Exegese NT - bei Cremisan
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Exegese NT - bei Cremisan
FAKULTÄTSVERTRETUNG THEOLOGIE DER KARL FRANZENS UNIVERSITÄT GRAZ Exegese NT Die Apostelgeschichte - Das frühe Christentum aus der Sicht des Lukas Christoph Heil Verfasst von Stefan Kopp Alle Rechte, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. 1 Die Apostelgeschichte 1 1-3 Einleitung 4-11 Letzte Weisungen Jesu. Die Himmelfahrt 12-14 Die Gruppe der Apostel 15-26 Die Wahl des Matthias an die Stelle des Judas 2 1-13 Pfingsten 14-36 Predigt des Petrus an die Menge 37-41 Die ersten Bekehrungen 42-47 Die erste Christengemeinde 3 1-10 Die Heilung des Gelähmten 11-26 Die Predigt des Petrus an das Volk 4 1-22 Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat 23-31 Gebet der Apostel in der Verfolgung 32-35 Die erste Christengemeinde 36-37 Die Freigebigkeit des Barnabas 5 1-11 Der Betrug des Hananias und der Saphira 12-16 Gesamtbild 17-21a Verhaftung und Befreiung der Apostel 21b-33 Vor dem Hohen Rat 34-42 Der Rat des Gamaliël 6 1-7 Die Einsetzung der Sieben 8-15 Die Verhaftung des Stephanus 7 1-53 Die Rede des Stephanus 54 - 8,3 Die Steinigung des Stephanus. Der Verfolger Saulus 8 4-8 Philippus in Samaria 9-25 Simon der Zauberer 26-40 Philippus tauft einen Eunuchen 9 1-19a Die Berufung des Saulus 19b-25 Predigt des Saulus in Damaskus 26-30 Saulus in Jerusalem 31 Periode der Ruhe 32-35 Petrus heilt einen Gelähmten in Lydda 36-43 Petrus erweckt eine Tote in Joppe 2 10 1-8 Vision des römischen Hauptmann Kornelius 9-16 Vision des Petrus 17-23 Petrus wird von den Gesandten des Kornelius eingeladen 24-33 Petrus kehrt bei Kornelius ein 34-43 Rede des Petrus im Haus des Kornelius 44-48 Die Taufe der ersten Heiden 11 1-18 Rechtfertigung des Petrus in Jerusalem 19-26 Gründung der Gemeinde von Antiochia 27-30 Barnabas und Saulus als Beauftragte nach Jerusalem 12 1-5 Die Hinrichtung des Jakobus und die Verhaftung des Petrus 6-19a Die wunderbare Befreiung des Petrus 19b-23 Der Tod des Königs Herodes Agrippa († 44 n. Chr.; seit 41 König von Judäa und Samarien) 24-25 Barnabas und Saulus wieder in Antiochia 13 1-3 Die Aussendung 4-12 In Zypern. Der Zauberer Elymas 13-15 Ankunft in Antiochia von Pisidien 16-43 Die Predigt des Paulus vor den Juden 44-52 Die Hinwendung zu den Heiden 14 1-7 Verkündigung des Evangeliums in Ikonion 8-20 Heilung eines Gelähmten 21-28 Ende der Mission 15 1-4 Streitfrage in Antiochia 5-7a Streitfrage in Jerusalem 7b-12 Die Rede des Petrus 13-21 Die Rede des Jakobus 22-29 Das Schreiben der Apostel 30-35 Die Abgesandten in Antiochia 36-41 Paulus trennt sich von Barnabas und wählt Silas als Begleiter 16 1-5 In Lykaonien. Paulus wählt Timotheus als Begleiter 6-10 Durch Kleinasien 11-15 Ankunft in Philippi 16-24 Gefangennahme des Paulus und Silas 25-40 Wunderbare Befreiung der Missionare 3 17 1-9 In Thessalonich. Schwierigkeiten mit den Juden 10-15 Neue Schwierigkeiten in Beröa 16-21 Paulus in Athen 22-34 Rede des Paulus vor dem Areopag 18 1-11 Gründung der Gemeinde von Korinth 12-17 Paulus von den Juden vor Gericht angezeigt 18-22 Rückkehr nach Antiochia 23 Aufbruch zur dritten Missionsreise 24-28 Apollos 19 1-7 Die Johannesjünger von Ephesus 8-10 Gründung der Gemeinde von Ephesus 11-20 Die jüdischen Beschwörer 21-22 Die Pläne des Paulus 23-40 In Ephesus. Der Aufruhr der Silberschmiede 20 1-6 Paulus verlässt Ephesus 7-12 In Troas. Paulus erweckt einen Toten 13-16 Von Troas nach Milet 17-38 Abschied von den Ältesten der Gemeinde von Ephesus 21 1-14 Die Reise nach Jerusalem 15-26 Ankunft des Paulus in Jerusalem 27-40 Die Gefangennahme des Paulus 22 1-21 Verteidigungsrede des Paulus vor den Juden von Jerusalem 22-29 Paulus, römischer Bürger 30 - 23,11 Vor dem Hohen Rat 23 12-22 Verschwörung der Juden gegen Paulus 23-35 Überführung des Paulus nach Cäsarea 24 1-9 Die Verhandlung vor Felix 10-21 Rede vor dem römischen Statthalter Felix (52–60 n. Chr.) 22-24 Die Gefangenschaft des Paulus in Cäsarea 25 - 25,12 Paulus legt Berufung an den Kaiser ein 25 13-27 Paulus wird dem König Agrippa II. vorgeführt 26 1-23 Rede des Paulus vor dem König Agrippa II. 24-32 Eindruck auf die Hörer 27 1-13 Die Abfahrt nach Rom 4 14-44 Sturm und Schiffbruch 28 1-10 Aufenthalt in Malta 11-15 Von Malta nach Rom 16-22 Ankunft in Rom. Kontaktaufnahme mit den Juden 23-29 Erklärung des Paulus vor den Juden von Rom 30-31 Nachwort 5 Inhalt und Ziele der Lehrveranstaltung (Prof. Heil): Auf seine Jesus-Erzählung lässt der Literat, Historiker und Theologe Lukas eine Spezialgeschichte folgen, in der er die missionarische Entfaltung der jungen Kirche in Verbindung mit zwei überragenden Persönlichkeiten, Petrus und Paulus, darstellt. Seinem gebildeten hellenistischen Publikum deutet Lukas die frühkirchliche Geschichte, um die daraus abzuleitende christliche Identität defensiv festzulegen, aber auch offensiv zu vermitteln. Die Betonung der Kontinuität mit dem vorösterlichen Jesusgeschehen wie mit Israel und seiner Heiligen Schrift verbindet Lukas mit dem Anliegen der Inkulturation des Glaubens in seine eigene Umwelt. Bei der historisch-kritischen Auslegung von Teilen dieses aktuellen Buches wollen wir besonders der narrativen Theologie des Lukas nachgehen und sie im Vergleich mit Zeugnissen aus seiner religiösen und sozialen Umwelt profilieren - immer auch mit Blick auf Möglichkeiten der heutigen Vermittlung. Inhalt: In der Vorlesung werden nach der Besprechung der Einleitungsfragen zur Apostelgeschichte exemplarisch folgende Texte ausgelegt: Apg 2; 6 f.; 10,1–11,18; 13,14-52; 15,1-35; 17,16-34; 20,17-38; 24; 28,16-31. Wichtige Basis-Lektüre zur Vorlesung: Schnelle, Udo: Einleitung in das Neue Testament (4. Auflage), 305-323. Conzelmann, Hans/Lindemann, Andreas: Arbeitsbuch zum Neuen Testament (14. Auflage), 348-360. 6 Einleitungsfragen zur Apostelgeschichte: Lukasevangelium und Apostelgeschichte: große sprachliche und theologische Übereinstimmungen – wahrscheinlich gleicher Verfasser (Lukas) Lukas – Symbol: Stier (vgl. Offb 4,1-11) [Symbole für Evangelisten: Markus – Löwe; Matthäus – Mensch; Lukas – Stier; Johannes – Adler] – erstmals bei Irenäus von Lyon (140-200 n. Chr.) auf Evangelisten angewandt! Hatte Lukas für die Apostelgeschichte Paulusbriefe als Quelle? – umstrittene Frage! Jedenfalls kommt Paulus in der Apg nie als Briefschreiber vor. War Lukas eventuell Begleiter des Apostels Paulus? Die neuere Forschung (60er und 70er Jahre) beantwortet diese Frage eher mit NEIN. Textüberlieferung: - Papyrus 45 (enthält Apg 4-17) - Codex Sinaiticus - Es gibt einen Alternativtext zu Apg: Codex Bezae Cantabrigiensis D 05 (enthält Evangelien + Apg und ist um ca. 9% oder 800 Worte länger als übrige Codices/Papyri) - Anfang des 20. Jahrhunderts wurde D 05 von der Exegese bevorzugt behandelt, heute umstritten! - Ägyptischer Standardtext (Codices und Papyri: heute in Standardausgaben verwendet – z. B. Nestle-Aland): enthält in Apg 15,20 jüdisch-rituelle Tabus, die im westlichen Text weggelassen wurden. - Westlicher Text (längerer Text): Heidenchristliche Perspektive stärker herausgearbeitet; Trennung von Christen und Juden scheint schon Realität zu sein; Westlicher Text enthält statt rituellem einen ethischen Sinn (vgl. Goldene Regel)! [Entstehung ca. im 2./3. Jahrhundert in Kleinasien/Syrien; diese Textform wurde auch von den Kirchenvätern verwendet] - Weitere Unterschiede der Textformen: 7 Apg 13,27f.: Abweichungen (in D – Text wird bei der Hinrichtung Jesu die Aktivität der Juden stärker betont = antijüdische Tendenzen!) Apg 16,30: D – Text hat Angst vor anarchischer Befreiung – wirkliche Verbrecher bleiben im Gefängnis! Apg 18,26: Priszilla, Aquila (D – Text dreht die Reihenfolge um und stellt den Mann an die erste Stelle) - Insgesamt: Codices jünger als Papyri – erst als die Papyri entdeckt wurden, wurde der ägyptische Text zum Standardtext (19. Jh.) – das zeigt die historische Relativität der Textkritik! Einteilung der Apg: 1-12: Petrus; 13-28: Paulus = ältere Einteilung, welche nur bedingt zutrifft! (Problem: ab Apg 13 ist Paulus nicht nur Hauptakteur – z. B. Apg 15: Paulus schweigt!) Heute wird (ausgehend von Apg 1,8) einer geographischen Gliederung der Vorzug gegeben: 1 - 7: Jerusalem 8 - 12: Samaria, Judäa, Antiochia, Kleinasien 13-28: Heidenmission bis Rom Oder noch zutreffender und schlüssiger: 1 (1,1-14) Einleitung 2 (1,15) - 8,3 bis zur Steinigung des Stephanus (Jerusalem) 8,4 - 15,35 Mission in Samaria, Judäa, Antiochia, Kleinasien 15,36 - 28 Heidenmission bis Rom – Beginn der Mission bis an die Enden der Erde Wichtig: drei Sammelberichte (Apg 2, 4 und 5) Apg 2,42-47 Die erste Christengemeinde Apg 4,32-35 Die erste Christengemeinde Apg 5,12-16 Gesamtbild Weitere wichtige Stellen: Apg 10 und 11: erste Heidenbekehrung 8 Apg 13 und 14: erste Missionsreise (Barnabas und Paulus) Apg 15,41 – 18,22: zweite Missionsreise (Paulus alleine) Apg 18,23 – 21,26: dritte Missionsreise (endet mit Kollektenabgabe in Jerusalem) Apg 15,36-41 und Gal 2,11-21: Trennung von Paulus und Barnabas (theologische Gründe – Rechtfertigung …) Ab Apg 15,36 geht der Weg konsequent nach Rom! Quellen, Traditionen, historische Zuverlässigkeit, Gattung der Apg: Lukas verwendet Quellen – Spannungen: Lukas verwendet Apostelbegriff exklusiv für „die 12“! (Barnabas und Paulus sind für ihn keine Apostel, vgl. aber Apg 14,4 – doch einmal Apostelbegriff) Adolf von Harnack: Drei-Quellen-Theorie - Quelle A aus Jerusalem bzw. aus Caesarea - Historisch minderwertige Quelle B - „Antiochenische Quelle“ (Quelle C) Nach Dibelius ist exakte Quellenscheidung unmöglich (heute Konsens darüber)! Bei Lukas muss man immer beide Werke (Evangelium und Apg) im Auge haben. 1/3 der Apg sind Reden. Die neuere Forschung gibt den Reden keinen eigenen Quellenwert, sondern man geht davon aus, dass Lukas das Geschehen mittels Reden dramatisiert (vgl. andere antike Autoren). Es gibt: - Missionsreden an Juden - Missionsreden an Heiden (Apg 17) - Verteidigungsreden (Paulus - Gefangenschaft) Petrusreden und Paulusreden sind inhaltlich uniform, was bei historisch protokollierten Reden nicht der Fall wäre. Petrus war kein Theologe und konnte daher keine schriftgelehrte Rede halten (vgl. auch Petrusbriefe). Kenntnis der Paulusbriefe durch Lukas? Lukas gibt immer exakte historische Bestimmungen und bringt viele Details. Er erwähnt aber Paulus an keiner Stelle als Briefschreiber, was vermuten lässt, dass 9 ihm die Paulusbriefe eher nicht bekannt waren. Sonst hätte er sie wahrscheinlich als Historiker verwendet. Außerdem ist er wahrscheinlich mehr an der Person und am Werk des Paulus, aber weniger an seinen theologischen Aussagen in den Briefen interessiert, denn der Theologe Paulus war für die Geschichte der frühen Kirche nicht so wichtig, vielmehr sein Wirken als Missionar! Die vier „Wir-Berichte“ (Apg 16,10-17; 20,5-15; 21,1-18; 27,1-28,16) beschreiben jeweils Reisen. In der Alten Kirche sah man darin Augenzeugenberichte des Lukas als Paulusbegleiter. Aber Frage: Warum Wechsel vom „Wir“ zur dritten Person nach der Ankunft? Lukas zählt sich im Prolog des Evangeliums nicht zu den Augenzeugen seiner Berichte! Er hätte es bestimmt erwähnt, wenn er Paulusbegleiter gewesen wäre. Erklärung von Schleiermacher: Lukas verwendete Quelle, die in Wir-Form überliefert war – Einbau eines „Itinerars“ in die Apg Aber: Warum lässt Lukas den stilistischen Bruch bestehen? These: Lukas wollte stilistische Abwechslung und Authentizität (Lk komponiert diese Stellen selbst). Wahrscheinlichere Erklärung (laut Prof. Heil): Lukas erfindet nichts, er hat Quellen. So könnte man eine Reiseprotokoll-Quelle im „Wir-Stil“ vermuten! Aber: Eine genaue Quellenidentifikation ist in der Apg nicht durchführbar. Frage der historischen Zuverlässigkeit: Dibelius, Haenchen, Conzelmann: Anteil der Fiktion hoch Hengel, Jervell: Lukas als konservativer Redaktor, der nicht viel Fiktion bringt Frage der Gattung: Apg als historisch-biographischer Bericht umstritten! Eher: biographischer Roman (Richard Pervo 1987) - ähnlich der apokryphen Apostelakten - ähnlich antiken Liebesromanen oder antiker Unterhaltungsliteratur Form steht im Dienst des (theologischen) Inhalts; die Apg beschreibt die Entstehung eines neuen Volkes (Juden – Heiden – Christen) – das heißt: Die Apostelgeschichte 10 geht in Richtung politischer, apologetischer oder institutioneller Geschichtsschreibung! (Beschreibung der Institution der Ekklesia?) Prof. Heil sieht die Apostelgeschichte am ehesten als Apologie und als Ansatz zur Identitätsschaffung für die Gemeinden. Marianne Bonz (2000): Apg als Gründungsepos (eher fraglich) Adressaten und Zweck der Apg: Die dritte Generation am Ende des ersten Jahrhunderts war mehrheitlich heidenchristlich. Lukas fördert in der Apg die Rückbindung der Gemeinde an das vorösterliche Jesusgeschehen, an Israel und seine Heilige Schrift (dagegen wollte Marcion das Christentum aus der griechisch-philosophischen Tradition bilden; auch bei der Gnosis ist der historische Jesus ausgeblendet!). Lukas will den historischen Jesus defensiv apologetisch festlegen und apologetisch offensiv vermitteln. Der Verfasser der Apostelgeschichte war offenbar ein Heidenchrist mit guten Kenntnissen des Judentums. Das genuin Jüdische ist bei ihm aber nicht mehr zu spüren – soteria ist auf die Heiden übergegangen! Ort der Abfassung: vielleicht Kleinasien (zwischen 90 und 100 n. Chr.) [vgl. Lk 8,26: Lukas verortet Gerasa falsch – er kann nicht aus Palästina stammen / in Lk 12,55 beschreibt er den Südwind (Wind aus der Sahara) wie ein Kleinasiat / in Lk 17,11: Samaria und Galiliäa umgedreht] Der Verfasser: Phlm 24; Kol 4,14 (Lukas als Arzt – umstritten); 2Tim 4,10f. [Etwas zugespitzte Randnotiz: „Konservativer Flügel“ der frühen Kirche: Jakobus „Liberaler Flügel“ der frühen Kirche: Paulus „Mitte“ der frühen Kirche: Petrus] 11 Apg 2 (Pfingstwunder – Pfingstpredigt des Petrus – die frühe Gemeinde): Kontext: 1,1-3: Rekapitulation des Lukas – Hinweis auf sein Doppelwerk (Evangelium + Apg) - Anknüpfung an den Schluss des Evangeliums Lk 24,50-53: Himmelfahrt – Apg 1,9-11 noch einmal Lukas erzählt gerne dasselbe Ereignis mehrfach (so zum Beispiel auch die Bekehrung des Paulus vor Damaskus in Apg 9, 22 und 26). Apg 1,15-26: Wahl des Matthias – Vorbereitung auf Pfingsten - 120 Anwesende (Zahl, um bei den Juden Rat zu halten) - dann: erste der acht Reden des Petrus (Betonung der heilgeschichtlichen Prädestination und der menschlichen Verantwortung: das entspricht der antiken Dialektik, durch welche das Zusammendenken von Schicksal und menschlicher Verantwortung gelingt – das heißt: die menschliche Verantwortung wird nicht abgesprochen!) Apg 1,20: Psalmen zitiert Apg 1,21-22: Kriterium der Apostolizität für Lukas: Augenzeugenschaft Losung des zwölften Apostels – im Judentum wurden oft wichtige Ämter durch Los entschieden. Die Apostel sind die Führer Israels und repräsentieren die zwölf Stämme Israels, die Gemeinden die 120. Apg 2: Vier Teile: 1. Pfingsten: 1-13 2. Missionsrede des Petrus: 14-36 (weitere Gliederung in drei Teile: jeweils Männer von Judäa als Anrede)* 3. Erste Bekehrungen: 37-41 4. Erster Sammelbericht: 42-47 *Form: Missionsreden als eigene Gattung (vgl. 3,12-26; …) - immer ähnlicher Aufbau: Situationsanknüpfung; Schuld der Juden; Auferweckung - Kontrastschema: Ihr habt getötet – Gott auferweckt - Umkehr einiger Menschen zu Christus 12 - durchgängig lukanische Verfasserschaft und nicht historische Protokolle Apg 2,1-13 = Pfingstfest: V 1: feierlicher Beginn („als sich erfüllte der Tag …) [vgl. feierlicher Beginn des lukanischen Reiseberichtes] - wichtige heilsgeschichtliche Station der Erfüllung der Verbreitung des Hl. Geistes Pfingsten: Ex 23,14-16 Wochenfest – sieben Wochen nach dem Pessachfest – man zog nach Jerusalem (griechische Juden nannten es Pentecoste!) Ex 19/20: Brausen, Wetterleuchten wie bei Pfingsten – Pfingsten als Fest der Bundeserneuerung – neue Tora in Christus (?) wird von einigen Exegeten vertreten! Pfingsten = Geburtsfest der Kirche, Geistausgießung, Feier der Kirchengründung V 2-4: Zungen und Feuer (vgl. Lk 3,16 – Johannes) V 4: Heiliger Geist (pneuma hagion) – zentraler Begriff bei Lukas (45 Belege im lukanischen Doppelwerk): Geist = Subjekt der Heilsgeschichte Der Hl. Geist führt in der Apg und vertritt somit den historischen Jesus! V 4: Glossolalie Paulus lehnt Glossolalie (1Kor 12,10; 14,5) eher ab, da sie Interpretation braucht. Lukas sieht Glossolalie als positives Attribut der geistbegabten Gemeinde (Apg 10,46 oder 19,6)! V 5-13: Reaktion der Jerusalemer V 5: Jerusalem hebräisch geschrieben (erst ab Kap. 13 mehrheitlich griech. Form) gr. eulabeis = fromme Juden gr. theosebeis = Gottesfürchtige V 6: vgl. Genesis 11,1-9 Zerstreuung - Kirche beendet die babylonische Sprachverwirrung! V 7: Galiläer am Dialekt erkannt (aramäischer Dialekt) V 8-11: Völkerliste von Osten nach Westen und von Norden nach Süden (Diasporajuden) V 11: Proselyten = Konvertiten (und nicht Gottesfürchtige!) 13 V 13: Verdacht der dionysischen Orgie Apg 2,14-36 = Missionsrede des Petrus: V 14: Rede meist an kritischen Punkten als Interpretation - Richtigstellung: nicht betrunken, erst 9 Uhr vormittags! V 16 ff.: Joel – Zitat (Joel 3,1-5 aus der Septuaginta) - Jüdische Schriftauslegung: Gegenwart durch Hl. Schrift interpretiert, Aktualisierung einer AT – Stelle (Zitat und aktualisierender Kommentar) - letzte Tage: 33 Mal in Qumran Rollen – Erfüllung am Ende der Heilsgeschichte; Geistbegabte als Propheten (von Lk hinzugefügt!) V 19: geistbegabter Prophet erweist sich durch Wunder und Zeichen (vgl. Moses, Jesus …) V 22-24: kerygmatischer Teil: Bedeutung von Jesus Christus erklärt! Basisbotschaft = Christologie Für Lukas ist wichtig, dass das Kerygma im historischen Jesus fundiert ist (ebenso für Matthäus!). [Zusammenfassende Randbemerkung: Paulus und Johannes betreiben eine „Christologie von oben“ (d. h. im Zentrum ist der Auferstandene), während Lukas und Matthäus eher eine „Christologie von unten“ fördern (d. h. im Zentrum ist eher der historische Jesus).] V 23: Kontrast: Gesetzlose versus Gott - Gottes Wille versus Willensfreiheit der Menschen (gleichzeitig gedacht) - Auferstehung: Glaube/Unglaube = Scheidungspunkt der Geister - klare Schuldzuweisung an die jüdischen Autoritäten! V 24: Zentrum für Lukas = Auferweckung Jesu V 25: Psalmen: ursprünglich masoretischer Text; LXX hat manches neu interpretiert! V 25-28: Psalm auf Christus bezogen Paulus verwendet in Apg 13 nochmals diesen Psalm. Lukas legt ihn als Begründung für die Auferstehung Petrus und Paulus in den Mund! V 29: Patriarchengräber in Hebron – David ist gestorben Christus ist der, der auferweckt wird = der davidische Messias! V 29-36: Schriftbeweis (Ps 16 erklärt) V 30: David redet als Prophet auf Christus hin! 14 V 32: Auferweckung in ältester Form immer theozentrisch ausgesagt („wird auferweckt“) – Jesus wird an dieser Stelle noch ganz untergeordnet unter Gott – Jesus eher nur als Sohn gesehen (ohne klar göttliche Natur) – erst bei Johannes und Paulus: erste Entwicklung zu Trinität! V 32: vgl. mit Apg 3,15 und 10,39: Kriterium der Apostolizität = Augenzeugenschaft der Auferstehung! V 33: Erhöhung = biblisches Bild für die Auferweckung V 34-35: Schriftbeweis: nicht David wurde erhöht, sondern von Christus ist die Rede! V 36: Gewissheit (vgl. Lk 1,1-4) Gottes Handeln als Kontrast zum Handeln Israels! Apg 2,37-41 = Erste Bekehrungen: V 37: Was sollen wir tun? (vgl. Lk 3,10-14; 16,1-8) = typisch für Lukas: ethische Ausrichtung! V 38: Struktur der Antwort des Petrus: 1. Umkehr des Geistes (vgl. Johannes der Täufer) 2. Taufe auf den Namen Christi 3. Vergebung der Sünden 4. Gabe des Geistes Aber: andere Struktur wie Apg 10 (Kornelius-Episode) – dort findet sich folgende Struktur: 1. Geist 2. Taufe 3. Vergebung Erklärung: eventuell Parallelisierung der Kornelius-Episode mit dem Pfingstereignis (Apg 10 als zweites Pfingsten) V 39: Verheißung für Nachkommen und Heiden – Universalisierung (Ferne – typisch für Lukas – vgl. verlorener Sohn) V 40: Ermahnung – „diese Generation“ V 41: 3000 Neue – Gemeinde wächst (vgl. Apg 21,20) Apg 2,42-47 = Erster Sammelbericht: = romantischer Bericht über die Gemeinde V 42: didache und koinonia 15 Lukas stellt die Gemeinde als ideale Gütergemeinschaft dar: Jüdisch: Qumran – Gütergemeinschaft (vgl. Josephus, Plinius) Griechisch: Platons „Politeia“, Pythagoräer Aber: Gütergemeinschaft entspricht nicht der radikalen (Bettel-) Armut des historischen Jesus! Lk 19: Zachäus muss nur die Hälfte hergeben – Lukas schwächt Armut etwas ab! Zur Theologie in Apg 2: [Dissertation von Kardinal Degenhart: Lukas als Evangelist der Armen Andere Meinung: Lukas als Vertreter prinzipieller Gleichheit Insgesamt: nicht nur Unterschicht-Perspektive, sondern Lk spricht auch Reiche an!] ▪ Für Lukas ist Theologie Schriftauslegung (auch für Thomas, Augustinus, …): Beweise über die Schrift geführt! ▪ Zentralität Jesu: Jesus hält alles zusammen – Geschick Jesu wird von den Aposteln fortgeführt und wiederholt! ▪ Bedeutung des Heiligen Geistes als Gabe Jesu bis er wiederkommt (nach Paulus die erste Rate der Auferstehung) – Hl. Geist ist Personifikation Gottes wie Jesus! ▪ Apostel als prophetische, spirituelle Männer charakterisiert – d. h. Amtsträger auch Charismatiker – Neid der jüdischen Führer auf deren Erfolg – Neues Israel ersetzt Schritt für Schritt die alten Autoritäten – Problem des christlich-jüdischen Dialogs! (Lk hat spezifische Pharisäerpolemiken – Versagen des Hohen Rates hervorgehoben – deutet auf hochemotionale Streitsituationen damals hin!) 16 Apg 6 und 7 (Wahl der sieben „Armenpfleger“ – Stephanus vor dem Hohen Rat – Rede des Stephanus – Steinigung des Stephanus): Kap. 3-5: Wirksamkeit der Apostel in Jerusalem; vor Hohem Rat; Rede des Gamaliel (- man kann Gottes Handeln nicht verhindern!) Kap. 6-7: griechisch-sprachige Judenchristen – Judäa und Antiochien, dann Samaria-Mission! Wahl / Einsetzung der Sieben und Stephanus vor dem Hohen Rat (Kap. 6): V 1-7: Die Sieben waren nicht Diakone in unserem heutigen Sinn. V 1: Exposition, Vermehrung der Gemeinde V 2-6: Wahl/Einsetzung (Bestellung der Sieben hat AT-Vorbilder: z. B. Ex 18,17-23) V 7: Zusammenfassung V 8-15: Verhaftung/Anklage eines der Sieben (Stephanus) In Kap. 6 führt Lukas den historischen Kern aus (vgl. Namen und Gruppen genannt). Es gab vermutlich durch Sprachgrenzen Fraktionsbildungen der Urgemeinde (griechisch und hebräisch). Hiermit handelte es sich aber um griechisch- und hebräisch sprachige Judenchristen (Heidenchristen erst ab Kap. 10!) V 2: Wortverkündigung gegen Tischdienst 12 – Logos 7 – Tischdienst Lukas definiert Apostelamt mit Verkündigung (vgl. Apg 5,42) – als Ergänzung braucht es aber ein weiteres Amt! V 3: Wer ist das Subjekt, welches überträgt? – ekklesiologische Fragestellung! Antwort der katholischen Exegese: die zwölf Apostel Antwort der evangelischen Exegese: eher die Gemeinde (Amt aus der Gemeinde!) – auch in Bezug auf Paulus zu sehen! V 5: die Sieben: alles Griechen, nur ein Proselyt! V 6: Wer legt die Hände auf? Apostel oder Gemeinde; eher Apostel (bei Lk) V 7: redaktionelles Summarium: auch Priester werden gläubig – Verweis auf Herkunft 17 aus dem Judentum! V 8: Stephanus der Charismatiker V 9: Synagoge der Libertiner (= Juden, die vorher Sklaven waren und freigelassen wurden): große Zahl; oft Pädagogen, Verwalter, Philosophen; oft sehr reich! Diasporajuden erheben sich gegen Stephanus. Sie wollten Tempel und Tora zwar spiritualisieren, aber nicht ablehnen. Messiasbekenntnis wird als Ablehnung gesehen (auch Paulus wurde bei der Kollektenabgabe von Diasporajuden angeklagt). [Nebenbemerkung: Diasporajuden – Schriftauslegung eher – distanziert betonten zum geistliche Tempel Dimension – (vgl. geistlich-allegorische Philo/Josephus) – Annäherung an den griechischen Geist – griechische Judenchristen tragen griechische Diasporatheologie weiter!] V 11: Juden der Intrige bezichtigt – Gotteslästerung (vgl. Mk 14,56-59) V 12: Hoher Rat im Spiel – aber eher Lynchjustiz V 14: Bräuche ändern = Gesetz ändern (nomos, Moses durch ethos ersetzt) = Indiz des heidenchristlichen Denkens von Lukas (Tora = ethisches Handbuch) V 15: Überleitung zur Stephanusrede Gesicht eines Engels: vgl. Ex 33-34 (Abfärben der Kabod JHWH auf Moses); vgl. auch Lk 9 und 24! Typisch für Lukas: „göttlicher Glanz“ Die Rede des Stephanus (Apg 7,1-53): = heilsgeschichtlicher Abriss; wichtig für die heilsgeschichtl. Perspektive von Lukas V 1-2c: Einleitung V 2d-8: Berufung und Wanderung des Abraham Abraham wurde als Heide berufen und allein durch den Glauben gerechtfertigt (vgl. Gal 3 und Röm 4), das heißt ohne Tora und Beschneidung! V 3-4: Zitat aus Gen 12,1 V 4: Von Ur nach Kanaan V 5: Zitat Gen 48,4 18 V 7: topos = Tempel oder Kanaan V 8: Bund der Beschneidung (Gen 17 – Röm 4) – Beschneidung nur Randthema Gen 15: Bund mit Abraham ohne Beschneidung! V 9-16: Josef und Patriarchen V 17-43: Moses (Dtn 34,7) – folgende Einteilung: V 17-22: die ersten 40 Jahre V 23-29: 40.-80. Jahr – Sendung V 30-43: die letzten 40 Jahre des Mose und Kritik an Israel V 44-50: Bundeszelt bis Tempel V 51-53: Abschluss und leidenschaftlicher Angriff gegen seine Zuhörer! V 54-60: Martyrium: Stephanus stirbt mit Worten Jesu auf den Lippen (vgl. Lk 23,34) - Identifizierung, Parallelisierung mit Jesus! Form der Rede: Einordnung in die jüdische Form der Midraschim (= Nach- bzw. Neuerzählung von AT-Texten in rabbinischer Überlieferung) – formal ähnlich wie lukanischer Stephanus (ebenso bei Philo von Alexandrien oder Josephus Flavius) Zur Theologie in Apg 6-7: Apg 6 – Kirche ohne Amt nicht möglich – Kirche bewahrt Einheit der Gemeinde (Amtsfrage: Hierarchisierung deutlich) Apg 7: Lukas will anhand der Schrift zeigen, dass die jüdischen Führer das Gesetz ablehnten. Stephanus befolgt das Gesetz (= Evangelium). Das Evangelium ersetzt die Tora (Kultcharakter der Tora wird ignoriert!). Die Tora hat ab nun eher ethische Funktionen. 19 Apg 10,1-11,18 (Der Hauptmann Kornelius und Petrus – Petrus in Jerusalem): = erste exemplarische Heidenbekehrung Kontext: 8,1-3: Beschreibung der Verfolgung der Jerusalemer Gemeinde (auch Saulus negativ erwähnt) – Christen in Diaspora zerstreut – nur Apostel bleiben treu in Jerusalem! 8,4-25: Samariamission des Philippus – Petrus und Johannes kommen – Gläubige empfangen den Heiligen Geist – Zauberer (Simon) will Amt kaufen (= Simonie!) 8, 26-40: Kämmerer aus Äthiopien (konnte als Eunuch nicht Jude werden!) – Philippus erklärt ihm das vierte Gottesknechtslied (Jes 53) und tauft ihn [das ist eigentlich die erste Heidenbekehrung, aber für Lukas spielt an dieser Stelle eher die Schriftauslegung die entscheidende Rolle, weniger die Bekehrung – die erste Heidenbekehrung erst in Apg 10 dargestellt und theologisch begründet!] 9,1-31: dramatisch geschilderte Bekehrung des Saulus 9,32-43: wieder Petrus: Er geht von Jerusalem nach Joppe, heilt in Lydda einen Mann und erweckt in Joppe eine Frau. Von Joppe aus wird er direkt nach Cäsarea gerufen! Apg 10,1-11,18 = längste Erzähleinheit in der Apostelgeschichte und wichtiges Zentrum Apg 2 – Apg 10 – Apg 15: wichtige Etappen (danach: Paulusmission) Apg 10,1-11,18: Gliederung in fünf Teile: 1. Vision des Hauptmanns Kornelius (10,1-8) 2. Vision des Petrus in Joppe (10,9-16) 3. Petrus begegnet den Boten des Kornelius (10,17-23) 4. Im Haus des Kornelius: Bericht der Vision des Kornelius – Rede des Petrus – Geistempfang der Hausgemeinde – Taufe der Hausgemeinde (10,24-48) 20 5. Petrus kehrt nach Jerusalem zurück, schildert der Gemeinde die Ereignisse (11,4-17) und rechtfertigt theologisch die Aufnahme von Heiden in die Gemeinde (= eigentlich Vorwegnahme der Entscheidung des Apostelkonzils): Apg 11,1-18 Frage der Form von Apg 10,1-11,18: ▪ Bekehrungserzählung (wie bei Josephus z. B.) ▪ Mischung aus verschiedenen Formen (Weiser): Reden, Visionen, Bekehrung – eventuell: Ätiologie (laut Prof. Heil: am ehesten) ▪ völlig erfunden (diese Ansicht ist eher zu hinterfragen: Sonst hätte Lukas die Bekehrung wahrscheinlich in Jerusalem spielen lassen, Cäsarea ist für ihn eigentlich unwichtig!) Vision des Hauptmanns Kornelius (10,1-8): V 1: Lokalisierung in Cäsarea – wenig Lokalkolorit geschildert! - später waren Origines und Eusebius dort! - Die Stadt liegt heute in der Mitte von Haifa und Jaffa. Sie wurde von Herodes dem Großen gegründet und zu Ehren des Kaisers Augustus sehr prunkvoll ausgestattet. - Kornelius gehörte der Italischen Kohorte (= 60 Leute) an: für Lukas spielt das Militär allgemein eine große Rolle (siehe Apg 21 ff.)! V 2: Kornelius – fromm und gottesfürchtig (also kein Proselyt!) – mit ganzem Haus (wichtige Zusatzbemerkung!): Frömmigkeit zeigt sich durch das Geben von Almosen und Beten (Fasten fehlt hier)! V 3: Vision um die neunte Stunde (15 Uhr) V 4: Dialog: Gott hat sich an seine barmherzigen Werke erinnert. V 5-6: Auftrag des Engels, einige Männer nach Joppe zu Petrus zu schicken. V 7-8: Kornelius führt den Auftrag aus, er schickt zwei Sklaven und einen frommen Soldaten (alte Missionsregel). Vision des Petrus in Joppe (10,9-16): V 9-16: Petrus - zu Mittag Vision: „Was Gott für rein erklärt, nenne du nicht unrein!“ 21 - Gott selber greift ein! – Die Unreinheit der Nicht-Juden wird durch Gott aufgehoben! - große Neuorientierung angelegt – in Kap. 15 wieder aufgenommen: Gott hat Heiden durch Glaube rein gemacht! - Stimme drei Mal: aber Petrus ist unentschlossen – radikal neuer Gedanke! [Exkurs: alttestamentliche Speisegebote: - Gen 7,2: in Arche finden reine und unreine Tiere Platz - Gen 8,20: nach Sintflut wird geopfert - Hos 9,3: in Assur unreine Speisen (vorexilisch) - Ez 4,13 und 33,25 - Dtn 14, 3-21: erste Kodifizierung - Lev 11 (nimmt Dtn 14 auf) - Makkabäer Zeit: genauso wie Beschneidung und Sabbat können auch die Speisegebote für die ganze Tora stehen: 2 Makk 6,7 (Martyrium wegen Speisegebot)] V 11-12: Schale kommt vom Himmel herab; darin sind alle möglichen Tiere (Gen 1,24 und 6,20) – Problem für Petrus: auch unreine Tiere sind dabei! V 13: Stimme aus dem Himmel: „Schlachte und iss!“ V 14: Antwort des Petrus (ähnlich wie Ezechiel): „Noch nie habe ich etwas Unheiliges und Unreines gegessen!“ V 15: „Was Gott für rein erklärt, nenne du nicht unrein!“: große Neuorientierung angelegt (Röm 14,14 und Mk 7)! Petrus begegnet den Boten des Kornelius (10,17-23): V 17: Petrus ist noch sehr verlegen und bedenkt die Bedeutung der Vision. V 18: Die Boten des Kornelius kommen an. V 19-20: Petrus denkt immer noch über die Vision nach – Geist kommt ins Spiel – Aufforderung, den Boten zu folgen! V 21: Petrus geht hinunter und redet mit den Männern. V 22: Männer erzählen die Geschichte des Kornelius. 22 V 23: Männer werden bewirtet (d. h. wie Freunde behandelt!) – Petrus von den Brüdern begleitet (wichtig: denn sie bringen die Kunde dann nach Jerusalem!) Ereignisse im Haus des Kornelius (= zentral): 10,24-48 V 24-33: Petrus kommt an und Kornelius erzählt ihm seine Vision. Wichtig: Kornelius wirft sich ehrfürchtig nieder (= Proskynese) und behandelt Petrus wie einen „Gottesboten“ (wird von den Aposteln immer abgelehnt!). V 26: Entgegnung des Petrus: „Auch ich bin nur ein Mensch!“ V 27-29: passen nicht ganz in Kontext! – Thema umgedeutet in lukanische Absicht (mit wem man am Tisch sitzt) – Vision von unreinen Tieren umgebogen auf Tischgemeinschaft (V 28) – Petrus erklärt seine Vision auf Tischgemeinschaft mit Heiden hin! (eventuell: redaktioneller Eingriff) V 34-43: Petrus hält richtige Rede – erste Heidenmissionsrede (altes Schema): Exposition – Schriftwort – leichte Mahnung V 34: Anknüpfung an die Vision – Gott sieht nicht auf die Person (es gibt damit auch keine Vorteile durch die Herkunft!) – Gott kennt die Herzen (vgl. Apg 1 und 15) – Gott ist unparteiisch (wie schon im AT: Dtn 10,17; Sir 35,15) – damit wird die universale Kirche begründet! V 35: Gott ist in jedem Volk willkommen, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit tut! V 36: heilsgeschichtliche Schriftreflexion – Gott ist Herr aller Völker! (Apg 2: noch auf Juden aller Völker beschränkt!) „panton kyrios“ (Herr aller): wurde auch von Zeus oft gesagt – so kann es auch Kornelius verstehen! V 37-43: Kurzevangelium – Kerygma präsentiert! V 37-38: Anrede an die ganze Familie des Kornelius - Geschichte Jesu ist notwendiger Teil des Evangeliums! - Johannes der Täufer hat keine Bedeutung (Lk 3) - Geisttaufe wichtig! - Jesus war Wohltäter, heilte Menschen! (Jesus Medicus – Erlösung ist auch körperliches Heil) [Inschrift von Priene: Geburtstag des Augustus sei Evangelium und Augustus bringe Heil (soteria) und Erlösung – Lukas deutet dies um und korrigiert: Jesus bringt Heil und Rettung!] 23 V 39-40: archaische Christologie: Jesus ist Gott-Vater untergeordnet (erst ab dem zweiten Jahrhundert wird Subordination-Christologie als Häresie verurteilt!) „Juden haben ihn verurteilt … Gott aber …“ (Kontrast) V 40: drei Tage (vgl. Jona 2,1; Hosea 6,2) – symbolisch! V 41: „Gott hat ihn erscheinen lassen“ – gilt nur Zeugen, nicht ganzem Volk! – neuer Auferstehungsleib (typisch jüdische Vorstellung) – anstößig für Griechen! V 42: Aufgabe der Zeugen: Verkündigung und Bezeugung Jesus als Richter (jüdisches Menschensohnmotiv) – Mensch als Richter für Tote – für Griechen am Areopag zuviel – Abwendung! (vgl. Apg 17,31) V 43: Propheten sagten alles voraus – damit erschöpft sich die Hl. Schrift! V 44-48: Geistempfang und Taufe: - Rede des Petrus endet ohne Bußruf (Zuhörer sind ohnehin schon umgekehrt!) - Während Petrus noch redet, kommt der Hl. Geist als Gabe auf die Zuhörer herab (Gabe Gottes für die Gemeinde) – Petrus reagiert lukanisch: wenn Christentum von Gott kommt, kann man nichts tun! (d. h.: man kann den Plan Gottes nicht ändern!) V 47: zweites Pfingsten für die Heiden V 48: Taufe auf den Namen Jesu Christi (bei Mt 28,19: schon Taufe auf die Dreifaltigkeit) Rechenschaft des Petrus in Jerusalem (11,1-18): Die erste Heidentaufe muss von der Jerusalemer Urgemeinde erst akzeptiert werden (Jerusalem ist für Lukas absolutes Zentrum: vgl. Ostererscheinungen bei Lk in Jerusalem – in Mk 16 beispielsweise in Galiläa!). V 1-3: Vorwurf an Petrus, unrein geworden zu sein! V 4-17: Rede des Petrus (wiederholt quasi Kap. 10) V 15: prinzipielle Theologie (Apg 10,47): „Wie bei uns, so jetzt auch bei den Heiden!“ arché – Geburtstag der Kirche V 18: Akzeptanz der Heidenmission - Auferweckung gebunden an Umkehr! 24 Narrative Theologie des Abschnitts: 1. Historische Bedeutung der Taufe des Kornelius: Problem der Vereinbarung von Petrus in Kornelius-Perikopen (Kap. 10) und dem antiochenischen Zwischenfall in Gal 2 – die meisten Exegeten sehen in den Kornelius-Episoden eine exemplarische Darstellung der lukanischen Theologie! Apg 10-11: Konzept des Lukas (historische Abläufe nicht real so, aber Traditionen von Lukas aufgegriffen) – für Paulus war Speisegebotfrage (zum Beispiel in seinem Brief an die Galater) noch sehr drängend – für Lukas ist dies eher ein kirchengeschichtlicher Rückblick (die Sache wird mit Kap. 11 „abgehakt“)! 2. Theologie: Ereignis der Kornelius-Taufe = erste Heidenbekehrung und zwar durch Petrus! Gott will die Aufnahme der Heiden (ohne Zwang). Lukas ist bestrebt, die Kontinuität und die Gleichwertigkeit zwischen der Heidenkirche und dem Volk Israel zu betonen. Das heißt, er möchte Judenchristen ernst nehmen und ihre jüdischen Wurzeln achten. Achtung der jüdischen Tradition für Lukas = Kontinuität: - Räumliche Kontinuität (Jerusalem) - Persönliche Kontinuität: Kontinuität durch die Apostel (Judenchristen) – Judenchrist Petrus initiiert Heidenmission - Pneumatische Kontinuität: Propheten – Heiliger Geist Gottes universaler Heilswille will, dass das Evangelium zu den Heiden gelangt! 25 Apg 13,14-52 (In Antiochia in Pisidien – Rede des Paulus in der Synagoge: exemplarische Judenmissionsrede): Kontext: Was war nach der Bekehrung des Cornelius geschehen? Apg 11,19-26: Gründung der Gemeinde von Antiochia in Syrien [Antiochia am Orontes, das heutige türkische Antakya, war in der Antike ein Schmelztiegel für Menschen aus verschiedenen Völkern, Sprachen und Religionen. Im Jahr 67 v. Chr. kam die Stadt zum Römischen Reich. Antiochia entwickelte sich infolge der idealen Verkehrslage am Meer und an der Landbrücke zwischen Syrien und Kleinasien zur drittgrößten Stadt des Römischen Reiches nach Rom und Alexandria. Es war die Hauptstadt der Provinz Syrien. Hier trat das Christentum aus dem Judentum hinaus in die nichtjüdische, griechische Welt. Nach dem Martyrium des Stephanus kamen Christen nach Antiochia, das sich bald zu einem wichtigen Kern und Ausgangspunkt der Bewegung entwickelte. Dort werden die Anhänger des „Weges“ erstmals „Christen“ genannt (Apg 11,26). Hier befand sich wahrscheinlich auch die Gemeinde des Evangelisten Matthäus. Bis zum Einfall der Perser im sechsten Jahrhundert blieb Antiochia eine der theologischen Zentren der Christenheit (vgl. Ignatius von Antiochia im zweiten Jahrhundert oder Johannes Chrysostomus im vierten Jahrhundert).] Apg 11,27-30: Barnabas und Saulus als Beauftragte nach Jerusalem (Hungersnot; antiochenische Kollekte für Judäa) Apg 12,1-5: Die Hinrichtung des Apostels Jakobus durch Herodes Agrippa I. 43/44 n.Chr. und die Verhaftung des Petrus in Jerusalem Apg 12,6-19a: Die wunderbare Befreiung des Petrus Apg 12,19b-23: Der Tod von Herodes Agrippa I. (Frühjahr 44) in Cäsarea (vgl. Josephus, Ant. 19,343-352). Judäa wird wieder eine Provinz unter einem römischen Prokurator, bis 66 n. Chr. der Jüdische Krieg ausbricht. Apg 12,24 f.: Barnabas und Saulus wieder in Antiochia (Aufnahme von Apg 11,27-30) Apg 13–14 beschreiben die „Erste Missionsreise“ des Paulus. 26 13,1-3: Aussendung von Barnabas und Saulus durch die Gemeinde von Antiochia 13,4-12: Von Seleuzia nach Zypern (Salamis). Predigt in den „Synagogen“. In Paphos Begegnung mit dem jüdischen (!) Zauberer Elymas, eines Vertrauten des römischen Prokonsuls. Elymas wendet sich gegen Barnabas und Saulus. Auf die Rede des Saulus hin wird Elymas zeitweise blind. Programmatisch wird hier ein falscher Prophet und Widersacher des Evangeliums besiegt. Der römische Prokonsul Sergius Paulus wird daraufhin gläubig. In Vers 9: „Saulus, der auch Paulus heißt.“ Von nun an benutzt Lukas in der Apg den Namen „Paulus“ anstatt „Saulus“. Vermutlich war „Paulus“ der römische Zweitname des Apostels. Die Bedeutung (paulus – klein, gering, wenig) passte auch zur Selbsteinschätzung des Paulus als „Geringster der Apostel“ (1 Kor 15,9). Elymas soll nach der Tradition den Tod des Barnabas verantworten: Als Barnabas später nochmals nach Zypern zurückkehrt (Apg 15,39), wird er auf dessen Geheiß im Zirkus gesteinigt – so wurde besonders Paulus’ Begleiter zu dem zypriotischen Heiligen. Apg 13,13: von Paphos (Zypern) nach Perge. Ein gewisser „Johannes Markus“, der Barnabas und Paulus bisher auf der „Ersten Missionsreise“ begleitete (vgl. 12,12.25; 13,5), verlässt sie hier und kehrt nach Jerusalem zurück. Später will dann Paulus diesen Johannes nicht mit auf die „Zweite Missionsreise“ nehmen: „Barnabas wollte auch den Johannes, genannt Markus, mitnehmen; doch Paulus bestand darauf, ihn nicht mitzunehmen, weil er sie in Pamphylien im Stich gelassen hatte, nicht mit ihnen gezogen war und an ihrer Arbeit nicht mehr teilgenommen hatte. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, so dass sie sich voneinander trennten; Barnabas nahm Markus mit und segelte nach Zypern.“ (Apg 15,37-39) Das steht in krassem Gegensatz zu Gal 2,11-21, wonach sich Paulus und Barnabas über die Rechtfertigungstheologie und ihre praktischen Konsequenzen (Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen) zerstritten hatten. Seinem Interesse folgend, ein harmonisches Bild des frühen Christentums zu malen, gibt Lukas dem historischen Zerwürfnis einen „milderen“, „personalpolitischen“ Grund. Mit Apg 15,37-39 verschwinden Barnabas und Johannes Markus von der Bildfläche in der Apostelgeschichte. 27 [Während der Gefangenschaft in Ephesus, in der Paulus den Brief an Philemon schrieb, war „Markus“ bei ihm (Phlm 24). Kol 4,10 nennt ihn als Vetter des Barnabas. 2 Tim 4,11 lässt Paulus darum bitten, dass Markus als Helfer zu ihm kommt. 1 Petr 5,13 nennt Markus einen „Sohn“ des Petrus, will ihn also wohl als Schüler des Apostels charakterisieren. Die spätere Überlieferung betrachtete Markus als den Verfasser des zweiten Evangeliums.] Aber zurück zu Perge. Die Stadt liegt 18 km nordöstlich von Attalia (dem heutigen Antalya, einem beliebten Badeort) beim heutigen Murtana an der Südküste Anatoliens in Pamphylien. In der römischen Kaiserzeit blühte die Stadt richtig auf. Kaiser- und Götterstatuen aus Perge befinden sich heute im Archäologischen Museum von Antalya. Auf der Rückreise nach Antiochia predigen Paulus und Barnabas in Perge (14,25). Hier bildete sich auch eine der frühesten Christengemeinden Kleinasiens. 13,14: von Perge nach Antiochia in Pisidien Grammatik, Gliederung und Form von Apg 13,14-52: Lukas gestaltet den Anfang des Wirkens des Paulus in Antiochia parallel zum ersten Auftreten Jesu in Nazaret und den ablehnenden Reaktionen darauf (Lk 4,16-30). In diesem Anfang zeichnet sich bei Paulus (ähnlich wie bei Jesus) schon der Verlauf der gesamten Evangeliums-Verkündigung des Paulus ab. Gliederung nach A. Weiser: 13-14a: Reiseverlauf 14b-16a: Einleitung zur Rede des Paulus 16b-41: Rede des Paulus 16b-25: Abriss der Heilsgeschichte Israels als Hinführung zur Heilserfüllung in Jesus 26-31: Kerygma von Passion und Auferweckung Jesu 32-37: Auferweckung Jesu als Erfüllung der Verheißung (mehrteiliger Schriftbeweis) 38-41: Abschluss 42-43: Positive Reaktion 28 44-48: Geschehnisse am folgenden Sabbat 49: summarische Erfolgsnotiz über die Heiden 50: Reaktion der Juden 51: Gegenreaktion der Missionare 52: Summarium über die Jünger (ganz lukanisch) „Im Zentrum des Abschnitts steht die Predigt des Paulus. Unter den Reden der Apg ist sie die einzige, die er vor jüdischen Zuhörern hält.“ Es ist möglich, „dass die Rede in Anlehnung an Formen jüdischer Synagogenpredigten konzipiert worden ist“. Sacherklärungen und historische Einordnung: V 14: Reiseverlauf: Von Perge kommt Paulus über den Taurus nach Antiochia (Perge – Antiochia: ca. 160 km). Die Stadt Antiochia in Pisidien lag 5 km vom heutigen Ort Yalvaç im südwestlichen Zentralanatolien. Gegründet wurde sie zwar laut Strabon († 19 n. Chr., Hauptwerk Geographica) von Kolonisten aus Magnesia am Fluss Mäander, in Wirklichkeit aber eher durch Seleukos I. Nikator (312–280 v. Chr.) oder dessen Sohn. Seit 25 v. Chr. gehörte Antiochia zur römischen Provinz Galatien. Augustus siedelte Veteranen an und nannte es Colonia Caesarea Antiochia. Ab dem 4. Jh. n. Chr. verlor die Stadt an Bedeutung und wurde 712 bei Arabereinfällen zerstört. Ausgrabungen finden in Antiochia seit mehr als zehn Jahren statt. Zu besichtigen sind in dem ausgedehnten Gelände die römischen Hauptstraßen Cardo und Decumanus, ein sehr großes Nymphäum, ein römisches Aquädukt, Überreste des mächtigen Zeus- bzw. Augustus- Tempels, der schon auf einem älteren in Fels gehauenen Heiligtum errichtet wurde, und zwei christliche Basiliken, von denen eine nach Paulus benannt ist. Auch auf der sog. „Zweiten Missionsreise“ kommt Paulus wohl wieder durch Antiochia in Pisidien (Apg 16,4 f. – allerdings ohne Antiochia ausdrücklich zu erwähnen). καὶ [εἰσ]ελθόντες εἰς τὴν συναγωγήν. Sowohl hier bei der gemeinsamen Mission mit Barnabas auf der sog. „Ersten Missionsreise“ wie auch später bei der „Zweiten“ und „Dritten Missionsreise“ ohne Barnabas wendet sich Paulus stets (17,2) zuerst an die 29 Juden (vgl. 13,5.14; 14,1; 16,13; 17,10.17; 18,4.19; 19,8; 28,17.23). Dieses Vorgehen entspricht einem lukanischen Prinzip: Den Juden kommt der Vorrang zu (vgl. 3,26; 13,46; Röm 1,16; 2,9 f.; Mk 7,27). Erst wenn sie ablehnen, wendet man sich den Heiden zu (13,46; 18,6; 28,28). τῇ ἡµέρᾳ τῶν σαββάτων (MNT: „am Tag des Sabbats“) – gleiche Formulierung Ex 20,8; 35,3; Dtn 5,12; Jer 17,21f.; Josephus, Ant. 12,274; Lk 4,16; Apg 16,13; Diognetbrief 4,3. Der Plural σάββατα für einen einzelnen Sabbattag ist seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. bezeugt (Zenon- Papyri); der Plural erklärt sich durch die ַ irrige Wiedergabe des aramäischen status emphaticus .ׁש ְּב ָתא V 15: Zur Lesung aus dem Gesetz und den Propheten (ἀνάγνωσις τοῦ νόµου καὶ τῶν προφητῶν) vgl. auch die Szene in der Synagoge von Nazaret in Lk 4,16-20: „So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um aus der Schrift vorzulesen, reichte man ihm das Buch des Propheten Jesaja. Er schlug das Buch auf und fand die Stelle, wo es heißt: Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. Dann schloss er das Buch, gab es dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet.“ Οἱ ἀρχισυνάγωγοι sind die gewählten Synagogenvorsteher. Führende Kreise der Synagoge bitten also Paulus und seine Begleiter um eine Schriftauslegung, eine Predigt (λόγος παρακλήσεως – vgl. Hebr 13,22) für den λαός, das Volk Israel (im Gegensatz zu den ἀρχισυνάγωγοι?). V 16: κατασείσας [κατασείω aor. ptz.] τῇ χειρὶ; vgl. 12,17; 19,33; 21,40; 26,1. Es handelt sich um die übliche Geste des antiken Redners, um die Aufmerksamkeit der Hörer zu wecken: Er streckte die rechte Hand aus, wobei die beiden kleinen Finger gefaltet und die drei anderen gestreckt blieben. Paulus beginnt seine Rede an die ἄνδρες ᾿Ισραηλῖται καὶ οἱ φοβούµενοι τὸν θεόν. Zu den „Gottesfürchtigen“ vgl. Bemerkungen zu Apg 10,2. 30 In den Versen 16b-25 gibt er einen Abriss der Heilsgeschichte Israels. Lukas vermeidet dabei, soweit es nur möglich ist, etwas von dem zu wiederholen, was die Stephanusrede schon gesagt hat. Die Verse 17-22 behandeln die Geschichte von den Vätern bis David: V 17 f.: Exodus aus Ägypten V 17: der Gott dieses Volkes Israel! V 19: Landnahme. ἔθνη ἑπτὰ ἐν γῇ Χανάαν: „sieben“ als symbolische Zahl der Heiden κατεκληρονόµησεν τὴν γῆν αὐτῶν ← Landverheißung an Abraham (Gen 12,7; 13,15; 15,18 u.ö.) V 20: „für etwa vierhundertfünfzig Jahre“: Die Zeitangabe ist unklar, der Ursprung unbekannt, sie ist weder alttestamentlich noch jüdisch. Dann Richter (κριταί) bis zum Propheten Samuel. V 21: Saul als βασιλεύς für 40 Jahre. Saulus/Paulus stammt auch aus dem Stamm Benjamin (Röm 11,1; Phil 3,5). V 22: Dann „erhob“ Gott David zum βασιλεύς. Das Verb ἤγειρεν wird hier (22a) wörtlich verwendet! V 23: Aus seinem Geschlecht (σπέρµα) hat Gott Jesus als Retter (σωτήρ) für Israel heraufgeführt (ἤγαγεν). → Jesus als Davidssohn (= Messias) und σωτήρ. In einer Rede vor der olympischen Festversammlung 105 n. Chr. lässt der griechische Redner und Philosoph Dio von Prusa den attischen Bildhauer Phidias (ca. 460–430 v. Chr. tätig) seinen berühmten 12 Meter großen, thronenden Zeus in dessen Tempel in Olympia (im Osten der Peloponnes) erklären: „Unser Gott aber ist friedlich und in allen Zügen freundlich (εἰρηνικὸς καὶ πανταχοῦ πρᾴος), ganz der Schirmherr eines von keinem Aufruhr bedrohten, einmütigen Griechenlands. Ich schuf ihn … mild und majestätisch, mit heiterer Geste als Spender des Lebens und Gedeihens und aller Güter, als den Vater, Retter und Beschützer der Menschen in einem (κοινὸν ἀνθρώπων καὶ Πατέρα καὶ Σωτῆρα καὶ Φύλακα)“ (Or. 12). Nebenbei bemerkt: Πατήρ ist die häufigste homerische Zeus-Epiklese (vgl. Homer, Ilias 1,503), oft auch in erweiterter Formel „Vater der Menschen und der Götter“ (πατὴρ ἀνδρῶν τε θεῶν τε; Ilias 1,544) 31 V 24 f.: Typisch für die lukanische Gegenüberstellung von Johannes und Jesus. Hier: Rückblende auf die Bußtaufe des Johannes. Das Wirken des Täufers endet vor dem Auftreten Jesu; so wird nach Lk 3,19 f. Johannes von Herodes Antipas ins Gefängnis geworfen, bevor Jesus in Lk 3,21 f. getauft wird! In seinem heilsgeschichtlichen Aufriss (vgl. Lk 16,16) ordnet Lukas den Täufer eher der Zeit „des Gesetzes und der Propheten“ zu als der Zeit Jesu, in der die „Gottesherrschaft verkündet wird“. V. 24: Der ganze Vers 24 ist ein genitivus absolutus, der sich auf Vers 23 bezieht. Das Münchener Neue Testament (1998) übersetzt: „nachdem Johannes vorherverkündet hatte vor dessen Auftreten eine Taufe (der) Umkehr für das ganze Volk Israel.“ πρὸ προσώπου steht hier als Hebraismus für πρό. V. 25: ἐπλήρου ᾿Ιωάννης τὸν δρόµον ! Der Täufer hat seinen Lauf vor dem Auftreten Jesu vollendet. Das Täufer-„Zitat“ in 25b-d ist eine Anspielung auf Lk 3,16: „Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ V 26: Neueinsatz mit ἄνδρες ἀδελφοί; vgl. oben Vers 15 (die Synagogenvorsteher zu Paulus und seinen Begleitern). Die Adressaten werden ferner mit υἱοὶ γένους ᾿Αβραὰµ angesprochen und auch wieder (wie oben Vers 16) mit οἱ ἐν ὑµῖν φοβούµενοι τὸν θεόν. In den Versen 26-31 geht es um das Kergyma von Passion und Auferweckung Jesu. Aktualisierung: Uns (ἡµῖν!) gilt ὁ λόγος τῆς σωτηρίας. V 27: Dagegen stehen „die Einwohner von Jerusalem und ihre Führer“ in Kontrast zu „uns“ (V 26). Die Tötung Jesu wird, wie in 3,17, durch die ἀγνοία entschuldigt, und wie in 3,18 wird zugleich geltend gemacht, dass gerade so der in der Schrift bezeugte Gotteswille erfüllt wurde. Die Übereinstimmung mit 3,17 bezeugt nicht die theologische Einigkeit der Predigt des wirklichen Petrus und des wirklichen Paulus, sondern die Abfassung beider Reden durch Lukas, dessen eigene Theologie hier wiederum sichtbar wird. 32 Ein weiteres Beispiel für die heidenchristliche Perspektive des D-Textes [vgl. die Einleitungsfragen!]: In Apg 13,27a unterstreicht der Codex D die Schuld der Juden am Tod Jesu. In 13,27 wird die Unkenntnis (ἀγνοήσαντες) Jesu bei den Jerusalemern und ihren Führern gestrichen. Sie können sich also nicht damit entschuldigen, Jesus nicht ge- und erkannt zu haben. Die Verurteilung Jesu erfüllt (πληρόω) die Worte der Propheten (αἱ φωναί τῶν προφητῶν). [Ist hier etwa an das vierte Gottesknechtslied Jes 52 f. gedacht?] V 28: Jesus war unschuldig (vgl. Apg 3,13 f.; Lk 23,14.22.47). In 13,28fin heißt es im Standardtext: „forderten sie [die Juden] (ᾐτήσαντο von αἰτέω aor. med. „bitten“) von Pilatus seine [Jesu] Hinrichtung“ (ἀναιρέω aor. inf. pass.). Im D-Text wird daraus: „verurteilten sie ihn und übergaben ihn Pilatus zur Hinrichtung“ (κρίναντες αὐτὸν παρέδωκαν Πιλάτῳ ἵνα [!] εἰς ἀναίρεσιν). Der D-Text führt also seine Redaktion von V 27 in V 28 konsequent weiter. Wortspiel αἰτία – αἰτέω. V 29: πάντα τὰ περὶ αὐτοῦ γεγραµµένα. Vgl. Lk 24,44-46. V 30: Gott als Subjekt der Auferweckung (ἐγείρω)! Vgl. Apg 10,40. V 31: Erscheinungen in Lk 24 und Apg 1 vor den Aposteln, den Augenzeugen „von Galiläa nach Jerusalem“. Die Apostel sind die Zeugen (µάρτυρες; vgl. Lk 24,48; Apg 1,21 f.). Der historische Paulus hätte mit seinem eigenen Zeugnis nicht so hinter dem Berg gehalten (vgl. 1 Kor 9,1 f.: „Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn gesehen? …Wenn ich für andere kein Apostel bin, bin ich es doch für euch.“ Ähnlich 1 Kor 15,3-11). In den Versen 32-37 geht es um die Auferweckung Jesu als Erfüllung der Verheißung (mehrteiliger Schriftbeweis). Vgl. ähnlich Apg 2,29-36. V 32 f.: Die Väterverheißung (ἐπαγγελία) ist in der Auferweckung Jesu durch Gott (ὁ θεὸς … ἀναστήσας [→ ἀνίστηµι] ᾿Ιησοῦν) erfüllt. V 33: „im zweiten Psalm“: genaues Zitat von Ps 2,7 LXX. Eigentlich spielt der „Sohn Gottes“- Titel bei Lukas keine große Rolle: In der Apg kommt er nur noch in 9,20 vor (Paulus in den Synagogen von 33 Damaskus). Für Lukas besteht kein großer Unterschied zwischen „Sohn Gottes“ und „Messias“ (vgl. Apg 9,20.22). Bei Lukas ist eine gewisse Vereinheitlichung und Uniformierung der Christologie zu beobachten: So spielt er auf Ps 2,7 auch in Lk 3,22 (Taufe!) an: „Und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Wann wurde Jesus also zum Sohn Gottes: bei der Taufe oder bei der Auferstehung? Sohn Gottes ist er schon immer (Lk 1,32.35), aber für Lukas ist die Auferstehung Jesu dessen Inthronisation als Messias. Nach Apg 2,34-36 (Ps 110,1) wird Jesus durch die Auferstehung zum κύριος und Χριστός. V 34: keine διαφθορά. V 34c: nicht ganz genaues Zitat von Jes 55,3 LXX. Die Verse 35-37 nehmen eine Argumentation aus der Petrus-Rede Apg 2,25-31 wieder auf: V 35: Zitat von Ps 16,10 MT / 15,10 LXX. V 36: „nach Gottes Willen“ (τῇ τοῦ θεοῦ βουλῇ) – typisch lukanische Formulierung; vgl. Apg 2,23 David hat die Verwesung (διαφθορά) gesehen, Jesus nicht! V 37: ὁ θεὸς ἤγειρεν: theozentrische Auferweckungs-Konzeption. V 38: Neuer Einschnitt durch Anrede ἄνδρες ἀδελφοί. Die Verse 38-41 bilden den Abschluss der Paulus-Rede. In den Versen 38 f. kommt die paulinische Rechtfertigungslehre zum Vorschein, die dann ganz ähnlich auch Petrus in Apg 15,7-11 vertritt! Vgl. etwa die gut paulinische Rede von dem, „worin euch das Gesetz des Mose nicht gerecht machen konnte“. V 39: ἐν τούτῳ (in Jesus) πᾶς ὁ πιστεύων δικαιοῦται (wird jeder Glaubende gerecht gemacht). → Röm 1–3. V 40: Bezug auf οἱ προφῆται mit Zitat von Hab 1,5 LXX in Vers 41. 34 Vgl. ähnlich die der Schrift entnommene, eindringliche Warnung in Apg 28,26 f. (Jes 6,9 f.). V 41: (fast genaues) Zitat von Hab 1,5 LXX. Zu beachten: die figura etymologica ἔργον ἐργάζοµαι. V 42 f.: Die unmittelbare Reaktion auf die Paulus-Rede ist positiv. V 43: Viele der Juden und der frommen Proselyten (οἱ σεβόµενοι προσήλυτοι = Konvertiten zum Judentum [eigentlicher Sprachgebrauch von σεβόµενος]) schließen sich Paulus und Barnabas an. ἡ χάρις τοῦ θεοῦ. ← Sprache des „historischen“ Paulus der Briefe! V 44: Die ganze Stadt (πᾶσα ἡ πόλις) versammelt sich am folgenden Sabbat, um das Wort des Herrn (λόγος τοῦ κυρίου) zu hören. → Bis Vers 48 werden die Geschehnisse an diesem (zweiten) Sabbat erzählt. V 45: Die Juden (οἱ ᾿Ιουδαῖοι) werden von Eifersucht erfüllt (πίµπληµι + ζῆλος). Paulus selbst kann die „Eifersucht“ der Juden auch positiv einsetzen; vgl. Röm 11,11: „Nun frage ich: Sind sie [die Juden] etwa gestrauchelt, damit sie zu Fall kommen? Keineswegs! Vielmehr kam durch ihr Versagen das Heil zu den Heiden, um sie selbst eifersüchtig zu machen.“ (vgl. auch Röm 10,19) V 46: παρρησιάζοµαι (aor. ptz. med.): Diese „Offenheit“, „Unerschrockenheit“, dieser „Freimut“, der bereits bei den Aposteln und der Urgemeinde betont wurde (4,13.29.31), wird nachdrücklich dort wieder hervorgehoben, wo von Paulus die Rede ist (9,27 f.; 14,3; 19,8; 26,26; 28,31). Die gleiche Betonung dieses Gedankens findet sich bei Paulus selbst (1 Thess 2,2; 2 Kor 3,12; 7,4; Phil 1,20; vgl. Eph 3,12; 6,19 f.). ἀναγκαῖος notwendig, nötig. Zum πρῶτον der Juden vgl. auch Röm 1,16. Die Juden stoßen den λόγος τοῦ θεοῦ zurück (ἀπωθέοµαι). Das Wort Gottes bedeutet ζωὴ αἰώνιος (vgl. unten Vers 48). → εἰς τὰ ἔθνη (Heidenmission). V 47: ὁ κύριος = JHWH φῶς ἐθνῶν. Freies Zitat nach Jes 49,6 LXX. Wer aber ist das „Licht der Völker“? Der Heidenapostel Paulus (vgl. 26,17 f.)? Oder der auferstandene Christus (vgl. 26,23; Lk 2,32 [Nunc dimittis des Simeon]). Wohl beide: Christus 35 ist das Licht der Völker; er wird sie aber erst aufgrund des Zeugnisses der Apostel und der Wirksamkeit des Paulus erleuchten. εἰς σωτηρίαν ἕως ἐσχάτου τῆς γῆς (vgl. Apg 1,8). V 48: Die Heiden freuen sich (χαίρω imperf.). Sagt Lukas indirekt, dass die ungläubigen Juden nicht für das ewige Leben bestimmt sind (τεταγµένοι εἰς ζωὴν αἰώνιον)? Nein, es geht hier um die Heiden in Antiochia, von denen sich nicht alle bekehrt hatten. V 49: Summarische Erfolgsnotiz über die Heiden. V 50: Reaktion der Juden (οἱ ᾿Ιουδαῖοι): Sie hetzen auf (παροτρύνω). ≠ Vers 43. Die vornehmen (εὐσχήµονες) Frauen sind auch σεβόµεναι, eigentlich nur „fromm“, hier aber im Sinne des Lukas: „gottesfürchtige“ Heidinnen. Sie sollten offenbar ihre heidnischen Männer davon abhalten, der christlichen Predigt zu folgen. (Bloßes σεβόµενοι erscheint auch in Apg 17,17 – auch dort hat Lukas „gottesfürchtige“ Heiden gemeint.) ἐπεγείρω aor. „erregen, veranlassen“ διωγµός „Verfolgung“ V 51: Gegenreaktion der Missionare (prophetische Geste, entstanden aus jüdischer Redensart): ἐκτινάσσω aor. ptz. med. „ab-, ausschütteln“ κονιορτός „Staub“ Apg 18,6: In Korinth schüttelt Paulus seine Kleider aus und sagt: „Von jetzt an werde ich zu den Heiden gehen.“ Vgl. Q 10,10 f. (Mt 10,14): „Wenn ihr aber in eine Stadt geht, und sie nehmen euch nicht auf, geht weg aus jener Stadt, und schüttelt den Staub eurer Füße ab (ἐκτινάξατε τὸν κονιορτὸν τῶν ποδῶν ὑµῶν).“ Mk 6,11 (- Lk 9,5): „Und wenn euch ein Ort nicht aufnimmt und sie euch nicht hören, dann zieht weg von dort und schüttelt den Staub ab, den ihr an euren Füßen habt (ἐκτινάξατε τὸν χοῦν τὸν ὑποκάτω τῶν ποδῶν ὑµῶν), ihnen zum Zeugnis.“ nach Ikonion (ca. 140 km westlich vom pisidischen Antiochia gelegene Stadt). 36 V 52: Lukanische Schlussnotiz: Summarium über die Jünger (πληρόω + χαρά καὶ πνεῦµα ἅγιον). Ganz lukanische Betonung von „Freude“ und „heiligem Geist“. Narrative Theologie in diesem Abschnitt: In Apg 13,14-52, der großen Antrittsrede des Paulus, schildert Lukas exemplarisch das Modell der Stadtmission des Paulus, wie er es sich vorstellt: Besuch des Synagogengottesdienstes am Sabbat mit Predigt in zwei Teilen: Verse 16-25 ein Abriss der Heilsgeschichte Israels als Weg zur Heilserfüllung in Jesus Christus (vgl. die Stephanus-Rede in Apg 7); dann Verse 26-41: Jesu Tod und Auferweckung mit „Schriftbeweis“ – Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist wirklich der erwartete Messias. Am Ende, in den Versen 38-41: Vergebungszusage und Einladung zum Glauben. Die Predigt des Paulus ist mit den Petrusreden eng verwandt, bis an den Schluss (Verse 38 f.), der an die paulinische Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben erinnert. Die Juden reagieren nach anfänglichem Interesse abweisend. Die Heiden nehmen dagegen die Botschaft freudig an. Dazu, dass sich das Christentum rasch unter den Heiden ausbreitet, tragen die Juden durch ihre Ablehnung indirekt bei. Vordergründig ist es ihre Ablehnung, die die Zuwendung zu den Heiden ermöglicht. Letztlich aber ist die Heidenmission im universalen Willen Gottes begründet, der das Heil für alle will. Ähnlich sieht A. Weiser folgenden Gedanke hinter der lukanischen Redaktion stehen: „Das Evangelium gelangt nicht zu den Heiden, weil Israel oder seine Führenden es ablehnen, sondern weil es Gottes universalem Heilswillen und der Verheißung des Auferstandenen entspricht.“ Vgl. Apg 10 f. und auch Lk 4 und Apg 28. Theologie und Christologie (V 32-37): „Gott hat die einst gegebene Verheißung durch die Auferweckung Jesu jetzt erfüllt (V 33). Dass diese Erfüllung geschehen ist, ergibt sich nach Lukas … daraus, dass sich die göttliche Zusage von Ps 2,7 verwirklicht hat: Jesus gilt als der durch seine Auferweckung zum Sohne Gottes Gezeugte, in die messianische Würde des Sohnes Gottes Eingesetzte.“ (A. Weiser) 37 Apg 15,1-35 (Apostelversammlung in Jerusalem: Heidenmission theologisch legitimiert und dekretiert – Petrus vertritt paulinische Theologie): Gliederung und Form von Apg 15,1-35: V 1-5: Vorgeschichte und Anlass V 6-29: Bericht über Verhandlung V 7-11: Rede des Petrus V 13-21: Rede des Jakobus V 22-29: formeller Brief mit Dekret / Beschluss V 30-35: Mitteilung an die Gemeinde von Antiochia Apg 15,1 ff. – vgl. Gal 2!!! Apg 15 = wahrscheinlich Nacherzählung! V 1: Jakobus-Leute – Herrenbruder = leiblicher Verwandter (wird Führer der Jerusalemer Urgemeinde): für Lukas funktioniert Jungfrauengeburt problemlos mit Geschwistern Jesu (erst bei den Kirchenvätern Problem – Uminterpretation) Sitte (ethos) enspricht nomos des Mose - Heil hängt an der Beschneidung (- führt zur Auseinandersetzung!) V 2: Elite der Antiochener kommt nach Jerusalem zu Aposteln und Ältesten (Presbyter!) – frühe Amtsstruktur der Kirche war kollegial (und damit typisch jüdisch) mit Archesynagogos und Presbyteroi (vgl. Apg 20 in Ephesos) – später werden Kollegialämter hierarchisiert – Monepiskopat! V 3: ekklesia: Ortsgemeinde (Dialektik von Orts- und Weltkirche – Apg 9,31) V 4: Gemeinde / Apostel / Älteste: vgl. Apg 20 / 1 Petr 5 V 5: hairesis: Partei der Pharisäer Die Pharisäer waren den Jesus-Jüngern eher nahe. Vgl. Lk 13,31: Pharisäer warnen Jesus vor Herodes Antipas. 38 Nach 70 n. Chr. blieben die Pharisäer als einzige Gruppe über und wurden zum Hauptgegner des jungen Christentums. Das Evangelium zeichnet das Bild der Pharisäer eher negativ. V 6-29: um die „Causa“ (Logos) zu prüfen – Streit V 7-11: wichtige Petrusrede: Sache wird entschieden! V 7: archaion: von Anfang an vorherbestimmt (vgl. Apg 10 f.) - Gott hat schon entschieden! V 8-11: theologisch: „ebenso wie uns!“ – Gott will die Aufnahme! V 9: Herzensreinigung durch Glauben (paulinische Theologie im Mund des Petrus) - Reinheit, Heiligkeit allein durch Glauben erreichbar (= großer Bruch zu jüdischen Vorstellungen!) V 10: Würde man noch zusätzliche Bedingungen stellen, man würde Gott auf die Probe stellen (peirazo – Lk 4,1 und Mt 4,1)! Tora als Joch (Christlich: Tora = schweres Joch / Weg Jesu = leichtes Joch) V 10b: Tora-Joch untragbar = sehr paulinisch! Rettung nur durch Gnade; Tora dient nur dazu, dass man die Sünde erkennt; Werke führen nicht zur Gerechtigkeit! V 11: Rettung durch Gnade wie Kornelius! V 12: alle schweigen; anschließend Verweis auf die erste Missionsreise des Paulus und Barnabas! V 13: Beginn der Rede des Herrenbruders Jakobus - Rede entspricht judenchristlicher Theologie (Israel bleibt erwählt, wird aber durch Heiden ergänzt!) V 14: Rede knüpft an Petrus-Rede V 15-18: Mischzitat: Amos, Jesaja und Jeremia V 17: Einschluss der Heiden (aller Völker) V 18: Jesaja 45 (vielleicht Hinzufügung von Lk): Plan Gottes besteht seit Ewigkeit! Wichtige Randnotiz: Jakobus sieht die Kirche aus Juden und Heiden eher als Restauration Israels bzw. des Judentums. Auch Jesus selbst wollte Israel wieder herstellen (siehe zwölf Apostel – zwölf Stämme). Nicht der Glaube an Christus ist das Fundament! 39 Paulus sieht das anders: Für Paulus ist die Kirche Neuschöpfung (Röm 11 und 12), nicht eine Restauration Israels. Israel muss sich aus seiner Sicht bekehren, um gerettet zu werden! Aus der Sicht des Jakobus wird der Mensch eher durch die Zugehörigkeit zum Bund Israels mit Gott gerettet (Jesus = „nur“ der letzte Prophet, mehr nicht!). Paulinische Weiterentwicklung: Heilsentscheidend ist nur der Glaube an Christus (eigentlich Widerspruch zu Jakobus). - großer Konflikt des frühen Christentums um diese beiden theologischen Konzepte – siehe Gal 2: Wie wird man gerettet? Durch Glaube oder durch die Zugehörigkeit zum Bund? V 20: Jakobusklausel – Vier Punkte wichtig: 1. Götzen (Verunreinigung durch Götzen) 2. Unzucht (unerlaubte Ehen) 3. Nichts Ersticktes essen! 4. Kein Blut genießen! Die Punkte 3 und 4 hängen zusammen - (Juden und Moslems praktizierten) „Schächtung“ der Tiere (siehe Lev 17,4) – Heidenchristen rezipierten diese Klauseln nicht, sie hatten keine Bedeutung! [Jüdisch-rituelle Tabus in westlicher Textausgabe (siehe Einleitungsfragen) weggelassen – aus rituellen Bemerkungen werden im zweiten Jahrhundert eher ethische – Heidenchristen waren relativ hilflos gegen rituelle Vorschriften] V 23 ff.: Brief mit Beschluss formuliert (hellenistisch: wahrscheinlich von Lukas) V 28: „Hl. Geist und wir haben beschlossen …“ V 29: es geht um die Praxis, nicht um die Soteria – Apostelklauseln haben nichts mit Soteria zu tun! [Traditionsgeschichtlicher Exkurs: War das Aposteldekret bekannt? - Debatte, ob Paulus das Aposteldekret mit den Jakobus-Klauseln gekannt hat oder nicht – laut Prof. Heil: eher nicht! 40 Bei Paulus (1Kor 7 und 10:Privilegium Paulinum): viel liberaler – Paulus scheint es nicht zu kennen! (Auch nicht die Kirchenväter – nur in der Apg 15 bekannt!) – Vermutung, Lukas hätte es selbst formuliert – dagegen spricht aber, dass Lukas darauf eigentlich keinen Wert legt! Das Aposteldekret war wahrscheinlich eine lokale Vereinbarung (Syrien), die nur kurz Bestand hatte, später aber keine Rolle mehr spielte. Es ist also davon auszugehen, dass es sich hiermit um Tradition (örtlich und zeitlich begrenzt), aber nicht um Redaktion handelt.] Narrative Theologie in diesem Abschnitt: Es geht darum, dass die gesetzesfreie Einbindung der Heiden und die Möglichkeit der Glaubensgemeinschaft offiziell und einheitlich anerkannt werden (schon in Apg 10 bekannt). – Kontinuität der Heilsgeschichte gewährleistet! Für Lukas ist es gegen Ende des ersten Jahrhunderts Realität, dass die Kirche fast nur aus Heiden besteht (Kirche der Heiden ist bereits Wirklichkeit). Daher: ab Kap 16: Jerusalem nicht mehr von Bedeutung! Ab Kap. 16 geht es nur mehr um die Heidenmission. 41 Apg 17,16-34 (In Athen – Rede des Paulus vor dem Areopag: exemplarische Missionsrede an die Heiden): - eher Ausdruck lukanischer Theologie (nicht paulinischer Predigt!) - „Christlicher Glaube im Bildungsstreit“ (mögliche Überschrift) - Epikureer, Platoniker, Stoa = Wissen, Zusammenfassung der antiken Philosophie: Lukas will zeigen, wie christlicher Glaube an die Philosophie anknüpfen kann und muss (aber auch: Profilierung und Abgrenzung!). Kontext: Zweite Missionsreise (Apg 15,36-18,22): Beginn in Antiochia – (heutige) Türkei – Griechenland – Athen – Korinth – Ephesus – Thessalonich etc. 17,1-9: Paulus ist in Thessalonich – Problem mit Juden! 17,10-15: Paulus in Beröa – wieder Schwierigkeit mit Juden! 1Thess 3,1 f.: Zeugnis, dass Paulus in Athen war – Paulus redet sonst nicht mehr über Athen – er hatte dort keinen Erfolg! – das wird auch in Apg 17 bestätigt! Areopagrede = wichtigste Episode der zweiten Missionsreise! Gliederung und Form von Apg 17,16-34: V 16-21: breite Einleitung V 22-31: Hauptteil V 32-34: Abschluss – Wirkung der Rede sehr bescheiden! Unterteilung der Rede: V 22-23: Anrede, Einleitung V 24-29: Hauptteil - es geht um den wahren Gott - nicht Christologie, sondern Theologie! - Gott als bedürfnisloser, souveräner Schöpfer der Welt dargestellt - Gott als Schöpfer der Menschen; Gott ist den Menschen nahe und verwandt 42 V 31: Schluss: Offenbarung Gottes in der Geschichte Heikel: Umkehr aller Menschen, weil Gericht eines einzelnen Menschen bevorsteht! Form: In Apg 1-12 sehr hebraisierende Form (LXX) – eher primitive Syntax – Lukas möchte durch Stil judenchristlichen Hintergrund zeigen! Ab Apg 16: anderer Stil (griechische Form) – vor allem in der Missionsrede (V 18 und 27): viele Optative – Paulus passt sich sprachlich an! Historische Einordnung: Klassische Zeit der Hochblüte von Kunst, Rhetorik und Philosophie in Athen: viertes und fünftes Jahrhundert vor Christus! Zur Zeit des Paulus war der Glanz vergangener Zeiten längst vorbei (Cicero reist im ersten vorchristlichen Jahrhundert nach Athen – schon heruntergekommen!). Der Niedergang begann bereits 146 v. Chr., als Korinth Hauptstadt der römischen Provinz wurde. 88 v. Chr.: Aufstand gegen Rom; Sulla nahm Athen und Piräus ein. Zur Zeit des Paulus hatte Athen etwa 5000 Einwohner (Korinth: 100 000) – viele Studenten. Aber für Lukas: Athen – noch immer das „alte“ Zentrum (Rede nicht in Korinth!). Areopag = Hügel des Kriegsgottes Ares V 17: Paulus setzt sich mit Juden und Gottesfürchtigen auseinander = typisch lukanisch! (historischer Paulus sucht wahrscheinlich eher den Kontakt mit den Heiden) Gottesfürchtige = Brücke zwischen Juden und Heiden - auf Agora kommt Paulus in Kontakt mit Philosophen - Agora in Athen: Lk zeichnet Paulus als Art Sokrates V 18: Paulus trifft auf Epikureer und Stoiker (beide in Athen gegründet): 43 Nur an dieser Stelle kommen Philosophen vor: frühchristliche Auseinandersetzung mit Philosophie sonst nie im Neuen Testament! Aber: Philosophen missverstehen Paulus! [Exkurs: Epikur in einigen Stichworten: Reaktion auf das Zerbrechen traditioneller Ordnungen – will entwurzeltem Einzelnen den Weg zu einem geglückten Leben zeigen – Abschied von absoluten Werten – Epikur: Wir haben keine politischen Wertmaße mehr; Leben richtet sich nach eigener Lust – aber in der Gemütsruhe, nicht in der Ausschweifung! – frei von Todesfurcht und Götterangst – herkömmliche Religiosität abgelehnt – Welt nach Demokrit (Atomismus) gedeutet – soll Mensch von Aberglauben befreien – weit weg vom Christentum! Stoa in einigen Stichworten: bedeutendste und einflussreichste philosophische Denkrichtung – um 300 v. Chr. in Athen gegründet – Modephilosophie – großes Thema: Schicksal – Maßstab: Erkenntnis der Welt (Gnosis) – hier entdeckt der Weise den gültigen Logos (Sophia soll man erringen) – der Weise = fast unerreichbar – er erkennt den göttlichen Logos = Erkenntnis des Naturrechts – von Kirchenvätern übernommen – (kath. Kirche schätzt Naturrecht sehr (neben Bibel) – Protestanten nicht!) – Weltverständnis (Logos) = Kriterium für ethische Handlungsorientierung – der Weise soll in Einheit mit der Natur leben – Freiheit – Weltbürger – Unabhängigkeit von Äußerlichkeiten – dem Christentum viel näher!] V 19: Areopag (Gerichtsinstanz – zu Paulus’ Zeiten nicht mehr am Hügel selbst): Woran Lukas dabei dachte, ist heute nicht mehr auszumachen! Philosophischer Disput oder Gerichtssitzung? Prof. Heil: eher für philosophischen Disput, weil in Rede und Reaktion keine justizrelevanten Bemerkungen vorkommen! V 21: Lukas erklärt, dass Athener neugierig sind! V 22-31: Rede des Paulus V 22-23: Anrede und Einleitung: Thema = Gott - Paulus stellt sich in die Mitte des Areopags und redet Männer an. - Athener als sehr fromm bezeichnet: Lob wegen vielen Götterbildern (Spannung zu V 16) 44 - Reden passen nicht ganz mit Situation zusammen – bei Lukas: Reden sind paradigmatisch – gehen über Situation hinaus! - wichtig für Paulus: Gott im Singular – identifiziert als wahren Gott – erfahrbar in Schöpfung (V 24-26), in sich selbst (V 27-29) und in Geschichte (V 30-31)! V 28: Paulus mit griech. Philosophenformel (1Kor 8,6 – Monotheismus bekräftigt; Röm 11,36 noch deutlicher!) Hintergrund: stoische Allgottheit (Schicksal, Vernunft etc.) Lukas ringt an dieser Stelle sehr um Inkulturation seiner christlichen Botschaft! Problem der natürlichen Gotteserkenntnis: - In Apg 17: als Möglichkeit angenommen (positiver Weg zu Gott)! - Röm 1,19-21: möglich, aber negative Pragmatik (Heiden könnten erkennen, sind aber so verkehrt, dass sie nicht folgen!) - I. Vat.: dogmatische Konstitution Dei Filius: Mensch kann Gott mit Gewissheit aus Natur mit Vernunft erkennen! - Evang. Theologie: Karl Barth: gegen natürliche Gotteserkenntnis! – Gott als der „ganz Andere“, „der Fremde“! V 29: Ablehnung des Götzendienstes – wegen der Abbildlichkeit des Menschen! Die wahre Gottesbeziehung ist innerlich (Tempel, Gottesbilder brauchen wir eigentlich nicht). V 32-34: Gesamtreaktion negativ V 32: Auferstehung war für die Heiden ein Skandal – wird von den Griechen oft lächerlich gemacht – für Platon gibt es zwar eine unsterbliche Seele, aber Auferstehung ist lächerlich! V 34: Positive Schlussnotiz: „Einige glaubten …“ Typisch für Lukas: ein Mann und eine Frau, nämlich Dionysios und Damaris. Aber: Paulus konnte keine Gemeinde gründen – somit: Misserfolg! (Athen wurde erst im fünften Jahrhundert christlich: 527 ließ Justinian alle athenischen Tempel in Kirchen umwandeln!) 45 Narrative Theologie in Apg 17,16-34: Wie schon in Apg 14,15-17: Verkündigung Gottes als Schöpfer und Erhalter der Welt – Gott will, dass Heiden umkehren und erkennen. Schluss: Gericht und Auferstehung wird fokussiert – der Dialog bricht ab! Philosophie und Christentum: sind nicht einig in Bezug auf Transzendenz – Dialog stoppt, wenn Offenbarung (Jesus) als Thema kommt! – Lukas erkannte den Streit zwischen Theologie und Philosophie gut. These: Areopagrede – keine Missionsrede, sondern Gerichtsrede! Aber: Diese Annahme ist weniger wahrscheinlich! Eher: Lukan. Paulus hält werbende Rede – Verkündigung gelingt meist nur durch Inkulturation (das heißt: Einlassen auf Bildung und Kultur, ohne die Kernaussage christlicher Botschaft zu vergessen)! Einerseits will Lukas den Heiden sehr weit entgegen gehen, andererseits kann er ihnen aber das Zentrum des Glaubens (die Auferstehung) nicht ersparen! 46 Apg 20,17-38 (In Milet – Abschiedsrede des Paulus an die Ältesten von Ephesus: ekklesiologische Rede): Kontext: Nach Areopagrede: Aufenthalt in Korinth (Kap. 18: Hintergrund für Briefe) 18,1-17: Gründung der Gemeinde 18,22: Ende der zweiten Missionsreise 18,23: Beginn der dritten Missionsreise (Kleinasien und Griechenland) 18,24-20,6: Ephesus: Begegnung mit Apollos und Schülern Johannes’ des Täufers; Streit mit Silberschmieden (Artemis-Figuren) etc. Form und Gliederung von Apg 20,17-38: V 17-18a: Einführung V 18b-35: lange Rede V 18b-21: Erinnerung an sein Wirken in Kleinasien V 22-27: endgültige Trennung (und Tod?) von den Ältesten angedeutet (Lukas weiß über Paulus’ Tod!) V 22-24: Zukunft des Paulus V 25-27: Deutung V 28-35: Mahnungen an Älteste (der Gemeinde des Lukas) V 28-31: Thema der Wachsamkeit (Falschlehrer) V 32-35: Empfehlung an Gott; paulinisches Vermächtnis von Uneigennützigkeit und Nächstenliebe! V 36-38: Abschluss und emotionaler Abschied Die Form dieser dritten großen Paulusrede entspricht einem Testament oder einer Abschiedsrede. Damit ist Apg 20 als seelsorgerisches Testament zu verstehen! Gattung der Abschiedsrede – vielfach verwendet: Im Alten Testament: Dtn 4 (Moses); Gen 47-49 (Jakob) Im Neuen Testament: Abschiedsrede Jesu (Lk 22) etc. In der antiken Philosophie: Sokrates – Abschiedsrede im Phaidon 47 V 17: Milet – bedeutende Hafenstadt an der ionischen Küste (Thales, Anaximander) - Ephesus: 50 km nördlich von Milet - Presbyter: Älteste der Synagoge – kollegiale- presbyteriale Verfassung von den Christen übernommen! [Exkurs: Frühkirchliches Ämterkonzept: Bei Lukas: Presbyteriale Verfassung (vgl. Apg 14,23) und Episkopen – Ordination: Apostel und 7er Verfassung geht über in presbyteriale Verfassung! Beim historischen Paulus der Briefe gibt es noch keine Presbyter. Er nennt nur die „Fürsorgenden“. Das Amt wird bei Paulus noch nicht über den Titel, sondern über die Tätigkeit (Charismen) definiert (1Kor 12). Begriff „Diakonoi“ (Phil 1,1) – Phoebe in Röm 16,1 = keine Diakonin in unserem Sinne – kann nicht zur Argumentation für Frauenordination herangezogen werden! Phil 1,1: „Episkopoi“ meint Hirte oder Aufseher, aber noch keine kirchenrechtlichen Implikationen – mehrere Episkopen in einer Gemeinde mit administrativer Funktion – Charismatische Gemeindekonstitution – Streit vgl. 1Kor! (bei Ignatius von Antiochien: schon monarchischer Episkopat!)] V 18b-35: eigentliche Rede V 19: Nachstellung der Juden, Verfolgung V 21: Chiasmus? Griechen – Umkehr Juden – Glauben Juden müssen glauben, Heiden müssen umkehren = typische Auffassung (denn Juden glauben ja schon an JHWH) V 22: Paulus als Gefangener des Heiligen Geistes - Pneuma treibt Paulus an (Subjekt = Geist) V 25: Hinweis auf Märtyrertod in Rom „Reich“ = Zentralbegriff Jesu; bei Paulus in Briefen eher andere Themen! V 27: Plan Gottes (griech. Konzept) – nicht bei Paulus z. B.! V 28: Wachsamkeit gegenüber der Gemeinde – vgl. Erwartung der Parusie wie ein „Dieb in der Nacht“ (Naherwartung bei Jesus/Paulus wird bei Lukas vergeschichtlicht und auf Gemeinde bezogen!) „ekklesia“ = „quahal“ (Dtn 9,10; Ps 22,23) 48 „ekklesia“ war ursprünglich griechischer, politischer Begriff für die Versammlung der freien Männer „durch das Blut des eigenen“ („ton idion“) = Blut des eigenen Sohnes (Lk 22; Mk 14) Es gibt nicht die Erlösungslehre des NT, sondern verschiedene Theologien! V 29-30: Häretiker werden thematisiert. (erst für dritte Generation ein Thema!). V 32: Lutherische Ekklesiologie: Wo Wort, da Kirche – „Aufbau“ der Gemeinde! V 32-35: empfiehlt Adressaten Gott – er gibt ihnen ein Vermächtnis (Testament) mit - „paradigmatische Sukzession“ V 33-34: Uneigennützigkeit des Paulus (Gier = Sünde) Das widerspricht insgesamt der Auffassung der Griechen, welche Lehrer großzügig entlohnten. Aber Paulus steht nicht singulär da (ähnliche Tendenzen auch bei Zeno und Epiktet!). Die Milet-Rede endet mit Paulus als Vorbild auch im ökonomischen Bereich – Sensibilität für sozio- kulturellen Hintergrund erkennbar (fast in jedem Kapitel etwas zu finden) – Christentum erfordert auch einen besondern Umgang mit Geld! Bei Lukas stark: Betonung der Erinnerung an die Worte Jesu! V 36-38: dramatischer, emotionaler Abschied Narrative Theologie in Apg 20,17-38: Lukanische Eschatologie: Lukas rechnet nicht mit einer unmittelbar bevorstehenden Parusie – Kirche soll Zeiten überdauern – Paulus sorgt sich um den Bestand der Kirche! Pastorales Vermächtnis des Paulus: Paulus gilt als Vorbild der Amtsträger – Lukas führt Adressaten von apostolischer Zeit zu seiner Gemeinde (hier besonders deutlich!) – Paulus aus Vergangenheit redet zu lukanischer Gemeinde – kaum alttestamentliche Zitate und Bezüge in Reden, obwohl hier viele Bezüge herzustellen wären – Hinweis auf heidenchristlichen Hintergrund! 49 Apg 24 (Paulus vor dem römischen Statthalter Felix in Caesarea – Apologie vor dem Staat): Kontext: Apg 20: Abschied von Kleinasien Danach: Reise nach Jerusalem, um die Kollekte abzugeben! Apg 22: Verteidigung vor den Juden etc. Gliederung von Apg 24: V 1: Exposition – Anklage wird erhoben! V 2-23: Verhörszene – wirklicher Prozess V 2-9: Anklage der Juden – Anwalt: Tertullus V 10-21: Verteidigung des Paulus V 22-23: Reaktion des Prokurators Felix V 24-27: Zusammenfassung: Felix = habgierig! Form: juristisch – Paulus hält eine apologetische Rede (paradigmatisch) – gute römische Rhetorik – Paulus will zeigen, wie sich das Christentum verteidigen kann! [V 2b-3: vgl. Lk 1,1-4] V 1: Einführung des Felix V 2: Tertullus erhebt Anklage und schmeichelt Felix! Apg 21,38: Felix lässt Ägypter abschlachten. Josephus und Tacitus: Felix = grausam, geldgierig etc. V 3: Felix als „erhaben“ angesprochen (vgl. Lk 1,3) V 4: gehört zur Anrede! V 5 f.: Anklage: Paulus stiftete im Tempel Unruhe! - Christentum = Auflehnung gegen den Staat (Bedrohung der Pax Romana) - polemische Anklage mit juristischer Terminologie - Nazoräersekte – in Antike noch neutrale Bezeichnung (wie Gruppe, Schule oder Richtung) V 6: Konkretisierung der Unruhestiftung: Entweihung des Tempels! Initiative zur Festnahme kommt von den Juden – wichtig für Lukas! 50 V 10: Apologie – Beweis der Unschuld – Römer halten sich an das Gesetz! V 11-13: Zurückweisung der Anklage - Darstellung als frommer Jude (aber: radikal neue Interpretation des Nomos) V 15: Auferstehung – Betonung der Gemeinsamkeiten! V 20-21: Erinnerung, dass er keines Verrates etc. angeklagt werde (Apg 22,3023,10) – Auferstehung der Toten = eigentlicher Grund der Auseinandersetzung! V 22-23: Felix – neutral und sachkundig dargestellt - Leichte Haft = Untersuchungshaft V 24-27: Begegnung mit Felix und dessen Gattin (Urenkelin v. Herodes dem Großen) - Messiasglaube, Ethik und Gericht = Christentum - Lk 14,26: asketische Lebensweise von Lukas geschätzt! - Gespräch wird auf „später“ vertagt – Felix hofft darauf, Geld zu bekommen! Narrative Theologie des Abschnitts: Bei allem persönlichen Versagen des Felix: römische Beamte verhalten sich korrekt! Ekklesiologische Aussage: Christentum verhält sich loyal zum Staat! – Staat muss sich nach eigenen juristischen Regeln halten. [Stichwortartige Randbemerkung zur Auferstehungsvorstellung im Judentum: ganzheitliche Auferstehung – rabbinische Vorstellung! „S(ch)eol“ = Schattendasein des Bösen Gute werden aufgenommen! Apokalyptik erwartet, dass es im Jenseits zur Vergeltung kommt (Dan und 2Makk – Martyrium wird im Jenseits vergolten) – diese Vorstellung haben die Propheten nicht! Auferstehung: vor allem von den Pharisäern weiter getragen – von den Sadduzäern abgelehnt!] 51 Apg 28,16-31 (Paulus in Rom – letzte Rede an jüdische Hörer: Heil geht auf gläubige Heiden über): Rom = „Ende der Erde“, das Zentrum Apg 21-26: Apologie; Festnahme und Verteidigung des Paulus; Paulus war nicht auf Malta, sondern auf Melite! Apg 27-28,15: Lokalkolorit; Abenteuerschifffahrt; vierter und letzter Wir-Bericht! Apg 28,14: Brüder in Rom – schon Christen vor Paulus in Rom da – Aber dann wird Paulus als Erstverkünder geschildert! [Belege für röm. Christentum: - Cassius Dio – 40er Jahre n. Chr. – Konflikte um Chrestos - Tacitus – 60er Jahre n. Chr.: Nero – Brandstiftung – Schuldzuweisung an „Chrestiani“ (Verwechslung von i und e = Itazismus) - Schon Mitte des ersten Jahrhunderts also klare Trennung von Juden und Christen in der Außenwahrnehmung!] Ursprünglicher Plan des Paulus: von Korinth nach Abfassung des Römerbriefes nach Jerusalem; von dort nach Rom und weiter nach Spanien! Aber: Festnahme in Jerusalem V 16: Ende des Wir-Berichts; „Scharniervers“ - Paulus – Hausarrest mit einem Soldaten – leichte Haft (Cusodia militaris = angekettet an einen Soldaten) – entspricht Untersuchungshaft – diese darf zwei Jahre nicht überschreiten! - Gut denkbar wäre, dass Paulus 62 nach Rom kommt und 64 (Nero!) getötet wird! V 17: führende Juden zusammengerufen; Erstverkündigung an Juden – dagegen: Röm 15,16 - Sitte der Väter (mos maiorum) – kultische Seite der Tora relativiert! - Auslieferung = Angleichung an Passion Christi! 52 V 18: Verhör vor Felix und Festus V 19: Berufung an den Kaiser V 20: Hoffnung Israels („elpis“) = Auferstehung (vgl. 24,15; 26,6-7; 23,6) V 22: Sekte = „hairesis“ Widerspruch = universale Verstockung V 23: christliche Interpretation des Alten Testaments! V 24: Reaktionen: - positiv (Apg 17 – Heiden) - negativ (Apg 13; 22 – Hoher Rat) V 25: „eure Väter“ – Trennung! - Verstockung der jüdischen Adressaten (Lk 4; Joh 8) V 26: programmatischer Text zum Unglauben der Juden (vgl. auch Röm 9-11) Am Schluss: ungehinderte und freie Verkündigung des Reiches Gottes; Martyrium wird nicht mehr genannt – offenes Ende! 53 Narrative Theologie und Rückblick in Stichworten: Die Absicht des Autors wird häufig besonders am Beginn und am Ende eines Textes deutlich. Hauptthemen kehren am Schluss besonders deutlich wieder. Apg 1,8: geographischer Aufriss der Mission (Jerusalem – Rom)! Höhepunkt = Apostelkonvent: beschneidungsfreie Heidenmission! Verhältnis von Tradition und Redaktion: Lukas übernimmt viel Tradition (Apg ist keine fiktive creatio ex nihilo); dennoch: Redaktion – sehr stark; aber: keine genaue Scheidung von Tradition und Redaktion kaum möglich! Rolle von Petrus – Paulus: Petrus: Führer der Judenchristen - tritt mit Kap. 15 ab! Paulus: als Heidenapostel dann zentral! Heilsgeschichte bei Lukas: Eschatologie wird gedehnt; keine Naherwartung mehr; Institutionalisierung der Kirche; Identitätsfindung der Heidenkirche; Gott führt die Kirche durch seinen Plan; Tora wird in ethisch-sittlichen Fragen akzeptiert (kultisch-rituelle Aspekte werden abgelehnt); Christentum wird aber insgesamt nicht als revolutionäre, zelotische Gruppe dargestellt! Apg 20: Ekklesiologie – presbyteriale Verfassung - Ämtertheologie 54