Tiroler Tageszeitung 11/2014
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Tiroler Tageszeitung 11/2014
Schritt für Schritt zum eigenen Schuh Jeden Tag nehmen wir sie aus dem Schrank, binden die Schnürsenkel und gehen mit ihnen aus dem Haus. Unser Alltag ist mit Schuhen gepflastert, doch kaum jemand macht sich Gedanken darüber. Bernadette Hehenberger beschreitet andere Wege. Die Schuhdesignerin will ihr Handwerk unter die Leute bringen. Einer ihrer Workshops ließ vor Kurzem Frauen nach Innsbruck stiefeln. S Im Web www.tt.com Eine Bildergalerie zum Schuh-Workshop gibt es auf unserer Webseite. amstagmorgen auf dem Weg zur Bäckerei. Die Luft ist noch kalt, also lieber die Winterstiefel auspacken. „These boots are made for walking. That‘s just what they do“, singt Nancy Sinatra 1966. Doch sind Schuhe nicht viel mehr? Schließlich gehen wir mit ihnen durch dick und dünn, wagen uns auf unbekannte Pfade und haben sie am Tag oft über zwölf Stunden unter unseren Füßen, ohne den Boden zu verlieren. Bernadette Hehenberger aus Niederösterreich kann zwar mit der Idee hinter Sinatras Lied, dass Frauen sich nicht länger unterordnen, etwas anfangen. Sie singt aber doch lieber „Shoe be do“. Die 38-jährige Schuhdesignerin (Clarks, Gea) ist vor Kurzem mit groben Ledernstiefeln nach Innsbruck gekommen, um in der Kulturbäckerei Schuhe anzufertigen. In ihrem „Shoe be do“-Workshop geht es neben den Schuhen auch um Sein („be“) und Tun („do“). „Das ‚einfache Sein im Tun’ ist das wesentliche Element des Workshops und natürlich das Entdecken des Schuhhandwerks und der eigenen handwerklichen Fähigkeiten“, sagt Hehen- 2 berger. Mit ihrer Hilfe werden Tritt für Tritt aus Tretern Schuhe, die das Zeug dazu haben, auch auf neue Wege zu führen. Die Qual der Wahl Wie werden die selbst gemachten Schuhe nach zwei Tagen wohl aussehen? Landen sie im kleinen, völlig überfüllten Schuhschrank oder bekommen sie einen Ehrenplatz wie die unvergesslichen bunten DocMartins mit Wiesenmuster aus Kindheitstagen? Sie standen lange auf einem Regal im Wohnzimmer. Nun ist es Zeit für neue, unvergessliche Schuhe. Hehenberger stellt uns, zwei Kursteilnehmerinnen und mir, vor dem Handwerken noch das „Shoebiz“ kurz vor: „Schuhe müssen auch kritisch betrachtet werden. Industriell gefertigte Modelle sind oft außen hui und innen pfui.“ Ein Volllederfutter oder eine flache Sohle etwa seien für die Füße „toll“. Ein Hehenberger-Modell auszuwählen stellt uns vor die Qual der Wahl: Mokassin, Ballerina, Sandalen? Grünes, rotes, braunes Leder? Helle, dunkle oder Gummi-Sohle? Das Auswählen kostet Zeit. „Es braucht eben auch Zeit und Geduld, 3 das ist wichtig und eine weitere Lektion“, meint Hehenberger. Nun ist die Idee geboren: Ein Mokassin soll es für mich werden, mit drei verschiedenen rot- bis rosafarbenen Ledern und dunkler Sohle. Die Schnitte werden auf das Leder gezeichnet und sorgsam zugeschnitten. Die Zeit spielt mittlerweile nur mehr eine untergeordnete Rolle. Wie lange wohl echte Handwerker in der heute schnelllebigen Zeit noch brauchen dürfen, um aus einem Stückchen Stoff Tragbares zu machen? Die ausgeschnittenen Teile lassen schon einen Schuh erahnen – mit viel Phantasie. Vor der Mittagspause wird das Magenknurren durch das Stanzen der Löcher übertönt. Ein rosa Leder glitzert in der Sonne und wartet auf seine Bestimmung. Dann geht es gestärkt weiter. Der Alltagstrubel lässt sich aber nicht so leicht abschütteln. Wie soll aus den zwölf Teilen bis zum Sonntagnachmittag ein Paar Schuhe werden? Stress kommt auf, den Hehenberger gekonnt vom Tisch wischt, indem sie zum Kleben aufruft. Die Lederteile werden mit Klebstoff eingestrichen. Diese Arbeit beruhigt und lässt Zeit für 4