Vorlesungsinhalte

Transcription

Vorlesungsinhalte
1
Vorlesung „Biometallorganische Chemie“
1 SWS, aktueller Termin: SS 2015
jeweils donnerstags, 13 – 14 Uhr, Willstätter-HS
Beginn: 16.04.2015
Hörerkreis: Studierende der Chemie und Biochemie im Master-Studiengang
(Semester 7, 8); Anerkennung von 1,5 Credit Points (CP) für diese Veranstaltung.
Empfohlene Literatur
Lehrbücher:
W. Kaim, B. Schwederski, „Bioanorganische Chemie“, Teubner-Verlag, Stuttgart
S. J. Lippard, J. M. Berg, „Bioanorganische Chemie“, Spektrum-Verlag, Heidelberg
C. Elschenbroich, „Organometallchemie“, Teubner-Verlag, Stuttgart (6. Auflage,
2008): Metallorganische Komplexe in der Natur s. S. 292-303 (und weitere Hinweise
auf S. 303 unten).
Monographien:
„Bioorganometallics: Biomolecules, Labeling, Medicine“ (ed. G. Jaouen), Wiley-VCH,
Weinheim, 2006.
N. Metzler-Nolte, in: Comprehensive Organometallic Chemistry III, R. H. Crabtree, D.
M. P. Mingos (eds.), Elsevier, Amsterdam, 2007, Vol. 1, p. 883.
Originalarbeiten:
W. Beck, K. Severin, Chemie in Unserer Zeit 2002, 36, 356.
R. H. Fish, G. Jaouen, Organometallics 2003, 22, 2166.
Special issues on Bioorganometallic Chemistry:
“Tutorial Review”: C. G. Hartinger, P. J. Dyson, Chem. Soc. Rev. 2009, 38, 391.
BMOC-Symposium: z.B. J. Organomet. Chem. 2013, Band 734 (gesamtes Heft).
Inhalte der Vorlesung „Biometallorganische Chemie“
Lehreinheit 1 (1 h)
1. Einführung in die Biometallorganischen Chemie:
Begriffsbestimmungen, Einordnung der Biometallorganischen Chemie in die
Wissenschaft
Chemie,
Überblick
Biometallorganischen Chemie.
über
die
wichtigsten
Themen
der
2
Lehreinheit 2 (ca. 6 h)
2. Natürlich vorkommende Organometallverbindungen:
Vitamin B12, Coenzym B12, Methylcobalamine und Reaktionen, Nickelhaltige Enzyme,
Hydrogenasen, CO-Dehydrogenasen, Acetyl-Coenzym-A-Synthase, Methanogene
Mikroorganismen, Metallcarben-Komplexe im Organismus.
Lehreinheit 3 (ca. 3 h)
3. Organometallverbindungen als biologische Markierungsreagenzien:
Metallcarbonylimmunoassays; Markierung von Peptiden, Zuckern, Steroiden mittels
Metallocen-
bzw.
Metallcarbonylgruppen;
Metallorganische
Komplexe
mit
außergewöhnlichen Lumineszenzeigenschaften als Marker für Biomoleküle.
Lehreinheit 4 (ca. 3 h)
4. Organometallverbindungen in der Medizin:
Antikrebsmittel, Radiopharmazeutika, Carbonylmetallkomplexe unter dem Aspekt
künftiger Anwendungen als Pharmazeutika.
1. Einführung in die Bioorganometallchemie
In der Vorlesung stehen metallorganische Verbindungen (Organometallkomplexe),
die Biomoleküle als Liganden enthalten, im Mittelpunkt des Interesses. Als
Biomoleküle kommen dabei z.B. Zucker, Peptide, DNA und -Bestandteile, Steroide,
Vitamine oder Enzyme in Betracht. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Strukturen, die
Komplexverbindungen als aktive Zentren enthalten. Hauptsächlich kann dabei
zwischen zwei Gruppen unterschieden werden:
a) Komplexe, die in der Natur vorkommen und biologische Funktionen aufweisen
(z.B. Vitamin B12, nickelhaltige Enzyme in Bakterien, Hydrogenasen, CODehydrogenasen,
Acetyl-CoenzymA-Synthase,
methanogene
Mikroorganismen,
vereinzelt Metallcarben-Komplexe).
b) Komplexe, die für medizinische Anwendungen genutzt werden bzw. eine
Applikation in der medizinischen Chemie erkennen lassen.
Ein Hauptmerkmal sollte diesen Verbindungen gemeinsam sein: das jeweilige
Molekül weist mindestens eine Metall-Kohlenstoff-Bindung auf, d.h., im weiteren
Sinne sollen auch Metallkomplexe mit Liganden wie CO, CN (aber auch -Säure-
3
Liganden wie Olefine, Cyclopentadienyl usw.) behandelt werden, die zudem noch
Biomoleküle als Liganden enthalten.
Die
Biometallorganische
interdisziplinäres
Chemie
erweist
Forschungsgebiet,
das
sich
aus
als
einer
junges
dynamisches
Durchdringung
von
bioanorganischer und metallorganischer Chemie hervorgeht. (Definition: „Studium
von Organometallverbindungen mit Bioliganden durch Ausnutzen des Synergismus
zwischen Organometallchemie und Biologie“, R. H. Fish). Die „Geburtsstunde“ der
biometallorganischen Chemie ist jedoch schon vor Millionen von Jahren mit der
Biosynthese des Coenzyms B12 als einer der ersten Verbindungen mit einer M-CBindung in der Natur anzusehen. Ständig werden neue Beispiele in der Biochemie
entdeckt (z.B. spezielle Metalloenzyme enthalten u.a. CN und CO-Liganden), und es
ist davon auszugehen, dass diese Erkenntnisprozesse sich dynamisch entwickeln.
Immer mehr neue Strukturmotive werden in den aktiven Zentren von Enzymen
entdeckt, die bisher noch „verborgen“ in der Natur stets schon von Bedeutung waren.
Rezeptor-gebundene Organometallics werden zunehmend als Pharmazeutika
eingesetzt; bisher waren solche Anwendungen nur auf rein organische Verbindungen
beschränkt. Unter Biometallorganischer Chemie wollen wir also eine fundamentale
Koordinationschemie mit Bioliganden verstehen, wobei mindestens eine M-CBindung im Molekül vorhanden ist und Wasser gewöhnlich das Lösungsmittel für die
zu betrachtenden Prozesse darstellen kann.
Welche Elemente sollen in die Betrachtungen einbezogen werden?
EC-Bindung: E nicht: H, C, N, O, S, Halogene, Edelgase und nicht P; bei E = B, Si,
P und As wird auch der Begriff „Elementorganische Chemie“ verwendet.
„Eingrenzung“ der Elemente aus bioanorganischer Sicht auf die Elemente Si, Ti, V,
Cr, Mn, Fe, Co, Ni, Cu, Zn, Mo, Tc, Ru, Rh, Sn, W, Re, Os, Ir, Pt, Hg (Reihenfolge
nach
PSE
nicht
nach
Bedeutung
bzw.
Häufigkeit).
Bindungstypen:
Die
Koordinationschemie dieser Elemente befasst sich mit kovalenten Verbindungen mit
M(E)C--Bindungen bzw. M(E)C-Bindungen.
Bedeutung der Metalle in der Biochemie:
Etwa die Hälfte aller bisher bekannten Enzyme enthalten Metallionen als die für
deren Funktion wesentliche Komponente im aktiven Zentrum.
4
2. Natürlich vorkommende Organometallverbindungen
2.1 Vitamin B12/Cobalamine
Wir betrachten eine Gruppe wasserlöslicher Vitamine (Cofaktor einer Reihe von
Enzymen; cobalthaltige Corrinoide; Corrinoide werden nur von Mikroorganismen
produziert; Grundstruktur ist das Corrin). Im Gegensatz zu den Porphyrinen, die
exakte Planarität aufweisen, sind im Corrin zwei Stickstoff-Heterozyklen direkt
miteinander verknüpft, die Planarität des Grundkörpers ist somit aufgehoben
(Cobyrsäure, Cobyrinsäure bzw. deren Hexamid).
Im tierischen Organismus vorkommende Derivate leiten sich vom Cobalamin (Co(III)Komplex) ab, als -ständiger Ligand ist hier 5,6-Dimethylbenzimidazolribofuranosid
mit Phosphopropanolaminbrücke gebunden. Vitamin B12 bildet sich u.a. im
Faulschlamm/Belebtschlamm
oder
als
Nebenprodukt
der
mikrobiologischen
Antibiotikaproduktion. Die formale Oxidationsstufe +III erklärt sich wie folgt: eine
negative Ladung im Phosphatrest der Seitenkette, eine negative Ladung des direkt
gebundenen Restes R (R = CN, CH3 bzw. 5´-Desoxyadenosyl), eine negative
Ladung durch Deprotonierung des Corringrundgerüstes.
R = CN: Cyanidocobalamin (CN-Cbl, Vitamin B12 im engeren Sinne, dunkelrotes
Pulver, leicht extrahierbar, in Wasser stabil, sl. EtOH)
R = CH3: Methylcobalamin (Me-Cbl)
R = 5´-Desoxyadenosyl: Adenosylcobalamin (Ado-Cbl)
auch R = H2O (Aquacobalamin, Vitamin B12a).
Neuerdings wurde nun auch über die Synthese und die Kristallstruktur von
Nitroxylcobalamin (NOCbl) berichtet (s. L. Hannibal et al., Angew. Chem. 2007, 119,
5232).
B12-Coenzyme (Me-Cbl und Ado-Cbl) sind die eigentlichen Wirkformen des B12.
Als
corrinoidabhängige
Enzyme
sind
z.B.
beim
Menschen
Homocystein-
Methyltransferase und Methylmalonyl-CoA-Mutase von Bedeutung. Im menschlichen
Organismus werden ca. 3-6 mg V.B12 gefunden (Speicherorgan Leber); der
Tagesbedarf wird mit der Nahrung gedeckt bzw. durch Mikroorganismen des
Darmtraktes gebildet. Im Blutkreislauf befinden sich davon ca. 65% (als Me-Cbl), der
Rest ist in der Leber hauptsächlich als Ado-Cbl gespeichert.
Vitamin B12 weist eine erhebliche Lichtempfindlichkeit auf, d.h. der metallorganischgebundene Ligand kann dabei radikalisch abgespalten werden (s.u.).
5
Historisches: 1948 Isolierung als CN-Cbl; 1955: Strukturaufklärung durch RKSA;
1976: Totalsynthese (Woodward, Eschenmoser).
Die Elektronenkonfiguration in diesen Co(III)-Komplexen ist als low-spin d6 zu
diskutieren (LFSE: 24 Dq).
Redoxreaktionen am Coenzym B12
Aus der o.g. Ausgangskonfiguration sind zwei Einelektronen-Reduktionsschritte zu
diskutieren: Aufnahme eines Elektrons und Abspaltung eines axial gebundenen
Liganden liefert einen Co(II)-Komplex und Aufnahme eines weiteren Elektrons und
Abspaltung des zweiten axial gebundenen Liganden ergibt schließlich einen
quadratisch planaren Co(I)-Komplex (hochreaktiv, Cofaktor, d8-Konfiguration). Auch
hier tritt eine Besonderheit zu Tage: die präparative Komplexchemie kennt bisher nur
Co(I)-Komplexe der KZ 4 mit ausschließlich tetraedrischer Geometrie. In der
Biochemie diskutieren wir hier nun den d8-Sonderfall mit quadratisch planarer
Ligandanordnung – eine Beobachtung, die nur für Verbindungen des Rh(I) und Ir(I)
als höhere Homologe des Cobalts die Regel sind.
2.2 Mechanismen der Co-C-Bindungsspaltung
Die physiologische Aktivität von Alkylcobalaminen beruht auf dem Prinzip der
Bereitstellung von Alkylgruppen für Folgereaktionen in kontrollierter Form. Dabei
werden drei (formale) Möglichkeiten der Co-C-Bindungsspaltung diskutiert: zwei
Wege heterolytischer und ein Weg homolytischer Art.
a) heterolytisch: Reduktion zu Co(I) unter Abspaltung eines Carbokations (CH 3), d.h.
zwei Elektronen verbleiben am Zentralatom:
ICH3 
CH3+ +
2 e
Somit liegt ein sogenanntes „Supernukleophil“ vor, das die typische d8-Reaktivität
quadratisch-planarer Komplexe zeigt; vgl. oxidative Addition/reduktive Eliminierung
z.B. an Rh(I) bzw. Ir(I).
b) heterolytisch: Abspaltung eines Carbanions, so dass Cobalt formal im dreiwertigen
Zustand verbleibt (low-spin). So kann die sechste Koordinationsstelle z.B. von einem
Wasserliganden besetzt werden.
c) homolytisch: Spaltung der Co-C-Bindung in Radikale, somit läge Co(II) und ein
Methylradikal vor (d7, ls, ein ungepaartes Elektron in dz2, ESR-aktiv).
6
Der Reaktionsweg am Co(I)-Zentrum wird im Wesentlichen durch drei Faktoren
bestimmt: sechster Ligand, Natur des Substrats und Redoxpotential. In Abwesenheit
bestimmter Steuerliganden ist der Weg der Abspaltung eines Carbanions, Co(III),
bevorzugt (E etwas oberhalb von 0 V, NWE). Bei niedrigerem Potential (E liegt um
0.9 V) ist der Carbokation-Mechanismus von Bedeutung, Co(I).
Bei
physiologischem
pH-Wert
(Potentialbereich:
0.42
0.82
bis
V)
mit
Benzimidazolliganden sind die heterolytischen Wege ohne Bedeutung und im
Potentialbereich von 0 bis 0.4 V dominiert die homolytische Bindungsspaltung. Dies
ist auch vor allem dann der Fall, wenn alternative (heterolytische) Reaktionswege zu
hohe Aktivierungsenergien erfordern würden.
2.3 Mutase-Aktivität Cobalamin-enthaltender Enzyme
Vitamin
B12
ist
der
Cofaktor
einer
Reihe
von
Enzymen,
die
alle
1.2-
Verschiebungsreaktionen katalysieren, d.h. an zwei benachbarten C-Atomen
wechseln beispielsweise R und H ihre Plätze („Umlagerung“). Sicher scheint zu sein,
dass kein Austausch des „wandernden“ H mit Protonen des Lösungsmittels (H2O)
erfolgt.
Mechanismus (vereinfacht):
SubstratH +
CoCH2R 
SubstratCo
+
H3CR
+
CoCH2R.
„Umwandlung“
ProduktCo +

H3CR
ProduktH
Die meisten Coenzym-B12-katalysierten Reaktionen werden durch Mikroorganismen
realisiert
(Säuger:
hier
Methylmalonyl-CoA-Mutase
für
den
Aminosäure-
Metabolismus in der Leber). Auch viele Dehydratasen und Desaminasen erfordern
B12-abhängige Enzyme. Die 1.2-Verschiebung führt im Fall von 1.2-Diolen oder 1.2Aminoalkoholen zu geminalen 1.1-Isomeren, die nicht stabil sind: es erfolgt
Eliminierung von H2O bzw. NH3.
Da solche 1.2-Verschiebungen in der organischen Synthesechemie nicht leicht zu
realisieren sind, besteht großes Interesse an der Verwendung von Alkyl-CobaltCorrinoid-Komplexen in der organischen Synthese (selbst wenn auch Substrat- und
Stereospezifität ohne Apoenzym nicht gewährleistet sind).
7
Vorstellungen zum Mechanismus:
1)
Reaktives
primäres
Alkylradikal
greift
kinetisch
kontrolliert
(höchste
Reaktionsgeschwindigkeit) selektiv am weniger geschützten H (1°- C-Atom) an und
abstrahiert ein H.
2) Umlagerung (1.2-Verschiebung), da sich sekundäre Alkylradikale stabiler als
primäre erweisen.
3) Reabstaktion eines H vom 5´-Desoxyadenosin durch das 2°-Radikal.
Ist kein Substrat mehr vorhanden, ist der Katalysezyklus beendet; Rückaddition an
[CoII]-Radikal.
Eine direkte Beteiligung des Cobaltkomplexes an der eigentlichen Umlagerung
wurde nicht nachgewiesen, er fungiert lediglich als Alkylradikal-Lieferant.
Beispiele für Reaktionen, die das Coenzym-B12 benötigen, Umwandlung von:
 Glutaminsäure in -Methylasparaginsäure (Glutamat-Mutase)
 2-Methylenglutarsäure in 2-Methylen-3-methylbernsteinsäure (2-MethylenglutaratMutase)
 Ethanolamin in Acetaldehyd/Ammoniak (Ethanolamin-Ammoniak-Lyase)
 Glycerol in 3-Hydroxypropionaldehyd/Wasser (Glycerol-Dehydratase).
2.4 Alkylierungsreaktionen mit B12
Methylcobalamin-induzierte „Bio“-Methylierungen sind im biochemischen Bereich von
großer Bedeutung. Ziehen wir den Vergleich zur organischen Chemie, so erfordert
die Methylierung elektrophiler Substrate metallorganische Verbindungen mit
carbanionischem Charakter, z.B. Lithiumorganyle. Im biochemischen Bereich kann
beispielsweise 5-Methyltetrahydrofolsäure (THFA) CH3+-Ionen zur Verfügung stellen.
Besonders wichtig ist dies für die Bildung der essentiellen Aminosäure (AS)
Methionin
(Methionin-Synthase:
eine
das
Cobalamin-Enzym
erfordernde
Methylierung). Methionin leitet sich von der AS Cystein ab, indem die Kette um eine
CH2-Gruppe verlängert ist (Homocystein), wobei schließlich an der SH-Funktion
methyliert wird (z.B. durch MeCbl). Die Toxizität von Hg-, Sn- und As-Verbindungen
wird im Organismus durch Biomethylierungsprozesse noch weiter erhöht, da sich
Spezies wie Hg-CH3+, SnMe3+ oder AsMe3 bilden, die eine noch wesentlich höhere
Toxizität aufweisen.
8
2.5 Modellkomplexe für B12
„Cobaloxime“ (Schrauzer, 1976): Bis(dimethylglyoximato)-Cobaltkomplexe, die in den
axialen Positionen einen Alkylliganden sowie einen neutralen Liganden tragen,
Co(III). Nachteile: Die supernucleophile Co(I)-Stufe ist unter physiologischen
Bedingungen weit weniger beständig als die Cobalt-Corrin-Systeme.
Bedeutung der Modellkomplexe für mechanistische Fragestellungen:
Die enzymatische „Aktivierung“ des Coenzyms B12 (AdoCbl), in der die Homolyse
einer Co-C-Bindung durch das Coenzym im Kontakt mit dem Enzym die Katalyse um
das 109 bis 1014-fache erhöht wird (im Vergleich mit dem Cofaktor allein), stellt eine
der noch unbeantworteten Fragestellungen der bioanorganischen Chemie dar (vgl.
K. L. Brown, Dalton Trans. 2006, 1123 und dort zitierte Literatur). Wir betrachten in
diesem Zusammenhang Studien mit axialen Phosphanliganden unterschiedlichen
Raumbedarfs/Basizität an Cobalt-Porhyrin-Komplexen einerseits im Vergleich mit
Cobaloximen als Corrin-Modellen andererseits (vgl. z.B. M. K. Geno, J. Halpern, J.
Am. Chem. Soc. 1987, 109,1238). Man betrachtet dabei die Aktivierung eines CoBenzyl-Bindungsbruchs. Im Porphyrin-Modellkomplex (Octaethylporphyrin, oep)
scheinen elektronische Effekte (Basizität), im Cobaloxim-Modellkomplex hingegen
der Raumbedarf des 6. Liganden entscheidend zu sein. Die Nicht-planarität des
Corrin-Komplexes ist entscheidend: sterische Kontrolle der Radikalbildung im Enzym;
(entatischer
Zustand,
d.h.
energiereicher,
„gespannter“
Zustand
eines
Enzymkatalysators, der die Geometrie des Übergangszustandes weitgehend
vorgebildet enthält).
Der Co-C-Bindungsbruch (Dissoziation) wird eben durch sterische Effekte begünstigt.
Flexibilität des Corringerüstes: es kann eine Enzym-induzierte Verdrehung des
Corrinrings gegen die 5´-Desoxyadenosylgruppe erfolgen, was eine Schwächung der
Co-C-Bindung zur Folge hat. Letzteres wurde durch Röntgenkristallstrukturdaten
belegt, indem mehrere enge Kontakte zwischen Atomen der Adenosylgruppe und
Atomen des Corrinrings sowie der Substituenten nachgewiesen wurden. Diese
Studien
ergaben,
dass
die
Natur
hier
das
Corringerüst
nutzt
und
Porphyrinsystem, weil letzteres offensichtlich eine zu hohe Starrheit aufweist.
kein
9
Bsp. [Co(oep)(R)L] (oep = octaethylporphyrinato; L = PCy3, PPh3) im Vergleich mit
[Co(dmg)2(R)L] (dmg = dimethylglyoximato), R = CH2Ph:
D(Co-R) [kJ/mol]
Porphyrinkomplex vs. Bis(dimethylglyoximato)-Komplex
ca. 118
ca. 91
(PCy3)
ca. 95
ca. 104
(PPh3)
Tricyclohexylphosphan ist gegenüber dem Triphenylphosphan der bessere -Donor
(Verstärkung der trans-ständigen Bindung im Porphyrinmodellkomplex). Wird die
Starrheit des Modellkomplexes aufgehoben, gewinnt die Größe des Liganden
offensichtlich an Bedeutung. Das sterisch anspruchsvollere PCy3 induziert eine
Aufweitung der Co-C-Bindung (Bindungsschwächung). Möglich wird dies durch eine
Verdrehung des Dioximatogerüstes weg von L gegen die Gruppe R (Untersuchungen
basieren auf kinetischen Studien z.B. mit Hilfe des Radikalfängers TEMPO).
2.6 Nickelhaltige Enzyme: Hydrogenasen
(Literatur: Übersicht über die Metalloenzyme der Hydrogenasen in: J. C. Gordon, G.
J. Kubas, Organometallics 2010, 29, 4682.)
Hydrogenasen sind Enzyme, die die reversible 2e-Oxidation von H2 am Ende der
„Elektronentransfer-Kette“ katalysieren.
H2

2 H
2e
+
Sie werden in Mikroorganismen, Bakterien und Grünalgen gefunden (Anaerobier);
diese Organismen nutzen den Wasserstoff als Energiequelle. In diesem Fall kann
Wasserstoff
anstelle
Energielieferant
von
fungieren.
NADH
(Nicotinsäureamid-adenin-dinukleotid)
Nickelhaltige
Bakterien
sind
unter
als
anaeroben
Bedingungen aktiv, im Kern der Enzyme wirken Zweikernkomplexe (Ni/Fe).
Die Elektronen für den Redoxprozess passieren einen Kanal von Fe-S-Clustern (s.
auch: LE 4 bis 6 der Vorlesung „Bioanorganische Chemie“ über Rubredoxin, RieskeZentren und Ferredoxine).
Wir unterscheiden folgende Typen metallhaltiger Hydrogenasen: NiFe, Fe2 („Feonly“) und NiFeSe (in letzterem Fall ist lediglich der Schwefel im angebundenen
Cysteinliganden gegen Se ersetzt, Selenocystein). Inzwischen ist noch eine
einkerniges
Fe-System
erkannt
worden,
das
ursprünglich
Enzymzentrum angenommen wurde: [Fe]-Hydrogenase.
als
metallfreies
10
[NiFe]-Hydrogenase:
Die
Kristallstrukturanalyse
an
Desulfovibrio
gigas
ergab,
dass
die
Elektronentransferkette aus einem Fe3S4- und zwei benachbarten Fe4S4-Clustern
besteht und der eigentliche Katalysezyklus schließlich an einem angrenzenden NiFeZweikerngerüst realisiert wird.
Das
aktive
Zentrum
der
[NiFe]-Hydrogenase
setzt
sich
nach
derzeitigen
Erkenntnissen wie folgt zusammen: (CysS)2Ni(-SCys)2Fe(CN)2CO (aktive Form),
beide Metallzentren befinden sich in der formalen Oxidationsstufe +II. Obwohl ein
kurzer Fe-Ni-Abstand gefunden wird (261 pm), wird davon ausgegangen, dass keine
M-M-Bindung vorliegt. (Neuere Untersuchungen, vgl. F. Neese et al., J. Am. Chem.
Soc. 2013, 135, 3915, deuten allerdings darauf hin, dass doch in den bedeutenden
Schritten des Katalysezyklus M-M-Bindungen als sehr wahrscheinlich erscheinen.
Das Ni(II)-Zentrum ist nahezu quadratisch planar koordiniert. In der inaktiven Form
werden ein verbrückender Hydroxido- bzw. ein Oxidoligand angenommen. Weiterhin
bewirkt CO eine Blockierung der Aktivität (reversibel), indem das CO am Nickel
koordiniert und somit eine schwache Semiverbrückung resultiert.
Über den Katalysezyklus herrscht noch kein Konsens. Sicher scheint zu sein, dass
eine heterolytische Spaltung von H2 erfolgt. Somit wird H gebildet, was zur Bindung
eines Hydridoliganden führt, der als verbrückender Ligand zwischen
den
Metallzentren anzunehmen ist. Sicher erscheint auch, dass ein Wechsel von Ni(II) zu
Ni(III) erfolgt (Nachweis über ESR, Auftreten und Verschwinden von ESR-Signalen,
d7, S = ½). Prinzipiell wäre aber auch eine antiferromagnetische Kopplung von Ni(III)
mit einem reduzierten [4Fe-4S]-Cluster denkbar, was ebenfalls zum Verschwinden
der ESR-Signale führen könnte. Bezüglich des oxidierten Zustandes wird
angenommen, dass Fe stets als ls-Fe(II) vorliegt. Damit wird die Funktion der
Starkfeldliganden CO und Cyanid deutlich: nur so kann eine kovalente M-H-Bindung
(Hydridoligand) realisiert werden.
Kontrovers zur Diskussion des Oxidationsstufenwechsels am Ni wurde an einem
trinuklearen Modellkomplex (Ni2Fe) gezeigt, dass eine leichte Reduktion von H+ zu
Wasserstoff am System erfolgt. DFT-Rechnungen ergaben allerdings, dass der
Oxidationszustand der Metallzentren während der Oxidation unverändert bleibt: ein
ungepaartes Elektron wird zu einem hohen Ausmaß auf ein Ni und (!) die
angrenzenden Thiolatoliganden verteilt, also über den gesamten Cluster (besonders
11
konzentriert auf den S2-Liganden; vgl. F. Lauderbach et al., Eur. J. Inorg. Chem.
2007, 3385).
Als Indikator für die Elektronendichte an den Metallzentren (Korrelation zur
Oxidationsstufe) wird die (CO)-Valenzschwingung des Carbonylliganden am
Fe(CN)2(CO)-Fragment im IR-Spektrum herangezogen. Hierbei deutet generell die
Lage der Bande bei höheren Wellenzahlen auf die höhere Oxidationsstufe hin.
Es stellt sich häufig die Frage, warum die Natur nicht mit nur Carbonylliganden (bzw.
nur
Cyanido-Liganden)
in
den
Hydrogenase-Zentren
auskommt.
Hier
wird
offensichtlich ein Optimum an Elektronendichte in diesen aktiven Zentren benötigt:
Wechselspiel zwischen CN als besserem -Donor- und CO als besserem Akzeptor-Ligand zur Einstellung einer offensichtlich „optimalen“ Elektronendichte an
den Metallzentren.
[FeFe]-Hydrogenase („Fe-only“):
Auch in diesen Hydrogenasen ist ein Elektronentransfer-Kanal von Fe-S-Clustern
wirksam.
Kristallstrukturen
an
Clostridium
pasteurianum
bzw.
Desulfovibrio
desulfuricans zeigten, dass der Kanal von zwei [4Fe-4S]-Clustern gebildet wird, der
schließlich
mit
dem
sogenannten
„H-Cluster“
verbunden
ist.
Bei
diesem
ungewöhnlichen Cluster handelt es sich um einen Fe 6-Cluster, der sich aus einem
Fe4S4-Kuban-gerüst mit unmittelbarer µ-SCys-Brücke zum eigentlich aktiven Fe2S2Gerüst zusammensetzt. Obwohl ein kurzer Fe-Fe-Abstand gefunden wird, ist unklar,
ob eine Fe-Fe-Bindung vorliegt. Die Fe-Zentren sind über eine Propan-1.3-dithiolatoBrücke verbunden, in deren Spitze CH2, NH oder O angenommen werden kann. Der
derzeitige Kenntnisstand lässt eine NH-Brücke am sichersten erscheinen. Die beiden
Eisenzentren tragen auch
in diesem Fall jeweils einen CO- und einen
Cyanidoliganden. Zwischen beiden Fe wird noch ein weiterer Brückenligand
gefunden (H2O in D. desulfuricans, CO in C. pasteurianum). Dieser Brückenligand
wurde unsymmetrisch gebunden lokalisiert. Das proximale Fe (benachbart zum Fe4Gerüst, Fep) weist die KZ 6 auf, während das distale Fe (Fed) fünffach koordiniert ist.
Auch hier wurde nachgewiesen, dass CO-Zugabe zu einer Inhibierung der
katalytischen Aktivität führt. Ähnlich wie im Fall der NiFeH2ase bleibt der ls-Zustand
der
Fe-Zentren
während
des
Katalysezyklus
erhalten
(Funktion
der
Starkfeldliganden). Der sogenannte „H-Cluster“ mit seinen sechs Fe-Zentren ist
12
offensichtlich elektronisch als eine untrennbare Einheit zu sehen, es werden
delokalisierte MO´s diskutiert (Pickett et al. Chem. Commun. 2006, 3696). Im Jahre
2005 gelang die Synthese eines Modellkomplexes, der „nahe“ an die Verhältnisse
des aktiven Zentrums heranreicht (Pickett et al. Nature 2005, 433, 610). Die
Modellverbindung katalysiert die o.g. Schlüsselreaktion, allerdings mit wesentlich
geringerer Aktivität als das natürliche System.
In der aktuellen Literatur erscheinen ständig zahlreiche neue Arbeiten über
Modellkomplexe zur Fe2-Hydrogenase (vgl. z.B. Organometallics 2005, 24, 2020 und
dort zitierte Literatur), wobei häufig ein µ-Hydridoligand im Katalysezyklus
angenommen wird. Ein solches Strukturfragment besitzt allerdings nicht die
biologisch relevante Stereochemie, so dass gegenwärtig ein Mechanismus der
Bindung des H2-Moleküls über die NH-Brücke (im Propandithiolat) und einer
terminalen Anbindung an das distale Fe-Atom am wahrscheinlichsten ist (vgl. X. Liu
et al., Coord. Chem. Rev. 2005, 249, 1641). Die IR-Spektroskopie erweist sich hier
als wertvolles Hilfsmittel, um Aussagen zum Bindungsmodus der CO-Liganden
(terminal oder verbrückend) zu erhalten. Weiterhin können somit Hinweise auf die
unterschiedliche Elektronendichte an den beiden Fe-Zentren erhalten werden. In der
reduzierten Form wird für die CO-Liganden folgendes beobachtet: (CO)Fep 
(CO)Fed, d.h. die Elektronendichte am distalen Fe ist offensichtlich größer
(Hydridoligand gebunden). Für die oxidierte Form wird Paramagnetismus beobachtet,
d.h. eine Kombination von Fe(I)/Fe(II) liegt vor.
Die intensiven Forschungen auf diesem Gebiet sollten nicht zuletzt zur Entwicklung
eigenständiger
Clusterspezies
elektrokatalytischer
Materialien
(Katalysatorvorläufer)
für
eine
mögliche
hinsichtlich
Anwendung
z.B.
neuer
in
der
Brennstoffzellentechnik beitragen. Derzeit basieren die Systeme auf platinhaltigen
Materialien (teuer, begrenzt anwendbar, „nicht nachhaltig“!).
13
Abbildung: „H-Cluster“ (Farbcode: grün, Fe; rot, O; gelb, S; türkis: N).
Die [Fe]-Hydrogenase: ein jüngst entdecktes katalytisches Zentrum in
Hydrogenasen
Literatur: Tutorial Review s. M. J. Corr, J. A. Murphy, Chem. Soc. Rev. 2011, 40,
2279; X. Hu et al. Chem. Asian J. 2013, 8, 1068.
Die [Fe]-Hydrogenase wird auch als H2-bildende MethylentetrahydromethanopterinDehydrogenase (Hmd) bezeichnet. Dieses erst kürzlich aufgeklärte Enzym katalysiert
die reversible Reduktion von Methenyltetrahydromethanopterin, Methenyl-H4MPT+,
mit H2 zu Methylentetrahydromethanopterin, Methylen-H4MPT, und H+. (Ursprünglich
wurde dieses Enzym als Fe-S-Cluster-freie Hydrogenase bzw. H2-bildende
Methylentetrahydromethanopterin-Dehydrogenase angesehen.)
Die Reaktion ist u.a. der Schlüsselschritt in der Produktion von Methan aus CO 2 in
Prozessen methanogener Bakterien.
14
Das aktive Zentrum der [Fe]-Hydrogenase stellt einen oktaedrisch koordinierten
Fe(II)-Komplex dar. Eine Fe(I)-Spezies erscheint wenig wahrscheinlich, da Hmd
keinerlei EPR-Signale zeigte. Zwei Carbonylliganden sind cis-ständig zueinander
angeordnet (axiale Position, dort auch ein Cysteinatoligand und ein bisher noch
unbekannter Ligand koordiniert. In axiale Position befinden sich ein Wasserligand
und ein substituierter Pyridonligand (Pyridon-Guanylnukleotid).
Aus dem Hmd-Cofaktor konnte folgender Pyridon-Ligand isoliert werden:
Anders als im Falle der [FeFe]- bzw. [FeNi]-Hydrogenasen enthält die [Fe]Hydrogenase
keine
Bindungssituation
Fe-S-Cluster,
die
allerdings
ähnlich
sind
elektronische
zu
den
Struktur
anderen
und
die
metall-haltigen
Hydrogenasen: es sind CO-Liganden gebunden und das Fe-Zentrum befindet sich
stets im low-spin-Zustand.
Folgender Mechanismus wird für den Hydridtransfer vorgeschlagen (basierend auf
Berechnungen durch den Modellkomplex 25).
15
Vorschlag zum Mechanismus der Wasserstoffspaltung durch den Komplex 25.
Ähnlich zu den vorher diskutierten Hydrogenase-Zentren scheint auch hier eine
heterolytische H2-Spaltung eine Rolle zu spielen, wobei ein Fe-Hydridokomplex
gebildet wird (s. Komplex 30). Eine gut bekannte, vergleichbare Reaktion der
metallorganischen Komplexchemie wäre hierzu:
[Fe(H)(CO)4] → [Fe(CO)4]2 + H+ (pKS  14).
Die Umwandlung von 30 in 31 kehrt den vorherigen intramolekularen 2e-Transfer
um, dabei wird das Fe positiv polarisiert, was wiederum die Bindung der
Carboxylatgruppe zur Folge hat (vor dem Protonentransfer). Im Jahre 2009 wurde
ein weiterer Mechanismus der H2-Spaltung an einem Modellkomplex (32) vorgestellt.
16
Vorschlag zum Mechanismus der Wasserstoffspaltung durch den Komplex 32.
Hier wird vorgeschlagen, dass 35 den Cofaktor im Ruhezustand des Enzyms
darstellt. Hinweise dafür ergeben sich aus den berechneten Wellenzahlen für die
beiden CO-Liganden (2007 und 1949 cm1). Bei Anwesenheit von H2 verändert sich
das Mößbauer-Spektrum des Fe in Hmd nur unwesentlich. Daraus ergibt sich der
nachfolgende, neuerdings diskutierte Mechanismus. Dabei reagiert 35 mit Ph-MPT+
(41) unter Hydridabstraktion (über Übergangszustand 36) zum Intermediat 37. Der
stabilere Komplex ist dann schließlich die Spezies 38. Protonenabgabe (vom
protonierten Cys-Liganden) führt dann zu 39 bzw. 40. Die Anwesenheit des CysSchwefels und der Pyridin-hydroxylgruppe scheinen unbedingt für die H2-Spaltung
erforderlich zu sein.
17
Vorschlag zum Mechanismus der Wasserstoffspaltung durch den Komplex 35.
18
Modellkomplexe für den Cofaktor von Hmd und des Substrates
Der Iridiumkomplex 46 kann beispielsweise als Modell für Hydrogenase-Aktivität
dienen, da er 1-Phenylethanol zu Acetophenon dehydrieren kann.
Ein Iridiumkomplex, der Dehydrieraktivität zeigt.
Da neuerdings klar zu sein scheint, dass der FeGP-Cofaktor ein Fe-Acyl-Intermediat
binden kann, und außerdem den Cysteinatoliganden benötigt, wurde in einer Art
oxidativer Addition ein instabiles Intermediat (50) erhalten, das mit einem
Cyanidoliganden stabilisiert werden konnte.
Oxidative Addition eines Thioesters an einen Eisencarbonylkomplex.
Weitere Modellkomplexe:
19
Modell für Substrat:
Abb.: Das Amidin-Kation (58) reagiert leicht mit H2 am Amidinkohlenstoff.
Weitere aktuelle Arbeiten an Modellkomplexen zur [Fe]-Hydrogenase
Lit.: D. Chen, A. Ahrens-Botzong, V. Schünemann, R. Scopelliti, X. Hu, Inorg. Chem.
2011, 50, 5249; D. Chen, R. Scopelliti, X. Hu, Angew. Chem. 2011, 123, 5789.
Bisher gehen die Studien meist nur soweit, dass die Modellkomplexe dem aktiven
Zentrum der [Fe]-Hydrogenase nachempfunden werden (Hauptmerkmal sind stets
zwei cis-ständige CO-Liganden in einem oktaedrischen Fe(II)-Komplex, der auch
meist einen Pyridonato- und einen Thiolato-Liganden enthält). Diese Komplexe
dienen als Modelle für IR- und Mößbauer-Studien für das aktive Zentrum von [Fe]Hydrogenase.
Die
mittleren
CO-Valenzschwingungen
und
die
Isomerie-
verschiebungen (Mößbauer) fallen in den Bereich, wie er für das System des
natürlichen Enzyms gefunden wird. An Studien zur Reaktivität gegenüber H+ bzw. H2
mangelt es allerdings gegenwärtig. Da der sechste Ligand (“unknown ligand” oder
koordiniertes Solvensmolekül?) noch unklar ist, ist auch die exakte KZ des FeZentralatoms unsicher: entweder KZ 5 (quadrat.-pyramidal) oder KZ 6 (Oktaeder). In
der CO- bzw. CN- inhibierten [Fe]-Hydrogenase ist die sechste Koordinationsstelle
von CO bzw. Cyanid besetzt. Obwohl unklar ist, ob der Ruhezustand fünf- oder
sechsfach koordiniert ist, scheint es sicher, dass die aktive Spezies – wie allgemein
aus den Mechanismen von Katalyseprozessen bekannt – fünffach koordiniert zu
sein, um so eine Substratanlagerung zu ermöglichen. Es gelang jetzt in diesem
Zusammenhang,
einen
fünffach
koordinierten
Fe(II)-Modellkomplex
zu
charakterisieren, der die strukturellen Hauptmerkmale des aktiven Zentrums der [Fe]Hydrogenase aufweist. Das Fehlen der Reaktivität dieses Komplexes gegenüber
Donorliganden könnte allerdings darauf hindeuten, dass der selbst Ruhezustand des
Enzyms doch nur fünffach koordiniert sein könnte.
20
Weitere nickelhaltige Enzyme: CO-Dehydrogenasen (CODH) und Acetyl-Coenzym ASynthase (ACS)
Die reversible Umwandlung von CO und CO2 wird durch KohlenmonoxidDehydrogenasen (CODH) realisiert. Diese Enzyme sind Hauptkomponenten des
globalen Kohlenstoffkreislaufs; sie werden häufig - aber nicht ausschließlich – in
bifunktionellen Enzymen gemeinsam mit der Acetyl-CoenzymA-Synthase (ACS)
gefunden.
Diese
Enzyme
synthetisierten
Acetyl-CoenzymA
aus
CO,
einer
Methylgruppe und dem Thiol-CoenzymA.
Fe-Ni-Enzyme verschiedener Bakterien katalysieren die Oxidation von CO zu CO2:
CO
+
H2O

CO2
+ 2 H+ +
2e.
Biochemisch entspricht die Oxidation einer Dehydrierung, da aber CO keinen
Wasserstoff enthält, wäre CO-Oxidoreduktase ein treffenderer Begriff. Die genannte
Reaktion ist reversibel, d.h. sie kann auch der CO2-Fixierung (Assimilation) dienen.
Alle bisher bekannten anaeroben CODH enthalten eine NiFeS-Einheit als aktives
Zentrum (sogenannter C-Cluster), an dem die CO/CO2-Umwandlung stattfindet.
Zwei gut untersuchte Proteine (Röntgenstrukturanalyse) werden in Rhodospirillum
rubrum (monofunktionelle CODH) und in Moorella thermoacetica, früher Clostridium
thermoaceticum, (bifuntionell CODH/ACS) gefunden. Beide enthalten im aktiven
Zentrum einen NiFe3S4-Cluster mit einem zusätzlich angrenzenden exo-Fe-Zentrum.
Alle mechanistischen Überlegungen schließen einen bimetallischen Katalysezyklus
ein, wobei der eigentliche Mechanismus bisher unbekannt ist. Man vermutet den
Angriff eines an Fe gebundenen Hydroxido-Liganden auf einen an Ni gebundenen
CO-Liganden unter anschließender Abspaltung von CO2. Damit liegt die Analogie zur
bekannten Basenreaktion von Metallcarbonylen (Hieber) nahe. Ebenso gut könnte
auch Ni-OH an Fe-CO angreifen und auch Ni-Hydrido-Intermediate werden diskutiert.
Weiterhin ist eine Analogie zum Prozess der Wassergas-Verschiebungsreaktion in
der Technik zu erkennen.
Alle bekannten ACS-Enzyme sind bifunktionell, indem sie den C-Cluster mit CODHAktivität und dazu noch den sogenannten A-Cluster (aktives Zentrum von ACS)
aufweisen. Im Enzym existiert ein „CO-Kanal“: Das freigesetzte CO vom C-Cluster
(aus CO2) tunnelt zum A-Cluster, an dem die Acetyl-CoenzymA -Synthese abläuft.
Mechanistisch herrscht Konsens, dass CO an ein Ni-Methyl-Zentrum bindet und
21
schließlich eine CO-Insertion zu einer Ni-COCH3-Spezies erfolgt, die während der
Reaktion mit CoA das Acetyl-CoA-Produkt freisetzt (Analogie zum technischen
Prozess des Monsanto-Essigsäure-Verfahrens).
Die Methylierung des Ni-Zentrums erfolgt durch MeCbl. In M. thermoacetica ist
Cobalamin der Cofaktor für ein eher ungewöhnliches Enzym, das als corrinoides
Eisen-Schwefel-Protein bezeichnet wird (CFeSP).
CH3-CoIII-CFeSP + CO + CoA-SH  CoI-CFeSP + CoA-S-CO-CH3 + H+.
Schließlich kann durch Hydrolyse Essigsäure abgespalten werden. Der A-Cluster
besteht in allen Fällen aus einem Fe4S4-Cluster, der über einen Cysteinato-Liganden
an ein Zweikerngerüst bindet, das in jedem Fall ein Nickel-Zentrum (distal) enthält.
Das proximale Metall kann Ni(II), Cu(I) oder Zn(II) sein und trägt einen nicht
proteinischen Liganden.
Aktuelle Literatur: J. Sun et al. Inorg. Chem. 2007, 46, 2691; T. C. Harrop et al. Inorg.
Chem. 2006, 45, 3424; K. N. Green et al. J. Am. Chem. Soc. 2006, 128, 6493 ; X.
Tan et al. J. Am. Chem. Soc. 2006, 128, 12331.
22
2.7 Metallcarbenkomplexe in der Biochemie
Bedeutung z.B. bei Funktionen von Cytochrom P450 (Redoxenzym);
Abbau von CKW („reduktive Dehalogenierung“)
z.B.: Ph-CH2Br

Ph-Br
Es gibt Hinweise darauf, dass solche Reaktionen über Chlorcarben-Komplexe
ablaufen könnten. Dazu wurden Modellkomplexe mit Tetraphenylporphyrin (tpp)
isoliert und charakterisiert:
[Fe(tpp)]
+
CCl4

[Fe(CCl2)(tpp)]
(Fe wirkt hier sozusagen als Reduktionsmittel, vgl. auch P. Mansuy et al., Pure Appl.
Chem. 1980, 52, 681.)
Auch der Abbau des verbotenen Insektizids DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) wird
an Cytochrom P450 diskutiert, in diesem Fall sollen Metallavinyliden-Komplexe
(Fe=C=CPh2) eine Rolle spielen.
Neuerdings wurde auch über Untersuchungen berichtet, in denen Cobalamine am
Abbau von DDT und ähnlich chlorierten Spezies beteiligt sind, vgl. z.B. M. A. Jabbar
et al., Chem. Commun. 2007, 1653 und dort zitierte Literatur. Hier scheinen
allerdings Carbenkomplexe keine Rolle zu spielen, sondern alkylierte Spezies.
3. Organometallverbindungen als biologische Markierungsreagenzien
Prinzip der Biomarkierung: können große Biomoleküle und Molekülgruppen selektiv
sichtbar gemacht werden?
23
1. Von einem großen Molekül (z.B. Protein, Enzym, DNA, RNA etc.) ist der Aufbau im
Prinzip bekannt.
2. Untersuchungsmaterial: Molekülgemisch in Lösung bzw. lebende(s) oder tote(s)
Zelle/Gewebe oder undefinierte Mischung aus allem.
3. Fragen: existiert die gesuchte Molekülgruppe(?), wenn ja wie viele gibt es davon
und wo sind sie lokalisiert(?).
4. Problem: es gibt kein „Mikroskop“ dafür; es ist unmöglich, ein bestimmtes Molekül
unter Millionen ähnlicher zu detektieren (Selektivität fehlt!).
5. Forschungsmotivation: z.B. möchte man wissen, auf welchen Chromosomen und
an welcher Stelle bestimmte Gene lokalisiert sind und wie deren Einbau erfolgt ist.
6. Diagnostische Motivation: Zytopathologie benötigt enorme Spezifität/Selektivität
um Vorhandensein von z.B. Bakterien-DNA oder –RNA in Schnittpräparaten oder
Abstrichen nachzuweisen.
Lösung des Problems:
- Synthese eines Markermoleküls (chemische Sonde), das an das gesuchte Molekül
freiwillig andockt („Schlüssel-Schloss-Prinzip“ nach dem Vorbild der bekannten
Antigen-Antikörper-Reaktion).
- Markermolekül mit „molekularem Ballast“, so dass es weithin sichtbar wird: z.B.
Radiomarker (radioaktiver Strahler), Photomarker (lichtaussendende Gruppen),
Fluoreszenz- und Phosphoreszenzmarker (zukunftsträchtig!)
erneute Problematik: Synthese der Sonde ist kompliziert (!)
- Man muss das gesuchte Molekül so gut kennen, dass eine chemische
Komplementärstruktur erstellbar wird, die dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ gerecht
wird (darf nicht an anderen Stellen passen! - Selektivität!)
- Markermolekül sollte in Lösung bzw. im Gewebe eine gewisse Zeit beständig und
beweglich sein, z.B. auch Zellmembran überwinden können.
- Komplementärmolekül muss mit dem markertragendem Ballastteil so gekoppelt
werden, dass der Ballast den „Schlüssel-Schloss-Mechanismus“ nicht stört.
- Komplettes Markermolekül muss in größeren Mengen synthetisierbar sein!
3.1 IR-spektroskopische Methoden
Entwicklung von CMIA (Carbonylmetalloimmunoassays), G. Jaouen (ca. 1990),
24
- FT-IR-Spektroskopie machte es erst möglich; hohe Intensität der CO-Banden und
„spektroskopisches Fenster“ bezüglich der zu untersuchenden Biomoleküle (2100 –
1800 cm1).
Immunoassay = analytische Bestimmung einer biologisch wirksamen Substanz
(Protein, Arzneimittel etc.) mittels Antigen-Antikörper-Reaktion;
Markergruppen: z.B. Cr(CO)3-, Mn(CO)3- oder Co2(CO)6- Fragmente, über Spacer
angebunden; dazu dient z.B. CCH-, Cp- oder Aromat als unmittelbarer Ligand für
die Koordination des MLn- Fragments.
Vorteile:
- nicht radioaktiv (vgl. herkömmliche Immunoassays)
- hohe Nachweisgrenze (bis 1012 mol!)
- verschiedene Assays können gleichzeitig durchgeführt werden,
(vgl. N. Metzler-Nolte, Angew. Chem. 2001, 113, 1072.)
3.2 Elektrochemische Methoden
Ferrocen-Derivate eignen sich wegen der hohen Stabilität besonders gut für
Markierungen,
d.h.,
sehr
geringe
Reaktivität
gegenüber
O2
und
H2O,
Dissoziationsenergie M-cp ist im Vergleich zu anderen Metallocenen sehr hoch (ca.
260 kJ/mol)!
- reversibles, stabiles Redoxverhalten:
[Fecp2]
→
[Fecp2]+
+
e-
Eo = + 0,33 V
FerriciniumVerwendung von Goldelektroden z.B.
- z.B. wahlweise Verknüpfung von Peptiden über N- oder C-Terminus (Detektion u.a.
auch über NMR).
- z.B. Ferrocen-modifizierte Oligonucleotide in der Diagnostik: elektrochemische
Detektion von Basenfehlpaarungen
Vorteile der Methode: hohe Empfindlichkeit, niedrige Kosten, kleine Apparaturen,
auch „trübe“ Lösungen und Aufschlämmungen können untersucht werden.
3.3 Radiochemische Methoden
Traditionelle Methode, z.B. Bestimmung von DNA-Sequenzen und immunologische
Anwendungen aufgrund hoher Nachweisempfindlichkeit
25
wasserlösliches [Tc(H2O)3(CO)3]+ wird spezifisch an Histidin in Peptiden gebunden
(99mTc als Radio-Pharmazeutikum)
eindeutige Nachteile:
- relativ lange Untersuchungszeiten
- kurzlebige Isotope bedeuten hohe Kosten
- Toxizität radioaktiver Reagenzien - Gesundheitsrisiko!
3.4 Markierung mittels organischer Fluoreszenzfarbstoffe: Alternative zu den
radiochemischen Methoden
- eine Vielzahl organischer Fluorophore wurde entwickelt und ist schon kommerziell
erhältlich, aber hier gibt es auch Nachteile:
- organische Farbstoffe weisen Grenzen auf, wie z.B. starke pH-Wertabhängigkeiten,
kurze Fluoreszenzlebensdauer und kleine „Stoke-shifts“
-
somit
wurden
Lanthanoid-Chelatkomplexe
entwickelt,
die
langlebige
Lumineszenzen aufweisen: ermöglicht zeitaufgelöste Detektion.
-
viele
Arbeiten
mit
Komplexen
des
Re(I),
Ru(II),
Os(II),
Rh(III)
mit
Polypyridinliganden, weniger über Ir(III), aber:
- neuerdings nun auch Ir(III) als biologischer Lumineszenzmarker.
3.5 Lumineszente cyclometallierte Ir(III)-Komplexe als Marker für Biomoleküle
Grundlagen: Lumineszenzeigenschaften des Komplexfragmentes „IrIII(ppy)2“
 Ir(III)-Komplexe stark lumineszent (Phosporeszenz), z.B. im Fall für „IrIII(ppy)2“
in Kombination mit einem weiteren bidentaten Chelatliganden (aromatische NHeterozyklen oder acac)
 Emissionswellenlängen „tuneable“ über den gesamten sichtbaren Bereich
 Emission aus dem Triplettzustand
 Einkernkomplexe mit zwei cyclometallierten 2-Phenylpyridinliganden (N^C):
„Triplettemitter“
 Emissionsfarben: blau-grün, grün, rot; abhängig von der Wahl des
cyclometallierten Chromophors  im Wechselspiel mit den elektronischen
Eigenschaften und dem sterischen Einfluss des dritten, nicht-chromophoren
Liganden (auch Einfluss auf Intensität der Emissionen)
 3 Komplextypen:
Neutralkomplexe [Ir(ppy)2(L^L)]
26
kationische Komplexe [Ir(ppy)2(L^L)]
anionische Komplexe [Ir(ppy)2(L^L)]
(letztere bisher nur theoretisch untersucht)
 gegenwärtiges Hauptinteresse auf dem Gebiet von Anwendungen in OLED
(Organische Leuchtdioden).

Entwicklung einer neuen Klasse biologischer Markierungsreagenzien (K. K.-W. Lo et
al., Inorg. Chem. 2003, 42, 6886.)
Übersicht: Coord. Chem. Rev. 2006, 250, 1724.
Ganz aktuell: K. K.-W. Lo et al., Organometallics 2008, 27, 2998.
Untersuchte Biomoleküle: Proteine (Albumin; Avidin); Biokonjugate mit Ir(III)Komplexen ergaben langlebige Emissionen (Verwendung von Diimin-Liganden)
Zuordnung der Emissionsbanden der Biokonjugate: z.B. bei 2-Phenylpyridyl- mit
Diimin-Liganden: angeregter Zustand
3MLCT
[dπ(Ir) → π*(diimin)] bei z.B. 2-
Phenylchinolyl- mit Diimin-Liganden; angeregter Zustand 3IL[π → π*(pq-)]; oder z.B.
Rhenium(I)-polypyridin-Biotin-Komplexe als neue Klasse von lumineszenten Markern
für Avidin (s. auch neuere Arbeiten von K. K.-W. Lo et al., Inorg. Chem. 2005, 44,
1992.)
Biomoleküle: Proteine in Form von Albumin (HSA, human serum albumin) und Avidin
- Biokonjugate (Anbindung an Protein) zeigten alle langlebige Emissionen (wässrige
Pufferlösung, RT), s. z.B. Emissionsspektrum für [Ir(pq)2(phen-ITC)]PF6 – Avidin:
Phosphoreszenz der Emission: große Stoke´sche Verschiebung der Banden durch
die Biokonjugate → keine nennenswerten Überlappungen von Absorptions- und
Emissionsbanden: sehr wünschenswert, da Probleme der Selbstauslöschung
verhindert werden (häufig bei Biokonjugaten beobachtet, die mit Fluorophoren
gelabelt wurden!). Hier zeigt sich die Bedeutung der iridiumhaltigen Konjugate
27
Hochselektive Lumineszenzproben für Histidin-reiche Proteine (Anwendung beim
„Anfärben“ von Proteinen): K.-Y. Wong et al. Angew. Chem. 2008, 120, 3795:
 Abnormal hoher Gehalt an Histidin-reichen Proteinen kann Indikator für viele
Krankheiten sein (Aids, Leberzirrhose, Asthma, Thrombose, Malaria u.a.)
 daher Suche nach geeigneten Detektionsmethoden für diese Proteine; bisher
hoher Aufwand nötig: Trenntechniken wie z.B. HPLC kombiniert mit UV/Vis
oder Fluoreszenz-spektroskopie (zu teuer für Routinebestimmungen).
28
 Signifikante Veränderungen im photophysikalischen Verhalten und den
Emissionseigenschaften von Ir(III)-Komplexen können durch Einführung von
Bioliganden erreicht werden
 [Ir(ppy)2(solv)2] (solv = H2O, CH3CN; Diaquakomplex schlecht charakterisiert)
 Kristallstruktur von [Ir(ppy)2(CH3CN)2][ClO4] beschrieben, keine präparativen
Details publiziert.
4. Organometallverbindungen in der Medizin
4.1 Therapeutika (Antikrebsmittel)
(vgl. P. Yang, M. Guo, Coord. Chem. Rev. 1999, 185-186, 189.)
Zahlreiche Organometallverbindungen wurden und werden als Antikrebsmittel
getestet. Bis heute hat jedoch noch keine dieser Verbindungen erfolgreich klinische
Testreihen bestanden, so dass sie z.B. Cisplatin ersetzen könnte.
Metallocen-Derivate
- [TiCp2Cl2]: ist gegen viele Karzinome wirksam und befindet sich in klinischen Tests.
Im Körper wird der cp-Ligand leicht abgespalten und Ti(IV) wird über Transferrin (ein
Eisenprotein vom Nicht-Häm-Typ) zur Krebszelle transportiert. Vgl. dazu: D. Osella et
al., Inorg. Chim. Acta 2000, 306, 42.
Aufgrund der Zersetzlichkeit und geringfügigen Löslichkeit von [TiCp 2Cl2] in Wasser
gibt es Probleme mit der Formulierung des eigentlichen Wirkstoffs. Inzwischen
wurden Titanocene mit Aminogruppen synthetisiert, um die Löslichkeit in Wasser zu
29
erhöhen
und
ansa-Titanocen-Verbindungen
erweisen
sich
bisher
am
hydrolysebeständigsten.
- [Fecp2]: Man diskutiert, dass das Redoxsystem [Fecp2]/[Fecp2] vermutlich
Hydroxylradikale erzeugt, die dann die Krebszelle schädigen (vgl. dazu z.B.: G.
Jaouen, J. Organomet. Chem. 2001, 643-644, 350). Ob die gebildeten Radikale die
DNA zerstören oder andere Zielobjekte angreifen wie z.B. die Zellwand, ist unklar.
-
Ruthenium-Aren-verbindungen
bilden
eine
weitere
Klasse
von
Organometallkomplexen mit erwiesener Aktivität gegenüber Krebszellen. Der
Komplex
[RuCl(en)(6-biphenyl)]
zeigt
eine
Aktivität
gegenüber
Gebärmutterkrebszellen, die der von Carboplatin gleich kommt (DNA-Angriff wird
angenommen,
der Mechanismus ist aber unklar). Die Zusammensetzung
[RuCl2(cymen)]/Lysozym wurde kristallisiert, um Einblicke in die Wechselwirkung
solcher Ru-Aromaten-Komplexe mit Proteinen zu gewinnen. Es wurde gezeigt, dass
der Organometallkomplex eine Proteintasche besetzt; die beiden Chloridoliganden
bleiben jedoch am Ru gebunden. Zusätzlich bindet ein Histidinrest an Ruthenium.
- Tamoxifen (sogenannter selektiver Östrogenrezeptor-Modulator/SERM; in erster
Linie Medikament für Patienten mit hormonabhängigem Brustkrebs). Ist die Fecp2Einheit im Tamoxifen gebunden („Ferrocifen“), wird eine größere therapeutische
Breite als bei der Stammverbindung selbst erreicht. Weiterhin ist eine Wirkung als
cytotoxisches Antiöstrogen nachgewiesen.
- [Recp(CO)3]: gebunden an Tamoxifen, d.h. Phenylgruppe ist gegen cp-Rest
substituiert, darüber wird ein MLn-Fragment als Aromatenkomplex gebunden (MLn =
Fecp, TicpCl2, Re(CO)3. Re-Derivat ist sehr aktiv bei Therapie des Mammakarzinoms
(Brustkrebs); Zentralmetall ist hier durch 99mTc oder 188Re ersetzbar.
- Substituierte Dicobalthexacarbonylkomplexe der Form [Co2(CO)6(µ-alkin)] erweisen
sich ebenfalls als wirksame Moleküle für einen möglichen Einsatz in der
Krebstherapie (vgl. K. Schmidt et al., Inorg. Chim. Acta. 2000, 306, 6).
Untersuchungen bei Brustkrebs, Prostatakrebs (in vitro); Art der Wirkungsweise ist
noch unbekannt.
- Antimalariamittel: Chloroquin und Derivat mit gebundener Ferrocen-Einheit
(„Ferroquin“).
30
4.2 Diagnostika (Tc, Re, Radiopharmazeutika)
99mTc
zur Diagnostik (metastabil), heute im Wesentlichen für Radiopharmazeutika
verwendet; 186Re/188Re zur Therapie.
Radiodiagnostik: Pertechnetat (Pertechnat), Reduktion zu [Tc(CNR)6], R = CH2Cardiolite
C(Me)2(OMe),
99mTc-Komplex
zur
Sichtbarmachung
der
Herzdurchblutung;
Wasserlösliches [Tc(CO)3(H2O)3]: hervorragendes Markierungsreagenz für Peptide
und andere Bioliganden;
Analog dazu werden auch [Re(CO)3(H2O)3] oder [ReCl3(CO)3]2 mit den radioaktiven
Isotopen 186Re/188Re in der Strahlentherapie angewendet.
Nuklearmedizin - Diagnostik und Therapie
Diagnostik: mit Radionukliden (Isotopendiagnostik);
Stoffe verhalten sich im Körper ähnlich wie die stabilen Isotope, werden aber
aufgrund von Strahlung in kleinsten (!) Mengen nachweisbar (Tracermethode), d.h.,
Substanzen
mit
bekanntem
Stoffwechselverhalten
werden
mit
markierten
Verbindungen gekoppelt, um Informationen zu erhalten.
Therapie:
Strahlenquelle
wird
im
bestrahlten
Gewebe
angereichert
und
somit
zur
Strahlenquelle von innen heraus; offene Anwendung stellt jedoch ein großes
Gefahrenpotential dar!
Radionuklidtherapie:
Strahlenbehandlung mit offenen oder geschlossenen Radionukliden.
Offen: -Strahler werden direkt in die Blutbahn injiziert;
Geschlossen: -Strahler (Curietherapie) niedriger Aktivität werden z.B. auf den
Krankheitsherd aufgelegt oder in präformierte Hohlräume eingelegt bzw. in das
Gewebe eingestochen (Cobaltnadeln, Radiumträger oder Radiogoldkörner).
4.3 Carbonylmetallkomplexe unter dem Aspekt künftiger Anwendungen als
Pharmazeutika
Kohlenmonoxid - obwohl es in höheren Konzentrationen toxisch wirkt - erweist sich
als bedeutendes Signalmolekül in der Biochemie. Metallcarbonyl-Verbindungen wie
[Fe(CO)5],
[Mn2(CO)10]
oder
[{Ru(CO)3Cl2}2]
können
CO
unter
bestimmten
31
physiologischen
Bedingungen
freisetzen
(carbon
monoxide
releasing
metal
carbonyls, CORMs) und so das kardiovasculare System beeinflussen.
NO ist als wichtiger Botenstoff in biochemischen Prozessen (Säuger) erkannt
worden; NO+ und CO sind isoelektronisch (und isoster), daher kann angenommen
werden, dass CO ähnlich wichtige Funktionen wie NO übernehmen könnte. Im
menschlichen Organismus werden etwa 3 bis 6 ml CO am Tag produziert. Im
Zusammenhang mit bestimmten Entzündungszuständen, die mit der Hämolyse der
roten Blutkörperchen verbunden sind, kann die Menge deutlich größer ausfallen.
CO-Quellen im Organismus: ca. 86% durch die Häm-Oxygenase katalysierte
Oxidation
von
Häm
und
ca.
14%
durch
andere
Quellen
(Fotooxidation;
Lipidperoxidation; Bakterien, vgl. z.B. CODH).
Untersuchungen
zur
medizinischen
Anwendung
von
CO-Gas:
CO
wirkt
vasodilatorisch (gefäßerweiternd), im Organismus (endogen) erzeugtes CO hat
Signaleigenschaften. Einige physiologische Wirkungen von CO wurden schon
nachgewiesen:
entzündungshemmend,
unterstützt
die
Abstoßung
von
Organtransplantaten, schützt vor Blutvergiftung (septischer Schock) im Tiermodell,
reguliert den Blutdruck unter Stressbedingungen o.ä.
CO-freisetzende Carbonylmetallkomplexe in der Medizin (CO releasing metal
carbonyls CORMs):
Wirkungsweise
der
CORMs:
z.B.
vorverengte
Aortenringe
(Ratte)
werden
gefäßerweitert; eine große Zahl von Komplexen mit RuII(CO)3-Fragment setzen
beispielsweise in Gegenwart von Myoglobin bereitwillig eine Äquivalent CO frei. Ein
gut untersuchtes System in diesem Zusammenhang ist [Ru(CO)3Cl(glycinat)] als
schnelle CO-Quelle, (setzt innerhalb von 5 min ein CO frei). Dazu wurde an isolierten
Rattenherzen Ischämie (Blutleere) durch Unterbrechung der Flüssigkeitsversorgung
erzeugt. Nach Wiederherstellung der Versorgung wurde in 50% der Fälle
Herzschädigung festgestellt; in Gegenwart des Ru-Komplexes wurde keine
Schädigung beobachtet! Bsp. Herztransplantation an Mäusen: ohne Ru-Komponente
starben alle Mäuse innerhalb von 8 Tagen; in Gegenwart des Ru-Komplexes waren
40% der Mäuse nach 50 Tagen noch am Leben. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine
Nutzung solcher Komplexe als „feste Form von CO“ in der Medizin zunehmend
realistischer erscheint.
Wirkmechanismen von NO und CO im Vergleich: NO bindet z.B. an Cytochrom c´,
dabei wird der Histidinligand am zentralen Mittelteil verdrängt, was zu erheblichen
32
Konformationsänderungen
im
Protein
führt
(vermutliche
Auslösung
der
Signalwirkung); NO ist im Prinzip ca. 80-mal vasodilatatorisch wirksamer als CO,
aber im Wechselspiel mit bestimmten Liganden könnte CO dieselbe Wirkung wie NO
erreichen. In naher Zukunft scheint es also möglich, dass neue Medikamente
entwickelt
werden,
die
gezielt
im
Körper
CO
für
Signalwirkungen
oder
Redoxprozesse freisetzen. Insofern rückt die Chemie der Carbonylmetallkomplexe
wieder in den Fokus bioanorganischer Forschungen.
Literatur dazu: T. R. Johnson et al., Angew. Chem. 2003, 115, 3850; R. Alberto, R.
Motterlini, Dalton Trans. 2007, 1651; T. R. Johnson et al., Dalton Trans. 2007, 1500;
„CO and NO in medicine“: B. E. Mann, R. Motterlini, J. Chem. Soc., Chem. Commun.
2007, 4197.