Zur Kenntlichkeit entstellt

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Zur Kenntlichkeit entstellt
26.7.2016
Wiener Zeitung Online
vom 27.06.2016, 16:16 Uhr
Update: 27.06.2016, 18:08 Uhr
Nachruf
Zur Kenntlichkeit entstellt
Von Judith Belfkih
Manfred Deix, Kenner der schwarzen Seele Österreichs, ist im Alter von 67 Jahren
gestorben.
Die seelischen Abgründe seiner Mitbürger und der Gesellschaft waren
seine Heimat. Unermüdlich machte er sich daran, sie bis in die letzten
Winkel auszuleuchten, sie dann zu überhöhen, zuzuspitzen und bis
knapp an die Grenze der Erträglichkeit zu verfremden. Angenehm
waren seine Zeichnungen dem Betrachter nur selten. Amüsiert haben
sie viele, abgestoßen so manche. Kalt gelassen jedoch kaum
jemanden. Aber das liegt im Wesen der politischen Karikatur, den
Finger auf die Wunde zu legen, gesellschaftliche Miss- und andere
Zustände bissig zur Schau zu stellen. Die Treffsicherheit des Manfred
Deix war dabei mitunter erschreckend.
Schwer übergewichtig, mit aufgedunsenem Gesicht und roter Nase,
nicht mit besonderer Intelligenz gesegnet und stets eindeutig oder
zweideutig sexuell aufgeladen - die typische Figur des Manfred Deix
entspricht mehr der grotesk verzerrten Realität als einem schicken
Schönheitsideal. Die "Deix-Figur" schaffte es als Begriff sogar in den
Duden, als "ins Lächerliche verzerrte Darstellung eines Menschen".
Doch, bei all der Zur-Schau-Stellung des Skurrilen, des Absurden und
des Hässlichen - man spürte stets auch die Sympathie des Zeichners
für die von ihm geschaffenen Figuren. All die großen und kleinen
Unzulänglichkeiten, in denen Deix seine prototypischen Charaktere
bloßstellte und vorführte, sie waren in ihren Schwächen vor allem
zutiefst menschlich.
Geboren wurde Manfred Deix am 22. Februar 1949 in St. Pölten.
Bereits als Kind zeichnete er gerne und viel, sein erstes Werk war ein
erotisches Daumenkino, im Alter von neun Jahren wie er in einem
Interview erzählte: "Hundert Seiten über eine Frau, die sich auszieht.
Das Höschen hat sie anbehalten, ich wusste nicht, wie es drunter
aussieht. Das war aufregend." Diese frühe sinnliche Neugierde hat Deix
sich auch als Erwachsener erhalten.
Sein Werk sah er nie als zeitkritisch, sondern beschrieb sich selbst als
scharfäugig und sein Zeichnen als "primär lustvollen Prozess". Dieses
Lustvolle in Deix’ Werk fand sich auch in seinem Leben wieder - die
Zigarette und das Glas Wein fand man oft in seiner Nähe.
Bereits als Elfjähriger veröffentlichte er erste Zeichnungen, als
wöchentlichen Comic-Strip der "Niederösterreichischen Kirchenzeitung".
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Die fachliche Kompetenz erwarb Deix ab
1965 an der Graphischen in Wien, wo er
etwa auf den späteren Roncalli-Gründer
Bernhard Paul sowie die Maler Josef
Bramer und Gottfried Helnwein traf. 1968
schrieb sich Deix an der Akademie am
Schillerplatz ein. Manfred Deix’
Zeichnungen hatten bald einen sehr
markanten Stil, erste Veröffentlichungen in
Magazinen wie "profil" und "trend" gab es
ab 1972, später auch im "stern", "Spiegel"
und "pardon". Seine gezeichneten und
gemalten Zeitkommentare und Titelblätter
machten ihn beim breiten Publikum
populär, seine Verspätungen bei
Abgabeterminen bei Herausgebern
berüchtigt.
"Grazer Bürgerwehr" aus dem Jahr
2002.
Einen "Menschenabbilder" nannte er sich
© Manfred Deix
selbst gerne, was ihn interessierte, war die
Menschenseele. Dass es die
österreichische war, die er meist abbildete,
spielte für ihn keine Rolle. Individuen waren für ihn austauschbar, er
war stets auf der Suche nach der Fratze des Archetypischen dahinter.
Dass Betrachter seine Bilder als unbequem empfanden, verwunderte
den Künstler. Er bilde nur die Realität ab. Und die sei es, die unbequem
ist. Vielmehr noch: "Die Welt ist viel radikaler als meine Zeichnungen.
Die sind eher verharmlosend."
Sein erster Sammelband unter dem schlichten Titel "Cartoons" erschien
1980 in Buchform - bis heute sollten zahlreiche weitere folgen,
darunter "Der dicke Deix", "Der goldene Deix", "Dichter Deix", "Der
heilige Deix" und "Für immer Deix!". Dabei stets vorhanden: die
Signatur mit einer Königskrone anstelle eines i-Punktes. Für seine
Leser ebenso schnell ersichtlich wurde seine Leidenschaft für Katzen
oder die Verehrung der US-Band Beach Boys, was beides immer wieder
zeichnerischen Ausdruck fand.
Katzen waren auch in seinem Haus in Klosterneuburg omnipräsent. Bis
zu 96 von ihnen lebten mit Deix und seiner Frau Marietta mitunter. Nur
für Besucher und zum Zeichnen hatte der Künstler eine katzenfreie
Zone eingerichtet. Die Katzen scherte das wenig. Für Deix waren sie
die "wertvolleren Kreaturen": "Sie sind ehrlich, lügen und betrügen
nicht. Und sie führen keine Kriege."
Ein künstlerisches Zuhause fanden seine unzähligen Werke im
niederösterreichischen Krems, wo das Karikaturmuseum seit seiner
Eröffnung 2001 eine umfangreiche Dauerausstellung zeigt. Die
Fertigstellung eines letzten Werkes hat Manfred Deix, der sich selbst
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gerne als "Harmoniejunkie" bezeichnet hat,
nicht mehr erlebt: ein Animationsfilm über
sich selbst. Nach einem Drehbuch von
Rupert Henning wird seit einigen Jahren an
"Rotzbub" gearbeitet, laut Ankündigung
eine Coming-of-Age-Geschichte eines
Schankburschen vom Land. Derzeit wird
ein Kinostart im Herbst 2018 anvisiert.
Österreich hat am vergangenem Samstag
Hochaktuell und doch zeitlos:
einen der scharfen und doch stets
Manfred Deix’ Blick auf die
liebevollen Blicke auf die tiefen, ja
österreichische Seele war bissig,
abgründigen Zusammenhänge dieses
entlarvend und dabei erschreckend
Landes verloren. Um seinen
treffsicher.
beunruhigenden Gesundheitszustand
© Günter S. Kargl
wusste man seit einigen Jahren. Nun ist
Manfred Deix im Alter von 67 Jahren nach
langer, schwerer Krankheit verstorben.
Nicht nur seine geliebten Katzen werden ihn vermissen. Mit Deix verliert
Österreich seinen wohl schärfsten und ehrlichsten Spiegel der
kollektiven Selbsterkenntnis.
UR L: http://www.wie ne rze itung.at/nachrichte n/k ultur/k unst/827919_Zur-Ke nntlichk e it-e ntste llt.htm l
© 2016 Wiener Zeitung
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