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23 13.06.12 Mittwoch, 13. Juni 2012 Belichter freigabe: -- Zeit::: Belichter: Farbe: AD HA-HP1 CR SPORT Mittwoch, 13. Juni 2012 Hamburger Abendblatt 23 Das Reich des Superreichen Zlatan Ibrahimovic war Schwedens Bester – und wird dennoch kritisiert Oligarch Alexander Jaroslawski hat Charkow zur EM-Bühne gemacht. Im Gegenzug will er im Westen Anerkennung und Geschäftspartner finden KIEW :: Zlatan Ibrahimovic verstand die Welt nicht mehr. Er hatte alles gegeben, überzeugt, sogar getroffen – und jetzt sollte er der Sündenbock für die Niederlage der Schweden sein. Nicht mit ihm! Wild gestikulierend, mit stechendem Blick redete er auf Teammanager Marcus Allbäck ein. „Das war eine heftige Diskussion“, gab Allbäck zu. Ibrahimovics starke Leistung wurde auf seine Schlafmützigkeit reduziert. Beim 2:1-Siegtreffer der Ukraine durch Andrej Schewtschenko hätte der Kapitän „klären sollen“, sagte Trainer Erik Hamrén: „Wenn er besser aufgepasst hätte, hätte er das Duell gewonnen.“ Abwehrspieler Andreas Granqvist monierte, das Tor sei „zu leicht gefallen“, der Ex-Nationalspieler und TV-Experte Daniel Nannskog stänkerte, Ibrahimovic hätte „wacher sein müssen. So kann man Schewa nicht laufen lassen, das war völlig unglaublich!“ Abseits der Unaufmerksamkeit war Ibrahimovic der mit Abstand Beste im blauen Trikot. Spielfreudig und umtriebig „wie ein Hengst, der lange genug in der Box eingesperrt war und endlich raus wollte“ („Dagens Nyheter“). Vorwürfe machte sich der Angreifer des AC Mailand keine. Auch nicht wegen dieses Kopfballs, den er freistehend an den Pfosten gesetzt hatte (39.). „Heute war es Pfosten, aus. Nächstes Mal ist es Pfosten, drin“, sagte der 30-Jährige. Nächstes Mal, das ist wieder in Kiew, am Freitag gegen England. „Die sind gut, aber wir können es besser machen“, sagte Ibrahimovic. (sid) B ASTIAN HENRICHS CHARKOW/HAMBUR G :: Alexander Jaroslawski, 52, wird viele Hände schütteln. Gäste aus Deutschland und den Niederlanden werden kommen, Politiker, Unternehmer, Sponsoren, die Uefa-Delegation – sie alle werden Platz nehmen in seinem „Wohnzimmer“, dem frisch umgebauten Stadion des FC Metalist, wenn Deutschland heute Abend in der Gruppe B auf die Niederlande trifft. Alexander Jaroslawski, Oligarch und Präsident des Fußballklubs Metalist Charkow, der immer auf seinem Logenplatz genau in der Verlängerung der Mittellinie sitzt, hat gern Gäste aus dem Westen. Nach seinen eigenen Angaben hat der „König von Charkow“ 300 Millionen US-Dollar in die Vorbereitung der EM gepumpt. Das beweist er an einem Tag Ende April, als er eine Gruppe deutscher Journalisten im Konferenzraum des Stadions empfängt. Der Inhaber der Unternehmensgruppe DCH, in der er Bauunternehmen, Banken und Immobilien vereint, kommt in Jeans und leger geöffnetem schwarz-weiß karierten Hemd, die Lederjacke trägt er unter dem Arm. Rasierte graue Haare, tiefe Augenhöhlen, das kantige Gesicht leicht gebräunt, keine Armbanduhr. Mal zieht er verdutzt die Augenbrauen hoch, mal lacht er, ständig versprüht er sein Charisma in dem kargen Raum, in dem außer ihm der einzige Blickfang ein Wasserspender ist. Es sei das erste Mal, dass Herr Jaroslawski deutsche Journalisten empfange, erzählt einer seiner Mitarbeiter im vereinsfarbenen blaugelben Trainingsanzug. Um die Früchte seiner Arbeit zu ernten, nutzt der Milliardär gern die Bühne, die er sich selbst geschaffen hat. Der „König von Charkow“, wie er in der Dokumentation einer polnischen Journalistin genannt wird, hat nach eigenen Angaben 300 Millionen Dollar in die Vorbereitung der EM gepumpt. Er hat nicht nur das Stadion des FC Metalist umgebaut, er ließ auch den neuen Flughafenterminal und ein protziges Fünfsternehotel in der Innenstadt bauen. Während der EM ist das Hotel für die Uefa-Delegation reserviert, danach Glänzende Fassade: Hier wird heute Deutschland spielen Foto: dpa KURZ NOTIERT Herr der Arena: Alexander Jaroslawski hat das 1925 eröffnete Stadion in Charkow in eine EM-Spielstätte mit 40 000 Sitzplätzen und 124 Logen verwandelt Foto: dapd wird es wohl nie wieder ausgelastet sein. Kaum ein Ukrainer kann sich dort eine Übernachtung leisten. Wenn die Delegierten von der Terrasse der SkyBar im elften Stock schauen, blicken sie hinunter auf die Lenin-Statue, die auf dem Freiheitsplatz steht, einem der größten innerstädtischen Plätze Europas und Fanmeile während der EM. Wenn man Jaroslawski fragt, wie er denn ein solches Imperium aufbauen konnte, lacht der Oligarch. Dann erzählt er vom Zerfall der Sowjetunion, davon, dass die Wirtschaft am Boden war und dass er den Wandel gewittert habe und vielleicht etwas schneller gewesen sei als andere. Heute ist er einer der reichsten Männer des Landes. Vor sechs Jahren stieg er beim FC Metalist und ins Fußballgeschäft ein. Das EMTurnier in der Ukraine soll seine Popularität nun über die Landesgrenzen hinaus steigern. Denn noch ist der promovierte Akademiker im Ausland weitgehend unbekannt – ganz im Gegensatz zu Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch, der gerade die Champions League gewonnen hat. Jaroslawski hat es mit seinem Klub, in dem hauptsächlich Südamerikaner spielen, in der vergangenen Saison immerhin schon ins Viertelfinale der Europa League geschafft, ansonsten sind seine Kontakte ins westliche Europa eher bescheiden. „Ich habe keine großen Erfahrungen mit der deutschen Wirtschaft“, sagt er. „Ich fahre Mercedes, und der Einkauf dieser Autos ist mein einziger Kontakt nach Deutschland.“ Das soll sich nach dem heutigen Spiel ändern. 200 000 Passagiere im Jahr auf dem Flughafen, zu Sowjetzeiten waren es mal 1,5 Millionen. So soll es bald wieder sein, hofft Jaroslawski. In seiner Stadt ist er durchaus beliebt. Viele Einwohner rechnen ihm an, dass er sein Geld vor Ort investiert. So hat er gleich neben dem Stadion eine Fußballakademie mit 16 Spielfeldern aufgebaut. Die Bauarbeiter, die er beschäftigt, seien alle aus der Umgebung, und er habe sie gut bezahlt. Er sorge dafür, dass das Geld in der Region bleibe. Also bei ihm. Denn vieles, was diese Stadt zu bieten hat, gehört dem Oligarchen. Und so dient sein Engagement vor allem dazu, seinen Reichtum noch weiter zu vergrößern. Jaroslawski wohnt mit Frau und vier Kindern 60 Kilometer außerhalb in einem Holzhaus. Hört sich bodenständig an, ist in Wahrheit aber ein prunkvolles Anwesen. Das Holz hat Jaroslawski aus Sibirien kommen lassen. Nur selten lässt er sich bei seinen Untertanen blicken. Wer dem „König von Charkow“ die Hand schütteln möchte, muss schon etwas zu bieten haben. Jaroslawski wohnt in einem prunkvollen Bau aus Holz „Ich habe fünf Jahre lang große Anstrengungen unternommen, um diese einmaligen Objekte herzustellen“, sagt Jaroslawski nicht ohne Stolz. „Sie sind für das weitere Leben in der Stadt sehr wichtig und werden Charkow einen starken Impuls geben.“ Die zweitgrößte Stadt der Ukraine ist nicht gerade ein Touristenmagnet. Außerhalb der Innenstadt prägen die grauen Fassaden der Wohnblocks, staubige Märkte und mit Schlaglöchern übersäte Straßen das Bild. Bis vor drei Jahren landeten Was ist ein Oligarch? Der Begriff Oligarch leitet sich vom griechischen oligoi („Wenige“) und archon („Herrscher, Führer“) ab. Oligarchen sind Wirtschaftsmagnaten, die durch ihren Reichtum für die Volkswirtschaft eines Landes von großer Bedeutung sind und auch auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen. Sie wurden in den 1990er-Jahren zu der bestimmenden Kraft in der russischen Politik und finanzierten und ermöglichten 1996 die Wiederwahl des politisch geschwächten Präsidenten Boris Jelzin. Sie kontrollierten die wichtigsten Massenmedien und manipulierten die Anfang der 1990erJahre durch den Staat initiierten Privatisierungsprozesse zu ihren Gunsten. Seit Präsident Putin versucht der Kreml, wieder die Kontrolle über die Wirtschaft zu erlangen. (HA) Spanien: Die Debatte um das Spielsystem des Welt- und Europameisters hält an. Nachdem Trainer Vicente del Bosque beim 1:1 zum Auftakt gegen Italien ohne nominellen Stürmer begonnen hatte, fordern die Fans für die zweite Gruppenpartie gegen Irland morgen (20.45 Uhr) die Rückkehr zu einer Aufstellung mit Stürmer. Die Mehrheit sprach sich für Fernando Llorente von Athletic Bilbao aus. Irland: Nationaltrainer Giovanni Trapattoni kann gegen die Spanier auf seinen gesamten Kader zurückgreifen. Nach eintägiger Trainingspause meldete sich gestern auch der angeschlagene Abwehrchef Richard Dunne (Aston Villa) wieder einsatzbereit. Italien: Um sich bei Ernährungsfragen nicht auf die Einheimischen verlassen zu müssen, hat die „Squadra Azzurra“ einen kompletten Feinkostladen mit in ihr Trainingsquartier nahe Krakau gebracht. Unter anderem ließen die Italiener 200 Kilogramm feinste Pasta, ebenso viele italienische Tomaten, 100 Kilogramm Parmaschinken und 100 Liter hochwertiges Olivenöl nach Polen einfliegen. ANZEIGE Der Held, der die Ukraine eint Schewtschenko wurde als Fußball-Rentner verspottet. Gegen Schweden strafte er die Kritiker Lügen :: Andrej Schewtschenko hat sich selbst einmal als Poeten des Fußballs bezeichnet: „Wenn ich spiele, ist es, als würde ich ein Gedicht schreiben.“ Am Montag in Kiew schrieb Schewtschenko, um im Bild zu bleiben, kein Gedicht, sondern einen Gassenhauer. Im ganzen, sonst in vielen Fragen so gespaltenen Land wurden nach jedem seiner Kopfballtore zum 2:1 gegen Schweden die Raketen in die Luft geschossen. „Der Fußball ist das Einzige, was die Ukraine eint“, hat der Literat Sergej Schadan in seiner EM-Fibel „Totalniy Futbol“ geschrieben, und die Kritik aus dem Westen an Organisation und politischen Verhältnissen hatte die Sehnsucht nach einer anständigen Party nicht gerade kleiner gemacht. Nur drei der 16 EM-Mannschaften konnten sich zu einem Quartier in der Ukraine durchringen, aber zumindest nach der ersten Runde schlägt das Herz dieses Turniers erst einmal in Kiew. Was dies für Schewtschenko bedeutet, ließ sich an seinen Reaktionen nach den Toren erahnen. Der 35-Jährige ist kein Spieler für die großen Gesten, aber nach seinem ersten Treffer rutschte er zum Rendezvous mit der Eckfahne, und nach dem zweiten lüftete er euphorisch sein Trikot. „Das ist ein großer Tag für die Ukraine“, sagte er später. Ihn gestalten zu können hätte er vor einem halben Jahr nicht für möglich erachtet. Da wollte Schewtschenko schon aufgeben. Das Knie schmerzte, der Rücken zwickte, er war nicht einmal mehr ein Schatten seiner selbst. In der Liga für Dynamo Kiew schaffte er allenfalls noch jedes zweite Spiel, sogar das Un- KIEW denkbare trat ein: Europas Fußballer des Jahres 2004, einst der Stolz einer ganzen Nation, wurde immer öfter kritisiert. Nationaltrainer Oleg Blochin halte nur an ihm fest, weil es der mächtige Verbandschef und Kiewer Patron Grigori Surkis so befehle, schimpften sie im Osten des Landes, in Donezk oder Charkow. Blochin freilich ließ sich nicht beirren. Ukraines Fußballidol aus Sowjetzeiten stellte Schewtschenko vor die Wahl: Entweder du beißt dich als Spieler durch, oder ich nehme dich als Berater mit. Eine Heim-Europameisterschaft ohne „Schewa“ werde es unter seiner Fuchtel jedenfalls nicht geben. Und Schewtschenko biss sich durch. Wenn die Heimat rief, hat der Of- Andrej Schewtschenko (M.), Europas Fußballer des Jahres 2004 Foto: dpa fizierssohn noch immer zugehört. Sicher, er ließ sich in seiner Zeit im Westen, beim AC Milan und Chelsea, gern von den Patriarchen Silvio Berlusconi, Taufpate seines Sohns, und Roman Abramowitsch bezirzen. Aber immer begleitete ihn ein tiefer Patriotismus. Während der Orange Revolution meldete sich Schewtschenko zu Wort Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, gerade ausgezeichnet mit dem Goldenen Ball, sagte er 2004: „Ich widme den Titel allen Ukrainern, die momentan eine schwere Zeit durchmachen.“ Es waren die Tage der Orange Revolution, und Schewtschenko geriet vorübergehend ins Zentrum der politischen Händel. Eine freundliche Äußerung über den damaligen Wahlschummler und heutigen Präsidenten Wiktor Janukowitsch wurde ihm von dessen Gegnern sehr verübelt. Bis er betonte, er habe nur eine menschliche, keine politische Aussage treffen wollen. Heute ist das kein Thema mehr. In diesen Tagen stehen allein die Spiele gegen Frankreich und England im Fokus. „Wir sollten in dieser Gruppe weiterkommen“, sagt Schewtschenko, dessen Euphorie nach dem Schweden-Sieg nur für einen Moment getrübt wurde: Wenige Stunden nach seinem Doppelpack rammte ein Geländewagen das Auto des Fußballstars, der an einem Fußgängerüberweg wegen jubelnder Anhänger in die Bremsen stieg. Es entstand ein erheblicher Blechschaden, der zumindest die Fans erfreute: Poet Schewtschenko musste anschließend reichlich Autogramme schreiben. (flh/as) + HA/HA/HA-HP1 13.06.12/1/023 USCHNEEC 5% 25% 50% 75% 95%