Gewichtstsunami

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Gewichtstsunami
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Gewichtstsunami
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eine Frau findet mich gerade etwas zu klein für mein Gewicht. Da
ich aber nur noch sehr langsam und ohnehin bloß an Ohren und
Nase wachse, muss ich schnell mal ein paar Pfund abnehmen.
Habe viel am Schreibtisch gesessen und gearbeitet in letzter Zeit.
Das geht immer einher mit einer gewissen Gewichtszunahme.
Ehrlich gesagt kann man dazu aber schon nicht mehr
Gewichtszunahme sagen, Gewichtstsunami trifft es besser.
Eigentlich liegt es weniger am Essen - ein bisschen vielleicht sondern vor allem an der mangelnden Bewegung. Sport wäre jetzt gut. Das sei die neue
Religion, las ich neulich. Sehr interessante These. Der moderne Mensch betet seinen Körper
an, heiliger Geist steigt auf als Schweißgeruch. Das gefiel mir.
Dann zeigte mir Sara eine Zeitungsbeilage mit Joggingschuhen und sagte: „Kauf Dir doch
ein paar Laufschuhe.“ Jogging sei ganz toll, fand sie. Man könne dabei wundervoll
nachdenken, die Bewegung verselbständige sich allmählich, übrig bliebe ein wundervolles
Glücksgefühl. Und überhaupt: Die Hälfte der Zeit, die ich mit Nachdenken am Schreibtisch
verbrächte, könnte ich ebenso nachdenklich durch eine nahe gelegene Schonung rennen. Ich
fragte Sara, ob man es nicht umgekehrt machen könne und schlug ihr vor, mich regelmäßig
auf die Couch zu legen und ans Laufen zu denken. An ganz anstrengendes Laufen würde ich
denken, ich würde mir schwierigste Waldläufe, ganze Marathonläufe würde ich mir
ausmalen. Aber sie zeigte nur schweigend auf besonders hässliche Laufschuhe in dem
Prospekt.
Der Verkäufer ließ mich zunächst auf Socken durch den Laden laufen, wiegte kritisch den
Kopf hin und her und bescheinigte mir dann den Laufstil eines Orks. Das sind die Bösen aus
„Herr der Ringe.“ Wenn die Orks durch Mittelerde rennen, setzen sie die Füße mit der ganzen
Sohle auf. Sie trampeln. Ich trample. Ich bin ein Trampel. Ein Ork-Trampel. Der Verkäufer
sagte, das bekäme er schon hin und verschwand im Lager. Nach einigen Minuten kehrte er
mit einem Paar Schuhe zurück und sagte: „Das sind Ihre.“
Ich sah die Dinger an und musste lachen. Der Verkäufer fragte mich, was an den Schuhen
so komisch sei und ich antwortete, dass sie aussähen wie medizinisches Gerät, wie bunte
Prothesen, wie Spielzeug aus der Weltraumforschung, wie Schaum gewordener Quatsch.
„Die sehen bescheuert aus,“ sagte ich.
„Das ist egal,“ sagte der strenge Verkäufer.
„Ihnen vielleicht, aber ich muss die ja ansehen.“
„Sie sollen beim Laufen nicht nach unten, sondern nach vorne schauen,“ sagte er. Und
dass es nicht darauf ankäme, wie man beim Sport aussähe, sondern dass man überhaupt
welchen treibe. „Das sind Ihre Schuhe,“ wiederholte er.
Ich kaufte die hässlichen Anfängerlatschen für Trampelfüße und sie sind sehr bequem.
Ich hatte noch keine Gelegenheit, sie im Freien auszuprobieren. Erst mussten sie zuhause
eingetragen werden. Sonst läuft man sich Blasen und das ist nicht Sinn der Sache. Hat der
Verkäufer gesagt. Eine Woche hat das Einlaufen gedauert. Danach bin ich noch nicht dazu
gekommen, mit Ihnen durch den Wald zu rennen. Am Montag hat es geregnet und ich wollte
nicht, dass die schönen Schuhe schmutzig werden. Am Dienstag hatte ich keine Lust, das
muss auch mal erlaubt sein. Am Mittwoch Schnupfen, der sich am Donnerstag zu einer
starken Grippe ausgeweitet hatte. Am Freitag hatte ich keine Zeit, am Samstag habe ich
vergessen, dass ich eigentlich noch zum Laufen in den Wald wollte. Einfach vergessen, wo
gibt es denn so was? Und am Sonntag soll man nichts machen.
Heute Morgen stellte Sara mir die Schuhe in den Weg und sagte: „Schicke Schuhe.“
Eigentlich wollte ich sie anziehen und mich in Haile Gebrselassie verwandeln. Aber dann fiel
mir ein, dass ich noch meine Übungen machen musste. Ich habe nämlich mit Gesichtsyoga
angefangen. Das macht die Victoria Beckham auch. Und was für die gut ist, kann mir nicht
schaden, immerhin hat sie einen sehr durchtrainierten Gatten. Wer weiß, vielleicht gibt es da
einen Zusammenhang. Eine Übung kann ich schon: „Der gähnende Löwe.“ Hammer, so was
von anstrengend. Ich habe schon mindestens drei Pfund verloren. Das mit dem Laufen höre
ich auf, glaube ich. •
12. JUNI 2008

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