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13.06.12 Mittwoch, 13. Juni 2012
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HA-HP1
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SPORT
Mittwoch, 13. Juni 2012
Hamburger Abendblatt
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Das Reich des Superreichen
Zlatan Ibrahimovic war
Schwedens Bester – und
wird dennoch kritisiert
Oligarch Alexander Jaroslawski hat Charkow zur EM-Bühne gemacht. Im Gegenzug will er im Westen Anerkennung und Geschäftspartner finden
KIEW
:: Zlatan Ibrahimovic verstand
die Welt nicht mehr. Er hatte alles gegeben, überzeugt, sogar getroffen – und
jetzt sollte er der Sündenbock für die
Niederlage der Schweden sein. Nicht
mit ihm! Wild gestikulierend, mit stechendem Blick redete er auf Teammanager Marcus Allbäck ein. „Das war eine
heftige Diskussion“, gab Allbäck zu. Ibrahimovics starke Leistung wurde auf
seine Schlafmützigkeit reduziert. Beim
2:1-Siegtreffer der Ukraine durch Andrej Schewtschenko hätte der Kapitän
„klären sollen“, sagte Trainer Erik
Hamrén: „Wenn er besser aufgepasst
hätte, hätte er das Duell gewonnen.“ Abwehrspieler Andreas Granqvist monierte, das Tor sei „zu leicht gefallen“, der
Ex-Nationalspieler und TV-Experte
Daniel Nannskog stänkerte, Ibrahimovic hätte „wacher sein müssen. So kann
man Schewa nicht laufen lassen, das
war völlig unglaublich!“
Abseits der Unaufmerksamkeit war
Ibrahimovic der mit Abstand Beste im
blauen Trikot. Spielfreudig und umtriebig „wie ein Hengst, der lange genug in
der Box eingesperrt war und endlich
raus wollte“ („Dagens Nyheter“). Vorwürfe machte sich der Angreifer des AC
Mailand keine. Auch nicht wegen dieses
Kopfballs, den er freistehend an den
Pfosten gesetzt hatte (39.). „Heute war
es Pfosten, aus. Nächstes Mal ist es
Pfosten, drin“, sagte der 30-Jährige.
Nächstes Mal, das ist wieder in Kiew,
am Freitag gegen England. „Die sind
gut, aber wir können es besser machen“,
sagte Ibrahimovic. (sid)
B ASTIAN HENRICHS
CHARKOW/HAMBUR G ::
Alexander
Jaroslawski, 52, wird viele Hände
schütteln. Gäste aus Deutschland und
den Niederlanden werden kommen, Politiker, Unternehmer, Sponsoren, die
Uefa-Delegation – sie alle werden Platz
nehmen in seinem „Wohnzimmer“,
dem frisch umgebauten Stadion des FC
Metalist, wenn Deutschland heute
Abend in der Gruppe B auf die Niederlande trifft. Alexander Jaroslawski, Oligarch und Präsident des Fußballklubs
Metalist Charkow, der immer auf seinem Logenplatz genau in der Verlängerung der Mittellinie sitzt, hat gern Gäste
aus dem Westen.
Nach seinen eigenen Angaben
hat der „König von Charkow“
300 Millionen US-Dollar in die
Vorbereitung der EM gepumpt.
Das beweist er an einem Tag Ende
April, als er eine Gruppe deutscher
Journalisten im Konferenzraum des
Stadions empfängt. Der Inhaber der
Unternehmensgruppe DCH, in der er
Bauunternehmen, Banken und Immobilien vereint, kommt in Jeans und leger geöffnetem schwarz-weiß karierten
Hemd, die Lederjacke trägt er unter
dem Arm. Rasierte graue Haare, tiefe
Augenhöhlen, das kantige Gesicht
leicht gebräunt, keine Armbanduhr.
Mal zieht er verdutzt die Augenbrauen
hoch, mal lacht er, ständig versprüht er
sein Charisma in dem kargen Raum, in
dem außer ihm der einzige Blickfang ein
Wasserspender ist. Es sei das erste Mal,
dass Herr Jaroslawski deutsche Journalisten empfange, erzählt einer seiner
Mitarbeiter im vereinsfarbenen blaugelben Trainingsanzug. Um die Früchte
seiner Arbeit zu ernten, nutzt der Milliardär gern die Bühne, die er sich selbst
geschaffen hat.
Der „König von Charkow“, wie er in
der Dokumentation einer polnischen
Journalistin genannt wird, hat nach eigenen Angaben 300 Millionen Dollar in
die Vorbereitung der EM gepumpt. Er
hat nicht nur das Stadion des FC Metalist umgebaut, er ließ auch den neuen
Flughafenterminal und ein protziges
Fünfsternehotel in der Innenstadt bauen. Während der EM ist das Hotel für
die Uefa-Delegation reserviert, danach
Glänzende Fassade: Hier wird heute
Deutschland spielen Foto: dpa
KURZ NOTIERT
Herr der Arena: Alexander Jaroslawski hat das 1925 eröffnete Stadion in Charkow in eine EM-Spielstätte mit 40 000 Sitzplätzen und 124 Logen verwandelt Foto: dapd
wird es wohl nie wieder ausgelastet
sein. Kaum ein Ukrainer kann sich dort
eine Übernachtung leisten. Wenn die
Delegierten von der Terrasse der SkyBar im elften Stock schauen, blicken sie
hinunter auf die Lenin-Statue, die auf
dem Freiheitsplatz steht, einem der
größten innerstädtischen Plätze Europas und Fanmeile während der EM.
Wenn man Jaroslawski fragt, wie er
denn ein solches Imperium aufbauen
konnte, lacht der Oligarch. Dann erzählt er vom Zerfall der Sowjetunion,
davon, dass die Wirtschaft am Boden
war und dass er den Wandel gewittert
habe und vielleicht etwas schneller gewesen sei als andere. Heute ist er einer
der reichsten Männer des Landes. Vor
sechs Jahren stieg er beim FC Metalist
und ins Fußballgeschäft ein. Das EMTurnier in der Ukraine soll seine Popularität nun über die Landesgrenzen hinaus steigern. Denn noch ist der promovierte Akademiker im Ausland weitgehend unbekannt – ganz im Gegensatz zu
Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch, der gerade die Champions League gewonnen hat. Jaroslawski hat es
mit seinem Klub, in dem hauptsächlich
Südamerikaner spielen, in der vergangenen Saison immerhin schon ins Viertelfinale der Europa League geschafft,
ansonsten sind seine Kontakte ins westliche Europa eher bescheiden. „Ich habe keine großen Erfahrungen mit der
deutschen Wirtschaft“, sagt er. „Ich fahre Mercedes, und der Einkauf dieser
Autos ist mein einziger Kontakt nach
Deutschland.“ Das soll sich nach dem
heutigen Spiel ändern.
200 000 Passagiere im Jahr auf dem
Flughafen, zu Sowjetzeiten waren es
mal 1,5 Millionen. So soll es bald wieder
sein, hofft Jaroslawski.
In seiner Stadt ist er durchaus beliebt. Viele Einwohner rechnen ihm an,
dass er sein Geld vor Ort investiert. So
hat er gleich neben dem Stadion eine
Fußballakademie mit 16 Spielfeldern
aufgebaut. Die Bauarbeiter, die er beschäftigt, seien alle aus der Umgebung,
und er habe sie gut bezahlt. Er sorge dafür, dass das Geld in der Region bleibe.
Also bei ihm. Denn vieles, was diese
Stadt zu bieten hat, gehört dem Oligarchen. Und so dient sein Engagement vor
allem dazu, seinen Reichtum noch weiter zu vergrößern.
Jaroslawski wohnt mit Frau und
vier Kindern 60 Kilometer außerhalb in
einem Holzhaus. Hört sich bodenständig an, ist in Wahrheit aber ein prunkvolles Anwesen. Das Holz hat Jaroslawski aus Sibirien kommen lassen. Nur
selten lässt er sich bei seinen Untertanen blicken. Wer dem „König von Charkow“ die Hand schütteln möchte, muss
schon etwas zu bieten haben.
Jaroslawski wohnt in einem
prunkvollen Bau aus Holz
„Ich habe fünf Jahre lang große Anstrengungen unternommen, um diese
einmaligen Objekte herzustellen“, sagt
Jaroslawski nicht ohne Stolz. „Sie sind
für das weitere Leben in der Stadt sehr
wichtig und werden Charkow einen
starken Impuls geben.“ Die zweitgrößte
Stadt der Ukraine ist nicht gerade ein
Touristenmagnet. Außerhalb der Innenstadt prägen die grauen Fassaden
der Wohnblocks, staubige Märkte und
mit Schlaglöchern übersäte Straßen das
Bild. Bis vor drei Jahren landeten
Was ist ein Oligarch?
Der Begriff Oligarch leitet sich vom
griechischen oligoi („Wenige“) und
archon („Herrscher, Führer“) ab.
Oligarchen sind Wirtschaftsmagnaten, die durch ihren Reichtum
für die Volkswirtschaft eines Landes von großer Bedeutung sind
und auch auf politische Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen.
Sie wurden in den 1990er-Jahren
zu der bestimmenden Kraft in der
russischen Politik und finanzierten und ermöglichten 1996 die
Wiederwahl des politisch geschwächten Präsidenten Boris
Jelzin. Sie kontrollierten die wichtigsten Massenmedien und manipulierten die Anfang der 1990erJahre durch den Staat initiierten
Privatisierungsprozesse zu ihren
Gunsten. Seit Präsident Putin
versucht der Kreml, wieder die
Kontrolle über die Wirtschaft zu
erlangen. (HA)
Spanien: Die Debatte um das Spielsystem des Welt- und Europameisters hält
an. Nachdem Trainer Vicente del Bosque beim 1:1 zum Auftakt gegen Italien
ohne nominellen Stürmer begonnen
hatte, fordern die Fans für die zweite
Gruppenpartie gegen Irland morgen
(20.45 Uhr) die Rückkehr zu einer Aufstellung mit Stürmer. Die Mehrheit
sprach sich für Fernando Llorente von
Athletic Bilbao aus.
Irland: Nationaltrainer Giovanni Trapattoni kann gegen die Spanier auf seinen gesamten Kader zurückgreifen.
Nach eintägiger Trainingspause meldete sich gestern auch der angeschlagene
Abwehrchef Richard Dunne (Aston Villa) wieder einsatzbereit.
Italien: Um sich bei Ernährungsfragen
nicht auf die Einheimischen verlassen
zu müssen, hat die „Squadra Azzurra“
einen kompletten Feinkostladen mit in
ihr Trainingsquartier nahe Krakau gebracht. Unter anderem ließen die Italiener 200 Kilogramm feinste Pasta,
ebenso viele italienische Tomaten, 100
Kilogramm Parmaschinken und 100 Liter hochwertiges Olivenöl nach Polen
einfliegen.
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Der Held, der die Ukraine eint
Schewtschenko wurde als Fußball-Rentner verspottet. Gegen Schweden strafte er die Kritiker Lügen
:: Andrej Schewtschenko hat
sich selbst einmal als Poeten des Fußballs bezeichnet: „Wenn ich spiele, ist
es, als würde ich ein Gedicht schreiben.“
Am Montag in Kiew schrieb
Schewtschenko, um im Bild zu bleiben,
kein Gedicht, sondern einen Gassenhauer. Im ganzen, sonst in vielen Fragen
so gespaltenen Land wurden nach jedem seiner Kopfballtore zum 2:1 gegen
Schweden die Raketen in die Luft geschossen. „Der Fußball ist das Einzige,
was die Ukraine eint“, hat der Literat
Sergej Schadan in seiner EM-Fibel „Totalniy Futbol“ geschrieben, und die Kritik aus dem Westen an Organisation
und politischen Verhältnissen hatte die
Sehnsucht nach einer anständigen Party nicht gerade kleiner gemacht. Nur
drei der 16 EM-Mannschaften konnten
sich zu einem Quartier in der Ukraine
durchringen, aber zumindest nach der
ersten Runde schlägt das Herz dieses
Turniers erst einmal in Kiew.
Was dies für Schewtschenko bedeutet, ließ sich an seinen Reaktionen nach
den Toren erahnen. Der 35-Jährige ist
kein Spieler für die großen Gesten, aber
nach seinem ersten Treffer rutschte er
zum Rendezvous mit der Eckfahne, und
nach dem zweiten lüftete er euphorisch
sein Trikot. „Das ist ein großer Tag für
die Ukraine“, sagte er später. Ihn gestalten zu können hätte er vor einem halben Jahr nicht für möglich erachtet.
Da wollte Schewtschenko schon
aufgeben. Das Knie schmerzte, der Rücken zwickte, er war nicht einmal mehr
ein Schatten seiner selbst. In der Liga
für Dynamo Kiew schaffte er allenfalls
noch jedes zweite Spiel, sogar das Un-
KIEW
denkbare trat ein: Europas Fußballer
des Jahres 2004, einst der Stolz einer
ganzen Nation, wurde immer öfter kritisiert. Nationaltrainer Oleg Blochin
halte nur an ihm fest, weil es der mächtige Verbandschef und Kiewer Patron
Grigori Surkis so befehle, schimpften
sie im Osten des Landes, in Donezk oder
Charkow. Blochin freilich ließ sich nicht
beirren. Ukraines Fußballidol aus Sowjetzeiten stellte Schewtschenko vor die
Wahl: Entweder du beißt dich als Spieler durch, oder ich nehme dich als Berater mit. Eine Heim-Europameisterschaft ohne „Schewa“ werde es unter
seiner Fuchtel jedenfalls nicht geben.
Und Schewtschenko biss sich
durch. Wenn die Heimat rief, hat der Of-
Andrej Schewtschenko (M.), Europas
Fußballer des Jahres 2004 Foto: dpa
fizierssohn noch immer zugehört. Sicher, er ließ sich in seiner Zeit im Westen, beim AC Milan und Chelsea, gern
von den Patriarchen Silvio Berlusconi,
Taufpate seines Sohns, und Roman Abramowitsch bezirzen. Aber immer begleitete ihn ein tiefer Patriotismus.
Während der Orange Revolution
meldete sich Schewtschenko zu Wort
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, gerade ausgezeichnet mit dem Goldenen Ball, sagte er 2004: „Ich widme
den Titel allen Ukrainern, die momentan eine schwere Zeit durchmachen.“
Es waren die Tage der Orange Revolution, und Schewtschenko geriet vorübergehend ins Zentrum der politischen
Händel. Eine freundliche Äußerung
über den damaligen Wahlschummler
und heutigen Präsidenten Wiktor Janukowitsch wurde ihm von dessen Gegnern sehr verübelt. Bis er betonte, er habe nur eine menschliche, keine politische Aussage treffen wollen.
Heute ist das kein Thema mehr. In
diesen Tagen stehen allein die Spiele gegen Frankreich und England im Fokus.
„Wir sollten in dieser Gruppe weiterkommen“, sagt Schewtschenko, dessen
Euphorie nach dem Schweden-Sieg nur
für einen Moment getrübt wurde: Wenige Stunden nach seinem Doppelpack
rammte ein Geländewagen das Auto des
Fußballstars, der an einem Fußgängerüberweg wegen jubelnder Anhänger in
die Bremsen stieg. Es entstand ein erheblicher Blechschaden, der zumindest
die Fans erfreute: Poet Schewtschenko
musste anschließend reichlich Autogramme schreiben. (flh/as)
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