101102-t-cme-Frauenbewegung_1900
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101102-t-cme-Frauenbewegung_1900
Die wichtigsten Stationen und politischen Forderungen der Gleichberechtigung mit dem Fokus auf Deutschland, aber auch einigen internationalen Aspekten ab 1900 1. Phase 1900 bis Ende der 20er Jahre Wahl – und Stimmrechtsbewegung Die wichtigste politische Forderung zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Wahlrecht für die Frauen. Die sogenannten Suffragetten in Großbritannien und in USA waren die Ersten, die eine Stimmrechtsbewegung mit bekennender Militanz ins Leben riefen Der Kampf der Suffragetten nimmt insbesondere in Großbritannien extreme Formen an. 1909 kam es sogar zu einem Hungerstreik und die Frauen wurden zwangsernährt. 1904, auf der 2. Internationalen Konferenz für Frauenstimmrecht in Berlin, gründen Frauenrechtlerinnen den Weltbund für das Frauenstimmrecht. 1906 erhalten die Finninnen das Wahlrecht. Auf der internationalen sozialistischen Frauenkonferenz vom 26. bis 28. August 1910 in Kopenhagen wird der Vorschlag von Clara Zetkin angenommen, einen Internationalen Frauentag durchzuführen. Am 19.März 1911 begehen Frauen im Deutschen Reich, in Österreich, Dänemark und der Schweiz zum ersten Mal den Internationalen Frauentag. Mehr als eine Million Frauen gehen auf die Straße, um ihrer Forderung nach dem Frauenwahlrecht Nachdruck zu verleihen. Eine solche Massenbewegung hatte es bisher nicht gegeben. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bringt zum Frauentag ein Flugblatt mit einer Auflage von 2,5 Millionen Exemplaren heraus. Clara Zetkin veröffentlicht eine spezielle Agitationszeitung für das Frauenwahlrecht. Auf allen Veranstaltungen verabschieden die Frauen einstimmig eine Resolution: „Die Forderung nach dem Frauenwahlrecht ist die notwendige Folge der durch die kapitalistische Produktionsweise bedingten wirtschaftlichen und sozialen Umwälzung, die die Stellung der Frau von Grund auf umgewandelt hat. 10 Millionen Frauen, die im gesellschaftlichen Produktionsprozess tätig sind, die Millionen Frauen, die als Mütter Gesundheit und Leben aufs Spiel setzen, die als Hausfrauen die schwersten Pflichten übernehmen, erheben mit allem Nachdruck Anspruch auf soziale und politische Gleichberechtigung. 1912 schließen sich die Frauen in Frankreich, den Niederladen und Schweden an, 1913 im zaristischen Russland wird ebenfalls die Idee des Internationalen Frauentags angenommen. Das Plakat „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“ von 1914 wirbt so wirkungsvoll und auf eindrucksvolle Weise für die Forderungen der Frauen, dass z.B. der Berliner Polizeipräsident die Schlagzeile für eine Beleidigung der Obrigkeit hält und die Plakatierung verbietet. Mit Beendigung des Ersten Weltkrieges und der Gründung der Weimarer Republik erhalten die Frauen in Deutschland am 30. November 1918 das aktive und passive Wahlrecht, verankert in Art. 109 Abs. 2 der Weimarer Verfassung: Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten. Dieses Gesetz trat 1919 in Kraft. 1 Ehe und Familie – Die Etablierung der Hausfrauenehe im Bürgerlichen Gesetzbuch Nachdem sich die Frauen an den Arbeitskämpfen Ende des 19. Jahrhunderts massiv mitbeteiligt haben und bei Streiks für Lohnerhöhungen kämpften oder für die Regelung der Einrichtung von Betriebswerkstätten anstatt industrieller Heimarbeit führt das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900 zu einem Rückschlag für die deutsche Frauenbewegung, da mit diesem Gesetz die Vormundschaft des Ehemanns über die Ehefrau erneut gesetzlich festgelegt wird. Im Familienrecht des BGB, dessen Entwurf gegen die Stimmen der Sozialdemokraten angenommen worden ist, bleibt der Frau die Gleichberechtigung im privaten Bereich und im geschäftlichen versagt, denn dieses Gesetzwerk besagt: „Der Ehemann ist im Besitz des Bestimmungsrechtes.“ Die Hausfrauenehe ist gesetzlich festgelegt. Danach obliegt der Frau die Leitung des Hauswesens. Die Frau erlangt zwar das Recht, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, doch dieser ist an die Zustimmung des Ehemanns gebunden. Im normalen gesetzlichen Zustand der Gütergemeinschaft verfügt der Ehemann über das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht am gesamten Vermögen der Frau. Im Fall der Scheidung und Wiederverheiratung der Frau behält der Vater die Rechte über die Kinder, auch über die Nutzung ihres Vermögens. Die Ehescheidung ist an das Schuldprinzip gebunden. Und schließlich ist die Rechtsstellung eines unehelichen Kindes unsicher. Es gilt als mit seinem Vater nicht verwandt, d.h. es hat keine Erbansprüche. Damit wird die doppelte Moral sanktioniert, nach der nur die unverheiratete Mutter und das uneheliche Kind der öffentlichen Schande ausgesetzt sind. Zuvor hatten jahrzehntelang die Frauen gegen eine Bevormundung der Ehefrau und Mutter protestiert, aber es gelang ihnen nicht, das Inkrafttreten dieses Gesetzes zu verhindern. Im Jahr 1901 erscheint das Buch von Lilly Braun, der Sozialistin, mit dem Titel „Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Seite“. Dieses Buch avanciert zu einem Standardwerk der Frauenbewegung. Braun problematisiert die Vereinbarung von Berufstätigkeit und Mutterschaft und klagt über die Doppel- und Dreifachbelastung der berufstätigen Frau. Als Konsequenz fordert sie die allgemeine Herabsetzung der Arbeitszeit und eine Mutterschaftsversicherung. 1905 gründet Helene Stöcker in Berlin den Bund für Mutterschutz und Sexualreform. Nach dem Grundsatz, dass Mutterschutz Kinderschutz sei, kümmert sich der Verein insbesondere um unverheiratete Mütter und deren Kinder. Und 1905 wird zum ersten Mal in einer theoretischen Auseinandersetzung darüber nachgedacht, dass Hausfrauenarbeit entlohnt werden soll. Käthe Schirmacher stellte diese Forderung in ihrer Veröffentlichung vor mit dem Titel „Die Hausfrauenarbeit im Hause – ihre ökonomische, rechtliche und soziale Wertung“. Im Jahre 1902 erscheint das erste Buch des Antifeminismus. Hedwig Dohm analysiert dieses Phänomen und gibt in Berlin die Streitschrift „Die Antifeministin“, ein Buch der Verteidigung, heraus. In diesem Buch wird nicht nur die Frauenfeindlichkeit von Männern, sondern auch die von Frauen entlarvt. Hedwig Dohm ist Mitbegründerin des Frauenvereins Reform von 1888, der sich für die Koedukation einsetzt sowie wirtschaftliche Unabhängigkeit und unbeschränkte Berufswahl von Mädchen und Frauen fordert. Die geborene Jüdin und Großmutter von Katia Mann trägt das schulterlange Haar bewusst offen. Sie hebt sich damit von der respektablen deutschen Hausfrau mit hochgesteckter Frisur ab. Hedwig Dohm stirbt 1919. 2 1905 wird Ida Altmann trotz der Widerstände vieler männlicher Gewerkschaftsmitglieder die Leitung des ersten Arbeiterinnensekretariats bei der Generalkommission der Gewerkschaften in Berlin übertragen. Damit die Arbeiterinnen sich nicht in der Doppelbelastung durch Berufs- und Hausarbeit aufreiben, fordert die Vertreterin der gemäßigten Frauenbewegung besseren Lohn und kürzere Arbeitszeit. Aus der Gleichwertigkeit in der Arbeit erwachse bei der Arbeiterin das Bewusstsein des eigenen Wertes. Streik hat viele Formen… Der Streik der Textilarbeiterinnen in Crimmitschau Besonders prägnant war in den ersten Jahren 1904 der Streik der sächsischen Textilindustrie in Crimmitschau. Monatelang stand der 10-Stunden-Kampf der Crimmitschauer Textilarbeiterschaft als einer der größten Arbeitskonflikte der Zeit im Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Der Streik in Sachsen, zu dem sich die Textilarbeiterinnen eigens organisiert hatten, musste am 18. Januar 1904 abgebrochen werden. Fünf Monate hatten sie gestreikt. Dieser Crimmitschauer Streik erweckte selbst in bürgerlichen Kreisen Sympathie und löste eine internationale Solidaritätswelle aus. Die Auseinandersetzungen hatten 1899 begonnen als die Textilarbeiter erstmals forderten, die Arbeitszeit von elf auf zehn Stunden herabzusetzen. Die Arbeit in der Textilindustrie, in der 58 % Frauen beschäftigt sind, gilt als besonders krankheitsfördernd. Schwindsucht, Blutstauungen, Geschwüre an den Beinen, Halsentzündungen und eine überdurchschnittliche Sterblichkeit sowie eine hohe Säuglingssterblichkeit sind die Folgen. 1913 – Gebärstreik, Recht auf eigenen Körper Schon seit der Jahrhundertwende verweigern sich viele Arbeiterinnen, Kinder zu gebären. Sie sehen in diesem Gebärstreik ein politisches Kampfmittel, um den Staat zur Verbesserung des sozialen Elends zu bewegen. In Berlin veranstalten die Sozialdemokraten im August 1913 eine Kundgebung gegen den Gebärstreik. Mehr als 4.000 Menschen sind zusammengekommen, darunter etwa 2.500 Frauen, schätzt die Polizei. Clara Zetkin erklärt, die Partei stehe nicht hinter der Geburtenkontrolle, da für den großen Befreiungskampf der Arbeiterklasse die Massen gebraucht würden. Ein Blick in die Geschichte zeige, dass die aufstrebende Klasse nicht durch Qualität, sondern durch ihre Masse gesiegt habe. Durch den Gebärstreik sei die Zahl der Soldaten für die Revolution gefährdet. Rosa Luxemburg unterstützt den Tenor dieser Rede, indem sie als weiteres Argument anführt, der Standpunkt der Partei sei nicht die Selbsthilfe, sondern die Massenhilfe. Dazu benötige sie jedes Kind. Doch viele Menschen lassen sich durch diese Diskussion nicht überzeugen. Ein Arbeiter aus Berlin-Neukölln ruft unter großem Gelächter in die Versammlung: „Ich möchte mal die Lux reden hören, wenn sie 10 Kinder zu ernähren hätte.“ Viele Arbeiterinnen machen deutlich, dass sie mit Zetkin und Luxemburg nicht übereinstimmen. Viele prominente Ärzte sozialdemokratischer Gesinnung, wie Fritz Brupbacher, Alfred Bernstein und Julius Moses, unterstützen die Idee des Gebärstreiks, dessen Idee ursprünglich aus Frankreich stammt. Ihrer Meinung nach hat die Frau mit dem Gebärstreik das entscheidende politische Kampfmittel in der Hand, mit dem die sozialstaatlichen Mittel, wie Mutter- und Säuglingsschutz, durchgesetzt werden können. 3 Krieg und Frieden Nicht zuletzt angesichts der Verhaftung von Rosa Luxemburg wegen Aufreizung gegen den Militarismus am 20. Februar 1914 beschäftigt sich der Frauentag mit Kundgebungen für den Frieden. Im Jahr 1915 fordern bereits Frauen aus 12 Ländern Frieden mitten in den Wirren der ersten Kriegsjahre. Und auch der Widerstand von Frauen gegen den Krieg vor dem Reichstag ist nicht aufzuhalten. Zwei der ersten Antikriegsdemonstrationen sind Aktionen von Frauen. Sowohl am 18.3. als auch am 28.5. demonstrieren sie vor dem Berliner Reichstag. Sie protestieren für den Frieden und gegen die Teuerung, denn die Lebensmittelpreise sind in Berlin gegenüber der Vorkriegszeit um beinahe 70 % gestiegen, die Butterpreise sogar um 100 %, die Löhne der Industriearbeiterinnen stiegen im Durchschnitt aber nur um 20 %. Während des Krieges dringen die Frauen in immer mehr männliche Berufsbereiche ein, da viele Arbeitsstellen von Frauen besetzt werden müssen und Frauen die Männer bei der Arbeit ersetzen. Meist ist weniger Patriotismus als wachsende wirtschaftliche Not der Grund für die Frauen, eine Arbeit aufzunehmen. Die Kinder werden derweil in sogenannten Kriegskindergärten versorgt. 1916 wird die Steckrübe zum Hauptnahrungsmittel während des härtesten Hungerkriegs im Ersten Weltkrieg. Schwerstarbeit in den Rüstungsbetrieben wird von Frauen geleistet. Die Zahl der weiblichen Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie stieg seit Kriegsbeginn dramatisch am: um 497 % in der Metall- und um 2.217 % in der Maschinenindustrie. Die Arbeitsbedingungen für die Industriearbeiterinnen sind äußerst schlecht, weil die Schutzbestimmungen weggefallen waren als Folge der sogenannten Notgesetze. Zahlreiche Überstunden, Sonntags- und Nachtarbeit sind der Normalfall. 65 % der Metallarbeiterinnen arbeiten täglich 11 bis 12 Stunden für die Hälfte des Männerlohns. Die Arbeiterinnen sind in allen Industriebereichen schlechten hygienischen Verhältnissen ausgesetzt, denn die Betriebe sind nicht auf Frauen eingestellt. Aborte für Frauen fehlen häufig oder sind ekelerregend, wie eine Untersuchung in einer Fabrik für elektrische Zünder in Berlin ergibt. Am 8. März 1917 demonstrieren in der russischen Hauptstadt Petrograd/St. Petersburg Frauen anlässlich des Internationalen Frauentags. In mehreren Textilfabriken treten Arbeiterinnen in den Streik. Schließlich streiken 90.000 Menschen. Am 12. März 1917 mündet die allgemeine Unzufriedenheit wegen der Misserfolge im Krieg, der wirtschaftlichen Not und dem autoritären Zarenregime in einen Aufstand, in die sogenannte Februar-Revolution. Drei Tage später dankt der Zar ab, eine bürgerliche provisorische Regierung wird eingerichtet. Wegen der epochalen Bedeutung dieses Ereignisses wird das Datum des Internationalen Frauentags vom 19.3. für die Zukunft auf den 8.3. festgelegt. Nach dem Ende der Revolution kann Wladimir Lenin 1920 zu Recht behaupten, in zwei Jahren Sowjetmacht wurde in dem rückständigsten Land Europas für die Befreiung der Frau und für ihre Gleichberechtigung mit dem starken Geschlecht so viel getan, wie die fortschrittlichen aufgeklärten demokratischen Republiken der ganzen Welt zusammen nicht getan haben. Die Demobilmachungsverordnungen der Jahre 1919 und 1920 weisen die Unternehmer an, Frauen zur Integration der Soldaten in die Wirtschaft zu entlassen nach einer DringlichkeitsBedürftigkeits-Reihenfolge. Neues Körperbewusstsein In diesen Jahren entsteht auch die Möglichkeit, dass Frauen mehr Körperbewusstsein zeigen dürfen, indem z.B. spezielle Gymnastikübungen und die sogenannte Körperkultur des Weibes entwickelt wurden. Die Frau sollte, insbesondere als berufstätige Frau, den Aufbau ihres Körpers und seine Funktionen studieren und lernen, richtig zu sitzen, zu laufen und zu 4 atmen, um ihre Kräfte vernünftig einzusetzen und sich eine kontrollierte Atemtechnik anzueignen. Die Goldenen 20er Jahre – ein Jahrzehnt mit vielen Widersprüchen Parlamentarismus sorgt für mehr Gleichberechtigung Der offensichtlichste Fortschritt der Frauenemanzipation war die Einführung des Frauenwahlrechts kurz nach dem Ersten Weltkrieg in den meisten europäischen Ländern. Mit einer Wahlbeteiligung von 82% an der Wahl zur Nationalversammlung 1919 und 41 weiblichen Abgeordneten stand die Weimarer Republik, was die Teilnahme von Frauen anging, an der Spitze der Welt. Dieses Ergebnis wurde erst wieder 1983 im Bundestag, in der Weimarer Republik aber nie wieder erreicht. Im ersten Reichstag von 1920 saßen nur noch 37 Frauen, 1924 waren es nur noch 27. Obwohl es 1930 wieder 39 Parlamentarierinnen gab, war ihr Anteil auf 6,7 % gesunken. Dennoch ist die Tatsache, dass in den acht Wahlen zwischen Januar 1919 und Dezember 1932 weibliche Abgeordnete insgesamt 287 mal gewählt wurden, eine stattliche Leistung, insbesondere deshalb, weil der Parteiapparat weiterhin fest in Männerhänden blieb. Als erste Frau Deutschlands wird Gertrud Bäumer Ministerialrätin und betreut im Reichsinnenministerium das Schulreferat. Im Jahr 1918 gründete Gertrud Bäumer zusammen mit Friedrich Naumann die Deutsche Demokratische Partei (DDP). Weitere Abgeordnete der ersten Nationalversammlung waren u.a. Lore Agnes, Clara Zetkin und Mathilde Wurm. Bei den ersten beiden Wahlen von 1919 und 1920 diskutierten die weiblichen Abgeordneten u.a. über die Gründung von Frauenlisten. 1924 dachten sie sogar über die Frage nach, eine eigenständige Frauenpartei zu gründen. Diese Politikerinnen erreichten eine Reihe wichtiger Reformen, die das tägliche Leben von Frauen unmittelbar beeinflussten. Die wichtigsten (Frauen-)Gesetze waren das Jugendwohlfahrtsgesetz von 1922, das erstmals die Jugendfürsorge und die Amtsvormundschaft für uneheliche Kinder regelte, das Heimarbeiterinnengesetz von 1924, das diesen Frauen Sozialversicherung garantierte und die Milderung der Abtreibungsstrafen für Frauen im Jahre 1926. Außerdem zwei wichtige Gesetze von 1927: zum einen das Gesetz für Mutterschutz und Wöchnerinnenfürsorge und das Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Dadurch erhielt das Deutsche Reich zum einen die beste Arbeitsregelung für Mütter und das zweite Gesetz versprach, die doppelte Moral aufzuheben, indem in Zukunft auch Frauen für Prostitution straflos bleiben sollten. Andere Initiativen waren nicht erfolgreich. So forderte die Frauenbewegung z.B. bessere Rechte für uneheliche Kinder und deren Mütter, das Zerrüttungsprinzip im Ehescheidungsrecht und die Gleichstellung der Frau in der Ehe. Das Frauenbild wandelt sich… Das Bild der Frau wandelt sich radikal. Was vor kurzer Zeit noch undenkbar war, wird fast zur Normalität. Frauen mit kniefreien Kleidern, Kurzhaarschnitt und in der Öffentlichkeit rauchend, die Schuhe haben geschwungene Absätze und laufen spitz zu. Der Lebensgenuss nach den Entbehrungen des Weltkriegs und den Wirren zu Beginn der Weimarer Republik ist riesengroß. Die Atmosphäre ist hektisch und die Moden wechseln schnell. Die 20er Jahre sind geprägt von großen Revuen, von Tanzeinlagen, Akrobatik und Kabarett. Notwendiger Bestandteil einer jeden Revue sind die Girls. Die Girl-Kultur hielt 1924 Einzug im Deutschen Reich. Die perfekt gedrillten Tiller-Girls aus London hielten 1924 ihre erste Mammut-Revue in Berlin ab und wurden die Stars der deutschen Vergnügungsmetropole. Die neue Frau der 5 20er Jahre ist ebenfalls vom Tanzfieber ergriffen. Sie tanzt z.B. leidenschaftlich gerne Charleston. Josephine Baker wird als die Königin des Charlestons verehrt. Zum Karneval 1920 verpönt eine Tageszeitung diesen Ehescheidungstanz, weil diese neuen Tänze Bindungslosigkeit und Individualismus ausdrücken. Sogar Ärzte beschäftigen sich damit, wie die Auswirkungen der Charleston-Tanzbewegungen auf den Körper zu bewerten sind. Ein Arzt aus San Franzisko stellte dazu ein Frauenskelett auf und brachte die Glieder in die entsprechenden Tanzpositionen. Im Berlin der 20er Jahre eröffnet Trude Hesterberg die Wilde Bühne, ein literarischpolitisches Kabarett, in dem sie selber auftritt. Mit dem Stummfilm gab es auch die ersten Diven, die in die Weltgeschichte eingingen. So z.B. die polnische Filmdiva Pola Negri, Asta Nielsen, die in eine Männerrolle schlüpft und Hamlet spielt. Dieser Film wurde 1921 uraufgeführt. Oder Lil Dagover, deren Film das Kabinett des Dr. Caligari 1920 uraufgeführt wird. Auch im Sport setzen sich immer mehr Frauen durch. Frauen veranstalteten ihre eigenen olympischen Spiele. Die Idee und Organisation der Frauenweltspiele gehen vom Internationalen Frauensportbund aus, der 1921 aufgrund der Haltung des IOC von Französinnen ins Leben gerufen wurde. Präsidentin des Frauensportverbandes ist Alice Milliat. Und der Bubikopf hält Einzug. Selbstbewusste Frauen tragen in den 20er Jahren den Bubikopf. Seit Asta Nielsen sich für ihre Rolle als Hamlet die Haare kurz schneiden ließ, wird der Bubikopf auch in Deutschland immer mehr zur Selbstverständlichkeit. Zum Entsetzen der Männerwelt. Der Bubikopf, die erste Kurzhaarfrisur für die Frau, orientiert sich am Herrenhaarschnitt und wird in unterschiedlichen Variationen bekannt: als Pagenschnitt, Etonschnitt oder als Windstoßfrisur. Die Kurzhaarfrisur tauchte zum ersten Mal 1913 in Paris auf. Davon beeinflusst schnitt sich die französische Modeschöpferin Coco Chanel drei Jahre später die Haare ab. Frauen werden auch für die Werbung entdeckt. Frauen sind Werbeträgerinnen für Kosmetika, Kleidung, Lebensmittel, technische Haushaltsgeräte. So hält z.B. der Elektroherd Einzug in die Küchen. Elektroherd und Maggi sind vor allen Dingen Werbeprodukte, die die Hausfrau und Mutter ansprechen sollen. Gelegentlich werden Frauen auch für Produkte entdeckt, die bisher den Männern vorbehalten waren, so z.B. Zigaretten und Alkohol. Die neue Frau ist eine Angestellte In den 20er Jahren verpassten sich die Frauen nicht nur einen Bubikopf, sie erobern allmählich auch die Büros in den Städten. In Deutschland gibt es fast 1,5 Millionen weibliche Angestellte, dreimal mehr als 1907. Die Angestellte gilt während der Weimarer Republik als emanzipierte Frau schlechthin – als die typisch neue Frau. Frauen arbeiten als Sekretärinnen, Stenotypistinnen, Verkäuferinnen, in staatlichen Verwaltungsstellen, Banken, Kaufhäusern und Industriebetrieben. Seit Beginn der wirtschaftlichen Stabilisierung 1924 ziehen Frauen, angelockt von etwas höheren Industrielöhnen, in die Stadt. Mit der Ausweitung des Konsumsektors und der Verbreitung von Warenhäusern sind Frauen vor allen Dingen auch als Verkäuferinnen gesucht. Durch die Rationalisierung in den Büros, durch die Schreibmaschine, die Buchungsmaschine und ähnliches, werden viele Arbeiten mechanisiert und Frauen mit ihrem „Finderspitzengefühl“ werden für diese Tätigkeiten als besonders geeignet angesehen. Die Arbeitgeber stellen lieber Frauen als Männer ein, denn auch in den Angestelltenberufen ist der Frauenlohn niedriger als der Männerlohn. Eine weibliche Angestellte verdient durchschnittlich 10 bis 20% weniger als ihr männlicher Kollege. Die Arbeitsplätze im Büro werden bevorzugt von bürgerlichen Frauen eingenommen, da sie ein höheres Sozialprestige haben als z.B. der Beruf der Verkäuferin. Zunehmend versuchen jedoch auch junge Arbeiterinnen Angestelltenberufe zu ergreifen, die mit einem sozialen Aufstieg verbunden sind. Viele Bürotätigkeiten erfordern keine hohe Qualifikation und ver- 6 langen nur eine relativ kurze Anlernzeit. In wenigen Monaten können Frauen Stenografie und Schreibmaschineschreiben erlernen. Die weiblichen Angestellten verbringen ihre Freizeit in den Städten auch nicht zu Hause. Nachtlokale, Tanzpaläste und Kinos sind beliebt. Die Angestellten bilden den größten Teil des Kinopublikums. Es entwickeln sich Frauenmagazine, die auf die Bedürfnisse von Angestellten zugeschnitten sind. Die Leserinnen informieren sich über das neueste Make up oder aktuelle Mode. Täglicher Überlebenskampf mit vielen Facetten… Insgesamt sind 11,6 Millionen Frauen im Deutschen Reich erwerbstätig. In den neuen Produktionszweigen der Metall-, Elektro- oder pharmazeutischen Industrie starten viele Frauen eine Fließbandkarriere. Zwar ist die Zahl der erwerbstätigen Frauen gestiegen, dennoch sind ihre Arbeitsmöglichkeiten kaum verbessert. Der Lohn für Frauen ist nach wie vor wesentlich geringer als für Männer und ein unabhängiges Leben lässt sich damit nicht finanzieren. Die Erwerbstätigkeit ist für viele Frauen lediglich ein notwendiger Zusatzverdienst zur Existenzsicherung der Familie neben dem Gehalt des Mannes. Um das Überleben in der Stadt zu sichern, müssen die Arbeiterinnen neben der Fabriktätigkeit häufig wieder selbst Kleider nähen, Strümpfe stricken und flicken, einkochen, auf dem kleinen Balkon Kaninchen oder Hühner halten und vieles mehr. Der Schrebergarten gewinnt eine lebensnotwendige Bedeutung. In Krisenzeiten können Frauen über Lebensmittelknappheit immerhin noch Erträge aus eigenem Anbau tauschen, z.B. Mithilfe beim Waschtag gegen einen Beutel Erbsen. Besitzlose Frauen dagegen sind darauf angewiesen, ihr Überleben mit Dienstleistungen zu sichern. Da die Arbeiterinnen durch ihre Berufstätigkeit, durch Kinder und Haushalt mehrfach belastet sind, wird die Rationalisierung der Küche gefordert, um die Hausarbeit ökonomisch zu gestalten. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Kampagnen, um die Situation schwangerer Textilarbeiterinnen zu verbessern. Und diese Kampagnen werden auch in den 20er Jahren fortgeführt. 1924 fordert der Deutsche Textilarbeiterverband folgende Schutzmaßnahmen: 1. In den letzten drei Monaten der Schwangerschaft ist Erwerbsarbeit zu verbieten. 2. Die Erwerbsarbeit im 5. und 6. Monat der Schwangerschaft ist auf vier Stunden zu beschränken. 3. Der dadurch entfallende Arbeitsverdienst ist aus Staatsmitteln oder aus einer Kollektivversicherung zu ersetzen. Diese Kampagne wird unterstützt durch eine Zeitungsaktion. Mehrere Wochen lang werden Bilder von Frauen bei jeweils unterschiedlichen Fabriktätigkeiten, die offensichtlich alle belastend für den schwangeren Körper sind, in den Zeitungen abgedruckt. Die Bemühungen des Deutschen Textilarbeiterverbandes führen dazu, dass ab 1. Oktober 1926 die Leistungen der Krankenkasse für Wöchnerinnen verbessert werden. 1927 wird ein Mutterschutzgesetz erlassen. Am 18. Mai tritt die lang erwartete Reform des Abtreibungsparagrafen 218 in Kraft. Statt einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren erhält eine Frau, die abtreibt, nun Gefängnisstrafe. Bei mildernden Umständen sind sogar noch niedrigere Strafen möglich. Seit der § 218 im ersten Reichsgesetzbuch eingeführt wurde, ist die Zahl der illegalen Abtreibungen weiter angestiegen. Insbesondere die Sozialdemokraten hatten 1920 im Deutschen Reichstag einen Antrag zur Fristenlösung gestellt, d.h. Straffreiheit für eine Abtreibung in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft. Insbesondere Helene Stöcker unterstützte diese Bewegung durch ihre 7 Schrift „Fort mit der Abtreibungsstrafe“. Die Bewegung zur Abschaffung des § 218 wird u.a. auch von Persönlichkeiten wie Käthe Kollwitz unterstützt. Die Kommunistinnen fordern mit dem Slogan „Dein Bauch gehört dir“ die Freigabe des Aborts. 1931 werden wegen angeblicher Beihilfe zur Abtreibung in mehr als 150 Fällen die Ärzte Friedrich Wolf und Else Kienle in Stuttgart verhaftet. Spontan entstehen Protestaktionen, die sich zu einer Massenbewegung entwickeln. Und neue Gruppen reihen sich in die § 218Bewegung ein. Hunderttausende Frauen und Männer schließen sich in 800 Kampfausschüssen zusammen, die rd. 1.500 Veranstaltungen organisieren. Frauenärztinnen und –ärzte bekennen sich zur Abtreibung, indem sie Aufrufe „Ich habe abgetrieben“ bzw. „Ich habe einer Frau geholfen“ unterzeichnen. Gegenbewegung mit päpstlichem Segen und neuen Widersprüchen… Papst Pius XI wendet sich in seiner Enzyklika gegen die Geburtenkontrolle und kritisiert die moderne Ehe heftig. Zur Emanzipation sagt er: „Die unnatürliche Gleichstellung mit dem Mann wird sich zu ihrem eigenen (der Frau) Verderben auswirken.“ Die Gegenbewegung lässt auch auf nationaler Ebene nicht lange auf sich warten. Neben dem sozialistischen Frauentag im März setzt sich ab 1923 der Muttertag, die Ehrung der Mütter am zweiten Sonntag im Mai allmählich im Deutschen Reich durch. Mit Gratissträußen und Geschenkaktionen in Krankenhäusern und Altersheimen initiiert der Blumenhändlerverband zum ersten Mal eine großangelegte Werbekampagne. Der Brauch, an einem Tag im Jahr die Mütter zu ehren, stammt ursprünglich aus den USA. Neben der Sitte, der Mutter am Muttertag Blumen zu schenken, setzt sich der Brauch durch, dass der Ehemann und die Kinder wenigstens an diesem einen Tag im Jahr die häuslichen Pflichten übernehmen, die in der Regel der Hausfrau obliegen. Der Muttertag solle ein Zeichen des Dankes sein für die aufopfernde Arbeit der Mütter während des ganzen Jahres. Dieser Muttertag ist auch ein Symbol dafür, dass durch die Erlebnisse des Weltkrieges, die Schmach des Versailler Friedensvertrags und die Verletzung der deutschen Ehre vaterländische und reaktionäre Bewegungen immer wieder neuen Nährboden finden. So entstehen auch rechte und völkisch gesinnte Frauenorganisationen, wie der Deutsche Frauenausschuss zur Bekämpfung der Schuldlüge, der Deutsche Frauenkampfbund, der Stahlhelm-Frauenbund und der Deutsche Frauenbund. Stolz verkünden diese Frauen, dass der Schändung des Vaterlandes ihr mütterliches Verantwortungsgefühl entgegensteht. Entgegen offizieller Leitbilder müssen in den Zeiten der Inflation ab 1923 jedoch immer mehr, bisher nicht erwerbstätige weibliche Familienangehörige mitverdienen. Da sich viele Frauen aber schämen, öffentlich eine Stelle anzunehmen, üben sie Heimarbeit aus. Und für bereits erwerbstätige Frauen bietet Heimarbeit eine zusätzliche und lebensnotwendige Existenzsicherung. Das Heimarbeitergesetz vom Juli 1923 regelt die Sozial- und Krankenversicherung und die tariflichen Mindestlöhne. Diese werden jedoch von den Arbeitgebern immer noch sehr häufig unterlaufen. Zusätzlich müssen die Heimarbeiterinnen die Unkosten für Licht, Versicherung und Steuern tragen. Obwohl die Löhne für Heimarbeiterinnen zu den geringsten überhaupt zählen, sehen viele Frauen in der Heimarbeit die einzige Möglichkeit, Hausarbeit und die Versorgung des erwerbstätigen Mannes und die Beaufsichtigung der zahlreichen Kinder mit der Lohnarbeit zu verbinden. Heimarbeit wird sogar von der bürgerlichen Frauenbewegung zur Zeit der Wirtschaftskrise als Verdienstmöglichkeit propagiert. Wegen der Überlastung betätigen sich diese Frauen jedoch kaum politisch. Mit der Weltwirtschaftskrise werden viele Frauen wieder arbeitslos. Wie die Regierung in anderen Industrieländern Europas, versucht auch die deutsche Regierung durch eine Einschränkung der Frauenarbeit die Arbeitslosigkeit zu mildern. Auch hier unterhalten sie Unterstützung von Papst Pius XI, der im Jahr 1931 verlangt, dass jegliche Berufstätigkeit von Hausfrauen und Müttern sofort eingestellt werden müsse. Am 30. Mai 1932 wird im Deutschen Reich ein Gesetz erlassen, das die verheirateten Frauen aus dem Beruf drängen soll. 8 Heirat bedeutet Aufgabe der Arbeit Obwohl Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte gemäß Art. 128 der Verfassung verboten sind, werden in Deutschland Beamtinnen bei Heirat oder wenn sie ein uneheliches Kind haben oder bekommen entlassen. Diese diskriminierende Sonderregelung wird durch die sogenannte Personalabbauverordnung (PAV) noch legalisiert. Zwar sind nach diesem Gesetz Frauen wie Männer im Beamtendienst von der Entlassung betroffen, doch durch die Bestimmungen des Art. 14 ist vor allem die Entlassung von weiblichen Beamten erleichtert worden. Der Art. 14 lautet folgendermaßen: „Das Dienstverhältnis verheirateter weiblicher Beamter und Lehrer im Dienste des Reiches, der Länder und Gemeinden kann jederzeit am 1. Werktag gekündigt werden, sofern nach dem Ermessen der zuständigen Behörde die wirtschaftliche Versorgung des weiblichen Beamten gesichert erscheint. Dies gilt auch bei lebenslänglicher Anstellung.“ Diese Personalabbauverordnung ging einher mit einer sogenannten DoppelverdienerKampagne, mit der verheiratete Frauen grundsätzlich aus dem Erwerbsleben gedrängt werden sollten. In Zeiten wirtschaftlicher Rezession wird Frauenarbeit als unnötiger Doppelverdienst angesehen. Der Männerlohn allein reiche aus, um eine Familie zu versorgen. Frauenarbeit hingegen raube einem Familienvater Brot und Lebenshoffnung, verkündigt der Reichsarbeitsminister. Die Entlassung der Beamten und Beamtinnen erfolgt im Zuge der Inflation und der finanziellen Engpässe des Staates, der Personalkosten einsparen will. Art. 14, der nur Frauen betrifft, bleibt auch noch in Kraft, als die Personalabbauverordnung am 4. August 1925 wieder aufgehoben wird. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise wird im Jahr 1932 das Beamtinnenzölibat legalisiert. G:\Frauen\8MÄRZ\2011\101102-t-cme-Frauenbewegung_1900-1931.doc 9