Semestereröffnungsgottesdienst Phil. 2, 6

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Semestereröffnungsgottesdienst Phil. 2, 6
Gottesdienst zur Semestereröffnung Sommersemester 2009
Einführung und Predigt: Reinhard Schmidt-Rost
Zur Reihe der akademischen Gottesdienste im Sommersemester 2009 begrüße ich
Sie im Namen des Schloßkirchenbeirats am Sonntag nach Ostern, Quasi modo
geniti, sehr herzlich. Ihnen allen, die sich der Gemeinde an der Evangelischen
Schlosskirche der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität verbunden fühlen,
samt allen Freunde und Förderern, die uns im ersten Gottesdienst im Semester mit
ihrem Besuch ehren, wünsche ich ein erfüllendes und erfülltes Sommersemester.
Ob der Apostel Paulus wirklich im Jahre 8 n. Chr. geboren ist, wer will das
nachprüfen? Kirchenregister gab es natürlich noch nicht, und die neutestamentliche
Wissenschaft spricht vorsichtiger von einer Geburt des Völkerapostels etwa um die
Zeitenwende, aber wer will das überhaupt so genau wissen? Die Jubiläen der
Heiligen und historisch bedeutsamen Personen interessieren doch prinzipiell, nicht
individuell – und in diesem prinzipiellen Sinn folgen wir gerne in ökumenischer
Verbundenheit dem von Benedikt XVI. ausgerufenen Paulus-Jahr und denken in
der Predigtreihe des Sommersemesters 2009 über einige Grundgedanken des
Apostels nach, mit denen er das Abendland, wo nicht die ganze Welt tief
beeindruckt und beeinflusst hat, - wir würdigen ihn in diesem Semester so, als hätte
er vor 2000 Jahren, vielleicht sogar am 29. Juni, am Festtag der Heiligen Peter und
Paul, das Licht der Welt erblickt.
Lassen Sie uns Gott loben und singen:
Gelobt sei Deine Treu, die alle morgen neu uns in den Mantel Deiner Liebe hüllt,
die jeden Abend wieder, wenn schwer die Augenlider, das bange Herz mit Frieden
füllt.
*
Liebe Gemeinde!
Den Anfang der Paulus-Reihe bildet ein Abschnitt aus dem Philipper-Brief, der
sog. Christus-Hymnus, es könnte sein, dass dieser Abschnitt einer der ältesten
Texte des Neuen Testamentes darstellt:
Phil. 2, 6-11
Jesus Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum
Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den
Namen gegeben, der über alle Namen ist, damit alle im Himmel, auf der Erde und
unter der Erde ihre Knie beugen sollen vor dem Namen Jesu und jeder Mund
bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ – zur Ehre Gottes, des Vaters.
Welcher Name ist über allen Namen? Was hat Paulus mit dieser Aussage über
Christus gemeint? Was sollen wir heute bei dieser Frage denken? Wir wollen
diesen Fragen nachgehen und dazu einen Ausflug in die Geschichte unternehmen:
Der Apostel Paulus hat seine Eindrücke von Jesus von Nazareth und seiner Lehre
nach Europa gebracht und Philippi, eine römische Stadt an der Reichsstraße
zwischen Rom und Byzanz, war der erste Ort, die erste Stadt in Europa, in der er
gepredigt hat. Die Gemeinde in dieser römischen Provinzstadt war die erste
christliche Gemeinschaft auf europäischem Boden, in Nordgriechenland, sie bildete
sich vermutlich kurz vor dem Jahr 50.
Philippi, eine kleine Siedlung, vom Makedonen-König und Vater Alexanders des
Großen, Philipp, im 4. vorchristlichen Jahrhundert ausgebaut, bald aber zu völliger
Bedeutungslosigkeit herabgesunken, hatte im Jahre 42 v. Chr. durch die Schlacht
gegen die Mörder Cäsars, die bei Philippi gestellt und besiegt wurden, neue
Bekanntheit erlangt. Nach der Schlacht bei Actium, 31 v. Chr., in der sich Cäsars
Neffe Octavian politisch im römischen Reich durchsetzte, wurde Philippi als
Siedlung für römischer Legionäre und enteignete stadtrömische Bürger, die als
Opponenten Octavians hierher verbannt worden waren, ausgebaut. Philippi war
eine römische Stadt. Hier gab es vermutlich keine jüdische Synagogen-Gemeinde,
die Verehrung des Kaisers als des Allmächtigen, der höchsten politischen wie
kultischen Autorität im Leben der Menschen wird die Phantasie religiöser
Menschen ausgefüllt haben. Der Kaiserkult, den Octavian, genannt Augustus zur
Integration und Stabilisierung des Reiches nach altrömischen Vorbildern
begründete, prägte deshalb gewiss auch die Stadt in Nordgriechenland, als Paulus
dort predigte.
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Ein weiteres ist zum Verständnis des Textes zu bedenken: Der von Paulus
vermutlich als Zitat in seinen Brief eingeführte Abschnitt führt in eine noch frühere
Phase der Christenheit, vor die Zeit der Gemeindegründung in Philippi zurück. In
diesem Text, könnte, so sagen die Experten, ein Zitat eines älteren Lobliedes auf
Christus vorliegen, denn
erstens enthält der Text Ausdrücke, die man aus der Feder des Paulus sonst nicht
kennt, vor allem das Wort für „sich selbst erniedrigen“ und
zweitens ist dieses liedhaft ausgeschmückte Textstück ganz auf Christus bezogen
und redet nicht von der Bedeutung des Todes Jesu für das Heil der Menschen oder
der Welt, wie man es sonst bei Paulus oft findet, sondern einfach von Christus und
seiner Stellung zu Welt und Menschheit.
Mit der Vorstellung von Erniedrigung und Erhöhung des Gottessohnes könnte
dieses Lied aus Kreisen der Gnosis stammen, die sich die Erlösung des Menschen
aus der bösen Welt als ein Mitsterben und Mitauferstehen mit dem Gottessohn
ausmalten.
Mit den meisten Auslegern aber folge ich lieber einer anderen Spur: Dieses Lied
verbindet jüdische Vorstellungen von Gott, dem Vater im Himmel, der den
Menschen Kraft gibt, mit Bildern aus dem griechischen und lateinischen
Mythologie, von der Erhöhung des Gottessohnes, der seine irdischen Proben
bestanden hat.
Damit aber bewegen wir uns geistig in einer Bilderwelt, die auch die alten
christlichen Bekenntnisse prägt und als populäre Denkweise bis heute weiterhin
wirkt:
Gott ist der Vater im Himmel, der Allmächtige, der Schöpfer Himmels und der
Erden – und vor seinem Sohn werden sich alle Knie beugen, wenn er nach seinem
Tod in den Himmel erhöht ist. Bleibt da viel anderes übrig, als sich dem Wortlaut
der alten Bekenntnisse folgend, den Vater als strengen Erzieher vorzustellen, den
Allmächtigen als großen Feldherrn zu denken, als Augustus, und den Schöpfer des
Himmels und der Erden als Töpfer-Schöpfer im Garten Eden auszumalen?
Ich spreche die Worte der alten Bekenntnisse im Gottesdienst mit, wohl wissend,
dass ich diese Bilder auf diese Weise verstärke, obwohl sie das Missverständnis
von Allmacht als Übermacht mit sich führen, aber ich muss sie erwähnen, um die
neuen Bilder einzuführen, die schon beim Propheten Jesaja anklangen, die ich aus
der Botschaft Jesu von Gott, der allein gut ist, wie aus den Briefen des Paulus
heraushöre: Gott wirkt als barmherziger Vater aller Menschen, der seinen Kindern
Leben schenkt, schon dadurch, dass er die Sonne über Böse und Gute scheinen
lässt; er übt eine ganz spezifische schöpferische Macht aus, die Macht der Liebe,
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die jeder für sich erfahren kann, denn ohne diese Macht des höchsten Guten wächst
kein lebensförderndes Vertrauen. Der Name der über alle Namen ist, aber heißt:
„Gott ist die Quelle des Lebens, das absolut Gute, die Liebe, und als solcher ist er
der von Ewigkeit zu Ewigkeit Entgegenkommende.“
Die Botschaft des Paulus in all ihren verschiedenen Gestalten, die wir noch
durchdenken werden in diesem Semester, lautet letztlich immer wieder: „Die
Vorstellung, die sich Menschen üblicherweise von Gott machen, verirren sich
leicht, sie sind menschgebunden und geraten eher archaisch, neusteinzeitlich,
geprägt von der Gewalt der Selbstbehauptung, die Vorstellung vom vertrauensvoll
entgegenkommenden Gott, der sich seiner Macht entäußert, ist immer noch ein
fremdes Bild!“ Das aber ist das Neue im Evangelium: Gott ist nicht der
Machthaber, der unbezwingliche Augustus, der unerreichbar thronende Jupiter,
nein, Gott kommt den Menschen als Mensch entgegen! Auch solche Geschichten
erzählten die Ahnen, von Gott, der Lot in Sodom besucht, der Mose im brennenden
Busch anspricht, aber dieses Motiv ist in seiner Wirksamkeit öffentlich noch
keineswegs anerkannt, auch Kirche und Wissenschaft halten es mit den nach
menschlichem Ermessen starken Bataillonen, mit Zahlen zumal.
Gott ist den Menschen in Christus ganz weit entgegengekommen, und daran hätten
die Menschen schon längst erkennen können: Die wahrhaft produktivste Kraft der
Welt ist nicht die Angst einflößende Übermacht, vor der alle zittern, nicht der
Kaiser in Rom, nicht Zeus auf dem Olymp, sondern die am meisten fördernde Kraft
im Leben der Menschheit ist „das Gute“, „das Entgegenkommende“, „die Liebe,
die niemals aufhört“ – aber da wir nun einmal Menschen sind, müssen wir uns
diese Kraft als Person vorstellen, anders können wir es uns nicht vorstellen: Gott
kommt uns entgegen – als Person, damit wir ihn als den absolut Guten zu Herzen
nehmen können, denn nur eine Person kann – in der Vorstellung von Menschen –
wirklich entgegenkommen. Aber mit der Vorstellung einer Person verbinden sich
ganz unversehens wieder die Machtvorstellungen, die Christus aus dem Gottesbild
ausgeschlossen hat.
Menschen können von dieser absoluten Kraft, die sie sich nur als Person vorstellen
können, nur singen und sagen, in Liedern und Geschichten und Reden, andernfalls
reißen sie selbst die Position der absoluten Kraft wie eine Beute an sich - eine
Gefahr, der Kirchenleitungen und Theologen besonders ausgesetzt sind, weil sie
nach der Wahrheit fragen und in dieser Suche meldet sich immer schon ein
absoluter Anspruch -, was uns in der modernen Welt, gerade in den
Wissenschaften, ja durchaus immer wieder zugemutet und zugetraut wird, im
Streben nach letzten Sicherheiten.
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Wie soll man es nun erst Menschen sagen, die mit „Gott“ nicht mehr rechnen, weil
sie den Allmächtigen nur als Gewalttätigen missverstehen und ablehnen? Die
Vorstellung, dass es ein „Gutes“, ein höchstes Gutes gebe, diese Vorstellung
bewegt die Menschen immer wieder, sie gewinnt ihre Kraft vor allem aus der
Einsicht, dass viele Dinge mit Gewalt gar nicht zu erreichen sind, dass der Mensch
sich aber nach dem schlechthin Guten sehnt, vielleicht gerade weil er es nicht aus
sich selbst allein hervorbringt, das schlechthin Gute bringt niemand aus sich selbst
hervor, Gutes kann in den Menschen nur hervorgerufen werden.
Diese Vorstellung, Gottes Name sei „Güte“ oder „das absolut Gute, das sich den
Menschen gibt, das ihnen entgegenkommt“, diese Vorstellung schiebt Gott nicht in
eine „Lücke“, dorthin, wo der menschliche Geist nicht hinreicht, sondern
personalisiert die Vorstellung von einer für Menschen nie und nimmer erreichbaren
Kraft, die doch für das Fortbestehen der Menschheit überlebenswichtig ist. Die
Heiligen Schriften der Christen und Juden umkreisen genau diesen
Grundgedanken, - es geht nicht um das höchste Sein, es geht um dieses höchste
Gute, das kein Mensch selbst bewirken, das jeder nur empfangen kann, und dieses
Empfangen führt die Menschen zu einer geistigen Gemeinschaft zusammen, von
der man vermuten und hoffen darf, dass sie die weitere Entwicklung ermöglicht,
indem sie diese Vorstellung von einer anderen Macht festhält.
Es ist die Kraft, die sich in Eltern, wie es scheint, ganz natürlich regt und die
neugeborenen Kinder zum Leben kommen lässt: deshalb ist es eine feine Weisheit,
dass der Festkalender nach Ostern als erstes den Sonntag Quasi modo geniti
vorsieht, denn die Art und Weise, die den neugeborenen Kindern den Weg ins
Leben eröffnet, die ist es, die das Leben aller Menschen erhält, die deshalb als die
Atmosphäre des Gottesreiches zu denken ist und vorzustellen ist. Aber der Karfreitag kann noch nicht abgeschafft werden: „Entgegenkommen“ ist
gefährlich, lebensgefährlich. Die Vorstellung von Gott, der den Menschen
vertrauensvoll entgegenkommt, um ihr Vertrauen hervorzurufen, der ihnen ihre
Sünden vergibt, diese Lehre hat den Lehrer Jesus von Nazareth das Leben gekostet
– er war dem Gott, der Liebe ist, gehorsam, bis zum Tode am Kreuz; und er wurde
hingerichtet, weil er alle weltlichen Herrscher-Vorstellungen in aller Stille, ohne
viel Aufhebens, kritisiert hatte. Auch das Leben des Paulus ist durch diese Sendung
schwer belastet worden, mit Gefangenschaft und Verfolgung, aber er hat sich sein
Vertrauen in diesen Gott nicht nehmen lassen, der ewig ist wie die Liebe, der
gnädig vergibt, der die Menschen an Geist und Seele erneuert, auch wenn ihr alter
Leib verfällt, und der die Menschen nicht in die Schattenwelt des Hades versinken
lässt, sondern sie alle gemeinsam aufnimmt in seine – unvorstellbare – aber in der
Kraft der Liebe doch auch irdisch spürbare Ewigkeit.
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Die Umstellung des Gottesgedankens von Übermacht auf „Entgegenkommen“, von
„Hervorbringen“ auf „Empfangen“, von Gewalt auf Güte braucht Einsicht, aber die
Einsicht ist immer wieder gefährdet, sie muss in der Gemeinschaft unaufhörlich
befestigt werden – deshalb ist es wichtig, Lieder zu singen und Geschichten zu
erzählen, die durch Worte und Weisen Gott als den „Entgegenkommenden“ zu
Herzen gehen lassen – und diesen Namen Gottes nennen in der ganzen Welt: „Der
Entgegenkommende, der liebevoll, vertrauenerweckend Entgegenkommende“,
andere Götter sollen wir nicht neben ihm haben.
Amen.
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