UND IHR - Anne
Transcription
UND IHR - Anne
gesellschaft Mütter & Töchter Viele Mütter wollen nicht erziehen, sondern lieber Freundin spielen. Zu Lasten der Töchter. Warum Spießig das neue Cool sein sollte text Anne-Ev Ustorf illustration Anna Godeassi MAMA UND IHR MINI-ME 58 März 2010 März 2010 59 gesellschaft Mütter & Töchter BESTE FREUNDINNEN? A beiden wichtigsten Bestandteile der Jugendkultur – werden von der Popstar-Mutter definiert. Hinzu kommt der naheliegende Verdacht, dass Madonna ihre Tochter als narzisstische Verlängerung ihres eigenen Selbst verheizt und eine gesunde Ablösung der Jugendlichen durch das Verhältnis als vermeintliche beste Freudinnen erschwert. Eine aktuelle Fotoproduktion zeigt Lourdes in den gleichen Outfits, die ihre Mutter trug, als sie selbst noch jung war. Das brachte der Tochter in einigen Medien den nicht gerade schmeichelhaften Spitznamen „Mini-Me“ ein. Ein typischer Fall von Popstar-Egomanie? Oder ist Madonna wieder mal die Vorreiterin eines gesellschaftlichen Trends? Tatsächlich kann man sich heute des Eindrucks nicht erwehren, dass der natürliche Alters- und Generationen-unterschied zwischen Müttern und Töchtern verwischt zu werden scheint – und das nicht nur in Celebrity-Kreisen. Mütter kleiden sich in Minirock und Leggins wie ihre 12-jährigen Töchter, besuchen dieselben Pussycat-Dolls-Konzerte und schauen mit ihnen zusammen die „Gilmore Girls“. Sie sind die besten Freundinnen ihrer Töchter. Ein Kuschelkurs, der zu Lasten der Mädchen geht. Denn oft erzählen die Mütter ihnen auch Intimitäten, die eigentlich in keine Eltern-KindBeziehung gehören: Eheschwierigkeiten und Seelenleid, Jobfrust und sexuelle Probleme. So verlieren die Töchter das, was sie in der verwirrenden Zeit der Pubertät am notwendigsten bräuchten: eine Mutter zum Sich-Reiben und Sich-Anlehnen. „In gewisser Weise besteht die elterliche Funktion während der Pubertät darin, die Widersprüchlichkeit des Heranwachsenden auszuhalten, selbst wenn diese bei den Eltern Wut erzeugt“, erklärt der Berliner Pädagoge und Psychotherapeut Joachim Braun. „Je stärker Jugendliche sich in ihrer Widersprüchlichkeit von Wut, Zuneigung, Trauer und Abhängigkeit bei ihren Eltern austoben und sich an ihnen abarbeiten können, desto befreiter werden sie erwachsen.“ Warum also wollen viele Freundinnen-Mütter ihre Töchter nicht loslassen? Da ist die Angst vorm Altern. Doch häufiger steckt hinter dem Wunsch, die Tochter an sich zu binden, etwas anderes: Narzissmus oder Verlustangst. „Eine Mutter wird das Kind nur so weit eigenständig werden lassen, wie sie selbst fähig ist, es loszulassen“, sagt die Münchner Psychotherapeutin Bärbel Wardetzki. Und weil es für viele Mütter schwer auszuhalten ist, von der eigenen Tochter infrage gestellt oder verlassen zu werden, spielen manche lieber Freundin als zu erziehen. Denn wer wirklich bereit ist, Mutter zu sein, muss auch unbeliebte Entscheidungen treffen und auf Regeln bestehen, die bei der Tochter schon mal Hassgefühle hervorrufen. Zeitweise als spießige alte Kuh wahrgenommen zu werden inklusive. Und das ist auch okay. Denn mal ehrlich: Hätten wir unsere Mutter zur besten Freundin haben wollen? Über Männer, Mode und Musik lässt sich doch so viel besser mit Gleichaltrigen sprechen – Tokio Hotel den Töchtern und George Clooney den Müttern. Lourdes Ciccone kann man nur wünschen, dass sie es schließlich doch schaffen wird, Mama Madonnas Dunstkreis zu entkommen. Kleiner Tipp: Der Weg dahin führt über Abgrenzung. Augenärztin, Sportlehrerin oder Ingenieurin sind doch auch schöne Berufe. Madonna, 51, über ihre Tochter Lourdes, 13 „Wir fühlen uns mehr wie Freundinnen.“ Rumer Willis, 21, über ihre Mutter Demi Moore, 47 „Meine Eltern und ich sind gute Freunde. Meine Mutter ist inzwischen so was wie meine beste Freundin. Wir haben sogar denselben Geschmack, was Männer betrifft. Bevor sie anfing, mit Ashton (Kutcher) auszugehen, hatte ich Poster von ihm an meiner Zimmerwand hängen.“ Sarah Connor, 29, über ihre Mutter Soraya Lewe-Tacke, 51 „Mama ist meine beste Freundin“, sagt die Pop-Sängerin. Praktisch, denn nun können Connor und ihre beste Freundin / Mutti gemeinsam Kinderwagen schieben gehen. Connor hat zwei kleine Kinder und Oma Soraya bekam 2008 Zwillinge. Buchtipps finden Sie auf Seite 124 Fotos: Getty Images (2), Action Press Als peitschenschwingende Domina, als Kabbalah-Mystikerin und als Fitnessfreak haben wir Madonna über die Jahre zu sehen bekommen. Mit jedem Geburtstag scheint der Umfang ihres Bizeps zu wachsen und dabei die Gabe niederzuringen, in Würde älter zu werden. Dafür sprechen aktuelle Verjüngungsmaßnahmen wie afrikanische Adoptivkinder (David und Mercy, 3 und 4) und jugendliche Liebhaber ( Jesus Luz, 21). Jetzt überrascht uns die 51-Jährige mit einer Erkenntnis, die wohl endgültig belegen soll, dass sie über sämtliche Reifungsprozesse erhaben ist: Ihre 13-jährige Tochter Lourdes sei ihre beste Freundin, sagte die Queen of Pop jüngst der Zeitschrift „Rolling Stone“. Schlagender Beweis: Lourdes und sie trügen mittlerweile dieselben Klamotten, hörten dieselbe Musik und arbeiteten gemeinsam an den neuen Madonna-Shows. „Sie ist schonungslos ehrlich, wenn es darum geht, was man trägt, wen man datet, bei jeder Entscheidung, die man trifft“, schwärmt Madonna: „Wir fühlen uns mehr wie Freundinnen und wir streiten uns jede zweite Minute. Eine normale Mutter-Tochter-Beziehung in der Pubertät.“ Normal? Der Streit schon. Dass Töchter ihren Müttern aus Prinzip Kontra geben, ist typisch Pubertät. Als Mamas beste Freundin vereinnahmt zu werden, dagegen nicht. Erst durch Abgrenzung gelingt es Töchtern, zu einer eigenen Identität als Frau zu finden. „In den meisten Fällen wird die Tochter in der Pubertät die Mutter vom Sockel stoßen“, erklärt die Essener Psychotherapeutin Claudia Haarmann („Mütter sind auch Menschen“, Orlanda Frauenverlag). Die Mädchen fragten sich: Wer bin ich eigentlich ohne sie? Zugegeben, Lourdes Ciccone ist ein Sonderfall. Für wenige 13-Jährige dürfte es so schwierig sein, die Mutter vom Thron zu stoßen, wie für sie. Denn Mode und Musik – die MÜTTER BRAUCHEN DEN MUT, EINE ALTE KUH ZU SEIN 60 März 2010 März 2010 61