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Grenzüberschreitende Anerkennung von Berufsqualifikationen die Anerkennung nichtakademischer Berufsabschlüsse bei grenzüberschreitendem Arbeiten in Kärnten und Friaul-Julisch Venetien Vergleich des Systems industrieller Beziehungen und der Abkommen in der Eures-T-Region Euralp Kärnten/Friaul-Julisch Venetien Wien, Dezember 2002 Projektteam im öibf: Claus Pirschner, Rudi Bertagnolli ÖIBF – Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung Wipplingerstraße 35/4, A-1010 Wien Tel.: 0043/(0)1/310 33 34 E-Mail: [email protected] Internet: www.oeibf.at Unterstützt durch die Europäische Kommission, GD V im Rahmen einer Maßnahme in EURES-EURALP Die Studie ist Besitz des Herausgebers. Nachdruck, Verwendung von Erkenntnissen, Entnahmen von Tabellen und Grafiken erwünscht, aber – auch auszugsweise – nur unter Angabe der Quelle (Herausgeber, AutorInnen und Titel) gestattet. Impressum: Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich: Österreichischer Gewerkschaftsbund, Landesexekutive Kärnten, Bahnhofstraße 44, A-9020 Klagenfurt Tel.: 0043/(0)463/5870-332 E-mail: [email protected] Internet: http://www.oegb.at/ Bei etwaigen Fragen wenden Sie sich bitte an: Monika Moser, Tel.: 0043/(0)1/463/057878-2043, oder an Othmar Krakolinig, Tel.: 0043/(0)1/463/5870-341 2 Inhaltsverzeichnis Einleitung ...............................................................................................4 Italienische ArbeitnehmerInnen in Kärnten ...............................................6 Einführung............................................................................................6 Auswertung der Interviews ......................................................................7 Ursachen der niedrigen Mobilität .............................................................9 Sprachkompetenzen ............................................................................. 10 Motivationen....................................................................................... 10 Vorbereitungen.................................................................................... 12 Nach dem Grenzübertritt: Erste Erfahrungen mit Arbeit und Qualifikation ..... 12 Spätere Erfahrungen mit Arbeit und Qualifikation ..................................... 14 Formelle Anerkennung von Qualifikationen .............................................. 16 Bauwesen ........................................................................................... 17 Zusammenfassung ..............................................................................18 Conclusio ...........................................................................................19 Österreichische ArbeitnehmerInnen in Friaul-Julisch Venetien ..................20 Einführung.......................................................................................... 20 Auswertung der Interviews .................................................................... 21 Ursachen der niedrigen Mobilität ........................................................... 22 Sprachkompetenzen ............................................................................. 23 Motivationen....................................................................................... 24 Vorbereitungen.................................................................................... 25 Nach dem Grenzübertritt: Erste Erfahrungen mit Arbeit in Italien ................ 26 Spätere Erfahrungen mit Arbeit und Qualifikation ..................................... 28 Formelle Anerkennung von Qualifikationen .............................................. 29 Zusammenfassung ..............................................................................31 Conclusio ...........................................................................................32 3 Einleitung Die Studie erläutert Chancen auf Anerkennung nichtakademischer Berufsabschlüsse bzw. Berufsqualifikationen bei grenzüberschreitendem Arbeiten in Kärnten und Friaul-Julisch Venetien. Ist die erzielte Berufsqualifikation im jeweils anderen Land gültig ? Die Studie basiert auf qualitativen Interviews mit grenzüberschreitenden ArbeitnehmerInnen über deren Bildungsund Erwerbsbiografien. Die Untersuchung versteht sich als Fortsetzung des BeraterInnenhandbuches „Qualifikationsvergleich Kärnten und Friaul-Julisch Venetien“1, wo ein Überblick über das allgemeine und das berufliche Bildungswesen in Italien und Österreich sowie ein Überblick über EU-Richtlinien zur Anerkennung von Berufsabschlüssen gegeben wurde. In Kärnten wurden Interviews mit italienischen ArbeitnehmerInnen in den Bereichen Gaststättenwesen und Einzelhandel, in Fabriken der Metallbe- und verarbeitung sowie der Halbleiterproduktion und in einem Holzverarbeitungsbetrieb geführt. In Friaul-Julisch Venetien wurden österreichische ArbeitnehmerInnen in den Bereichen Metallindustrie, Holzindustrie, Landwirtschaft, Einzelhandel, Gaststättenwesen und Reinigung interviewt. Alle InterviewpartnerInnen arbeiteten in Bereichen, in denen zurzeit keine EUweiten Anerkennungsregelungen für Berufsqualifikationen von ArbeitnehmerInnen existieren. Es gibt auch keine bilateralen Abkommen zwischen Italien und Österreich (ausgenommen mit Südtirol) bezüglich der Anerkennung der Berufsqualifikationen der InterviewpartnerInnen. Die formelle Anerkennung der Qualifikationen kann in Österreich beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit beantragt werden2. Möglich sind die direkte Gleichhaltung von Lehrabschlüssen, verkleinerte Lehrabschlussprüfungen oder das Nachholen des österreichischen Lehrabschlusses über den Zweiten Bildungsweg. Voraussetzung für die formelle Anerkennung der beruflichen Qualifikationen in Italien ist der Nachweis einer entsprechenden Berufserfahrung (von einem bis drei Jahren); sollte diese Berufserfahrung nicht ausreichend sein oder gänzlich fehlen, kann die zuständige Behörde die Absolvierung eines Anpassungslehrgangs oder einer Eignungsprüfung verlangen. Die für die Anerkennung zuständigen Behörden sind unterschiedliche Ministerien. Für allgemeine Informationen und um zu erfahren, welche Behörde genau für einen bestimmten Beruf zuständig ist, wendet 3 man sich am besten an das Präsidium des Ministerrates . Die Formulare für den 1 Österreichischer Gewerkschaftsbund, Landesexekutive Kärnten (Herausgeber): „BeraterInnenhandbuch. Qualifikationsvergleich Kärnten und Friaul-Julisch Venetien.“ Wien, Dezember 2001. 2 Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Kontakt: Andrea Spiesz. Stubenring 1, 1010 Wien, Tel.: 01-71100-5613, E-Mail: [email protected], Internet: http://www.bmwa.gv.at (Rubrik Service, Lehrlingsservice) 3 Presidenza del consiglio dei ministri (Präsidium des Ministerrats) Dipartimento politiche comunitarie (Abteilung für gemeinschaftliche Politik), Kontakt: Dr. Armanda Bianchi Conti, Via del Giardino Theodoli 66, 00186 Rom, Telefon 0039 06 67795322, Fax 0039 06 67795342, www.politichecomunitarie.it (auch auf Englisch) 4 Antrag auf Anerkennung und die erforderlichen Dokumente sind je nach Beruf unterschiedlich. Als faktische Anerkennung ist im folgenden die Anerkennung der Qualifikation des/der ArbeitnehmerIn durch den/die ArbeitgeberIn gemeint. Eine faktische Anerkennung kann auch ohne formelle Anerkennung erfolgen. Das heißt, dass zum Beispiel eine Einzelhandelskauffrau aus Italien auch in Österreich am Arbeitsplatz als Einzelhandelskauffrau und nicht als Hilfskraft eingestuft wäre, auch wenn sie keine formelle Anerkennung in Österreich nachweisen kann. Erfahrungen, Hürden und Best Practices wurden in den Interviews über folgende Fragestellungen erfasst: - Motivationen für die Arbeitsmigration: Beweggründe für die Arbeitsmigration? - Vorbereitung: Welche Vorbereitungen wurden vor der Arbeitsmigration hinsichtlich eines Arbeitseinstiegs (auf dem eigenen Qualifikationsniveau) im Zielland getroffen? - Anerkennung von Qualifikationen: Welche waren die ersten Erfahrungen nach dem Grenzübertritt am Arbeitsmarkt in Bezug auf die Anerkennung von Qualifikationen? Wie sah es hinsichtlich formeller und faktischer Anerkennung von Bildungsabschlüssen/ Berufsqualifikationen nach längerer Zeit aus? Wie wurde grenzüberschreitenden Arbeit Suchenden am Arbeitsmarkt begegnet? Wie und auf welchem Qualifikationsniveau fanden die grenzüberschreitenden ArbeitnehmerInnen ihre Beschäftigung? Gab es Beratungsstellen, die bei Schwierigkeiten aufgesucht werden konnten/wurden? Wenn ja, wie war die Qualität der Beratung? - Notwendigkeit von und Möglichkeiten zur Qualifikationsanpassung: Inwiefern waren für die grenzüberschreitenden ArbeitnehmerInnen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Qualifikationsanpassung gegeben? Welche waren die 5 Italienische ArbeitnehmerInnen in Kärnten Einführung Der Datenbestand des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger weist insgesamt lediglich 388 ArbeitnehmerInnen mit italienischer StaatsbürgerInnenschaft für das Bundesland Kärnten aus. Wieviele der italienischen Beschäftigten aus welchen italienischen Regionen stammen, wird nicht erhoben. Die meisten Beschäftigten sind in den Wirtschaftsklassen Beherbergungs- und Gaststättenwesen, Sachgütererzeugung, Realitätenwesen, Bauwesen und Handel anzutreffen. Übersicht 1: Beschäftigte mit italienischer StaatsbürgerInnenschaft in Kärnten nach Wirtschaftsklassen im Juli 2002 Wirtschaftsklasse Beschäftigte gesamt Alle Wirtschaftsklassen Beherbergungs- und Gaststättenwesen Sachgütererzeugung Realitätenwesen, Vermietung beweglicher Sachen, unternehmensbezogene Dienstleistungen Bauwesen Handel, Instandhaltung + Reparatur KFZ u. Gebrauchsgüter Verkehr- und Nachrichtenübermittlung Sonstige öffentliche und private Dienstleistungen Unterrichtswesen Kredit- und Versicherungswesen Öffentliche Verwaltung, Landesverteidigung, Sozialversicherung Gesundheits-, Veterinär-, Sozialwesen Restliche Wirtschaftsklassen ArbeiterInnen davon gesamt Frauen 388 106 110 34 Angestellte davon gesamt Davon Frauen Frauen 213 50 175 56 105 33 5 1 62 59 10 16 32 5 2 3 30 54 8 13 50 47 10 11 47 16 9 1 3 31 1 10 18 9 2 1 16 8 10 2 2 0 8 2 8 6 5 0 1 0 1 0 7 6 4 0 5 3 0 0 5 3 5 4 0 0 5 4 8 2 3 0 5 2 Quelle: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, GKK Kärnten, Statistikdatenbank 6 Auswertung der Interviews Es wurden insgesamt 17 italienische Beschäftigte mit nicht-akademischen Bildungsabschlüssen in Kärnten interviewt. Der überwiegende Teil der Befragten stammt aus Friaul-Julisch Venetien. Zum einen wurden InterviewpartnerInnen über Recherche lokaler Gewerkschaftsorganisationen und deren BetriebsrätInnen eruiert. Zum anderen wurden InterviewpartnerInnen über informellere Methoden (Recherche bei italienischen Restaurants und Gelaterie, über Bekannten-, Freundes- oder Verwandtschaftsnetze von InterviewpartnerInnen und des Interviewenden) ausfindig gemacht. Übersicht 2 zeigt kurze biographische Profile der InterviewpartnerInnen. Namen und detailliertere Angaben wurden aus Anonymitätsgründen verändert bzw. nur eingeschränkt dargestellt. Mehr als ein Drittel der InterviewpartnerInnen erlangte ihre Berufsqualifikation durch eine in Italien übliche Lehre im Betrieb ohne begleitende Berufsschule und Lehrabschlussprüfung – im Text zumeist als faktische Qualifikation bezeichnet. Teilweise wurde diese Berufsqualifikation dann in Österreich von den Arbeitgebern nicht als Lehrabschluss anerkannt. Eine Einstufung unter dem eigenen Qualifikationsniveau war die Folge. Übersicht 2 Biografische Profile Name Bildung/ Qualifikation Marcello, 45, wohnhaft und Arbeit in Villach Andrea, 24, wohnhaft und Arbeit in Villach - Pflichtschule - gelernter Pizzakoch (in Restaurant) - Pflichtschule - Koch (3-jährige Schule plus 2-mal 2 Monate Praktikum: zum spezialisierten Kochhelfer; dann in Restaurant zum Koch) - Pflichtschule - Koch (4-jährige Berufsfachschule, Abbruch nach 2. Klasse; dann in Betrieb zum Koch ausgebildet) - Pflichtschule - 2-Jahres-Vertrag über Ausbildung und Arbeit: Gaststätten- und Beherbergungswesen + Giacomo, 30, wohnhaft und Arbeit in Klagenfurt Ronaldo, 45, wohnhaft und Arbeit in Oberkärnten Arbeit Italien & Ausland außer Österreich - Pizzakoch Arbeit Österreich - Koch ab 1979: Pizzakoch, dann angelernter Hilfsarbeiter ab 2003: (Hilfs)koch - Kochhilfe, Koch ab 1996: Koch - Koch/Kellner Lehrling ab 1977: bis zum Maitre d′Hotel im Service in der Schweiz ab 1992: Hilfskraft Hotel, dann Fabrikarbeiter, dann Kellner, dann Fahrverkäufer (von 7 Claudio, 31, wohnhaft und Arbeit in Villach Paola, 24, wohnhaft und Arbeit in Klagenfurt Fabrizio, 31, wohnhaft und Arbeit in Spittal/Drau Massimo, 46, wohnhaft in Arnoldstein, Arbeit in Villach Laura, 25, wohnhaft und Arbeit in Villach Lorenzo, 24, wohnhaft und Arbeit in Villach Renato, 47, Tagespendler, Arbeit in Oberkärnten Giulio, 32, Tagespendler, Arbeit in Oberkärnten Tomaso), 33, Tagespendler, Arbeit in Oberkärnten Gianna, 43, Tagespendlerin, Praktikum; in Betrieb zu hochgearbeitet Koch/Kellner - Koch/Kellner-Lehrling in Betrieb Lebensmitteln) - Handelsfachoberschule (5 Jahre, Matura), Buchhalter - Fachoberschule für Tourismus zum „Operatore Turistico“ (5 Jahre mit Matura) - Pflichtschule - Mechanikerausbildung (Vertrag über Ausbildung und Arbeit: 2-jährige Lehre in Betrieb), gelernter Tischler in Betrieb - Pflichtschule - in Lebensmittelgeschäft zum Einzelhandelskaufmann ausgebildet Buchhalter ab 1999: Eisverkäufer in Deutschland Rezeptionistin, Verkäuferin ab 2002: Eisverkäufer gelernter Tischler, Eisverkäufer (Italien, später Deutschland) ab 1999: Eisverkäufer (de-facto-Inhaber) ab 2002: Eisverkäuferin Einzelhandelskaufman ab 1987: Hilfsarbeiter n in Fabrik, dann Magazineur, dann Hilfsarbeiter im Einzelhandel, dann Einzelhandelskaufman n und Betriebsrat - Handelsfachoberschule Einzelhandelskauffrau ab 2002: (Matura) Einzelhandelskauffrau - Einzelhandelskauffrau (nach 3 Jahren Lehre in Betrieb) - Gymnasium mit Aushilfe Einzelhandel, ab 1999: Matura Österreichvertretung Einzelhandelskaufman von n Bekleidungsfirmen - Fachschule für Kunst: Tischler (19 Jahre, ab ca. 1995: Maturaabschluss zum genaue Einstufung angelernter Tischler Graphiker unbekannt) - gelernter Tischler (in Betrieb) - Pflichtschule Förster ab 1994: angelernte - Försterschule Hilfskraft in Fabrik - Pflichtschule - Försterschule Förster, Hilfskraft in der Gastronomie, Hilfsarbeiter (Fabrik, Bau) - Pflichtschule Facharbeiterin/Handw Facharbeiterin/Handwer erkerin ab 1994: angelernte Hilfskraft in Fabrik ab 1995: Angelernte Hilfskraft in Fabrik 8 Arbeit in Oberkärnten Mauro Tagespendler, Arbeit in Oberkärnten Renaldo, 47, Tagespendler, Arbeit in Oberkärnten Sergio, 27, wohnhaft und Arbeit in Villach kerin in Tapeziererfirma (erlernt im Betrieb) - Pflichtschule - Installateur in staatlicher Berufsfachschule - Pflichtschule - staatliche Berufsfachschule (5 Jahre); angelernter Maurer und Polier - Pflichtschule (2 Jahre Gymnasium) - Skilehrer, Skiabfahrer Tapeziererfirma (Schweiserei) Hilfsarbeiter, Facharbeiter („Sondatore“ bei Bohrungen) - Maurer, Polier (in Afrika, Saudiarabien, Russland, etc.) ab 1994: angelernte Hilfskraft in Fabrik (faktische Facharbeit) Skilehrer, professioneller Skirennfahrer, Forstwache ab 1994: Angelernte Hilfskraft in Fabrik und Betriebsrat ab 2002: Spenglerlehrling Ursachen der niedrigen Mobilität Auf die Frage nach den Ursachen der niedrigen Mobilität von ArbeitnehmerInnen zwischen Kärnten und Friaul-Julisch Venetien gaben die InterviewpartnerInnen folgende Erklärungen ab: Nach Ansicht mehrerer InterviewpartnerInnen bietet der Arbeitsmarkt in Friaul-Julisch Venetien bzw. Norditalien zumeist genügend Möglichkeiten, um einen Arbeitsplatz zu finden. „Es gibt Arbeit, vielleicht nicht entsprechend der eigenen Qualifikation und nicht gut bezahlt, aber Arbeit ist vorhanden“ erzählte Claudio aus Forne. Österreich ist kein traditionelles Migrationsland für ItalienerInnen, sondern andere Staaten, die schon länger Teil der EU sind. Claudio: “Schon vor 20 Jahren gab es viel Arbeiter, die aus Friaul entweder in die größeren Städte wie Udine oder in die Schweiz, nach Deutschland oder Frankreich, aber wenig nach Österreich gegangen sind. Für viele gibt es da noch eine Grenze im Kopf. Deutschland ist dann näher.“ Die traditionelle Arbeitsmigration in andere EU-Staaten setzt sich wahrscheinlich heutzutage durch Kettenmigration in diese anderen EU-Länder fort. Durch internationalisierte Bekannten-, Freundes- und Verwandtschaftsnetze entstand die Kettenmigration. Claudio erwähnte auch die gering ausgeprägte oder zumindest wenig sichtbare multikulturelle Gesellschaft als Ursache, nicht nach Kärnten zu migrieren: „Man fühlt sich an vielen Orten in Kärnten, in Österreich besonders als Ausländer. Weniger in Wien oder Grenzstädten wie Villach. Aber anderswo sind mehr andere Ausländer etwa in Deutschland die Türken und Kroaten.“ Das Fehlen guter Deutschkenntnisse bei ItalienerInnen sowie das Fehlen von Italienischkenntnissen beim Großteil der Kärntner Bevölkerung wurden als weitere Ursachen genannt. Lorenzo aus Tarvisio: „Die Sprache wird ein Problem sein. Es wird nicht überall in Friuli-Venezia Giulia oder im Veneto Deutsch gelernt. Auch Freunde von mir, die Deutsch sprechen können, kommen nicht nach Kärnten arbeiten. Sie bleiben lieber am Markt in Tarvis, weil sie die [deutsche] Sprache doch nicht so gut beherrschen. Zum Fortgehen kommen sie schon, zum Beispiel nach Velden. In Villach kennen viele [Freunde] das 9 - - Nightlife besser als ich.“ In Kärnten spräche fast niemand italienisch, während im italienischen Grenzgebiet viele Deutsch sprechen würden. Viele ItalienerInnen lebten verheiratet in Kärnten und pendelten aber fürs Arbeiten nach Friaul-Julisch Venetien. „Vielleicht sind sie so drinnen [in der Arbeit], dass wo anders etwas [Neues] zu wagen..Das ist nicht so einfach.“ (Massimo) Die Lebens- und Arbeitsweise wurde in Italien als „lockerer“ eingestuft. Das „steifere“ Arbeiten in Österreich dürfte abschrecken. Sprachkompetenzen Die Deutschkenntnisse der InterviewpartnerInnen waren unterschiedlich gut. Fortgeschrittene Deutschkenntnisse wiesen eher die italienischen Beschäftigten auf, die direkt aus dem Grenzgebiet stammten und wenn sie dort schon Tätigkeiten mit Kontakt zu österreichischen Kunden, also im Einzelhandel oder im Gaststättenund Beherbergungswesen nachgegangen waren. Aber auch diese angeführten Personenmerkmale boten keine Garantie für gute Deutschkenntnisse. Andrea, 24, stammt aus Tarvis und seine Deutschkenntnisse waren so gering vorhanden, dass das Interview auf Italienisch geführt werden musste. Die Befragten aus dem Grenzgebiet gaben an, Deutsch zwar in der Schule als Pflichtfach gehabt zu haben, gelernt hätten sie es aber verstärkt erst in der Arbeit in Italien oder gar erst in Kärnten. Den InterviewpartnerInnen aus einem Dorf an der Grenze war ein altdeutscher Dialekt der älteren Bevölkerung vertraut. Bessere Deutschkenntnisse hatten auch jene, die schon Jahrzehnte in Österreich lebten. Personen, die nicht nahe an der Grenze zu Österreich wohnten, hatten zumeist keinen Deutschunterricht in der Schule und wiesen eher geringere Deutschkenntnisse auf. Sie lernten es in Kärnten im Alltag und in der Arbeit oder in der Schweiz oder Deutschland, wenn sie dort vorher gearbeitet hatten. Deutschkurse in Kärnten wurden nur von einem Befragten – Marcello – besucht. Er hat im Jahr 2002 im Betrieb zwei Deutschkurse in Lesen und Schreiben besucht. Vor allem im Gaststättenwesen gaben die InterviewpartnerInnen an, für einen Kurs neben der Arbeit keine Zeit gehabt zu haben. Aber Claudio, Eisverkäufer in Villach, wünschte sich eine Perfektionierung in Deutsch: “Mir fehlt die Perfektionierung. Ich will eine Sprachqualifikation.“ Motivationen Ökonomische Gründe, Lust auf Veränderung, familiäre bzw. partnerschaftliche Beziehungen, Nähe zum Heimatort und Verbesserung der Sprachkompetenz waren Motivationen für das grenzüberschreitende Arbeiten bei den InterviewpartnerInnen. 10 Ökonomische Gründe und die geographische Nähe zu Kärnten traten häufig in Kombination als Motivationen auf: fünf ArbeiterInnen aus einem italienischen Grenzdorf pendeln täglich über die Grenze, vor allem aufgrund des Mangels an Arbeitsmöglichkeiten in der unmittelbaren Umgebung des Dorfes. Die nächstgelegenen Arbeitsplätze waren eben am ehesten über der Grenze im nächsten österreichischen Ort zu finden. Ebenso war für InterviewpartnerInnen aus dem Gebiet um Tarvis, also direkt an der Grenze, Villach einfach die nächste größere Stadt mit Arbeitsmöglichkeiten. „Ich habe den Studienplatz an der Filmakademie nicht bekommen. Dann habe ich gedacht, ich suche einen Job in Villach. Das ist eine größere Stadt gleich bei Tarvis. Die andere größere Stadt wäre Udine. Aber die ist ein bisschen weiter weg. Ich habe mit der Grenze und mit der Sprache kein Problem. Sowieso jetzt mit der EU“, so ein 24jähriger Einzelhandelskaufmann aus Tarvis. Die InterviewpartnerInnen gaben an, dass Arbeit in Friaul-Julisch Venetien gefunden werden kann, aber eben nicht immer die passende und nicht für das ganze Jahr. Ein 24-jähriger Koch etwa hatte vor, weiterhin in Tarvis zu arbeiten, weil es nicht weit von seinem Zuhause liegt. Er hatte auch Arbeit, aber nur Saisonarbeit: „Es ist schon auch schwierig dort, Arbeit zu finden. Saisonarbeit habe ich schon gefunden, aber eine Ganzjahresanstellung zu finden ist schwierig. Hier bin ich jetzt fix angestellt.“ Vielfach führten die InterviewpartnerInnen an, dass sie auch wegen der höheren Verdienstmöglichkeiten und besseren Arbeitszeiten in Kärnten Arbeit gesucht haben: „In Österreich verdienst du mehr als in Italien. Du hast bessere Arbeitszeiten. Die Mittagspause ist kürzer. Du hast dadurch mehr Zeit fürs Leben hier! Die Sonn- und Feiertagsregelungen sind hier besser. Du musst nicht arbeiten“, sagte eine Einzelhandelskauffrau. Und ein Spenglerlehrling ergänzte: „Ich habe einen Job für den Sommer gebraucht [Winter: Arbeit als Skilehrer]. Ich wollte ein Handwerk lernen, bei der Arbeit viel an der frischen Luft sein. Ich habe in Freundeskreisen gefragt, ob wer eine Stelle weiß. Ein Freund meiner Freundin hatte einen Lehrlingsplatz zum Spengler. Die anderen Arbeitszeiten, der höhere Lohn, die Arbeitsqualität – das ist besser hier. In Italien ist die Arbeit schlampiger. In Italien gibt es ja gar keine Lehre wie hier. In Friaul gibt es auch kaum Spengler.“ Auf die Partnerschaft bezogene bzw. familiäre Gründe in Kombination mit anderen Gründen stellten ebenso eine Motivation dar. Lauras Freund Lorenzo – beide im Einzelhandel tätig – arbeitete schon vor ihr in Villach. Zum Interviewzeitpunkt wohnten beide in Villach und arbeiteten im Einzelhandel. Ronaldo arbeitete schon drei Jahre in der Gastronomie in der Schweiz und war dort mit einer Kärntnerin verheiratet. Familiäre bzw. ökonomische Gründe bewegten ihn, nach Kärnten zu migrieren: „Dann kamen die Kinder auf die Welt. Es wurde zu teuer [in der Schweiz]. Mit Kindern zahlst du beinhart.“ 1987 entschied sich Massimo, ein Einzelhandelskaufmann aus Friaul, in Kärnten zu arbeiten. Familiäre und wirtschaftliche Gründe bewegten ihn dazu. Er hatte eine österreichische in Kärnten lebende Frau und einen Sohn: “Ich habe hier Familie und bessere Möglichkeiten. In meiner Region in Italien kannst du nur als Verkäufer arbeiten oder als Verkäufer. Dann gibt es auch noch eine Kettenfabrik.“ Als Grund in Kärnten auch zu wohnen und 11 nicht nur zu arbeiten, waren die damals noch vorhandenen Grenzunanehmlichkeiten zwischen dem EU-Land Italien und dem Nicht-EU-Mitglied Österreich. Drei InterviewpartnerInnen – ein Pizzakoch, ein Koch und ein Eisverkäufer – gaben an aus Lust auf Veränderung nach Kärnten gekommen zu sein. Giacomo, ein Koch: „Mal probieren. Ich habe immer Lust, mich zu bewegen und nicht stehen zu bleiben. Mal schauen, dachte ich mir.“ Vorbereitungen Kettenmigration Beinahe alle InterviewpartnerInnen haben über internationale Bekannten-, Freundes- oder Familiennetze Arbeit gesucht und gefunden. Ansonsten haben sie keine anderen Vorbereitungen unternommen. Als Beispiele seien drei Aussagen angeführt: Fabrizio, Eisverkäufer: “Ich kannte Freunde, die hier in Spittal gearbeitet haben und mir hier von dieser Möglichkeit erzählt haben. Die vorherigen Betreiber der Gelateria waren alt und wollten nicht mehr.“ Laura, Einzelhandelskauffrau: “Eine ehemalige Arbeitskollegin aus Tarvisio, eine Kärntnerin, hat mir den Job vermittelt. Die Kollegin arbeitet selbst in einer der zwei Modeboutiquen dieses Unternehmens in Villach.“ Giacomo, Koch: „Mein Onkel hat mich gefragt, ob ich in seiner Prosciuteria in Klagenfurt arbeiten will.“ Im Falle der vielen TagespendlerInnen aus einem italienischen Grenzdorf in den benachbarten österreichischen Ort wurden anfangs bewusst von lokalen politischen VetreterInnen auf beiden Seiten und von lokalen österreichischen Wirtschaftstreibenden Arbeitskräfte vermittelt. Dem italienischen Grenzdorf drohte mangels Arbeitsplätzen die völlige Abwanderung der erwerbsfähigen Bevölkerung und im nahen österreichischen Ort brauchte man Arbeitskräfte. Einer (Claudio) hat seinen Job als Eisverkäufer über ein Stellenangebot in einer italienischen Tageszeitung gefunden. Vermittlungsinstanzen wie Arbeitsämter waren im Herkunftsland bei den Vorbereitungen für die Arbeit im Ausland nicht involviert. Nach dem Grenzübertritt: Erste Erfahrungen mit Arbeit und Qualifikation Sieben der InterviewpartnerInnen begannen in Kärnten mit einer Einstufung unter dem Qualifikationsniveau ihres vorherigen Arbeitsplatzes in Italien oder einem anderen Ausland zu arbeiten. Eine Gruppe von InterviewpartnerInnen wollte 12 bewusst eine Arbeit in einer anderen Branche annehmen und sie waren mit dem vergleichsweise niedrigeren Qualifikationsniveau kurz- bis mittelfristig zufrieden. Eine weitere Gruppe wechselte aus Arbeitsplatzmangel oder aufgrund von unzufriedenstellenden Arbeitsplatzbedingungen ihre Arbeit und strebten mittelfristig ähnliche Qualifikationsniveaus – wenn auch in anderen Branchen an. Ein Drittel konnte sein Qualifikationsniveau halten. Vereinzelt stiegen InterviewpartnerInnen auf höheren Niveaus ein. Das Halten von Qualifikationslevels war für die Beschäftigten im Handel am leichtesten. Laura (25) konnte als Einzelhandelskauffrau trotz unterschiedlicher Ausbildungssysteme in Österreich und Italien weiterarbeiten. Sie lernte den Beruf — wie in Italien üblich — durch eine Art Lehre in einem Betrieb ohne begleitende Berufsschule. Ihr Freund Lorenzo (24) fand gleich in der Funktion als Einzelhandelskaufmann Arbeit. Er hatte vorher im Einzelhandel in Italien ausgeholfen und war Vertreter von italienischen Bekleidungsfirmen in Österreich gewesen. Massimo (46), auch Einzelhandelskaufmann, musste hingegen anfangs mehrere Jahre als Hilfsarbeiter in einer Fabrik arbeiten. Ronaldo (45) hatte es trotz der höchsten Qualifikation der Befragten seiner Branche (Chef de Service), aber mangels guter Deutschkenntnisse und aufgrund von Diskriminierung wegen seiner Nationalität am schwersten, als er 1992 aus der Schweiz nach Kärnten kam: „Hier war es am Anfang beinhart. Das war eine Krise. Es hat Probleme gegeben. Ich musste eine Arbeit suchen. Sie haben gemerkt: Ich bin Ausländer, Italiener und frisch aus der Schweiz. Es ist einfach zu erzählen. Es ist nicht einfach zu erleben.“ Welche Möglichkeiten hast du in Angriff genommen, um eine Arbeit zu finden? „Ich bin zum Arbeitsamt gegangen. Mein Schwager kannte da jemanden. Schwierig. Ich fand keinen richtigen Job. Ich kann etwas an Sprachen: Französisch, Italienisch, ein bisschen Deutsch. Mit Sprachen kannst du hier nichts anfangen, sagte man mir. Nicht einmal Chef à Demi und Commi de Rang hat geholfen. Ich bin dann nach Silian in ein Hotel gegangen. Das war schwierig. Nach 15 Tagen habe ich aufgegeben. Dann der Horror in der Schuhfabrik. Da bist du wie eine Maschine. Nicht einmal einen Monat war ich dort. Ich will leben und nicht wie ein Roboter. Anfangs war es sehr traurig. Langsam habe ich Kollegen kennen gelernt. Nach zwei, drei Jahren wurde es ein bisschen besser.“ Die Beschäftigten im Gaststätten- und Beherbergungswesen machten unterschiedliche Erfahrungen. Die Köche Marcello und Giacomo wurden gleich bei ihrer ersten Arbeit als Köche eingestuft. Andrea, Koch, wurd trotz tatsächlich verrichteter Kochtätigkeit darunter eingestuft. Die EisverkäuferInnen hatten vor dieser Tätigkeit oft andere, zumeist höher qualifiziertere Berufe in anderen Branchen (Buchhalter, Rezeptionistin, Tischler) ausgeführt. Großteils gaben diese InterviewpartnerInnen aber an, bewusst eine neue, sich von ihrer Qualifikation unterscheidende Tätigkeit angestrebt zu haben. Als EisverkäuferInnen haben sie teilweise schon in Italien oder in Deutschland begonnen zu arbeiten, bevor sie ihre Tätigkeit in Österreich aufnahmen. Sie waren mit der Tätigkeit des Eisverkaufens vorübergehend zufrieden. 13 Fünf ItalienerInnen aus dem selben italienischen Grenzdorf wurden als Hilfskräfte in einer Fabrik in Österreich angelernt. Alle hatten in Italien vorher in höheren Qualifikationsbereichen gearbeitet (Förster, Facharbeiter, Maurer, Polier, Tapeziererin). Nur Tomaso hatte auch schon in Italien als Hilfsarbeiter (trotz Försterausbildung) gearbeitet. Ein gelernter Tischler wurde als angelernter Tischler eingestuft. Sprache Mittelmäßige bis geringe bzw. vereinzelt fast nicht vorhandene Deutschkenntnisse führten teilweise zu Problemen bei der Arbeitsfindung und Einstufung bzw. zu Problemen am Arbeitsplatz selbst. Die Beschäftigten im Handel gaben keine nennenswerten Sprachprobleme an. Ihre Deutschkenntnisse reichten für den ausgeübten Tätigkeitsbereich aus. Im Gaststättenwesen genügte es bei den Befragten in den meisten Fällen, sich Deutschkenntnisse im Zuge des Kontakts mit den KundInnen im "Learning-byDoing"-Verfahren anzueignen. Unter den Angestellten wurde oft hauptsächlich in Italienisch kommuniziert, weil in den italienischen Restaurants und den Gelaterie die KollegInnen und die ArbeitgeberInnen meist ebenfalls ItalienerInnen sind. Ronaldo, der Chef de Service, musste allerdings auch aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse Arbeiten unter seinem Qualifikationsniveau annehmen. Den italienischen ArbeiterInnen in einer Fabrik in Grenznähe half der altdeutsche Dialekt, der in ihrem Heimatdorf in Italien gesprochen wird, um sich verständlich zu machen. Für Sergio, der eine Spenglerlehre in Kärnten begann, stellte die Sprache zu Beginn ein großes Problem dar: „Das mit dem Deutsch war am Anfang sehr schwierig. Ich habe viel nicht verstanden. Ich durfte dann sechs Monate später als normal mit der Berufsschule anfangen. Ich habe eine Sondergenehmigung bekommen.“ Trotz teilweise niedrigerer Qualifikationsniveaus nach dem Grenzübertritt sprachen alle InterviewpartnerInnen entweder von höheren (mehrheitlich) oder gleich hohen Löhnen im Vergleich zur vorherigen Arbeit im Herkunftsland oder in einem anderen Ausland. Spätere Erfahrungen mit Arbeit und Qualifikation Mit späteren Erfahrungen sind ungefähr Zeiträume ab einem Jahr nach der Migration gemeint. Drei InterviewpartnerInnen konnten längerfristig Tätigkeiten auf höheren Qualifikationsniveaus finden –verglichen zu ihren anfänglichen Jobs in Kärnten. Dies bedeutete eine Angleichung oder Annäherung an ihre frühere Einstufung im Herkunftsland im selben oder einem anderen Beruf. Kaum gelangte jemand in höhere Positionen – verglichen mit dem Qualifikationsniveau im Herkunftsland. Die interviewten FabriksarbeiterInnen und der angelernte Tischler aus dem selben italienischen Dorf an der Grenze konnten trotz höherer geleisteter qualifizierterer Arbeit in Kärnten von ihrem niedrigen Einstufungsniveau (angelernte (Hilfs)kraft) mangels formeller Qualifikationsnachweise nicht in ein höheres Einstufungsniveau aufsteigen. 14 Als Best Practice für den Umgang mit (faktischer) Qualifikation und für Aufstiegschancen stellte sich das Arbeitsverhältnis von Lorenzo bei einer großen Einzelhandelskette für Bekleidung in Villach heraus. Gleich zu Beginn wurde Lorenzo, wie bereits erwähnt, trotz eines fehlenden formellen Lehrabschlusses aber aufgrund seiner tatsächlichen Berufserfahrungen als Einzelhandelskaufmann eingestellt. In diesem Fall stand also im Vordergrund, was der Arbeitnehmer tatsächlich konnte und nicht, was er vor allem an formellen Qualifikationen nachweisen konnte. „Am Tag, nach dem ich die Bewerbung abgegeben hatte, gab es gleich ein erstes Vorstellungsgespräch. Einen Tag darauf noch eines und am dritten Tag habe ich als Verkäufer zu arbeiten begonnen. Das hat super funktioniert.“ Bist du gleich als Verkäufer eingestellt worden, nicht als Lehrling oder Verkaufshilfe? „Im ersten Jahr habe ich im Verkauf gearbeitet. Ich habe gleich als Verkäufer angefangen, weil ich früher immer ausgeholfen habe bei meinem Onkel im Modegeschäft in Tarvis. Und für ein paar Firmen [Bekleidung] habe ich in Österreich die Vertretung gemacht. Das haben wir alles gleich im Vorstellungsgespräch geklärt. Die Handelskette wollte keine Unterlagen von mir. Nur das Maturazeugnis habe ich ihnen nachgereicht.“ Wie waren deine ersten Erfahrungen im Job? „Die Kollegen haben mich super aufgenommen. Echt nette Leute. Die Chefs auch. Es war auch überhaupt kein Problem mit der Sprache. Am Anfang haben sie ein bisschen Hochdeutsch mit mir gesprochen. Ich habe am Anfang Kärntnerisch nicht so gut verstanden. Aber langsam ist es immer besser geworden – für sie und für mich. Jetzt reden wir nur mehr Kärntnerisch miteinander.“ „Nach dem ersten Jahr habe ich eine Einschulung zum Abteilungsleiter gemacht – ungefähr sechs Wochen in einer anderen Filiale. Dann habe ich in Villach als Filialleiter begonnen.“ Für ein Jahr ging Lorenzo teilzeitbeschäftigt zurück in den Verkauf, um anfangs im neu eröffneten Restaurant von Verwandten in Villach mitzuhelfen. Später arbeitete Lorenzo wieder Vollzeit als Einzelhandelskaufmann. Ronaldo (Maitre d′Hotel im Service) und Massimo (Einzelhandelskaufmann) mussten mehrere Jahre unter ihrem Qualifikationsniveau arbeiten bis sie wieder eine Einstufung höher als die einer Hilfskraft erreichten. Als negatives Beispiel, was die Anerkennung von faktischen Qualifikationen betrifft, sind die Fälle von fünf FabrikarbeiterInnen zu erwähnen: Sie waren froh eine Arbeit in der Nähe ihre Wohnortes gefunden zu haben, aber mehrheitlich frustriert, dass sie nach mehreren Jahren noch immer nur als angelernte Hilfskräfte eingestuft wurden. Nach eigenen Aussagen würden sie in Italien nach zwei Jahren Beschäftigung in einem vergleichbaren Betrieb de-facto FacharbeiterInnenstatus erlangen und zwei-jährige beträchtlichere Lohnerhöhungen erhalten. In Österreich leisteten sie de-facto Facharbeit ohne einer diesbezüglichen Einstufung wegen des Fehlens formeller Qualifikationen. Giulio: „Ich erhalte jedes Jahr Lohnerhöhungen um ein paar Cent. Man hat dann keine Lust mehr zu arbeiten. Ein junger Facharbeiter kann noch nichts und kriegt 100 Euro mehr. Der Vorarbeiter vertröstet mich jedes Jahr wieder aufs Neue. Nachdem ich frustriert war, weil ich hier keine Lohnerhöhung bekam, habe ich mich in Italien bei einem anderen Unternehmen erkundigt: Mit meinen jetzigen Erfahrungen würde ich 15 dort sofort als qualifizierte Kraft eingestellt werden.“ Der Betriebsrat des Unternehmens hat vergeblich versucht bei der Geschäftsführung durchzusetzen, dass längere Betriebszugehörigkeit im Lohnsystem stärker berücksichtigt wird. In der Fabrik gab es intern fast keine Weiterbildungsmöglichkeiten. Manche 4 ArbeiterInnen konnten an einer WIFI-Schulung im Zuge der ISO-Zertifizierung des Betriebs teilnehmen. Dies brachte ihnen eine kleine Lohnerhöhung, aber keinen Aufstieg in eine andere Lohngruppe. Zwei Fabrikarbeiter beklagten sich auch über mangelnde Prämien: “Wenn du in Italien für die Firma eine gute Idee hast, die funktioniert, dann bekommst du eine kleine Prämie. Das motiviert dich. Das ist eine kleine Anerkennung. Hier ist das anders. Etwas Neues auszuprobieren, das wird hier nicht geschätzt!“ Gleichzeitig betonten sie aber froh zu sein, einen Arbeitsplatz gefunden und behalten zu haben: “Gottseidank habe ich Arbeit!“ Letztlich entschieden sich die FabrikarbeiterInnen in dem besagten Unternehmen für den Arbeitsplatz in der Nähe des Wohnortes, für stagnierende aber im Vergleich zu Italien höhere Löhne, für die Einstufung unter der faktisch geleisteten Arbeit, für höhere Sozialleistungen und für niedrigere Lebenshaltungskosten für Familien in Österreich im Gegensatz zu einem Arbeitsplatz in Italien weiter entfernt vom Wohnort, niedrigeren Löhnen, besseren Aufstiegschancen, höheren Arbeitsstress und niedrigeren Sozialleistungen. Diskriminierung Vereinzelt berichteten InterviewpartnerInnen von Diskriminierungen bei der Arbeitssuche aufgrund ihrer Nationalität. Teilweise fanden sie auch augrund ihrer Nationalität bestimmte Jobs – zum Beispiel in der Gastronomie: Giacomo suchte nach zwei Jahren in Kärnten eine neue Arbeitsstelle als Koch: “Bei dem Restaurant X habe ich auch gefragt. Die nehmen keine Ausländer. Ich habe das von Freunden gehört. Zu mir haben sie gesagt, dass sie genug Leute hätten. Aber dann hat mich gleich der Andreas [Geschäftsführer des italienischen Bistros, wo Giacomo jetzt arbeitet] genommen. Er hat jemanden aus Italien gesucht zum Arbeiten, einen Koch.“ Formelle Anerkennung von Qualifikationen Keine/r der InterviewpartnerInnen hat versucht, ihre/seine Berufsqualifikation in Österreich formell beim Arbeitsministerium anerkennen zu lassen bzw. eventuelle Prüfungen – notwendig für die Anerkennung der Qualifikationen in Österreich – zu absolvieren. Für die Gruppe der InterviewpartnerInnen, die auf ihrem Qualifikationsniveau Arbeit fanden, und für die Gruppe, die bewusst nicht mehr in ihren Qualifikationen tätig sein wollten, bestand vordergründig keine Die Wirtschaftsförderungsinstitute (WIFIs) der Wirtschaftskammern bieten ebenso wie die Berufsförderungsinstitute der Arbeiterkammern und des ÖGB (BFIs) Kurse zur beruflichen Aus- und Weiterbildung an. 4 16 Notwendigkeit einer formellen Anerkennung. InterviewpartnerInnen, die in Österreich als angelernte Hilfskräfte arbeiteten, forderten eine stärkere Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Qualifikationen bei der Einstufung sowohl was ihre Funktion als auch ihren Lohn betrifft. Weiters forderten sie auch mehr betriebsinterne Schulungsmöglichkeiten. Unwissenheit über die Möglichkeit der formellen Anerkennung, das Ablegen von Prüfungen und mangelnde Sprachkenntnisse könnten weitere Gründe sein, warum keine formellen Anerkennungen angestrebt wurden. Bauwesen Das Bauwesen rangiert an vierter Stelle in der Reihung der Wirtschaftsklassen bezüglich italienischer ArbeitnehmerInnen in Kärnten. Für diese Untersuchung konnten jedoch keine InterviewpartnerInnen ausfindig gemacht werden. Dieses Kapitel basiert auf einem Experteninterview mit Georg Steiner, dem Rechtsschutzsekretär der Gewerkschaft Bau Holz, Landesorganisation Kärnten. Mobilität Bauwesen Es gibt keine Tradition der Migration von italienischen wohl aber von bosnischen BauarbeiterInnen nach Kärnten. Eine zukünftige Zunahme von italienischen Beschäftigten ist aufgrund der fehlenden Kettenmigration sowie eines FacharbeiterInnenmangels in beiden Ländern nicht zu erwarten. Im Bauwesen braucht man zukünftig beinahe keine „klassischen“ HilfsarbeiterInnen mehr sondern fast ausschließlich nur noch qualifizierte FacharbeiterInnen. Formelle und faktische Anerkennung von Qualifikationen Italienische Beschäftigte weisen gute formelle und faktische Qualifikationen als FacharbeiterInnen auf und werden dementsprechend als FacharbeiterInnen in Kärnten eingestuft. Es sind zumeist bosnische Beschäftigte, die als HilfsarbeiterInnen unter ihren formellen (weil teils faktisch niedrigeren) Qualifikationen eingestuft werden. FacharbeiterInnenmangel und Möglichkeit eines Ausbildungsverbunds In Kärnten, Italien und Slowenien herrscht akuter FacharbeiterInnenmangel. Eine Zusammenarbeit der drei Regionen im Ausbildungsbereich könnte dem FacharbeiterInnenmangel entgegenwirken. In Klagenfurt ist die Bauakademie angesiedelt. Sie würde sich für eine solche Kooperation eignen. Nach Ansicht des Rechtschutzsekretärs der Gewerkschaft Bau Holz, könnte eine derartige Kooperation auch einer möglichen zukünftigen Dominanz in der Region von Unternehmen anderer EU-Beitrittsländer entgegenwirken. 17 Zusammenfassung Internationale Bekannten-/FreundInnen- bzw. Familiennetzwerke waren für die italienischen InterviewpartnerInnen der Schlüssel zum Arbeitsmarkt in Kärnten. Arbeitsämter oder andere Beratungsinstitutionen in Italien wie in Österreich spielten beinahe nie eine Rolle beim Finden des Arbeitsplatzes. Auch in Fragen der Anerkennung oder Aneignung von Qualifikation wurden weder Gewerkschaften noch etwaige Beratungsstellen kontaktiert. Die InterviewpartnerInnen machten sehr unterschiedliche Erfahrungen bezüglich der Anerkennung von ihren Qualifikationen. Sieben InterviewpartnerInnen starteten in Kärnten in Arbeitsplätzen unter dem Qualifikationsniveau ihres vorherigen Arbeitsplatzes in Italien oder einem anderen Ausland. Eine Gruppe von InterviewpartnerInnen wollte bewusst eine Arbeit in einer anderen Branche annehmen, und sie waren mit dem vergleichsweise niedrigeren Qualifikationsniveau kurz- bis mittelfristig zufrieden. Eine weitere Gruppe wechselte aus Arbeitsplatzmangel oder aufgrund von unzufriedenstellenden Arbeitsplatzbedingungen ihre Arbeit und strebte mittelfristig ähnliche Qualifikationsniveaus – wenn auch in anderen Branchen – an. Ein Drittel konnte sein Qualifikationsniveau halten. Vereinzelt stiegen InterviewpartnerInnen auf höheren Niveaus ein. Drei InterviewpartnerInnen konnten längerfristig Tätigkeiten auf höheren Qualifikationsniveaus finden –verglichen mit ihren anfänglichen Jobs in Kärnten. Dies bedeutete eine Angleichung oder Annäherung an ihre frühere Einstufung im Herkunftsland im selben oder einem anderen Beruf. Fünf FabrikarbeiterInnen und ein angelernter Tischler konnten trotz höherer geleisteter qualifizierterer Arbeit in Kärnten von ihrem niedrigen Einstufungsniveau (angelernte (Hilfs)kraft) mangels formeller Qualifikationsnachweise nicht in ein höheres Einstufungsniveau aufsteigen. Es ist auffallend, dass die Befragten keinen Versuch unternahmen, ihre in Italien erlangten Berufsqualifikationen in Österreich formell anerkennen zu lassen. Eine formelle Qualifikationsanerkennung würde eine qualifikationsgerechte Einstufung im Arbeitsleben erleichtern. Als Best Practice einer Qualifikationsanerkennung erwies sich eine Einzelhandelskette, die den italienischen Arbeitnehmer mit fehlendem formellen Lehrabschluss, aber vorhandener relevanter Berufserfahrung als Einzelhandelskaufmann sogleich als solchen einstellte. Im umgekehrten Fall wurden FabrikarbeiterInnen nach Jahren faktischer Facharbeit noch immer als angelernte Hilfskräfte eingestuft, während sie nach dem italienischen System unterdessen als FacharbeiterInnen entlohnt werden würden. Eine weniger auf formelle Abschlüsse gerichtete Einstufung würde italienischen ArbeitnehmerInnen entgegenkommen und ihren Leistungen gerechter werden. 18 Conclusio Durch die mit explorativem Anspruch geführten qualitativen Interviews war es möglich, Arbeitsverhältnisse italienischer ArbeitnehmerInnen insbesondere hinsichtlich der Anerkennung ihrer Qualifikationen in Biographien sowie rechtliche und faktische Rahmenbedingungen einzubetten. Daraus lassen sich – um die Arbeitsmobilität in der untersuchten Grenzregion zu erleichtern – unterschiedliche Herausforderungen für ArbeitnehmerInnen, für ArbeitgeberInnen, für Sozialpartner, für das Arbeitsmarktservice, für die Staaten Österreich und Italien sowie für die Europäische Union ableiten. - Die Europäische Union soll die derzeit bestehenden EU-Regelungen zur Anerkennung von Bildungs-/Berufsabschlüssen innerhalb der Gemeinschaft ausdehnen oder die EU-weite Transparenz von Berufsausbildungen forcieren. - Die Staaten Österreich und Italien sollen bilaterale Abkommen über die Anerkennung von Berufsqualifikationen abschließen. - Die Sozialpartner sollen bei Kollektivvertragsverhandlungen verstärkt die Anerkennung von faktischen Berufsqualifikationen bzw. Berufserfahrungen berücksichtigen. - Österreichische Unternehmen sollen faktische Berufsqualifikationen bzw. Berufserfahrungen bei der Einstufung italienischer ArbeitnehmerInnen stärker berücksichtigen. - Gewerkschaften, Arbeiterkammern und Arbeitsmarktservice sollen verstärkt Aufklärungsarbeit und Assistenz hinsichtlich formeller und faktischer Anerkennung europäischer und internationaler Berufsqualifikationen leisten. - Die Stärke der italienischen ArbeitnehmerInnen besteht in ihren internationalen sozialen Netzwerken, die für sie den Schlüssel zum Arbeitsmarkt in Kärnten darstellen. Gleichzeitig bindet sie dies zum Teil auch an von der Mehrheitsgesellschaft an italienische MigrantInnen klassisch zugewiesene Arbeit – wie etwa jene in Eissalons. Die italienischen ArbeitnehmerInnen sollen sich stärker mit lokalen Interessenvertretungen (Gewerkschaft) und einschlägigen Institutionen (Arbeitsmarktservice) in Verbindung setzen. So könnten sie ihr Wissen um Anerkennungsmöglichkeiten von Qualifikationen erhöhen und möglicherweise eine Assistenz im Hinblick auf das Nachholen von Lehrabschlussprüfungen in Anspruch nehmen. - Die Sprachkompetenzen sind zu verbessern. Verbesserte Deutschkenntnisse der italienischen Beschäftigten verkleinern Barrieren zu grenzüberschreitendem Arbeiten und sind wesentlich für das Erlangen einer qualifikationsadäquaten Arbeit. Entsprechende Sprachkurse sollten angeboten werden. Im Hinblick auf den zusammenwachsenden Wirtschaftsraum Kärnten-Friaul-Julisch Venetien-Slowenien-Kroatien sollten generell Sprachkompetenzen der Kärntner Bevölkerung hinsichtlich der Nachbarsprachen verbessert werden. 19 Österreichische ArbeitnehmerInnen in Friaul-Julisch Venetien Einführung Es lässt sich nicht leicht feststellen, wie viele ÖsterreicherInnen derzeit in Italien arbeiten. Da es sich bei ihnen um EU-BürgerInnen handelt, die sich auf dem gesamten EU-Gebiet frei bewegen können, werden keine spezifischen statistischen Erhebungen vorgenommen. Das ISTAT (Istituto centrale di statistica, das italienische statistische Zentralamt) liefert zwar Daten über die Anzahl der in Friaul-Julisch-Venetien wohnhaften österreichischen StaatsbürgerInnen, jedoch ohne nähere Angaben zu ihrer Erwerbstätigkeit. Genauere Informationen liefert die INPS (Istituto nazionale della previdenza sociale, die Gesamtstaatliche Anstalt für soziale Vorsorge), die die persönlichen Daten jener Personen erfasst, die auf Grund ihrer Erwerbstätigkeit Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung leisten. Laut den von der regionalen INPS-Stelle in Udine gelieferten Daten arbeiten in Friaul-JulischVenetien insgesamt 168 österreichische StaatsbürgerInnen. Übersicht 3 beinhaltet eine Gliederung nach Wirtschaftsklassen und Geschlecht: Übersicht 3 Beschäftigte mit österreichischer StaatsbürgerInnenschaft im Dezember 2002 Wirtschaftsklasse Landwirtschaft Industrie Bauwirtschaft Handel Hotel- und Gastgewerbe Andere Dienstleistungen Summe Männer Frauen 2 20 13 10 18 15 78 SUMME 5 11 1 15 37 21 90 7 31 14 25 55 36 168 Es gibt keine detailliertere Aufgliederung nach Wirtschaftsklassen, im Besonderen was den umfassenden Industriesektor betrifft. In den Gewerkschaften nimmt man jedoch an, dass der Großteil der österreichischen ArbeitnehmerInnen in den Bereichen Metall- und Holzindustrie beschäftigt ist, die in Oberfriaul am stärksten verbreitet sind. Die Gewerkschaften verfügen über keine genauen Daten, aber auf Grund ihrer Verbreitung und langjährigen Präsenz auf diesem Gebiet sind die von ihnen abgegebenen Bewertungen sicherlich zuverlässig. Kein/e österreichische/r ArbeitnehmerIn ist Mitglied einer italienischen Gewerkschaft oder wurde in eine EGV (einheitliche gewerkschaftliche Vertretungen, Rappresentanze Sindacali Unitarie, RSU, das ist die gewerkschaftliche Vertretung am Arbeitsplatz) gewählt. Die Gewerkschaften haben daher nur sporadisch Kontakt zu den österreichischen ArbeitnehmerInnen. Nach Meinung der befragten GewerkschafterInnen wenden sich ArbeitnehmerInnen aus der EU nur selten an die Gewerkschaften, um Beratung, Unterstützung bzw. Schutz bei der Wahrung ihrer Interessen zu erhalten, da sie im Allgemeinen (vielleicht zu unrecht) meinen, ihre eigenen Interessen selbst wahren zu können und mit den ArbeitgeberInnen auf einer Ebene zu stehen. Neben dieser Hauptursache (dem Fehlen eines Bedarfs) sind vielleicht auch der niedrige 20 Informationsstand über die von den Gewerkschaften gebotenen Dienste und vor allem eine gering ausgeprägte Gewerkschaftskultur mit ein Grund dafür. Praktisch bedeutete das, dass es recht schwierig war, InterviewpartnerInnen zu finden, vor allem wenn man bedenkt, dass man bei Nachforschungen auf einem derartigen Gebiet mit einer ca. 50 %igen Verweigerungsquote rechnen muss. Da die diversen Einrichtungen (INPS, ISTAT, Betriebe, Gewerkschaften usw.) auf Grund des Gesetzes zum Schutz der Privatsphäre keine Namen liefern dürfen, erfolgte die Suche der InterviewpartnerInnen großteils informell, indem man in den Gebieten (Tarvis, Tolmezzo, Oberfriaul) und Sektoren (Handel, Gastgewerbe) tätig wurde, wo man annahm, dass mehr österreichische ArbeitnehmerInnen anzutreffen seien. Auswertung der Interviews Es wurden insgesamt 17 Personen kontaktiert, von denen zehn bereit waren, interviewt zu werden, und sieben nichts gegen eine Registrierung einzuwenden hatten. Zum Schutz ihrer Privatsphäre werden die GesprächspartnerInnen Phantasienamen gegeben. Nachstehend ein kurzes biografisches Profil eines/r jeden Befragten; nähere Angaben zu Ausbildungsweg, Berufserfahrungen und Sprachkompetenzen finden sich in den jeweiligen Kapiteln. Übersicht 4 Biografische Profile Name Ausbildung Sabine, ca. 50 Jahre, Hauptschule wohnt und arbeitet in Tarcento Werner, 30 Jahre, wohnt und arbeitet in Lignano Karl, 44 Jahre, wohnt und arbeitet in Pordenone Arbeitserfahrung in Österreich Verkäuferin, Gouvernante Gastgewerbeschule (Koch) Hilfskoch, Koch (zwei Sommersaisonen in Deutschland) Wirtschaftskundliche Angestellter, s Realgymnasium Reiseleiter, Rezeptionist (auch in Deutschland und in der Schweiz) Franz, 35 Jahre, Gastgewerbeschule Kellner in Spittal, wohnt und arbeitet in (Kellner) eine Sommersaison in Grado London in einem Coffee-Shop Alois, 47 Jahre, Wirtschaftskundliche Buchhalter wohnt und arbeitet in s Realgymnasium Tolmezzo Arbeitserfahrung in Italien seit 1998 Putzfrau in privaten Haushalten; seit 2001 Putzfrau bei einer Firma Sommer 2002 und Sommer 2003: Hilfskoch seit 1999 Rezeptionist Sommer 1997: Hilfskellner; Sommer 1998: Thekenkraft; seit 1999 Kellner in einem Café (Grado, Lignano, Tolmezzo) seit 1992 Buchhalter in Sterzing; seit 1996 Buchhalter in Bozen; seit 2001 für die 21 Christian, 23 Jahre, wohnt in Tarvis, arbeitet in Malborghetto Joseph, ca. 55 Jahre, wohnt in Hotsch im Gailtal, arbeitet in Camporosso, Pendler Gerhard, 40 Jahre, wohnt und arbeitet in Tarcento Alexandra, 22 Jahre, wohnt und arbeitet in Tarvis Renate, 25 Jahre, wohnt in Villach, arbeitet in Tarvis, Pendlerin Logistik verantwortlich seit 1999 Tischler Berufspflichtschule (Tapezierer) Tapezierer Berufspflichtschule (Bodenleger) Bodenleger; Tischler seit 1996 ungelernter Schichtarbeiter; seit 1999 Schweißer Höhere landwirtschaftliche Schule Handelakademie Chemischer Analytiker, Önologe Seit 2001 Landwirtschaftstechniker seit 2002 Verkäuferin in einem HauteCouture-Geschäft Seit 2000 Verkäuferin in einem Geschäft, das für Friaul typische Produkte verkauft Hauptschule Verkäuferin Babysitterin, Regalbetreuerin, Verkäuferin Daraus ergibt sich folgende Streuung der Befragten: Landwirtschaft 1, Industrie 3, Handel 2, Hotel- und Gastgewerbe 3, Dienstleistungen 1. Die interviewten Personen weisen eine niedrige oder mittlere Schulbildung auf. Der erworbene Abschluss entspricht der Tätigkeit, die sie derzeit in Italien ausüben: Allgemein kann man sagen, dass einer höheren Schulbildung auch eine qualifiziertere Tätigkeit entspricht. Das Erlangen eines Fachausweises scheint auch in Italien gute Arbeitschancen zu garantieren, auch wenn das nicht auf alle Personen zutrifft: Joseph und Christian üben im Vergleich zu ihrer Schulbildung eine ganz andere Tätigkeit aus. Bei beiden führten nicht-berufliche Gründe zu diesem Berufswechsel: gesundheitliche Gründe bei Joseph (der schon vor vielen Jahren den Beruf als Bodenleger aufgeben musste), der Wunsch in der Nähe seines Wohnorts eine Arbeit zu finden bei Christian (der in Udine als Tapezierer hätte arbeiten können). Auch die in Österreich erworbene Berufspraxis entsprach im Allgemeinen dem erreichten Abschluss. Die Berufslaufbahn verlief linear und im Wesentlichen kontinuierlich. Nur Joseph weist Erfahrungen in verschiedenen Berufen auf (zuerst Bodenleger, dann Tischler). Jene drei Interviewten, die im Hotel- bzw. Touristiksektor tätig sind (Franz, Werner, Karl) hatten bereits Berufserfahrungen sammeln können, bevor sie nach Italien kamen. Ursachen der niedrigen Mobilität Da die Anzahl der österreichischen ArbeitnehmerInnen in Italien sehr gering ist, fragten wir die GesprächspartnerInnen, was ihrer Meinung nach die Ursachen dieser niedrigen Mobilität wären. Die meisten von ihnen konnten zwar keine Erklärung dafür abgeben, aber es tauchten einige interessante Ansichten auf. Einige der Befragten (Franz, Werner, Alois) gaben ausdrücklich familiäre Verpflichtungen als den Grund an, der von der Arbeitssuche im Ausland abhält und zu einer 22 Verringerung der Mobilität führt. Alois meinte: „Meine Familie ist mit mir übersiedelt, sonst wäre ich nie damit einverstanden gewesen, in Italien zu arbeiten”. Es wird kaum gependelt, obwohl die Entfernung zwischen Villach und Tarvis gering ist: Nur zwei der Interviewten pendeln täglich von ihrem Wohnort in Kärnten zu ihrem Arbeitsplatz in Friaul und beide erleben diese Situation als eine ziemliche Belastung Alexandra entschloss sich nach sieben Monaten Pendeln dazu, nach Tarvis, ihrem Arbeitsort, zu ziehen.Es scheint also, dass die Entscheidung, in Friaul zu arbeiten, fast die Notwendigkeit eines Wohnortwechsels mit den daraus folgenden einschneidenden sozialen Auswirkungen mit sich bringt, was der Arbeitsmobilität entgegen wirkt. Ein anderer Grund, der von den GesprächspartnerInnen erwähnt wurde, ist, dass es in Österreich gute Arbeitsmöglichkeiten gibt und daher keine wirkliche Notwendigkeit besteht zu emigrieren: „In Österreich gibt es auf diesem Sektor viele Arbeitsmöglichkeiten, man muss nicht ins Ausland gehen. Wer Familie hat, geht nur schwer weg“, erklärte Werner. Das Fehlen eines starken wirtschaftlichen Anreizes wurde auch von Karl als Hauptgrund für die geringe Mobilität angegeben: „Es zahlt sich nur dann aus, zu emigrieren, wenn man mehr verdient”. Franz lieferte eine kulturelle Erklärung: „Die ÖsterreicherInnen sind sehr konservativ, sie gehen nicht von zu Hause fort, wenn sie nicht unbedingt müssen”. Auch Gerhards Ansicht stimmte damit überein: „In Österreich hat es nie viel Emigration gegeben, wir sind es nicht gewohnt, ins Ausland zu gehen, um zu arbeiten, oder wenn, dann nach Deutschland oder in die Schweiz aber nicht nach Italien”. Renate sagte, dass zwischen Tarvis und Villach ein reger Pendelverkehr herrsche, der aber nicht von beruflichen Gründen motiviert sei, sondern den Zweck verfolge, die Einkaufs- und Unterhaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Sprachkompetenzen Die meisten Befragten wiesen Italienischkenntnisse auf eher niedrigem Niveau auf. Da es sich um Personen handelt, die in Italien arbeiten und zum Teil auch dort wohnen, waren sie natürlich in der Lage, ein Gespräch aufrecht zu erhalten (d.h. verstehen und sich verständlich machen), aber bei den meisten von ihnen wird das Fehlen einer soliden grammatikalischen Basis offenkundig. Das kommt daher, dass nur einige von ihnen einen regulären Sprachunterricht über einen längeren Zeitraum besuchten. Karl, Alois und Alexandra lernten Italienisch in der Schule und drückten sich korrekt aus (Syntax und Grammatik): Ihre Sprachkenntnisse waren sehr gut. Die anderen GesprächspartnerInnen hatten kurze Intensivkurse besucht, bevor sie nach Italien kamen (wie Franz) oder besuchten nie einen Kurs (wie Sabine, Renate, Christian und Joseph): Sie lernten Italienisch durch die tägliche Praxis. Einige konnten durch den langen Aufenthalt in Italien ihre Sprachkenntnisse verfeinern und ein gutes Niveau erreichen. Sabine und Christian haben italienische PartnerInnen und konnten dadurch auch ohne theoretische Kenntnisse ein gutes Sprachniveau erreichen. Außerdem stammen sie aus einem Grenzgebiet, in dem etwas Italienisch gesprochen wird, und hatten Kontakt zu italienischen KundInnen in Österreich und somit weitere Gelegenheiten, die Sprache zu erlernen und zu verbessern. Nur Franz besuchte, wie mit seinem Arbeitgeber vereinbart, nach seiner Übersiedlung nach Friaul einen Sprachkurs. Das Fehlen eines ausgedehnten und verwurzelten Beziehungsnetzwerks österreichischer 23 ImmigrantInnen in Italien veranlasste (bzw. zwang) die österreichischen ArbeitnehmerInnen dazu, rasch die Sprache zu erlernen, um mit ihren italienischen KollegInnen kommunizieren zu können: Vereine von ImmigrantInnen (wie sie oft von ItalienerInnen im Ausland gegründet werden) verzögern eine rasche Assimilation der Sprache. Motivationen Die Motivationen dafür, in Italien Arbeit zu suchen, waren sehr unterschiedlich und oft spielten auch mehrere in Kombination eine Rolle. Im Allgemeinen war es eine geplante, bewusste und überlegte Entscheidung, die nicht von etwaigen Umständen und/oder wirtschaftlichen Notwendigkeiten diktiert wurde. Es handelt sich daher nicht um ein Migrationsphänomen, das in der Schwierigkeit (oder sogar Unmöglichkeit), im Heimatland Arbeit zu finden, begründet ist: Praktisch alle GesprächspartnerInnen könnten in Österreich relativ leicht eine gleichwertige Arbeit finden. Für Sabine und Christian spielten familiäre und emotionale Gründe eine Rolle: Sabine folgte ihrem Mann, den sie in Österreich kennen gelernt hatte, nach Italien, Christian ist mit einer jungen Frau aus Friaul verlobt. In diesen beiden Fällen handelt es sich also um eine Lebensentscheidung, die nichts mit beruflichen Beweggründen zu tun hat. Einen anderen Beweggrund, nämlich die dringende Notwendigkeit eine fixe Arbeit zu finden, kann man im Fall von Joseph feststellen, der nach der Schließung des Sägewerks, wo er als Tischler arbeitete, ohne Arbeit da stand: „Es ist nicht leicht, mit 50 in einem kleinen Bergdorf Arbeit zu finden, du musst zwangsweise in eine Stadt gehen”, erklärte Joseph. Die anderen InterviewpartnerInnen nannten als Beweggründe für die Entscheidung, in Italien zu arbeiten, persönliche und berufliche Bereicherung, das Bedürfnis oder die Lust, „etwas Neues zu tun“, wie Franz sagte, der, nachdem er zehn Jahre lang in einem Lokal in seiner Heimatstadt gearbeitet hatte, den Wunsch nach neuen Erfahrungen verspürte. Aus diesem Grund ging er zunächst für einige Monate nach London (war dort aber nicht besonders zufrieden: „Die Lebenskosten sind zu hoch und die Leute unfreundlich”), dann beschloss er, es in Italien zu probieren, einem Land, das ihm immer schon sympathisch gewesen war. Auch für Werner war der Wunsch, seinen beruflichen Lebenslauf mit einem Auslandsaufenthalt zu bereichern, ausschlaggebend: „Ich wollte meine Kenntnisse über die mediterrane Küche vertiefen. KöchInnen mit guten Kenntnissen der italienischen Küche sind in Deutschland und in Österreich sehr gefragt“. Karl nutzte die Möglichkeiten, die ihm seine Firma bot: „Es gibt Anreize für uns, wenn wir woanders arbeiten. Jedes Monat bekommen wir eine Liste mit freien Posten in der ganzen Welt. Wie erhalten eine Auslandsentschädigung und dadurch erhöht sich auch unser Gehalt“. Alois kam nach Italien, um für ein Transportunternehmen in Sterzing zu arbeiten: Die Tatsache, dass er in einem deutschen Sprachgebiet leben und arbeiten würde, war ein wesentlicher Faktor bei seiner Entscheidung, da dadurch die Übersiedlung für ihn und seine Familie leichter wurde. Alois erklärte: „Damals waren die Kinder noch klein und ich wollte sie keinem zu großen Trauma aussetzen“. Manchmal beruht der Entschluss, in Italien zu arbeiten, auch auf spezifischen beruflichen Gründen. Gerhard interessiert sich sehr für biologischen Landbau, und aus diesem Grund nahm er die ihm angebotene Arbeit an: „In dem Unternehmen, wo ich arbeite, versuchen wir einige Produkte wieder einzuführen, die früher traditionell in den Bergen angebaut wurden, wie zum 24 Beispiel Roggen, Hafer und Gerste“. Alexandra ist eine junge, sehr ehrgeizige Frau, die im Modebereich Karriere machen will und der Meinung ist, dass dafür eine Arbeitserfahrung in einer Boutique in Italien unerlässlich sei. Das Kleidergeschäft, in dem sie arbeitet, ist eine angesehene Modefirma in Italien: „Ich hoffe, dass das ein erster Schritt ist, um für andere berühmte italienische Designer, wie Benetton, Armani oder Fendi, zu arbeiten.“ Wie oft bei Migrationsbewegungen wurde die Entscheidung, in Italien zu arbeiten, durch das Beispiel von FreundInnen, Verwandten oder Bekannten angeregt oder gefördert, die bereits eine ähnliche Erfahrung gemacht hatten: Sie konnten Hilfe, Ratschläge und logistische Unterstützung geben. Vorbereitungen Wie fanden die Interviewten in Italien ihre Beschäftigung? Die besser qualifizierten ArbeitnehmerInnen bedienten sich professioneller Mittel: Stellenangebote in der Zeitung, Suche im Internet, Versenden des Lebenslaufs, staatliche und private ArbeitsvermittlerInnen. Persönliche Bekanntschaften und ein Netz informeller Kontakte scheinen jedoch das am meisten verbreitete (und vielleicht auch effizienteste) Instrument zu sein, um Arbeit in Friaul zu finden. Sabine, Franz, Werner, Joseph, Christian und Renate fragten FreundInnen, Verwandte und Bekannte um Rat und fanden so, auf diesem informellen Weg, Arbeit, ohne sich 5 institutioneller Hilfe zu bedienen . Franz, der seit insgesamt sechs Jahren im Veneto und in Friaul (zuerst als Saisonkraft, jetzt in fester Anstellung) arbeitet, wandte sich zuerst an das Arbeitsamt („Das war nutzlos, die haben mir überhaupt 6 nicht geholfen“) , dann stellte er fest, dass es zielführender wäre, sich direkt in Cafés, Hotels und Restaurants zu bewerben: „Oft stellen jene, die Personal suchen, ein Schild in die Auslage ihres Lokals“. Franz denkt, dass es nicht notwendig ist, Arbeit zu suchen, bevor man nach Italien kommt: „Hier gibt es eine enorme 7 Nachfrage nach Personal in diesem Bereich, es ist leicht, Arbeit zu finden ” . Interessant ist die Erfahrung von Werner: Nach der ersten Sommersaison (die Arbeit fand er dank der Hilfe von Franz) stellte er seinen Lebenslauf in die Datenbank des Hotelierverbands Friaul und bekam auf diesem Weg im nächsten Jahr viele Arbeitsangebote. Gerhard stellte seinen Lebenslauf auf einige darauf spezialisierte Internetseiten (Monster, Jobpilot und andere) und wurde so von seinem derzeitigen Arbeitgeber kontaktiert. Karl konnte die interne Personalsuche seiner Firma nutzen. Alois fand seine erste Arbeitsstelle durch ein Inserat in der Südtiroler Zeitung „Dolomiten“. Alexandra startete eine gezielte Suche (sie schickte ihren Lebenslauf an verschiedene Modegeschäfte im Veneto und in Friaul), bekam aber nie Antwort; sie fand ihre derzeitige Arbeit, nachdem sie auf ein Inserat in der Triester Zeitung „Il piccolo“ geantwortet hatte. 5 6 7 Übrigens bedienen sich auch die ItalienerInnen selten der Institutionen: Man rechnet, dass circa 80 % der Beschäftigten Arbeit über persönliche Bekanntschaften und informelle Kontakte gefunden haben. Dies darf nicht verwundern, da die staatliche Stellenvermittlung besonders ineffizient ist (auch bei ItalienerInnen): Nur 5 % der dort Gemeldeten finden auf diesem Weg eine Arbeit. Tatsächlich gibt es im Tourismus-Hotelbereich einen enormen Arbeitskräftemangel sowohl bei ungelernten als auch bei qualifizierten Arbeitskräften, der oft mit ArbeitnehmerInnen aus Nicht-EU-Ländern ausgeglichen wird. 25 Welche Vorbereitungen wurden vor Arbeitsantritt in Italien getroffen? Im Allgemeinen gab es keine besonderen Vorbereitungen. Die neue Arbeit wurde ohne Vorbereitungen angegangen, und das brachte für manche von ihnen kleinere Unannehmlichkeiten. Nur die italienische Sprache wurde für einen leichteren Einstieg in das neue Umfeld aufgefrischt. Gerhard beklagte, dass es für Personen, die im Ausland arbeiten wollen, weder Informationen noch Beratungsdienste gibt: „Du weißt nicht, an wen du dich wenden sollst, du weißt nicht, woher du praktische Informationen bekommst. Ich habe mich ans AMS gewandt, aber die haben nichts gewusst”. Gerhard dachte nicht daran, sich an den ÖGB oder die Arbeiterkammer zu wenden. Werner füllte (nachdem ihm Franz dazu geraten hatte) vor seiner Abreise das Formular E111 aus, das für medizinische Hilfeleistungen in Italien notwendig 8 ist; gleich nach seiner Ankunft in Italien ließ er sich das Sanitätsbüchlein ausstellen. Joseph: „Ein Verwandter von mir hat vor vielen Jahren in Italien gearbeitet, ich habe ihn kontaktiert, um nützliche Informationen zu bekommen, aber er war mir keine große Hilfe”. Franz: „Nach zwei Jahren, die ich in Italien gearbeitet habe, habe ich entdeckt, dass ich die in Italien bezahlten Steuern zurückverlangen hätte können”. Alois: „Meine größte Sorge war es, eine gute Schule für meine Kinder zu finden, aber dieses Problem konnte ich erst vor Ort lösen”. Karl hatte Glück, da er bei der Übersiedlung die logistische Unterstützung der Firma bei allen praktischen Angelegenheiten nutzen konnte; außerdem verfügt die Firma auch über einen Rechtsdienst, der Beratung und Unterstützung bei Fragen zur Sozialversicherung und steuerlichen Angelegenheiten bietet. Alexandra ist sehr selbstsicher und sah keine Notwendigkeit für besondere Vorbereitungen. Christian gab zu, dass die Entscheidung, zu seiner Verlobten nach Friaul zu ziehen, ohne sich vorher über Arbeitsmöglichkeiten zu informieren, etwas überstürzt war. Welche Vorbereitungen hätte man rückblickend betrachtet treffen sollen? Franz hat da keine Zweifel: „Man sollte sich gut über Steuern, Sozialbeiträge und die medizinische Versorgung informieren“. Werner denkt nicht, dass er etwas anders hätte tun sollen: Er hatte keine Zeit, etwas zu lernen, auch wenn ihm bessere Italienischkenntnisse das Leben am Anfang erleichtert hätten. Gerhard betonte, dass das AMS oder eine andere staatliche Stelle eine Servicestelle eigens für MigrantInnen einrichten sollte. Alexandra hat klare Vorstellungen: „Man braucht keine Vorbereitungen, ich bin EU-Bürgerin und kann ohne Probleme in Italien arbeiten”. Auch die anderen denken, dass sie kaum etwas hätten besser machen können. Alois: „Es wäre besser gewesen, wenn wir vor unserer Ankunft in Italien eine Wohnung gemietet hätten, wir haben einige Wochen lang in einem Hotel gewohnt und einen Haufen Geld ausgegeben, aber damals war das schwer und heute, mit dem Internet, ist das viel leichter”. Christian: „Es wäre besser gewesen, wenn ich vor meiner Übersiedlung Arbeit gesucht hätte, ich war vier Monate lang arbeitslos, aber kein/e ArbeitgeberIn auf der Welt stellt dich ein, bevor sie/er dich gesehen hat ”. Nach dem Grenzübertritt: Erste Erfahrungen mit Arbeit in Italien Für sechs der zehn Interviewten ist ihre derzeitige Beschäftigung die erste Erfahrung mit Arbeit in Italien. Von diesen arbeitet nur Joseph schon länger in 8 Ein Dokument, das den guten körperlichen Zustand und das Nichtvorhandensein von oral übertragbaren Krankheiten bestätigt und das all jene benötigen, die in einem Restaurant arbeiten. 26 Friaul, die anderen seit vier oder weniger Jahren. Alle beurteilten ihre derzeitigen Erfahrungen mit Arbeit positiv: Sie sind zufrieden und glauben nicht (auch nicht im Vergleich zu vorherigen Arbeitserfahrungen), dass sie in Österreich eine bessere Bezahlung erhalten würden oder rechtlich besser gestellt wären. Die Konfrontation mit der Realität in Italien fiel recht leicht aus, abgesehen von einigen anfänglichen Sprachschwierigkeiten, die bald überwunden wurden. Von diesem Standpunkt aus gesehen hatte Joseph die größten Probleme, zum einen wegen seines Alters und 9 zum anderen wegen des Fehlens eines schulischen Hintergrunds . Die vorherrschende Haltung wurde von Christian gut zusammengefasst: „Du kannst eine Sprache gut lernen, indem du mit den Leuten sprichst und nicht indem du Bücher studierst”. Es ist interessant, wie Personen, die zum ersten Mal in Italien arbeiten, das Problem der erforderlichen Sprachkompetenzen angehen und lösen, wenn sie bei der Arbeit täglich Kontakt mit Menschen haben. Alexandra und Renate nahmen das Problem recht locker, da man sie vor allem wegen ihrer Deutschkenntnisse eingestellt hatte, um deutschsprachige KundInnen anzuziehen: Dadurch hatten sie mehr Zeit, die Sprache gut zu lernen und ihr Einstieg in die Arbeitswelt Italiens war sanfter. Alexandra sagte zum Beispiel: „In den ersten Wochen habe ich nur die deutschsprachigen KundInnen bedient, inzwischen bin ich durch Gespräche mit meinen KollegInnen und Hilfe beim Bedienen der Kundschaft mit der Sprache vertrauter geworden. Ich war trotzdem sehr nervös, als ich meinen ersten italienischen Kunden bediente”. Auch für Gerhard war die Sprachbarriere das größte zu überwindende Hindernis: „Von Anfang an hatte ich ‚Full Immersion' in die italienische Sprache und hatte trotzdem große Kommunikationsprobleme. Der Besitzer des Betriebes hat mir in dieser Phase geholfen, aber natürlich erwartete er von mir, dass ich rasch selbstständig würde”. Sabine begann zu arbeiten, nachdem sie bereits viele Jahre in Friaul gelebt hatte, somit stellte sich dieses Problem für sie nicht: „Mein Mann wollte, dass ich zu Hause bleibe und mich um die Kinder kümmere, ich war zufrieden, denn ich bin gerne Hausfrau”. Sabine begann zuerst in privaten Hauhalten zu putzen: „Ich habe Arbeit als Verkäuferin gesucht, aber die wollten nur junge Frauen”. Alois machte seine erste Arbeitserfahrung in Südtirol: Die geografische, linguistische und kulturelle Nähe zu Österreich garantierten einen weichen Einstieg in das neue Umfeld: „Ich habe in Ruhe Italienisch lernen können, ohne es jeden Tag bei meiner Arbeit anwenden zu müssen”. Viel schwieriger verlief die Anfangsphase für Franz und Werner: Da von ihnen gute Italienischkenntnisse verlangt wurden (die sie nicht besaßen), mussten sie Arbeiten annehmen, die unter ihrem Qualifikationsniveau lagen und ihrer Arbeitserfahrung nicht entsprachen. Franz: „Den ganzen ersten Sommer in Italien habe ich als Hilfskellner gearbeitet (ich habe die Tische gedeckt und abgeräumt). In der zweiten Sommersaison habe ich an der Theke gearbeitet (ich habe Getränke, Kaffee, Eis usw. bereitet)”. Werner: „Ich war Hilfskoch, ich habe die Vorspeisen und Salate und schnelle Gerichte für TouristInnen zubereitet”. Christian hatte große Schwierigkeiten, Arbeit zu finden, auch weil er nicht bereit war, in einer Fabrik zu arbeiten: „Dann hat mir ein Arbeitskollege meiner Verlobten von dieser Möbelfabrik erzählt, die Personal suchte, und da bin ich nun”. Bei fast allen InterviewpartnerInnen entsprach die Arbeit hinsichtlich Qualifikationsstufe, Einstufung und Entlohnung von Anfang an jener, die sie in 9 Es darf nicht verwundern, dass Joseph von einer italienischen Firma trotz mangelnder Italienischkenntnisse aufgenommen wurde: Es gibt zahlreiche Erleichterungen für Firmen, die ArbeitnehmerInnen über 50 einstellen. Außerdem gibt es in der Industrie eine große Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften, die derart ausgeprägt ist, dass sogar Personen aus Ex-Jugoslawien oder Albanien mit geringen oder nicht vorhandenen Italienischkenntnissen aufgenommen werden. 27 Österreich besaßen (oder zumindest sehen sie es so). Nur Werner und Franz wurden auf einer niedrigeren Qualifikationsstufe eingestuft. Spätere Erfahrungen mit Arbeit und Qualifikation Es scheint, als wären die anfänglichen Sprachprobleme die einzigen ernsthafteren Probleme bei der Eingliederung in den italienischen Arbeitsmarkt gewesen. Aus den Interviews geht keine andere größere Schwierigkeit hervor. Alle Interviewten konnten in kurzer Zeit eine ihren Qualifikationen entsprechende gleichwertige Arbeit wie in Österreich oder zumindest eine, mit der sie zufrieden waren, bekommen. Das betrifft vor allem jene, die anfänglich eine Verschlechterung ihrer Qualifikationsstufen erfuhren. Das trifft zum Beispiel auf Franz zu, dessen berufliche Laufbahn sich nach seiner Arbeit als Saisonarbeitskraft gefestigt hat: Er fand zuerst in Lignano, dann in Tolmezzo und schließlich in Grado eine fixe Anstellung als Kellner. Werner machte gerade seine zweite Erfahrung mit Arbeit in Italien, aber in diesem Jahr hat sich seine Position sehr verbessert: Er ist Hilfskoch in einem Restaurant und führt somit eine Arbeit aus, die seinen erworbenen Qualifikationen entspricht. Sabine, die zuerst ein paar Jahre als Putzfrau bei privaten KundInnen gearbeitet hatte, nahm den Dienst mit einem normalen Arbeitsvertrag bei einer Putzfirma auf. Jetzt kommt sie mit der Arbeitszeit besser zurecht: „Bei den Privaten waren die Arbeitszeiten sehr hart (entweder sehr zeitig in der Früh oder spät am Abend) und nicht an meine familiären Verpflichtungen angepasst”. Bei Alois, der von Anfang an eine qualifizierte Arbeit ausführte, ist eine konstante Karrierelaufbahn zu beobachten; er hat heute eine verantwortliche Stelle inne. Einige InterviewpartnerInnen meinten, dass die Arbeitsbedingungen (im Besonderen die Arbeitszeiten) besonders schwierig seien. Werner sagte, dass der Arbeitsrhythmus in Italien viel intensiver und stressiger als in Österreich sei. Auch Franz teilte diese Auffassung: „Hier ist die Arbeit sehr hektisch, vor allem im Sommer”. Alexandra und Renate beklagten sich über die lange Arbeitszeit: In den Monaten Juli und August arbeite man den ganzen Tag zehn Stunden. Karl arbeitet Schicht, aber er denkt nicht, dass die Arbeit in Italien mehr Stress als woanders verursacht. Das Verhältnis zu den italienischen KollegInnen sei gut, es gebe von keiner Seite Diskriminierungen oder Feindseligkeiten. Probleme gebe es höchstens mit KollegInnen aus Ex-Jugoslawien: „Sie sind misstrauisch”, sagte Franz, „Sie sind aggressiv”, beklagte sich Sabine. Das Verhältnis zu den direkten Vorgesetzten und/oder den BesitzerInnen der Firma ist korrekt. Franz: „Die Besitzer verlangen viel, aber so ist es auf der ganzen Welt, auch mein Chef in Spittal war nie zufrieden”. Renate: „Die Besitzerin des Geschäfts ist ein bisschen mürrisch aber erträglich”. Alexandra: „In Villach hatte ich größere Probleme mit meinem Chef”. Sabine: „Als ich in privaten Haushalten geputzt habe, waren die KundInnen nie zufrieden, sie haben immer mehr verlangt”. Die Bezahlung scheint gleich der in Österreich zu sein. Werner akzeptierte bewusst ein niedrigeres Gehalt als er in Österreich bekommen könnte, aber er sieht dieses Opfer als Investition an: „In Österreich oder in Deutschland könnte ich mehr verdienen, aber ich bin in Italien, um Erfahrungen zu sammeln, nicht um mein ganzes Leben lang hier zu bleiben”. Alexandra und Renate beklagten sich über das niedrige Gehalt, aber fügten hinzu, dass sie in Österreich nur schwerlich mehr verdienen würden. Niemand konnte die Höhe der einbezahlten Sozialversicherungsbeiträge nennen und noch weniger einen Vergleich zu der 28 vorherigen Situation in Österreich ziehen; nur Karl zeigte sich ausreichend informiert. Der Großteil der InterviewpartnerInnen war nicht in der Lage, die Aufstiegsmöglichkeiten zu beurteilen, da sie erst wenige Jahre in Friaul sind. Franz, Werner, Alois und Joseph stimmten darin überein, dass es für Leute mit den entsprechenden Fähigkeiten gute Karrierechancen gebe. Ein Beispiel dafür ist Josephs Geschichte: Er wurde als ungelernter Arbeiter aufgenommen und nach drei Jahren war er bereits Schweißer auf der fünften Stufe (der höchsten für MetallarbeiterInnen): „Meine Vorgesetzten haben gesehen, dass sie sich auf mich verlassen können und haben mich befördert. Alle zwei Jahre gibt es für mich eine Vorrückung nach Dienstalter, die es in Österreich nicht gibt, soviel ich weiß”. Formelle Anerkennung von Qualifikationen Keine/r der Interviewten hatte daran gedacht, sich die in Österreich erworbenen Schulabschlüsse oder Qualifikationen anerkennen zu lassen. Die meisten wussten nicht einmal, dass es diese Möglichkeit gibt und zeigten kein Interesse dafür. Die Worte Werners spiegeln die Haltung aller wider: „Mein Chef interessiert sich nicht für ein Stück Papier, sondern nur dafür, was ich kann”. Auch Renate brachte eine ähnliche Meinung zum Ausdruck: „Als ich mich vorstellen war, hat mich meine Chefin nur über meine vorherigen Berufserfahrungen befragt”. Kurz: die ArbeitnehmerInnen machen sich überhaupt keine Gedanken über die formale Anerkennung ihrer Qualifikationen. Alois teilte diese sorglose Haltung nicht: „In meinem Alter hat es keinen Sinn mehr, die Anerkennung der Qualifikationen zu verlangen, aber für einen jungen Menschen wäre es sehr wichtig, eine Anerkennung in Italien zu erhalten. Als ich das erste Mal nach Italien kam, war ich 36 Jahre alt, aber wenn ich jünger gewesen wäre, hätte ich sicher die Anerkennung in die Wege geleitet”. Gerhard stellte sich anfänglich diese Frage, da er annahm, dass die Anerkennung verpflichtend sei, um in Italien arbeiten zu können: „Als ich dann entdeckte, dass dem nicht so ist, habe ich mich nicht mehr darum gekümmert”. Auch Christian, der sicher von einer etwaigen Anerkennung seiner in Österreich erworbenen Qualifikation als Tapezierer profitieren könnte, sagte, dass er über diese Möglichkeit nicht informiert wurde und dass er daran ohnehin nicht besonders interessiert sei. Die ArbeitnehmerInnen waren überzeugt, in der Praxis eine faktische Anerkennung ihrer Qualifikationen erhalten zu haben und eine Tätigkeit auszuüben, die gleichwertig ihrer vorherigen (oder derjenigen, die sie in Österreich ausüben könnten) ist. Einige mussten jedoch, vor allem in der Anfangsphase in Italien, sich den gebotenen Möglichkeiten anpassen. Diese Erfahrung machten Franz und Werner, die in ihrer ersten Sommersaison in Italien Arbeiten unter ihrem Qualifikationsniveau verrichteten. Werner erklärte: „Wenn du zum ersten Mal in ein fremdes Land kommst, musst du alles annehmen, was du kriegen kannst”. Franz bestätigte das: „Du kannst nicht erwarten, dass du gleich vom ersten Tag an die gleiche Arbeit wie in Österreich machen kannst”. Auch Joseph und Christian hielten es für notwendig, sich an das anzupassen, was der lokale Arbeitsmarkt bietet. Joseph sagte: „In meinem Alter muss man alles nehmen, was man findet”. Gerhard und Karl sahen diese Notwendigkeit nicht und glauben, dass man mit den gleichen Qualifikationsstufen in den italienischen Arbeitsmarkt eintreten kann. Alois' Meinung war differenzierter: „Ich glaube, das man nur schwer eine allgemeine Beurteilung geben 29 kann. Bei einigen Berufen ist eine Anpassung sicher notwendig, aber man muss aufpassen und darf nicht eine zu unterqualifizierte Arbeit annehmen ”. Zukunftsaussichten Zwei der interviewten ArbeitnehmerInnen (Sabine und Christian) haben familiäre und feste emotionale Beziehungen in Friaul, weswegen sie sicherlich auch weiterhin in Italien arbeiten wollen. Zwei andere der Befragten (Franz und Alois) sind schon lange im Land und haben die Absicht, zu bleiben. Franz: „Ich fühle mich hier wohl und glaube nicht, dass es mir in Österreich besser gehen würde”. Alois: „Ich bin schon seit 11 Jahren in Italien, aber ich schließe es nicht aus, in der Zukunft wieder nach Österreich zurückzukehren, um dort zu arbeiten”. Die anderen InterviewpartnerInnen sahen ihre derzeitige Berufserfahrung als vorübergehend an und planen, in den nächsten Jahren in ihr Heimatland zurückzukehren. Alexandra sagte: „Ich würde gerne in einem berühmten Modegeschäft in Mailand arbeiten. Wenn mir das gelingt, könnte ich mir vorstellen, für immer in Italien zu bleiben”. Renate hingegen sucht bereits eine neue Arbeit in Österreich, ist aber bis jetzt mit den ihr gebotenen Möglichkeiten nicht zufrieden: „Die Arbeit ist in Ordnung, aber ich fahre jeden Tag zwei Stunden mit dem Auto, und dieses Pendeln wird mir langsam zuviel”. Joseph hofft, sein Erwerbsleben in Italien beenden zu können: „Noch ein paar Jahre, dann gehe ich in Pension”. 30 Zusammenfassung Abschließend kann gesagt werden, dass man aus den gesammelten Interviews ein im Großen und Ganzen positives Bild der beruflichen Situation der österreichischen ArbeitnehmerInnen in Italien ableiten kann, zumindest wird das von ihnen so wahrgenommen: Best Practices sind offenbar zahlreicher als negative Beispiele. Die österreichischen ArbeitnehmerInnen können sich Arbeit auf einem höheren Niveau beschaffen, und die Verhandlungen zum Arbeitsvertrag werden aus einer starken Position geführt. Es handelt sich dabei also um eine Immigration qualifizierter Arbeitskräfte, der das Problem der beruflichen Dequalifikation, mit dem sich ImmigrantInnen aus anderen Ländern (besonders aus Nicht-EU-Ländern) konfrontiert sehen, fremd ist. Das kommt auch daher, dass in Österreich ein effizientes Ausbildungssystem vorherrscht, das in der Lage ist, eine effektive, verwertbare und auch im Ausland geschätzte Berufsausbildung zu erteilen. Dies ist in Italien von beträchtlichem Nutzen, da das italienische Schulsystem nicht in der Lage ist, die vom Arbeitsmarkt geforderten Berufsbilder adäquat auszubilden: Es ist kein Einzelfall, wenn Personen mit einem mittleren Schulabschluss manchmal ungelernte und unterqualifizierte Arbeiten verrichten. Allein das Niveau der Sprachkenntnisse scheint beim ersten Kontakt mit der italienischen Arbeitswelt insofern einen Einfluss auf die Einstufung der österreichischen ArbeitnehmerInnen zu haben, als gute Italienischkenntnisse gleich zu Beginn den Einstieg mit der gleichen Qualifikationsstufe garantieren, während weniger gute Sprachkenntnisse eine Anpassung an die gebotenen Möglichkeiten erfordern. Es tauchten jedoch einige Aspekte auf, die Anlass zu einer Reflexion sein sollten und unter Umständen anhand einer detaillierteren Studie einer genaueren Evaluation unterzogen werden sollten. Der vorrangige Themenkomplex betrifft sicherlich das gezeigte Desinteresse gegenüber der formalen Anerkennung der Qualifikationen: Keine/r hat ein Anerkennungsverfahren eingeleitet. Die Befragten sind also nicht angesichts des langen bürokratischen Weges entmutigt, sondern vielmehr sind (fälschlicherweise) vor allem die Jüngeren überzeugt, dass eine eventuelle Anerkennung der Qualifikationen ihre Arbeitssituation nicht verbessern würde. In Wirklichkeit könnte die formale Anerkennung der Qualifikationen sich sofort positiv auf ihre wirtschaftliche Lage auswirken: Man denke nur daran, dass einige der ausgeübten Berufe (Koch/Köchin, Kellner/Kellnerin, Verkäufer/Verkäuferin, Rezeptionist/Rezeptionistin, Tischler/Tischlerin) durch die verschiedenen Kollektivverträge einer bestimmten, unumgänglichen Mindestlohn-/gehaltsstufe zugeordnet werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Entlohnung der österreichischen ArbeitnehmerInnen dem Mindestsatz entspricht oder sogar darüber liegt, aber das ist alles andere als selbstverständlich: Die formale Anerkennung der Qualifikationen würde es den österreichischen ArbeitnehmerInnen gestatten, vom/von der ArbeitgeberIn die ihm/ihr laut Kollektivvertrag zustehende Bezahlung einzufordern. Etwas Ähnliches kann zum erreichten Abschluss gesagt werden: In Italien sehen die Kollektivverträge eine umso höhere Bezahlung vor, je höher der Bildungsabschluss ist. Diese formalen Aspekte werden von den ArbeitnehmerInnen stark unterbewertet, die ausschließlich auf ihre eigenen beruflichen Fähigkeiten vertrauen. Ein zweites kritisches Element ist die Unkenntnis der gesetzlichen und vertraglichen Regelungen des Arbeitsverhältnisses: Mindestentlohnung, Sozialversicherungsbeiträge, Einstufung, Möglichkeiten, Unterstützungen vom italienischen Staat in Anspruch zu nehmen. 31 Diese Unwissenheit könnte mit Hilfe der Gewerkschaften überwunden werden, die allen ArbeitnehmerInnen Schutz, Unterstützung und Beratung bieten. Jedoch hat sich keine/r der ArbeitnehmerInnen je an eine Gewerkschaft gewandt: Auch diese Schwierigkeit der Kommunikation und der Kontaktaufnahme muss erwähnt werden und sollte zum Gegenstand weiterer Überlegungen werden. Conclusio Die aus der Studie hervorgehenden Erkenntnisse geben Anlass zu einigen wirtschaftspolitischen Anregungen, die folgendermaßen zusammengefasst werden können: - Erstens scheint die Sensibilisierung der ArbeitnehmerInnen hinsichtlich der Wichtigkeit der Anerkennung der erworbenen beruflichen Qualifikation angebracht und dringend notwendig zu sein (diese Sensibilisierungsmaßnahmen könnten von den Zentren für Arbeitsvermittlung und von den lokalen Einrichtungen der Ministerien in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften durchgeführt werden). Ausländische ArbeitnehmerInnen, die erst kurze Zeit in Italien leben, sind darüber zumeist nicht informiert und orientierungslos: Kurze, in einer einfachen Sprache verfasste Informationsbroschüren wären ihnen sicherlich willkommen. Dieser spezifische Aspekt der Anerkennung der Qualifikationen müsste in eine umfassendere Informationskampagne über die Regelungen des Arbeitsverhältnisses und die Leistungen der Sozialversicherung eingebettet werden, wodurch der verbreitete Informationsmangel ausgeglichen würde. - Zweitens müssten die Beschäftigungsbüros (agenzie per l’impiego), die den Vorteil besitzen, ein verzweigtes Netzwerk in Italien zu bilden und in direktem Kontakt mit der Öffentlichkeit zu stehen, eine bedeutendere Rolle übernehmen. Diese Büros müssten mit den für einen Beratungs- und Informationsdienst für (sowohl italienische als auch aus österreichische) WanderarbeitnehmerInnen erforderlichen finanziellen Mitteln und dem notwendigen Personal ausgestattet werden. - Auf politischer Ebene sollte man in zwei Bereichen tätig werden: eine stärke Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften (man denke daran, dass die Anerkennung zahlreicher Berufe nicht von Gemeinschaftsrichtlinien reglementiert wird) und eine nachhaltige Aktion mit dem Ziel, nicht nur die formale sondern auch die faktische Anerkennung der Qualifikationen durchzusetzen (derzeit durch die starre Bürokratie und die Interessen der Innungen behindert). Es ist also notwendig, dass man für ausländische ArbeitnehmerInnen tatsächlich dieselben Bedingungen wie für italienische ArbeitnehmerInnen schafft. In diesem Sinne erscheint eine rasche und sofortige Anerkennung (ohne ergänzende Lehrgängen oder Prüfungen) der im Ursprungsland erworbenen Berufserfahrungen eine realistische und durchführbare Lösung zu sein. In diesem Zusammenhang muss hinzugefügt werden, dass die Gewerkschaften die Möglichkeit haben, im Rahmen der Kollektivverhandlungen autonom zu agieren. Das bedeutet, dass sie die 32 faktische Anerkennung der Qualifikationen über den KV durchsetzen könnten. - Ein weiterer Handlungsbedarf ist bei den Gewerkschaften zu orten: Durch eine stabile und strukturierte Zusammenarbeit (auch nur einfach in Form von regelmäßigen Treffen) zwischen den italienischen und österreichischen Gewerkschaften (und vor allem zwischen den jeweiligen Organisationen der Grenzgebiete Kärnten und Friaul) könnte man die grenzüberschreitende Migrationsbewegung aufmerksamer beobachten, die Probleme der ArbeitnehmerInnen besser kennen lernen, Instrumente für den gegenseitigen Schutz bereitstellen und Ungleichheiten bei der Behandlung vermeiden. - Abschließend einige Ratschläge direkt an die österreichischen ArbeitnehmerInnen, die bereits in Friaul Julisch-Venetien arbeiten oder dies beabsichtigen. Vor allem ist es hilfreich, sich an die italienischen Gewerkschaften um Rat und Unterstützung zu wenden. Diese verfügen im ganzen Land über Vertretungen, eine große Palette von diversen Leistungen sowie über ein kompetentes und hilfsbereites Personal und bieten außerdem ihre Dienste unentgeltlich an. Zweitens sollten sie sich vermehrt an die Gewerkschaften, die Zentren für Arbeitsvermittlung und ähnliche Institutionen wenden und sich auf keinen Fall nur auf das Netzwerk ihrer persönlichen Kontakte verlassen, was das Risiko in sich birgt, wenig effizient zu sein. Drittens ist es wichtig, dass die österreichischen ArbeitnehmerInnen bereits mit guten Sprachkenntnissen nach Italien kommen oder diese zumindest schnell vertiefen: Die Erfahrungen der Interviewten zeigen, dass das Niveau der Sprachkenntnisse ein wesentlicher Faktor für einen lohnenden und befriedigenden Einstieg in die Arbeitswelt ist. 33