Beiträge von Ann-Kristin Achleitner, Miriam Meckel, Michael Sandel
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imago stock&people WOCHENENDE Beiträge von Ann-Kristin Achleitner, Miriam Meckel, Michael Sandel, Friedrich von Metzler und Daniel Kahneman. Seiten 58 bis 67 ► Papst Franziskus: Ethik gehört nicht nur in die Kirche. Mehr Wert! Finanzkrise, Abzocker, Prozesse – wo bleibt das Gute? Gerade die viel gescholtene Wirtschaft könnte Vorreiter einer neuen Ordnung alter Ideale werden. Von Thomas Tuma E s gibt Dinge, die sind nicht teuer, aber dennoch schwer zu kriegen. Wer im Weihnachtstrubel eines BuchKaufhauses am Rande der Düsseldorfer Kö zurzeit nach „Werten“ fragt, wird von der Verkäuferin angelächelt, als suche er nach Lametta mit Wodka-Geschmack. Werte? Tja, das ist ja jetzt mal eine ausgefallene Frage.Vielleicht im dritten Stock, rät sie, bei der Esoterik. Wenn man die Bedeutung gesellschaftlicher Großtrends an den Regal-Metern misst, die sie hier einnehmen, scheint „Glück“ und die Suche danach das ganz große Ding dieses Advents zu sein. Werte haben es schwerer. Sind die Deutschen egoistischer geworden? Der jüngste „Werte-Index“ legt den Schluss nahe. Rund 1,7 Millionen Beiträge aus Blogs und sozialen Netzwerken haben Infratest und der Trendforscher Peter Wippermann auswerten lassen. Ergebnis: Gesundheit, Freiheit und Erfolg führen die Liste an. Gesundheit ist für die Deutschen 2013 vor allem ein Gradmesser der persönli- chen Optimierung. Freiheitwird als Ausdruck individueller Unabhängigkeit verstanden. Und Erfolg trägt die Fixierung auf Karriere ja schon im Namen. „Die Erwartungen an den Staat sinken. Vielmehr werden Lebensqualität, Gesundheit und Sicherheit zum eigenverantwortlichen Projekt“, sagtWippermann. Das postmaterialistische Zeitalter,wie es der US-Politologe Ronald Inglehart in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts prophezeit hat, manifestiert sich nun in den Ich-AGs der digitalen Boheme. Aber die „Werte- Index“-Resultate sind nicht Beleg einer Abkehr von alten Idealen, sondern eher Indiz einer großen Enttäuschung. Wir sind enttäuscht von politischen Lichtgestalten wie Barack Obama, der sich in nicht einmal einer Amtsperiode vom erhofften Messias in ein realpolitisches Rumpelstilzchen verwandelt hat. Wir sind verärgert, wenn wieder ein Multi-Funktions-Vorbild wie Uli Hoeneß beim maßlos-gierigen Zocken und anschließenden Steuerbetrug erwischt wird. Und wir sind empört über all die Schlagzeilen zu Gehaltsexzessen, gierigen Bankern und Betrugsverfahren. Werte sind vielerorts zu Etiketten der Marketing-Abteilungen verkommen, wo es heute ebenso chronisch wie unreflektiert um Corporate Responsibility und Nachhaltigkeit in allen Lebenslagen © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. Reportage Karriere Das pakistanische Mädchen Malala Yousafzai: In einer Welt der Unterdrückung kämpft sie für ein Recht auf Schulbildung. Weil sie mutig ist. zung sorgt für Kursverluste. Und obwohl sie auf keinem Markt gehandelt werden, sind Werte demnach etwas wert. Sie bilden die Grundlage unseres Handelns und Handels.Waswäre zum Beispiel das gesamte Finanzsystem ohneVertrauen? Was eine Marktwirtschaft ohne Disziplin oder Ehrlichkeit? Thomas Tuma ist stellvertretender Chefredakteur des Handelsblatts. Den Sinn von Werten versucht er sonst vor allem seinen beiden Töchtern näherzubringen. Frank Beer für Handelsblatt geht. Sie sind aber ja eben nicht nur im Zusammenhang mit Cholesterin, Börsenkursen oder Spareinlagen wichtig. Es geht dabei um jene moralisch-ethischen Leitplanken, die unser Leben flankieren. Es ist eine komische Sache mit diesen Werten, für die es keine Börse gibt, obwohl sie den Unternehmenswerten sprachlich doch so ähneln. Der simple Grund: Diese Werte haben keinen Preis. Oder können wir uns vorstellen, dass die ARD-Börsen-Kassandra Anja Kohl uns mal in der „Börse im Ersten“ entgegenschwäbelt: „Mut hat 0,4 Prozent zugelegt, Disziplin 2,1 Prozent nachgegeben. Bergab ging es auch mit der Ehrlichkeit, nachdem die Koalition …“ Vielleicht unterliegt sogar Moral konjunkturellen Zyklen. Aber es gibt keinen Werte-Dax, denn durch Geld verlieren Werte in der Regel ihren Wert. Das wiederum macht sie für den Markt interessant: Sie sind Indikatorenvon großer Authentizität und Unabhängigkeit, denn letztlich wurzeln sie in der härtesten Währung: unserem Gewissen. KeinWunder also, dass sich Unternehmen so gern auf sie berufen. Das Problem: RichtigverstandeneWertewerden zur Grundbedingung, die erst auffällt, wenn sie ausfällt. Dann aber umso schmerzhafter. Die konsequente Einhaltung (undVerteidigung)vonWerten ist in den Kurs eingepreist. Erst ihre Verlet- dpa Bayern-Präsident Uli Hoeneß: Wenn Vorbilder kippen, wanken die Wertvorstellungen. 57 Seiten 76, 77 AP Seiten 68, 69 Olympische Dörfer: Wie sich Sotchi auf die Winterspiele vorbereitet. Simon Book mauritius images Die Generation 60 plus erfüllt sich den Traum vom Job im Ausland. fel inklusive.Wann ist Mut noch ZivilcouDie Liste all der großen und kleinen rage, wann wird er zum Zockertum? Ist Skandale und Affären wird dennoch jeVertrauen immer gut oder Kontrolle den Tag länger. Und die Enttäuschung manchmal besser? Und wann wird aus darüber ist derart breit, dass sie mittlerrespektvoller Demut Kriecherei? Wer weile selbst Papst Franziskus erreicht Kinder hat, sollte sich selbst fragen, welhat. Vergangene Woche hat er sein che Werte er ihnen vermitteln möchte, „Evangelii Gaudium“ (Freude des Evandenn das führt zu den ehrlichsten Antgeliums) veröffentlicht. Das Werk will eiworten überhaupt. ne Art Wegweiser sein. Beim Thema Der stetige Kampf um das Gute muss Wirtschaft gerät es ihm allerdings zur Gedabei keine säuerliche Mühsal sein. neralabrechnung: „Ebenso wie das GeSelbst von Pippi Langstrumpf kann man bot ‚Du sollst nicht töten‘ eine deutliche mehr ableiten als den Spaß an Anarchie Grenze setzt, um den Wert des menschlight. Steht Astrid Lindgrens Göre nicht lichen Lebens zu sichern, müssen wir auch für Klugheit, Gerechtigkeit, Ehrlichheute ein ‚Nein zu einer Wirtschaft der keit, für Vertrauen oder Kooperation? Ausschließung und der Disparität der Das alles sind Werte, über die bekannte Einkommen‘ sagen. Diese Wirtschaft töKöpfe heute und in den nächsten Tagen tet.“ im Handelsblatt philosophierenwerden. Harte Worte des Stellvertreters Gottes Und auch dabei wird sichtbar: Werte ofauf Erden, der aus seinem persönlichen fenbaren uns auch die Widersprüche in Erfahrungsschatz als einstiger Bischof uns selbst. in den Elendsvierteln von Buenos Aires Sie sind zugleich konstitutiv für die schöpft: „Heute spielt sich alles nach Wirtschaft an sich und für das Zusamden Kriterien der Konkurrenzfähigkeit menleben von Menund nach dem Gesetz schen generell. Es liegt des Stärkeren ab, wo also im ureigensten Inder Mächtigere den Ausgehend teresse der Firmen Schwächeren zunichvon der heutiund ihrer Akteure, dietemacht“, schreibt gen Titelgese Werte nicht nur zu Franziskus. Dieser behaupten, sondern sonst so milde Papst schichte, veröffentlicht das zu leben. klagt einen seiner MeiHandelsblatt in In Deutschland nung nach im wahrsder nächsten kann man das an vieten Sinne des Wortes Woche an jelen Familienunternehwert-los gewordenen dem Erscheinungstag eimern ablesen. PersönKapitalismus an: „Wir nen Beitrag über die neuen lichkeiten wie Boschhaben neue Götzen Werte der Wirtschaft: Aufsichtsratschef geschaffen. Die AnbeFranz Fehrenbach ettung des antiken gol9. Dezember Sahra Wawa, der Eliten zum Diedenen Kalbs hat eine nen statt Herrschen neue und erbargenknecht über Maßhalten aufruft. Oder Claus mungslose Form ge10. Dezember Richard SenHipp, der sein Babyfunden im Fetischisnett über Kooperation nahrungs-Imperium mus des Geldes und in ökologischen Zielen der Diktatur einer 11. Dezember Nicola Leiverpflichtet. Oder Götz Wirtschaft ohne Gebinger-Kammüller über Werner, der die Mitarsicht und ohne ein beiter seiner wirklich menschliches Disziplin „dm“-Drogerie-Märkte Ziel.“ 12. Dezember Anselm Grün fördert statt knechtet Zwar steht diese Art und dennoch – oder klerikaler Kapitalisüber Demut deshalb – zum Marktmuskritik in einer lan13. Dezember Johanna Hey führer avancierte. gen Tradition. Und naHunderte von Stiftuntürlich kann man geüber Ehrlichkeit gen kanalisieren Vergen den Standpunkt mögen, um damit Guviel einwenden. Zum tes zu tun. Gerade in einer Zeit, da andeBeispiel, dass die Globalisierung, der die re Vorbilder erodieren – die Kirchen Wirtschaft ihre Dynamik verdankt, eben übrigens ja ebenso wie große Teile der nicht nur Opfer schuf, sondern auch Politik –, könnte dieWirtschaft punkten. Abermillionen Gewinner. Dass nicht Mit mehr als nur Geld. überall, wo Elend herrscht, der Markt Ihre Alltagsrealität ist jedenfalls weit schuld ist. Oder dass Franziskus mit den besser als ihr Ruf. Es besteht Anlass zu dunklen Seiten seinerVatikanbank oder Optimismus auf allen Ebenen. Am Monder Affäre um Bischof Tebartz-van Elst tag etwa war „Tag des Ehrenamtes“. Der im eigenen Haus einen Teil jenes ProBundespräsident zeichnete besondere blems vorfindet, das er andernorts anrührige Helfer aus. 23 Millionen Bundesprangert. bürger leisten im Schnitt 16 Stunden ehAber Franziskus‘ Empörung zeigt zurenamtliche Arbeit jeden Monat. Einfach gleich, wie ambivalent das Thema geneso. rell ist. Moralvorstellungen, Werte, NorWirtschaft ist eben nicht nur zu minmen müssen von jeder Generation neu destens 50 Prozent Psychologie, wie verhandelt werden. Für das Frauenbild Ludwig Erhard angeblich einst sagte: Sie der fünfziger Jahre des vergangenen lebt auch von Gefühlen und ÜberzeuJahrhunderts kann man sich heute nur gungen. Marktwirtschaft braucht das alnoch schämen. Und bis Ende der neunles, und sie braucht darüber hinaus breiziger Jahre haben Konzerne ihre te Akzeptanz. Diese Akzeptanz mussverSchmiergelder sogar als „nützliche Aufdient sein. wendungen“ von der Steuer absetzen Ohne Werte keine Wirtschaft. So einkönnen. Erst danach änderten sich Gefach ist das. Und umgekehrt gilt womögsetze und Wertvorstellungen. lich auch: Ohne Wirtschaft keine Werte. Dieser permanenteVeränderungsproDas ist keine Bürde, sondern Chance. zess steckt in jedemvon uns. Selbstzwei- © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected].