Statement von Martin Litsch Gute Gesundheitsversorgung muss alle

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Statement von Martin Litsch Gute Gesundheitsversorgung muss alle
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Pressekonferenz des AOK-Bundesverbandes
und des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)
am 2. Dezember 2015 in Berlin
Statement von Martin Litsch
Designierter Vorstand des AOK-Bundesverbandes
Gute Gesundheitsversorgung muss alle Kinder
erreichen
Um die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen kümmern sich viele Menschen und dadurch
haben wir in Deutschland sehr gute Ergebnisse erreicht. Unsere Kinderärzte sind bundesweit für
unsere Jüngsten da. Unser Gesundheitssystem gehört zu den besten weltweit. Über diese Nachrichten können wir uns freuen. Sie dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Entwicklungen
gibt, bei denen wir gegensteuern müssen.
Eine diese Entwicklungen sind die regionalen Unterschiede, die unser Wissenschaftliches Institut
für die Mandel- und Blinddarmoperationen festgestellt hat. Derartige regionale Unterschiede treten
auch bei hyperkinetischen Störungen, also ADHS, auf. Schaut man sich die 96 Raumordnungs­
regionen an, ist die Prävalenz in Würzburg mit 11,5 Prozent rund fünf Mal höher als in Bremen (2,2
Prozent). Diese Unterschiede gibt es auch bei der Verordnung spezifischer Medikamente wie Ritalin.
Im Bundesdurchschnitt erhielten 2013 rund 40 Prozent aller ADHS-diagnostizierten Kinder zwischen
6 und 17 Jahren ein spezifisches Medikament. In Würzburg, wo es bereits eine besonders auffällige
Diagnosehäufigkeit gibt, liegt auch der Medikationsgrad mit über 54 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt. In Bonn hingegen liegt der Anteil bei knapp 28 Prozent. Angesichts dieser Zahlen
ist die Frage berechtigt, ob unser gesellschaftlicher Umgang mit Ritalin richtig ist. Aktuelle Analysen
haben erst kürzlich gezeigt, dass der Nutzen von Ritalin sehr gering ausfällt. Die Nebenwirkungen
sind jedoch deutlich. Wird kindliches Verhalten, das früher als normal galt, bei uns heute schnell –
mitunter vorschnell – als behandlungsbedürftig eingestuft?
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Wir wissen erst sehr wenig darüber, woher diese regionalen Unterschiede kommen. Das müssen
wir ändern, denn die Gesundheitsversorgung unserer Kinder und Jugendlichen darf nicht von der
Postleitzahl abhängen. Alle Kinder haben das Recht auf die gleiche, hochwertige Versorgung.
Fragwürdig ist auch unser gesellschaftlicher Umgang mit gesunder Ernährung. Oder ich sollte wohl
besser sagen, mit ungesunder Ernährung. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der übergewichtigen Kinder verdoppelt. Sechs Prozent der Kinder sind adipös, also krankhaft übergewichtig.
Eine typische Folge von Adipositas ist Typ-2-Diabetes. Die Zahl der Typ-2-Diabetes-Neuerkrankungen
im Jugendalter hat sich laut aktuellem Diabetes-Bericht der Deutschen Gesellschaft für Diabetes in
den letzten zehn Jahren bereits verfünffacht. Das ist erst der Anfang. Wenn aus gesunden Kindern
gesunde Erwachsene werden, dann gilt im Umkehrschluss, dass hier gerade eine Generation von
kranken Erwachsenen heranwächst.
Wollen wir dieser Entwicklung etwas entgegensetzen, müssen Kinder und Jugendliche und natürlich
auch Erwachsene mehr als heute über gesunde Ernährung wissen. Aus einer von der AOK beauftragten aktuellen Bevölkerungsumfrage geht hervor, dass zwei Drittel der Deutschen nicht wissen,
wie viel Zucker sie täglich ungefähr zu sich nehmen. Das betrifft vor allem die Jüngeren. Gleichzeitig
befürchtet jeder Dritte, dass sein persönlicher Zuckerkonsum für seine Gesundheit eine Gefahr
darstellt. Mit Blick auf die steigenden Diabetiker- und Adipositas-Zahlen gerade auch bei jungen
Menschen zeigt das deutlich: Mehr Information und Transparenz tut not. Transparenz, das betrifft
vor allem die Nahrungsmittelindustrie. Denn es ist insbesondere der versteckte Zucker, der zum
gesellschaftlichen Problem geworden ist, zum Beispiel in Ketchup, Bio-Limonaden oder Joghurts
speziell für Kinder. Hier sollten Politik, Kassen, Ärzte und nicht zuletzt die Lebensmittelindustrie an
einem Strang ziehen und eine breite Allianz zur Zuckerreduktion bilden.
Die AOK engagiert sich seit vielen Jahren auf dem Gebiet der Prävention. Besonders wirkungsvoll,
Prof. Robra hat es bereits gesagt, sind Setting-Angebote. Wir wissen das. Deshalb werden über 70
Prozent der Setting-Angebote der Gesetzlichen Krankenkassen, also der Projekte in den Lebenswelten wie Kita, Schule oder Betrieb, von der AOK unterstützt.
Zum Abschluss möchte ich den Blick auf die vielen Kinder und Jugendlichen lenken, die jetzt in
Deutschland Schutz vor Krieg und Terror suchen. Auch ihnen müssen wir den Zugang zu unserer
guten Gesundheitsversorgung ermöglichen. Denn damit legen wir den Grundstein, dass auch sie
die Chance auf eine gute Gesundheit im Erwachsenenalter haben. Wir müssen die Hindernisse
beseitigen, die Flüchtlingen, Ärzten und Krankenkassen gleichermaßen den medizinischen Alltag
erschweren. Von einem flächendeckenden Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte bei gleich-
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zeitigem freien Zugang zu allen genehmigungsfreien Leistungen würden alle Seiten profitieren. Die
Asylsuchenden hätten einen diskriminierungsfreien Zugang zu unserem Gesundheitssystem. Ärzte
könnten allein auf der Grundlage der medizinischen Notwendigkeit über die Behandlung entscheiden. Und die Länder könnten Verwaltungsausgaben einsparen, weil keine Behandlungsscheine
mehr ausgestellt würden. In einem Land wie Deutschland muss dies doch möglich sein. Die AOK
setzt sich weiterhin dafür ein.
Alle Akteure im Gesundheitswesen brauchen Forschungswissen wie den Versorgungs-Report des
Wissenschaftlichen Instituts der AOK, um die Gesundheitsversorgung auf den Bedarf der Menschen
auszurichten. Die gute Gesundheitsversorgung in Deutschland muss für alle Kinder gleichermaßen
erreichbar sein. Dafür müssen wir uns stark machen.
KONTAKT UND INFORMATION
Kai Behrens | AOK-Bundesverband | 030 346 46 2309 | [email protected]
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