Was der Gang über Krankheiten verrät
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Was der Gang über Krankheiten verrät
Seite 1 von 5 I n f o r m a t i o n s m a t e r i a l v o m 0 3 . 0 5 . 2 0 1 2 Was der Gang über Krankheiten verrät Wer traurig ist, lässt die oft Schultern hängen. Wer Probleme mit der Wirbelsäule hat, läuft bekanntermaßen krumm und schief. Wer Schmerzen in der Hüfte oder im Knie hat, der humpelt. Aber es gibt auch sehr viele andere Erkrankungen, die sich am Gangbild erkennen lassen. Neurologische oder orthopädische Ursachen Ärzte unterscheiden bei Gangstörungen vorwiegend zwischen neurologischen Ursachen, bei denen die Nerven geschädigt sind und orthopädischen Problemen, die durch Verletzungen oder Abnutzung der Knochen und Gelenke entstehen. Auch internistische Ursachen wie Durchblutungsstörungen verändern das Gehen. Gangstörungen nehmen mit dem Lebensalter zu. Etwa zehn Prozent der 60-Jährigen haben Probleme beim Gehen, bei den 80-Jährigen sind es schon 30 Prozent. Gangstörungen bergen immer das Risiko zu stürzen und sich dabei erhebliche Verletzungen zuzuziehen. Man sollte sie daher nicht auf die leichte Schulter nehmen, zumal es in vielen Fällen gute Behandlungsmöglichkeiten gibt. Liegen die Ursachen für die Probleme beim Gehen im orthopädischen Bereich, steht die ganze Palette aus orthopädischem Schuhwerk, Bewegungstherapie und Physiotherapie bis hin zu operativen Verfahren zur Verfügung. Im neurologischen Bereich gibt es verschiedene Medikamente, die die Gehfähigkeit von Patienten mit Parkinson oder Multipler Sklerose verbessern. Im Fall von Altershirndruck - Mediziner sprechen von NormaldruckHydrozephalus - kann eine Punktion des Nervenwassers helfen. Die Erkrankung wird häufig nicht erkannt, da die Patienten demenzähnliche Symptome haben. Torkelnder Gang Nicht allein Alkohol führt zu einem torkelnden Gang. Ursache können auch Medikamente wie Schmerz- und Schlafmittel oder Antidepressiva, können so etwas auslösen. Im Zweifel sollte mit dem behandelnden Arzt geklärt werden, ob das Medikament gewechselt werden kann. Schlurfender Gang Wer einen schlurfenden Gang hat, ist nicht zwangsläufig zu faul die Füße zu heben. Ursache kann auch Altershirndruck sein. Er wird laut Experten häufig übersehen und tritt gleichzeitig mit Inkontinenz und demenzähnlichen Symptomen auf. Rechtzeitig erkannt, können die Beschwerden durch eine Lumbalpunktion erfolgreich behandelt werden. Auch Parkinson- und DemenzPatienten haben meist einen schlurfenden Gang. Breitbeiniger Gang Wer breitbeinig geht, hat möglicherweise Probleme mit den Augen. Wer nicht richtig sehen kann, versucht durch das breitbeinige Laufen mehr Sicherheit beim Laufen zu bekommen. Charakte1 Seite 2 von 5 ristisch für Gehstörungen auf Grund schlechter Augen ist, dass sich das Gangbild bei Dunkelheit nicht verschlechtert. Stepper- oder Storchengang Der Stepper- oder Storchengang ist typisch für Patienten mit Nervenschädigungen in den Füßen, einer Polyneuropathie, wie sie bei Diabetikern häufiger auftritt. Beim Laufen hängt der Fuß herab. Um nicht zu stolpern, heben die Patienten ihr Bein stärker. Diese Patienten können auch nicht auf der Ferse stehen. Trippelschritte Trippelschritte sind typisch für DemenzPatienten. Erste Gangstörungen treten schon in einem frühen Stadium der Demenz auf. Mit fortschreitender Demenz gehen diese Patienten auch immer langsamer. Pausen beim Gehen Häufige Pausen beim Gehen benötigen Patienten mit Durchblutungsstörungen in den Beinen. Die sogenannte Schaufenster-Krankheit hat daher auch ihren Namen. Wie bei einem Schaufensterbummel bleiben die Patienten oft stehen. Denn dann werden ihre Schmerzen erträglicher. Patienten mit Schwindelattacken können dagegen manchmal gar nicht stehen bleiben. Hightech in der Gangforschun Die Ganganalyse-Matte im Zentrum für klinische Neurowissenschaften des Uniklinikums Dresden sieht aus wie eine überlange Gymnastikmatte. In der neun Meter langen Hightech-Variante verstecken sich allerdings 80.000 hochsensible Sensoren, die rund 100 verschiedene Messwerte liefern. Gemessen werden beispielsweise die Schrittlänge, die Schrittgeschwindigkeit, die Verteilung des Drucks beim Aufsetzen und Abrollen des Fußes. Die Werte liefern Zahlen, die die Gangstörungen messbar machen. "Mit dem Auge sieht man als Neurologe zwar auch, dass etwas nicht stimmt. Die Matte misst aber genau, was nicht stimmt" berichtet Prof. Dr. Tjalf Ziemssen. "Manchmal sagen die Patienten zum Beispiel mit der Zeit: das Medikament bringt gar nichts mehr. Die Zahlen der Gehmatte liefern dann den Beweis, ob es wirklich so ist." Im Klinikalltag unterstützt die Matte so die Ärzte bei Diagnose und Therapie. Untersuchung im 3-D-Labor In der medizinischen Forschung werden sogar noch komplexere GanganalyseMethoden verwendet. Das Waldkrankenhaus Eisenberg betreibt gemeinsam mit Wissenschaftlern des Uniklinikums Jena ein 3-D-Ganglabor, das zu den modernsten Forschungslaboren Deutschlands zählt. Patienten mit künstlichen Gelenken oder Kinder mit ausgeprägten Knick- und Senkfüßen laufen dort für Forschungszwecke über eine etwa acht Meter lange Analysestrecke. Sechs fest installierte Infrarotkameras senden Licht aus. Dieses wird von den am Körper aufgeklebten Markern reflektiert und vom Rechner zu einem dreidimensionalen Gangbild verarbeitet. Der Computer vergleicht alle Messwerte mit einem gesunden, normalen Gang und errechnet jede Abweichung von der Norm. Zusätzlich liefern im Boden eingelassene Kraftmessplatten Informationen zur Belastung der Gelenke. "Aus diesen Angaben lassen sich Berechnungen über die Beugung und die Streckung des Gelenkes anstellen, aber auch über die Kräfte, die auf das Gelenk und damit auf die empfindlichen Stellen im Gelenk wie z. B. Knorpel und Knochen wirken", erklärt Prof. Dr. Raimund Kinne. "Wir wollen lernen, wie groß die Störung vor einer OP ist und wie sich das Gangbild nach einer OP verbessert. Daraus leiten wir langfristig Empfehlungen für das beste OP- Verfahren ab." O-Beine sind mehr als nur ein Schönheitsfehler Fußballer-Beine sind bekanntermaßen mehr oder weniger krumm. Die wahrscheinlich bekanntesten O-Beine des Fußballsports sind die WeltmeisterWaden von Pierre Littbarski. Aber nicht nur bei Weltmeistern findet man klas2 Seite 3 von 5 sisch-schöne Fußballer-Beine. Auch viele Klassen tiefer, wie bei den Kickern des SV Fortuna Leipzig, sind O-Beine ein Thema – und oft ein trauriges. Seine großen Fußball-Träume musste Thomas Klaus, Ex-Jugendnationalspieler der DDR, früh zu Grabe tragen: "Mein Ziel war schon in der DDR-Oberliga, einmal in einem großen Verein zu spielen, vielleicht auch international etwas zu erreichen. Aber die Hoffnung ist mir dann schnell genommen worden. Während meiner Jugendzeit hatte ich die erste schwere Knieverletzung, die mich dann auch gezwungen hat, den Sport aufzugeben." Als Folge der Knieverletzung entwickelten sich bei Thomas Klaus OBeine, die auch heute kein Fußballspiel mehr ermöglichen. Fußballer leiden häufiger unter OBeinen als andere Menschen. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich. "Männer neigen von Natur aus eher zu OBeinen als Frauen, das ist genetisch so bedingt", erklärt Dr. Ingmar Meinecke, Orthopäde am Parkkrankenhaus in Leipzig. "Dazu können häufige Verletzungen an Kreuzband und Meniskus zu einer frühzeitigen O-Bein-Arthrose führen." Einer Studie der belgischen Universität Gent zufolge, nimmt zudem die Zahl der O-Beine bei Fußballern ab dem 13. Lebensjahr zu. Grund dafür ist nach Erkenntnissen der Genter Forscher die Tatsache, dass sich die inneren Beinmuskeln bei Fußballern stärker ausprägen. Robin Beckert, ein 20 Jahre alter Fußballer beim SV Fortuna Leipzig, hat das an sich selbst bemerkt. "Ich hatte ganz normale Beine. Wenn man auf das Großfeld geht, so mit 13, 14 Jahren, dann verändert sich das (Bein, Anm. d. Red.) im Wachstum. Wenn die O-Beine nicht so ausgeprägt sind, finde ich, dass es Vorteile hat. Da braucht man seinen Fuß nicht mehr so weit ausdrehen. Aber wenn die O-Beine zu extrem sind, hat das nur Nachteile. Oft bekommt z.B. oft Bälle durch die Beine gespielt." Bereiten O-Beine anfangs nur fußballerisch und optisch Probleme, kommen später ge- sundheitliche Probleme an Knie, Hüfte und Wirbelsäule hinzu. Dann können künstliche Gelenke aufgrund von einseitigen Abnutzungserscheinungen notwendig werden. Vorbeugen kann man nur bedingt. Ein ausgewogenes Training verhindert aber zumindest ein Ungleichgewicht der Beinmuskulatur und senkt das Verletzungsrisiko. In schwierigen Fällen kann auch eine Umstellungs-OP nötig sein. Dabei wird ein Stück Knochen aus dem Schienbein entnommen und der Knochen für einige Zeit mit einer Platte korrigiert und fixiert. Die Beine sind nach dieser OP wieder gerade und ein ordentlicher Gang ist wieder möglich. Beipack-Zettel checken Ein Tipp von Apotheker Friedemann Schmidt Störungen bei Bewegungen wie dem Gehen können durch eine Vielzahl von Arzneimitteln hervorgerufen werden. Entweder greift das Arzneimittel direkt an der Muskulatur an und verursacht dadurch Störungen der Bewegungsabläufe. Im Beipackzettel steht dann etwas von möglichen "motorischen Störungen". Oder das Arzneimittel beeinflusst in irgendeiner Weise den Gleichgewichtssinn, die Aufmerksamkeit oder den Sehsinn, was ebenfalls solche Behinderungen und Störungen beim Gehen und Stehen hervorruft. Besonders dramatisch sind derartige Störungen bei alten Patienten, weil sie häufig zu Stürzen führen und sich der alte Patient dann in der Regel schwere Verletzungen zuzieht. Deshalb sind in der vor zwei Jahren erschienenen Priscus-Liste, das ist eine Liste von 83 Wirkstoffen, die sich aus verschiedenen Gründen nicht für die Behandlung älterer Menschen eignen, auch häufig diese Probleme aufgeführt. Schaut man sich Rezepte älterer Patienten an, findet man trotz der Liste immer wieder Verordnungen dieser Arzneistoffe. Hier ein paar Beispiele: 3 Seite 4 von 5 Blutdruckmedikamente aus der Gruppe der Alpha-Blocker (Doxazosin,Prazosin) Arzneimittel gegen psychotische Störungen aus der Gruppe der klassischen Neuroleptika (Haloperidol, Thioridazin,Fluphenazin) Muskelentspannende Mittel, häufig bei Skelett- und Muskelschmerzen verordnet (Tetrazepam, Baclofen) Beruhigungsmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine und der sogenannten Z-Substanzen, vorallem langwirkende mit Nachwirkungen am nächsten Morgen Starke Schmerzmittel ältere Mittel gegen Depressionen (Amitriptylin, Doxepin, Imipramin) Einige der Substanzen sind in bestimmter Dosis einsetzbar, andere völlig ungeeignet. Vor allem Angehörige hochbetagter Patienten sollten immer ein Auge auf die Arzneimittel haben und im Zweifel einen Arzt oder einen Apotheker zu Rate ziehen, wenn sie den Eindruck haben, dass das motorische Verhalten des Patienten sich verändert, etwa Gangunsicherheit, häufiges Festhalten, Langsamkeit, Schwindel etc. neu auftreten. Testen Sie sich selbst! Ist mein Rücken schief? Häufig wird nach einer Operation weiter schiefgelaufen oder gehumpelt, obwohl das eigentliche Problem behoben ist. Das ist ein Problem, denn es ist schlecht für den Rücken. Ob Sie Ihre Beine unterschiedlich stark belasten, können Sie einfach mit zwei geeichten Waagen testen. Stellen Sie dazu jedes Bein auf eine Waage. Zeigen die Waagen ein unterschiedliches Gewicht an, dann belasten Sie Ihre Beine ungleichmäßig und müssen das schwache Bein trainieren. Wie hoch ist Sturzrisiko älterer Menschen? Eigentlich denkt man nicht darüber nach, wie man geht. Das geschieht automatisch. Dabei ist das Gehen ein hochkomplexer Bewegungsablauf, an dem eine Vielzahl von Muskeln und Gelenken beteiligt sind. Interessanterweise halten ältere Menschen beim Gehen inne, wenn sie sich unterhalten. Und das umso häufiger, je unsicherer sie gehen. Es scheint, als können sie nicht mehr gleichzeitig laufen und reden. In einer schwedischen Studie wurde das sogar als Vorhersagemöglichkeit des Sturzrisikos bei älteren Menschen gewertet. Ist mein Gleichgewicht gestört? Versuchen Sie auf einer vier Meter langen Linie am Boden (zum Bespiel eine Parkett- oder Teppichkante) mit geschlossenen Augen zu laufen. Verläuft Ihre Gehstrecke bogenförmig, ist Ihr Gleichgewichtssinn gestört. Ein sicherer Gang Tipps von Physiotherapeutin Gitte Baumeier Eine Ganganalyse gehört zum Handwerkszeug eines jeden Physiotherapeuten. Er schaut sich einen Patienten genau von vorn, von der Seite und von hinten an. Ein guter Physiotherapeut hört sogar an der Schrittfrequenz, ob zum Beispiel ein Bein stärker belastet wird als das andere. Eine Störung des Ganges lässt sich schwer selbst korrigieren, da sich das Gangbild oft eingeschliffen hat und kleine Veränderungen vom Patienten häufig nicht wahrgenommen werden. Treten Probleme beim Gehen auf, kann man sich eine Gangschulung beim Physiotherapeuten verschreiben lassen. Die Kosten werden von den Krankenkassen getragen. Wer auf eine Gehhilfe angewiesen ist, sollte folgende Tipps beachten: 1. Bei vielen Patienten sind die Stützen zu hoch eingestellt. Faustregel: Wo der Oberschenkelknochen am deutlichsten zu spüren ist, sollte sich der Griff der 4 Seite 5 von 5 Gehstütze befinden. Oder bei herabhängenden Armen sollte sich der Griff auf Höhe der Handgelenke befinden. 2. Benutzen Sie lieber einen Rucksack zum Einkaufen als eine Tasche. Dann haben Sie beide Hände frei. 3. Wer nur eine Stütze benutzen möchte, sollte sie immer an der gesunden Seite tragen. Wenn sich also die betroffene Seite rechts befindet, kommt die Stütze an den linken Arm. Die Belastung des betroffenen Beines wird so vermindert. Anschrift/ Thema der nächsten Sendung MDR FERNSEHEN Redaktion Wissenschaft und Bildung "Hauptsache gesund" 04360 Leipzig Faxabruf: 01803 151534 (0,09 € pro Minute aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 0,42 € pro Minute) Internet: www.mdr.de/hauptsachegesund E-Mail: [email protected] Thema der nächsten Sendung am 10.05.2012: " Hilfe, mein Knie – die besten Heilmittel" 4. Ein Rollator ist bequem, aber nicht unbedingt besser als zwei Gehstützen. Mit zwei Gehstützen hat man einen aufrechteren Gang und geht nicht so vornüber gebeugt. Und man kommt schneller wieder davon weg. 5. Wer einen Rollator benutzen möchte, sollte darauf achten, dass die Griffe nicht zu hoch sind. Der Nutzer sollte sich zwischen die Griffe stellen, die Arme hängen lassen und die Griffe in Höhe der Handgelenke fixieren. Zudem sollte der Rollator nicht wie eine Schubkarre vor sich her geschoben werden, sondern möglichst nah am Körper geführt werden. 5