Junge Mütter im dualen System der Berufsbildung
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Junge Mütter im dualen System der Berufsbildung
Berufsbildung, Arbeit und Innovation Dissertationen/Habilitationen Eva Anslinger Junge Mütter im dualen System der Berufsbildung Potenziale und Hindernisse Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Reihe Berufsbildung, Arbeit und Innovation – Dissertationen/Habilitationen, Band 16 Geschäftsführende Herausgeber Klaus Jenewein, Magdeburg Peter Röben, Heidelberg Wissenschaftlicher Beirat Rolf Arnold, Kaiserslautern Arnulf Bojanowski, Hannover Friedhelm Eicker, Rostock Marianne Friese, Gießen Richard Huisinga, Siegen Martin Kipp, Hamburg Jörg-Peter Pahl, Dresden Joseph Pangalos, Hamburg-Harburg Günter Pätzold, Dortmund Klaus Rütters, Hannover Georg Spöttl, Bremen Peter Storz, Dresden Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei der Autorin. Gießener Dissertation im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG, Bielefeld, 2009 Gesamtherstellung: W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung: FaktorZwo, Günter Pawlak, Bielefeld Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Insbesondere darf kein Teil dieses Werkes ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (unter Verwendung elektronischer Systeme oder als Ausdruck, Fotokopie oder unter Nutzung eines anderen Vervielfältigungsverfahrens) über den persönlichen Gebrauch hinaus verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Für alle in diesem Werk verwendeten Warennamen sowie Firmen- und Markenbezeichnungen können Schutzrechte bestehen, auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind. Deren Verwendung in diesem Werk berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei verfügbar seien. ISBN 978-3-7639-3692-2 Bestell-Nr. 6001951 Geleitwort „Eigentlich hat ´ne Mutter mehr geleistet als jede andere Auszubildende“ – die vorliegende Studie von Eva Anslinger thematisiert einen innovativen Ansatz der Berufsbildung, der in der berufspädagogischen Forschung und Praxis bislang weitgehend vernachlässigt war: die Möglichkeit der Implementierung von Teilzeitberufsausbildung für junge Mütter im Rahmen der betrieblichen Ausbildung, die mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes von 2005 ordnungsrechtlich verankert wurde. Der Fokus liegt darauf, Potenziale und Hindernisse einer zeitmodifizierten Ausbildung im dualen System im Kontext von bildungspolitischer, berufspädagogischer und wirtschaftsethischer Verantwortung von ausbildenden Unternehmen herauszuarbeiten. Dazu werden auf der theoretischen Ebene drei Ansätze in neuer Weise analysiert und verbunden: Ansätze der berufspädagogischen Benachteiligtenforschung, der Wirtschaftsethik sowie der Frauen- und Geschlechterforschung. Zugleich werden für die Berufsforschung zwei gravierende Defizite bearbeitet: Zum einen Fragen der Benachteiligtenförderung, die sich gegenwärtig vor dem Hintergrund der Expansion des Übergangssystems dramatisch verschärfen, zum anderen Problemlagen der Benachteiligung von Frauen im dualen System der beruflichen Bildung, die sich für junge Frauen mit Kindern zwangsläufig als familienbedingte Strukturfalle erweisen. Diese Forschungsperspektiven werden durch qualitative Befragungen von Wirtschaftsunternehmen in den Bundesländern Hessen, Bremen und NordrheinWestfalen fundiert sowie auf der Basis von Befunden aus Modellprojekten zur Teilzeitberufsausbildung junger Mütter empirisch gestützt und theoretisch eingebunden. Besondere Berücksichtigung findet dabei das im Lande Bremen durchgeführte und bundesweit transferierte Entwicklungs- und Forschungsprojekt MOSAIK „Kompetenzentwicklung für junge Mütter. Kooperation von Beratung, (Aus)Bildung und Beruf“. Zielt die zentrale Forschungsfrage auf die Identifizierung von Motivationslagen und Hindernissen von Betrieben bei der Umsetzung von Teilzeitberufsausbildung für junge Mütter, werden hierzu drei Analyseebenen entfaltet: Auf der individuelle Ebene werden biografisch bedingte Faktoren des betrieblichen Personals für das Engagement der Teilzeitberufsausbildung für junge Mütter identifiziert; die symbolische Ebene analysiert ethische und bildungspolitische Leitbilder sowie traditionelle Bezüge von Betrieben und betrieblichem Personal; auf der politischen Ebene werden strukturelle und bildungspolitische Rahmenbedingungen zur Zukunft des dualen Systems und zur Verortung der Teilzeitberufsausbildung aus Sicht der befragten Betriebe verdeutlicht. Das bereits im Titel prägnant aufgegriffene Zitat charakterisiert die hohen Anforderungen und Leistungen junger Mütter in Teilzeitberufsausbildung, die von den Betrieben und Kammern größtenteils positiv bescheinigt werden. Gleichwohl steht der Implementierung von Teilzeitberufsausbildung in das Regelsystem der dualen Ausbildung noch eine Reihe von Hemmnissen entgegen, die in der Studie aus bildungspolitischer und betrieblicher Perspektive identifiziert werden. Die Publikation ist von hohem Gewinn für fachliche und interdisziplinäre Fragen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Sie ist von besonderer Bedeutung für die Umsetzung von Innovationen in der Berufsbildung, die mit den neuen ordnungsrechtlichen und bildungspolitischen Reformen einen verbindlichen Rechtsrahmen erhalten haben. Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag für die Implementierung des Leitbildes „Work-Life-Balance“ in der Ausbildung und nicht zuletzt zu dem in der beruflichen Benachteiligtenförderung begonnenen Perspektivwechsel von der Besonderheit zur Normalisierung. Gießen, im August 2008 Prof. Dr. Marianne Friese Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Forschungsprojekts Kompetenzentwicklung für junge Mütter in (Aus)Bildung, Arbeit und Beruf (MOSAIK) an der Universität Bremen sowie im Projekt MOSAIK Transfer an der JustusLiebig-Universität Gießen. Die Studie wurde vom Promotionsausschuss Dr. phil. der Justus-Liebig-Universität Gießen im Wintersemester 2007/2008 angenommen. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit leicht gekürzt und überarbeitet. Der lange Weg von der Idee bis zur Veröffentlichung der Arbeit wurde von einer Vielzahl von Personen und Institutionen unterstützt, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Besonders bedanke ich mich bei meiner „Doktormutter“ Prof. Dr. Marianne Friese, die mir während der Zeit mit Rat, Kritik und mit Aufmunterungen beiseite stand, sowie bei meiner Gutachterin Prof. Dr. Angela Paul-Kohlhoff, die in vielen Gesprächen mit spannenden Anregungen und kritischen Kommentaren zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Dank schulde ich auch den Kolleginnen und Kollegen Dr. Barbara Thiessen, Sabine Pregitzer, Dorothea Piening, Michael Walter und Ilka Benner aus den Forschungsprojekten MOSAIK und MOSAIK Transfer für die solidarische Zusammenarbeit und für die vielen wertvollen Anregungen. Besonders bedanken möchte ich mich bei Sonja Bongard für die vielen Stunden des Transkribierens sowie bei Harald Neujahr für das unerlässliche Korrigieren. Außerdem danke ich den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern, die mit sehr viel Engagement und Interesse ihre knappe Zeit zur Verfügung gestellt haben. Besonderer Dank gilt meinem Freund Dr. Thorsten Hollmann-Hespos, der mir den Rückhalt gegeben hat, diese Arbeit zu Ende zu führen. Abschließend bedanke ich mich herzlich bei meinen Eltern und Geschwistern, die mich während des Studiums und der Promotion immer unterstützt und auch in schweren Stunden zur Seite gestanden haben. Ihnen möchte ich diese Arbeit widmen. Eva Anslinger Inhalt 1 Einleitung .........................................................................................11 2 Junge Mutterschaft zwischen individueller und gesellschaftlicher Benachteiligung .................................................20 Genderstrukturierung im dualen System der Berufsbildung unter Berücksichtigung der Zielgruppe Junge Mütter...................................23 Soziale Ungleichheit im Fokus der Geschlechterforschung ..................25 Ungleicher Zugang zu Bildung und Beruf............................................33 Strukturierung von Öffentlichkeit und Privatheit .................................38 Von der doppelten zur dreifachen Vergesellschaftung von Frauen......41 Entgrenzung von Arbeit .....................................................................45 Entgegensetzung von Beruf und Familie.............................................49 Zwischenfazit .....................................................................................63 Benachteiligtenforschung in der beruflichen Bildung: Theoretische und empirische Entwicklungen ...........................................................65 Zielgruppen der Benachteiligtenförderung .........................................74 Definition der Zielgruppe Junge Mütter ..............................................80 Theoretische Konzeptionen in der Benachteiligtenförderung ..............87 Berufsausbildung im Rahmen der Benachteiligtenförderung...............97 Junge Mütter in Qualifizierung und Berufsausbildung.......................106 Zwischenfazit ...................................................................................129 Wirtschafts- und Unternehmensethik im Kontext von beruflicher Bildung und Diversity Management..................................................131 Theoretische Ansätze der Unternehmensethik..................................140 Corporate Citizenship.......................................................................154 Berufliche Bildung und Corporate Citizenship ...................................171 Familienpolitik und Corporate Citizenship.........................................174 Zwischenfazit ...................................................................................182 Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse und Forschungsfragen der empirischen Untersuchung.........................................................185 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.1.7 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.4 3 3.1 3.1.1 Befragung von Betrieben zur Teilzeitberufsausbildung .............192 Methodisches Vorgehen ..................................................................194 Bearbeitung und Auswertung des Datenmaterials ............................199 7 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.4.1 3.2.4.2 3.2.4.3 3.2.5 3.2.5.1 3.2.5.2 3.2.5.3 3.2.5.4 Verlauf der Studie ............................................................................ 200 Ergebnisse der empirischen Untersuchung ....................................... 202 Unternehmensstruktur, Interessenslagen sowie individuelle Hintergründe der Befragten (individuelle Ebene) .............................. 203 Die Ausbildungsbetriebe .................................................................. 205 Ausbildung, Positionierung und Kompetenzen im Betrieb ................ 208 Ausbildungspersonal........................................................................ 210 Ausbildungsbereitschaft................................................................... 214 Engagement und Interessenlage von Betrieben................................ 218 Ökonomische Effizienz und Umsetzung von Teilzeitberufsausbildung (wirtschaftliche Ebene)..................................................................... 226 Kosten-Nutzen-Faktoren in der (Teilzeit)Berufsausbildung ................ 228 Umsetzung Ausbildungsordnung und Ausbildungsrahmenplan........ 234 Ausbildungsreife junger Mütter........................................................ 250 Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen .................................. 256 Stärken und Problemlagen junger Mütter ........................................ 259 Kinderbetreuung.............................................................................. 274 Sozialpädagogische Begleitung und Unterstützungsstrukturen ........ 279 Corporate Identity und Unternehmenskultur (symbolische und gesellschaftliche Ebene)........................................ 284 Bereitschaft zur (Teilzeit)Ausbildung ................................................ 287 Leitbilder und Tradition von Ausbildungsbetrieben........................... 291 Gesellschaftlicher Auftrag von Ausbildungsbetrieben ....................... 296 Akquisition von Auszubildenden und die Rolle der „Chemie“............ 300 Frauenförderung und Rolle der Teilzeit im Betrieb ............................ 308 Bildungspolitische Rahmenbedingungen und Innovationen (politische Ebene)............................................................................. 316 Bildungspolitische Anforderungen und betriebliche Umsetzung ....... 319 Duale Ausbildung versus außerbetriebliche Ausbildung .................... 322 Fachkräfteentwicklung und Übernahme........................................... 325 Zusammenführung der Ergebnisse ................................................... 330 Erfolgsfaktoren bei der Umsetzung von Teilzeitberufsausbildung ..... 331 Störfaktoren bei der Umsetzung von Teilzeitberufsausbildung ......... 339 Exemplarische Typenbildung ............................................................ 345 Fallstudien ....................................................................................... 352 4 Resümee ........................................................................................ 362 5 Literatur ......................................................................................... 371 6 Anhang .......................................................................................... 396 3.2.1.1 3.2.1.2 3.2.1.3 3.2.1.4 3.2.1.5 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.2 3.2.2.3 3.2.2.4 3.2.2.5 3.2.2.6 3.2.2.7 3.2.3 3.2.3.1 3.2.3.2 3.2.3.3 3.2.3.4 3.2.3.5 3.2.4 8 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Ausbildungsgänge im vollzeitschulischen Bereich........................98 Abbildung 2: Ebenen der Wirtschaftsethik.....................................................137 Abbildung 3: Darstellung des Pyramidenmodells ...........................................165 Abbildung 4: Verhältnis von Teilzeitberufsausbildung und Unternehmenskultur ................................................................299 Abbildung 5: Fördernde und hemmende Einflussfaktoren bei einer Teilzeitberufsausbildung...........................................................345 Abbildung 6: Einordnung der Typen ..............................................................352 9 1 Einleitung „Können Sie nicht zu einer anderen Zeit mit ihrem Kinderwagen UBahn fahren? Jetzt ist Berufsverkehr!“ (Knüpling 2005, S. 24) Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in einer leistungsorientierten Gesellschaft für viele Frauen nur schwer zu realisieren. Dennoch gibt es gegenüber Frauen mit Kindern die normative Verpflichtung, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Diese Verpflichtung greift auch auf der ökonomischen Ebene, aufgrund der Pluralisierung und Individualisierung von Familien- und Lebensstrukturen sowie aufgrund der wachsenden Anzahl von Alleinerziehenden, die für den Lebensunterhalt ihrer Familie alleine verantwortlich sind. Mit großen Anstrengungen übernehmen Frauen mit Kindern ein Konglomerat an Aufgaben, das vor allem junge Mütter, die vor einem gesellschaftlich legitimierten Zeitpunkt ein Kind bekommen, vor unüberwindbare Hürden stellt. Als junge Mütter werden Mädchen und Frauen mit Kindern bezeichnet, die unter 25 Jahre alt sind und keine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung vorweisen können. Das Alter der Frauen steht dabei im Widerspruch zu gängigen Vorstellungen über den richtigen Zeitpunkt von Mutterschaft und wird oft mit Unmündigkeit und sexueller Unverantwortlichkeit gleich gesetzt. Von den jungen Müttern wird das gängige Drei-Phasen-Modell von Ausbildung, Erwerbstätigkeit und Familienbildung ignoriert. Angesichts der weit verbreiten gesellschaftlichen Meinung, dass Mutterschaft erst nach einer qualifizierten Ausbildung und nach einer Erwerbstätigkeit zu realisieren ist, stellen junge Mütter mit dieser Entscheidung eine Ausnahme dar, die gesellschaftlich kritisiert wird. Verfolgen junge Frauen trotz der frühen Mutterschaft auch noch eine Doppelorientierung von Beruf und Familie und nehmen für sich das Recht auf das Nachholen einer qualifizierten Schul- und Berufsausbildung in Anspruch, wird dieses gar als Affront bezeichnet. Dennoch ist auch für die Zielgruppe Junge Mütter die Vereinbarung von Beruf und Familie ein zentrales Ziel, um für sich und ihre Kinder den Lebensunterhalt eigenständig zu sichern. Allerdings ist es für junge Frauen mit Erziehungsverantwortung problematisch, den Zugang in das deutsche Berufsbildungssystem zu finden. In Zeiten sinkender Ausbildungsplatzanzahlen haben junge Mütter besonders große Schwierigkeiten, in das duale Ausbildungssystem einzumünden. Die gegenwärtigen Krise des deutschen Systems der Berufsbildung und die Diskussion um Empfehlungen sowie mögliche Reformbedarfe lösten in Deutschland kontroverse Debatten aus (vgl. Brosi et al. 2003; Kutscha 1992). Vor allem die Finanzierbarkeit des Ausbildungssystems sowie die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe werden im aktuel11 Einleitung len Diskurs kritisiert (vgl. Berger 2004). Trotz der Schaffung von neuen Instrumenten zur Integration von Jugendlichen in das duale Ausbildungssystem, die im nationalen Pakt für Ausbildung zusammengefasst und auf regionaler Ebene konkretisiert und umgesetzt werden, steigt die Anzahl der Jugendlichen, die am Ende das Jahres unversorgt bleiben. Trotz der jüngsten konjunkturellen Erholung der wirtschaftlichen Lage und damit einhergehend auch des Ausbildungsmarktes, ist immer noch eine rechnerische Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu verzeichnen. In wissenschaftlichen Studien im Themenfeld der Benachteiligtenförderung konnte nachgewiesen werden, dass sich für Jugendliche der Berufseinstieg positiv oder negativ auf Lebenschancen auswirkt (vgl. Rützel 2002). Nicht zuletzt die Ergebnisse der PISA-Studie zeigen, dass im deutschen Bildungssystem Jugendliche frühzeitig nach ihren sozialen Chancen im Bildungssystem selektiert werden. Beim Zugang zu dem Berufsausbildungssystem potenziert sich diese Selektion. An der ersten Schwelle, beim Übergang von der Schule in das Ausbildungssystem, haben benachteiligte Jugendliche nur begrenzte Möglichkeiten, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu erhalten. Sie benötigen aufgrund der Stofffülle und den erhöhten Leistungs- und Prüfungsanforderungen immer öfter stützende Maßnahmen (vgl. Eckert 1998). Dennoch ist das duale System für Jugendliche attraktiv: Der Betrieb zahlt den Auszubildenden eine Ausbildungsvergütung, die den Einstieg in eine eigenständige Lebensführung erlaubt. Das Arbeiten und Lernen im Betrieb fördern den Ernstcharakter, wodurch die duale Ausbildung einen höheren Stellenwert bei den Jugendlichen einnimmt als andere Ausbildungsgänge. Nicht zuletzt besteht nach der bestandenen Abschlussprüfung die Möglichkeit einer Übernahme durch den Betrieb. Durch die Attraktivität des dualen Ausbildungssystems verfolgen die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Ziel, nach einem qualifizierten Schulabschluss in dieses System einzumünden. Jedoch sind die Kapazitäten an dualen Ausbildungsplätzen begrenzt, so dass benachteiligte Zielgruppen dort vergleichsweise selten anzutreffen sind. Es ist insbesondere festzustellen, dass junge Frauen generell zu den Verliererinnen beim Einmünden in das duale Ausbildungssystem gehören. Trotz besserer Schulabschlüsse und einer hohen Ausbildungsmotivation, finden sie den Zugang an der ersten Schwelle weniger oft als männliche Jugendliche. Streben junge Frauen mit Kindern eine Ausbildung im dualen System der Berufsbildung an, werden sie in doppelter Weise benachteiligt. Neben der Risikolage junger Mutterschaft sind sie von geschlechtlich begründeten Exklusionsmechanismen im Berufsausbildungssystem besonders betroffen. 12 Einleitung Die beschriebene Schieflage im deutschen Ausbildungssystem wurde von wis1 senschaftlicher Seite aufgenommen. In mehreren Modellprojekten zur Vereinbarung von Ausbildung und Familie von jungen Müttern und Vätern, werden seit den 1990er Jahren Teilzeitmodelle in der Ausbildung erprobt, evaluiert und weiterentwickelt. Einen ersten Höhepunkt dieser Arbeit konnte mit der Konsolidierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) im Jahre 2005 erreicht werden. Neben der festen Verankerung von Teilzeitberufsausbildung im Berufsbildungsgesetz wurden darüber hinaus weitreichende Veränderungen vorgenommen, um benachteiligte Zielgruppen Erwerbsmöglichkeiten auch im dualen System zu eröffnen (vgl. Bojanowski et al. 2004; Gericke 2003a). Insbesondere die Fokussierung auf die betriebliche Berufsausbildung ist im Zusammenhang mit junger Mutterschaft nur ein marginal untersuchtes Forschungsfeld. So bestehen in Deutschland bislang nur wenig empirisch gesicherte Forschungsergebnisse zum Themenbereich junge Mütter in Qualifizierung und Ausbildung (vgl. Friese 2002; Friese 2008; Nader et al. 2003; Zybell 2003). Dieses Forschungsdesiderat nahm zuerst die wissenschaftliche Begleitung des Modellprojekts Jamba auf, ebenso wie das als Forschungs- und Entwicklungsprojekt 2 angelegte Projekt MOSAIK , das für die empirische Aufarbeitung des Themenfeldes Junge Mütter in Qualifizierung und Berufsausbildung von weitereichender Bedeutung ist. Ziel des Projekts MOSAIK war die Erarbeitung von Konzepten für eine ganzheitliche Kompetenzentwicklung für junge Mütter und ihre Kinder, um sie langfristig zu einer eigenständigen und ökonomisch unabhängigen Existenzsicherung zu befähigen. Zur Zielerreichung wurden im Projekt drei Ansätze verfolgt: Erstens wurde auf der Basis demografischer, soziökonomischer und soziokultureller Daten eine Definition der Zielgruppe sowie eine Bedarfserhebung vorgenommen. Zweitens wurden anhand der empirischen Datenbasis sowie auf der Grundlage der Bedarfserhebung individuelle und ganzheitliche Förderansätze für 1 Vgl. MOSAIK, Jamba, Beat, LiLa, STARegio-Projekt Ausbildung in Teilzeit 2 Das Forschungsprojekt „Kompetenzentwicklung für (junge) Mütter in (Aus)Bildung, Beratung und Beruf“ (MOSAIK) gefördert im Programm „Kompetenzen fördern. Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf“ (BQF) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie dem europäischen Sozialfonds war in der Zeit vom 01.05.2003-31.08.2006 an der Universität Bremen unter der Leitung von Prof. Dr. Marianne Friese angesiedelt. Im Projekt MOSAIK Transfer gefördert vom 01.09.2006-31.08.2007 und angesiedelt an der Justus-LiebigUniversität Gießen, ebenfalls unter der Leitung von Prof. Dr. Marianne Friese, wurden die Forschungsergebnisse bundesweit übertragen. Die Autorin der vorliegenden Studie war über die gesamte Projektdauer in den Forschungsprojekten MOSAIK und MOSAIK Transfer als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig und an der Erhebung und Auswertung der Projektergebnisse maßgeblich beteiligt. 13 Einleitung Qualifizierung und Berufsbildung sowie für Kinderbetreuung entwickelt. Drittens wurde als Prototyp im Land Bremen eine regionale Netzwerkstruktur, die so genannte „Förderkette junge Mütter“ aufgebaut und zu bereichsübergreifenden Kooperationen zusammen geführt (vgl. Anslinger/Friese 2008). Im Projekt MOSAIK konnte die betriebliche Ausbildung von jungen Müttern als ein gesondertes Untersuchungsfeld ausgewiesen werden. Daher erfolgt im Rahmen dieser Studie eine separate Erhebung und Auswertung des Untersuchungsfeldes „Betriebliche Ausbildung von jungen Müttern“, bei der ausgewählte Forschungsergebnisse von MOSAIK zugrunde gelegt werden. Die empirischen Erhebungen für diese Arbeit ist im Kontext des Forschungsprojektes entstanden und als ein Bestandteil des Gesamtergebnisses aufzufassen. Zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts MOSAIK Das Phänomen der jungen Mutterschaft, das häufig mit dem Status Alleinerziehende verbunden ist, existiert in allen sozialen Schichten und beschränkt sich keineswegs auf Familien mit niedrigem Bildungsniveau und geringem Einkommen. Allerdings belegt nicht nur die seit den 1990er Jahren intensivierte Armutsforschung und Sozialberichterstattung, dass allein erziehende Frauen und insbesondere junge Mütter häufig in prekären sozioökonomischen Einkommenssituationen leben. Anhand von Sonderauswertungen des Mikrozensus kann gezeigt werden, dass vor allem junge Mütter von Armut und prekären Lebenssituationen betroffen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass sie oft über keinen oder lediglich gering qualifizierenden Schulabschluss verfügen sowie meist keinen Abschluss in einem Ausbildungsberuf vorzuweisen haben (vgl. Friese 2008). Die Bildungsverläufe und Schulerfahrungen junger Mütter sind oft durch Diskontinuitäten gekennzeichnet. Wird Schulmeidung oder gar Schulverweigerung oft als ein Problem von männlichen Jugendlichen angesehen, kann junge Mutterschaft als ein Resultat von Schulmeidung gelten, das die Angst vor Versagen und Zurückweisung ausdrückt. Wird ein noch schulpflichtiges Mädchen schwanger, kann es sich von der Schulpflicht befreien lassen und scheidet somit frühzeitig aus den schulischen und beruflichen Qualifizierungswegen aus. Eine Rückkehr in Schule oder Ausbildung ist nach einer dreijährigen Elternzeit für die jungen Frauen kaum noch zu bewältigen. Beim Eintritt in das Erwerbsleben nach der Elternzeit machen sich die schulischen Qualifikationsdefizite deutlich bemerkbar. Alarmierend ist der Befund, dass junge Mütter im Alter zwischen 17 und 25 Jahren sich zum Großteil im Sozialhilfebzw. Arbeitslosengeld II-Bezug befinden. Eine Förderung und Qualifizierung von jungen Müttern stellt damit eine wesentliche Aufgabe dar, um die Zielgruppe 14 Einleitung langfristig in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen den Zugang zu nachhaltigen Erwerbsperspektiven, unabhängig von staatlichen Transferleistungen zu ermöglichen. Bei der Integration von jungen Müttern in das Ausbildungssystem kommt erschwerend hinzu, dass in Deutschland Eltern mit Kindern unter drei Jahren von der Verpflichtung zur eigenständigen Existenzsicherung ausgenommen werden und staatliche Transferleistungen erhalten. Zwar kann es für Mütter durchaus eine Entlastung und Erweiterung ihrer Entscheidungsfreiheit sein, zwischen ausschließlich Kind- oder Doppelorientierung zu wählen, für junge Mütter bedeutet die Konsequenz einer dreijährigen Unterbrechung von Schule und Ausbildung allerdings eine kaum wieder einzuholende Lücke in ihrer Bildungsbiografie. Wenn sie dann abrupt nach drei Jahren zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes herangezogen werden, fehlt ihnen die entsprechende Voraussetzung für eine qualifizierte und existenzsichernde Erwerbsarbeit. Gleichzeitig konnte festgestellt werden, dass junge Mütter ein großes Interesse sowie eine hohe Motivation haben, eine qualifizierte Berufsausbildung aufzunehmen, um damit langfristig aus sozialer und gesellschaftlicher Isolation auszusteigen und somit den eigenen Lebensunterhalt selbständig sichern zu können. Um eine Berufsausbildung oder Qualifizierung aufnehmen zu können, gilt als eine wesentliche Voraussetzung eine qualitativ hochwertige und institutionell abgesicherte Kinderbetreuung. Allerdings ist die Lage der Angebote öffentlicher Kinderbetreuung insbesondere für unter Dreijährige in Deutschland – auch im europäischen Vergleich – immer noch alarmierend. Es sind vor allem junge Mütter, die in besonderer Weise von diesen Strukturproblemen betroffen sind. Die komplexen psychosozialen und organisatorischen Problemlagen junger Mütter erfordern professionelle Angebote, auch im Hinblick auf die Sicherung des doppelten Kindeswohls (vgl. Anslinger/Thiessen 2004). Nehmen junge Mütter eine Qualifizierung oder Berufsausbildung auf, sind die Ausbildungszeiten mit den ohnehin unzureichenden Kinderbetreuungsangeboten kaum zu vereinbaren. Gleichzeitig bieten die Unterstützungssysteme der beruflichen Bildung, wie beispielsweise die Einrichtung einer sozialpädagogischen oder psychosozialen Betreuung keine passgenaue, auf die Bedarfe der Zielgruppe ausgerichtete Begleitung. Zwar gibt es im Bundesgebiet durchaus ermutigende Initiativen und Modelle, um junge Mütter in das deutsche Berufsbildungssystem zu integrieren (Friese 2008; Zybell 2003; Nader et al. 2003), eine vernetzte Förderstruktur, um jungen Menschen mit Kindern in jeder Lebensphase ein Förderangebot machen zu können, bestand bislang jedoch nicht. Exemplarisch wird in Bremen seit dem Jahre 2000 eine verbindliche Kooperation von Beratung und Wohnen, Schule und (Aus)Bildung entwickelt, die von öffentlichen 15