und Zusammenfassungen - Deutsches Archäologisches Institut

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und Zusammenfassungen - Deutsches Archäologisches Institut
Archäologischer Anzeiger 2006/1
Inhalt und Zusammenfassungen
Inhalt
Angelika Schöne-Denkinger
Das Artemis-Gigantenrelief von Kalapodi
Wolfgang Fischer-Bossert
Der (bzw. die) Widder von Klazomenai. Bemerkungen zu einem attischen Urkundenrelief
Lâtife Summerer
Die Göttin am Skylax. Ein monumentales hellenistisches Felsrelief in Nordanatolien
Andreas Grüner
Architektur und Ästhetik römischer Fischzuchtanlagen. Zu Wahrnehmung und Funktion
gattungsübergreifender Dekorationssysteme in der spätrepublikanischen Villenarchitektur
Nacéra Benseddik
Lateinische Epigraphik und Ideologien: Der Fall Algerien
Susanne Schoen – Margarete van Ess
Das VN-Handelsverbot von 2003 für irakisches Kulturgut: Folgenlos in Deutschland?
GRABUNGSBERICHTE – FORSCHUNGEN IM STADTGEBIET VON TIRYNS 1999-2002
Joseph Maran und Alkestis Papadimitriou
Forschungen im Stadtgebiet von Tiryns 1999–2002, mit Beiträgen von Joseph Maran und
Alkestis Papadimitriou, Rainer Pasternak, Philipp Stockhammer, Christian Hübner und
Stefan Giese
Jürgen Seeher
Die Ausgrabungen in Boğazköy-Hattuša 2005, mit einem Beitrag von Suzanne Herbordt
Helmut Brückner – Max Engel – Moritz Kiderlen
Geoarchäologische Studie über das Poseidon-Heiligtum von Akovitika in Messenien
»HEILIGE ORTE, HEILIGE LANDSCHAFTEN«
Ortwin Dally – Carola Metzner-Nebelsick
Heilige Orte, heilige Landschaften
Eva Cancik-Kirschbaum
Der Tempel des Gottes Assur. Materielle und ästhetische Dimension ›Heiliger Orte‹ im alten
Vorderasien
Stephan Johannes Seidlmayer
Landschaft und Religion – Die Region von Aswân
Mike Parker Pearson – Josh Pollard – Colin Richards – Julian Thomas – Chris Tilley – Kate
Welham
Stonehenge, its River and its Landscape: Unravelling the Mysteries of a Prehistoric Sacred
Place
Miranda Aldhouse-Green
Healing Shrines in ›Celtic‹ Europe: Cult, Ritual and Material Culture
Axel Michaels
Sakrale Landschaften und religiöse Raumgefühle
Heinz Halm
Schiitische Heiligtümer im Irak und in Iran
Die neuen Satzungen der Kommissionen des Deutschen Archäologischen Instituts
Archäologische Dissertationen und Habilitationen 2005
Hinweise für Autoren
Zusammenfassungen
Angelika Schöne-Denkinger
Das Artemis-Gigantenrelief von Kalapodi
1977 und 1980 wurden in Kalapodi Fragmente eines Marmorreliefs aus der Zeit um 400
v. Chr. gefunden, das den Kampf der Göttin Artemis gegen einen Giganten wiedergibt. Maria
Salta ergänzt die Gestalt der Artemis so, daß sie einen Bogen in der Rechten hält und mit
der Linken versucht, einen Pfeil aus dem Köcher zu ziehen. Dagegen wird nach erneuter
Untersuchung der Fragmente und durch Vergleiche mit hochklassischen Vasenbildern und
Reliefs eine andere Rekonstruktion vorgeschlagen: Artemis, die von rechts auf die Wade des
Giganten tritt, hält im herabhängenden linken Arm einen Bogen und führt mit der Rechten
eine Fackel gegen den zusammengebrochenen Giganten, der seinerseits seine Rechte
abwehrend erhoben und die Linke flehend ausgestreckt hat. Wahrscheinlich handelt es sich
hierbei um ein Weihrelief. Somit wäre ein Bezug zu dem Kult der in Kalapodi verehrten
Artemis Elaphebolos gegeben.
Kalapodi • Marmorrelief • Artemis • Gigant • Gigantomachie
Wolfgang Fischer-Bossert
Der (bzw. die) Widder von Klazomenai. Bemerkungen zu einem attischen Urkundenrelief
Das Urkundenrelief des Klazomenai-Vertrages von 387 v. Chr. wird einer Revision
unterzogen: Die zwei antithetischen Widder erweisen sich als eine politische Allegorie, die
auf die Stasis Klazomenais Bezug nimmt. Die Symmetrie der Darstellung ist nicht
heraldischer, sondern vielmehr szenischer Art.
Klazomenai • Urkundenreliefs • Parasemon • Tiersymbolik • Allegorien
Lâtife Summerer
Die Göttin am Skylax. Ein monumentales hellenistisches Felsrelief in Nordanatolien
Das über 3 m hohe Relief in der Kazankaya-Felsschlucht am Skylax wurde 1985 von einem
Ortsansässigen entdeckt und 1986 gleich bekannt gemacht, doch nahm die Fachwelt von
ihm bis heute kaum Kenntnis. Die in einer 3,50 m hohen Nische eingemeißelte Frauenfigur
entspricht hinsichtlich des Stand- und Gewandmotivs dem statuarischen Typus der sog.
Artemis-Hekate, der vor allem auf Rhodos für die Darstellung verschiedener Göttinnen aber
auch Porträtstatuen verwendet wurde. Stilistisch lässt sich das Relief in die zweite Hälfte
des 2. Jhs. v. Chr. datieren. Fehlende Attribute erschweren die Identifizierung der Göttin.
Gegen die in der Erstpublikation vorgeschlagene Deutung als Kybele sprechen fehlende
Kultzeugnisse dieser Göttin östlich des Halys. Dagegen scheint eine Interpretation als
Anaïtis plausibel, da der Kult dieser persischen Flussgöttin in der Zelitis weit verbreitet war.
Nischen und andere Einarbeitungen an verschiedenen Stellen der Schluchtwand wie auch
die Burg und der Felstunnel auf der gegenüber liegenden Uferseite bezeugen, dass das
monumentale Relief der Göttin im Kontext eines Naturheiligtums entstand.
Pontos • hellenistische Plastik • Felsrelief • Heiligtum • Anaïtis
Andreas Grüner
Architektur und Ästhetik römischer Fischzuchtanlagen. Zu Wahrnehmung und Funktion
gattungsübergreifender Dekorationssysteme in der spätrepublikanischen Villenarchitektur
Im Konkurrenzklima der späten Republik avancieren Zuchtbecken für Meeresfische zu
Prestigeobjekten der römischen Aristokratie. So entstehen an den Küsten Italiens
ausgedehnte Anlagen, deren Einzelbecken nach dekorativen Gesichtspunkten gestaltet
werden. Ein Vergleich mit der Decken- und Bodendekoration des 1. Jhs. v. Chr. zeigt, daß
sich die Architekten der piscinae der gleichen Muster bedienten wie Mosaizisten und
Stukkateure – mit dem Unterschied, daß sie die Formen ins Monumentale vergrößerten.
Dieses Phänomen der gattungsübergreifenden Dekorationssysteme ist Teil eines Konzepts,
das eine vorgeblich wirtschaftlichen Interessen dienende Funktionsarchitektur in die
luxuriös-extravagante Lebenswelt der aristokratischen Villa integrieren möchte. Das setzt
die konkrete architektonische Verknüpfung von Villa und piscina voraus, die sich denn
auch bei zahlreichen Beispielen beobachten läßt. Villa und Hallen dienen dabei als
Plattform für den Betrachter, zu dessen Füßen sich die geometrisch gegliederte
Meeresfläche wie ein ›flüssiges Mosaik‹ ausbreitet. Unter ästhetischen Gesichtspunkten
betrachtet, erweist sich die piscina damit als extravagante Architektur, die nicht nur in
ihrem spezifischen Verhältnis zu Natur und Landschaft, sondern auch in ihrer formalen
Raffinesse als typische Erscheinung der hellenistischen Kunst in Italien gewertet werden
muß.
Italien, spätrepublikanisch • Villa • Piscina • Mosaik • Ornament
Nacéra Benseddik
Lateinische Epigraphik und Ideologien: Der Fall Algerien
Vom ersten Augenblick ihrer Präsenz in Algerien an präsentierte sich die französische
Kolonialmacht als legitime Nachfolgerin der Römer. Daher war ihr daran gelegen,
einheimische Wissenschaftler von der Untersuchung des römischen und lateinischen Afrika
möglichst auszuschließen und somit den kulturellen Abstand zwischen römischem und
neuzeitlichem Algerien zu verstärken. Die Restaurierung des Grabmonuments des T. Flavius
Maximus in Lambaesis und seine erneute Dedikation durch die französische Armee sowie
das nicht ausgeführte Projekt einer Umsetzung des Caracalla-Bogens von Djemila nach Paris
sind zwei typische Beispiele für jenen doppelgleisigen Prozeß von zugleich kultureller
Vereinnahmung und Entfremdung. Freilich beobachtet man diesen letztgenannten Prozess
der kulturellen Entfremdung auch im nunmehr unabhängigen Algerien, und es muss fast als
ein Wunder betrachtet werden, dass das genannte Grabmonument in Lambaesis, welches in
seiner Wiederverwendung die angebliche Kontinuität von Römern zu Franzosen
symbolisieren sollte, bis zum März 1983 unversehrt blieb! Angesichts der gegenwärtigen
algerischen Kulturpolitik, die sich bemüht, das Volk seiner römisch-afrikanischen
Vergangenheit zu entfremden, wird man sich fragen, ob hierin noch immer ein Bruch mit
der kolonialistischen Ideologie oder nicht vielmehr deren Fortsetzung zu sehen ist.
Africa Romana • Epigraphik, lateinische • Wissenschaftsgeschichte • Algerien
Susanne Schoen – Margarete van Ess
Das VN-Handelsverbot von 2003 für irakisches Kulturgut: Folgenlos in Deutschland?
Im April 2003 wurden das Irak-Museum in Baghdad sowie weitere kulturelle Institutionen
im Irak geplündert. Ebenso gravierend sind die Zerstörungen, die derzeit durch
Raubgrabungen in archäologischen Stätten im Irak entstehen. Im Anschluss an den ersten
Golfkrieg verhängten die VN ein Handelsembargo gegen das Land, das auch die Ausfuhr von
Kulturgütern betraf. Im Mai 2003 wurde dieses Embargo aufgehoben und durch die VNResolution 1483/2003 ersetzt, in der mit Ziff. 7 das irakische Kulturgut explizit unter Schutz
gestellt wurde. Die Verantwortlichkeiten für Kulturgut allgemein, die sich aus der
Besetzung des Irak ergeben, sowie die Umsetzung der VN-Resolution in Deutschland und
ihre Auswirkungen auf die weitere deutsche Gesetzgebung sind Thema des Beitrages.
Darüber hinaus werden die strafrechtlichen Konsequenzen sowie die Möglichkeit zur
Durchsetzung von Rückgabeansprüchen des Irak diskutiert. Ein Eigentumserwerb an
irakischem Kulturgut in Deutschland ist nach der hier vertretenen Meinung kaum möglich,
bzw. falls dennoch ein anderer Eigentum erworben hat, besteht in der Regel für den Irak
gegen den Dritten ein Rückübertragungsanspruch.
Irak • VN-Resolution • Rechtslage, Deutschland • Kulturerhalt
Joseph Maran – Alkestis Papadimitriou
Bericht zu den Ausgrabungen in Stadt-Nordost
Es werden Grabungsbefunde aus Tiryns-Stadt-Nordost vorgestellt, die ein neues Licht auf
die Siedlungsgeschichte der Außensiedlung dieses Ortes im späten 2. und im 1. Jt. v. Chr.
werfen. Es wird argumentiert, dass die seit langem bekannte Flussumleitung am Ende der
mykenischen Palastzeit nicht die spontane Reaktion auf eine
Überschwemmungskatastrophe, sondern die Folge einer wohl überlegten
Strukturentscheidung politischer Akteure war, die das nördliche Stadtgebiet bebauen
wollten. In der Ausgrabung wurden fünf Siedlungsphasen der mykenischen Nachpalastzeit
(SH IIIC) nachgewiesen, von denen die zweite Merkmale zeigt, die über das Normalmaß von
Siedlungsarchitektur dieser Zeit hinausgehen. Die mit den Siedlungsphasen
vergesellschafteten Funde belegen das Fortwirken weit reichender Handelsbeziehungen des
Hafenortes von Tiryns auch in der Phase SH IIIC. Unter den nachmykenischen Befunden
verdienen die Reste eines Töpfereibezirks der spätgeometrischen Zeit sowie ein archaischer
Kultbothros besondere Beachtung. Die Auffindung des Bothros erinnert daran, dass in
unmittelbarer Umgebung der Tirynther Akropolis mit Kultaktivitäten des 1. Jts. v. Chr. zu
rechnen ist.
Tiryns • Nachpalastzeit • Späthelladisch IIIC • Außensiedlung • Flussumleitung
Rainer Pasternak
Bericht zu den archäobotanischen Funden aus Stadt-Nordost
Die Untersuchungen der botanischen Funde in Tiryns-Stadt Nord-Ost bestätigen in vollem
Umfang die älteren Untersuchungen aus dem Bereich der Burg. Die Agrarökonomie basierte
auf Gerste Hordeum vulgare, Einkorn Triticum monococcum, Emmer Triticum dicoccum
und Saatweizen Triticum aestivum bei den Getreiden und auf Linsenwicke Vicia ervilia,
Saat-Platterbse Lathyrus sativus, Linse Lens culinaris und Erbse Pisum sativum bei den
Hülsenfrüchten. Funde der Weinrebe Vitis vinifera, der Feige Ficus carica und des Ölbaums
Olea europaea ergänzen diese Bestätigung.
Tiryns • Späthelladisch IIIC • Landwirtschaft • Agrarökonomie • Archäobotanik
Philipp Stockhammer
Bericht zur spätmykenischen Keramik aus Stadt-Nordost
Die Grabungen in Tiryns Stadt-Nordost erbrachten ein reiches Keramikmaterial, das
aufgrund seiner Stratifizierung über sterilen Flusssedimenten eine besondere
chronologische und historische Aussagekraft besitzt. Gegenstand sind die Keramikfunde der
beiden SH-IIIC-Früh-zeitlichen Siedlungsphasen. Die erste Phase ist zeitlich wohl mit
›LH IIIC Early 1‹ sowie mit dem Beginn der Phase ›LH IIIC Early 2‹ in Mykene zu
synchronisieren und zeichnet sich durch einen für die früheste Nachpalastzeit
außergewöhnlichen Reichtum der Keramikbemalung aus, der ganz in spätpalastzeitlichen
Traditionen verwurzelt scheint. Die nachpalastzeitliche Elite ergänzte zudem ihr
Keramikinventar durch die Entnahme repräsentativer Altstücke aus Kammergräbern. Die
zweite Phase, die parallel zur Phase ›LH IIIC Early 2‹ von Mykene verläuft, erlaubt aufgrund
der Vielzahl von In-situ-Funden vollständiger Gefäße eine kontextuelle Betrachtung der
Keramik, so etwa ein Kücheninventar um die Herdstelle und eine vollständige minoische
Importbügelkanne, die das Weiterleben der Fernkontakte über das Ende der Palastzeit
hinaus unterstreicht. Außergewöhnlich aufwendig bemalte Gefäße zeigen zudem die
kontinuierliche Blüte des lokalen Keramikhandwerks.
Tiryns • Nachpalastzeit • Späthelladisch IIIC Früh • Außensiedlung • Keramik
Christian Hübner – Stefan Giese
Bericht zur geophysikalischen Prospektion im Stadtgebiet von Tiryns
In Tiryns-Stadt-West sowie auf drei Flächen unmittelbar nördlich der Unterburg wurde von
der Firma »GGH – Solutions in Geosciences« sowohl eine geomagnetische als auch eine
geoelektrische Kartierung durchgeführt. Das Magnetogramm lässt trotz Einsatz eines
hochauflösenden Cäsiummagnetometers durch starke rezente Störeinflüsse kaum
Rückschlüsse auf archäologische Befunde zu. Die Ergebnisse der geoelektrischen Kartierung
erbrachten jedoch trotz wechselnder Bodenfeuchte Hinweise auf Mauerfundamente. In
Stadt-West zeichnet sich ein Nordwest-Südost orientierter Mauerverlauf ab. Nordöstlich
der Unterburg wurde ein 14 m  7 m großer, hochohmiger Bereich geortet, der als
Mauerversturz bzw. als ein Gebäude gedeutet werden kann. Im Nordwesten ist ein
rechtwinkelig verlaufender Mauerzug sowohl in der Geoelektrik als auch in einem Bachlauf
als Befund verifiziert.
Tiryns • Späthelladisch IIIC • Außensiedlung • geophysikalische Prospektion • Caesiummagnetometer
Jürgen Seeher
Die Ausgrabungen in Boğazköy-Hattuša 2005
Die Grabungen in der westlichen Oberstadt im Tal vor Sarıkale wurden fortgesetzt. In der
bislang ältesten Schicht (spätes 16. Jh./um 1500 v. Chr.) wurde das zweite Gebäude mit etwa
quadratischem Grundriß und systematischer Innenaufteilung untersucht. Nach seiner
Aufgabe entstand an derselben Stelle, teilweise unter Benutzung der alten Fundamente, ein
Neubau, der möglicherweise demselben Zweck diente. Erst darüber folgt der im Vorjahr
identifizierte Horizont, der sich besonders durch Überreste von handwerklicher Tätigkeit
auszeichnet. In diesem Jahr konnte ein Schmelzofen für die Bronzeverarbeitung
identifiziert werden. Von besonderer Bedeutung sind drei aus vorgroßreichszeitlichen
Schichtzusammenhängen geborgene Siegel aus Bronze, Elfenbein und Stein. Da fast alle
bisher bekannten Beispiele dieser Siegelformen aus Anatolien ohne Fundzusammenhang
sind, liefern sie wichtige chronologische Fixpunkte für die Einordnung dieser Fundgattung.
Die Rekonstruktion eines 65 m langen Abschnitts der Lehmziegel-Stadtmauer in der
Unterstadt wurde abgeschlossen. Mit drei 7–8 m hohen Kurtinenmauern und zwei 12–13 m
hohen Türmen zeigt dieses Bauwerk dem Besucher erstmals, daß die hethitische
Architektur im wesentlichen aus Lehmziegeln bestand. Bei diesem Projekt zur
experimentellen Archäologie wurden alle Baumaßnahmen sowie die eingesetzte
Arbeitskraft und die Materialarten und -mengen detailliert dokumentiert.
Hattuša • Siegel • Lehmziegelmauer • Rekonstruktion • experimentelle Archäologie
Helmut Brückner – Max Engel – Moritz Kiderlen
Geoarchäologische Studie über das Poseidon-Heiligtum von Akovitika in Messenien
Das 1969 von P. Themelis am Rande der Küstenebene des Pamisos teilweise freigelegte
eisenzeitliche Poseidon-Heiligtum wurde auf dem Scheitel eines Strandwalls gegründet, den
das Meer erst im späten 3. Jt. v. Chr. akkumuliert hatte und der dann durch
Süßwassersedimente noch um einige Dezimeter aufgehöht worden war. Die ältesten
Laufniveaus in diesem Bereich datieren nach den frühesten eisenzeitlichen Streufunden um
950–875 v. Chr. Sie liegen etwa 0,20 m über dem heutigen Meeresspiegel und damit
vermutlich 2–3 m über dem damaligen. Die damaligen Reliefverhältnisse lassen sich mit
denen der heutigen Strandwälle vergleichen, deren Scheitelhöhe etwa 3 m über dem
Mittelwasser des Meeresspiegels liegt. Zur Zeit der Erbauung des Heiligtums lag die Küste
nicht direkt am Südrand des Strandwalls, auf dem es steht, sondern in einer Distanz von
100–150 m erst hinter einem jüngeren. Die Flächen nördlich und südlich des Strandwalls
waren zunächst sumpfig und füllten sich im Nutzungszeitraum des Heiligtums mit
Hochflutlehmen. Diese waren im Sommerhalbjahr gut begehbar. Problematisch für das
Heiligtum war die durch Alluvionen verursachte Erhöhung der Ebene einschließlich der
Niederungen. Dies verringerte die Höhendifferenz zum Areal des Heiligtums und
vergrößerte dadurch dessen Überflutungsrisiko. Dies könnte die archäologisch
festgestellten künstlichen Aufplanierungen motiviert haben und war vielleicht sogar
letztendlich die Ursache für die Aufgabe des Heiligtums.
Messenien • Eisenzeit • Heiligtum • Prospektion, geoarchäologisch • Landschaftsentwicklung
Eva Cancik-Kirschbaum
Der Tempel des Gottes Assur. Materielle und ästhetische Dimension ›Heiliger Orte‹ im alten
Vorderasien
›Heilige Orte‹ werden im Alten Orient unter anderem in Gestalt monumentaler
Sakralbauten kenntlich gemacht. Sie sind Zentrum einer sozio-ökonomischen Institution,
die mit dem Begriff ›Tempel‹ kaum zutreffend beschrieben ist. Als Sakralgebäude zeichnen
sie sich durch spezifische architektonisch Gestaltung des Baukörpers und seiner
Ausstattung sowie häufig durch eine herausgehobene topographische Situierung aus.
Darüber hinaus ist ihnen eine zweite, metaphysische Natur eigen, die auf einem komplexen
Symbolsystem basiert. Baumaterialien, Ausstattungselemente und Anordnung sind
referentielle Bestandteile dieses Systems. Sie lassen sich vor allem anhand der schriftlichen
Überlieferung erschließen. Am Beispiel des Assur-Heiligtums in Assur wird die Funktion
dieser Symbolik für die Visualisierung politischer Theologie beschrieben.
Mesopotamien • Assur • Assur-Tempel • Bauinschriften • Tempelnamen
Stephan Johannes Seidlmayer
Landschaft und Religion – Die Region von Aswân
Im Gebiet von Aswân erlauben es ungewöhnlich reiche und gut erschlossene archäologische
und epigraphische Befunde, die Einbettung der lokalen Kulte und ihrer rituellen
Begehungen in einem komplexen topographischen Umfeld zu analysieren. In ihrem Tempel
in der Metropole Elephantine verkörpert die Göttin Satet nicht nur den Typus der
Stadtgöttin. Ritualanlagen an diesem Heiligtum beweisen, daß ihr Kultfest mit der Feier der
Nilflut verknüpft war. Komplementär läßt sich für den Kult der Göttin Anuket in ihrer bis
heute als Felsgrotte erkennbaren Kapelle auf der Katarakteninsel Sehêl, insbesondere für
ihre jährliche, große Festprozession auf dem Nil, der Bezug zum Niedrigwasser des Stromes
erkennen. Das Göttinnenpaar repräsentiert damit wohl schon seit dem 3. Jahrtausend
v. Chr. die Phasen der Nilflut. Weitere Heiligtümer im Gelände und Götterlisten im Tempel
der Satet zeigen, wie ein dichtes Netz von Kultanlagen die Landschaft überzog und religiös
deutete. Kultische Praxis und religiöse Semantik sind damit aufs Engste auf den Naturraum
und seine lebensbestimmenden Zyklen bezogen.
Aswân • Elephantine • Nilkult • Tempel • Felsinschriften
Mike Parker Pearson – Josh Pollard – Colin Richards – Julian Thomas – Chris Tilley – Kate
Welham
Stonehenge, its River and its Landscape: Unravelling the Mysteries of a Prehistoric Sacred
Place
The area around Stonehenge was used for monument building as early as 10,000 years ago
but the site of Stonehenge was first constructed around 3000 B.C. The stones were put up
probably in the 26th century B.C. Stonehenge was probably contemporary with a group of
timber circles at Durrington Walls, 3 km upstream along the River Avon, and may have
formed part of a larger monument complex in which stone and timber circles were
connected to the river by ceremonial avenues. The orientations of the circles and their
avenues, together with seasonality patterns of pig culling, show that the midwinter and
midsummer solstices were important times for gathering at these sites. Stonehenge is
Britain’s largest cremation cemetery during the mid-third millennium B.C. and may be
interpreted as closely associated with the ancestral dead. In contrast, Durrington Walls has
very few human remains despite the huge quantities of feasting debris and is interpreted as
a place where the dead began their journey into the afterlife.
Stonehenge • Durrington Walls • Woodhenge • Prehistory • landscape
Miranda Aldhouse-Green
Healing Shrines in ›Celtic‹ Europe: Cult, Ritual and Material Culture
The archaeological evidence from two sacred sites in Roman provincial western Europe, one
in Gaul, the other in Britain, raises a range of interrelated ritual issues – including water,
healing, votive behaviour, materiality and pilgrimage – that this article seeks to address.
Fontes Sequanae in Burgundy was a remote rural shrine that grew up around local springs;
by contrast, Bath in western England developed as a cosmopolitan urban ritual centre
although it, too, was constructed at a spring-site. Both sanctuaries were dedicated to
goddesses: Sequana at Fontes Sequanae and Sulis Minerva at Bath. Each sacred precinct has
produced abundant evidence for their patronage by pilgrim-visitors who sought cures for
physical maladies or, perhaps, yearned for spiritual enlightenment, by direct contact with
the holy water, the personification of the deity. But the material culture of the two shrines
exhibits marked variances. The Burgundian site has revealed a rich assemblage of pilgrimimagery in wood and stone, and it is suggested that the discrepant materiality and
positioning of the sculptures inside and outside the τέμενος might reflect transformation.
At Bath, the numerous inscribed curse-tablets (defixiones) indicate that devotees of Sulis
demanded of her that she exact punishment – in terms of the dysfunction of body-fluids
(blood, semen, urine) – for wrongs (mainly theft) suffered by worshippers at her temple.
The specific range of punishments may reflect Sulis’ function as a water-deity, and her
ability to invert her healing powers to destroy the impious who committed the sacrilege of
stealing from the devout within her sacred domain. The final issue addressed is that of
romanitas: while Fontes Sequanae was the more obviously local indigenous shrine,
dedicated to a purely Gaulish-named divinity, Bath appears to reflect far greater Roman
influence (in the coupling of the British name of Sulis with that of the Roman Minerva and
in much of the architecture, for instance). But the essential Britishness of the cult at Bath
may be demonstrated by the prevalence of sculptures that apparently subverted,
appropriated and resisted Roman grammars of religious tradition.
Roman Britain and Gaul • healing • water • pilgrimage • gender
Axel Michaels
Sakrale Landschaften und religiöse Raumgefühle
Der Beitrag widmet sich der Frage, was man meint, wenn man von »heiligen oder sakralen
Landschaften (etwa des Himalaya)« spricht. Es zeigt sich, dass diese Rede nicht nur in Bezug
auf »heilig«, sondern auch hinsichtlich »Landschaft« problematisch ist. Diskutiert werden
verschiedene Natur- und Landschaftstheorien, die dem Problem des Physio- bzw.
Anthropozentrismus nachgehen. Zwar lassen sich für den Himalaya spezifische Differenzen
etwa bezüglich der Vorstellungen von der Heiligkeit von »oben« und »unten« nachweisen,
diese reichen aber nicht aus, um daraus weiterreichende Schlussfolgerungen zu ziehen.
Andererseits wird anhand altindischen Materials dargelegt, dass ein physikalischer
Raumbegriff nicht ausreicht, um die Andersartigkeit (hindu-)religiöser
Orientierungssysteme zu erfassen: Denn sakrale Landschaften und Orte sind je nach Kultur
(Religion), Zeit und betrachtenden Menschen verschieden wahrgenommene Raumgefühle,
die sich zugleich vom Ort und der Gegend loslösen, weil sie eben sakrale, die Realität
überschreitende Gefühle sind.
Südasien • vedisches Indien • Himalaya • Landschaftstheorien • Raum
Heinz Halm
Schiitische Heiligtümer im Irak und in Iran
Im Zentrum der schiitischen Religiosität steht die Verehrung der Zwölf Imame, zwölf
leiblicher Nachkommen des Propheten Muhammad, die von den Schiiten als die einzig
legitimen Nachfolger des Propheten und damit als höchste Autoritäten des Islam anerkannt
werden. Von der Leitung der islamischen Gemeinde durch gewalttätige sunnitische
Usurpatoren verdrängt, wurden sie zu Märtyrern, deren Leiden und Tod aber für ihre
›Partei‹ (arabisch: Schia) nicht nur vorbildlich, sondern auch heilswirksam wurde: das
unschuldige Leiden der Imame sühnt die Schuld ihrer Anhänger. Die Orte des Martyriums
und die Gräber der Imame im Irak und in Iran – die in Medina wurden 1804 von den streng
sunnitischen Wahhabiten zerstört – sind daher zu reich geschmückten und mit opulenten
Stiftungen ausgestatteten Wallfahrtsstätten geworden, an denen die Gläubigen durch die
physische Berührung mit dem vom Märtyrerblut durchtränkten Boden die Heilswirkung
des Charismas (baraka) der Imame erfahren.
Irak • Iran • Schiiten • Märtyrergräber • 7. Jahrhundert bis Gegenwart