AuchMusik-Fast-Food machtnichtwirklichsatt

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AuchMusik-Fast-Food machtnichtwirklichsatt
Kultur
Jurorin
Oscar-Preisträgerin Meryl Streep wird Jury-Präsidentin der Berlinale 2016. Die Verantwortung sei
„fast etwas einschüchternd, da ich noch nie Präsidentin von irgendetwas gewesen bin“, sagte sie.
Politiker
Autor Robert Harris („Vaterland“) hat mit „Dictator“ seine „Cicero“-Trilogie beendet. Harris’ Fazit:
„Die Grundlagen der Politik haben sich über die
vergangenen zwei Jahrtausende kaum geändert.“
Neue Presse Seite 20 Donnerstag, 15. Oktober 2015
Wie eine Jungfrau
WEIBLICHES PRINZIP:
Julia Krahn inszenierte
sich als Madonna – ohne
Kind.
Landesmuseum zeigt Kulturgeschichte der Madonna
Von Stefan GohliSch
Hannover. Profaner geht es
kaum: „like a Virgin“, wie eine
Jungfrau, fühle sie sich, kiekst der
werdende Popstar Madonna und
räkelt sich im Video zu dem lied
von 1984 so lasziv in ihrer Reizwäsche, dass man ihr kein Wort
glaubt. Szenenwechsel auf dem
fernseher: eine andere frau singt
dasselbe lied, Schwester cristina, eine nonne, die vergangenes Jahr die Show „the Voice of
italy“ gewann. hure und heilige –
ein schöner Bogen wird gleich am
anfang der neuen Sonderausstellung im landesmuseum gespannt:
„Madonna: frau – Mutter – Kultfigur“ wird morgen eröffnet.
im Vorgriff auf das Reformationsjahr 2017 widmen sich Muse-
info
Q Die ausstellung wird morgen
eröffnet und läuft bis zum 14.
februar. Geöffnet ist dienstags
bis freitags von 10 bis 17, am
Wochenende bis 18 Uhr.
Q Die „Madonna“-eintrittskarte gilt als Kombi-ticket für das
Sprengel Museum, einen der
wichtigsten leihgeber.
Q ein neuer audio-Guide mit
interviews der Kuratorinnen
führt durch die Schau. es gibt
ihn kostenlos am eingang.
Q Zu der ausstellung ist ein
reichhaltig bebilderter Katalog
erschienen (Sandstein-Verlag,
400 Seiten, 48 euro). im Museumsshop gibt es ihn zum Sonderpreis von 24,90 euro.
umsdirektorin Katja lembke und
ihr team aus Kuratorinnen der
bekanntesten frau des christentums und greifen historisch weit
zurück, bis zu den Muttergöttinnen der Urzeit. Und sie landen bei
den zeitgenössischen Darstellungen der frauenfigur in der Kunst.
Das älteste ausstellungsstück
ist eine Kratzzeichnung, die 11 000
Jahre vor christi Geburt entstand
und bei Verden gefunden wurde.
Ganz neu sind zum Beispiel Werke
der hannoverschen Künstler Dieter froelich und Joanna Schulte.
Schon im foyer hängen die großformatigen fotoarbeiten der in
Mailand lebenden Julia Krahn. Sie
zeigt sich unter anderem selbst in
typischer Madonna-Pose – ohne
Kind: „ich setze mich mit meiner
Position als frau und tochter auseinander“, sagt sie und steht
damit in langer tradition.
„alle Darstellungen stehen in
einem starken austausch mit dem
frauenbild der jeweiligen Zeit“, so
lembke – auch wenn sich die Bilder ähneln. Denn Maria Magdalena kennt man eigentlich nur in
zwei Posen: mit dem Baby und
mit dem hingerichteten Jesus, die
sogenannte Pieta. Wie viel Muttergöttin steckt in der Gottesmutter?
Das ist eine der zentralen fragen,
die diese Schau stellt.
Schirmherrin ist Margot Käßmann. Die ehemalige Ratsvorsit-
VEREHRTE FRAU: Aus dem alten
Ägypten stammt diese Skulptur – eine
Madonnenpose, aber keine Madonna.
zende der evangelischen
Kirche ist Botschafterin des
Reformationsjahrs.„Martin
luther war ein ausgemachter fan von Maria“, sagte
sie gestern. Das sei in der
Gegenreformation in Vergessenheit geraten: „Man
kann sagen, dass die evangelischen länger gebraucht
haben, um Maria wiederzuentdecken“ – bis zur Zeit
der feministischen theologie in den 80ern nämlich.
auch hier: die Madonna als
Spiegel der Zeit.
es ist die erste umfassende ausstellung zu dem thema. hier wird
zusammengeführt, was zusammengehört – ganz im Sinne des
von Direktorin lembke angestrebten Weltenmuseums. Das zeigt
sich in der ausstellung, es zeigt
sich aber auch in der entstehung:
41 Sammler und institutionen –
vom British Museum in london bis
zur Kunsthalle Zürich – steuerten
leihgaben zu den gut 250 exponaten bei, darunter auch mit 43 ausstellungsstücken das Sprengel
Museum. es sei „ganz natürlich
und echt mal wieder an der Zeit,
unsere Verbindung zu leben“, so
Direktor Reinhard Spieler.
am weitesten gereist, aus
Melbourne, ist
die supernaturalistische,ver-
Man kann sagen,
dass die Evangelischen länger
gebraucht haben,
um Maria wiederzuentdecken.
GOTTESMUTTER: Um 1170 entstand diese
thronende Madonna. Deutlich erkennbar: die
zeitgenössische Kleidung.
Margot Käßmann,
Schirmherrin
der Ausstellung
störende Skulptur „Still life“ des
australiers Sam Jinks: Sie zeigt in
Umkehrung des klassischen PietaMotivs einen Mann, der um seinen
greisen Vater trauert.
aus dem Sprengel Museum
stammt zum Beispiel eine schwangere nana von niki de Saint Phalle.
Rund und bunt steht sie da; hier
ist die ausstellung beinahe in der
Gegenwart angelangt und am
ende – figural jedoch kehrt sie zum
anfang zurück: nikis dralle Weiber
sehen fast schon wieder so aus wie
die Muttergöttinnen der Urzeit.
„Madonna“ schlägt den weiten
kulturgeschichtlichen Bogen –
und schließt aufs anschaulichste
den Kreis.
HHHHH
SPIEL MIT DER TRADITION: Lovis Corinth malte 1905 diese
Mutter-Kind-Idylle, die an Maria mit Jesus erinnert. Es handelt
sich jedoch, so der Titel, um „Ottchen mit Mutter“.
DIE UMKEHRUNG:
Sam Jinks’ lebensgroße
Skulptur „Still Life“ zeigt
einen Sohn, der um
seinen Vater trauert.
Auch Musik-Fast-Food
macht nicht wirklich satt
Neues Hurts-Album „Surrender“ ist da
Von chRiStian fRanKe
Hannover. Mangelndes Selbst-
© Florian Petrow
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DIE RECKEN auf
dem Weg ins Viertelfinale
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Die Gewinner werden informiert.
Wir wünschen viel Erfolg.
vertrauen ist dem elektropop-Duo
hurts nicht zu attestieren. „nenio
estos pli granda ol ni“, schreiben
die beiden Musiker theo hutchcraft und adam anderson auf dem
Booklet ihres neuen albums „Surrender“ (four Music/Sony). Das ist
esperanto und bedeutet: ,nichts
wird größer sein als wir.‘ So heißt
dann auch ein lied auf der Platte:
„nothing Will Be Bigger than us“.
Die latte so hoch zu legen, das
können sich Sänger hutchcraft
und Synthesizer-Spieler anderson
durchaus erlauben. ihr Debüt
„happiness“ verkaufte sich weltweit etwa zwei Millionen Mal und
erreichte in Deutschland Doppelplatin-Status. nachfolger „exile“
landete auf Platz drei der charts.
Konzeptionell hat sich seit dem
Über-hit „Wonderful“ vom ersten
album nicht viel verändert. im besten fall schmiegt sich hutchcrafts
Samtstimme an andersons Klangteppich wie eine Katze an die streichelnde hand. Das klappt ganz
wunderbar bei besagtem „nothing
Will Be Bigger than us“ und der
Vorab-Single „Some Kind of heaven“. Dazu stampfende Beats und
Refrains, die sich einem direkt ins
hirn fressen. Das lässt fast vergessen, dass es textlich nicht über das
kleine einmaleins der Pop-Musik
hinausgeht.
Dass „Surrender“ ein hörbares
album geworden ist, liegt auch
daran, dass hurts unter anderem
Produzent Stuart Price dazugeholt
haben. Dessen Band Zoot Woman
hat vor ein paar Jahren bereits
gezeigt, wie solch 80er-Jahreinspirierter elektropop klingen
kann: wie ein Menü aus bekannten Zutaten, die überraschend
kombiniert neue Geschmackswelten eröffnen. Mit hurts ist es dagegen ein bisschen wie fast-food-
essen: es schmeckt, aber irgendwie schmeckt alles gleich. Und
anschließend bleibt der appetit auf
vernünftiges essen.
HHHHH
SELBSTBEWUSST: Adam Anderson (links) und Theo Hutchcraft sehen auf
„Surrender“ niemanden, der größer sein wird als sie.
In der Frittenbude
tobt der Dauerpogo
Hannover. nein, für epileptiker ist das
nichts. Stroboskopblitze zucken über die
Bühne im faust, grelle rote, grüne, gelbe
lichtkegel. Mitten in der lichtorgie: frittenbude, die Band um Rapper und Sänger
Johannes Rögner.
Und nein, das ist auch nichts für freunde
des feinen Klangs. Die Drums scheppern,
dazu verzerrte Gitarren und jede Menge elektronisch programmierter Krach. Und natürlich Rögners Stimme, der die texte rausdrückt, rausbrüllt, rausschreit.
Das ist das Konzept von frittenbude seit
jeher, seit das trio vor sieben Jahren sein erstes album veröffentlichte. für die fans – etwa
600 – bedeutet das live: eineinhalb Stunden
Dauerpogo, bei „Rave is kein hobby“ sogar
einen veritablen Moshpit. Wer vorher kein
fan ist, wird es auch nicht mehr. Dafür ist das
Konzept doch zu anstrengend monoton.
natürlich drängt sich bei frittenbude
immer der Deichkind-Vergleich auf. Schließlich ist beides rotziger elektropop. aber: frittenbude sind weniger anarchisch, sondern
deutlicher in ihrer Botschaft. Man ist klar
links, aber dann doch nicht ganz so antideutsch wie egotronic, die ebenfalls auf der
punkigen elektropop-Schiene unterwegs
sind. Mit denen haben sie „Deutschland
500“ aufgenommen, das auch live bestens
funktioniert. „hallo Deutschland, du fühlst
dich immer noch so deutsch an“, singen
Rögner und die fans. Passendes Publikum
im faust: Die Masse bilden ein paar antifas,
viele Studenten und alternativ aussehende
Spät-teenager (gemeinsames erkennungszeichen für die meisten: der turnbeutel auf
dem Rücken).
Die feiern dann gemeinsam das neue („Die
Möglichkeit eines lamas“) und alte frittenbude-Material („hildegard“) ab. Da gehts
dann manchmal auch um freiheit, Jugend
und die Möglichkeit, einfach nur zu raven.
Und das kann für einen abend ja alles sein,
was man braucht. cf HHHHH