in bewegung bleiben

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in bewegung bleiben
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In Bewegung bleiben
Würde man die Frage stellen: „Was bewegen Frauen in
Lateinamerika?“, lautete die Antwort darauf denkbar
einfach: Zunächst einmal bewegen sie sich selbst.
Wenn man den wutschnaubenden bis hämischen
Reaktionen glauben darf, brachten es allein schon dadurch die ersten unter ihnen fertig, das Establishment
gründlich zu erschüttern.
Text: Gabriele Küppers
Unbequem: Frauen
protestieren gegen
den Einsatz von
Pestiziden auf
Bananenplantagen.
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er Skandal ereignete sich im
April 1973 im peruanischen
Lima. Die dort ausgetragene
Wahl der Miss Peru hatte Frauen zum
gemeinsamen lautstarken Protest auf
die Straße gebracht. Heftiger hätten die
Anfeindungen, die ihnen entgegenschlugen, kaum ausfallen können:
„Man müsste diese hässlichen Demonstrantinnen zu einer Versammlung einladen“, schrieb Limas Tageszeitung Ultima Hora, „um ihnen den
Gebrauch von Kölnisch Wasser, Shampoo und Frisieren nahe zu bringen, um
die Dicken zu ein wenig Sport und die
Dünnen zu etwas Extrakost zu überreden. (…) Kühlschranksdicke und Sanatoriumsdünne zogen in den Krieg gegen Harmonie, sanfte Rundungen,
zarte Haut und die Schönheit einiger
wunderbarer junger Damen, deren
Todsünde ihre Jugend ist und deren
unverzeihliches Verbrechen darin besteht, das Leben dort zu schmücken,
wo es die Gegenwart und das Wesen
gewisser anderer Frauen unerträglich
machen.“
Die Forderungen der Frauen, deren
Presente dezember 2009
Handeln das Establishment so gründlich erschütterte, betrafen – da unterschieden sie sich in keiner Weise von
denen, die Frauen hierzulande in den
1970er Jahren vortrugen – die Befreiung des weiblichen Körpers, die Verweigerung eines von Männern diktierten
Schönheitsideals, die Ablehnung von
psychischer und physischer Gewalt gegen Frauen. Mit dieser Perspektive entwickelten sie in den folgenden Jahren
Forderungen, die sich auf Körperpolitik
bezogen, auf die sexuelle Selbstbestimmung, auf die Freigabe der Abtreibung
sowie auf freien und kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln.
Neue Frauenbewegung
Das Beispiel Peru ist für die Entstehung der neuen Frauenbewegung insbesondere in einer Hinsicht illustrativ: In dem Land waren in den 1970er
Jahren die Linksparteien sehr aktiv.
Die Gründerinnen der peruanischen
Frauen- und feministischen Bewegung
waren vielfach Frauen, die in und mit
diesen Parteien politische Veränderungen durchsetzen wollten, innerpar-
teilich aber auf patriarchalen Granit
stießen und am Ende genervt austraten.
Die Frauen verließen die Parteien allerdings nicht, weil sie ihre Interessen darin nicht mehr vertreten sahen, sondern
weil sie feststellten, dass die Herren
Genossen die klassische geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ungerührt
reproduzierten und männerbündisches
Verhalten an den Tag legten.
Revolutionäre Prozesse
In Nicaragua, wo Ende der 70er Jahre
die aufständischen SandinistInnen gesiegt hatten, entwickelte sich zunächst
eine Frauenbewegung in strikter Abhängigkeit vom Sandinismus. Der sandinistische Frauenverband AMNLAE
fungierte als Transmissionsriemen
sandinistischer Politik. Erst 1987 entstanden eigene Organisationen außerhalb des offiziellen Sandinismus mit
feministischen Inhalten. Als die SandinistInnen 1990 die Wahlen verloren,
war die Frauenbewegung außerordentlich aktiv, stellte Forderungen an die
neuen MachthaberInnen, rechnete aber
auch mit den Macho-Sandinisten ab.
In El Salvador – ähnlich wie in Guatemala – fungierten in den 80er Jahren Frauenzentren, die sich zunehmend auch
feministisch nannten, alle in irgendeiner Weise als Vorfeldorganisationen der
Guerilla. Das prägte. „Dank des Krieges
kamen wir aus den Küchen heraus, wo
wir uns nur die Hände verbrannten;
dank des Krieges haben wir uns als Personen entwickelt, und wir wollen nicht,
dass alles, was wir an Partizipation und
Entwicklung angehäuft haben, verloren
geht“, begründete später etwa Morena
Herrera, eine der Gründerinnen der
Frauenorganisation Dignas, ihr feministisches Engagement. Erst um 1990
herum brach die Gemeinsamkeit mit
der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) zusehends auf.
Die Botschaft der Frauen lautete, dass
eine Gesellschaft sich erst ändert, wenn
sich auch die Geschlechterhierarchie de
facto ändert – und das war in den militärischen Organisationen trotz Glorifizierungen nicht der Fall. Doch bei den
Guerillakämpferinnen hatte sich ein
Bewusstseinswerdungsprozess in Gang
gesetzt, der der keimenden Frauenbe-
Gegen Gewalt:
„Frauen im
Widerstand“,
verkündet das
Transparent
gegen den
Putsch in Honduras.
Presente dezember 2009
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mung dieser Zeit hat sich zweifellos
auch in der heterogener gewordenen
Frauenbewegung niedergeschlagen.
Der Feminismus verschwand vielerorts in Lateinamerika von der Straße
in die Projekte. Erst der in weiten Teilen weibliche Widerstand gegen den
Putsch in Honduras Ende Juni dieses
Jahres hat für neue, ungeahnte Facetten im allgemeinen Bild gesorgt.
Neoliberales Wischiwaschi
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wegung in Zentralamerika wegweisende Impulse gab.
Frau ist nicht gleich Frau
Die Entwicklung in Zentralamerika zu Beginn der 90er Jahre bestätigt
noch einmal, was schon für die erste
Welle der lateinamerikanischen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert gegolten hatte: Erst wenn eine Gesellschaft
in Bewegung gerät, ist Platz für Frauen,
eigene Forderungen zu stellen. In einer
Kriegssituation sind die Fronten verhärtet und ist der Platz von Freund und
Feind klar. Die Emanzipation der vormals bereits in der Befreiungsbewegung
aktiven Frauen Zentralamerikas führte
sie geradewegs in die Autonomie. In
den 90er Jahren haben sich die Frauenbewegungen Lateinamerikas weit von
der Aufbruchseuphorie früherer Jahre
entfernt. Die allgemeine politische Läh-
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Dr. Gabriele Küppers, geboren 1957,
arbeitet als Referentin für internationalen Handel und für Lateinamerika bei
der Grünen Fraktion im Europäischen
Parlament.
Fotos: CIR-Archiv
Dieses FSLN-Plakat
zum zehnten Jahrestag der Revolution in Nicaragua
1989 zeigt die zwiespältigen Rollen,
die Frauen als Hüterin des „Vaterlandes“ und als
Revolutionärin
zugewiesen wurden: Aufopfernde
Mutter und kämpfende Guerillera in
einem.
Zu überlegen ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Gender-Debatte, die in beträchtlichem Maße über
Vergaberegeln multilateraler Organisationen und geldgebender Hilfswerke nach Lateinamerika getragen
worden ist, den Feminismus nicht
ausdünnt. Denn Frauen kommen darin in erster Linie als Entwicklungsressource und Investitionspotenzial
zur Produktivitätssteigerung vor.
Die Forderung nach Partizipation
und Gleichberechtigung innerhalb
eines leistungsorientierten Systems
verwässert, so Kritikerinnen, die
Forderung nach fundamentaler Veränderung des patriarchalen Gesellschaftssystems.
Wenn die Forderung, dass die Gesellschaften grundsätzlich frauengerechter werden müssen, weiterhin
Gültigkeit hat, ist die spannende und
unumgängliche Frage, in welchen
Zusammenhängen Frauen dies künftig bewerkstelligen wollen. Oder anders ausgedrückt: Wie bleiben Frauen
in Bewegung? ■