Generationenvergleich

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Generationenvergleich
G en eration e nvergleic h
Leichtbau-Motorräder
leichtgedichte
Ein Mann baut (s)einen Traum. Rüdiger Kranz ist Leichtbau-Freak und war bis Ende 2009
in der deutschen Supermoto-Profiliga unterwegs. Da wundert es nicht, dass er beim Bau
seines ersten Straßenrenners auf einen 450er-Motocrosser zurückgreift. PS-Redakteur
Robert Glück fuhr den Rennfloh und zum Vergleich eine 1993er-Yamaha TZR 250 RSP.
Text: Robert glück
Fotos: markus Jahn
n
ürburgring, Fahrerlager der GP-Strecke. Die Teilnehmer des PS-Racecamp sind von schlechtem Wetter
gebeutelt. Es regnet, und wer nicht gerade
Regenreifen auf seinen Boliden aufzieht,
der belagert die Kaffeemaschine und war-
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tet auf Besserung. Als die PS-Tester den
Geist der Vergangenheit in Form einer seltenen, nie offiziell in Deutschland verkauften Yamaha TZR 250 RSP und den Geist
der Zukunft, die 450mototechGP ausladen, hellen sich nicht nur die Gesichter ei-
niger aufmerksamer Beobachter auf, sondern auch der Himmel.
Es ist unglaublich, was für eine magnetische Wirkung ein Zweitakter heute noch
auf seine Umgebung hat. Sofort stehen
eine Handvoll Enthusiasten da, fragen
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nach Baujahr, Gewicht und Leistung. Bestaunen die Kompaktheit des Renners.
Noch mehr Interesse zieht jedoch dieses unglaublich schmale, sehr zierliche
Ding auf sich, das direkt daneben abgestellt wird. Stealth-Design in Weiß, kaum
breiter als eine Bierbank und auch nicht
arg viel schwerer steht es wie ein federleichtes, aufgeblasenes Pocket-Bike auf
seinen Aluminiumständern. Die spitze
Nase, die klare, bewusst kantig gehaltene
Tankhaube und das eckige Heck verleihen
der 450mototechGP, so der offizielle, etwas
sperrige Name, ein Moto2-ähnliches Äußeres. Einen großen Anteil daran haben auch
die mächtigen Räder – vorne steckt eine
3.50 x 16.5“ große PVM-Schmiedefelge,
hinten ein 5.00 x 17“ großes Rad in dem
Chassis des Ex-Crosser. Da wirkt die TZR
250 mit ihren schmalen, konventionellen
17-Zöllern fast schon bieder.
Booooäääääääääh!!! Die Yamaha sägt
aus der Coca-Cola-Kurve auf die Start-ZielGerade hinaus. Der kleine weiße Zeiger
schnappt gierig nach den filigranen Zahlen auf dem Display des Drehzahlmessers.
Wie ein Pacman auf Speed vernascht er
die 9, 10, 11 und 12. Es folgt der vierte
Gang. 9, 10, 11, 12 – booäääh! Fünfter
Gang: 9, 10, 11, 12 – boooäääh! Sechster
Gang: 9, 10, booääh 11, boooäääh, die 12
lässt auf sich warten. Die TZR ist für den
Nürburgring perfekt übersetzt, der PacmanZeiger packt sich nach dem Start-ZielStrich die kleine 12 und dreht bis zum
Bremspunkt kurz in den roten Bereich hinein. Ab in die Klötze! Als Vierfinger-Bremser, der in letzter Zeit viel auf TausenderSupersportlern unterwegs war, ziehe ich
wie gewohnt am Bremshebel. Sofort steigt
das Heck der TZR, zwar gut kontrollierbar,
dennoch überraschend. Mit dem Hintern
kann ich nicht weiter nach hinten, der Bürzel schränkt den Arbeitsplatz für Turnereien stark ein. Hatte Dominik Klein (www.
yamaha-klein.de), der uns diesen exklusiven Brenner überlassen hat, nicht etwas
von neuen Bremsbelägen gesagt? Eine
Wucht, wie sie in die beiden dünnen
282-Millimeter-Scheiben beißen!
Die enge Rechts in den „Haug-Haken“
steht an, mit viel Tempo umlegen und den
Hahn wieder spannen. „Bööö!“ schimpft
es aus dem Maschinenraum. Mist! Ich stecke im dritten, statt dem zweiten Gang, der
kleine Pacman auf dem Drehzahlmesser
lungert faul bei der Sieben herum, es
scheint als stünde ein „Insert Coin“ auf
dem Display. Der Zweite flutscht mühelos
an seinen Arbeitsplatz, die Yamaha jubiliert: 9, 10, 11, und die 12! Ja, die Säge
sägt wieder, der lange Linksbogen wird zügig durcheilt, während sich die BT 090 von
Bridgestone in satter Schräglage in den
Asphalt verbeißen. Der weite Bogen zieht
sich fies zu, wird zu einer ganz engen
Linkskurve. Die Bremswellen der Formel
1-Autos machen der Yamaha schwer zu
schaffen. Die siebzehn Jahre alten Dämpfer sind voll einstellbar, aber vom GrundSetting her viel zu weich. Das ändert zwar
nichts an diesem schmetterlingshaften
Einlenkverhalten, verhindert aber, dass
man den nötigen Kurvenspeed aufbaut,
um mit richtig Pfeffer in die Ecken hinein
zu nageln. Und genau das ist es ja, was
Zweitakterfahren einzigartig macht. Diese
brutale Eingangsgeschwindigkeit, die dann
mit hoher Schräglage im runden Bogen bis
zum Kurvenausgang mitgenommen wird.
Einzigartig? Ja, aber nicht vom Aussterben bedroht wie die Zweitakter. Denn es
ist nicht die Motorisierung, die diesen
Fahrstil erlaubt, sondern die Fahrzeugmasse, beziehungsweise die Gesamtmasse
der Kombination Fahrer und Motorrad. Und
der Genuss dieses Fahrgefühls ist auch
Die Trockenkupplung ist ein Schmankerl
der RSP-Variante des Yamaha V2.
Leben zwischen 9 und 12. Darunter und
darüber geht absolut gar nichts.
Zwei 32er-Mikuni-Flachschiebervergaser
sorgen für reichlich Bums in der Säge.
Die charakteristische, asymmetrische
Auspuffanlage stammt von der echten TZ.
-Daten
Yamaha
TZR 250 RSP, 1993
Antrieb: Zweizylinder-90-Grad-V-Zweitakt-Motor,
59 kW (80 PS) bei 12 000/min, 48 Nm bei 10 550/min,
249 cm3, Bohrung/Hub: 56,0/50,7 mm, Verdichtung:
8,5:1, 2x Mikuni-Flachschiebervergaser, 32-mmDrosselklappen (oval), mechanisch betätigte
Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe,
Kette
Fahrwerk: Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,0 Grad, Nachlauf: 90 mm, Radstand: 1340
mm, Ø Gabelinnenrohr: 41 mm, Federweg v./h.:
125/120 mm
Räder und Bremsen: Leichtmetall-Gussräder, 3.00 x
17“/4.50 x 17“, Reifen vorn: 110/70 ZR 17, hinten:
160/60 ZR 17, 282-mm-Doppelscheibenbremse mit
Vierkolben-Festsätteln vorn, 210-mm-Einzelscheibenbremse mit Zweikolben-Festsattel hinten
In den 1990er-Jahren brachte die TZR
250 RSP Renntechnik auf die Straße.
Racing pur dank 126 kg und 80 PS.
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Gewicht (trocken, v/h): 126 kg* (50,1%/49,9%),
Tankinhalt: 14,5 Liter Super
Grundpreis: ca. 17 000 D-Mark (1993)
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mit Viertaktern möglich, so lange deren
Masse nur klein genug ist.
Rüdiger Kranz aus Denkendorf (www.
mototech.de) ist zwar nie 250er-Zweitakter
auf dem Asphalt gefahren, hat sich aber
nach dem Ende seiner aktiven SupermotoKarriere unterbewusst diesem Feeling verschrieben. Die für ein Renntraining ausgeliehene 600er war ihm viel zu schwer, das
Einlenkverhalten zu indirekt und zu behäbig. Eine Säge zu kaufen, kam nicht in die
Tüte, also musste Eigenes her. Dem Fahrwerks-Tuner und Setup-Spezialist stach
seine 450er-Motocross ins Auge. Wenn
man einen Crosser in eine Supermoto verwandeln kann, dann muss sich daraus
doch auch ein Straßenflitzer machen lassen, so der Gedanke.
Gedacht, getan, die Suzuki RMZ wurde
penibel vermessen und die Fahrwerks­
daten mit denen moderner Supersportler
verglichen. Danach bemühte Kranz Schraubenschlüssel, Drehbank und Fräse, ging zu
seinem Kumpel der IMM-GmbH und baute
mit ihm die komplette Verkleidung. Dann
schraubte er Räder und Bremse an, der
Motor bekam noch eine Zylinderkopf­
bearbeitung und so seine 63 PS eingehaucht. Es folgte die penible Abstimmung
der gekürzten Motocross-Federelemente.
Das Gröbste war erledigt. Die Geometrie
des 450mototechGP-Chassis lehnt sich
an die Daten der KTM RC 8 an, ihr Trocken­
gewicht von hundert Kilogramm liegt
allerdings weit darunter, und dies trotz
schwerer Verkleidung und gewichtigem
Edelstahlauspuff. Mit etwas Carbon und
Titan wären locker nochmals fünf Kilogramm einzu­sparen.
Doch ist das notwendig? Die 450er
nimmt auch große Fahrer bereitwillig auf,
offeriert auch langen Beinen genügend
Platz. Die sehr schmal geschnittene Verkleidung schützt den Piloten sehr effektiv,
die Mulde des Tankdeckels nimmt den
Kinnbereich des Helms perfekt auf.
Derartig zusammengefaltet geht es volle Lotte bergab in Richtung Dunlop-Kehre.
Dumpf ballernd fliegt die kleine Weiße
durch die schnellen Bögen, lässt sich auch
bei hoher Geschwindigkeit per Wimpernschlag steuern, fliegt mit großem Überschuss an den bereits bremsenden
1000er-Superbikes vorbei auf die Kehre
zu. Es folgt das Prozedere jeder späten
Bremsattacke. Blitzschnelles Aufrichten
des Oberkörpers, Gas zu, Bremse und
Kupplung ziehen, in den dritten Gang
-Kommentar
Rennsport soll günstiger werden. Darum
starben die 250er-Zweitakter, deswegen werden die 125er-ZweitakRobert Glück,
ter untergehen. Unsinnigerweise sollen die PS-Tester
kleinen Kreischsägen
aber von 250er-Viertakt-Motoren abgelöst
werden. Unverständlich deshalb, weil die
kleinen Einzylinder dem 450er-Single in
vielerlei Hinsicht nicht das Wasser reichen
können. Hier nur ein Beispiel: die Unterhaltskosten. Ein 250er-Viertakter im Supermoto-Betrieb sollte alle 25 Betriebsstunden rediviert werden. Die Standzeit
eines 450er-Motors ist bei gleicher Belastung fast viermal so hoch. Auf der Rundstrecke werden sich diese Intervalle nochmals verkürzen. Allein die doppelte Anzahl
der Revisionen wird die Betriebskosten eines 250ers gegenüber einem 450er-Motor deutlich erhöhen. Ginge es also um
den Sport und eine Reduzierung der Kosten, müssten logischerweise die 450erSingles in ein Moto3-Chassis wandern.
Tun sie laut Dorna aber nicht. Eine weitere
Kröte im Leben, die man schlucken muss,
ohne sie zu verstehen.
Die 450er stanzte ihrem
Erschaffer Rüdiger Kranz das
ewige Lächeln ins Gesicht.
Motocross goes Street. Selbstgefräste
Gabelbrücke vor originalem Cross-Tank.
Fetter 16.5-Zöller und bissige MaguraRadialbremse an der stabilen Front.
Dank Adapter ist das Schaltschema nun
umgedreht, der erste Gang also oben.
Das gekürzte Originalfederbein wurde von
Kranz selbst auf Racing abgestimmt.
-Daten
mototech
450 mototech gp
Antrieb: Einzylinder-Viertakt-Motor, 4 Ventile/
Zylinder, 45,5 kW (62 PS) bei 8900/min, 53 Nm
bei 7100/min, 449 cm3, Bohrung/Hub: 96,0/62,1
mm, Verdichtung: 12,8:1, Zünd-/Einspritzanlage,
43-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte
Rekluse Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfgang­
getriebe, Kette
Fahrwerk: Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,3 Grad, Nachlauf: 100 mm, Radstand:
1420 mm, Ø Gabelinnenrohr: 47 mm, Federweg v./h.:
150/150 mm
Räder und Bremsen: Leichtmetall-Schmiederäder,
3.50 x 16.5“/5.00 x 17“, Reifen vorn: 125/600 R 16.5,
hinten: 165/630 R 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenem VierkolbenFestsattel vorn, 240-mm-Einzelscheibenbremse mit
Einkolben-Schwimmsattel hinten
Gewicht (trocken, vo./hi.): 100 kg* 49,1%/50,9%
Tankinhalt: 6,5 Liter Super
Grundpreis: 10 999 Euro
Auch ohne Verkleidung wirkt die Mototech aufgeräumt. Kein Schnickschnack
am Bike – was dran ist, muss dran sein.
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schalten, einkuppeln, umlegen, Gas anlegen, mit viel Schwung zum Scheitelpunkt
brennen und dort direkt wieder volles Rohr
die Drosselklappe öffnen.
Bis dieser Vorgang reibungslos und effektiv eintrainiert ist, vergehen Tage. Denn
die 450mototechGP ist wie ein faszinierender Märchenspiegel. Du blickst in ihn hinein und er zeigt dir all deine Unzulänglichkeit auf. Führt dir radikal die bittere
Wahrheit deines bescheidenen Rennfahrer­
könnens vor Augen. Jede 1000er, ja sogar
eine 600er kaschiert Fahrfehler wie zu frühes Einlenken, zu frühes Bremsen oder zu
spätes Gasgeben oder gar eine zu lässige
Körperhaltung irgendwie mit ihrer Power.
Wer allerdings mit 63 PS auf der Renne
maximalen Spaß haben will, der muss
­super sauber und auf den Punkt genau
fahren, muss jedes Quäntchen Schwung
mitnehmen. Das ist zugegebenermaßen
anstrengend, weil es nur mit einer sehr
­hohen Konzentration und Disziplin geht,
doch ehrlich gesprochen ist es eben die
hohe Schule des Motorradfahrens. Wie in
jedem Sport wird Anstrengung aber auch
belohnt. Es gibt definitiv nichts Süßeres
als eine saubere Runde auf dieser Fahrmaschine. Sie meißelt einem das Grinsen
dauerhaft ins Gesicht. Niemals war es
möglich (aber auch notwendig) so früh gefahrlos Vollgas zu geben, wie auf diesem
kleinen Wirbelwind. Da die BridgestoneSlicks für deutlich mehr Leistung konzipiert
sind, kann auf der Mototech wirklich sorgenfrei der Schalter umgelegt, die Schräglage nochmals gesteigert und der Kurvenspeed sukzessive erhöht werden.
Rüdigers 450er kann also im besten
Sinne als „Fahrschul-Motorrad“ bezeichnet
werden. Mit ihr wird ein 15-jähriger Einsteiger besser zurechtkommen, als mit einer
Fazit:
zickigen 125er. Der versierte Pilot, stößt
mit der 450er in Sachen Kurvenspeed,
Handling und Schräglage in Sphären vor,
die ihm bislang versagt blieben.
Das Beste an der ganzen Geschichte:
Das Mototech-Konzept ist günstig und
markenunabhänging. Kranz baute eine
­Suzuki um, weil sie gerade da stand. Der
Umbau ist mit allen Fabrikaten möglich, zu
ähnlichem Preis. Eine Budget-Version ohne
Radialbremsanlage kann er beim Einkauf
eines Neufahrzeugs für 6500 Euro für
­unter 10 000 Euro realisieren. Eine neue
Suzuki RM-Z 450 von 2006 ist derzeit für
4500 Euro im Internet zu bekommen. Wer
so ein Angebot schießt, der kann sich
­locker die gute Radialbrems­anlage gönnen. Wird es also Zeit die Tausender zu
verkaufen und die wahre Kunst des Rennfahrens zu erlernen? Eine ernsthafte
Überlegung ist es allemal wert.
Wenn die Zweitakter schon sterben müssen, dann ersetzt sie wenigstens durch 450er-Singles. Sie fahren so präzise, aber nicht so giftig wie eine 250erSäge und generieren ein sehr ähnliches Fahrgefühl. Der Fahrspaß kommt vom
Kurvenspeed und dem herausragenden Handling. Mein Traum: KTM lässt Rüdiger
Kranz 30 Renner auf 450er-Basis aufbauen und schreibt damit einen Cup ohne
Altersbeschränkung aus. Das Starterfeld wäre voll und ich mit dabei. Und eine
später angebotene Straßenvariante des Racers würde ich auch noch kaufen!
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