Zitierhinweis copyright Merta, Brigitte: Rezension über: Warren C

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Zitierhinweis copyright Merta, Brigitte: Rezension über: Warren C
Zitierhinweis
Merta, Brigitte: Rezension über: Warren C. Brown / Marios
Costambeys / Matthew Innes / Adam J. Kosto (Hg.), Documentary
Culture and the Laity in the Early Middle Ages, Cambridge:
Cambridge University Press, 2013, in: Mitteilungen des Instituts für
Österreichische Geschichtsforschung, 122 (2014), 2, S. 546-547,
http://recensio.net/r/283cd81d66584c68a4524390bc461a38
First published: Mitteilungen des Instituts für Österreichische
Geschichtsforschung, 122 (2014), 2
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Literaturberichte
Documentary Culture and the Laity in the Early Middle Ages, hg. von Warren C.
Brown–Marios Costambeys–Matthew Innes–Adam J. Kosto. Cambridge University
Press, Cambridge u. a. 2013. XVI, 389 S., 4 Abb. ISBN 978-1-107-02529-5.
Dieser Band mit 12 Beiträgen von zehn Autoren plus Einleitung und „conclusion“ erhebt
den Anspruch, nicht eine Sammlung von einzelnen Artikeln, sondern „a book with a collective
voice and a common argument“ zu sein, das Ergebnis eines langen Prozesses von „collaborative
research“ seit November 2000 (S. IX, und „punctuated by the arrival of eight children!“ wie
die Herausgeber aus dem Kreis der ausschließlich männlichen Autoren wissen lassen). Und
diesen Eindruck hinterlässt das Werk von Warren C. Brown (zwei Beiträge), Jonathan P. Conant, Marios Costambeys, Nicholas Everett, Hans Hummer, Matthew Innes (zwei Beiträge),
Charles Insley, Adam J. Kosto, Peter Sarris und Antonio Sennis tatsächlich. Die Autoren, die
schon auf frühere Veröffentlichungen zu ihren Themenbereichen zurückgreifen können, beginnen den zeitlichen und räumlichen Bogen ihrer Analysen zu Schriftkultur und Dokumentationspraxis von Laien im östlichen Mittelmeerraum, vor allem dem spätantiken Ägypten
(Sarris), weiter über das spätrömisch-vandalisch-byzantinische Nordafrika (Conant) nach
Westen ins frühmittelalterliche westgotische Spanien und ins Italien der Zeit bis circa 700
(Everett). Für den fränkischen Bereich beginnt Warren Brown mit einer, etwas angepasst an
den vorangehenden Artikel von Nicholas Everett, überarbeiteten und gekürzten Fassung seiner
Untersuchung zu den gesta municipalia und öffentlicher Anerkennung von Urkunden (Speculum 87 [2012]); weiter geht es mit Beiträgen zu den Fränkischen Formularsammlungen
(Brown), zu Archiven, Urkunden und Grundbesitzern in der karolingischen Francia vor allem
anhand von Rankweil und St. Gallen sowie Perrecy und Fleury (Innes) und einer Analyse zu
Produktion und Bewahrung von Urkunden anhand frühmittelalterlicher (ostfränkischer)
Chartulare (Hummer). Nord- und Mittelitalien vom 8. bis zum 11. Jahrhundert sind noch
zwei Beiträge (Costambeys und Sennis) gewidmet, und auch die christlichen Teile der Iberischen Halbinsel von circa 700 bis 1000 (Kosto) sowie das Archiv von Cluny vom 9. bis zum
11. Jahrhundert (Innes) finden in der chronologisch späteren Runde ihren Platz. Schließlich
geht der Blick noch über den Kanal in die angelsächsische Welt (Insley).
Der Hauptbegriff, der aus genauen Analysen der verschiedensten Quellenbestände von
„documentary records“ – hauptsächlich von der klassischen Diplomatik unter dem Begriff
Privaturkunden subsumierte Quellen, aber auch anderes pragmatisches Schriftgut wie Briefe,
Formularsammlungen und Rechnungsunterlagen – erschlossen, erforscht und postuliert wird,
ist die „common documentary culture“, an der Laien ebenso wie Kleriker und Mönche Anteil
hatten. Den Begriffen „documentary practice“ oder „documentary use“ wird der Vorzug vor
„literacy“ gegeben, um die ganze Spannweite der Interaktionen der frühmittelalterlichen Menschen mit der „documentary culture“ erfassen zu können (S. 10). In den geographisch und
chronologisch weit gespannten Beiträgen, die übrigens auch in geballter Form nützliche Informationen zu verschiedensten frühmittelalterlichen Urkundenbeständen vermitteln, werden –
bei aller vorgefundenen Unterschiedlichkeit – Beispiele von Menschen durchaus verschiedener
sozialer Schichten, Männer wie auch Frauen, herausgearbeitet und präsentiert, die als Laien
genauso wie Geistliche Urkunden für eine Vielzahl von Zwecken verwendeten und deren Wert
– nicht nur als Objekte, sondern auch als Texte – sehr wohl kannten, egal ob sie nun den
geschriebenen Text lesen konnten oder nicht.
Zur Verwendung gehörte auch die Aufbewahrung und Verfügbarkeit im Bedarfsfall, und
somit wird in den Beiträgen auch Fragen nach der Archivierung und der Entwicklung und
Geschichte von Archiven nachgegangen, mit verschiedenen akribisch herausgearbeiteten und
aufschlussreichen Einblicken in die Praxis. Auch wenn die heute noch überlieferten frühmittelalterlichen Urkunden auf dem Wege über kirchliche Archive zu uns gekommen sind, so
können doch in diesen Archivbeständen durch detaillierte Analysen verschiedene vorausMIÖG 122 (2014)
Notizen
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gehende Materialsammlungen von Laien erschlossen werden; Sammlungen, die die Bedürfnisse ihrer Besitzer erfüllten, auch wenn sie nicht unseren Vorstellungen von institutionellen
Archiven entsprechen; Sammlungen, die zu Hause aufbewahrt wurden oder in Kirchen –
Eigenkirchen oder regional bedeutenderen Kirchen –, bevor sie schließlich, wohl im Zuge
von geänderten Besitzverhältnissen, an größere kirchliche Institutionen gelangten. In diesen
institutionellen Archiven gab es dann die Möglichkeit der Langzeitüberlieferung, sofern die
Schriftstücke den Interessen und Zielen der betreffenden kirchlichen Institution von Nutzen
waren und auch nicht einer, durch die sich verändernde Interaktion der Kirche oder des
Klosters mit seiner Umwelt, wechselnden Archivpraxis zum Opfer fielen.
Wesentlich ist, nach überzeugend entwickelter Meinung der Bandherausgeber und -autoren, also nicht die Kontrastierung zwischen Laien einerseits und Klerikern/Mönchen andererseits und die Suche nach einer unterschiedlichen Teilnahme dieser Gruppen an der „documentary practice“, sondern maßgeblich ist die Unterscheidung zwischen nichtinstitutionellen und
institutionellen Akteuren und die bei letzteren gegebene Möglichkeit der Langzeitüberlieferung.
Das Problem der schlechteren Überlieferungslage für „Laienurkunden“ und damit die
schwerere Einschätzbarkeit des ursprünglichen Ausmaßes von Produktion und Verwendung
ist zwar keine Neuigkeit, aber die hier vorexerzierte Vielfalt der Möglichkeiten, aus dem heute
vorhandenen Material Erkenntnisse zu gewinnen und – mal mehr, mal minder sichere – mögliche Rückschlüsse auf die Ausgangslage zu ziehen, ist sowohl beeindruckend als auch für
weitere Forschungen inspirierend.
Ein kombiniertes Personen-, Orts- und Stichwortregister beschließt den äußerst empfehlenswerten Band, der sich zur Pflichtlektüre für alle an den größeren Themenbereichen
Schriftlichkeit, Orality–Literacy, Dokumentationspraxis und Urkundenwesen Interessierten
entwickeln sollte.
Wien
Brigitte Merta
Sebastian Freudenberg, Trado atque dono. Die frühmittelalterliche private
Grundherrschaft in Ostfranken im Spiegel der Traditionsurkunden der Klöster Lorsch
und Fulda (750 bis 900). (VSWG, Beihefte 224.) Steiner, Stuttgart 2013. 456 S., zahlreiche Karten und Tabellen. ISBN 978-3-515-10471-5.
Sebastian Freudenberg hat sich in seiner in Hamburg approbierten Dissertation die Aufgabe gestellt, die vorherrschende Ansicht einer vergleichsweise späten Etablierung der in Salund Hufenland gegliederten zweiteiligen Grundherrschaft, die er in Anlehnung an den Usus
in der Diplomatik als privat bezeichnet, beim östlich des Rheins sitzenden Adel zu hinterfragen.
Einleitend wird ausführlich die Ausgangslage und damit Forschungsgeschichte erläutert,
die vor allem durch Untersuchungen Alfons Dopschs, Friedrich Lütges, Adriaan Verhulsts,
Karl Bosls oder Wilhelm Störmers geprägt wurde. Erste Zweifel an einer phasenverschobenen
Durchsetzung der zweiteiligen Grundherrschaft in Schwaben äußerten bereits Werner Rösener und Hans-Werner Goetz, für die übrigen ostrheinischen Gebiete wurde dies aber noch
nicht in Frage gestellt. Dann stellt Freudenberg die Quellenlage der beiden untersuchten
Klöster Fulda und Lorsch vor und muss konstatieren, dass von den insgesamt 4300 Schenkungen bzw. Tauschgeschäfte anführenden Traditionsnotizen lediglich knapp über 70 verwertbare Informationen über die Organisation und Struktur der Wirtschaftsbetriebe enthalten und das Fundament für die folgenden Analysen bilden können. In einem umfassenden
Kapitel erläutert der Autor seine Kriterien der Quelleninterpretation und kann dabei etwa
plausibel machen, dass ein zwischen zwei Schenkungsobjekten stehendes „et“ oft nicht additiv
zu verstehen ist, sondern den vorhergehenden Sachverhalt nur näher beschreibt („explikatives
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