14 Angeborenes Verhalten

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14 Angeborenes Verhalten
Angeborenes Verhalten 119
14 Angeborenes Verhalten
Verhalten ist ein komplexer Vorgang, bei dem neuronale, hormonelle,
physiologische und anatomisch-morphologische Elemente verrechnet
werden müssen. Wenn von angeborenem, erbkoordiniertem oder genetisch programmiertem Verhalten gesprochen wird, ist deshalb nicht
die Expression von speziellen „Verhaltensgenen“ gemeint. Vielmehr reguliert das Zusammenwirken vieler Gene den systematischen Aufbau
neuronaler Verschaltungen und deren komplexe Einbindung in andere
Systeme, die insgesamt das Verhalten steuern.
Elementare Verhaltensweisen, die überlebensnotwendig sind, werden
als synaptische Verschaltungen des zentralen Nervensystems (siehe (1)
S. 64) bereits während der Embryonalentwicklung auf der Basis genetischer Vorgaben angelegt. Sie können sofort nach der Geburt fehlerfrei
ausgeführt werden, z. B. der Greifreflex von Säuglingen oder das Beutefangverhalten einer Kröte.
Zur Aktivierung der jeweiligen Verschaltungen muss noch ein spezifischer äußerer Reiz wirken, um dann die entsprechenden Reaktionen
auszulösen.
14.1 Unbedingte Reflexe
Ein Reflex stellt die einfachste Form des angeborenen Verhaltens dar. Er
ist eine rasche, unbewusste Reaktion des Organismus auf einen äußeren Reiz, die nach Überschreiten einer Reizschwelle immer verzögerungsfrei und stereotyp abläuft. Wird der Reflex spontan auf ein Reizmuster hin ausgelöst, dessen Erkennung angeboren ist, spricht man von
einem unbedingten Reflex (Gegensatz: bedingter Reflex, siehe S. 126).
Reflexe haben oft eine Schutzfunktion für den Körper. Sie werden
über Reflexbögen (Reiz-Reaktions-Ketten) gesteuert, deren Schaltneuronen im Rückenmark bzw. im Stammhirn liegen (siehe (1) S. 74).
Man unterscheidet verschiedene Reflextypen nach der Entfernung zwischen Reizaufnahme und Reaktion bzw. nach der Anzahl der beteiligten
Neuronen:
• Eigenreflexe: Der Ort der Reaktion befindet sich im gleichen Organ
wie der Ort der Reizaufnahme durch den Rezeptor (z. B. Kniesehnenreflex: Bei Reizung der Kniesehnen werden die Rezeptoren im Streckmuskel des Oberschenkels gedehnt, sodass der Muskel kontrahiert).
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• Fremdreflexe: Der Ort der Reaktion befindet sich vom Ort der Reizaufnahme relativ weit entfernt (z. B. Rückziehreflex: Beim Berühren
einer Kerzenflamme mit der Hand kontrahieren die Armmuskeln).
• Monosynaptische Reflexe: Die Reflexbögen laufen nur über je ein
Schaltneuron im Rückenmark ab (die meisten Eigenreflexe).
• Polysynaptische Reflexe: Diese Reflexe erfordern noch mindestens ein weiteres Schaltneuron (bei Fremdreflexen).
Reflexbögen: Polysynaptischer Fremdreflex (A) und monosynaptischer Eigenreflex (B)
14.2 Instinkthandlung
Genauso starr und unabänderlich wie die Reflexe laufen die komplexeren Verhaltensmuster der Instinkthandlungen ab, z. B. beim Beutefang,
der Abwehr von Fressfeinden, der Balz oder der Brutpflege.
Im Unterschied zu den unbedingten Reflexen ist die Reizschwelle zur
Reaktionsauslösung variabel und wie die Intensität der ausgelösten Reaktionen auch von inneren Faktoren abhängig.
Phasen einer Instinkthandlung
Der Ablauf einer Instinkthandlung lässt sich in drei Phasen unterteilen:
• Appetenzverhalten: ungerichtetes Suchen nach einem Reiz, der die
Instinkthandlung auslösen kann; auch als ungerichtete Appetenz
bezeichnet