Realistisch bleiben

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Realistisch bleiben
Der Newsletter der HessenChemie / Nr. 2 / April 2012
Pluspunkte
Flexibler arbeiten
Wer 50 ist, ist heutzutage längst
nicht alt. Es gilt, traditionelle
Strukturen zu überdenken
Seite 3
editorial
Liebe Mitglieder,
liebe Leserinnen und Leser,
nach der Krise war 2011 ein
gutes Jahr für die Chemieindustrie, und dies war
nicht zuletzt den Beschäftigten und der Weitsicht
der Unternehmen zu verdanken. Dementsprechend
wurden die Beschäftigten
überproportional an der
guten Konjunktur beteiligt. Die IG BCE argumentierte in der
Tarifrunde 2011 mit dem zu erwartenden
Wachstum und handelte mit 4,1 Prozent
den höchsten Tarifabschluss des Jahres
aus. Das Wachstum hat sich seit Mitte
letzten Jahres aber deutlich verlangsamt und die Risiken sind gestiegen.
Doch nur wenn es den Unternehmen
gut geht, können die Mitarbeiter
daran partizipieren. Hierfür tragen
die Sozialpartner Verantwortung.
Tarifverhandlungen prägen einen
maßgeblichen Teil der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Sie
bestimmen die Arbeitskosten, die
Arbeitszeit und die Antworten auf
die Herausforderungen durch den
demografischen Wandel.
2012
Chemietarifrunde
abe:
Sonderausg
runde
Chemietarif
Gestiegene Reallöhne
Die Löhne der chemischen Industrie liegen
auf hohem Niveau – in nationalen wie in
internationalen Vergleichen
Seite 4
Tarifverhandlungen in Hessen
Realistisch bleiben
6 Prozent mehr Entgelt für die Mitarbeiter der chemischen Industrie fordert
die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in der hessischen
Tarifrunde 2012. Die Arbeitgeber weisen dies mit Blick auf die aktuelle
Wirtschaftslage und die wachsenden Risiken zurück.
Mitte Februar hatte der Hauptvorstand der IG BCE eine Erhöhung der Entgelte und
Ausbildungsvergütungen um 6 Prozent empfohlen. Am 22. März schloss sich der
Landesbezirk Hessen-Thüringen mit einer Forderung in gleicher Höhe an. Am
17. April startet nun die Tarifrunde, Hessen macht den Anfang. Die Vertreter des
Arbeitgeberverbandes HessenChemie und der IG BCE Hessen-Thüringen verhandeln über das Tarifpaket für rund 92.000 Beschäftigte.
„Gute Arbeit – Faires Entgelt“ lautet das Motto, unter dem die Gewerkschaft ihre
Forderung präsentiert. Sie bezieht sich auf die guten Umsätze des vergangenen
Jahres in der Chemieindustrie, von denen die Arbeitnehmer jetzt ihrer Auffassung
nach profitieren müssten.
Christoph Obladen, Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite in Hessen, sieht das
gar nicht so anders: „Natürlich soll gute Arbeit fair bezahlt werden. Das wird sie bei
Fortsetzung Seite 2
Lesen Sie Informationen und Hintergründe dazu auf diesen Seiten.
Ihr
Dr. Axel Schack
und das Team der HessenChemie
Verhandlungsführer Christoph Obladen weist die Forderung der IG BCE zurück. „Schon längst wird
gute Arbeit bei uns fair bezahlt“, sagt er mit Bezug auf den Gewerkschaftsslogan.
Fortsetzung von Seite 1
uns auch. Mit 4,1 Prozent mehr Entgelt
hatten die Beschäftigten 2011 ein deutliches Reallohnplus, und das, obwohl
seit Mitte 2011 die Wachstumsraten in
den Keller gingen.“ Hierbei bezieht
sich Obladen unter anderem auf den
Index der Nettoproduktion für die
klassische Chemie. Dieser blieb im
zweiten Halbjahr um durchschnittlich
4,7 Prozent hinter den Erwartungen
zurück, wie Zahlen des Statistischen
Landesamtes Wiesbaden belegen. Geschuldet ist dies vor allem der andau-
Am 17. April startet in Bad Homburg die erste regionale Verhandlungsrunde. Die Mitglieder der
Tarifkommission der Arbeitgeber sind gut vorbereitet.
ernden Krise im europäischen Raum:
alle Unternehmen tragen können, men entsprechen“, meint der Heraeus-
Die hessische Chemie erwirtschaftet
auch die kleinen und mittleren. Diese
rund zwei Drittel ihrer Umsätze durch
bilden 81,2 Prozent der Chemieunter- sei unter den Chemiebeschäftigten der
den Export, davon 72 Prozent im
nehmen in Hessen.“
europäischen Ausland. Aktuelle Pro- Obladen rückt darüber hinaus den
Personalchef. In den letzten zehn Jahren
Anteil der über 50-Jährigen von 22 Prozent auf fast 30 Prozent gestiegen. Im
gnosen der führenden Wirtschafts- demografischen Wandel in den Fokus. Hinblick auf die bevorstehenden Verinstitute bestätigen den negativen
Mit dem Tarifvertrag „Lebensarbeits- handlungen betont er: „Die realistische,
Trend. „Die Wachstumsprognosen für
zeit und Demografie“ seien die Sozial- wettbewerbsorientierte Tarifpolitik der
2012 liegen zwischen Stagnation und
partner dieses Thema 2008 intelligent
letzten Jahre hat sich in der chemischen
einem Prozent“, erklärt Obladen, der
angegangen. „Hier müssen wir an- Industrie für alle Beteiligten ausgezahlt.
auch Mitglied der Tarifkommission des
setzen. Wir müssen über längere und
Die müssen wir weiterentwickeln, wenn
Bundesarbeitgeberverbandes Chemie
flexiblere Arbeitszeiten nachdenken, die
wir den Beschäftigungsgrad halten und
(BAVC) ist. „Den Tarifabschluss müssen
der Kapazitätsauslastung der Unterneh- auch in Zukunft sichern wollen.“
nachgehakt:
Der Standort ist ein Wettbewerbsvorteil
Drei Fragen an Hartmut G. Erlinghagen, Merz GmbH & Co. KGaA
1
Die deutsche chemische Industrie steht im internationalen
Wettbewerb gut da. Woran liegt das?
Die gute Infrastruktur und die niedrige Inflation machen
den Standort attraktiv. Nach Angaben des World Economic Forum
liegt Deutschland mit seiner Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich auf Platz sechs. Zudem haben wir ein gutes
Bildungsniveau. Aber auch das moderne Tarifwerk der Chemieindustrie und die besondere Sozialpartnerschaft sprechen für
den Standort. Die Tarifpartner haben eine gemeinsame Verantwortung, diese Standortvorteile zu verteidigen – auch in den
kommenden Tarifrunden.
Hartmut G. Erlinghagen ist 1. Stellvertreter
des Vorsitzenden der HessenChemie
Deutschland braucht einen Mentalitätswandel
Eine niedrige Geburtenrate und die schrumpfende
Auch die Nachwuchsgewinnung wird schwieriger. Schon
Einwohnerzahl, verbunden mit einer höheren Lebens- jetzt berichten die Unternehmen, dass sie sich stärker um
erwartung, machen den demografischen Wandel zur
Fachkräfte bemühen müssen. Dabei bilden die hessischen
größten Herausforderung der Arbeitswelt. Hinzu kommt, Unternehmen bereits seit Jahren über dem Soll des Tarifverdass in den kommenden Jahren die „Babyboomer“ in den
trags „Zukunft durch Ausbildung“ aus. Schack ist überzeugt,
Ruhestand gehen.
dass die Lösung in der Flexibilisierung der Arbeitszeit liegt:
„Im Idealfall schaffen wir einen Vorteil für Unternehmen und
Immer mehr Menschen scheiden aus den Betrieben aus, Beschäftigte. Die Unternehmen erhalten die Möglichkeit, auf
immer weniger Junge kommen nach. Bis 2025 werden
Kapazitätsauslastungen besser zu reagieren, und die Mit-
laut dem 3. Bildungsbericht der Bundesregierung 3,2 Mio. arbeiter können ihre Arbeitszeiten den unterschiedlichen
Arbeitskräfte weniger zur Verfügung stehen. Die Arbeit- Phasen ihres Lebens anpassen.“
geber plädieren daher für einen Mentalitätswandel. „Wir
müssen uns Gedanken über intelligente Lösungen machen,
wie man zukünftig flexibler und länger arbeiten kann“, so
Dr. Axel Schack, Hauptgeschäftsführer der HessenChemie.
Die Belegschaften altern
%
Anteil an allen Mitarbeitern
25
2004 2008 2012* 2016*
Besonders die altersbezogenen Tarifregelungen gehörten
auf den Prüfstand, meint Schack. „Es kann nicht sein, dass
wir Menschen ab 50 als alt abstempeln und ab 55 pauschal
in Altersfreizeiten schicken.“
20
15
10
Die Zahlen geben ihm recht. Während 2012 in Hessen
24,6 Prozent der Belegschaften in Altersfreizeit sind, werden es 2020 47,7 Prozent sein. Laut Berechnung des Verban-
5
0
des gehen 2012 in der hessischen Chemie 2,7 Mio. Stunden
Arbeitszeit durch Altersfreizeit verloren. 2020 werden es
5,2 Mio. Stunden sein. Die Kosten dafür werden sich in diesem Zeitraum verdoppeln.
2
Das hört sich sehr positiv an. Heißt das,
dass Sie keine Risiken sehen?
<=19
20–24
25–29
30–34
35–39
40–44
45–50
50–54
55–59
60–64
*Fortschreibung der Altersstruktur gegenüber dem Jahr 2008; ohne Veränderungen des Personalbestandes
Die Altersstruktur der Beschäftigten in der hessischen chemischen
Industrie wird sich in den nächsten Jahren weiter verändern.
3
Welche konkreten Felder sehen Sie hier,
die der Gesetzgeber angehen sollte?
Die hohen Rohstoffpreise, insbesondere für Rohöl, aber
Problematisch ist vor allem die Entscheidung des
auch für Chemikalien, betrachten wir mit Sorge. Ebenso
Bundesarbeitsgerichtes von 2010 zur Aufhebung der
die steigenden Energiepreise infolge der Energiewende.
Tarifeinheit. Sie führt dazu, dass die Interessen von
In der Pharmaindustrie beunruhigen uns vor allem die
wenigen die Interessen von vielen einschränken.
staatlichen Regulierungen. Sie betreffen besonders den
Flächendeckende Tarifverträge nach dem Grundsatz
deutschen Markt, haben aber auch Auswirkungen auf
den Export. Darüber hinaus sorgt die ungelöste europäi-
>=65
Alter (in Jahren)
„Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ schaffen dagegen
Planungssicherheit und ein gesellschaftliches Gleich-
sche Schuldenkrise für Unsicherheit, denn sie hemmt
gewicht. Außerdem sind die hohen Lohnnebenkosten
die europäische Nachfrage.
ein Hemmnis für den Aufbau weiterer Arbeitsplätze.
Im Übrigen gibt es im Bereich des Arbeitsmarktes noch
Über all diese Themen werden wir weiterhin mit der
Probleme, die gelöst werden müssen.
Politik sprechen, um den Standort wettbewerbsfähig
zu halten.
www.hessenchemie.de
Konkurrenzfähigkeit erhalten
Die Löhne in der chemischen Industrie sind überdurchschnitt- 46,49 Euro pro Arbeitnehmerstunde lagen sie 2010 nach
lich hoch. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, setzt
Angaben des Institutes der deutschen Wirtschaft (IW) Köln
sich die HessenChemie für eine moderate Tarifpolitik ein.
weltweit mit an der Spitze.
Angesichts dieser Faktenlage riefen sowohl Caprano als auch
Laut Statistischem Bundesamt sind im Krisenjahr 2009 die
HessenChemie-Hauptgeschäftsführer Dr. Axel Schack zur
effektiv gezahlten Entgelte real um 0,4 Prozent zurück- Mäßigung auf. „Nur wenn wir die moderate und realistigegangen. 2011 gab es dagegen im gesamtwirtschaftli- sche Tarifpolitik der letzten Jahre beibehalten, können wir
chen Durchschnitt, unter Berücksichtigung der effektiven
unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten“, so Schack. „Dafür
Arbeitszeit und aller erfolgsabhängigen Sonderzahlungen, setzt sich der Arbeitgeberverband in der laufenden Tarifeinen Anstieg von 1,1 Prozent. „Dass daraus eine Diskussion
runde ein.“
um angeblich sinkende Reallöhne in Deutschland entsteht,
Gestiegene Reallöhne
ist schon überraschend“, sagte Karl-Hans Caprano, Vor-
T ariferhöhung
standsvorsitzender der HessenChemie, auf der Frühjahrspressekonferenz des Arbeitgeberverbandes am 28. März in
4,4
Inflationsrate
4,1
3,6
3,3
Frankfurt am Main. „In der chemischen Industrie hat es
2,7
2,6
2,2
allein zwischen 2008 und 2011 Tarifsteigerungen von ins-
2,0
1,7
gesamt 11,5 Prozent gegeben. Das sind real rund 5 Prozent
1,9
2,3
1,9
1,5
1,5
mehr.“ Die IG BCE selbst weise darauf hin, dass die Tarif-
3,3
1,5
2,6
1,1
1,0
0,4
abschlüsse in den vergangenen zehn Jahren fast immer
2000
über der Teuerungsrate gelegen haben.
2001
2002
2003
2,3
1,6
2004
2005 2006
2007
2008 2009
2010
2011
Quelle: IG BCE, Abteilung Tarifpolitik, Statistisches Bundesamt
Auch im Vergleich mit der chemischen Industrie im Ausland bewegen sich die Entgelte auf hohem Niveau. Mit
In den vergangenen Jahren lagen die Tariferhöhungen in der westdeutschen Chemie fast immer über der Inflationsrate.
Tipp Die HessenChemie hält Sie auf dem Laufenden. Die aktuelle Ent-
impressum
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Weitere Hintergrundinformationen finden Sie im Internet im Mitgliederbereich
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Erscheinungsweise: 4 Ausgaben / Jahr
/ Auflage: 2.000
Redaktion: Ole Richert (v.i.S.d.P.),
Dr. Ute Heinemann (Sprache + Text, Frankfurt)
Hessen macht am 17. April den Anfang in den regionalen
Layout: Q GmbH, Wiesbaden
Tarifverhandlungsrunden. Die Termine für die 1. Runde in den
Fotos: Fazit Design, Wiesbaden
übrigen Regionen folgen Schlag auf Schlag:
Internet: www.hessenchemie.de
April
Kontakt: Arbeitgeberverband Chemie und
Mai
­verwandte Industrien für das Land Hessen e. V.
Abraham-Lincoln-Straße 24
1. Verhandlungsrunde (regional):
Bundestarifrunde:
65189 Wiesbaden
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› 07. Mai
› 24. Mai
Telefon 0611 7 106-0
18. April Rheinland-Pfalz
19. April Nordrhein
20. April Baden-Württemberg
23. April Bayern
24. April Nordost/Berlin-West
24. April Nord
25. April Saarland
26. April Westfalen
[email protected]

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