui, des hôtels historiques de la Belle
Epoque renaissent de leurs cendres pour des raisons de marketing. En raison de l’importance des transformations qu’ils ont subies ou de la disparition de leur substance historique, ils ne méritent pas la distinction. De nombreux établissements sont
confrontés à d’immenses défis dès lors qu’ils souhaitent concilier
la protection du patrimoine avec leurs exigences d’exploitation.
La question des agrandissements et des réaffectations s’invite
d’ailleurs de plus en plus souvent dans l’examen des critères d’attribution de la distinction.
Hôtel/restaurant historique de l’année 2015: Le
Restaurant Zum Wilden
Mann à Ferrenberg (BE)
reçoit le prix spécial.
Historisches Hotel/
Restaurant des Jahres
2015: Einen Spezialpreis
erhält das Restaurant
Zum Wilden Mann in
Ferrenberg (BE).
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