investments - Handelsblatt

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BUSINESS BRIEFING
NACHHALTIGE
9.1.2015 | Nr. 1
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INVESTMENTS
TOPTHEMA: Steueroptimierung - Dilemma oder Unding? 2
Gute Vorsätze für
das Zukunftsthema
Stiftungen machen rund ein Viertel derjenigen institutionellen Investoren aus, die nachhaltige Geldanlagen vorantreiben. Die Volumina sind gemessen am Kapitalmarkt jedoch noch gering. Das
erklärt sich durch die Stiftungspraxis. Nur gut acht Prozent haben ökosoziale Kriterien in ihren Anlageleitlinien. Das lässt sich
einer Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen vom
Dezember entnehmen. Er schreibt zwar, 40 Prozent der „befragten“ Stiftungen
mit Anlagerichtlinien hätten ethische, soziale oder ökologische Kriterien niedergeschrieben. Das klingt nach viel, doch die Angabe ist irreführend. Befragt wurden die 437 Stiftungen des ’Stiftungspanels’, aber es antworteten lediglich 168,
von denen nur zwei Drittel überhaupt Anlageleitlinien haben. Folglich bleiben
lediglich 37 Stiftungen mit Nachhaltigkeitsaspekten in ihren Richtlinien – und so
schrumpft der hohe Prozentsatz auf acht Prozent aller befragten Stiftungen.
Hierbei sind die kleineren Stiftungen „führend“: Fast 60 Prozent mit einem Kapital bis zu eine Million Euro haben Nachhaltigkeitsaspekte verankert. Bei großen Akteuren sind es 35 Prozent. Bei der Umsetzung ist das Verhältnis eher
umgekehrt: Fast jede zweite größere Stiftung, die geantwortet hat, gibt an,
nachhaltige Aspekte in konkrete Anlageentscheidungen einzubeziehen. Bei den
kleineren Stiftungen ist es ein gutes Drittel. Wie es zu den Widersprüchen zwischen Vorgaben und Geldanlagen kommt, ist ungeklärt. Die Umsetzung falle
größeren Stiftungen leichter, mutmaßt der Verband. Nur knapp ein Drittel lässt
unabhängig prüfen, ob Nachhaltigkeitskriterien eingehalten sind.
Inhalt
UNTER DER LUPE
Steueroptimierung Viele
Asset Manager schweigen.........2
ASSET MANAGEMENT
Internationale Meldungen.........6
PRODUKTE & KONZEPTE
Bioenergie birgt
Probleme und Chancen...............7
BEWERTUNG & PRAXIS
Steuervermeidung:
Firmen legen nichts offen.........11
MELDUNGEN & AUSBLICK.......14
Mit Unterstützung von
Angesichts dessen ernüchtert dieses Ergebnis: 46 Prozent der Antwortenden
meinen, das Thema werde in ihrer Stiftung relevanter - also nur 18 Prozent der
Befragten. Werden die nächsten Jahre Fortschritte bringen? Dass das Thema
für kleinere Stiftungen „immer noch mehr Wunsch als Wirklichkeit“ sei, sieht
Generalsekretär Hans Fleisch „klar als Auftrag an den Bundesverband, noch
stärker zu beraten.“ Zu beraten sind aber auch große Stiftungen. Beachteten sie
Nachhaltigkeitsaspekte systematisch, wäre das Marktvolumen nicht mehr marginal und sie hielten Risiken besser im Blick. Fleisch mahnt überdies, Finanzdienstleister müssten umdenken: „Nachhaltige Anlageprodukte gehören ins
Rampenlicht und müssen für alle Stiftungen zugänglich sein.“ Wie wahr! Das
wäre ein gutes Vorhaben für 2015. Am besten gleich jetzt loslegen.
Ein gesundes und zufriedenes Jahr wünscht Ihnen Ihre Susanne Bergius
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected].
BUSINESS BRIEFING NACHHALTIGE INVESTMENTS
Steueroptimierung –
Dilemma oder Unding?
Exklusiv: Die meisten der acht Top-Vermögensverwalter schweigen zur Frage, ob unternehmerische
Steuersparmodelle für Anleger akzeptabel sind
oder nicht. Ethische Akteure verlangen eine Abkehr.
Unternehmen senken ihre Steuerlast so weit wie möglich. Das klingt für Anleger erstmal gut. Schließlich erhöhen sie damit ihre Gewinne sowie Investitionsmöglichkeiten
und / oder die Dividenden für Aktionäre. Gerade erst ist der verheißungsvolle Titel
„Handbuch der steueroptimalen Unternehmensfinanzierung“ erschienen im SchäfferPoeschel-Verlag. Alles bestens also.
Wären da nicht Konzerne, die ihre Verpflichtungen so sehr ‚optimieren’, dass sie
gar keine oder kaum Steuern zahlen. Durch atemberaubende Tricksereien und undurchsichtige Firmenstrukturen haben Internetkonzerne wie Amazon, Facebook und
Google Steuerlasten ebenso klein gerechnet wie Vertreter der ‚Old Economy’ vieler
Branchen, etwa Eon, Deutsche Bank, Ikea, Procter & Gamble oder Starbucks.
Legale Kreativität ...
Steuervermeidung ist nicht per se illegal, sondern als Steueroptimierung vielerorts
zulässig. Sie ist insofern zunächst von illegaler Steuerhinterziehung zu unterscheiden.
Staaten, Regionen, Bundesländer und Kommunen haben schon immer die Besteuerung als Instrument des Wettbewerbs um Ansiedlungen von Gewerbe-, Industrieund Dienstleistungsfirmen genutzt. Das ist Standortpolitik, lokal, regional, international. Die Konkurrenz sorgt zudem dafür, dass die Steuern für Privatleute nicht ins Unermessliche steigen. „Wettbewerb zwischen Staaten mit unterschiedlichen Steuersätzen und Steuersystemen ist im Interesse der Bürger“, schreibt Christoph Lütge, Professor für Wirtschaftsethik an der TU München. Aber: „Steuerwettbewerb sollte im
Rahmen angemessener Regeln geführt werden.“
... auf Kosten anderer
Wenn die Steuerlast gegen Null tendiert, stimmt etwas nicht. Weil vor allem multinationale Unternehmen Steueroasen nutzen, entgehen den Mitgliedsländern der Europäischen Union laut deren Schätzung alljährlich bis zu einer Billion Euro an Steuereinnahmen. Damit fehlen ihnen Mittel für ihre staatlichen Aufgaben: Investitionen in
Bildung, das Gesundheitswesen, die Verkehrsinfrastruktur, in funktionierende Verwaltungen und Justizsysteme, Polizei und Feuerwehr. Will heißen: Unternehmen profitieren von diesen positiven Rahmenbedingungen, ohne ihren Obolus beizusteuern.
„Klein- und Mittelständler haben diese Möglichkeit nicht, tragen die Infrastrukturen
mit und werden dafür bestraft“, sagt der unabhängige Finanzberater Ingo Scheulen.
Multis haben im Schnitt eine um 20 bis 30 Prozent niedrigere Steuerlast, so das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.
Zudem gefährdet dieses Verhalten die Stabilität des internationalen Finanzsystems
und unterstützt teils kriminelle oder gar terroristische Aktivitäten.
Die Lux-Leak-Affaire macht deutlich, dass die Dimensionen der Steuerprivilegien
jedes akzeptable Maß überschreiten: Unternehmen haben rund 50.000 BriefkastenHoldings in Luxemburg. Das zeigen 28.000 Seiten geheimer Dokumente aus dem
Bestand der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, die im November nach monatelanger Recherche das International Consortium of Investigative Journalism aufge-
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TOPTHEMA
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Konzerne profitieren
von Steuerparadiesen
Ob Steueroase, Offshore-Finanzplatz oder Schattenfinanzzentrum
- sie handeln nach demselben
Prinzip. Diese Staaten oder Gebiete ermöglichen Personen und
Unternehmen durch sehr niedrige
oder nicht vorhandene Steuern
und ein rigides Bank- und Finanzverwaltungsgeheimnis ihre Steuerlast in dem Land zu verringern,
in dem sie eigentlich voll steuerpflichtig sind.
Entwicklungsländern gehen jährlich 160 Milliarden Euro durch
Steuermanipulationen internationaler Konzerne verloren. Das
schätzte 2008 die Nichtregierungsorganisation „Christian Aid.“
EU-Kommission ermittelt
Steuerdeals können, selbst wenn
sie nicht gegen nationale Gesetze
verstoßen, verbotene staatliche
Beihilfen sein. Darum ermittelt die
EU-Kommission in den Fällen
Apple in Irland, Starbucks in den
Niederlanden sowie Amazon und
Fiat Finance and Trade in Luxemburg. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat auch
Großbritannien, Belgien, Malta
und Zypern um Informationen zu
bestimmten Unternehmen gebeten. Gegen Luxemburg laufen insgesamt 22 Ermittlungsverfahren.
Riesenschaden
Steueraufkommen der EU 2014* in Euro
Tatsächliche Einnahmen
5,5
Billionen
Durch
Steuertricks
verlorene
Einnahmen
1
Billion
Handelsblatt | *Schätzung
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Quelle: EU
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deckt hat. Top-Konzerne verlagern Patente, Markenrechte, Lizenzgebühren und Darlehenszinsen in Tochterfirmen oder handeln mit Finanzbehörden hohe interne Verrechnungspreise aus, damit die Gewinne schmelzen. Dadurch sinkt die Bemessungsgrundlage, teils gar in den Verlustbereich. Und so zahlen sie letztlich nur 0,1 Prozent
Steuern, trotz einer 29-prozentigen Firmensteuer im Großherzogtum.
Anleger in der Zwickmühle
Eine klare Lösung kann nur die Politik bringen. Hierzu gibt es seit 2009 Vorstöße und
Ansätze, seit 2012 auch von den G20-Staaten. Im November haben 44 Industrie- und
Schwellenländer, koordiniert von der OECD, die ersten sieben von 15 vereinbarten
Steuergestaltungsbremsen beschlossen. Die restlichen sollen Ende 2015 stehen. Doch
bis sie greifen, wird es noch dauern. Und in der EU als auch international wehren sich
manche Staaten gegen zu starke „Gleichmacherei“.
Angesichts dessen stecken Anleger in einem Dilemma: Einerseits gibt es (noch) legale Steueroptimierungsmöglichkeiten, von denen sie profitieren können. Das Interesse der Anleger, viel Rendite mit ihren Aktien zu erzielen, ist berechtigt.
Andererseits scheint Steueroptimierung ungerecht und ethisch verwerflich. Denn
‚legal’ heißt nicht zugleich ‚legitim’. Überdies birgt das Handeln der Unternehmen
Regulierungs- und Reputationsrisiken. Diese können auch die Anleger treffen, wie
erste Kurzstürze nach Ankündigungen von Steuerbremsen zeigen (siehe Kontext).
Wie also sollen sie reagieren? Bei den Anlegern sei das Thema noch nicht angekommen, erlebt Richard Böger, Vorstandschef der Kirchenbank BKC. „Wenn Anleger
von uns darauf angesprochen werden, gibt es aber großes Interesse.“ Finanzberater
Scheulen hingegen erhält seit einigen Monaten Kundenfragen: „Das Thema taucht
bei denen auf, die die Nachrichten über sogenannte Steueroptimierung in Irland, Luxemburg und anderswo verfolgen.“ Er warne Anleger vor Unternehmen mit exzessiver Steuervermeidung.
Anlegern könne es nicht egal sein, sagt Böger, sie sollten sich damit befassen.
„Aber noch ist die Meinung der meisten Anleger, dass es Aufgabe der Unternehmen
ist, im Interesse der Aktionäre so weit wie möglich Steuern zu vermeiden.“ Er kenne
keine, die so etwas ausschlössen. Einige angelsächsische Investoren haben, wie zu
hören ist, überhaupt kein Problem mit legaler Steueroptimierung und begrüßen sie
sogar, weil sie scheinbar finanzielle Vorteile verspricht, auch für sie als Aktionäre.
Vermögensverwalter bilden Wand des Schweigens
Aber können Aktionäre und Anleihenkäufer die Vermeidungstaktiken tatsächlich tolerieren und sagen: „Das müssen die Staaten unter sich ausmachen?“ Was raten ihnen konventionelle Vermögensverwalter - und was tun diese selbst? Schließlich birgt
unternehmerische Steueroptimierung beträchtliche Anlagerisiken.
Dazu befragt stößt man bei den acht Häusern, die kürzlich das Magazin „Elite Report“ zu den besten Vermögensverwaltern des deutschsprachigen Raumes gekürt
hat, meist auf eine Wand des Schweigens. Fünf der acht lehnten Antworten ab.
„Wir möchten uns hierzu nicht äußern“, so die Berenberg Bank. Die Bremer Landesbank meint, sie sei „schlicht und einfach nicht die richtige Ansprechpartnerin.“
Die Hamburger Sparkasse bittet „um Verständnis, dass wir als regionales Institut mit
Kunden, die sich mit ihren Anlagen vornehmlich auf den Heimatmarkt konzentrieren,
(...) keine Stellung beziehen können.“ Von Donner & Reuschel kommt keine sachdienliche Antwort. Die Centrum Bank „äußert sich zu politischen Themen nicht.“
Nur die BHF Bank aus Frankfurt, Wergen & Partner aus der Schweiz sowie die österreichische Schoellerbank antworten auf die sechs Fragen. Sie bestätigen: Weder
private noch institutionelle Anleger sprechen das Dilemma von sich aus an.
Wenn also die Anleger nicht handeln, dann vielleicht ein paar Vermögensverwalter? Wergen & Partner mache keine steueroptimierten Produkte, sondern nur direkte
Investments, sagt Manfred Wergen. Er lege keinen Wert auf Steueroptimierung
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Regulierung lässt
Aktienkurse einbrechen
Anfang Dezember kündigte der
britische Schatzkanzler George
Osborne eine sogenannte „Google-Steuer“ an, mit der er die
Steuerflucht internationaler Konzerne ausbremsen will. Alle Profite, die in Großbritannien erzielt,
aber künstlich ins Ausland verlagert werden, sollen mit 25 Prozent besteuert werden – vier Prozent mehr als üblich. Auf die Ankündigung hin verloren Aktien
multinationaler Unternehmen an
der Londoner Börse an Wert.
EU schiebt den Riegel vor
2012 haben der deutsche und der
britische Finanzminister eine internationale Initiative gegen die
legalen Steuervermeidungstricks
multinationaler Unternehmen
„BEPS“ angestoßen. Die Konzerne
belächelten das erst – Schlupflöcher finden sich ja immer. Doch
die Politiker meinen es ernst.
Im Juni 2014 beschlossen die EUFinanzminister eine Verschärfung
der Mutter-Tochter-Richtlinie, um
legalen Ausweichmanövern bei
Gewinntransfers innerhalb der EU
einen Riegel vorzuschieben. Im
November beschloss der Ecofin
die kreative Steuergestaltung
weiter einzudämmen: Es soll nicht
mehr möglich sein, in der EU erzielte Gewinne lediglich zwecks
Steuervermeidung an Konzerntöchter in Drittstaaten zu überweisen. In Deutschland ist das bereits verboten, in anderen EUStaaten aber nicht. Hiesige Unternehmen konnten dortige Rechtslücken ausnutzen.
Für Banken gilt ab Januar 2015
das Country-by-country-Reporting: Sie müssen offen legen, in
welchem Land sie wie viel Steuern und Gewinne verbuchen.
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von Unternehmen, sondern auf eine gute Risikostreuung. Darum habe er Reputationsrisiken im Blick. Bestehe bei einem Unternehmen auch nur der Hauch einer extremen Steueroptimierung, müsse man vorsichtig sein.
Rechtens oder nicht? Asset Manager sind überfordert
Aktuell habe er keine heiklen Titel im Depot, sagt Wergen, räumt aber ein, nicht so
sehr wegen dieses Themas, sondern weil die Fundamentaldaten nicht passten. Wären die Fundamentaldaten eines solchen Konzerns gut, könne er einen Kauf nicht
ausschließen. Denn die Messbarkeit sei schwierig, betont Wergen.
Das Steuerrisiko bestehe theoretisch bei jedem Großkonzern. Ein normaler Vermögensverwalter könne kaum einschätzen, ob die jeweilige Steueroptimierung rechtens
und nicht rechtens sei. Wergen & Partner kauft kein explizites Nachhaltigkeitsresearch ein, um hierzu Informationen zu erhalten.
Die BHF Bank sieht die Politik gefordert. „Als Auswahlkriterium bei der Aktienanlage spielt es bislang keine Rolle, und zwar unseres Wissens weder beim Anleger noch
bei Analysten und Vermögensverwaltern“, sagt Karl Stäcker, Sprecher der Geschäftsführung des Frankfurt-Trust. Grundsätzlich erscheine es ihm legitim, dass Unternehmen ihre steuerlichen Gestaltungsspielräume im internationalen Wettbewerb ausschöpften. „Gleichwohl ist auf eine faire Gleichbehandlung aller am Wirtschaftsgeschehen Beteiligten (Privatpersonen, Unternehmen, Staaten) zu achten. Dies aber ist
vornehmlich Aufgabe der Gesetzgeber und damit der Politik.“
Integration in fundamentaler Risikoanalyse möglich
Noch bleibe abzuwarten, inwieweit die Vorstöße auf EU- und OECD-Ebene und eine
stärkere gesellschaftliche Diskussion zu einem veränderten Anlegerbewusstsein führen, sagt Stäcker. „Dass der öffentliche Druck bei den betroffenen Unternehmen zu
Veränderungen führen kann, zeigt das Beispiel Starbucks, die ihre Europa-Zentrale
nach London verlegt haben und damit höhere Steuern zahlen.“ Im Fall von Starbucks
ermittelt die EU-Kommission gegen die
Niederlande. Der Konzern gab im Dezember zu, dass die britische Tochter
seit Jahren in Großbritannien keine Steuern bezahlt.
Vermögensverwalter müssen aber
nicht auf die Anleger oder die Politik
warten, sondern können aktiv handeln,
wie die Schoellerbank zeigt. Sie versucht
im fundamentalen Research von Einzelaktien das Geschäftsmodell so gut wie
möglich zu verstehen. Dazu zähle auch
die steuerliche Seite, sagt Robert Karas,
Leiter der Abteilung Asset Management.
„In unserer Checkliste, die zwingend
vor Neuaufnahme eines Unternehmens
zu bearbeiten ist, finden sich folgende
Fragen: Is the company heavily using
‚tax optimization’ practices or situated in
a tax haven? Is all the cash onshore? If
not, how much is offshore? What would
be the tax rate to repatriate? What is the
company’s philosophy on offshore
cash?” Die Fragen befänden sich schon
lange auf der internen, nicht nach außen
gegebenen Liste. „Wir wollen damit
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Risiken für das Unternehmen identifizieren.“ Natürlich hänge die Bewertung und
Wichtigkeit auch davon ab, wie sich die internationale Steuergesetzgebung verändere und wie die Gesellschaft damit umgehe.
Sein Team schätze Unternehmen mit klarem und transparentem Vorgehen. „Ein
unverhältnismäßig tiefer Steuersatz wäre für uns ein Alarmzeichen, dass dieser nicht
haltbar ist. Oder Nachforschungen unsererseits auslösen, wie dieser tiefe Satz entsteht“, erläutert Karas. Beispielsweise habe die effektive Steuerrate des Haushaltsmittel- und Körperpflegeherstellers Johnson & Johnson (JNJ) 2013 bei nur noch 10,6
Prozent gelegen, nach 23,7 Prozent im Vorjahr. Zum Vergleich: Der gesetzliche Steuersatz beträgt in den USA 35 Prozent. Auch andere Pharmaunternehmen hätten Patente zu Töchtern in Ländern verlagert, die geringere oder keine Steuerraten haben.
Bewertungsabschläge für hohe Cash-Position im Ausland
„Wenn ein Unternehmen die Beträge in den ausländischen Niederlassungen investieren kann, stellt es kein Problem dar“, sagt der Vermögensverwalter. Wenn jedoch das
Unternehmen die Beträge in die USA holen wolle, um Dividenden zu zahlen oder Aktien zurückzukaufen, werde die US-Steuer fällig. Das sei wohl ein Grund, warum Apple trotz hoher Cash-Bestände zusätzliches Geld mit Anleihen aufnehme, um das Aktienrückkaufprogramm voranzutreiben.
Was tut Karas im Falle von JNJ? Er würde das Thema bei der Bewertung der Aktie
„mitdenken“, aber Unternehmen mit ausländischen Töchtern nicht kategorisch ausschließen. Es sei schließlich deren treuhändische Pflicht gegenüber dem Aktionär, die
Steuerquote so gering wie möglich zu halten – und Unternehmen richteten sich nach
Anreizen, die die Gesetzgeber gäben.
Die Schoellerbank hält JNJ weiter auf der Aktienliste. „Enorm hohe Geldbestände
im steuerbegünstigten Ausland müssen aber mit einem Abschlag in die Bewertung
einfließen, da die Gelder einerseits nicht frei verfügbar sind und andererseits bei einer Rückholung und Besteuerung weniger wert wären.“ Bei JNJ ist ein Bewertungsabschlag fällig. Noch hat sein Team keine Aktie aus steuerlichen Gründen abgelehnt.
Nachhaltigkeitsakteure unterwegs
Standards existieren noch nicht. Analysten gelangen angesichts undurchsichtiger
Konstrukte kaum an zuverlässige Daten. Das gilt auch für nachhaltige Banken und
Vermögensverwalter. „Wir werden uns im Laufe des Jahres 2015 mit diesem Thema
beschäftigen“, sagt Böger von der BKC. Er will „eine Grundsatzlinie entwickeln, mit
der wir Unternehmen im Hinblick auf die Steuersparmodelle beurteilen können.“ Er
schränkt aber ein: „Selbst wenn es diese Grundsatzlinie gibt, bedeutet dies noch
nicht, dass sie umgesetzt werden kann. Denn die Nachhaltigkeits-Rating-Agenturen
sammeln noch keine Informationen zu diesen Themen, soweit mir bekannt ist.“
Nachhaltige Ratingagenturen befassen sich allerdings seit einiger Zeit damit, manche arbeiten mit Bewertungsabschlägen (siehe den Bericht auf Seite 11). Sie haben
angefangen, Transparenz und korrektes Verhalten zu fordern. Bis zu soliden Daten
und zur Beurteilung der tatsächlichen unternehmerischen Leistungen wird es dauern.
„Erst wenn es umfassende Information zu den Unternehmen gibt, was über Google, Amazon, Apple und Starbucks hinausgeht, können die noch zu entwickelnden
Filter umgesetzt werden“, sagt Böger. „Dies wird also noch mehrere Jahre dauern.“
Leitlinien kirchlicher Organisationen seien bislang nicht in Arbeit. Das Forum Nachhaltige Geldanlagen befasst sich ansatzweise mit dem Thema (siehe Kontext).
Orientierung könnten Firmen mit vorbildlichen Praktiken geben. Die sind rar (siehe
S. 11). Besonders gut gefällt Karas die Einstellung der Speditionsfirma Expeditors International of Washington. Voll Ironie verspottet es in einem Positionspapier, das der
Redaktion vorliegt, die ’Optimierungspraxis’ und redet Klartext. Karas: „Es gibt wohl
kaum ein anderes Unternehmen, das so offen und unterhaltsam kommuniziert.“
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TOPTHEMA
9.1.2015 | Nr. 1
Nachhaltigkeitsfonds
selten mit heiklen Titeln
Akteure diskutieren aktuell die
besten Maßstäbe dafür, was noch
akzeptabel ist und was nicht. Darum geht es auch im Arbeitskreis
zum Nachhaltigkeitssiegel für Investmentfonds des Forum Nachhaltige Geldanlagen.
Das Netzwerk unabhängiger Finanzberater Ökofinanz-21 plädiert
für Mindestkriterien. „Unternehmen profitieren davon, dass die
Allgemeinheit Grundstrukturen
vorhält. Daran müssen sich alle
gemäß ihrer Leistungskraft beteiligen“, sagt Vorstand Ingo Scheulen. „Man muss einen Anspruch
formulieren, aber auch eine gewisse Unschärfe zulassen, zumal
es sich immer um Momentaufnahmen handelt.“
Doch eins ist für ihn klar: „Investmentfonds, die zum Beispiel Google oder Starbucks beinhalten,
sind ein No Go.“
Aber nur wenige Nachhaltigkeitsfonds beinhalten sie: Google ist
laut der Plattform nachhaltigesinvestment.org in acht Fonds,
Starbucks in fünf. Das ist ein verschwindend geringer Teil der
rund 400 Nachhaltigkeitsfonds
des deutschsprachigen Raumes.
Susanne Bergius
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ESG-Aspekte fließen global in Alternative Investments ein
Alternative Investments – Anlagen jenseits von Aktien, Renten und Geldmarkt – nehmen in immer mehr Portfolios eine zentrale Stellung ein. Dabei gewinnen Umwelt-,
Sozial- und Governance-Aspekte (international kurz ESG) in den Anlageprozessen an
Bedeutung. Das sagen etwa die Hälfte von 370 Anlagespezialisten aus Europa, Amerika und asiatisch-pazifischem Raum, die die Deutsche Asset & Wealth Management
(„Deutsche AWM“) für ihre Studie „The Alternative Perspective – 2014 Global Survey
of Investors in Alternatives“ befragte. Die Umsetzung von ESG-Kriterien ist demnach
besonders in Europa von Belang, gefolgt von Nordamerika. „Mit steigender Bedeutung von verantwortlichem Investieren werden Unternehmen strukturiertere Rahmenbedingungen für die Auswahl von Managern entwickeln, die diese Faktoren umsetzen“, so das Institut. Zu alternativen Investments insgesamt sagt Dario Schiraldi,
Head of Global Client Group: „Über 50 Prozent der befragten Kunden wollen ihr Engagement in diese Anlageklassen erhöhen.“ Die Mittel dafür würden wahrscheinlich
aus liquiden Mitteln und festverzinslichen Positionen kommen. Das verwaltete Vermögen der befragten Organisationen betrug zwischen rund 500 Millionen US-Dollar
und mehr als 20 Milliarden US-Dollar.
ASSET MANAGEMENT
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Mit Unterstützung von
Pensionsfonds in den USA und Kanada neu ausgerichtet
Mitte Dezember hat der Oregon Investment Council (OIC) Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (englisch kurz: ESG) in sein » ‚Statement of Investment and Management Beliefs’ aufgenommen. ESG-Faktoren werden in den Risikoprüfprozess integriert. „Die unternehmerische Leistung hinsichtlich Umwelt, Sozial- und Governance-Aspekten hat das Potenzial den Unternehmenswert zu beeinflussen“, begründete
der staatliche Finanzdirektor Ted Wheeler, Mitglied des OIC. Der Beschluss gebe dem
OIC eine andere Dimension, „Risiken und Erträge für Oregons 90-Milliarden-Dollar
Investmentportfolio zu evaluieren.“ Dem war im US-Bundesstaat Oregon ein öffentliches Arbeitstreffen mit Experten vorausgegangen.
Anders ist die Situation in Kanada. Anfang Dezember hat sich zwar auch der kanadische Bundesstaat Ontario zu verantwortlichen Investments bekannt. Er verabschiedete den » ‚Ontario Pension Benefits Act’, der künftig eine Erklärung erfordert, „ob
Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren in Investmentpolitiken und Prozessen des
Pensionsplans einbegriffen sind und, wenn ja, wie diese Faktoren integriert sind.“ Beobachter erwarten davon einen Schub für verantwortliche Investments in Kanada. In
Deutschland blieb dieser Schub nach einer ähnlichen Formulierung allerdings aus.
Denn sie bedeutet nicht, dass Ökologisches, Soziales und Unternehmensführung
(englisch kurz: ESG) berücksichtigt werden muss.
Asiatischer Markt wächst zweistellig
Der asiatische Markt nachhaltiger Investments hat sich seit 2011 um jährlich 22 Prozent ausgeweitet. Das gab im Dezember die Branchenorganisation » Association for
Sustainable & Responsible Investment in Asia (ASRIA) bekannt. Die addierten Volumina sind noch gering: Insgesamt werden in der Region (ohne Japan) rund 45 Milliarden US-Dollar mithilfe von einer oder mehreren nachhaltigen Anlagestrategien verwaltet (Stand Ende 2013). Zum Vergleich: Die im deutschsprachigen Raum entsprechend verwalteten Vermögen beliefen sich zum selben Zeitpunkt auf 135 Milliarden
Euro, so das Forum Nachhaltige Geldanlagen.
Tonangebend ist in Asien mit 52 Prozent aller Anlagen die „ESG-Integration“: die
Beachtung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren bei der Titelbewertung
und dem Portfoliomanagement. Ob dies durchweg systematisch getan wird oder nur
in Ansätzen, gibt das ASRIA – anders als das FNG – nicht bekannt. Als besondere
Wachstumsbereiche hebt es saubere Energien und ’grüne Anleihen’ hervor. Fast zwei
Drittel der auf die Umfrage antwortenden Investoren gaben an, Klimarisiken würden
in den nächsten zwei Jahren an Bedeutung für den Kapitalmarkt gewinnen.
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Bioenergie birgt
Probleme und Chancen
Investitionen in Energie aus nachwachsenden
Rohstoffen sind sinnvoll. Doch es ist insbesondere
darauf zu achten, dass die Biomasse, in die Anleger
investieren, nachhaltig entsteht.
Es ist Winter. Heizsaison. Im Kaminofen flackert ein gemütliches Feuer. Holzscheite
kommen aus dem Wald, Holzbriketts entstehen aus Sägespänen. Im Keller heizt ein
Holzpellet-Ofen die Wohnung, der Berg aus Pellets daneben kann auch aus Sägespänen stammen. Das Holzheizkraftwerk der Gemeinde erzeugt aus industriellem Altholz Strom und Wärme für zig hundert Haushalte. Neue Holzvergasungstechniken
wandeln Baum- und Strauchverschnitt zu Strom und Wärme für Gewerbegebiete.
Das alles existiert und ist sinnvoll. Denn die Verbrennung von Holz setzt nicht mehr
CO2 frei, als Bäume zuvor im Holz gebunden haben. Holzenergie trug 2013 ein Viertel
zu den durch Erneuerbare Energien vermiedenen 148 Millionen Tonnen Treibhausgasen bei. Bioenergie basiert aber nicht nur auf Holz, sondern auf vielen Formen
pflanzlicher und tierischer Reststoffe. Biomasse insgesamt liefert zehn Prozent der
Stromproduktion und rund acht Prozent der Wärmeproduktion (siehe Charts). Mit
Prognosen hält sich die Branche aufgrund politischer Unwägbarkeiten zurück.
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PRODUKTE & KONZEPTE
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Biomasseenergie
ist bedeutsam
Der Anteil Erneuerbarer Energien
an der Stromerzeugung klettert
von einem Rekord zum nächsten.
Im Durchschnitt lieferten sie von
Januar bis Oktober bereits 31 Prozent.
Biomassestrom steuerte dazu gut
ein Drittel bei, sie legte im Jahresvergleich um zwölf Prozent zu,
während fossile Energieträger
teils stark abnahmen, so das
Fraunhofer-Institut für Solare
Energiesysteme in Freiburg.
Verschiedenste Anlagekonstrukte - nur wenig Optionen
Bioenergie ist ein Baustein der Energiewende, die nötig ist, um dem Klimawandel zu
begegnen. Hier zu investieren klingt verlockend. Die Investitionsmöglichkeiten sind
jedoch beschränkt und oft nur lokal. Noch sei die Zahl der finanzierungsreifen Projekte gering, sagen Analysten und Finanzberater. Es handele sich teils um aufwendige
Investitionsverfahren mit komplexen Strukturen und hohem Investitionsbedarf.
Eine weitere Hürde ist, dass die Verfügbarkeit der nötigen Biomasse gesichert werden muss. Das ist gar nicht so einfach, steht der Anbau von Energiepflanzen doch
teilweise auch in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion oder dem Waldschutz.
Gleichwohl sehen Fachleute mittelfristig einen Bedarf und gute Aussichten. Mitte
2014 ergab das dreijährige Forschungsprojekt » www.kombikraftwerk.de des Fraunhofer Instituts IWES, eine hundertprozentige sowie sichere Energieversorgung durch
erneuerbare Quellen sei möglich. Bioenergie liefere dabei zehn Prozent.
Schließlich wollen viele Länder ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen vermindern. In Dänemark passiere viel in diese Richtung, berichtet Finanzberater Oliver
Ginsberg von Tetrateam aus Berlin. Dort würden zunehmend Kombi-Kraftwerke gebaut, die Wind-, Solar- und Biomasse-Energie nutzten. Für Schweden habe es mal
ein Investment in ein Blockheizkraftwerk mit Fernwärmeproduktion gegeben, das
Biomasse nutzt – die Anlagen waren schnell „ausverkauft“.
Genossenschaftsanteile
Für Anleger im deutschsprachigen Raum kommen immer wieder regionale Angebote
auf den Markt, etwa (Bürger-)Beteiligungen an Energiegenossenschaften, mit denen
Gemeinden zur „Energie-Kommune“ werden. Zu diesen informiert der » Kommunalatlas. Dort ist beispielsweise zu sehen, dass die drei Landkreise Hohenlohe-Odenwald-Tauber zur Nullemissionsregion werden wollen – darauf haben sich 66 Bürgermeister parteiübergreifend und über zwei Bundesländer hinweg verständigt.
Die Kommunen haben eine GmbH gegründet, um jenseits von Parteigrenzen
Bedeutung der Biomasse
bei der Wärmeerzeugung
Struktur im Jahr 2013
Solarthermie
5,1%
Gesamt *
132,9 Mrd. kWh
Geothermie,
Umweltwärme
7,2%
Biomasse
87,7%
* Wärmebereitstellung aus Erneuerbare Energien
in Deutschland
Handelsblatt
Quelle: BBE, Feb. 2014
Bedeutung der Biomasse
bei der Stromerzeugung
Struktur im Jahr 2013
Wasserkraft
13,9%
Windenergie
35,0%
Gesamt *
152,6 Mrd. kWh
Photovoltaik
19,7%
Biomasse
31,4%
* Strombereitstellung aus Erneuerbare Energien
in Deutschland
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Quelle: BBE, Feb. 2014
BUSINESS BRIEFING NACHHALTIGE INVESTMENTS
Konsens zu finden und Bedenken der Bevölkerung zur Flächenkonkurrenz von Nahrungsmitteln und Energiepflanzen auszuräumen. Ein großflächiger Anbau von Energiepflanzen wie Mais oder Raps kann der Lebensmittelproduktion oder dem Schutz
der Artenvielfalt entgegen stehen. Folglich ist nicht nur die Verfügbarkeit, sondern
auch die Nachhaltigkeit der nötigen Biomasse zu sichern. Das ist nicht einfach, aber
es gibt Lösungen.
So dominieren in den Landkreisen Hohenlohe-Odenwald-Tauber keine Mais-Monokulturen. Es wachsen Weizen, Raps sowie Kurzumtriebplantagen mit Pappeln, die
weder Kunstdünger noch Pflanzenschutzmittel benötigen. Zudem setzen die Gemeinden auf „alternative Energiepflanzen“, etwa die mehrjährige, zwei Meter hohe
’Durchwachsene Silphie’. Deren Anbau ist in der Versuchsphase.
Millionenschwere Investitionen
„In vielen Kommunen wurden Genossenschaften gegründet, die den Bau eines Nahwärmenetzes finanzierten und teilweise sogar selbst ausführten“, berichtet Sebastian
Damm, der Geschäftsführer der beratenden GmbH. „Wir raten aber zur Vorsicht, auswärtige Investoren aufzunehmen, die eine Renditeerwartung haben. Das kann zu Unfrieden führen, falls sie in den kleinen Ortschaften über die Heizpreise mitbestimmen
wollen.“ Um gleichwohl Geldgeber zu gewinnen, biete das Genossenschaftsrecht die
Variante investierender Mitglieder ohne Stimmrecht, die quasi Darlehen geben.
So geschehen in Großeicholzheim. Dort startete vor drei Jahren eine Genossenschaft mit dem Ziel, langfristig Nahwärme bereit zu stellen. Sie sammelte knapp
500.000 Euro an Mitgliederanteilen ein und baute ein acht Kilometer langes Nahwärmenetz. Es ging 2014 in Betrieb und versorgt bereits 117 Haushalte mit der Abwärme
aus einer Biogasanlage, mit der eine Firma zuvor nur Strom erzeugte.
Die Genossenschaftsmitglieder sind zu 87 Prozent Nahwärmekunden im Ort. „Die
anderen sind Gründungsmitglieder, Verwandte, Ehepartner oder Erben, die eine Beziehung zur Region haben. Sie sind investive Mitglieder, für die es bei positivem Ergebnis eine Dividende von 2,5 Prozent gibt“, erläutert Reinhold Rapp, Vorstand der
Bürger-Energie eG. Angestrebt sei für die Nahwärmeabnehmer bei guter Geschäftslage und Rücklagenentwicklung ein System von Rückvergütungen, die teils steuerfrei
sein könnten. Die 21 investiven Mitglieder brachten bis Ende 2013 mit 24.000 Euro
rund fünf Prozent des Kapitals ein, weniger als ihren nominellen Mitgliederanteil.
„Inzwischen sind in den drei Landkreisen Projekte mit einem Investitionsvolumen
von 30 Millionen Euro angestoßen worden, die für eine Vermeidung von knapp
50.000 Tonnen CO2 sorgten“, resümiert Damm. Zudem sparten die Landkreise fünf
Millionen Liter Heizöl ein. Knapp vier Millionen Euro Kaufkraft pro Jahr bleiben in der
Region. Auch mittelständische Unternehmen mit hohem Wärmebedarf wurden eingebunden, so dass bereits mehrere Null-Emissions-Gewerbegebiete entstanden. In
Schöntal-Bieringen etwa werde das Werk eines großen Herstellers von Motoren, Ventilatoren und Regelsystemen mit der Abwärme einer Biogasanlage versorgt.
Bioenergie dient dem Klimaschutz
Die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) hat festgestellt, „dass Bioenergie die
meisten Treibhausgase einspart, da sie in allen Bereichen eingesetzt werden kann
und bei der Wärmenutzung den Großteil und beim Verkehr sogar den gesamten Anteil der Erneuerbaren Energien im jeweiligen Sektor ausmacht.“ Hinter der AEE stehen Firmen, Verbände und die Bundesministerien für Umwelt und Landwirtschaft.
Zu unterscheiden ist aber zwischen Biomasse- und Biogasanlagen. Mit Biomasseanlagen lassen sich laut einer Studie des Bayerischen Landesamt für Umwelt viel
mehr CO2-Emissionen vermeiden als mit Biogasanlagen. Denn ein Großteil der Biogasanlagen wird nicht durch Abfälle, sondern durch „Energiepflanzen“, vor allem
Mais-Monokulturen, gespeist. Diese brauchen viel Kunstdünger und Pestizide, was
CO2-Emissionen verursacht.
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PRODUKTE & KONZEPTE
9.1.2015 | Nr. 1
Erneuerbare Energien:
Rekordverdächtig
An einem Sonntag im August
2014 durchbrachen die Erneuerbaren gar für einige Stunden die
Marke von 75 Prozent: Windräder,
Solarpanele, Wasserkraftwerke
und Biomasseanlagen lieferten
nachmittags rund 40 Gigawatt
Leistung in das Stromnetz.
Solche Zahlen seien ein Erfolg,
zeigten aber auch die Dringlichkeit von Reformen im Strommarkt, kommentierte » Wiwo
Green. Energieminister Sigmar
Gabriel (SPD) müsse unter anderem ein Vergütungsmodell für
konventionelle Kraftwerke entwickeln, die vom Netz gehen, wenn
die Erneuerbaren massenweise
Energie liefern.
Außerdem müsse es Verbrauchern und Unternehmen ermöglicht werden, ihren Stromverbrauch stärker mit der Produktion
abzustimmen, um den Grünstrom
künftig optimal zu nutzen. Mit der
Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, seit 1. August 2014
in Kraft, habe Gabriel verpasst,
hierfür die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Es müsse
dringend nachgebessert werden.
Differenzierung nötig
Eine Studie des Bayerischen Landesamt für Umwelt zeichnet ein
differenziertes Bild: Demnach lassen sich mit Biomasseanlagen
mehr CO2-Emissionen vermeiden
als mit Solarstrom, aber nicht so
viel wie bei Wind- und Wasserkraft.
Das Vermeidungspotenzial von
Biogasanlagen hingegen liege
deutlich unter dem von Photovoltaikanlagen. Der Betrieb von mit
homogener, düngemittelträchtiger Pflanzenmasse betriebenen
Biogasanlagen ist einfacher.
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BUSINESS BRIEFING NACHHALTIGE INVESTMENTS
Genussrechte
„Wir haben aufgrund der Problematik deshalb bisher in Deutschland nur Projekte für
Biogasanlagen finanziert beziehungsweise eine Finanzierung vermittelt, die im Rahmen ökologischer Landwirtschaft betrieben werden“, sagte Finanzberater Oliver
Ginsberg aus Berlin. Als Beispiel nennt er die Firmengruppe » Westhof Bio. Sie gibt
seit 2011 Genussrechte aus, einst primär für den Bau eines Bio-Gewächshauses und
einer Biogas-Anlage. Aus dem Genussrechtskapital der eigens gegründeten Finanzdienstleistungsfirma habe die Westhof Energiegesellschaft für die Biogas-Anlage
ein Nachrang-Darlehen erhalten, erklärt der Finanzverantwortliche Tobias Becker.
Das Anfang 2013 eröffnete, mit vier Hektar eigenen Angaben zufolge größte Gewächshaus Deutschlands liefert seit zwei Jahre Tomaten. Die Biogasanlage ging
2014 in Betrieb und versorgt, zusammen mit einem Biomethan-Blockheizkraftwerk,
das Gewächshaus mit Wärme, Strom und CO2 zur Düngung. Gleichzeitig können die
Gärreste im Gewächshaus und im Landwirtschaftsbetrieb als hochwertiger Bio-Dünger eingesetzt werden, so dass ein betriebsübergreifender Kreislauf entsteht.
Die Genussrechte werden seit dem ersten Jahr verzinst. „Die Anleger erhalten
stets im März die Zinsen ihrer Kapitalanlagen aus dem Vorjahr ausgezahlt. In den
vergangenen drei Jahren betrug der Zinssatz jeweils sechs Prozent“, erläutert Becker. Aktuell angebotene Genussscheine – ökologische Kapitalanlagen mit 6–8 Prozent Zinsen – sollen anderweitig der Weiterentwicklung der Firmengruppe dienen.
Aber „mittelfristig soll die Leistung der Biogas-Anlage verdoppelt werden“, sagt Becker. Denkbar sei, bei einer Erweiterung der Gewächshausanlagen die Energieversorgung mittels Biomethan-Blockheizkraftwerke vorzunehmen. Dafür werde dann
auch Genussrechtskapital eingesetzt.
Wälder verheizen?
Einer der wichtigsten nachwachsenden Rohstoffe für die Substitution fossiler Rohstoffe ist Holz. Der Vorrat an Grundstoffen scheint zumindest hierzulande noch groß,
da seit Jahren mehr Holz wächst als geerntet wird, wie die Bundeswaldinventur Anfang Oktober dokumentierte. „Die gestiegene Nachfrage nach klimaschonender
Holzenergie garantiert eine Versorgung mit Erneuerbarer Energie aus heimischen
Quellen und leistet einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz“, bilanziert der AEEGeschäftsführer Philipp Vohrer.
Allerdings gibt es auch Bedenken. Werde Holz künftig in viel höherem Ausmaß als
erneuerbarer Energieträger eingesetzt, steige der Nutzungsdruck auf die europäischen Holzressourcen, warnte kürzlich das österreichische Umweltbundesamt in der
Studie » „Effiziente Nutzung von Holz. Kaskade versus Verbrennung“. Wirtschaftliche Schwierigkeiten für die stoffliche und energetische Nutzung wären die Folge.
In der Branche besteht Verunsicherung unter anderem hinsichtlich einer sicheren
Brennstoffversorgung durch Waldrestholz. Im Zuge der Nachhaltigkeitszertifizierung
von Staatsforsten mit dem international anerkannten FSC-Siegel wird die Entnahme
von beim Fällen anfallenden Baumkronen, Ästen und nicht verkaufbaren Stammteilen begrenzt. Das habe dazu geführt, „dass konkret geplante Holzenergie-Projekte
zunächst zurückgehalten werden und bestehende Anlagen in ihrer Brennstoffversorgung gefährdet sind“, sagt Rainer Schrägle, Vorsitzender des Arbeitskreises Biomasseheizkraftwerksbetreiber im Bundesverbandes » BioEnergie e.V. (BBE).
Und auch bei Anlagenbau und Produktion macht sich die Politik bemerkbar. „Nach
der sehr enttäuschenden Erneuerbare-Energien-Gesetzes-Novelle 2014 sind leider
nur noch einige wenige neue Projekte im Bereich der Holzheizkraftwerke und Holzvergasungsanlagen zu erwarten“, so BBE-Vorstandsvorsitzender Helmut Lamp. Für
eine bedarfsgerechte Stromerzeugung müsse die Politik das „Flexibilisierungspotenzial der Holzenergie-Bestandsanlagen“ aktivieren. Ohne in die komplexen Details zu
gehen, zeigt dies, dass solche Geldanlagen auch von politischen Rahmenbedingungen abhängen. Bisher können die 350 deutschen Biomasse-Heizkraftwerke bis zu
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PRODUKTE & KONZEPTE
9.1.2015 | Nr. 1
Geld5rettet5die5Welt?
Tagung5zu5ethischökologischen5Geldanlagen
Freitag,527.5Februar52015
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10.005Uhr
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BUSINESS BRIEFING NACHHALTIGE INVESTMENTS
drei Prozent des deutschen Strombedarfs decken. Kurzumtriebs-Anpflanzungen auf
landwirtschaftlichen Flächen, wie in Hohenlohe-Odenwald-Tauber, könnten die Holzverfügbarkeit erweitern. Gegenwärtig steige die Anbaufläche nicht, so der BBE.
Anders ist das in Osteuropa. Anleger können beispielsweise in Lettland über den
2012 aufgelegten geschlossenen Fonds Waldenergie III derartige Kurzumtriebpflanzungen finanzieren. Anbieter ist die Berliner Aeneas AG, die Fondsgesellschaft heißt:
Wald: Energie Fonds Nr. 3 GmbH & Co. KG. Der Fonds investiert in stillgelegte landwirtschaftliche Flächen. Schnell wachsende Pioniergehölze wie Pappeln sind zwar
kein Mischwald, doch durch den jährlichen Laubabwurf und die Durchwurzelung verbessern sie die durch einst intensive landwirtschaftliche Nutzung ausgelaugten Böden, sagen mehrere Experten unabhängig voneinander.
Geschlossene Fonds
Gleichwohl ist zu beachten, dass Kommanditgesellschaften Risiken bergen: Es gibt
keine staatliche Ausfallbürgschaft, so dass ein totaler Verlust des Eigenkapitals möglich ist. „Faktisch aber investiert dieses Produkt in Grund und Boden, was einen gewissen Schutz bietet. Denn landwirtschaftliche Flächen gewinnen in Europa stetig an
Wert – und Holz als Brennstoff bleibt ein Thema. Es wächst zudem unabhängig von
Börsenkursen und Inflation“, sagt Oliver Ginsberg. „Im Moment halten wir im Bereich
Biomasse den Fonds „Wald: Energie III“ unter Nachhaltigkeitsaspekten, aber auch
wegen der niedrigen Mindestbeteiligungshöhe und der stabileren politischen Rahmenbedingungen für interessant.“
Insofern sei eine Beimischung von wenigen Prozent am angelegten Kapital sinnvoll. Auch für Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen auf Basis von Biomasse gebe es hin
und wieder kleine geschlossene Fondsangebote, oft aber nur regional. Die unabhängige Tetrateam hat sich auch Angebote von Anbietern angeschaut, die in Schwellenländern investieren, wie etwa Green Planet (Green Bamboo 1) oder die Thomas Lloyd
Group (Cleantech Infrastructure), die sich auf Wind-, Solar und Biogasanlagen in den
Philippinen bzw. Südostasien spezialisiert haben. „Wir fanden die Angebote aber
sehr intransparent und haben sie deshalb nicht in die Empfehlungsliste aufgenommen“, resümiert Ginsberg.
Aktieninvestments für Risikofreudige
Eine weitere Möglichkeit, in Bioenergie zu investieren, sind Aktien spezialisierter Firmen. So können durch die Technologie der an der Deutschen Börse notierten österreichischen BDI BioEnergy International Altspeiseöl und -fett zu Biodiesel verarbeitet
werden. Die Envitec Biogas AG aus Lohne/Niedersachsen ist spezialisiert auf die Planung und den schlüsselfertigen Bau von Biogasanlagen und -aufbereitungsanlagen
ebenso wie deren Inbetriebnahme. CropEnergies stellt Bioethanol her.
Aktien sind aber volatil, insbesondere Aktien von (jungen) Technikfirmen, deren
Geschäftslage schwankt. So ist CropEnergies in der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahres (Bilanzstichtag 31. August) trotz einer Umsatz- und Absatzsteigerung
aufgrund des Preisverfalls von Bioethanol in die roten Zahlen geraten, wie das Unternehmen im Oktober bekannt gab. Der Aktienkurs sackte; im Jahresvergleich rutschte
er bis Mitte Dezember um rund 70 Prozent ab.
Außerdem hängen betriebswirtschaftliche Erfolge auch von politischen Rahmenbedingungen ab. So schrieb Envitec Biogas 2013 rote Zahlen. Im ersten Halbjahr
2014 kehrte die Firma in die Gewinnzone zurück. Finanzvorstand Jörg Fischer führte
dies auf den Eigenbetrieb von Biogasanlagen zurück sowie auf den starken Ausbau
des Auslandsgeschäftes. Einschnitte beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hätten den „Neubau von Biogasanlagen in Deutschland praktisch zum Erliegen“ gebracht. Für Anleger ist darum relevant, dass die Firma in 20 Ländern aktiv ist. Die Aktie legte im Jahresvergleich bis Mitte Dezember um gut neun Prozent zu.
Susanne Bergius
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PRODUKTE & KONZEPTE
9.1.2015 | Nr. 1
Künftig mehr Bioabfall zur
Energiegewinnung
Ab 1. Januar 2015 sind sämtliche
Bioabfälle in Deutschland laut
Kreislaufwirtschaftsgesetz
(KrWG) gesondert zu entsorgen,
also nicht mehr im Restmüll. Das
Bundesumweltministerium (BMU)
hält dies für „grundsätzlich notwendig“. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bündnis
90/Die Grünen hervor, wie der Informationsdienst Europaticker
Umweltruf unlängst berichtete.
Dem teils vorgebrachten Argument, wegen schon durch Parks
und Straßengrün anfallender großer Grüngutmengen auf eine separate Bioabfallsammlung zu verzichten, erteilte das BMU demnach eine klare Absage.
Beide Bioabfallkategorien könnten nach KrWG nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Dies
wäre auch nicht zielführend, weil
sonst auf spezifische wertbringende Eigenschaften der jeweiligen Bioabfallart verzichtet würde
– und damit auf die Substitution
von Primärrohstoffen oder Energieträgern.
Buchtipp
Holzinvestments boomen. Nicht
alle dienen der Erzeugung Erneuerbarer Energien. Und nicht alle
sind für jeden Anleger geeignet.
Informationen bietet das Buch
von Lambert Liesenberg „Investieren in Holz - Chancen, Märkte,
Hintergründe“, erschienen 2015
im Finanzbuchverlag München,
ISBN 978-3-89879-836-5.
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90 Prozent der Firmen
legen nichts offen
Researchagenturen fordern Transparenz von Unternehmen und warnen, deren Steuervermeidungstaktiken bergen auch für Anleger Reputations-, Regulations- und finanzielle Risiken.
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BEWERTUNGEN & PRAXIS
9.1.2015 | Nr. 1
R
A
T
I
N
G
Beste Praktiken zum Thema Steueroptimierung (siehe Seite 2 ff) sind bei Unternehmen Mangelware. Folglich existiert noch kein anerkannter, geschweige denn einheitlicher Bewertungsstandard. Aber nachhaltige Research-Fachleute nehmen sich des
Themas gezielt an. Allerdings tauschen sie sich dazu nicht oft aus.
Agenturen sind noch stark auf die öffentliche Berichterstattung angewiesen. Sie
haben erste Kriterien, anhand derer sie – wie bei neuen Themen üblich – zunächst
die Transparenz der Firmen festzustellen versuchen. Parallel ist die Entwicklung zu
beobachten und gegebenenfalls sind die Indikatorenlisten zu erweitern. Das bedeutet, zuerst gibt es Transparenz- und später Best-Practice-Kriterien.
Banken tragen hohe Verantwortung
Die zum Netzwerk Eiris gehörende Hannover Imug hat das Kriterium „Steuerpraxis“
bereits 2010/2011 als erste Ratingagentur sowohl im deutschsprachigen als auch im
europäischen Raum in ihrem Bankanleihenrating eingeführt. „Wir bewerten sowohl
Steuerflucht als auch Aktivitäten zur aggressiven Steuervermeidung. Gerade Finanzinstituten kommt hier eine Schlüsselrolle zu, da sie vielfach Unternehmen in dem Bereich beraten und spezielle Finanzdienstleistungen anbieten“, erklärt Silke Stremlau,
Leiterin Nachhaltiges Investment (siehe Kontext).
„Die möglichen negativen Auswirkungen und damit auch verbundenen Rückkopplungen für Unternehmen werden zu wenig bis gar nicht diskutiert“, sagt sie. „Weniger
Geld für Infrastrukturmaßnahmen bedeutet auch weniger Aufträge für Unternehmen
oder weniger Geld für wichtige Aufgaben wie Bildung, Energiewende etc.“ Mit zahlreichen Indikatoren versucht die Agentur zu erfassen, wie Finanzinstitute damit umgehen. Eiris hat das Thema überdies in die Nachhaltigkeitsbewertung von Staaten integriert.
Die Münchener Rating-Agentur Oekom Research erwartet von Banken und Finanzdienstleistern eine klare Strategie für den Rückzug aus Steueroasen, sagt Dietrich
Wild, Research Direktor, verantwortlich für die Finanzbranche und Wirtschaftsethik.
Dafür gebe es bisher aber nur wenige Beispiele. Französische Banken haben ein Moratorium vereinbart, ihre dortigen Geschäfte nicht weiter auszubauen und langfristig
auszusteigen. „Doch die Pläne sind vage“, meint Wild. Einige Schweizer Banken verfolgten Weißgeld-Strategien, machten diese aber nicht transparent, was die Benotung drücke. Unklar sei, für welche Länder sie gelten. Da liegt der Hase im Pfeffer.
Abwertungen quer durch alle Branchen
Oekom betrachtet Steuervermeidung quer durch alle Branchen, selbst wenn sie relativ neu und schwer zu fassen ist. „Überall, wo bei Steueroptimierungen zweifelhaft
ist, ob sie am Rande der Legalität oder illegal waren, haben wir geringe Abwertungen im Rating vorgenommen“, so Wild. Das seien erst etwa zehn Fälle, darunter Associated British Food, Google, Glencore und Starbucks. Noch gebe es keinen einzigen, in dem eine Steuermanipulation ein klarer Verstoß gegen Steuergesetze war.
Fragen an Banken
Die Ratingagentur Imug recherchiert anhand zahlreicher Indikatoren unter anderem zu folgenden Fragen:
– Hat das Institut eine eigene
Richtlinie implementiert und wie
ist sie zubewerten?
– Hat das Institut eine externe
Richtlinie unterzeichnet? Etwa
die ’OECD Guidelines for Multinational Companies’ oder den
britischen ’Code of Practice on
Taxation for banks’ oder den
spanischen ’Código de buenas
prácticas tributarias’?
– Berichtet die Bank öffentlich
über ihre eigene Steuermoral
und Steuervermeidungspraktiken? Hat sie z.B. ein Country-bycountry Reporting eingeführt?
– Bietet sie Dienstleistungen und
Produkte im Bereich der Steueroptimierung für Kunden an?
– Welche Managementsysteme
sind etabliert, die für Aufklärung, Überwachung und Dokumentation sorgen (können), intern und bei Partnern?
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BUSINESS BRIEFING NACHHALTIGE INVESTMENTS
„Sollten sie sich als illegal herausstellen, was infolge absichtlicher Täuschung Strafzahlungen und massive Steuernachzahlungen bewirken würde, kann es zu massiven
Abwertungen führen und zu Ausschlüssen aus dem Anlageuniversum.“ Illegale Steuermethoden zählt die Agentur zu ‚kontroversen Wirtschaftspraktiken’. Wenn aber die
Steuerregeln nicht eindeutig seien und nur deswegen Steuern nachzuzahlen seien,
wäre das eventuell kein Grund für eine starke Abwertung. „Wir haben noch kein Unternehmen rein aufgrund von Steueroptimierung vom Investmentuniversum ausgeschlossen“, sagt Wild. Im Juni 2014 hat die Agentur ein » Positionspapier dazu veröffentlicht.
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BEWERTUNGEN & PRAXIS
9.1.2015 | Nr. 1
Country-by-Country-Reporting EU-weit absehbar
Für ihre Analyse setzt Oekom zunächst auf mehr Transparenz. Dafür gibt es zwei Ansatzpunkte. Beim sogenannte „Country-by-Country-Reporting“ sollen Konzerne für
alle Länder ihre (Steuer-)Zahlungen aufschlüsseln. Die EU-Kommission will das ab
2015 fordern (siehe Kontext).
Der zweite Ansatz beruht auf Verhaltenskodizes. „Wir verlangen seit zwei Jahren
Aussagen zu realitätsgetreuen internen Verrechnungspreisen“, sagt Wild. In ’Codes
of Conduct’ stehe meist nichts zu Steuern. „Nur wenige multinationale Konzerne legen eine interne Firmenpolitik vor, die ansatzweise Informationen für die Bewertung
bietet – 90 Prozent der Unternehmen legen nichts offen.“
Für eine gute Bewertung reiche nicht das sogenannte „Arms-Length“-Prinzip der
OECD, wonach die internen Verrechnungspreise so gestaltet werden sollen, als wenn
es Geschäfte unter Dritten wären. Ein positives Beispiel sei der österreichische Maschinenbauer Palfinger, der sich dazu bekenne, von Verrechnungspreisen abzusehen.
Das internationale Research-Netzwerk Sustainalytics betont die Wichtigkeit der
länderspezifischen Offenlegung. „Während beispielsweise Starbucks aggregierte effektive Steuerrate nicht signifikant von den Wettbewerbern abweiche, lag seine Steuerrate in Großbritannien von 2009 bis 2011 bei null - und als das herauskam, wurde
das Unternehmen als ’Steuerhinterzieher’ gebrandmarkt“, sagt Zachary Paris vom
Bostoner Büro. Er warnt, unternehmerische Steuervermeidung berge auch für Anleger Reputations-, Regulations- und finanzielle Risiken.
Kunden reagieren positiv
Die Agentur hat vor allem aus Großbritannien Kundenanfragen erhalten, wo das Thema die Anleger schon seit einigen Jahren beschäftigt. Sie hat darum im Juni 2013 ein
Themenpapier dazu veröffentlicht. Ihr Fokus ist ebenfalls Transparenz. Die Leistungen hierzu unterschieden sich von Branche zu Branche, so Paris. Als Ergebnis der
Branchen-Transparenzinitiative ’Extractive Industries Transparency Initiative’ (EITI)
gebe es „viele“ Best-Practice-Beispiele aus der Bergbaubranche. Wild von Oekom
sagt, sie wiesen „hin und wieder“ Zahlungen an Staaten aus. Im Allgemeinen bleibe
die Transparenz unzureichend, moniert Paris: „Die große Mehrheit der Unternehmen
des globalen Universums informiert nicht zu länderspezifischen Steuerzahlungen.“
Kunden springen auf das Thema unterschiedlich an. In den letzten zwei Jahren, so
heißt es bei Oekom Research, hätten Kunden sie lediglich zwei- oder dreimal auf das
Thema angesprochen. „Insofern wissen wir auch nicht im Detail, wie unsere Kunden
zu dem Thema stehen und wie sie damit umgehen.“
Sustainalytics spricht von unterschiedlichem Verhalten. Die einen thematisierten
einen Ausschluss, für andere sei kostensenkende Steuervermeidung positiv besetzt.
Generell sei sie für viele Anleger eine ’black box’, weil Daten fehlten. Paris beschreibt
aber einen Trend: „Investoren wollen die Steuer-Strategie von Unternehmen verstehen, um potenzielle Risikoszenarios besser in Modelle beachten zu können, und sie
sehen aggressive Steuerpraktiken als potenzielle Reputations-, Regulations- und Finanzrisiken, die eine Kauf-/Verkaufsentscheidung beeinflussen können.“
Dieser Trend drückt sich auch bei den Kundenreaktionen von Imug aus. „Seit
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der Einführung dieses Ratingkriteriums haben wir von sämtlichen Kunden ein sehr
positives Feedback bekommen“, berichtet Stremlau. „Alle Kunden haben das Positivkriterium zur Prävention von Steuervermeidung/-hinterziehung und das entsprechende Negativkriterium zu eben solchen Verstößen aktiviert und beziehen es demnach in ihre Investmententscheidung mit ein.“
Ratingkriterium als Orientierungshilfe
Der FairWorldFonds, der seine Entscheidungen auf das Research stützt, hat als Positivkriterien bei der Beurteilung von Finanzinstituten und Förderbanken „den Umgang
mit Schattenfinanzplätzen und Steuervermeidung“ verankert. Den Agenturen ist kein
Fall bekannt, bei dem dieses Kriterium als Ausschlusskriterium galt.
Mehr und mehr Nachhaltigkeitsinvestoren würden nicht nur die ethische Dimension erkennen, sondern auch die finanziellen Risiken für ein Investitionsobjekt oder Unternehmen, das in kontroverse Steuerangelegenheiten involviert sei. „Beispiel sind
die hohen Strafen gegen die UBS, die Bank Wegelin & Co, die älteste Bank in der
Schweiz, die zumachen musste, oder der Reputationsschaden für Amazon, Google
und Apple,“ sagt Stremlau. Von der Agentur bewertete Finanzinstitute nehmen das
Ratingkriterium inzwischen als Orientierungshilfe für ihre internen Prozesse.
Großanleger tasten sich heran
Noch gibt es zwar keine Investoreninitiative, die Unternehmen gezielt drängt, von
Steueroptimierung Abstand zu nehmen. Aber es gibt einige Vorstöße. Die UN-Initiative Prinzipien für verantwortliches Investieren (PRI) hat im November » Position bezogen. Eine Umfrage unter den Unterzeichnern zeige, dass für viele Steuervermeidung eine wichtige Sorge sei, sagte Geschäftsführerin Fiona Reynolds gegenüber
dem Fernsehsender CNBC. Transparenz und Offenlegung zu steuerlichen Aktivitäten
seien für alle Organisationen wichtig, betonte sie. Unternehmen müssten ihren fairen
Anteil an Steuern zahlen. Im August rief sie Investoren auf, aggressive Steuervermeidung gegenüber den Emittenten zu adressieren.
In einem nicht öffentlichen ‚Institutional Investor Statement on Tax Avoidance’ an
die G 20 (siehe Kontext) unterstützen PRI-Mitglieder Transparenz zugunsten von
Steuergerechtigkeit. Sie arbeiten an globalen Leitlinien für Investoren zu unternehmerischer Steuerverantwortung. Die Ratingagenturen erwarten, dass künftig mehr
Großanleger Missfallen kund tun und Firmen zu Steuerehrlichkeit drängen werden.
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BEWERTUNGEN & PRAXIS
9.1.2015 | Nr. 1
Vorstöße gegen maßlose
Steuervermeidung
Die Initiative „Fair Tax Mark“ vergibt für in Großbritannien ansässige Unternehmen ein Label für ein
„faires Steuerverhalten“. Damit
könnten sich integere Unternehmen von Wettbewerbern differenzieren, sagen Analysten.
Das Local Authority Pension Fund
Forum (LAPFF) hat im November
mit der Church of England, dem
Quebec Fund Batirente, Royal
London Asset Management und
Ofi AM einen » Aufruf an die G 20
lanciert, dem sich andere Investoren anschlossen.
Susanne Bergius
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BUSINESS BRIEFING NACHHALTIGE INVESTMENTS
Bodenständigkeit
Neben Anleihen und Aktien sind Immobilieninvestments ein wichtiger Teil von institutionellen Portfolios, insbesondere hinsichtlich langfristiger (Alters-)Vorsorge. Die
Anzahl der speziell auf ökologische und soziale Kriterien ausgerichteten Immobilienfonds ist aktuell allerdings noch gering. Gleichwohl beachten zunehmend große Immobilienunternehmen nachhaltige Kriterien, insbesondere um die finanzielle Performance zu steigern. Zu dem Thema veranstaltet am 28. Januar 2015 der österreichische Zweig des Forums Nachhaltige Geldanlagen in Wien am frühen Abend einen
„FNG-Heurigen“. Nachhaltigkeitsanalysten, Investoren und Unternehmensvertreter
informieren und diskutieren aus verschiedenen Blickwinkeln das Thema Immobilien &
Nachhaltigkeit und ermöglichen anschließend ein Netzwerken. Mehr Informationen
erhalten Sie » hier.
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MELDUNGEN & AUSBLICK
9.1.2015 | Nr. 1
Mit Unterstützung von
Kleines Ökonomietraining
Wer sein Geld ethisch und verantwortlich anlegen möchte, benötigt zunächst Basiswissen. Aus diesem Grund veranstalten evangelische und katholische Initiatoren am
20./21. Februar 2015 in Hamburg das zweitägige Seminar „Börse, Aktienmärkte,
(nachhaltige) Geldanlagen – verstehen und mitreden“. Ein „kleines Ökonomietraining“ informiert über die Aufgabe der Banken im Geldkreislauf, die Funktion von Aktien im Wirtschaftsprozess sowie über Anlageformen. Externe Referenten erklären
Indizes und zeigen, wie Aktienkurse berechnet werden. Weitere Themen sind „spekulative Blasen“, Hochfrequenzhandel, neue Finanzprodukte (Derivate) und der für eine
nachhaltige Ausrichtung wichtige „Shareholder-Value-Ansatz“. Zu Informationen und
Anmeldung geht es » hier.
Erscheinungsweise: monatlich
Erscheinungsart: kostenloses Abonnement
Konzeption & Organisation: Susanne Bergius
Redaktion:
Susanne Bergius, Jürgen Röder (Verantwortlicher im Sinne des §55 Abs.2 RStV)
Produktion: Heide Braasch
Internet: www.handelsblatt-nachhaltigkeit.de
Kontakt: [email protected]
+49(0)211/887–0
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Geschäftsführung:
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Dopheide, Claudia Michalski, Ingo Rieper
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Newsletters darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages verändert oder vervielfältigt werden.
BUSINESS BRIEFING zu Nachhaltigen Investments
Die nächste Ausgabe erscheint am 13.02.2015.
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