Herbsttagung der Deutsch-Britischen Juristenvereinigung in Royal

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Herbsttagung der Deutsch-Britischen Juristenvereinigung in Royal
Herbsttagung der Deutsch-Britischen
Juristenvereinigung in Royal Tunbridge
Wells vom 25. bis 27. September 2009
Von Freitag, dem 25., bis Sonntag, dem 27.
September 2009, fand die jährliche Herbsttagung der Deutsch-Britischen Juristenvereinigung und deren Schwestervereinigung,
der British German Jurists’ Association, in
Royal Tunbridge Wells statt. Als beliebtes
Ausflugsziel der Königsfamilie darf sich Tunbridge Wells seit nunmehr 100 Jahren Royal
nennen. Durch ihre Lage, nur etwa eine Autostunde südlich von London, bietet die
Stadt einen guten Ausgangspunkt, um auch
die Grafschaft Kent näher zu erkunden.
Eingeleitet wurde die Tagung am Freitag mit
einem Mittagsbuffet im Konferenzhotel, The
Royal Wells Hotel, das noch heute vom
Wappen Queen Victorias geziert wird und
damit an die aristokratische Vergangenheit
des Ortes erinnert.
Das Buffet in der Brasserie des Hotels bot
die Gelegenheit, die anderen Konferenzteilnehmer in lockerer Atmosphäre näher kennen zu lernen und für Einige auch, an
frühere Tagungsgespräche anzuknüpfen.
Vortrag von Nigel Jones und Sarah McCann
Am Freitagnachmittag lautete das erste Vortragsthema „Liability of International Rating
Agencies“. Auf englischer Seite trugen Nigel
Jones und Sarah McCann, beide von Hardwicke Chambers in London, vor. Sie gaben
einen Überblick über die Regulierungsregime in Europa und den USA. Demnach
geben Credit Rating Agencies eine unabhängige Einschätzung der Kreditwürdigkeit
von Kapitalmarktteilnehmern ab. Ein gut
funktionierendes Rating System kann dabei
von großem Nutzen sein, insbesondere indem es hilft, das Informationsgefälle zwischen
Emittenten
und
Investoren
auszugleichen. Die drei größten Marktteil-
nehmer – Standard & Poor’s, Moody’s Investors Service und Fitch Ratings – beherrschen den Markt mit einem Anteil von über
95 Prozent. Angesichts dieser Dominanz der
großen Drei zielt das amerikanische Regulierungssystem auf eine Verbesserung des
Wettbewerbs ab.
Weiter zeigten Nigel Jones und Sarah McCann auf, dass Rating Agencies zwei
Haupteinnahmequellen haben: Abonnementgebühren und Gebühren, die von Emittenten für die Erstellung eines Ratings
bezahlt werden. Besonders letztere Einnahmequelle kann jedoch zu Interessenkonflikten führen, die die Objektivität von
Ratings in Frage stellen können. Die europäische Regulierung erfasst nur Ausschnitte
des Credit Rating Geschäfts. Eine Haftung
für fehlerhafte Ratings kann sich aus Vertrag
oder Delikt ergeben. Rating Agencies versuchen häufig die Vertragshaftung durch Disclaimer auszuschließen. Nach Ansicht der
Vortragenden erfassen die typischen Disclaimer aber nur Meinungen und nicht fahrlässig fehlerhaft erstellte Darstellungen von
Fakten.
Bezüglich der Delikthaftung von Rating
Agencies warfen Nigel Jones und Sarah
McCann die drei für die Auferlegung von
Fahrlässigkeitshaftung für das Erstellen von
Credit Ratings entscheidenden Fragen auf.
Erstens: Wofür sollen Credit Rating Agencies haften? Zweitens: Wem gegenüber
sollen sie haften? Drittens: Wie soll der Anknüpfungspunkt für die Fahrlässigkeitsprüfung gewählt werden?
Für die Beantwortung der ersten Frage ist es
wichtig zu wissen, wie ein Rating im Einzelfall erstellt wird; dies unterscheidet sich je
nach Art des Ratings. Bezüglich der zweiten
Frage ist zu beachten, dass die Anzahl der
Personen, die als Resultat eines fahrlässig
fehlerhaft erstellten Credit Ratings Schaden
erleiden können, fast unüberschaubar ist. Zu
den Geschädigten können Kunden selbst
über Vertragspartner des beurteilten Unternehmens bis hin zu Investoren gehören.
Nigel Jones wies in diesem Zusammenhang
auf die traditionelle Zurückhaltung der englischen Gerichte bei der Feststellung von
Fahrlässigkeitshaftung hin und zitierte den
locus classicus des Dammbrucharguments
Ultramares Corp. v. Touche, Niven & Co.,
der die Angst der Gerichte vor „a liability in
an indeterminate amount for an indeterminate time for an indeterminate class“ auf den
Punkt bringt. Bei der dritten Frage kann eine
-2Vielzahl von je nach Fall unterschiedlichen
Anknüpfungspunkten gewählt werden. Abschließend ließ sich von englischer Seite
aus sagen, dass eine Haftung von Credit
Rating Agencies nach derzeitiger Rechtslage äußerst unwahrscheinlich ist.
Vortrag von Professor Dr. Uwe H. Schneider
Auf deutscher Seite trug Professor Dr. Uwe
H. Schneider von der TU Darmstadt vor,
dass Rating Agencies eine wichtige Funktion
für die Finanzmärkte zukommt, da Unternehmen, Regierungen und Banken von Rating Agencies bewertet werden und sich
zugleich auf Informationen über andere
Marktteilnehmer verlassen. Zudem knüpfen
gesetzliche und vertragliche Regelungen
zunehmend an Ratings an. Dies alles führt
dazu, dass Rating ein großes Geschäft ist.
In letzter Zeit sind Rating Agencies jedoch in
die Kritik geraten. Professor Schneider erläuterte, dass dabei unter anderem folgende
Punkte gegen Rating Agencies ins Feld geführt werden: mangelnder Wettbewerb,
schlechte Prognosen, insbesondere bezüglich strukturierter Finanzprodukte, ein auf
ständigen Mitarbeiterwechsel angelegtes
Personalmanagement und ein verantwortungsloses Downgrading infolge der Finanzkrise.
Sowohl in den USA, als auch in Europa sind
mit dem US Credit Rating Agency Reform
Act 2006, den Richtlinien der IOSCO und
dem Proposal for a Regulation on Credit
Rating Agencies 2008 der EU erste Schritte
bezüglich einer Regulierung von Rating
Agencies unternommen worden, die jedoch
laut Professor Schneider nicht viel an der
bestehenden Situation ändern.
Weiter ging es mit der Haftung von Rating
Agencies nach deutschem Recht, die sich
aus Vertrag, Delikt, Berufshaftung und Vertrauenshaftung ergeben kann. Der Bundesgerichtshof,
ähnlich
den
englischen
Gerichten, hat sich in vergleichbaren Situationen bei der Feststellung von Haftung stets
zurückgehalten. Daher ist es unwahrscheinlich, dass die deutschen Gerichte ein Rating
im Rahmen einer Fahrlässigkeitsprüfung
intensiv überprüfen. Wahrscheinlich ist die
Entwicklung einer Rating Judgment Rule.
Das bedeutet, dass den Rating Agencies ein
erheblicher Beurteilungsspielraum bei einem
Rating zukommen würde. Professor Schneider wies jedoch darauf hin, dass eine Haftung für unrichtige Informationen, sowie für
eine unzureichende Methodik beim Erstellen
von Ratings nicht auszuschließen sei und
durchaus begrüßenswert erscheint.
Professor Schneider hob vier wichtige Punkte in seinem Vortrag hervor, an denen sich
zukünftige Haftungs- und Regulierungsregime orientieren sollten: Unparteilichkeit bei
der Erstellung von Ratings, Transparenz,
saubere Methodik und ein effizientes Registrierungs- und Überwachungssystem.
Zum Abschluss der Vorträge des ersten
Konferenztages diskutierten Vortragende
und Zuhörer über Fragen, die sich aus den
Vorträgen ergeben hatten und über eigene
Erfahrungen mit rechtlichen Problemen im
Zusammenhang mit Rating Agencies.
Abendprogramm
Am Abend empfing der Bürgermeister von
Tunbridge Wells die Konferenzgesellschaft
in der Sankeys Brasserie & Oyster Bar mit
einer kurzen Ansprache.
Im Anschluss gab es ein reichhaltiges Meeresfrüchtebuffet
mit
Lachs,
Hummer,
Shrimps und – wie der Name der Bar schon
vermuten lässt – auch Austern. Wer den
Abend nicht nur mit einem Glas Wein ausklingen lassen wollte, hatte danach noch die
Gelegenheit für einen Besuch in einem der
örtlichen Pubs.
Vortrag von John Kimbell
Am Samstag, dem zweiten Konferenztag,
gab John Kimbell von Quadrant Chambers
in London mit einem Vortrag „Disclosure in
English Civil Litigation: Sinn oder Unsinn“
einen Einblick in das System der Standard
Disclosure, die den Charakter des englischen Zivilprozesses entscheidend mitbestimmt. Aus seiner Erfahrung als Barrister
und deutscher Rechtsanwalt schilderte er
eindrucksvoll die Bestürzung deutscher
Mandanten, die angesichts der Regeln der
Disclosure einem posttraumatischen Stresssyndrom mit Erinnerungslücken gleicht. In
-3den englischen Civil Procedure Rules wird
nämlich festgelegt, dass eine Partei verpflichtet ist, Dokumente, auf die sie ihren
Anspruch stützt oder die ihren Anspruch
negativ beeinflussen sowie alle Dokumente,
die den Anspruch der anderen Partei stützen
oder negieren, einzureichen. Diese Verpflichtung ist denkbar weitgehend und umfasst nicht nur Dokumente, die sich
gegenwärtig im Besitz der Partei befinden,
sondern auch solche, auf die der Mandant
Zugriff oder ein Recht auf Einsichtnahme hat
sowie Dokumente, die er in der Vergangenheit besessen hat oder Zugriff oder ein
Recht zur Einsicht gehabt hat. Dies beinhaltet Unterlagen, die einem Vertreter oder Repräsentanten des Mandanten oder einem
Tochterunternehmen gehören. Hinzu kommt,
dass der Begriff Dokument sehr weit gehend
verstanden wird und sich treffend mit
anything umschreiben lässt. Nicht nur
schriftliche Unterlagen müssen eingereicht
werden, sondern auch E-Mails, jegliche
mündliche Aufzeichnung, Notizen, Entwürfe
sowie alle elektronischen Dokumente. In der
Praxis werden nicht alle diese Dokumente
sofort bei Gericht eingereicht, sondern der
Solicitor schreibt eine Liste, die er der anderen Partei zur Auswahl der Dokumente zusendet.
John Kimbell führte aus, dass die ordnungsgemäße Durchführung der Disclosure mit
verschiedenen Mitteln sicher gestellt wird.
Das englische Recht kennt den direkten
Weg über den Mandanten, der als Prozesspartei ein Disclosure Statement unterzeichnen muss, mit dem er bestätigt, dass alle
Dokumente ordnungsgemäß eingereicht
wurden. Sollte sich herausstellen, dass dabei die schon erwähnten Erinnerungslücken
eine Rolle gespielt haben, kann diese
Falschaussage eine empfindliche Geldstrafe
oder sogar Gefängnis nach sich ziehen. Das
Gericht muss sich aber nicht nur auf direkte
Maßnahmen verlassen, sondern kann sich
aufgrund verschiedener indirekter Maßnahmen sicher sein, dass die Parteien und ihre
Anwälte die Disclosure ernst nehmen. Das
von John Kimbell beschriebene Szenario
eines Klienten, der während des Kreuzverhörs durch den gegnerischen Anwalt aus
seiner partiellen Amnesie erwacht und sich
plötzlich an zahlreiche Dokumente in seinem
Büro, seinem Tresor oder in seiner Aktentasche erinnert, so dass der Richter die Hände
über dem Kopf zusammen schlägt und alle
anwesenden Barrister den Stift fallen lassen,
ist denkbar Anreiz genug für jeden Anwalt,
seinen Mandanten zu einer sorgfältigen Disclosure anzuleiten. Zudem sehen die standesrechtlichen
Regelungen
einen
Ausschluss aus der Vereinigung vor, sofern
der Barrister Kenntnis von relevanten Dokumenten hat, die nicht ordnungsgemäß
eingereicht wurden. Außerdem kann das
Gericht eine empfindliche cost order verhängen, die zur Folge hat, dass die Erstattung der Kosten sogar im Falle eines
gewonnenen Prozesses reduziert wird. All
diese Gründe führen dazu, dass die Disclosure von den englischen Solicitors und Barristers sehr ernst genommen wird und dass
eine Vielzahl von Dokumenten eingereicht
wird, deren Behandlung den Prozess stark
in die Länge ziehen kann.
Folglich stellt sich die Frage, warum die Disclosure soviel Unterstützung unter Common
Lawyern genießt und ob es Reformbestrebungen gibt. Dazu führte John Kimbell aus,
dass die Kernprinzipien der Disclosure seit
der Entscheidung Peruvian Guano von 1882
faktisch gleich geblieben sind. Die Woolf
Enquiry hat schon 1997 die wesentlichen
Probleme identifiziert, doch noch zehn Jahre
später merkte Lord Justice Jacob an, dass
der Sinn der Disclosure nicht darin bestehe,
alle in irgendeiner Weise mit dem Prozess
verbundenen
Dokumente
einzureichen.
Stattdessen erfordere die Disclosure eine
reasonable search, die beinhaltet, dass jedes Dokument tatsächlich darauf geprüft
wird, ob es den Anspruch der anderen Partei
stützt oder negiert. Das strenge Festhalten
an dem Prinzip der Disclosure kann nicht
ausschließlich mit der englischen Rechtstradition erklärt werden, denn ursprünglich
wurden diese Regeln nur im Bereich des
Equity-Rechts angewendet. Erst 1975 durch
die Zusammenlegung von Chancery und
Common Law Courts, fand die Disclosure
umfangreich Eingang in alle Zivilprozesse.
Auch das Argument, ohne Disclosure würde
die Wahrheitsfindung erheblich erschwert,
verliert dadurch an Gewicht, dass sie für die
small claims procedure abgeschafft wurde,
ohne dass es seitdem zu einer Vielzahl von
Fehlurteilen gekommen ist. Allerdings wiegen die Nachteile, die dem Anwalt und dem
Mandanten bei einer ordnungswidrigen Disclosure drohen, schwer. Es bestehe daher
nach Ansicht von John Kimbell stets die
Tendenz, zahlreiche Dokumente als relevant
aufzulisten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Disclosure nicht sorgfältig vorgenommen zu haben. Niemand möchte den
Eindruck erwecken, seine Partei habe etwas
-4zu verbergen, genauso wie die jeweils andere Seite die Auswahl der Dokumente, aus
Angst etwas Wichtiges zu übersehen, nicht
allzu sehr beschränken wird. Aus eben diesen Gründen hält John Kimbell es für unwahrscheinlich, dass sich das Verhalten der
Prozessparteien in der Disclosure in Zukunft
ändern wird, sofern der Gesetzgeber keine
Reformmaßnahmen ergreift.
Vortrag von Dr. Peter Kather
Die Vorstellung, Disclosure sei ausschließlich eine Besonderheit des englischen
Rechts, wurde durch den Vortrag von
Dr. Peter Kather von Preu Bohlig & Partner
in Düsseldorf in ein anderes Licht gerückt.
Zunächst lohnt es sich, einen Blick darauf zu
werfen, ob die Rechtsfindung in Deutschland
grundsätzlich auch ohne Disclosure funktioniert. In den meisten Fällen, so berichtete
Dr. Peter Kather aus seiner Erfahrung mit
Patentverfahren, liegt das Problem nicht in
den Fakten. Dass die Louis Vuitton Tasche
eine Nachahmung ist, kann leicht durch einen Testkauf nachgewiesen werden und
auch die Verletzung eines Patents für einen
innovativen Herzkatheter kann durch eine
Untersuchung des gegnerischen Produkts
dargelegt werden. Selbst wenn die Tatsachen einmal nicht so eindeutig sein sollten,
weil ein Testkauf aus Kostengründen nicht
möglich ist, gibt es laut Dr. Kather andere
Möglichkeiten, der möglichen Patentverletzung auf den Grund zu gehen: Dies kann
den Einsatz von weiblichen Ingenieuren in
einem Fachgespräch mit den Mechanikern,
die die vermutlich das Patent verletzende
Maschine entwickelt haben, beinhalten oder
die nachdrückliche Erinnerung des Zeugen
an seine Wahrheitspflicht vor Gericht während der Befragung. Schwierigkeiten entstünden allerdings dann, wenn weder ein
Testkauf möglich noch wegen eines relativ
kleinen Markts der Einsatz privater Helfer
Ziel führend ist.
Grundsätzlich hält auch das deutsche Recht
einige Vorschriften bereit, die dazu führen
können, dass die andere Partei Einsicht in
Dokumente oder die Inspektion von Maschinen gewähren muss. Allerdings werden diese nach Dr. Kathers Erfahrung stets sehr
restriktiv von den deutschen Gerichten ausgelegt und helfen insbesondere nicht weiter,
wenn nur wenig substantiiert dargelegt werden kann, welche Dokumente genau benötigt werden. Ein Antrag auf Einsicht in ein
Handbuch, von dem ungewiss ist, ob es
überhaupt existiert, trägt ein großes Risiko,
wegen Unbestimmtheit abgewiesen zu werden.
Die Situation hat sich allerdings seit September letzten Jahres durch die Umsetzung
der Enforcementrichtlinie signifikant verbessert. In der deutschen Gesetzgebung hat ein
Paradigmenwechsel statt gefunden und zum
ersten Mal kann nun ein Gericht, zumindest
im Bereich des geistigen Eigentums, auf
Antrag eine Prozesspartei verpflichten, aktiv
an dem Nachweis des Anspruchs der gegnerischen Partei mitzuwirken. Es stellt sich
nun die Frage, wie weit dieser Anspruch auf
Mitwirkung geht. Die Richtlinie spricht insoweit davon, dass die andere Partei, die Besichtigung tolerieren muss. Das Landgericht
Düsseldorf hat die Vorschrift der Richtlinie
schon vor ihrer Umsetzung angewendet und
einige Angaben zu dem Umfang des Anspruchs gemacht. Danach genügt es, wenn
eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Patents besteht. Die gegnerische
Partei ist demnach nicht nur verpflichtet, die
Besichtigung zu tolerieren, sondern muss
auch aktiv mitwirken und kann verpflichtet
werden, den Standort der Maschine mitzuteilen und sie in Betrieb zu setzen. Betriebsgeheimnisse müssen dabei gewahrt bleiben.
Dies stellt natürlich einen unschätzbaren
Vorteil für den Anwalt dar, der eine Patentverletzung darlegen muss. Allerdings hat
diese Methode auch Nachteile, denn das
Gericht kann den Anwalt zur Verschwiegenheit verpflichten, so dass die während der
Besichtigung gewonnenen Kenntnisse dem
Mandanten nicht mitgeteilt werden dürfen.
Dies führt zu enormen Schwierigkeiten im
Bezug auf technische Details des Patents,
die der Mandant zwar am besten kennt, die
aber nicht mit ihm diskutiert werden dürfen,
sowie bei der Abrechnung der anwaltlichen
Leistungen, die der Mandant ohne Möglichkeit der Einsichtnahme in die Akten zahlen
muss.
Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf stellt
allerdings noch nicht das letzte Wort im Hinblick auf Besichtigungsansprüche dar, da die
Richtlinie bisher weder umgesetzt wurde
noch der Gesetzgeber abschließend entschieden hat, in welcher Form er die Mitwirkungspflicht der gegnerischen Partei gestaltet. Nach Ansicht von Dr. Kather entwickelt
sich das deutsche Recht – angestoßen
durch die europäische Richtlinie – jedoch
grundsätzlich dahin, die aktive Mitwirkung
einer Partei an dem Nachweis des Anspruchs des Prozessgegners in einem wei-
-5teren Umfang als bisher vorzusehen. In gewisser Weise nähere sich also das deutsche
an das englische Recht an und enthalte in
diesem Sinne nunmehr eine Disclosure en
miniature.
Eroberung Kanadas für Großbritannien
spielte. Im Anschluss konnten außerdem St
Mary’s Church aus dem 13. Jahrhundert und
der zugehörige kleine Kirchenfriedhof besichtigt werden.
Exkursion und Abendprogramm
Im Anschluss an die Diskussion zu den Vorträgen konnte die Mittagspause individuell
gestaltet werden.
Bei schon anbrechender Dämmerung wurde
das letzte Ziel der Rundreise durch die Grafschaft Kent erreicht: Hever Castle.
Bei blauem Himmel und Sonnenschein bot
sich ein Spaziergang durch die Pantiles, den
historischen und touristischen Stadtkern von
Tunbridge Wells, sowie durch die geschäftige Innenstadt an, wo auch für jeden Geschmack etwas zu essen zu finden war.
Am Nachmittag wurde der Hauptteil des
gesellschaftlichen Programms der Tagung
mit einem Besuch in Chartwell eingeleitet,
Sir Winston Churchills Landsitz von 1922 bis
1965, der heute als Museum hergerichtet ist.
Dieses Herrenhaus war der Landsitz der
Familie Boleyn, das Bekanntheit erlangte
durch Anne Boleyn, die Mutter von Queen
Elizabeth I. und Frau von Heinrich VIII., der
sie letztendlich wegen angeblichen Hochverrats hinrichten ließ. Seine heutige restaurierte Form erlangte Hever Castle durch William
Waldorf Astor, Mitgründer des WaldorfAstoria Hotels in New York City.
Nach einem Rundgang durch das Wohnhaus mit vielfältigen Einblicken in das private
und öffentliche Leben Churchills lud das
große Grundstück mit Rosengarten und eigenem kleinen See zum Verweilen ein.
Danach ging es weiter zu einem kurzen Zwischenhalt ins nahe gelegene Westerham, in
dessen Zentrum neben einer Statue Churchills auch eine Statue General James Wolfes zu sehen ist, der in diesem Ort geboren
wurde und eine bedeutende Rolle bei der
Im Speisesaal von Hever Castle wurde die
Konferenzgesellschaft mit einem hervorragenden Drei-Gänge-Menü empfangen. In
der historischen Umgebung des Tudorstils
aus dem 16. Jahrhundert bot dies den idealen Rahmen für Unterhaltungen.
Wer, zurück in Tunbridge Wells, noch zu
weiteren Unternehmungen bereit war, fand
an der Hotelbar oder in den nahe liegenden
Pubs zusätzliche Gesprächsmöglichkeiten.
-6Vortrag von Elizabeth Robertson
Am Sonntag, dem dritten und letzten Konferenztag, wurden zwei Vorträge zum Thema
„Bribery and Corruption“ gehalten. Auf britischer Seite referierte zunächst Elizabeth
Robertson von Addleshaw Goddard LLP in
London zum Thema „Bribery and Corruption
in England and Wales“.
Nachdem Elizabeth Robertson kurz die legislative Entwicklung in England ausgehend
vom Public Bodies Corrupt Practices Act von
1889 über den Prevention of Corruption Act
von 1906 bis hin zum Prevention of Corruption Act von 1916 dargestellt hatte, lenkte sie
die Aufmerksamkeit auf den aktuellen Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Korruptionsbekämpfung. Dieser Entwurf, der
möglicherweise noch bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode im Mai 2010 in
England verabschiedet wird, soll eine effektivere Bekämpfung der Korruption in England
ermöglichen
und
bestehende
Missstände der aktuellen Rechtslage beheben. So soll mit dem geplanten Gesetz unter
anderem erstmals eine bisher nicht existente
positive Definition des Begriffs der Korruption in England eingeführt werden, um damit
zu mehr Rechtssicherheit beizutragen und
den Behörden eine Beweiserleichterung in
Prozessen gegen in Verdacht stehende Unternehmen zu bieten.
Elizabeth Robertson stellte im Folgenden die
vier neuen, im Gesetzesentwurf enthaltenen
Korruptionsdelikte und die jeweils einschlägigen Verteidigungsmöglichkeiten vor: die
passive Annahme einer Bestechung, die
aktive Bestechung, ein ausdrücklich gesondertes Delikt der Bestechung eines ausländischen
Regierungsbeamten
und
ein
speziell auf Unternehmen zugeschnittenes
Delikt der fehlerhaften Bestechungsprävention. Im Hinblick auf das zuletzt genannte
Delikt erläuterte Elizabeth Robertson, dass
sowohl die bisher ungeklärte Frage, was
eine „adäquate Prozedur zur Vermeidung
der Begehung von Bestechungsdelikten
durch unternehmensangehörige Personen“
ist, die laut Gesetzesentwurf für einen durch
ein verdächtiges Unternehmen geführten
Entlastungsbeweis erforderlich ist, als auch
die erstmalige Einführung einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit im Bereich der unternehmensinternen Bestechungsprävention in
England stark diskutiert werden und im Detail noch ungeklärt sind. So werden für die
Festlegung eines Fahrlässigkeitsmaßstabes
sowohl die Definition eines einheitlichen
Standards als auch eine einzelfallbezogene
Case-by-Case-Betrachtung diskutiert sowie
neuerdings auch eine verschuldensunabhängige Strict Liability-Haftung des Unternehmens für Verfehlungen der Angestellten.
Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrags lag
auf der in der Praxis aufgrund der verbreiteten Unerfahrenheit der Beteiligten oftmals
schwierigen Abgrenzung zwischen üblichen
Leistungen im Rahmen einer unternehmerischen Gastfreundlichkeit und des Beginns
einer Korruptionsleistung im strafrechtlich
relevanten Bereich. So berichtete Elizabeth
Robertson von einem ihr bekannten Fall, in
dem die durch einen deutschen Konzern für
die englische Tochtergesellschaft aufgestellte De minimis-Leistungsgrenze von 35 Euro
für ein unternehmerisches Gastgeschenk für
die Tochtergesellschaft angesichts der in
England üblichen Einladungen zu Fußballspielen mit Ticketpreisen von ca. 500 Euro
faktisch einem Verbot von unternehmerischer hospitality gleichkam.
Abschließend berichtete Elizabeth Robertson von den jüngst ergriffenen Maßnahmen
zur effektiveren Korruptionsbekämpfung
sowohl in England als auch durch internationale Zusammenarbeit der verschiedenen
Gesetzgeber. So ist beispielsweise das englische Serious Fraud Office (SFO), das behördliche Betrugsdezernat, nach jüngst laut
gewordener Kritik an dessen Fähigkeiten der
effektiven Korruptionsbekämpfung von 65
Ermittlern noch vor einem Jahr auf nunmehr
etwa 100 Ermittler personell verstärkt worden, verfolgt damit die Zielsetzung, Korruptionsfälle schneller vor Gericht zu bringen und
bietet den in Verdacht stehenden Unternehmen die Möglichkeit, durch frühe Selbstanzeige und vollständige Kooperation bei der
Aufklärung der Delikte die drohende Sanktion abzuschwächen.
Elizabeth Robertson beendete ihren Vortrag
mit dem Fazit, dass eine Verabschiedung
des Gesetzesentwurfes in der voraussichtlichen Fassung nach ihrer Ansicht die Lösung
auf zumindest einen Teil der in der Vergangenheit bestehenden Probleme im Bereich
der Korruptionsbekämpfung bringen könne,
die Tauglichkeit der neuen Regelungen sich
jedoch erst in der Praxis werde bewähren
müssen.
-7Vortrag von Hanns W. Feigen
Auf deutscher Seite referierte zum Thema
„Bestechung und Korruption“ Hanns W. Feigen von Feigen · Graf in Frankfurt beginnend mit einem kurzen Rückblick auf die
Entwicklung von Korruption und deren Bekämpfung.
Hanns W. Feigen berichtete, dass er bereits
in den frühen 1980er-Jahren in Hong Kong
Plakate mit der Aufschrift „Corruption doesn‘t
pay.“ als Mittel der damaligen öffentlichen
Korruptionsbekämpfung entdeckt habe und
erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte die
Korruption in Deutschland und Europa aus
einer bis dahin existenten hohen Dunkelziffer heraus in die Strafverfolgung und damit
in das öffentliche Bewusstsein trat. Als Wendepunkt der neueren Geschichte der Korruptionsbekämpfung nannte er den 15. November 2006, jenen Tag, als unter Leitung der
Staatsanwaltschaft in München und Erlangen eine große Menge von Unternehmensakten beschlagnahmt, fünf Haftbefehle
ausgesprochen, und damit der so genannte
Siemens-Skandal öffentlich gemacht wurde.
So erachtet er die Erkenntnisse, die in der
Aufarbeitung der Geschehnisse innerhalb
des Siemens-Konzerns gewonnen wurden,
für die moderne Korruptionsbekämpfung von
unschätzbarem Wert. Zudem habe die öffentliche Verfolgung, Aufklärung und Diskussion des Skandals zu einer höchst
abschreckenden Wirkung für Unternehmen
in Deutschland geführt. Das Wort Compliance sei angesichts der hohen Regelungsdichte in aller Munde und habe in der Zwischenzeit beispielsweise zu der Einrichtung von
Mitarbeiterfortbildungen und anonymen Beratungs-Hotlines geführt.
Hanns W. Feigen erläuterte im Folgenden,
dass aufgrund der häufigen Ausstellung von
Scheinrechnungen bei der Erfüllung von
Korruptionstatbeständen parallel regelmäßig
eine Steuerstrafbarkeit berührt sei und stellte heraus, dass es entscheidend für die Erfüllung oder Nichterfüllung eines Korruptionstatbestandes sei, ob für an Consultants
gezahlte Entgelte im Voraus schriftlich eine
Gegenleistung vereinbart worden sei, die
zusammen mit einem Pflichtenheft und Lastenheft des Consultants eine Überprüfbarkeit der tatsächlichen Erbringung der
Gegenleistung gewährleisten. Zudem ging
er auf die strikte Sanktion der Vornahme von
Verdunkelungshandlungen während eines
Ermittlungsverfahrens und die leichte Nachweisbarkeit von Absprachen und Vorsatzfra-
gen durch die Staatsanwaltschaft ein, die
sich aus der umfassenden und fast ausschließlichen Nutzung von elektronischen
Kommunikationsmitteln durch die Unternehmen ergibt.
Eine weitere Trendwende seit der SiemensAffäre gibt es im Bereich der Verteidigungsstrategie des Anwalts. Während in früherer
Zeit ein einziger Firmenanwalt als Ansprechpartner des Unternehmens gegenüber der Staatsanwaltschaft in allen
relevanten Bereichen fungierte, zeichnet
sich heute ein anderes Bild ab: durch die
Anwendbarkeit von amerikanischem Strafrecht, die häufig aus der Notierung deutscher Großkonzerne an der amerikanischen
Börse resultiert, sind die Unternehmen oftmals auf Weisung der amerikanischen Behörden verpflichtet, bei der Aufklärung
amerikanische Anwälte anzustellen, die in
Zusammenarbeit mit der deutschen Staatsanwaltschaft umfassende Untersuchungen
innerhalb des Unternehmens durchführen.
So entsteht die problematische Situation,
dass ein Anwalt des Unternehmens oftmals
als Kooperator der Staatsanwaltschaft gegen das Unternehmen und dessen Verteidiger tätig wird. Zudem sind Vorstände seit
dem ARAG-Urteil des Bundesgerichtshofs
zivilrechtlichen Folgeansprüchen des Unternehmens ausgesetzt, die diese auch durchsetzen
müssen,
um
einer
eigenen
Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft
wegen Untreue aus dem Wege zu gehen.
Ein DNO-Versicherungsschutz greift für Unternehmen ferner im Falle der Korruption
regelmäßig nicht ein, da entweder ein bewusstes Verschweigen durch das Management den Versicherungsschutz insoweit
unwirksam werden lässt oder eine fahrlässige Nichtaufklärung den Schaden in den wirtschaftlichen Bereich des Managements
fallen lässt. Der Schaden in Form des Anwaltshonorars wird im Falle von Siemens so
zum Beispiel gegen den Manager als Individuum geltend gemacht. Es kommt in Korruptionsaffären somit regelmäßig zu dem
verkehrten Bild einer Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden und
den Unternehmen gegen den betroffenen
Manager, wobei die Behörden oftmals eine
Einstellung des Verfahrens gegen den Manager von dessen Zahlung von Schadensersatz an das Unternehmen abhängig
machen. Die missliche Situation des Managers verschärft sich jedoch angesichts der
Existenz eines öffentlichen Korruptionsregisters und gegebenenfalls drohender Steuer-
-8nachzahlungen noch weiter. Da eine Neuanstellung von Personen, die in Korruptionsdelikte verwickelt waren, oftmals den
Ausschluss des gesamten Unternehmens
von öffentlichen Ausschreibungen bedeutet,
droht den Personen, die vormals in einer
Führungsposition waren, damit trotz allem
möglicherweise entgegenstehenden guten
Willen eines neuen Arbeitgebers quasi
zwangsläufig der wirtschaftliche Tod.
Als präventive Maßnahmen gegen solche
Korruptionsaffären wies Hanns W. Feigen
zwar auf die angebotenen ComplianceProgramme hin, stellte deren begrenzte Erfolgsaussichten jedoch gleichermaßen dar.
Angesichts der im Verlaufe des Vortrags
dargestellten neuen Situation, insbesondere
der involvierten Manager, knüpfte Hanns W.
Feigen am Ende des Vortrags an den anfänglichen Aufhänger des Vortrags an und
zog das Fazit, das auch heute uneingeschränkt gelte: „Corruption doesn’t pay.“
Nach der an die Vorträge angeschlossenen
Diskussion zu unterschiedlichsten Aspekten
von Bestechung und Korruption war die Tagung offiziell schon zu Ende. Der ein oder
andere konnte jedoch dank großzügig geplanter Rückreise und immer noch herrlichen Wetters weiter die Stadt erkunden oder
die örtlichen Einkaufsmöglichkeiten nutzen.
Danksagung und Ausblick
Wir danken der Deutsch-Britischen Juristenvereinigung für die Möglichkeit der Teilnahme an dieser interessanten Konferenz und
für die herzliche Aufnahme im Kreis ihrer
Mitglieder und freuen uns auf ein Wiedersehen bei einer der nächsten Tagungen.
Die kommende Frühjahrskonferenz wird
vom 23. bis 25. April 2010 in Heidelberg, die
darauffolgende Herbstkonferenz voraussichtlich vom 8. bis 10. Oktober 2010 in Liverpool stattfinden.
Lisa Waßmuß
Philipp Cramer
Christoph Engelmann
Simon Lindow