Gewichtstsunami
Transcription
Gewichtstsunami
JAN W EIL ER M EIN LE BEN AL S M EN SCH FOL GE 61 Gewichtstsunami M eine Frau findet mich gerade etwas zu klein für mein Gewicht. Da ich aber nur noch sehr langsam und ohnehin bloß an Ohren und Nase wachse, muss ich schnell mal ein paar Pfund abnehmen. Habe viel am Schreibtisch gesessen und gearbeitet in letzter Zeit. Das geht immer einher mit einer gewissen Gewichtszunahme. Ehrlich gesagt kann man dazu aber schon nicht mehr Gewichtszunahme sagen, Gewichtstsunami trifft es besser. Eigentlich liegt es weniger am Essen - ein bisschen vielleicht sondern vor allem an der mangelnden Bewegung. Sport wäre jetzt gut. Das sei die neue Religion, las ich neulich. Sehr interessante These. Der moderne Mensch betet seinen Körper an, heiliger Geist steigt auf als Schweißgeruch. Das gefiel mir. Dann zeigte mir Sara eine Zeitungsbeilage mit Joggingschuhen und sagte: „Kauf Dir doch ein paar Laufschuhe.“ Jogging sei ganz toll, fand sie. Man könne dabei wundervoll nachdenken, die Bewegung verselbständige sich allmählich, übrig bliebe ein wundervolles Glücksgefühl. Und überhaupt: Die Hälfte der Zeit, die ich mit Nachdenken am Schreibtisch verbrächte, könnte ich ebenso nachdenklich durch eine nahe gelegene Schonung rennen. Ich fragte Sara, ob man es nicht umgekehrt machen könne und schlug ihr vor, mich regelmäßig auf die Couch zu legen und ans Laufen zu denken. An ganz anstrengendes Laufen würde ich denken, ich würde mir schwierigste Waldläufe, ganze Marathonläufe würde ich mir ausmalen. Aber sie zeigte nur schweigend auf besonders hässliche Laufschuhe in dem Prospekt. Der Verkäufer ließ mich zunächst auf Socken durch den Laden laufen, wiegte kritisch den Kopf hin und her und bescheinigte mir dann den Laufstil eines Orks. Das sind die Bösen aus „Herr der Ringe.“ Wenn die Orks durch Mittelerde rennen, setzen sie die Füße mit der ganzen Sohle auf. Sie trampeln. Ich trample. Ich bin ein Trampel. Ein Ork-Trampel. Der Verkäufer sagte, das bekäme er schon hin und verschwand im Lager. Nach einigen Minuten kehrte er mit einem Paar Schuhe zurück und sagte: „Das sind Ihre.“ Ich sah die Dinger an und musste lachen. Der Verkäufer fragte mich, was an den Schuhen so komisch sei und ich antwortete, dass sie aussähen wie medizinisches Gerät, wie bunte Prothesen, wie Spielzeug aus der Weltraumforschung, wie Schaum gewordener Quatsch. „Die sehen bescheuert aus,“ sagte ich. „Das ist egal,“ sagte der strenge Verkäufer. „Ihnen vielleicht, aber ich muss die ja ansehen.“ „Sie sollen beim Laufen nicht nach unten, sondern nach vorne schauen,“ sagte er. Und dass es nicht darauf ankäme, wie man beim Sport aussähe, sondern dass man überhaupt welchen treibe. „Das sind Ihre Schuhe,“ wiederholte er. Ich kaufte die hässlichen Anfängerlatschen für Trampelfüße und sie sind sehr bequem. Ich hatte noch keine Gelegenheit, sie im Freien auszuprobieren. Erst mussten sie zuhause eingetragen werden. Sonst läuft man sich Blasen und das ist nicht Sinn der Sache. Hat der Verkäufer gesagt. Eine Woche hat das Einlaufen gedauert. Danach bin ich noch nicht dazu gekommen, mit Ihnen durch den Wald zu rennen. Am Montag hat es geregnet und ich wollte nicht, dass die schönen Schuhe schmutzig werden. Am Dienstag hatte ich keine Lust, das muss auch mal erlaubt sein. Am Mittwoch Schnupfen, der sich am Donnerstag zu einer starken Grippe ausgeweitet hatte. Am Freitag hatte ich keine Zeit, am Samstag habe ich vergessen, dass ich eigentlich noch zum Laufen in den Wald wollte. Einfach vergessen, wo gibt es denn so was? Und am Sonntag soll man nichts machen. Heute Morgen stellte Sara mir die Schuhe in den Weg und sagte: „Schicke Schuhe.“ Eigentlich wollte ich sie anziehen und mich in Haile Gebrselassie verwandeln. Aber dann fiel mir ein, dass ich noch meine Übungen machen musste. Ich habe nämlich mit Gesichtsyoga angefangen. Das macht die Victoria Beckham auch. Und was für die gut ist, kann mir nicht schaden, immerhin hat sie einen sehr durchtrainierten Gatten. Wer weiß, vielleicht gibt es da einen Zusammenhang. Eine Übung kann ich schon: „Der gähnende Löwe.“ Hammer, so was von anstrengend. Ich habe schon mindestens drei Pfund verloren. Das mit dem Laufen höre ich auf, glaube ich. • 12. JUNI 2008