FB_Kuechenportrait HO 7_8_2013.indd
Transcription
FB_Kuechenportrait HO 7_8_2013.indd
DIETMAR SAWYERES NEUE KÜCHENPHILOSOPHIE IM WIDDER-RESTAURANT ZÜRICH Steht jetzt in der Küche des WidderRestaurants am Herd: Dietmar Sawyere. 26 7–8I2013 FOOD & BEVERAGE KÜCHENPORTRÄT «Man muss seine Küche lieben» Dietmar Sawyere ist Koch aus Leidenschaft. Bereits in frühen Jugendjahren entdeckte er seine Passion fürs Kulinarische. Als preisgekrönter Küchenchef sorgte er in England, Asien, Australien und Neuseeland für Gesprächsstoff. Jetzt steht der Sawyere in der Zürcher Luxusboutique Widder am Herd – und zelebriert hier seine Küchenphilosophie unter dem Motto: Nichts gegen Innovationen und Experimente in der Küche – aber im Zentrum steht immer das Produkt. TexT Claudine Erny Bilder Reto Guntli Lachs in Zitronenmarinade mit Sellerie, Rucola, Ossietra- und Saiblingskaviar. 7–8I2013 27 D ietmar Sawyere, es tönt so abgedroschen, aber man kann bei Ihnen wirklich sagen, dass Sie schon in der Jugend Ihre Leidenschaft fürs Kochen entdeckt haben. Welches war denn Ihr erstes Gericht? Nun, meine Eltern haben ein Bild von mir, auf dem ich als Dreijähriger ein Rührei koche. Das wäre dann wohl mein erstes Gericht! Mein älterer Bruder – der übrigens auch gelernter Koch ist – und ich haben bereits als Kinder jeden Sonntag für unsere Eltern gekocht. Glückliche Eltern! Wie man es nimmt; einmal, als unsere Eltern unterwegs waren – ich war vielleicht 9 und mein Bruder war 16 Jahre alt – wollten wir ein Rezept für Vanille-Cornets ausprobieren. Wir verwendeten ganze 24 Eier: da hielt sich die Begeisterung dann in Grenzen (lacht)! Das Kochen liegt also in der Familie. Ja, mein Vater ist ebenfalls Koch und hat auch einige Kochbücher geschrieben. Aber er versuchte nie, uns zu beeinflussen. Meine Eltern sagten uns immer, egal was wir lernen wollen, Hauptsache, wir haben Spass daran. Sie mahnten uns immer: Geht bloss nicht in die Gastronomie! Es ist ein hartes und anstrengendes Leben. Dennoch landeten mein Bruder und ich in der Küche … Sie haben lange Zeit in Australien Restaurants der Spitzenklasse geführt. Koch in Australien und in der Schweiz – worin liegt der grösste Unterschied? Das kann ich wahrscheinlich nächstes Jahr besser sagen (lacht). Der grösste Wechsel für mich hat wenig mit den unterschiedlichen Ländern oder Kulturen zu tun. Es ist mehr das ideale Netzwerk, das mir hier in der Schweiz noch fehlt. Mit meinen langjährigen Kollegen und Lieferanten in Australien, den Bauern, die mich täglich über frische Waren informiert haben, habe ich in den letzten zwanzig Jahren eine sehr gute Zusammenarbeit genossen. Nach langer Zeit ohne das vertraute Umfeld und ein eingespieltes Team zu arbeiten – daran muss ich mich schon erst gewöhnen. Aber auch hier gibt es exzellente Lieferanten und Landwirte, mit denen ich früher oder später auch ein solides Netzwerk pflegen werde. Ist die Zusammenarbeit des Küchenteams in der Schweiz anders als in Australien? In der Schweiz ist alles etwas formeller als in Australien, wo du von Beginn an mit allen per «Du» bist. Hier spricht mich jeder mit «Herr Sawyere» an – das passt nicht zu mir. Ich sag dann immer: «Mein Vater ist Herr Sawyere – ich bin Dietmar!» Mein Team duzt mich mittlerweile. Klare Strukturen sind wichtig in der Küche, übertriebene Formalität ist jedoch überflüssig. Sie haben zahlreiche junge Köche ausgebildet. Was geben Sie einem Lernenden als Erstes mit? Viele Leute kennen die Starköche aus dem Fernsehen und aus den Magazinen. Nur wenige sind sich jedoch bewusst, dass die Arbeit als Koch ein beinharter Job ist und du dir erst ein gewisses Ansehen verdienen musst. In der Küche geht es hektisch zu und her, die Tage sind lang. Was ich den Jungen als Erstes beibringen möchte ist, stets einen kühlen Kopf zu bewahren, gut zuzuhören und zuzuschauen sowie viele Fragen zu stellen. Der Koch lernt konstant. Nur so wirst du Tag für Tag besser! Kochen Sie mit dem Kopf oder eher mit dem Herzen? Es gibt zwei Typen erfolgreiche Köche: der «Techniker» und der «Künstler». Beide kochen auf demselben hohen Niveau. Der «Techniker» ist vielleicht weniger kreativ, arbeitet aber stetig an seiner Fertigkeit bis hin zur Perfektion. Der «Künstler» kocht mit viel Gefühl und aus dem Handgelenk. Beide Ansätze setzen harte Arbeit voraus. Und zu welcher Kategorie gehören Sie? Ich bin glücklich, dass ich zu den «Künstlern» gehöre. Obwohl das 28 auch gewisse Schwierigkeiten mit sich bringt. Denn als «Techniker» ist es einfacher, Lernende zu unterrichten. So kannst du eine Zubereitungsart einfacher weitervermitteln. Wenn du mit dem Herzen kochst, ist es schwieriger. Nur mit «du musst es einfach fühlen» kannst du keine guten Köche ausbilden. Wie lautet Ihre Küchenphilosophie? Wenn ich meinen Arbeitsort wechsle, geht es nicht darum, die Rezepte zu ändern. Das wäre zu einfach; dann könnt ich ja unzählige Hotels beraten und ihnen täglich neue Rezeptideen zusenden. Es geht vielmehr darum, ein gewisses Feeling zu übermitteln und an das Team weiterzugeben. Du musst dich mit dem einzelnen Produkt auseinandersetzen, gar eine Beziehung aufbauen. Als guter Koch spürst du, wenn ein Stück Fleisch durch ist – und das ist jedes Mal zu einem anderen Zeitpunkt. Ich lege grossen Wert darauf, in jedes Gericht diese Liebe zum Detail einzubringen. Der Gast spürt das! Und genau darum geht es mir beim Kochen. Sie legen grossen Wert auf saisonale Zutaten. Sind Ihre Gäste anstelle von Erdbeeren im Winter auch mit einem guten Apfelkuchen zufrieden? Fakt ist, dass Erdbeeren im Winter nicht denselben, intensiven Geschmack haben wie im Sommer – das wissen auch die Gäste. Ich denke nicht, dass unsere Gäste spezifische Erwartungen haben, ausser dass in einem Fünfsterne-Hotel nur das Beste auf den Teller kommt. Also kaufe ich im Winter gute Äpfel, bereite einen köstlichen Apfelkuchen zu und alle sind zufrieden. Gibt es etwas, das Sie selbst nicht essen? Ketchup! Ausser es ist selbst gemacht. Es gibt natürlich einige Dinge, die ich nicht unbedingt mag, aber ich probiere möglichst alles. Ich treffe immer wieder auf Köche, die sagen: «Entschuldigung, aber ich esse keine Leber.» In unserem Fall geht das nicht, es ist unsere Pflicht, alles zu probieren, die verschiedenen Geschmäcker zu kennen. Ein Koch muss wissen, wie eine perfekt zubereitete Leber schmecken soll. Haben Sie so etwas wie Vorbilder oder gar Idole? Mein Vater war immer ein Vorbild für mich – er ist ein unglaublicher Koch! Er hat mich in meiner Arbeit stark beeinflusst. Aber es gibt auch andere Menschen, die mich sehr beeindruckt haben. Als ich die Ausbildung im Londoner Savoy begann, übernahm Anton Mosimann die Leitung der Küche im Dorchester – mit knapp 29 Jahren. Dies beeindruckte mich sehr. Auch aufgrund seiner Schweizer Herkunft konnte ich mich stark mit ihm identifizieren. Er besuchte mich mehrmals in meinen Restaurants in Australien, und mit seinem Sohn Philipp bin ich bis heute sehr gut befreundet. H persönlich WER isT DiETmAR sAWyERE (50)? • 1982: Savoy Hotel London – Auszeichnung der Londoner Culinary Academy als «Young Chef of the Year» • 1984/85: Top of the Town Restaurant, Hyatt Hotel Auckland – «Chef of the Year» sowie «New Zealand Restaurant of the Year» • 1988: Le Restaurant, Regent Hotel Melbourne – «Good Food Guide Award» • 1993 bis 2010: Forty One Restaurant Sydney – 45 Auszeichnungen in 18 Jahren als bestes Restaurant der Stadt, darunter der «3 hat award» des Sydney Morning Herald Good • Food Guide sowie Würdigung als “Gourmet Traveller Restaurant of the Year” • 2011: Berowra Waters Inn Sydney – «Restaurant of the Year» • 2013: Widder Hotel Zürich, neuer Executive Chef («Widder Restaurant by Dietmar Sawyere»). 7–8I2013 FOOD & BEVERAGE KÜCHENPORTRÄT meint Wie hat schon der grosse «Jahrhundertkoch» Eckart Witzigmann gesagt: "Die Zukunft der Küche liegt in der Einfachheit. Im Zentrum der Küche steht nie der Chef, sondern immer das Produkt.« Hinzu kommen, so Witzigmann, Authentizität und Regionalität. Man könnte auch sagen: Die Zeit der gastronomischen Artistik, der Zaubereien auf dem Teller ist vorbei – es lebe die schlichte, einfache Küche, bestehend aus maximal drei Aromakomponenten. Wer diese Küche mit höchster Präzision oder Perfektion betreibt, ist auf dem richtigen Weg. Benoît Violier aus Crissier (»Koch des Jahres 2013“, 19 Punkte, 3 Sterne) macht es vor. Er setzt auf Schlichtheit, perfekte Produkte, präzise Zubereitung und höchstens zwei bis drei Aromakomponenten. Zudem ist seine Küche – wenn es um Geschmacks- und Produktvariationen geht – trotzdem innovativ und überraschend. Nun, was haben «Maestro Violier» und Dietmar Sawyere (jetzt neu im Widder-Restaurant Zürich) gemeinsam? Eben genau diese Grundphilosophie. «Hotelier»-Tester haben Sawyeres neue Küche im «Widder» kurz nach dem Neustart getestet. Fazit: Der 50-jährige Chef und Teamplayer zelebriert eine geschmacklich reizvolle, authentische und trotzdem kreative Küche, bestehend aus vielen lokalen Produkten. Hinzu kommen Einflüsse und Komponenten der südlichen, mediterranen Küche. Kurz und gut: Jan E. Bruckers Entscheid, Dietmar Sawyere ins «Widder» zu holen, erweist sich bereits jetzt – knapp vier Monate nach dem Einstand des neuen Chefs – als goldrichtig. Denn die Küche basiert nicht nur auf der richtigen und erfolgsversprechenden Philosophie, sie passt auch hervorragend zur Geschichte und zum Ambiente des kleinen, feinen und höchst individuellen Luxus-Boutique-Hotels in der Zürcher Innenstadt. Background Lachs in Zitronenmarinade mit Sellerie, Rucola, Ossietra- und Saiblingskaviar. WiDDER HOTEl ZÜRiCH Das Widder Hotel am Rennweg mitten in Zürich besteht aus neun verschiedenen, historischen Altstadthäusern. Der Betrieb umfasst 32 Gästezimmer, 17 Junior-Suiten und Suiten sowie eine Bar und ein Restaurant. Die Liegenschaften gehören der UBS AG, geführt wird das Hotel (5 Sterne-Superior, Mitglied Leading Hotels of the World, Swiss Deluxe Hotels) seit zwölf Jahren von Regula und Jan E. Brucker und ihren 120 Mitarbeitenden. Jan E. Brucker ist auch Präsident der Swiss Deluxe Hotels, der Vereinigung der führenden Fünfsterne-Hotels der Schweiz. Ein Highlight des Boutique-Hotels ist – neben klassischen Design-Objekten in Zimmern und Räumen – die Kunstsammlung, die Werke von Andy Warhol, Le Corbusier, Robert Rauschenberg oder Augusto Giacometti umfasst. Die Grundmauern des Hotels («Haus zur Widderzunft») gehen auf das Jahr 1401 zurück. Noch heute ist das «Widder» das Zunftlokal der Metzger. www.widderhotel.ch Der Koch und sein Chef: Dietmar Sawyere mit Hotelier Jan E. Brucker. Im Restaurant Widder sind u.a. Geräte von Elektrolux im Einsatz (Kippkochkessel, Kühlschrank, Druckgarbrasierer). 7–8I2013 29