Der heimliche Lehrplan des Betriebes

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Der heimliche Lehrplan des Betriebes
Seminar:
Leitung:
Durchführunng:
Protokollant:
Sozialisation und Lebenswelten
WS 1995/96
Prof. Dr. I. Lisop
Dipl.-Soz., Dipl.-Hdl., Dipl.-Päd. M. Gerhard
Arne Priewe
Der heimliche Lehrplan des Betriebes
Protokoll zur Sitzung am 18.01.1995
Textgrundlage:
Pätzold, Günter: Der heimliche Lehrplan des Betriebs - Zur Systematik funktionaler sozialer
Lernprozesse; Aus „Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (ZBW)“Heft 3; Franz Steiner
Verlag GmbH; Wiesbaden 1982
Ablauf:
Die Teilnehmer hatten den o.g. Text zur Sitzung bearbeitet. In der Gruppe wurde er dann diskutiert
und analysiert.
Vokabeln des Textes:
• Devianz: Abweichung von der Norm
• Hedonismus: von Epikur (griech. Philosoph) begründet. In der Antike begründete phil. Lehre, nach
welcher das höchste ethische Prinzip das Streben nach Sinneslust u. Genuß ist.
• kognitive Dissonanz: Ausblenden negativer Eindrücke durch selektive Wahrnehmung
Im Text angesprochene Kategorien:
Theorieansätze
Wiss. Disziplinen
Soz. Institutionen
Ebene
Wert / Perspektive
Interaktionistisch
Psychologie
Schule
Individuen
Familie
Kollektiv
Subjektorientiert
(Individuum)
Ges.gesellschaftl.
(funktional /
demokratisch,
subjektorientiert)
Kapital
Betriebsorientiert
Struktur-funktional
Soziologie
Materialistisch
(Marx)
Pädagogik
Elternhaus
Betrieb
Rekonstruktion der Argumentationsweise:
Betrieb
Machtverhältnisse/
Hierarchie
Ziel
Interaktion
(Rituale)
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Gesellschaft
heimlicher Lehrplan: Eigenschaften u. Fähigkeiten, die nicht auf dem Lehrplan stehen und i.A.
unbewußt übernommen werden (Bsp. Arbeitstugenden wie Leistungsbereitschaft und -orientierung,
Unterordnung etc.)
Es besteht eine Hierarchie, die gegeben ist durch:
• Macht (Amtskompetenz, Fachkompetenz etc.)
• Herrschaft (institutionell abgesichert)
Der Effekt davon ist i.A. Anpassung.
Diskussion: „Woher kommt der heimliche Lehrplan?“
Jedes Individuum macht eine soziale Entwicklung mit:
Elternhaus
Schule
Betrieb
Familie
So kann mit Hilfe der struktur-funkt. Theorie die Erhaltung des heiml. Lehrplans erklärt
werden.
Die Identität und das Selbstbild der Individuuen wird stark durch Rituale (sich wiederholende
Interaktionen in Sprache, Gestik u. Mimik) geprägt.
Der betriebliche Ablauf ist:
Planung
Ausführen
Produkt
Je nach Position in dieser Hierarchie und der Feinheit der Zergliederung dieser Kette werden die
Individuen mehr oder weniger stark vom Arbeitsprozess entfremdet und lernen vieles unbewußt
(Anpassung).
Auch in der Schule wird schon hauptsächlich entfremdetes Wissen vermittelt. Dadurch entstehen
Defizite in der Flexibilität der Personen.
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Dies ist aus der Perspektive des Betriebs:
• funktional: solange keine Veränderungen auftreten, kurz: der Betrieb funktioniert
• dysfunktional: wenn Neues kommt und Selbständigkeit gefordert wird, kurz: erhöhte Ansprüche an
die Individuen gestellt wird.
• aber auch dysfunktional, wenn Abwehrmechanismen auftreten, wie z.B. Ungenauigkeiten, „krank
feiern“, Bereichsdenken ohne Berücksichtigung wichtiger Zusammenhänge etc.
Aus der Perspektive des Individuums hat diese Sozialisation in folgenden Bereichen Einfluß auf das
Selbstbild, bzw. folgende Wirkungen:
• Reflexionsfähigkeit
• Selbstbewußtsein und Selbst-Bewußtheit
• Sinnlosigkeit
• Extrensisch
Es bleibt aber festzuhalten, daß dieses struktur-funktionale System nicht die einzige funktionsfähige
Möglichkeit für eine Gesellschaft darstellen muß, da
• jede Interaktion zunächst nicht eindeutig hierarchisch ist
• durch Reflexion und Erkenntnis der Situation die Interaktionsform geändert werden kann
(Roletaking / Rolemaking)
Insbesondere wird im letzten Absatz auf S.21 des Textes Kritik daran geübt, daß der Betrieb als Bild
der Gesellschaft gesehen wird:
„Als Modell der Gesamtgesellschaft und als normative Bezugsgröße für den Sozialisationsvorgang ist
dieses Bild nicht nur unzulänglich, sondern problematisch zugleich. Es läßt leicht verkennen, daß
soziale Strukturen, gesellschafliche Ziele oder ‘Systembedürfnisse’keine, wie auch immer
definierten, unabdingbaren Funktionsnotwendigkeiten sozialer Systeme sind, sondern historische,
wandelbare und interessengebundene politische Setzungen, die entweder politisch ausgehandelt oder
mit Macht durchgesetzt wurden.“
Arbeit und die dazu notwendige Organisation (ohne die Arbeit in der Gruppe nicht möglich ist) werden
durch Interaktion bestimmt.
Durch nicht-hierarchische, subjektorientierte Betriebe kann die Identität und das Selbstbild der
Individuen besser herausgebildet werden.
Ziel des Unterrichts sollte daher sein, auf der Basis bewußt erkannter und gewählter Werte, diese zu
vermitteln.
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