Kolosser 2-12-15

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Kolosser 2-12-15
Gottesdienst in der Stiftskirche Stuttgart am 15. April 2012
Predigt über Kolosser 2,12-15
von Prälat Ulrich Mack
Lesung: Matthäus 28,1-10+16-20
Lied vor der Predigt
„Jesus bringt Leben“ haben wir gerade gesungen – das Lied aus Tansania bringt
kurz und knackig auf den Punkt, was Ostern heißt: „Jesus bringt Leben, Halleluja“.
Die Frage ist nur: Merken wir was davon?
Karfreitag und Ostern haben wir jetzt wieder erlebt – wir haben hingesehen, wer
Jesus ist: gekreuzigter und auferstandener – und jetzt ist die Frage: Wer bin nun ich?
Hören wir dazu den Predigttext für diesen Sonntag nach Ostern:
Mit ihm –Christus - seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr
auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn
auferweckt hat von den Toten. 13 Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht,
die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches,
und hat uns vergeben alle Sünden. 14 Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit
seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz
geheftet. 15 Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie
öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in
Christus.
Liebe Gemeinde,
wer bin ich? Dietrich Bonhoeffer – am 9. April 1945 hingerichtet – er hat die Frage
„wer bin ich?“ in einem berühmten Gedicht im Gefängnis meditiert: Hier nur ein
Auszug daraus:
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle
gelassen und heiter und fest
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten. …
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Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?
Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,
ringend nach Lebensatem …
Wer bin ich? Der oder jener?
Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?
So fragt Bonhoeffer. So fragen viele Menschen. Bin ich stark oder schwach? Von
meinen Eltern gewollt oder nicht? Wer bin ich in den Augen meiner Kinder? Und im
Blick meines Chefs, meiner Mitmenschen? Bin ich nur das, was andere über mich
sagen? - Aber was denke ich selbst? Bin ich ein Gewinner oder Verlierer? Bin ich
glücklich? Wertvoll? Oder nur ein kleines Staubkorn im Weltall, ein Moment nur in der
Zeit? Bin ich einsam, auf mich gestellt? Getrieben von irgendwelchen
Schicksalsmächten und Kräften? Oder bin ich getragen, fest und gut gehalten? Wer
bin ich in all dem Fragen? Wer gibt mir den Maßstab zu sagen, wer ich bin?
Antwort: Die Bibel will es und kann es. Der Abschnitt für heute aus dem
Kolosserbrief besonders. Und überhaupt dieser Sonntag. Er trägt einen Namen,
wunderschön, aber kompliziert: Qasimodogeniti – man kann das auch auf Deutsch
sagen – und da wird schon mal eine Antwort draus auf die Frage: Wer bin ich? –
Quasimodogeniti heißt: Wie die neugeborenen Kinder.
Warum der Sonntag so heißt? Weil in den ersten Generationen der christlichen
Gemeinde der Ostermorgen ein wichtiger Tauftermin war - da wurden Kinder zur
Taufe gebracht und Erwachsene wurden getauft, solche, die zum Glauben an
Christus gefunden hatten und die es nun öffentlich sagten: Jesus ist mein Herr. Und
alle, die an Ostern getauft wurden, die kamen an diesem Sonntag noch einmal mit
ihren weißen Taufkleidern zum Gottesdienst - sie waren wie neugeborene Kinder darum heißt der Sonntag "Weißer Sonntag" bis heute. In katholischen Kirchen feiern
Kinder die Erstkommunion in Erinnerung an die Taufe.
Und es ist gut, sich zu erinnern: ich bin getauft!
Nun kann jemand heute mit recht sagen: Moment mal, meine Eltern haben mich als
Säugling halt wie volkskichlich üblich an den Taufstein gebracht, und der Pfarrer hat
mit ein paar Tropfen Wasser die Kinderhärchen benetzt - davon wird ein Mensch
nicht neu und nicht weiß – oder? Da muss mehr dahinter stecken. Was denn?
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Sehen wir es bei denen, an die Paulus den Brief schreibt. Die Christen in Kolossä
waren früher Heiden. Sie glaubten an Zeus, verehrten die ägyptische Isis oder den
persischen Mithras. Eine bunte, unübersichtliche Götterwelt. Dazu die Furcht vor
Mächten und Dämonen. Eine Menge Geheimlehren über Sterne und Schicksalskräfte
waren im Schwang.
Wenn nun Leute in diesem multireligiösen Gebrodel Christen wurden, dann
bedeutete das einen Bruch mit ihrem bisherigen Leben.
Sie hörten von Jesus - wie er auf die Erde kam, wie er ein Kind wurden, wie er zu
Menschen kam, auch zu verachteten und ungeliebten, wie er sich selbst verachten
ließ, verhaften, ans Kreuz schlagen, begraben. Bis ihn dann Gott aus dem Tod
auferweckte und in ein neues Leben rief.
Diesen Weg von Jesus kann man mit einer Kurve beschreiben - einem Hinabsenken
nach unten und wieder nach oben Kommen. Wenn ursprünglich meistens erwachsene Leute getauft wurden, dann haben sie diese Bewegung im Taufbecken
mitgemacht - hinuntergetaucht und wieder nach oben gekommen; das war ein
zeichenhafter Vorgang – er bedeutet: In der Taufe gehe ich den Weg von Jesus mit,
mein Weg gehört jetzt mit dem Weg von Jesus Christus zusammen. Mein Leben ist
mit Jesus Christus verbunden. Das ist – so will Paulus zeigen – das ist die neue
Identität, die ihr habt: Die Taufe ist das äußere Zeichen dafür, dass ihr zu Jesus
Christus gehört.
Und wer das annimmt und sagen kann: Ich gehöre zu Jesus - der ist ein neuer
Mensch.
Mit ihm verbunden – drei Mal kommt es am Anfang des Bibeltextes vor: dieses „mit
ihm“ - und bei allem Fragen: Wer bin ich? – spielt das eine große Rolle: Ich – mit ihm:
Wie Jesus ein Kind wurde, so bin ich ein Kind Gottes, wunderbar geschaffen und
unendlich geliebt. Wenn jemand, was es ja viel zu oft gibt, wenn jemand sagen
muss: Meine Eltern haben mich nicht gewollt und kaum geliebt - dann gilt es
dennoch: Ich bin der geliebte Mensch, von Gottes grenzenloser Liebe umgeben und
mit Christus verbunden.
Und wie Christus nach seinem Tod begraben wurde, so wird mein altes Leben
begraben. Das alte Leben beschreibt Paulus so: Ohne Christus wart ihr tot in den
Sündern.
Aber jetzt sind wir mit ihm verbunden.
Mit ihm Gottes Kind.
Mit ihm begraben.
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Und wie Jesus aus dem Tod in ein neues Leben auferstand, so sind wir als Getaufte
in einem neuen Leben - wir gehören jetzt nicht mehr irgendwelchen Göttern oder
Mächten und Gewalten, die uns Angst machen können; sondern wir sind mit Jesus
zusammengeschlossen, er lebt jetzt, so kann der Getaufte sagen - er lebt in mir - ich
bin mit Christus verbunden - und darum habe ich eine neue Identität: Ich bin auf
seinen Namen getauft, bin sein Eigentum - und das heißt: Ich bin Christ.
Ist das nun bloß Gerede? Nur so dahingesagt? Nein, ganz und gar nicht. Sondern
das wirkt sich aus in einem Leben. Und zwar ziemlich deutlich. Hier beschreibt
Paulus zwei praktische Vorgänge in starken Bildern. Es geht dabei um die beiden
Bereiche: meine Schuld und meine Ängste.
Zuerst: Wenn ich mit Christus verbunden bin, dann muss ich nicht mit allem in
meinem Leben selbst fertig werden – erst recht nicht mit allem, was mich in der
Vergangenheit belastet. Alles, was mich anklagen will, alles, wo ich mich selber
schuldig weiß, alles, was andere an Verletzungen erfahren haben, und vor allem:
alles, worin ich Gott gegenüber schuldig bin – das muss nun nicht mehr bei mir sein.
Sondern Gott hat was damit gemacht: Er hat das alles genommen und ans Kreuz
genagelt - und das wurde von Jesus mitgenommen in seinen Tod.
Ich habe das manchmal schon in Jugendgottesdiensten bildhaft erlebt: Da stellen wir
ein großes Holzkreuz vorne hin, und dann konnten alle Mitfeiernden auf Zettel
schreiben, was sie belastet an Gewesenem, an Ungelöstem, Verbogenen, an Schuld
gegenüber Gott und Menschen. Und dann kamen sie nach vorne und hefteten ihre
Zettel an das Holzkreuz – und das wurde immer mehr voller solcher Papiere, und wir
trugen dann am Ende des Gottesdienstes das Kreuz hinaus und zündeten es vor der
Kirche an – das Kreuz mitsamt aller Zettel. Alles verbrannte.
Ein solches Bild nimmt Paulus hier auf: Gott hat den Schuldbrief getilgt, der mit
seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz
geheftet. Was gegen uns war ist nun nicht mehr da – es ist mitgenommen von Jesus
in seinen Tod. Mit ihm gestorben.
Wenn es also wieder mal Reibereien gibt in zwischen Menschen - dann wäre es das
alte Leben, jetzt im Trotz zu warten und zu sagen: Der andere ist schuld und ich hab
immer recht, und dann in Selbstmitleid dahinzuschmoren. Das wäre das alte Leben.
Wenn ich aber getauft bin und glaube, dann kann ich sagen: Jetzt hänge ich auch
diese Reiberei an das Kreuz Jesu, nagle es richtig an - auch meine egoistischen
Auswüchse und wo ich anderen wehgetan habe - und Jesus nimmt das dann mit in
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seinen Tod, es ist dann gestorben - und darum kann ich dann mit diesem
Mitmenschen neu anfangen und sagen: Komm, Vergebung!
Wenn Jesus das mitgenommen hat, dann muss es mich nicht mehr belasten. Und
das ist etwas, was wir als Christen jeden Tag überlegen können: Was möchte ich in
Gedanken ans Kreuz nageln, was soll Jesus mit in die Tiefe seines Todes nehmen?
Was soll mit Jesus gestorben sein?
Und das andere Bildhafte, das Paulus nennt, hat mit unseren Ängsten zu tun.
Ohne Gott merken Menschen oft, wie Ängste einen packen können und Sorgen
einen am Wickel haben.
In Kolossä gab es wie im ganzen riesigen römischen Reich eine multireligiöse Szene,
durchwoben von der Angst vor irgendwelchen Kräften und Mächten, die doch
irgendwie den Lebensweg bestimmen könnten. Sagen wir nicht, wir wären da heute
nur aufgeklärt und weit weg von solchen Ängsten. In habe in der letzten Woche zwei
Hotels erlebt. In einem stand eine buddhistische Figur. In vielen Wellness-Landschaften sind solche zu finden – als ob Entspannung nur mit östlicher Religiosität
denkbar ist. Manche Hotels fahren voll auf Esoterik ab mit Pyramiden, Heilsteinen,
Horoskop und anderem. Ganz anderes ein Hotelier, der vorgestern ein neues
Gebäude einweihte und mich bat, ein Segensgebet zu sprechen. Er sagte mir dann:
Wir leben aus Gottes Güte. Daran orientiere ich mich. Wer bin ich? – Ein Christ!
Viele Menschen leben mit der Angst, ihr Leben könnte einmal nicht mehr gehalten
sein und ins Nichts zerrinnen. Darum haben sie Angst vor Krankheit, fürchten sich
vor dem Altwerden und wissen nicht, welche Kräfte und Mächte ihr Schicksal
bestimmt.
Da ist es nun ein starkes Bild, das Paulus im letzten Vers bringt:
Gott hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau
gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.
Wenn es im römischen Reich mal wieder irgendwo Krieg gab und einen Sieg, dann
kehrte der siegreiche Feldherr von der Schlacht zurück und zog im Triumphzug in
eine Stadt ein – und in diesem Zug sah man auch Gefangene, nicht mehr in
Kriegsrüstung, sondern fast nackt, gefesselt, erniedrigt und zur Schau gestellt. Nun
ist das für uns ein fernes Bild. Hoffen, beten und wirken wir dafür, dass Kriege
aufhören, dass nicht mehr Menschen meinen, andere Menschen erniedrigen zu
müssen.
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Aber Paulus drückt im Bild des römischen Triumphzugs aus: Indem Jesus starb und
auferstand, ist er auch Sieger über all die Mächte und Kräfte, die uns Angst machen
wollen. Wenn ich mit dem Auferstanden verbunden bin, dann haben sie keine Macht
mehr über mich. Sie sind von Gott entkleidet, sind gefesselt. Das bedeutet Ostern:
Jesus geht als Sieger voraus.
Wer bin ich?
Bonhoeffer hat in seinem Gedicht am Ende geschrieben:
Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!
Genau das meint Paulus. Wer bin ich? Antwort: Quasimodogeniti - ein Kind Gottes,
durch ihn neu gemacht.
Ich gehöre zu Christus. Kurz: Ich bin ein Christ.
Das ist so kurz und gut, dass ich es immer wieder weitersagen kann – zuhause,
wenn‘s mal reibt. In der Arbeit, wenn’s mal stresst. Auf der Königsstraße, wenn der
Koran verteilt wird. Am Krankenbett, wenn Sorgen bewegen. Und mir selbst jeden
Tag. Wer bin ich? Ein Christ. Christus sei Dank.
Amen
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