Predigt von Hans-Jörg Naumer Evangelische Matthäuskirche

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Predigt von Hans-Jörg Naumer Evangelische Matthäuskirche
Predigt von Hans-Jörg Naumer
Evangelische Matthäuskirche Frankfurt am Main, 4. November 2012
Predigtreihe „Was trägt in der Krise? - Antworten aus der Wirtschaft“
Römer 7, 14-25 (und 8, 2)
„Was ist denn jetzt noch sicher?“ eine Frage, die mir bei Anlegerveranstaltungen über die
letzten Jahre immer wieder und mit zunehmender Intensität gestellt wird. Verständlich: Die Abfolge der Krisen scheint immer enger getaktet, die Ausschläge an den Börsen wurden immer
stärker. Die Frage nach Sicherheit gerade bei der Geldanlage, ist da nur zu verständlich. Als Kapitalmarktexperte bin ich dabei immer versucht mit größter Brutalität zu sagen: Nichts!
Wo soll es denn noch „Sicherheit“ geben? Bei Gold, das seit 2000 Jahren keinerlei Wertzuwachs gebracht hat und das ein reiner Glaube, bestenfalls eine Währung, ist? Auf dem Sparbuch, das bei Minizinsen gegen Steuern und Inflation verliert? „Betongold“? Haben Sie sich mal
mit der Rechtsprechung und der Aushöhlung von Eigentumsrechten in Deutschland beschäftigt? Spätesten ein Gespräch mit „Haus und Grund“ ist Augen öffend. Ist das Schweizer Depot
„sicher“? Wie weit wollen Sie denn laufen mit Ihrem Geld? Zu den Privatkundenzentren nach
Singapur, einer Diktatur??? Auch das hat der Finanzminister bereits im Blick.
Wenn ich mit Anlegern auf Tagungen darüber nachdenke, führe ich sie immer an den Punkt,
dass sie mit Unsicherheit leben müssen. Alles andere wäre eine Fehlleistung der Beratung. Natürlich gibt es Diversifikationseffekte und Risikomanagementmethoden. Aber im Kern gibt es
keine Sicherheit. Manchmal schaffe ich es dann noch anzufügen: „Zumindest nicht auf dieser
Welt“, in Anlehnung an Matthäus 6,19ff: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo
sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch
aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen.“ Und dann kommt die eigentlich wichtigste „Anlageempfehlung“: „Denn
wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“
Natürlich ist die Frage nach „Sicherheit“ nichts anderes als eine Chiffre für „Woran kann ich
mich festhalten? Was trägt mich? Was trägt mich gerade auch in Notlagen?“. Für uns Christen
ist die Antwort hier ebenso brutal wie einfach: Nichts! Das Fengshui-Wohnzimmer, die BuddhaStatue im Garten, die Yoga-Entspannungsübungen, der SUV in der Garage, …. Säkular betrachtet bringt es der nihilistische Songtext der Böhsen Onkelz auf den Punkt: „Nichts ist für
die Ewigkeit, nichts bleibt, wie es war.“
(c) Evangelische Hoffnungsgemeinde Frankfurt am Main und Hans-Jörg Naumer
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Nichts trägt in der Krise, in der Not – wissen wir Christen – um dann fortzufahren: Außer Gott!
Aber es nicht der so fern erscheinende Gott, der Gott, der Hiob (Hiob 38,4) von oben herab
fragte: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir's, wenn du so klug bist!“
Es nicht der ferne Gott, an dem Nietzsche („Wir haben Gott getötet. Wir alle sind seine Mörder.“) und Marx („Ganz hass‘ ich all‘ und jeden Gott.“) zu Anti-Theisten werden ließ, weil sie es
nicht verkraften konnten, zwar gottähnlich, aber eben nicht gottgleich zu sein, und es ist nicht
der ferne Gott, der uns wie ein Übervater erscheint an dem wir uns reiben gerade weil er uns
die Freiheit geschenkt hat uns für oder gegen ihn zu entscheiden. Eine Entscheidung, die wir
immer wieder im Laufe unseres Lebens treffen. Oft unbewusst.
Und genau hier sind wir bei dem heutigen Predigttext. Lesen wir ihn (Römer 7, 14-25).
Zugegeben: Ein für mich auf den ersten Blick geradezu widerwärtiger Text. „Widerwärtig“ tut
mir in Bezug auf die Bibel selbst weh, da mir die Bibel der wichtigste Begleiter auf meinem
Glaubensweg ist, und als ich zur Predigt über diese Verse eingeladen wurde, wusste ich intuitiv
was darin steht und dachte: Bitte nicht! Er wirkt auf mich widerwärtig, weil er genau das ausdrückt, was ich in unserer Gesellschaft immer wieder in vielen und doch gleichen Variationen
höre. Lesen wir deshalb vor allem 2 Textstellen noch einmal genauer:
•
17, So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
•
20, Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in
mir wohnt.
Kennen Sie das? „Er ist ja nicht schuld! Er hatte eine so schwere Kindheit“. „Die Gene sind
schuld, wir sind ja nur durch sie programmiert.“ „Die Gesellschaft, … die Umstände, … die
Banker in ihrer Gier (wir selbst sind ja nicht gierig, obwohl wir Geiz „geil“ finden), … die Reichen,
die starken Schultern, die immer noch nicht genug tragen …“ Bei Paulus ist es die Sünde. Auf
den ersten Blick ist da kein Unterschied feststellbar. Ich kann förmlich sehen, wie die Sünde,
einem wilden Tier gleich, in Paulus wütet, von ihm Besitz ergreift und ihn zum Bösen verleitet.
Ohne, dass er selbst es will.
Aber die Sünde ist eben kein wildes Tier, kein Bazillus in uns. Sie ist Teil von uns. Wir haben
vom Baum der Erkenntnis gegessen und müssen mit den Folgen von Gut und Böse leben. Die
Sünde ist in der Welt. Mit ihr die Not. Die Not ist nichts, was Gott uns zugedacht hat. Sie ist
die Konsequenz der gefallenen Welt, denn die Sünde ist kardinal. Es geht bei ihr nicht um die
kleinen „Kavaliersdelikte“, es geht nicht um den Griff in das Kühlregal zu den „7 Todsünden“ der
Eissorte Magnum, es geht bei ihr auch nicht um ein geisteswissenschaftliches Konstrukt, das
ich wie mit antiseptischen Pinzetten greifen und mittels theoretischer Betrachtungen untersu-
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chen kann – die Sünde ist der Bruch mit dem Schöpfer. Die Alten haben das noch sehr genau gewusst. „Sünde“ leitet sich von Sund her – dem Trennenden. Im griechischen Urtext steht
dafür ein Wort aus der olympischen Disziplin des Bogenschießens. Übersetzt heißt es: „Das Ziel
verfehlen.“ – Sünde, die Trennung. Wir verfehlen unser Ziel.
Es ist nicht der ferne Gott, der uns aus dieser Sünde heraus hilft, der uns in der Not trägt, oder
die Grundursache der Not überwinden hilft, es ist der nahe Gott. Der „herunter gekommene
Gott“, wie Klaus Douglass das so unnachahmlich klar ausgedrückt hat. Römer 7,14-25 kann
man nur auflösen, wenn man weiterliest, noch über den Vers 25 („Dank sei Gott durch Jesus
Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem
Fleisch dem Gesetz der Sünde.“) hinaus.
In den ersten beiden Versen von Römer 8 lesen wir:
•
1, So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.
•
2, Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei
gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
„Frei gemacht“, das „Gesetz der Sünde und des Todes“ aufgehoben, das Trennende überwunden, … Aber es geht in aller Konsequenz um noch mehr. Wenn wir im Vaterunser „Wie im Himmel so auf Erden beten“ knüpft das genau hier an. Wo die Sünde überwunden ist, kann der
Himmel in unser Leben einbrechen. Ist die Ursache der Not überwunden. Gott will den „Himmel
auf Erden“ – die Wiederherstellung des Paradieses.
Und da stehe ich mit meinem Leben. Mit meinen Bedrängnissen, Wirren, Brüchen. Was mache
ich persönlich mit dieser Erkenntnis? Ich habe an vielen Wegmarken meines Lebens erlebt,
dass er trägt, führt, leitet, den Weg vorbereitet. Mit meinen Grundkenntnissen der Wahrscheinlichkeitsrechnung habe ich irgendwann einmal aufgehört an Zufälle zu glauben. Ich will Sie
jetzt nicht mit meinem Leben langweilen, aber ich weiß: Er trägt!
Das Lied „Gott ist gegenwärtig“, das wir gleich singen werden, habe ich 2001 am 11. September aus tiefer Trauer & Verzweiflung mit Teilnehmern einer christlichen Freizeit gesungen. Wir
saßen erst sprachlos in einer griechischen Taverne um die zusammen fallenden Twin Towers zu
sehen, ohne zu verstehen was wir sahen. Wir wussten nur: Jetzt müssen wir beten, singen, unserer Überzeugung Ausdruck geben, dass Gott mitten drin ist in diesem unsäglichen Leid.
Während es für uns aber „nur“ Fernsehbilder waren, durchlitt er hier den tausendfachen Tod
seiner Geschöpfe. Geschöpfe, von denen er jedes Einzelne liebte. Großartig und für mich völlig
unbegreiflich, dass er das kann. Die Mörderpiloten liebt er genauso wie die Feuerwehrleute, die
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im zusammen stürzenden World Trade Center zu retten versuchten, was noch zu retten war.
Während wir verfolgen mussten, wie Menschen aus den höchsten Stockwerken aus Verzweiflung in den Tod sprangen, um auf dem Boden aufzuschlagen und zu zerschellen, wie muss er
sich da gefragt haben: „Wie lange noch wollt Ihr von mir wegelaufen? Was muss ich noch alles
tun, damit ihr zu mir zurück findet? Versteht Ihr es denn nicht, dass Ihr, dass diese Schöpfung
ihr Ziel verfehlt, wenn ihr nicht umkehrt? Habe ich Euch nicht getragen in jeder Not? War ich
nicht schon in Zeiten des Alten Testaments bei Euch?“
Der 11. September war für mich, wie für Tausende andere, das Fanal – nicht die Ursache - einer
Krise, die in mehreren Wellen abläuft und die einen durchgreifenden Wandel nicht nur der Finanzbranche mit sich bringen wird.
Ganz am Rande: Als Ökonom ist mir dabei klar: Krisen werden uns – hoffentlich! – immer begleiten. Das klingt zynisch, aber der Gedanke dahinter ist: Krisen gehören zum Wohlstand dazu.
Sie sind Kennzeichen der „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter), wie sie die „offene
Gesellschaft“ (Popper) ertragen muss. Wer keine Krisen will, muss sich auf den Abstieg einstellen. Der Trabbi ist das beste Beispiel dafür was Starrheit heißt. Aber Krisen haben natürlich immer eine persönliche Seite. Durchrütteln Biographien, schaffen Not.
Und Not hat viele Gesichter. Gerade hier bei uns in Frankfurt. Ich denke an die Drogensüchtigen, die morgens in der nach Urin stinkenden U-Bahnstation schlafen, an das Kind, dessen
Mutter schwer erkrankt ist und an Menschen in einer Branche, die – vorsichtig ausgedrückt –
sich in einem ständigen Wandel auf Dauer befinden wird. Ja, die Finanzbranche wird aus der
Krise anders heraus kommen, als sie hinein gegangen ist. Sicher, oft ist das nicht mir materieller
Not verbunden – aber vielleicht schlimmer noch: mit Not, die aus Sinnkrise und Bedeutungsverlust entsteht. Tiefliegende Nöte.
Aber liegt die eigentliche Not der Menschen, über Frankfurt hinaus, nicht noch tiefer?
Was trägt in einer Gesellschaft, die Gott für Tod erklärt hat (Nietzsche), die das Christentum
bestenfalls milde belächelt („Wir haben doch die Evolutionstheorie und das Higgs-Boson – was
brauchen wir da noch den Glauben an Gott?“) oder sich von ihm belästigt fühlt, da am Sonntag
die Einkaufstempel (zumindest weitestgehend noch) geschlossen bleiben und am Karfreitag
(noch) das Tanzverbot gilt? Was trägt, wenn die Ziellosigkeit des eigenen Lebens, die Sinnlosigkeit des eigenen Tuns nicht mehr mit Lärm und Aktivität zu verdrängen ist? Die Kälte einer
Welt, die Nietzsche in seiner „Winterlandschaft“ treffend beschrieben hat:
„Die Welt, ein Tor zu tausend Wüsten, stumm und kalt.
Wer das verlor, was ich verlor, macht nirgends Halt.
Nun steh ich bleich, zur Winterwanderschaft verflucht.
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Dem Rauche gleich, der stets nach kälteren Himmeln sucht,
Weh dem, der keine Heimat hat.“
Unsere tiefliegende Not sind nicht die vergänglichen Katastrophen, sondern ist die von Gott
trennende Sünde, die in Not und Unfreiheit führt. Wie heißt es doch im Predigttext bei Paulus
(8,2)? „Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei
gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“ Und gerade deshalb: Wie sehr brauchen
wir das Evangelium, brauchen wir Christus. Die größte Not, die größte Armut in unserem
Land ist die geistliche Armut. Es ist die Gottvergessenheit.
Wer Christus hat, hat die Unfreiheit der Sünde und den Tod überwunden. Er hat – wie der Bogenschütze auch – sein (Lebens-)Ziel erreicht. Er kann sich getragen wissen, in allen (Not-)Fällen
des Lebens.
Was es heißt von Gott getragen zu werden, verdeutlicht mir das Beispiel einer Familie, die sich
mit großem Glück ihrem Kind entgegen gefreut hat, um bei der Geburt fest zu stellen, dass das
kleine Kind einen schweren Herzfehler hat und nicht lebensfähig ist. Die Ärzte empfehlen Transplantation, oder besser noch das Abschalten der Geräte. Ein Drama. Tiefe Trauer, aber auch
tiefer Glaube. Die Familie wird getragen von der Gemeinde. Durch Tun und durch Gebet. In diesen Tagen hat das Kleine seinen ersten Geburtstag gefeiert. Ein gutes halbes Jahr seines Lebens hat es in der Intensivstation verbracht. Es lebt und die Aussichten sind gut. Gott trägt in
der Not und es ist gut, das Menschen, gerade Christen, mittragen und ihn mitten drin wissen.
Sie wollen als Gemeinde Kirche und Wirtschaft ins Gesprächs bringen. Gott sei Dank! Tun Sie
es und lassen Sie sich von nichts und niemanden aufhalten. Wenige nur werden auf Sie warten,
aber die meisten werden Sie brauchen. Und wenn ich einen Wunsch äußern darf: Halten Sie
sich nicht mit Moralappellen auf. Moral und Schöngeistiges gibt es an jeder Straßenecke. Das
ist der intellektuelle Mainstream in unserem Land. Wir brauchen keine Moralapostel, sondern
Apostel des Evangeliums. Nichts ist so radikal und zerstört so radikal die Ursachen der Not,
wie eben das Evangelium.
Sollten Sie gefragt werden, was in der Not trägt – und diese Frage wird häufig kommen auch in
Zukunft – sagen Sie ganz einfach: Nichts! Nichts, außer Jesus Christus.
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Abdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Autors.
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