Die albernen Attentäter

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Die albernen Attentäter
DONNERSTAG, 5. FEBRUAR 2015
Kino
NUMMER 29
Der Ringer
und sein
Sponsor
Film-Geflüster
Erster „Heimat“-Film von
Edgar Reitz jetzt restauriert
Nach fast fünf Jahren Restauration
wird in Mainz eine neue digitale
Kinofassung des ersten Teils des
„Heimat“-Epos von Regisseur
Edgar Reitz gezeigt. Reitz werde bei
der Erstvorführung an diesem
Wochenende dabei sein, teilte das
Mainzer Kulturministerium mit.
„Heimat – Eine deutsche Chronik“
hatte 1984 Premiere und ein Millionenpublikum erreicht. (dpa)
„Foxcatcher“: reales
Drama aus dem Sport
VON MARTIN SCHWICKERT
Appetit auf die Oscars beim
„Lunch der Nominierten“
Drei Wochen vor der Oscar-Verleihung am 22. Februar gab es für die
Stars einen Vorgeschmack auf die
Preisgala. Zum traditionellen
„Lunch der Nominierten“ im Beverly Hilton Hotel erschienen über
150 Nominierte, die auf Gold hoffen. Vertreten waren alle Anwärter
auf die Hauptdarstellerpreise : Steve
Carell, Bradley Cooper, Michael
Keaton, Eddie Redmayne, Marion
Cotillard, Felicity Jones, Julianne
Moore, Rosamund Pike und Reese
Witherspoon. Auch der deutsche
Filmkomponist Hans Zimmer („Interstellar“) war dabei. (dpa)
Selbst unter Aufsicht nordkoreanischer Militärs ist den Journalisten Aaron (Seth Rogen, rechts) und Dave (James Franco) zum Albern.
Die albernen Attentäter
Clint Eastwoods Sohn spielt
in Snowden-Film mit
Scott Eastwood, 28, Sohn von Hollywood-Star Clint Eastwood, 84,
soll in Oliver Stones Film über Edward Snowden
mitspielen. Er werde einen Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA darstellen, berichtet
das Kinoportal
Clint Eastwood Deadline.com. Joseph Gordon-Levitt („Inception“)
steht für die
Hauptrolle des ExNSA-Mitarbeiters
und Whistleblowers
Edward Snowden
Scott Eastwood fest. Oscar-Preisträger Stone („JFK –
Tatort Dallas“, „Nixon“) will in
diesem Monat in München mit den
Dreharbeiten beginnen. Die bayerische Filmförderung trägt dazu 1,6
Millionen Euro bei. (dpa)
Paula-Filmpreis
für Rolf Hoppe
Der Schauspieler Rolf Hoppe, 84,
wird bei der Berlinale am 8. Februar mit dem Paula-Filmpreis ausgezeichnet. Die Laudatio hält Jan
Josef Liefers. Beide lernten sich in
den 1980er Jahren am Staatsschauspiel Dresden kennen. Die Bronzetrophäe ehrt Filmschaffende, die
ihre Karriere zu DDR-Zeiten bei
der DEFA begannen und sich auch
heute um den deutschen Film verdient machen. Zu Hoppes bekanntesten Filmen gehören „Mephisto“
und „Frühlingssinfonie“. (dpa)
Foto: Columbia Pictures/Sony
The Interview Um den Film gab es eine Mordsaufregung, Nordkoreas Diktator Kim Jong-un
drohte den USA mit Vergeltung. Vielleicht war das alles aber bloß ein Marketing-Manöver
VON GÜNTER H. JEKUBZIK
Nein, lieber Kim Jong-un, dieser
Film läuft nicht auf der Berlinale,
sondern auf der parallel stattfindenden Gala „Cinema for Peace“. Jedoch ist diese Platzierung ebenso
eine falsche Fassade wie deine Jubelkundgebungen in Pjöngjang. Es
ist erstaunlich, was für eine filmische Nichtigkeit angeblich wegen
der Drohungen des nordkoreanischen Diktators den amerikanischen
Multimedia-Konzern Sony in die
Knie zwang und für zwischenstaatliche Verstimmungen sorgte. Sicher
wird dies alles das Einspielergebnis
von „The Interview“ vervielfachen,
was uns ins Grübeln bringt, ob es
nicht doch alles ein komplexes Marketing-Manöver war ...
Schon herrlich, wie James Franco
hier als lächerlicher Talkshow-Host
Dave Skylark alberne Gesten, wie
man sie auch von Markus Lanz
kennt, ins Absurde übertreibt! Genial, wie Skylark das Coming-out
vom angeblichen Schwulen-Hasser
Eminem live fast verpasst, wenn
nicht sein etwas mehr mit Hirn gesegneter Produzent Aaron Rapaport
(Seth Rogen) die Sensation über
Kopfhörer zur nationalen Erfolgssendung steuerte. Denn dieses Be-
kenntnis sei, „wie Spike Lee, der gesteht, dass er weiß ist“ (Originalton
Skylark)!
Vom Niveau der trashigen Show,
die bei einem Prominenten, der Sex
mit einer Ziege hatte, die Ziege interviewen will, ist Rapaport allerdings selbst nicht überzeugt. Er will
endlich einmal „was richtiges Bewegendes und Ernstes“ machen. Wie
gut, dass Kim Jong-un ein großer,
na ja ... ein Fan von Skylark ist. So
bekommen beide Helden die einmalige Chance, den nordkoreanischen
Diktator (Randall Park) live zu in-
terviewen. Was den US-Geheimdienst auf die reichlich abgenutzte
Idee bringt, die zwei albernen Journalisten zu Kommunisten-Killern
zu machen. Doch so, wie sie ihr tödliches Attentats-Pflaster an einen
Wachmann verschwenden, hat der
Film hier sein Pulver schon weitestgehend verschossen.
James Franco als Vollidiot mit
ebenso ordinären wie dämlichen
Sprüchen zu sehen, ist eine ganze
Weile ein Vergnügen. Hinzu kommt
ein Haufen Insider-Scherze und
dauernde „Herr der Ringe“-Refe-
Ein unzertrennliches Freundespaar
Evan Goldberg (*1982 in Vancouver/
Kanada) begann nach dem Studium
als Autor fürs US-Fernsehen und arbeitete Sasha Cohen Barons Figur Ali G
zur TV-Show um. Mit Seth Rogen bildet
er ein unzertrennliches Team, seit
Kindertagen sind sie befreundet. Ihr
erster gemeinsamer Geniestreich
war 2007 die Komödie „Superbad“.
Super besetzt mit Ben Stiller, Vince
Vaughn und Jonah Hill war 2012 ihr
Sci-Fi-Thriller „The Watch – Nachbarn der 3. Art“ – die Verteidigung der
Erde vor einer Invasion von Aliens.
Noch mehr Promis brachte die Komödie „Das ist das Ende“ (2013), geschrieben und inszeniert von beiden,
vor die Kamera: Während einer Party bei James Franco u. a. mit Rihanna,
Jonah Hill, Emma Watson, Channing
Tatum werden die Stars von der Apokalypse überrascht. Zum ersten Mal
spielte Goldberg auch selbst mit. In
„The Interview“ blieb er wieder als
Regisseur und Autor im Hintergrund.
Ihm fiel der „Spaß“ mit dem Outing
von Rapper Eminem („ein verdammt
guter Schauspieler“) ein. (loi)
renzen, in denen Nordkorea Mordor vertritt. Finger werden in einer
ziemlich durchgeknallten SplatterEinlage auch abgebissen. Aber sobald die Killer-Mission beginnt,
wird „The Interview“ langweilig
blöd und ernsthaft unglaubwürdig,
da haben andere Agenten-Parodien
sich mehr Mühe gegeben.
Letztlich besteht „The Interview“ aus einer Menge Ausschnitte
für viele Trailer: Kim und Dave,
zwei zumindest metrosexuelle Idioten, die sich ganz doll lieb haben und
auf Katy Perry stehen, dürfen zu ihrem „Firework“ und Margaritas
Panzer fahren. Den Panzer, den Stalin Kims Opa geschenkt hat – „Stallone spricht man ihn amerikanisch
aus“, das ist noch ein letztes Aufzucken von Skylarks blöden Sprüchen.
Dass dauernd schwule Freundschaften angedeutet werden, zündet
ebenso wenig wie die Borat-Imitate
in den offiziellen koreanischen Liedern. Erstaunlich nur, mit welcher
Penetranz wenige Scherze immer zu
lang ausgewalzt werden. Das Ergebnis ist ein Film, der sich mehr und
mehr zieht. Es bleibt nach dem
Hype die Erkenntnis: Viel Lärm um
nicht viel.
***
O Filmstart in vielen Kinos der Region
Schießpulver, Dynamit, Plutonium
– damit hat es die Fabrikantenfamilie du Pont zu unerhörtem Reichtum gebracht. Ihr Anwesen in
Pennsylvania sieht nicht zufällig aus
wie eine vergrößerte Version des
Weißen Hauses. Darin gibt es sogar
einen eigenen Raum für die Trophäen, die Mrs. Jean du Pont (Vanessa
Redgrave) als Züchterin von Rassepferden gesammelt hat. Ihr Sohn
John (Steve Carell) hasst Pferde und
träumt von einer eigenen TrophäenSammlung, die er als Sponsor und
Coach eines Ringer-Teams aufbauen möchte. Er lässt Olympia-Sieger
Mark Schultz (Channing Tatum)
einfliegen, der gemeinsam mit seinem Bruder Dave (Mark Ruffalo)
1984 in Los Angeles Gold gewonnen
hat. Der reiche Mäzen bietet optimale Trainingsbedingungen und ein
fettes Jahresgehalt. Mark sieht darin
die Chance, aus dem Schatten des älteren Bruders herauszutreten.
Bereits in „Moneyball“ hatte
Bennett Miller das Genre des Sportfilms dazu genutzt, um einen scharfen, analytischen Blick auf amerikanische Machtverhältnisse dies- und
jenseits des Baseball-Stadions zu
werfen. In „Foxcatcher“ entwickelt
er aus realer Sportgeschichte das
Psychogramm zweier Männer, die
aus völlig unterschiedlichen Milieus
kommend aufeinandertreffen. Zwischen dem Sponsor und dem Ringer
entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis, in dem Mark den Verführungskräften des Geldes ausgesetzt ist und
John sich in einer korrumpierten
Umgebung als Trainer feiern lässt.
Miller baut schleichende Spannung
auf, die langsam aber sicher in die
Tragödie hineintreibt.
****
O Filmstart in Augsburg, Ulm
Sportsbrüder: Mark (Channing Tatum)
und Dave (Mark Ruffalo). Foto: Koch Media
Ihr Schicksal liegt in den Sternen Hacker undercover
Unsere Wertungen
Jupiter Ascending Fantastische Science-Fiction, aber wo blieb die Story? Blackhat Ein sexy Mann bekämpft Terroristen
* sehr schwach
** mäßig
*** ordentlich
**** sehenswert
***** ausgezeichnet
VON FALK STRAUB
Sonst noch angelaufen
● 300 Worte Deutsch „Romeo und
Julia“ auf Multikulti: Während sich
der Chef des Kölner Ausländeramts
(Christoph Maria Herbst) und der
Moschee-Vorsteher (Vedat Erincin)
miteinander zoffen, verliebt sich
ihr Nachwuchs ineinander. Leider
eine ziemlich biedere Komödie.
(Start in Ingolstadt, Königsbrunn,
Memmingen, Neu-Ulm, Penzing,
Ulm.)
● Guten Tag, Ramón Ausländer
rein, sagt diese deutsch-mexikanische Co-Produktion. Fünfmal scheitert Ramón an der US-Grenze,
jetzt reist er ins verschneite Deutschland. In der fremden Stadt stößt er
auf die hilfsbereite Tante Gloria, und
alles wird gut in diesem Märchen.
(Start in Ingolstadt.)
Mit „Matrix“ (1999) revolutionierten sie die Science-Fiction. Nun
greifen Andy und Lana Wachowski
in „Jupiter Ascending“ erneut nach
den Sternen. Und beweisen: Was
das Erschaffen fantastischer Welten
angeht, kommt derzeit keiner am
Team um das Regieduo vorbei. Was
das Erzählerische betrifft, ist allerdings viel Luft bis zum Firmament.
Jupiter Jones (Mila Kunis) hasst
ihr Leben. Geht es nach Jupiters
Horoskop, dann ist sie zu Größerem
bestimmt. Doch von Astrologie hält
die frustrierte Putze genauso viel
wie vom Inhalt der Toiletten, die sie
schrubbt. Das ändert sich schlagartig, als der Außerirdische Caine
(Channing Tatum) auf der Erde landet, um Jupiter vor Kopfgeldjägern
zu retten. Langsam aber sicher
schwant ihr, dass ihr Schicksal doch
in den Sternen liegen könnte.
Erneut plündern die Geschwister
Wachowski munter den popkulturellen und ihren eigenen Kosmos.
War „Matrix“ noch ein düsterer
Mix aus Cyberpunk mit Anleihen
bei Platon, Lewis Carroll und
George Orwell, kommt „Jupiter
Ascending“ als bonbonbunte Weltraumoper
irgendwo
zwischen
„Aschenputtel“, „Die Schöne und
das Biest“ und „Per Anhalter durch
die Galaxis“ daher. Verglichen mit
dem optischen Feuerwerk, das die
Wachowskis auf der Leinwand abbrennen, geraten Erzählung und
Action jedoch zu Rohrkrepierern.
Zwar sind die Kämpfe, Schusswechsel und Verfolgungsjagden sauber
choreografiert, unterscheiden sich
äußerlich aber kaum von vergleichbaren Großproduktionen. Durch zu
viele Parallelhandlungen verliert die
Geschichte zudem recht schnell an
Drive. Das größte Problem sind dabei die beiden Hauptdarsteller. Die
Romanze zwischen Jupiter und
Caine will einfach nicht recht zünden. Da knistert leider nichts. **
O Filmstart in vielen Kinos der Region
Kühle Liebe verbindet Caine (Channing Tatum) und Jupiter (Mila Kunis). Foto: Warner
VON ANDRÉ WESCHE
Wenn nahe Hongkong der Kühlturm einer kerntechnischen Einrichtung in die Luft fliegt, weil Hacker von außen die Pumpen zum
Überhitzen gebracht haben, horchen auch westliche Geheimdienste
besorgt auf. Und wenn die selben
Täter auch noch die Börse manipulieren, hört der Spaß endgültig auf.
Die chinesische Regierung und das
FBI nehmen zaghaft und misstrauisch miteinander Kontakt auf.
Rasch kommt der inhaftierte Hacker Nicholas Hathaway (Chris
Hemsworth) ins Spiel, der einst ein
Programm entwickelte, auf welchem die Internet-Terroristen aufbauen, während sie weiterhin Böses
planen. Nicholas erklärt sich bereit,
bei der Suche zu helfen, wenn er im
Erfolgsfall ein freier Mann wird.
Doch schon bald geht es für ihn
nicht mehr um Freiheit oder Knast,
sondern um Leben und Tod.
Bei Freunden des anspruchsvollen Thrillers hat Michael Mann einen verheißungsvollen Klang. Vor
zwanzig Jahren ließ der Regisseur
im Action-Krimi „Heat“ die Gigan-
ten Robert De Niro und Al Pacino
aufeinander los. Später schickte er
Tom Cruise in „Collateral“ als Killer durch die Nacht, dann erweckte
er die TV-Legende „Miami Vice“
auf der Leinwand zu neuem Leben.
Nun begibt sich Michael Mann auf
das Terrain des Cyberthrillers, und
„Blackhat“ trägt die unverkennbare
Handschrift seines Machers.
Zur Abwechslung traktiert mal
nicht ein blasser Nerd, sondern der
amtierende „Sexiest Man Alive“
Chris Hemsworth das Keyboard. Zu
Beginn begibt sich das Publikum
mit einem zerstörerischen Impuls
auf die Reise durch die Hardware einer digitalen Welt, in der der Druck
auf die „Enter“-Taste größtes Unheil anrichten kann. Später fährt der
Zuschauer durch nächtliche Großstädte, begleitet von pulsierenden
Elektro-Beats. Das wirkt irgendwie
hypnotisch, aber leider auch einschläfernd, weil einem die Figuren
nie wirklich ans Herz wachsen, die
Spannung seltsam verhalten bleibt
und die Geschichte keinen rechten
Sog entwickeln will.
***
O Filmstart in vielen Kinos der Region