der Ausgabe - Stiftung Familienunternehmen

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der Ausgabe - Stiftung Familienunternehmen
KINDERLEICHT
W E LT A M S O N N TAG , 1 9 . D E Z E M B E R 2 010
8 Seiten
Spezial
UNTER
NEH
KINDER MERTUM
LEICHT
Antwort
en
die Wirt für alle,
verstehe schaft
n wollen
S E I T E 81
Geht
doch!
Verena Delius gründete schon
mit 20 Jahren ihre erste Firma.
Jetzt ist sie 31 und kann sich
gar nichts anderes mehr
vorstellen, als Chefin zu sein
Wer nur aufs Geld aus ist,
sagt Verena Delius, sollte es besser
gar nicht erst als Unternehmer
versuchen. Man muss schon mit
Herzblut dabei sein
T
STEFFEN FRÜNDT
W
er zu dem Land will, wo die Pandas wohnen, muss nicht bis nach China fliegen. Er
betritt einfach ein unscheinbares Bürohaus in der Torstraße in Berlin-Mitte.
Treppe hoch, vierter Stock. Jetzt noch
durch eine Tür – und schon blickt der Besucher in gutmütige Bärenaugen. Wände,
Schreibtische, Fensterbänke – das Büro ist
voller putziger Pandas. Und auch die
Computerbildschirme, vor denen die 60
Angestellten hocken, sind bevölkert von
Eukalyptusfressern. Denn dies ist die Zentrale von Panfu, einem Internetportal für
Kinder, in dem sich alles um Pandas dreht.
Die Leute, die hier arbeiten, denken
sich den ganzen Tag lang Panda-Abenteuer und Lernspiele aus und programmieren
sie für den Computer. Dazwischen steht
Verena Delius. Stimmt gar nicht. In Wirklichkeit steht die 31-Jährige nicht, sondern
flitzt dauernd zwischen den Schreibtischen hin und her. Schaut Grafikerin Monika über die Schulter, die gerade die Szenerie für ein Rätsel um einen goldenen
Schlüssel entwirft. Fragt Programmierer
Martin, was das Sockenspiel macht. Zwischendurch guckt sie immer wieder auf eine Wand, die von oben bis unten mit gelben, grünen und blauen Haftzetteln beklebt ist, auf denen steht, woran die Panfu-Leute gerade arbeiten. Verena Delius
muss den Überblick behalten. Sie ist die
geschäftsführende Gesellschafterin. Mit
anderen Worten: Sie ist der Boss. „Und
das“, sagt sie, „macht großen Spaß!“
Verena Delius hat ihr erstes Unternehmen im Alter von 20 Jahren aufgemacht, gemeinsam mit ihrer kleinen
Schwester. Für sie war das damals eine
großartige Sache, aber so außergewöhnlich nun doch wieder nicht. Denn
Unternehmen zu gründen liegt bei ihr
in der Familie. Ihr Vater ist ein Bielefelder Textilunternehmer in der neunten Generation, also genauso wie
schon sein Ururururururgroßvater. Ihre Mutter hat sich eine Firma für Inneneinrichtung und Raumausstattung
aufgebaut. „Am Abendbrotstisch
sprachen meine Eltern immer über
offene Rechnungen, Mitarbeitermotivation – mit solchen Themen sind
wir aufgewachsen“, erzählt Verena.
Ihr Taschengeld verdiente sie sich
damit, für Mutters Firma Werbemittel zu verpacken oder andere kleinere Arbeiten zu erledigen. Ansonsten
tat sie das Gleiche wie die anderen
Kinder in ihrem Alter. Sie ging zur
Schule, machte Abi. Und dann
schrieb sie sich für ein Studium ein,
Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen in der Schweiz.
Gründerin von Papas Gnaden
Zur ersten eigenen Firma kam es eigentlich nur wegen des Hauses am Bach. Direkt am Ufer der Lutter, die sich durch die
Bielefelder Innenstadt schlängelt, stand
seit Urzeiten ein kleines Häuschen, das
die Delius-Schwestern schon immer geliebt hatten. Als es eines Tages leer stand,
kaufte es ihr Vater. Und sagte: „Ihr könnt
es mieten. Aber nur, wenn ihr eine Idee
habt, wie man ein Geschäft daraus
macht.“ Die Schwestern grübelten eine
Weile. Dann beschlossen sie: „Wir machen
eine Sushi-Bar auf!“ Sie schrieben auf ein
Blatt Papier, wie hoch ihre Ausgaben sein
würden und wie viel Geld sie einnehmen
könnten. Vater Delius nickte den Businessplan ab. Dann druckten die Jungunternehmerinnen Speisekarten am Computer aus, kauften sich bei Ikea und anderswo eine einfache, aber praktische Einrichtung zusammen. Fisch gab’s beim Großhändler. Am schwierigsten war die Sache
mit dem Koch. Wenn sie ernsthaft ein
JANNIS CHAVAKIS
Viele Menschen würden nie
Unternehmer werden wollen.
Dabei kann es, bei aller
Verantwortung, großen Spaß
machen, eine Firma zu leiten
T
Verena Delius ist 31 Jahre
alt und Unternehmerin
aus Leidenschaft – schon
seit über zehn Jahren
über Unternehmertum ist nämlich auch:
Jeder, der will, darf in Deutschland eine
Firma gründen. Aber er braucht dazu
Startkapital, oft sogar sehr viel. Wer keines
hat, kann es sich von einer Bank leihen.
Aber die Banken häufig keines raus, weil
sie Angst haben, es nicht zurückzubekommen, und weil Bankangestellte oft Menschen mit wenig Fantasie sind. „Ich glaube
nicht, dass uns Mädels damals irgendeine
Bank einen Kredit für das Restaurant und
die übrigen Kosten gegeben hätte“, glaubt
Verena Delius. Dabei hielt sich ihre SushiBar sechs Jahre lang und brachte genug
ein, um den Koch und alle Rechnungen zu
bezahlen: „Mehr aber auch nicht. Reich
wurden wir nicht damit.“
Verena Delius schloss ihr Studium ab
und tingelte erst mal mit Freunden durch
„Kinderleicht“: Bald auch im Buchhandel!
„Kinderleicht“, die mehrfach preisgekrönte
Serie der „Welt am Sonntag“, gibt es
demnächst auch in Buchform. Im März
erscheinen im Hanser-Verlag die „Kinderleicht“-Folgen über Gerechtigkeit und
Globalisierung, weitere Ausgaben sind
in Planung. Die Bücher kosten jeweils
12,90 Euro und können schon jetzt unter
0800/066 05 55 vorbestellt werden.
Eine Familie von Unternehmern
Chef sein – das würden viele gerne. Wer
hat als Kind schon davon geträumt, ein
kleiner Angestellter zu sein, der die ganze
Arbeit macht und trotzdem nichts zu sagen hat? Da hätte doch jeder lieber sein eigenes Unternehmen. Jetzt sollte normalerweise die Stelle kommen, wo steht, dass
aber nicht jeder Chef sein kann und man
sich das überhaupt bloß nicht so einfach
vorstellen soll. Ein Firmeneigentümer hat
es nämlich auch schwer mit der ganzen
Verantwortung, dem Risiko und so. Doch
die Wahrheit ist: Unternehmer sein ist super. Jeder kann es werden – auch wenn es
manchmal beschwerlich ist.
paar Ostwestfalen dazu bringen wollten,
rohen Fisch zu essen, dann musste der
schon wirklich lecker zubereitet sein. Am
Ende fanden sie in Berlin einen 60 Jahre
alten Sushi-Meister, der bereit war, es mit
den Mädels zu versuchen. „Der Tag der
Eröffnung war das Aufregendste, was ich
bis dahin erlebt hatte“, erzählt Verena.
Obwohl sie Werbung in der Zeitung gemacht hatten, ließen sich zwar nur acht
Kunden blicken, die meisten Tische blieben leer. Aber egal: „Ich war 20, und wir
hatten unseren eigenen Laden!“
Natürlich war Verena Delius Unternehmerin von Papas Gnaden. Die Wahrheit
Südamerika, drei Monate lang. „Erst mal
Luft holen und runterkommen. Das hat
gutgetan!“ Was nicht bedeutet, dass ihr
auf den Gipfeln der Anden die große Erleuchtung kam, was sie mit ihrem Leben
anfangen sollte. Zurück in Deutschland,
fing sie bei einer Versicherung an, ausgerechnet. „Ich hatte Finanzen studiert – also fing ich ein Traineeprogramm bei der
Münchner Rück an“, erinnert sie sich.
Doch die eineinhalbjährige Ausbildung
bei dem milliardenschweren Versicherungskonzern wurde zu einem frustrierenden Erlebnis. Fast vom ersten Tag an war
Verena ungeduldig, weil sie immer irgend+
welche Ideen hatte und ihr alles nicht
schnell genug voranging. Sie war voller
Ideen – und lief damit dauernd gegen die
Wand. „Ich merkte, dass eigene Ideen in
Wirklichkeit gar nicht erwünscht waren.“
In dieses Angestelltendasein passte die
Unternehmertochter einfach nicht, sie war
zur Selbstständigkeit erzogen worden.
„Seither steht für mich fest: Großkonzern
– das brauche ich nicht noch mal!“
Scheitern – und dennoch nicht aufgeben
Dann schon lieber ein kleiner Laden, aber
dafür etwas zu sagen haben. Beziehungsweise: viele kleine Läden. Das war die Idee
zu ihrer zweiten Firma. Gemeinsam mit
einer Studienfreundin wollte sie in deutschen Innenstädten kleine Salatbars eröffnen, an denen sich die Leute selbst ihren
Teller zusammenstellen können. Eine Art
gesunde Fast-Food-Kette also. In New
York gab es so was damals schon an jeder
Ecke, wie Verena auf einer Amerikareise
aufgefallen war: „Aber in Deutschland war
das vollkommen neu.“ Eine Idee abzukupfern, die bei anderen funktioniert hat, ist
nicht die schlechteste Unternehmensstrategie. Einige der reichsten Menschen der
Welt sind auf diese Weise zu ihrem Geld
gekommen. Verena Delius gründete mit
ihrer Freundin also die Yummy Salads AG.
Sie hatten vier Investoren gefunden. Vermögende Privatleute, die an die Idee
glaubten und den beiden dafür das Startkapital gaben. Solche Beteiligungen sind
gerade für junge Gründer oft eine gute Alternative zu den fantasielosen Bankern.
Die Idee war da, das Geld auch. Trotzdem gibt es heute überall McDonald’s und
Burger King, aber nirgendwo einen Yummy Salads. Die zweite Firma in Verena Delius’ Leben fiel nämlich den ängstlichen
Vermietern zum Opfer, sagt sie. Geschäftsmodell, Logo, Ladendesign – alles
war fertig. „Aber wir haben in den A-Lagen einfach keine Flächen bekommen. Wir
haben es praktisch in jeder deutschen
Großstadt probiert. Aber wenn in einer
Fußgängerzone etwas frei wurde, vermieteten die Hausbesitzer lieber an Tchibo,
Häagen-Dazs oder Kamps.“ Nach einem
Jahr gaben die Unternehmerinnen auf und
machten Yummy wieder dicht. Das geliehene Geld war futsch. „Es ist wichtig, sich
von Fehlschlägen nicht entmutigen zu lassen“, sagt Verena Delius, die schon bei ihren Eltern mitbekommen hatte, dass man
als Unternehmer immer wieder Momente
erlebt, in denen es nicht so gut läuft. Eine
Sushi-Bar, die keine Gewinne abwirft, eine
Salatkette, die keiner will. Das alles gehört
zum unternehmerischen Risiko: „Wer etwas wagt, verliert auch mal. Auch das
kann eine wertvolle Erfahrung sein.“
Gut, dass Verena nicht aufgegeben hat.
Denn ab diesem Moment wurde alles, was
sie in die Hand nahm, ein Erfolg. Nach
dem Salatfiasko erinnerte sie sich ihres Finanzenstudiums und gründete, selbstbewusst nach sich selbst benannt, die Firma
Delius Capital. Die Idee der Fondsgesellschaft war, grob gesagt, die: Sie konzipierte sogenannte Fonds und finanzierte damit Großprojekte wie Containerschiffe.
Die Gewinne, die die Schiffe einfuhren,
gingen zurück an die Investoren. Das
funktionierte sehr gut, und Verena Delius
verdiente selbst nicht schlecht dabei. Die
Firma gibt es immer noch, sie wird heute
von Verena Delius’ Mann Lutz geleitet.
Die Zukunft liegt im Internet
Denn als Delius 25 war, entdeckte sie das
Internet für sich. Der Besitzer einer Online-Partnervermittlung überredete sie, in
das Geschäft mit einzusteigen. „Da habe
ich Online gelernt. Mir war gleich klar,
dass im Internet die Zukunft liegt.“ In
Hamburg baute sie für einen großen Medienkonzern ein Lernportal im Internet auf,
kam später zum Pandaportal.
Und dann kamen die Kinder in ihr Leben. „Wenn es um Kinder geht, ändert sich
alles. Plötzlich geht es nicht mehr nur ums
Geschäft, du wirst viel ethischer und überlegst genau, was du verantworten kannst.“
Heute trägt Verena Delius Verantwortung
für viele. Für ihre Söhne John und Henry,
die erst drei beziehungsweise ein halbes
Jahr alt sind und unter der Woche von einer Kinderfrau großgezogen werden. Für
die 60 Mitarbeiter von Panfu, die teils
selbst Familien haben und deren Arbeitsplatz davon abhängt, dass Verena Delius
keinen Mist baut. Und für die Kunden,
Kinder eben, die nicht zu viel Zeit vorm
Computer verbringen und ihren Eltern
nicht zu viel Geld aus der Tasche ziehen
sollen: „Es ist schwierig, immer allen gerecht zu werden.“
Trotzdem will Verena Delius nie mehr
etwas anderes sein als Unternehmerin.
Ums Geld geht es ihr dabei gar nicht: „Ich
will etwas Neues erschaffen. Eine Firma,
die das Leben der Menschen bereichert.
Einen Arbeitsplatz, zu dem die Mitarbeiter
gerne gehen,“ sagt sie. Und sie will besonders jungen Frauen als Vorbild dienen,
dass sie von ihrem Leben beides, Kind
und Karriere, verlangen können: „Es ist
mehr in euch, als ihr denkt!“
INHALT
Schule: Deutsche Lehrbücher stellen
Unternehmer zu negativ dar Seite 82
Gründer: Unternehmer zu werden
wird einfacher
Seite 83
Interview: Die erfolgreiche Unternehmerin Nicola Leibinger-Kammüller
im Gespräch mit vier Gymnasiastinnen
aus Ditzingen bei Stuttgart
Seite 84
Familienunternehmen: Das Rückgrat
der deutschen Wirtschaft
Seite 86
Wohlstand: Warum ein Land ohne
Unternehmer scheitern muss – das
Beispiel DDR
Seite 87
Pleiten: Das Auf und Ab gehört für
Unternehmer dazu
Seite 88
Die Texte dieses Spezials, eine
W PDF-Version von „Kinderleicht
Unternehmertum“ sowie ausgewählte
Texte der bisherigen Ausgaben ab
morgen unter welt.de/kinderleicht
82 KINDERLEICHT
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Krupp, Henkel, Quandt: Im
Wirtschaftsunterricht bekamen
deutsche Schüler lange nur
historische Figuren präsentiert
Lehrer Lämpel aus
Wilhelm Buschs
„Max und Moritz“
T
CLUB DER
VISIONÄRE (1)
Ingvar Kamprad hat das
Billy-Regal erfunden
Was fehlte, sind Vorbilder, die
Lust auf Unternehmertum
machen: junge Gründer kleiner
Firmen. Langsam ändert sich das
T
280 Möbelhäuser besitzt Ingvar Kamprad. Der inzwischen 84-jährige IkeaGründer hat die Möbelwelt auf den
Kopf gestellt: Günstig wollte er sein,
daher kaufte er früh bei Zulieferern in billigen
Ländern ein. Daher
ließ er Kunden Sofas
selbst zusammenbauen: Unmontiert lassen
sich die Dinge platzund damit geldsparend lagern. Kamprad
selbst brachte seine
Idee Reichtum: sein
Vermögen wird auf
30 Milliarden Franken
geschätzt.
TOBIAS KAISER
Als im Sommer 2010 die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika stattfindet,
ist das auch in Deutschland unübersehbar: In den Büros laufen die Fernseher,
Fußballfans treffen sich zum gemeinsamen Fußballschauen auf Plätzen, und in
Parks und viele Autobesitzer haben sich
Fähnchen mit den deutschen Nationalfarben in die Autofenster geklemmt. Besonders enthusiastische Fans haben sogar schwarz-rot-goldene Außenspiegel.
Das hatte es noch nicht gegeben: Spiegelhüllen in den Farben der Nationalmannschaft. Die schwarz-rot-goldenen
Strümpfe sind echte Hingucker, sind
schnell ausverkauft und werden von den
Fans liebevoll Spiegel-Socke oder Außenkondom genannt.
Besonders Marvin Andrä freut sich
über den Erfolg der bunten Stoffhüllen.
Der 28-Jährige verkauft die Spiegelstrümpfe in Deutschland, für den jungen
Unternehmer ein Riesengeschäft. Hätte
er allerdings auf seine Lehrer gehört – er
wäre nie Unternehmer geworden. „Wir
haben in der Schule gelernt, wie man
sich um eine Stelle bewirbt und wie man
eine Bewerbung schreibt“, erinnert er
sich. „Aber selbstständig werden und
uns selbst unseren Job schaffen, das
schien etwas zu sein, was für uns gar
nicht möglich ist.“
ganzes Leben lang in einer Parallelwelt
gelebt, die mit dem Wirtschaftssystem
nichts zu tun hat.“
Allmählich scheint sich daran etwas
zu ändern. Schulbuchforscherin Grindel
hat bemerkt, dass Unternehmer heute
häufiger in den Schulbüchern auftauchen: „In den vergangenen zehn Jahren
haben sich die Schulbücher deutlich verändert. Wirtschaft kommt dort sehr viel
häufiger vor.“ Etliche neu erschienene
Schulbücher, die heute zum Einsatz
kommen, behandeln nicht mehr nur globalisierte Konzerne – sondern zunehmend auch kleinere Firmen.
Schulbücher kritisieren das System
Besondere Persönlichkeiten
Dass Unternehmertum für ihn und seine
Mitschüler gar nicht infrage käme – das
lasen sie ganz besonders in ihren Schulbüchern. Andrä erinnert sich noch gut
daran, dass die Unternehmer, die in den
Büchern auftauchten, entschieden anders waren als er und seine Freunde.
„Wenn in den Schulbüchern Unternehmer auftauchten, hatten sie viel Geld,
trugen Anzüge und fuhren dicke Autos“,
sagt er. Gegen schöne Autos hatte er gar
nichts einzuwenden, aber die Bücher
vermittelten unterschwellig: Unternehmer sein, das könnt ihr nicht. „Unternehmer wurden dargestellt, als seien sie
keine normalen Menschen, als sei es etwas Unnatürliches, eine Firma zu gründen“, sagt Andrä. „Da wurde unterschieden: Es gibt normale Menschen und es
gibt Unternehmer.“
Das liegt auch an den Beispielen, denen Schüler in den Büchern begegnen.
Dort tauchen häufig die historisch bedeutenden Gründer großer Firmen auf:
Friedrich-Karl Henkel etwa, der Gründer
gleichnamigen Konzerns, der Persil und
den Pritt-Klebestift herstellt. Anhand
der Lebensläufe solcher Menschen stellen Schulbücher gerne große gesellschaftliche Veränderungen dar, etwa die
Ausbreitung der Industrie am Ende des
19. Jahrhunderts oder den Wiederaufbau
der zerstörten deutschen Wirtschaft
nach dem Zweiten Weltkrieg. Das ist
sinnvoll, weil Geschichte so anschaulich
beschrieben wird. Aber Kinder und Jugendliche können sich nur schwer vorstellen, einen Großkonzern zu gründen
– zumal die Zeiten, die beschrieben werden, weit in der Vergangenheit liegen.
Susanne Grindel, die am GeorgEckert-Institut in Braunschweig die Inhalte von Schulbüchern aus verschiedenen Ländern untersucht und vergleicht,
kann das bestätigen: „In deutschen
Schulbüchern kommen häufiger als in
anderen Ländern Großindustrielle vor.
Unternehmer zu werden, wird in
Deutschland als größerer Schritt dargestellt und als ein Unterfangen, das mit
großen Mühen verbunden ist und nur
besonderen Persönlichkeiten gelingt.“
Die Folge: Der Unterricht vermittelt,
dass Selbstständigkeit mühsam und beschwerlich ist und dass Jugendliche die
Finger davon lassen sollten.
Bange machen
gilt nicht
Deutsche Schulbücher und Lehrer schrecken Schüler davon ab,
Firmen zu gründen. In anderen Ländern machen sie Mut dazu
Autowaschen als Unternehmen
So greifen
Schulbücher
Wirtschaftsthemen auf
INTERFOTO
Dabei geht es auch anders. Susanne
Grindel und ihre Kollegen haben bei Untersuchungen festgestellt, dass es in
Schulbüchern aus anderen europäischen
Ländern
viel
selbstverständlicher
scheint, ein Unternehmen zu gründen.
Etwa in Schweden: „Schwedische Schulbücher animieren geradezu zum Unternehmertum“, sagt Grindel. „In schwedischen Schulbüchern wird der eigene Betrieb als etwas dargestellt, was relativ
einfach gegründet werden kann. Jungs,
die Autos waschen, um ihr Taschengeld
aufzubessern, werden manchmal schon
als Unternehmer dargestellt.“
Neben den Büchern ist allerdings
auch der Unterricht dafür verantwortlich, dass die Schüler wenig Wirtschafts-
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wissen aus der Schule mitnehmen. In
den meisten Schulen unterrichten Lehrer Wirtschaft nämlich nur selten als eigenes Fach. Wirtschaftliche Themen
werden vielmehr in Häppchen auf mehrere Fächer verteilt – oft taucht Wirtschaft in Gemeinschaftskunde auf, in
der Sachkunde, in Politik, in Erdkunde
und in Geschichte.
Was unterrichtet wird, entscheiden
die Bundesländer. Und selbst wenn
Wirtschaft auf dem Lehrplan steht,
heißt das nicht, dass auch Wirtschaft
unterrichtet wird. So war es bei auch
Marvin Andrä: „Immer wenn es eigentlich um wirtschaftliche Themen gehen
sollte, haben wir letztlich doch wieder
über Politik gesprochen.“
+
Marvin Andrä sagt heute, zehn Jahre
nach seinem Abitur, dass ihn die Schule
zu wenig auf das Leben nach der Schule
vorbereitet hat: Steuern, Geldanlage, Alltag im Betrieb – alles kein Thema im
Unterricht. Vielleicht, weil die Lehrer
bequem waren, vielleicht, weil sie andere Themen wichtiger und interessanter
fanden – vielleicht aber auch schlicht,
weil sie vom Wirtschaftsleben einfach
nicht viel wussten: „Es kann sein, dass
ich in der Schule so wenig über Wirtschaft gelernt habe, weil meine Lehrer
immer nur in der Schule waren“, überlegt Andrä. „Erst in der Grundschule,
dann im Gymnasium, dann auf der Uni
und dann gleich wieder zurück an die
Schule zum Unterrichten. Die haben ihr
Auch der Ton der Autoren hat sich geändert. Vor 15 oder 20 Jahren wurden in
pädagogischen Büchern Unternehmen –
und Unternehmer – häufig als Ausbeuter
und Umweltzerstörer dargestellt. Ein
kritischer Grundton gegenüber der
Wirtschaft und ihren Vertretern galt als
angemessen. So steht in einem 1994 veröffentlichten Politikbuch für das Gymnasium folgender Satz, der gleich das gesamte wirtschaftliche System in
Deutschland kritisiert: „Hauptmerkmal
des Kapitalismus ist der Besitz der Produktionsmittel durch die Kapitaleigentümer. Ihnen stehen die Arbeitnehmer
gegenüber, die ihre Arbeitskraft an die
Kapitaleigentümer verkaufen müssen,
um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Hierdurch entwickelt sich eine soziale
und materielle Abhängigkeit der Arbeitnehmer von den Kapitalbesitzern.“
Seit dieses Buch erschienen ist, hat
sich viel verändert, sagt Forscherin Susanne Grindel: „Deutsche Schulbücher
sind nicht einseitig geschrieben. Sie sind
nicht wirtschaftsfeindlich, und die Autoren schimpfen auch nicht auf Unternehmer.“ Vielmehr scheinen die Pädagogen
heute die Wirtschaft zu respektieren,
ohne ihr Handeln zu beschönigen. Denn
in den Unterrichtsmaterialien tauchen
auch die Schattenseiten der Wirtschaft
auf: Ausbeutung von Arbeitskräften,
Umweltzerstörung oder Entlassungen.
Der europäische Wettbewerb hilft
Experten machen für diese Veränderung
auch die Europäische Kommission in
Brüssel verantwortlich. Sie hat vor einigen Jahren gefordert, dass Schüler im
Unterricht mehr darüber lernen sollen,
wie sie selbst Unternehmer werden können und wie man sich mit einer Geschäftsidee selbstständig macht. Lehrpläne wurden deshalb geändert, und
Schulbuchautoren schreiben heute mehr
über Wirtschaft und darüber, wie man
unternehmerisch denkt und handelt –
nicht nur in Deutschland, sondern auch
in unseren Nachbarländern. Denn kein
Land will sich vorwerfen lassen, dass es
seine Schüler schlechter ausbildet als
die übrigen Länder in Europa.
Marvin Andrä hatte diesen Anstoß
von außen nicht gebraucht. „Ich wollte
schon immer Unternehmer werden“,
sagt er von sich. Bereits in der Oberstufe
machte er sich selbstständig und half
Handwerkern bei Computerproblemen.
Um seinen Betrieb führen zu können,
musste er sich viel selbst beibringen und
wälzte abends Bücher über Firmengründungen, Steuern und Buchhaltung. Am
Wochenende besuchte er Kurse und Seminare von Wirtschaftsverbänden, um
seine Wissenslücken zu füllen.
Hätte es ihm damals geholfen, wenn
Selbstständigkeit ein Thema in der
Schule gewesen wäre? „Ich habe in der
Schule nichts darüber gelernt, was Unternehmer tun oder wie man ein Unternehmen gründet“, erinnert sich Marvin
Andrä. „Das war gar kein Thema. Vielleicht hätte es sogar geholfen, wenn in
der Schule negativ über Unternehmer
gesprochen worden wäre – das hätte
mich unter Umständen zum Nachdenken angeregt.“
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N R . 51
Schneller
Chef
werden
NEUSEELÄNDER HABEN'S
LEICHTER:
Hürden für Unternehmensgründer
Zahl der erforderlichen Verwaltungsakte
Mindestdauer der Verwaltungsakte
Kosten der Verwaltungsakte (in Prozent des
nationalen Pro-Kopf-Einkommen)
4,8
0,4
212
15
Tage
1
Tag
Kosten und Zeit spielen bei
Gründern die größte Rolle
105
Tage
1
9
leicht
mittel
Neusseeland
Deutschland
212
schwer
Haiti
QUELLE: WELTBANK
THOMAS HEUZEROTH
G
ünter Faltin macht
seinen
Studenten
Hoffnung, wann immer er nur kann: „Es
war noch nie einfacher, ein Unternehmen zu gründen“,
sagt der Hochschullehrer von der Freien
Universität Berlin, der zahlreiche Existenzgründer beraten hat. „Das kann heute eigentlich jeder, ohne viel Geld und
Fachwissen.“ Doch eines braucht es in
jedem Fall: eine gute Idee. Am besten eine, die noch niemand vorher hatte.
Vor allem das Internet habe die Spielregeln neu geschrieben, sagt der Wissenschaftler, der selbst auch Unternehmensgründer ist. Beispiel Handel: Wer
heute im Internet verkauft, kann das
weitgehend automatisch mit einer Software machen, einschließlich Abrechnung, Nachbestellung und sonstige Büroarbeiten. Keine teure Büroeinrichtung,
keine Personalsuche. Faltin: „Selbst der
reine Gründungsakt ist heute ein Kinderspiel. Das war früher alles viel komplizierter und vor allem auch teurer.“
nemark und Slowenien verlangen für die
Anmeldung überhaupt kein Geld mehr.
In Deutschland immerhin haben „fast alle Kommunen inzwischen Anlaufstellen
eingerichtet, die den Gründern die Behördengänge abnehmen“, sagt Johann
Eekhoff, Präsident des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn.
Es wird einfacher
Deutschland ein Paradies für Unternehmensgründer? Nicht ganz, heißt es in einer aktuellen Studie, die von der Weltbank, einer internationalen Entwicklungsorganisation aus der amerikanischen Hauptstadt
Trotz aller
Washington, erarbeitet wurde. Un- Erleichterungen kann
die Unternehmenster 183 Ländern
schafft es Deutsch- gründung in Deutschland nur in die land immer noch zum
Irrlauf werden
Mitte, auf Platz 88.
Am einfachsten ist
es, in Neuseeland eine Firma zu gründen. Auch Australien, Kanada und Singapur gehören zu den Staaten, die ihren
Gründern entgegenkommen. Nirgendwo
anders geht es so unkompliziert zu.
Während Neuseeländer und Kanadier
sich nach nur einem Verwaltungsakt
„Chef“ nennen können, sind in DeutschIm Grunde rühmen sich heute fast alland im Durchschnitt neun Verwaltungs- le Länder, ihren Unternehmensgründern
akte erforderlich. Je nach Gewerbe kann möglichst viele Steine aus dem Weg zu
das hierzulande zu einem Irrlauf durch räumen. Tatsächlich haben in den verdie Institutionen werden: Finanzamt, gangenen sieben Jahren drei von vier
Gewerbeamt, Kammer, Arbeitsamt, Sozi- Staaten die Gründung erleichtert, im
alversicherung, Berufsgenossenschaft, Durchschnitt dauert es heute 34 Tage,
Gesundheitsamt.
bis eine Firma loslegen kann. 2004 wa-
Ein Euro reicht
DPA/PATRICK PLEUL
Deutschland schafft es im
internationalen Vergleich der
gründerfreundlichsten Länder
nur auf Platz 88
T
ren es noch fast 50 Tage. „Ein Unternehmen zu gründen ist in allen Regionen
der Erde einfacher geworden“, heißt es
daher auch in der Weltbank-Studie.
Was natürlich nicht heißt, dass es
überall mit rechten Dingen zugeht. Nach
wie vor lässt sich in vielen Ländern die
Gründung lediglich mit „Speed Money“
– einem ziemlich beschönigendem Begriff für „Bestechungsgeld“ – noch beschleunigen.
Weltweit hat sich eine goldene Regel
herausgebildet, die es den Politikern einfach macht, Gründer zu unterstützen: Je
schneller es geht, und je billiger es wird,
desto eher melden sie eine Firma an. Dä-
Dass Gründer in Deutschland schneller
und günstiger zu Chefs werden, liegt vor
allem an Großbritannien. Weil das Land
deutsche Gründer mit offenen Armen
aufnahm, eilten sich die Politiker hierzulande vor zwei Jahren eine neue Unternehmensform einzuführen, die Bürgern
bei der Firmengründung weniger Geld
(„Stammkapital“) abverlangte. Man einigte sich daher auf die „Unternehmensgesellschaft (haftungsbeschränkt)“, die
seit der Einführung Ende 2008 zu einem
großen Erfolg wurde. Heute gibt es mehr
als 40 000 dieser Gesellschaften, die
umgangssprachlich als „Mini-GmbH“
bezeichnet werden.
Während Gründer einer GmbH nach
wie vor 25 000 Euro Stammkapital nachweisen müssen, gibt es die eigene Unternehmensgesellschaft deutlich billiger:
für einen Euro nämlich.
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WAMS 19. DEZEMBER 2010 WSBE-VP2
BELICHTERFREIGABE: -- ZEIT:::
BELICHTER: FARBE:
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N R . 51
„Disco fand ich blöd und zu laut“
Maschinenbau ist Männersache? Nicht bei Trumpf. Das Unternehmen ist fest in
Familienhand – und die Chefin ist eine Frau: Nicola Leibinger-Kammüller
Die Firma gehört den
Leibingers. Vater Berthold hat das
Unternehmen groß gemacht,
Sohn Peter und Schwiegersohn
Mathias leiten Geschäftsbereiche.
Und sie alle hören auf die Tochter
MELANIE: Wirkt sich das auf das Leben daheim aus?
Schon. Angenommen mein Mann will eine Firma kaufen, zum Beispiel in Spanien,
und ich würde sagen: „Komm, Mathias,
die Firma passt nicht zu uns, und die Spanier könnten die nächsten sein, die unter
den Rettungsschirm der EU müssen“ – da
wäre der Abend weniger vergnügt.
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LEA: Haben Sie das mit der Kurzarbeit den Mitarbeitern persönlich gesagt?
Ja. Und das ist auch ganz wichtig. Wir
haben Betriebsversammlungen gemacht.
Da kamen 800 bis 1000 Leute zusammen, und wir haben es den Mitarbeitern
erklärt. Viele von ihnen kenne ich ja auch
persönlich. Und wir haben die Führungskräfte und die Mitarbeiter auch immer
wieder in kleinen Gruppen informiert.
JANINA: Können Sie bei so was am
Abend vorher schlecht einschlafen?
Ja, klar. Solche Entscheidungen zu tref-
„Ich wünsche
mir mehr
Zeit“
LISA: Haben Sie einen Privatjet?
NICOLA LEIBINGER-KAMMÜLLER:
Nein!
fen, verursacht schlaflose Nächte. Ich
weiß, wie es ist, wenn jemand Kinder hat,
die Wohnung abbezahlen muss und so
weiter. Man macht sich so eine Entscheidung nicht leicht. Als Unternehmer
schläft man so manches Mal schlecht.
Wenn die Weltwirtschaft so wackelt wie
zuletzt und man keine Aufträge hat, fragt
man sich schon, wie es weitergeht.
LEA: Warum verkaufen Sie nicht einen
Teil der Firma und leisten sich einen?
Das könnten wir, wenn wir wollten. Aber
ich halte es für wichtig, dass viel Geld in
der Firma bleibt, damit wir sie weiterentwickeln und vergrößern können. Abgesehen davon denke ich, dass ich mit Linienflugzeugen auch ans Ziel komme.
JANINA: Die Firma gehört ja nicht Ihnen allein, sondern der Familie. Müssen Sie Ihren Vater fragen, bevor Sie
etwas entscheiden?
Wir haben verschiedene Rollen. Ich bin
die Vorsitzende der Geschäftsleitung,
mein Vater leitet den Aufsichtsrat. Der ist
dazu da, die Geschäftsleitung zu überprüfen und zu kontrollieren – vor allem bei
wichtigen Entscheidungen. Wenn wir zum
Beispiel eine Firma kaufen wollen, müssen wir dieses Projekt dem Aufsichtsrat
vorstellen. Und nur, wenn wir das gut erklären, sagen die Mitglieder Ja.
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gehen und auf die Lehrer, die Eltern und
dann noch auf das Ministerium, da
braucht es viel mehr.
LISA: Wann ist man ein guter Unternehmer?
Man muss unter anderem schnell entscheiden können. Wenn man so veranlagt
ist, immer hin und her zu überlegen, dann
ist man weniger geeignet. Man muss eine
Entscheidung treffen, sie erklären können
und dann auch dazu stehen. Auch bei unbequemen Entscheidungen. Und man
muss die Kritik aushalten können.
MELANIE: Müssen Sie sich denn jetzt
besonders beweisen, weil Sie die Chefin geworden sind?
Als Tochter eines erfolgreichen Vaters
muss man sich immer beweisen.
LISA: Sie waren im Rat für Innovation
und Wachstum bei Angela Merkel. Waren Sie damals aufgeregt?
Beim ersten Mal war ich schon ein bisschen nervös. Ich hatte mich zwar vorbereitet, aber dachte: Um Himmels willen,
hoffentlich kommen keine Fragen, die ich
nicht beantworten kann! Aber ich habe
dann schnell gemerkt, dass sie gut zuhört
und ein offenes Wort auch einfordert.
LEA: Wir könnten nicht einfach zu
Kanzlerin gehen und sagen: Wir wollen kleinere Klassen.
Ja. Aber es gibt ja Schülerverbände, Elternräte oder Lehrerverbände, die Zugang
zur Politik haben, Eure Belange vertreten
und euer Sprachrohr sind. In dem Fall
aber wahrscheinlich eher beim badenwürttembergischen Kultusministerium.
LISA: Haben Sie die Handynummer
von Frau Merkel?
Nein. Und ich würde mich auch nicht
trauen, da einfach so anzurufen. Wenn es
sein muss, kann man kann ja über das Büro um ein Telefonat bitten.
„Man muss
schnell
entscheiden
können“
was wir als Unternehmen in so einer Krise tun können, ist, so gute Maschinen
wie möglich zu entwickeln, uns in verschiedenen Ländern neue Kunden zu suchen und unsere Mitarbeiter so gut wie
möglich auszubilden. Wenn wir das alles
tun, dann werden wir diese Krise wohl
gut überstehen können.
JANINA: Haben Sie Angst, dass Ihre
Firma pleitegehen könnte? Im Moment gehen ja ganze Länder bankrott.
(seufzt) Nein. Die politische Lage ist
schon beunruhigend. Aber wir haben keine Schulden bei Banken und sind deswegen nicht von ihnen abhängig. Und ich
kann mir nicht ständig den Kopf über
den Euro zerbrechen – den kann ich ohnehin nicht beeinflussen. Das Einzige,
MELANIE: Wenn die Firma pleite
geht, ist dann Ihr ganzes Geld weg?
Ja. Weil wir Gesellschafter sind und unser
Geld nun mal in der Firma steckt. Aber
noch mal: Es sieht gar nicht danach aus!
Im Gegenteil: Zum Glück verkaufen wir
unsere Maschinen im Moment sehr gut.
LEA: Die meisten, die im Maschinenbau was zu sagen haben, sind Männer?
Ja.
LISA: Hat sich schon mal jemand über
Sie lustig gemacht und Ihnen vorgeworfen, dass Sie als Frau gar keine Ahnung hätten?
Lustig gemacht nicht, aber es kamen
schon Fragen: Sie sind Sprachwissenschaftlerin, was verstehen Sie vom Maschinenbau? Da halte ich gegen, dass ich
mit dem Familienunternehmen aufgewachsen bin. Mein Vater hat schon immer mit uns über die Firma und die Maschinen gesprochen. Außerdem haben
wir Frauen den Vorteil, dass wir uns
trauen zu fragen. Und das mache ich.
Wenn ich etwas nicht verstehe, lasse ich
es mir noch mal erklären. Und wenn es
sein muss, auch noch mal.
LEA: Können Sie sich vorstellen, Angestellte oder Beamtin zu sein?
Ich wollte mal Journalistin werden, habe
auch ein Praktikum bei einer Zeitung gemacht und fand das ganz toll. Aber dann
habe ich festgestellt, dass die selbstständige Tätigkeit viele Freiheiten gibt. Als Unternehmerin kann man viel bestimmen,
entscheiden und damit gestalten.
LISA: Hat Ihr Vater bestimmt, dass
Sie in der Firma anfangen? Er soll
sehr streng gewesen sein und Ihnen
früher verboten haben, in die Disco
zu gehen.
Er war tatsächlich streng, aber er hat mir
nicht vorgeschrieben, dass ich in der Firma mitarbeiten soll. Und er hat auch
nicht verboten, dass wir in die Disco gehen. Ich fand das selber blöd. Zu laut und
dieses komische Licht. Ich hab schon ganz
früh lieber Bach und Mozart gehört.
JANINA: Und wie ist es bei Ihren Kindern? Sind die verwöhnt?
Nein. Ich hoffe nicht. Wir bemühen uns
jedenfalls, sie so normal wie möglich zu
erziehen. Trotzdem erleben sie manchmal
Kommentare von Klassenkameraden, die
abfällig sagen: Ach, ihr seid ja reich. Das
ist wenig angenehm.
LEA: Soll eines Ihrer Kinder später
einmal Ihr Nachfolger werden?
Wenn sie sich für die Arbeit in der Firma
entscheiden, würde mich das auf jeden
Fall freuen. Der Älteste ist 22 und studiert
Betriebswirtschaft, der wäre sicher geeignet. Aber auch den anderen traue ich das
zu. Sie sind aber nicht alleine. Nicht nur
ich habe vier Kinder, bei meinem Bruder
ist es auch so. Meine Schwester hat zudem zwei – das wären schon zehn Chefs.
+
WAMS/WAMS/WSBE-VP2
19.12.10/1/030 IKNIPP
LISA: Ist das komisch, die Chefin Ihres
Mannes und Ihres Bruders zu sein?
Das ist schon manchmal eigenartig, wenn
man mit jemandem verwandt ist und
trotzdem führen muss. Man muss ja zwischen Familienbeziehung und Geschäfts-
beziehung trennen. Im Zweifelsfall gilt
immer: Die Firma geht vor.
JANINA: Mussten Sie wegen der Wirtschaftskrise Mitarbeiter entlassen?
Nein, wir haben es unter anderem dank
der Kurzarbeit ohne Entlassungen in
Deutschland geschafft. Von einigen Leiharbeitern mussten wir uns allerdings
trennen. Auch das war nicht leicht.
eine Frauensache: Beim „Kinderleicht“Interview saß auf der einen Seite des Tisches Nicola Leibinger-Kammüller, Vorstandschefin von Trumpf. Das Unternehmen aus dem schwäbischen Ditzingen ist
einer der weltweit führenden Hersteller
von Werkzeugmaschinen. Auf der anderen
Seite nahmen vier Schülerinnen der 10.
Klasse am Ditzinger Gymnasium in der
Glemsaue Platz: Melanie Ansel, 15, Janina
Schäuffele, 15, Lea Kübler, 15, und Lisa
End, 16. Redakteur Carsten Dierig, der die
Mädchen zusammen mit seiner Kollegin
Anette Dowideit begleitete, war der einzige Mann. Die Schülerinnen sind selbst
Unternehmerinnen. Mit ihrer AG entwickeln sie ein Jahr lang ein Produkt, lassen
es herstellen und verkaufen es. Ihre Geschäftstüchtigkeit bewiesen die vier beim
Fototermin: Beim Posieren vor einer
Stanzmaschine gewannen sie LeibingerKammüller, die selbst vier Kinder hat, als
Anteilseignerin.
MELANIE: Warum hat Ihr Vater vor
fünf Jahren entschieden, dass Sie Chefin werden und nicht Ihr Bruder?
Oder mein Mann, der ja auch Ingenieur
in der Firma ist. Um ein Unternehmen
zu führen, braucht es mehr als technisches Wissen. Man muss vor allem gut
mit Menschen umgehen können. Nehmt
zum Beispiel Eure Lehrer und stellt
Euch vor, wer von denen Schulleiter sein
könnte. Es gibt sicher viele, die fachlich
gut sind. Aber um auf die Schüler einzu-
schön, wenn ihr mehr Zeit hättet, auch für
euch selbst. Aber größtenteils schätzen
sie, was wir machen. Und unsere Tochter,
die ist 13, findet es toll, dass ich die Firma
leite und nicht mein Mann.
Er war Tischlermeister und Spielzeugmacher in Dänemark und hatte eine Idee: Damit
die Klötzchen beim Stapeln nicht rutschen, fräste Ole Kirk Kristiansen Noppen hinein.
1949 entstand der erste Legostein aus Kunststoff, 1958 bekam das Familienunternehmen
ein Patent darauf. Immer wieder gab es Streit mit anderen Firmen, die die Steinchen
nachahmten – das Problem vieler guter Ideen, die relativ einfach auch von anderen
herzustellen sind. Lego hat sich früh ganze Spielwelten einfallen lassen, um sich von der
Konkurrenz abzusetzen. Die Bausätze aus den
bunten Klötzchen gehören bis heute zu den beliebtesten Kinder-Weihnachtsgeschenken, sagt
der Fachhandel. Zu den Produkten, von denen
Lego nach eigenen Angaben gerade am meisten
verkauft, gehören das Harry-Potter-Schloss Hogwarts – und ein Lastwagen mit Kipp-Container.
MELANIE: Wie wichtig ist es Ihnen,
was die Leute von Ihnen denken?
Wenn ich jemanden schätze, ist mir seine Meinung über mich und meine Arbeit
schon wichtig. Aber in meiner Position
kann ich mich nicht immer danach richten, geliebt zu werden. In der Finanzkrise mussten wir Kurzarbeit anmelden, wir
haben vorübergehend die Gehälter gekürzt. Da wusste ich, dass das vielen der
8000 Mitarbeiter nicht gefallen hat.
R
JANINA: Ist es Ihnen nicht peinlich, zu
Ihrem Vater zu gehen und zu sagen:
Ich brauche Hilfe?
Rat einzuholen heißt nicht, dass man sich
hilflos fühlt und etwas nicht kann. Sondern man erkennt an, dass jemand Erfahrung hat. Ob ich den Rat annehme, ist ja
noch eine ganz andere Frage. Ihr fragt ja
auch eure Freundin: Wie soll ich es machen, ich hab Ärger mit dem Lehrer, oder
der junge Mann da gefällt mir besonders
gut. Oder? Aber ob ihr dann auch auf den
Ratschlag hört, ist eure Entscheidung.
Ole Kirk Kristiansen hat die Legosteine erfunden
Und das geht natürlich nicht. Deshalb
muss man die Besten suchen, also diejenigen, die das erstens können und zweitens wirklich wollen und sich für das Unternehmen einsetzen. Denn unsere Firma
ist keine Sozialstation, in der man alle
Familienmitglieder unterbringen kann.
Die Firmeninteressen gehen vor. Bei uns
kann sich keiner tummeln, der meint: Ich
heiß doch Leibinger oder Kammüller, also gehöre ich hier rein.
T
MELANIE: Läuft das dann so, dass Sie
beim Sonntagsessen Ihren Vater fragen: Kann ich das so entscheiden?
Nein. Aber ich frage ihn schon nach seinem Rat. Er ist ja älter als ich und hat –
um bei dem Beispiel zu bleiben – schon
einige Firmen gekauft.
CLUB DER VISIONÄRE (2)
LEA: Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?
Ich komme zwischen acht und halb neun
in die Firma und stimme mich mit meinen Sekretärinnen ab. Dann habe ich Sitzungen und Mitarbeitergespräche, meistens im Halbstundentakt. Ich arbeite so
bis abends um acht, und danach habe ich
oft auch noch etwas, eine Sitzung unserer Stiftung zum Beispiel. Und wenn ich
abends keine Veranstaltung habe, nehme
ich mir Unterlagen mit nach Hause und
setze mich an den Schreibtisch, gegenüber von meinem Mann. Er leitet bei uns
den Werkzeugmaschinenbereich und arbeitet dann auch noch. Manchmal reicht
der Tag einfach nicht aus. Dann wünsche
ich mir mehr Zeit.
JANINA: Sind Ihre Kinder manchmal
sauer, weil Sie so wenig zu Hause
sind?
Sie sagen manchmal schon, es wäre
+
Abgezeichnet von:
Abgezeichnet von:
Artdirection
Chefredaktion
5%
25%
50%
75%
95%
WAMS/WAMS/WSBE-VP2
19.12.10/1/033 IKNIPP
INGO RÖHRBEIN
84
WAMS 19. DEZEMBER 2010 WSBE-VP2
BELICHTERFREIGABE: -- ZEIT:::
BELICHTER: FARBE:
Abgezeichnet von:
Abgezeichnet von:
Artdirection
Chefredaktion
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86 KINDERLEICHT
W E LT A M S O N N TAG N R . 51
19. D E Z E M B E R 2 010
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09
20
Chefs
mit
Ausdauer
Neun von zehn deutschen Firmen
werden von Familien geführt.
Bei ihren Mitarbeitern sind
Familienbetriebe beliebt
Mehr als die Hälfte aller
Beschäftigten im Land arbeiten
in einem Familienunternehmen –
dort entstehen neue
Arbeitsplätze, während
Großkonzerne Stellen abbauen
T
Wer für seine Angestellten
verlässlich ist, der kann in Zeiten
des Fachkräftemangels punkten:
Die Firmen sind begehrte
Arbeitgeber
T
zufolge werden 93 Prozent aller Firmen
im Land von Familien kontrolliert – das
heißt, sie gehören zu mindestens der
Hälfte ein bis drei Familienmitgliedern.
Mehr als jeder zweite Beschäftigte (54
Prozent) arbeitet in einem Familienunternehmen. Allein bei den 500 größten
Familienunternehmen arbeiteten 2008
gut 2,2 Millionen Menschen.
Viele dieser Firmen sind besonders
verlässlich für ihre Angestellten. Sie stehen auch Krisenzeiten mit Gewinneinbrüchen durch, ohne sofort viele Mitarbeiter zu entlassen. Ein wichtiger Grund
dafür ist der langfristige Blick von Familienunternehmern. Wie der Möbelbauer
Hülsta von Herrn Dieks, der jetzt schon
in dritter Generation der Familie gehört,
sind viele Familienbetriebe in Deutschland langfristig orientiert. Die Eigentümer denken in Jahren, Jahrzehnten und
vielleicht sogar Generationen. Bei Konzernen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, ist das anders. Die Manager müssen alle drei Monate Zahlen
über Umsätze, Aufträge und Gewinne
veröffentlichen. Das zwingt sie zu
schnellen Erfolgen. Gehen die Aufträge,
müssen sie schnell auch die Kosten senken, damit sie keine Verluste machen.
Viele Manager sparen an den Personalkosten, indem sie Mitarbeiter entlassen.
Das zeigen die Zahlen der größten
Konzerne in Deutschland. Von den 30
Unternehmen, die im Deutschen Aktienindex Dax notiert sind, gehören 26 einer
großen Gruppe von Aktionären, also
nicht mehrheitlich einer Familie. Sie haben von 2006 bis 2008 die Zahl ihrer Beschäftigten in Deutschland um ein halbes Prozent gesenkt. Im gleichen Zeitraum haben die 500 größten Familienunternehmen ihre Mitarbeiterzahl um
vier Prozent erhöht.
Wie eine Familie ein Unternehmen
ohne Kündigungen durch Jahrzehnte
führt, zeigt das Beispiel von Otto Bock
im niedersächsischen Duderstadt. Das
INGA MICHLER
RTR/MC MATZEN/LAIF/HOEHN/BINDRIM/PA/DPA/SCHLESINGER/DDP/KOCH
Unternehmerin des Jahres 2010
mit mehr als 100 Angestellten:
Alexandra Knauer baut wissenschaftliche Geräte in Berlin
Haribo macht
Kinder froh.
Und den 87jährigen Firmenchef ebenso: Hans Riegel
denkt noch
nicht ans Aufhören
CLUB DER
VISIONÄRE (3)
Levi Strauss hat die
Bluejeans erfunden
Die Jeans, 1873 als grobe Arbeitshose
patentiert, brachte Levi Strauss endlich
Glück. Lange hatte er es hartnäckig
gesucht: als Auswanderer aus dem
fränkischen Buttenheim, wo er 1829 als
Löb Strauß geboren worden war. Dass
die Jeans alltagsfein wurde, hat Levi
Strauss nicht mehr erlebt: Das geschah
erst in den 60er- und 70er-Jahren.
Quadratisch, praktisch,
gut: Alfred Ritter führt den
Schokoladenfabrikanten in
dritter Generation
ANDREAS ACHMANN
L
udger Dieks ist Chauffeur. Er holt mich am
Flughafen in Düsseldorf
ab, um mich zu seinem
Chef zu fahren. Galant
öffnet er die Tür zu seinem Mercedes der EKlasse. Das ist natürlich nicht sein Mercedes. Er gehört „der Familie“, wie Ludger Dieks sagt. Damit meint er die Familie Hüls, die seit Generationen den bekannten Möbelbauer Hülsta im Münsterland führt. Die mag Ludger Dieks sehr
gern. Warum, das erzählt er, während
wir durch Westfalen fahren.
„Feine Menschen sind das“, sagt Dieks
über die Hüls’. Er muss es wissen. Schon
seit Jahrzehnten fährt er die Familie,
sitzt oft mit bei ihnen am Tisch. Mit 18
Jahren trat er in den Dienst des alten
Hüls. Für ihn und seine Mutter war das
damals der Rettungsanker. Denn der Vater, der in der Möbelfabrik arbeitete, war
tödlich verunglückt. Der alte Hüls kam
persönlich zum Trauerbesuch, versprach
Ludgers Mutter, dem Sohn Arbeit zu geben – ein Leben lang. Der alte Hüls ist
inzwischen tot. Herr Dieks fährt nun
dessen Söhne und Gäste der Familie.
Die Geschichte von Ludger Dieks
zeigt, was oft gut funktioniert in Familienunternehmen. Häufig gibt es eine enge
Bindung zwischen Firma und Mitarbeitern. In Deutschland wird die ganz große
Mehrzahl der Unternehmen von Familien geführt. Einer neuen Studie im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen
+
Unternehmen mit über 4200 Mitarbeitern ist Weltmarktführer im Bau von
Prothesen. Die elektronisch gesteuerten
Arme und Beine „made in Germany“
helfen Kriegsveteranen in aller Welt.
Stützapparate aus Duderstadt kommen
bei Spätfolgen von Kinderlähmung zum
Einsatz. Das Unternehmen ist zudem einer der wichtigsten Sponsoren der Paralympics, der Olympischen Spiele für
Sportler mit Behinderung.
Der Chef heißt Hans Georg Näder. Er
führt die Firma in dritter Generation
und hat sie groß gemacht. Ich treffe ihn
in seinem Berliner Büro am Potsdamer
Platz. Aus großen Fenstern kann man
weit über die ganze Stadt schauen. In
den ersten Minuten des Gesprächs wirkt
der Mann mit dem grauen Wuschelkopf
zurückhaltend, beinahe schüchtern.
Dann redet er sich warm, lässt sich tragen von seiner Begeisterung für Technik
und für Menschen. Er berichtet vom
Leichtathleten Heinrich Popow und beginnt zu schwärmen: „Der Mann zeigt:
Du kannst alles schaffen, wenn du dich
nur anstrengst.“ Popow war gerade neun
Jahre alt, als ihm das linke Bein amputiert werden musste. Seinen Traum,
Sportler zu werden, gab er trotzdem
nicht auf. Bei den Paralympics in Peking
gewann er die Silbermedaille im 100-Meter-Lauf – mit einer Prothese, die von
Otto Bock gefertigt wurde.
Das scheinbar Unmögliche möglich
machen, das versprach Näder auch seinen eigenen Mitarbeitern in Deutschland. Während andere Unternehmen einen großen Teil ihrer Produktion ins
Ausland verlagerten, sagte Näder im Jahr
2006 zu, seine Werke in Duderstadt und
Königsee sogar noch auszubauen. Als
Gegenleistung sollten die rund 2000 Beschäftigten künftig 42 statt bisher 40
Stunden in der Woche arbeiten – ohne
Lohnausgleich. Der Pakt funktionierte.
Näder investierte zweistellige Millionenbeträge und steigerte die Zahl der Mitarbeiter sogar, während andere Firmen
Kündigungen schrieben.
Verlässlichkeit für seine Beschäftigten
ist nicht nur für Hans Georg Näder ein
wichtiges Pfund. Spezialisierte Fachkräfte werden in Deutschland immer knapper. Nach Schätzungen des Vereins
Deutscher Ingenieure (VDI) fehlen lan-
Vater der
PlaymobilMännchen:
Horst Brandstätter führte
die kleinen
Plastikfiguren
zum Welterfolg
desweit allein 66 000 Ingenieure. Es gibt
immer mehr Alte und immer weniger
Nachwuchs im Land. Schon bald werden
sich gut ausgebildete Gesellen und Akademiker ihren Arbeitgeber aussuchen
können. Familienunternehmen haben
dann einen entscheidenden Vorteil: Anders als große Konzerne sind sie ohne
Imageschaden durch die Wirtschaftskrise gekommen. Bei Umfragen in der Bevölkerung gelten sie als krisenfest und
als verlässliche Arbeitgeber.
Kein Wunder, dass einer Studie der
Stiftung Familienunternehmen zufolge
immerhin 31 Prozent der Deutschen eine
hohe Meinung von Unternehmern haben. Die Manager von Konzernen werden dagegen nur von 17 Prozent geachtet. In der Theorie können sich immerhin 60 Prozent der Erwerbstätigen vorstellen, einmal selbst Unternehmer zu
werden, sich also selbstständig zu machen. Nur die wenigsten setzen diesen
Wunsch dann aber auch in die Tat um.
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind nur 9,5 Prozent der Erwerbstätigen ihr eigener Chef. Ein Unternehmen mit eigenen Beschäftigten führen
sogar nur 4,3 Prozent der Menschen im
Land, also nicht mal jeder Zwanzigste.
Da bleibt für findige Gründer mit guten Ideen allemal noch Platz, ihr eigenes
Familienunternehmen aufzubauen. Mit
Glück und Geschick schaffen sie heute
eine Marke von morgen. Schließlich haben auch die Familien Hüls oder Leibinger oder so bekannte Unternehmer wie
Haribo-Gründer Hans Riegel oder der
Erfinder von Playmobil, Horst Brandstätter, einmal klein angefangen.
19. D E Z E M B E R 2 010
W E LT A M S O N N TAG
KINDERLEICHT 87
N R . 51
Weihnachtsmann im
Trabi: Heute ist der
Wagen nur noch für
originelle Auftritte gut
DDP IMAGES/DAPD/HARALD TITTEL
Wo kommt der Fortschritt her?
Technische Entwicklung braucht den Wettbewerb – und den gibt nur, wenn es Unternehmer gibt
Der Trabi war ein schlechtes
Auto – weil der Hersteller in der
DDR nie gezwungen war, ein
besseres zu entwickeln
T
FLORIAN RINKE
A
ls sich nach dem Mauerfall die Grenze nach
Westdeutschland öffnete, knatterten bald
die Zweitaktmotoren
der ostdeutschen Trabis über die Straßen.
Für die Ostdeutschen, die ihr Land jahrelang kaum verlassen konnten, war das
eine aufregende Fahrt. Endlich konnten
sie wieder Verwandte und Freunde besuchen, endlich Köln, München oder Hamburg besichtigen. Doch viele Westdeutsche lachten über die Trabis, machten
Witze und nannten sie „Plastikbomber“,
weil ihre Karosserie aus Kunststoff war.
In Westdeutschland gab es viel mehr
Autohersteller, und die hatten über die
Jahre bessere Autos entwickelt. Wenn
der eine Autohersteller etwas Neues erfand, dann versuchte der andere, bei seinem nächsten Fahrzeug wieder etwas
besser zu machen. In der DDR gab es
diese Konkurrenz nicht – und damit
auch keinen Antrieb für den Hersteller,
das Auto besser zu machen. Der Trabi ist
ein Beispiel dafür, was passiert, wenn es
keine Unternehmer gibt.
Das verlorene Gefühl für Geschmack
Für Karl-Heinz Paqué ist das eine
schlimme Vorstellung. Er ist Wirtschaftswissenschaftler und leitet das Institut für internationale Wirtschaft an
der Universität in Magdeburg. In seinem
Buch „Die Bilanz“ hat er die deutsche
Einheit untersucht. Das Ziel der sozialistischen Planwirtschaft in Ostdeutschland sei Technik ohne Unternehmertum
gewesen, schreibt Paqué. Dadurch sei
viel Schaden angerichtet worden, denn
das Unternehmertum sei dadurch verschwunden: „Ein Unternehmer setzt
neue Ideen in Produkte um, die er dann
auf nationalen Märkten anbietet oder international vertreibt.“ Ohne Unternehmertum könne es auf Dauer keinen Fortschritt geben, so seine These.
Es heißt ja nicht umsonst „Konkurrenz belebt das Geschäft“. In der DDR
war dies jedoch nicht gewollt. Außer
dem Trabi gab es nur noch Wartburg.
Am Anfang waren die beiden Modelle
auch gar nicht schlecht, sie konnten mit
den westdeutschen Autos locker mithalten. Doch je länger die Mauer zwischen
West- und Ostdeutschland stand, desto
größer wurden die Unterschiede. Im Osten wurden die Autos kaum weiterentwickelt. Da es keine Auswahl gab, konnten
die Leute ja sowieso nur diese Wagen
kaufen. „Und irgendwann verliert die
Bevölkerung ihr Gefühl für Geschmack“,
sagt Paqué, der von 2002 bis 2006 FDPFinanzminister in Sachsen-Anhalt war.
Auch die Unternehmer verlernten ohne
Konkurrenzsituation vieles, was sie vorher konnten: „Die Menschen richten sich
im System ein, weil der scharfe Wind des
Wettbewerbs fehlt. Man vergisst einfach,
sich anzustrengen, weil man nicht Teil
des marktwirtschaftlichen Lebens ist.“
Talente brauchen Förderung
Auch in vielen anderen Ländern gab es
sozialistische Planwirtschaft: In Polen,
Tschechien oder Ungarn seien ähnliche
Entwicklungen zu beobachten. Auch bei
der tschechischen Automarke Skoda ver-
Das 26-PS-Auto
Das DDR-Auto Trabant blieb
in den 60er-Jahren stehen
ebbten mit dem Einzug der Planwirtschaft Fortschritt und Unternehmergeist. Zwar ist die Marke inzwischen
wieder sehr erfolgreich. „Skoda ist heute
aber auch VW. Da ist nichts mehr drin
von Skoda, obwohl sie jahrzehntelang
technisch führend waren“, sagt Paqué.
Den Herstellern des Trabis blieb
ebenfalls irgendwann nichts anderes übrig, als ihre Motoren auszutauschen und
auf die Motoren des VW-Polo zu setzen.
Dabei gab es viele gut ausgebildete Ingenieure in der DDR. Doch es fehlten die
Unternehmer, die diese Talente weckten.
Für Paqué ist dies der Grund, warum die
Wirtschaft im Osten zugrunde ging: „Es
war das fruchtbare Zusammenspiel zwischen unternehmerischer Initiative und
technischem Fortschritt, das uns immer
wirtschaftlich vorangebracht hat.“
Dass im Osten nach und nach die
breite Produktpalette verschwand, führte zu Problemen, als die Grenzen geöffnet und Deutschland wiedervereinigt
wurde. Plötzlich mussten ostdeutsche
Produkte wieder mit anderen konkurrieren – mit Waren aus Westdeutschland,
Japan, den USA und dem Rest der Welt.
„Es fehlte jedoch einfach die Fähigkeit,
diese Produkte auf dem Weltmarkt anzubieten. Man lebte ja lange wie unter
einer Käseglocke“, sagt Paqué.
nur einfach keine konkurrenzfähigen
Produkte, die er anbieten konnte.“ Rotkäppchen Sekt gelang es schließlich, sich
zu behaupten – dank beherzter Unternehmer: Der angestellte Geschäftsführer
stieg als Teilhaber ein, andere folgten.
1959 kommt eine modernere Variante,
der Trabant 500 kommt auf den Markt.
1963 erhält der Trabant in der Version
600 mehr Hubraum. Er hat jetzt 23 PS.
1964 folgt der längere, aber zugleich
leichtere Trabant 601.
1968 bekommt der Trabi drei PS hinzu.
Weitere Verbesserungen scheitern an
politischem Widerstand oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
1991 wird der letzte Trabi produziert.
Die Trabi-Modelle
P 600 (links, mit
Dachzelt) und P 50
Das Schlimmste, was abgeschotteten
Märkten passieren kann, sei eine Krise in
der benachbarten Marktwirtschaft. In
Krisen kommt es nämlich immer zu
Neuordnungen. Wie Anfang der 70erJahre, als die westliche Welt eine Ölkrise
erlebte, weil die arabischen Staaten weniger Öl lieferten. Plötzlich wurde Benzin knapp und daher teurer. Die Leute
wollten aber weiter Auto fahren – und
kauften Wagen, die weniger Benzin verbrauchten. „Die Unternehmer haben ihre Produkte systematisch umgestellt“,
sagt Paqué: „Diesen Prozess hat der Osten nicht mitgemacht. Er ist einfach auf
seiner alten Technik sitzen geblieben.“
Auch Rotkäppchen Sekt hat das erlebt.
Plötzlich konnten Kunden wechseln zu
Mumm, Henkell Trocken oder Freixenet
statt wie bisher immer nur die DDRMarke zu kaufen. Rotkäppchen verkaufte
1990 nur noch knapp sieben Millionen
Flaschen. Ein Jahr vorher waren es doppelt so viele. In der DDR war das Unternehmen sicher, nun musste es sich mit
den anderen Marken messen. „Der Unternehmer in Ostdeutschland war nach
dem Mauerfall ja nicht zu blöd, er hatte
CLUB DER VISIONÄRE (4)
SCHOELLER&VON REHLINGEN
Margarete Steiff hat das Plüschtier erfunden. Es wurde nach einem US-Präsidenten benannt
Bär 55PB hieß der erste Stoffbär der Margarete Steiff GmbH – 55 cm groß, aus Plüsch und beweglich.
1902 war das – und der Markt für Stofftiere ein sehr kleiner. Ein amerikanischer Einkäufer aber ist
entzückt. Er bestellt 3000 Stück, und so beginnt der weiche Bär mit der Eroberung der Welt. Dass er
Teddy heißt, verdankt er dem damaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt. Um sich vor Nachahmern zu schützen, entwickelt die Firma den Kopf im Ohr ihrer Stofftiere, das Markenzeichen bis
heute. Margarete Steiff, die Gründerin, hat sich ihren Erfolg hart erkämpft: Seit sie als Mädchen
krank war, sind ihre Beine gelähmt, ihren rechten Arm kann sie nur unter Schmerzen bewegen.
der Unternehmergeist in den Osten zurückkehrt. „Man merkt, dass heute die
Innovationskraft wieder langsam entsteht“, sagt Paqué. Für den Trabi allerdings kam das zu spät. Der letzte rollte
am 23. April 1991 vom Band.
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Krisen brauchen Unternehmer
1957 läuft der Trabant P50 vom Band.
Er ist dank der Karosserie aus Harz und
Baumwolle leicht und rostresistent.
Zum ersten Mal machte Rotkäppchen
Werbung, investierte in neue Produkte,
kaufte eine Abfüllanlage für Piccolo-Flaschen. Mit Erfolg: Zehn Jahre später
übernahm Rotkäppchen die Konkurrenzmarke Mumm. Das Beispiel zeigt, dass
+
88 KINDERLEICHT
W E LT A M S O N N TAG N R . 51
19. D E Z E M B E R 2 010
Markenzeichen in
Blau-Weiß-Rot: der
Bionade-Kronkorken
Die Eltern waren erfolgreiche
Unternehmer. Doch irgendwann
konnte die kleine Brauerei aus der
Rhön nicht mehr mithalten mit
den großen Braukonzernen und
ihrem Millionenmarketing
T
Peter Kowalsky kennt sowohl
Gelingen als auch Scheitern von
zu Hause. Und noch eines hat er
gelernt: Man muss hart arbeiten –
aber ein bisschen Glück gehört
auch dazu. Wie bei Bionade
T
braucht man als guter Unternehmer schon: Zehn Jahre
lang zogen sie durch das
Land und redeten sich den
Mund fusselig. Irgendwann
konnten sie den Besitzer einer Hamburger Szenebar
überzeugen. Dessen Kunden
waren begeistert, erzählten ihren Freunden und Kollegen davon – und die Glückssträhne der
Kowalskys begann. Auch dank der
Tatsache, dass sich später Rhönsprudel, ein anderer Getränkehersteller aus der Umgebung, an Bionade beteiligte, konnte das Unternehmen
in den kommenden Jahren mächtig
wachsen.
ILEANA GRABITZ
E
Es gab Zeiten, sagt Peter Kowalsky, da
habe er sich jeden Gang ins Dorf gut
überlegt: An jeder Ecke in dem 3500-Einwohner-Ort Ostheim vor der Rhön schienen sie ihm, dem Sohn der ortsansässigen Brauereifamilie, aufzulauern: „Egal
ob beim Handwerker, beim Bäcker oder
beim Tankstellenbesitzer – überall hatten wir Schulden“, erinnert er sich. „Und
sobald einer von uns in die Stadt ging,
wurden wir angesprochen, wo denn das
Geld blieb.“ Wie ein Spießrutenlauf muss
es gewesen sein, und am schlimmsten,
sagt Kowalsky, war es in der Weihnachtszeit – wenn die Kaufleute ihre Jahresabrechnung machen und wenn jeder selbst
Geld brauchte, um Geschenke für die Familie zu kaufen. Da konnte selbst der geduldigste Gläubiger recht ungemütlich
werden.
Auch jetzt nähert sich Weihnachten,
aber mit solchen Sorgen muss sich der
Mann mit dem krausen Schopf und den
stahlblauen Augen heute nicht mehr herumplagen: 42 Jahre alt ist er inzwischen,
verheiratet, Vater einer 13-jährigen Tochter – und in vielen Gegenden Deutschlands bekannt als einer, der trotz vieler
Widrigkeiten an eine unternehmerische
Idee geglaubt und die Kultbrause Bionade groß gemacht hat. Noch Ende der
90er-Jahre kannte kaum jemand das Erfrischungsgetränk, das wie Bier gebraut
wird, aber keinen Alkohol enthält und in
Geschmacksrichtungen wie Quitte, Holunder oder Kräuter zu haben ist. Heute
kann man die Flaschen mit dem blauweiß-roten Kronkorken in vielen Städten
landauf und landab kaufen. Im Jahr 2008
wurden 160 Millionen Flaschen dieses
Getränks unter die Leute gebracht. Im
Vergleich zum Weltkonzern Coca-Cola,
der den deutschen Markt pro Jahr mit
Milliarden Pullen flutet, ist das natürlich
ein Klacks. Für einen kleinen Betrieb ist
das eine beträchtliche Menge.
Krise in der Brauerei
Dass Kowalsky einmal so erfolgreich sein
würde, hätten ihm wohl die wenigsten
seiner Schulkameraden zugetraut – zu
groß waren die Probleme der Peter-Brauerei, die schon seit mehr als 180 Jahren
im Familienbesitz ist und Kowalskys Eltern, seinen Großeltern und sogar schon
seinen Urgroßeltern ein gutes Leben ermöglicht hatte. Der Mann, der noch immer sehr jungenhaft aussieht, kann sich
noch gut an sorglose Zeiten erinnern, als
der elterliche Betrieb gut lief: Als erfolgreiche Unternehmer waren seine Eltern
überall gern gesehene Gäste – „daher
wurden wir sehr oft zu Festen eingeladen“, erinnert sich Kowalsky, „für mich
als Kind war das toll.“
Wer erfolgreich ist, heißt es ja nicht
ohne Grund, hat viele Freunde. Dass sich
das manchmal schlagartig ändert, wenn
das Geschäft mal nicht so gut läuft,
mussten auch die Kowalskys erfahren.
Denn je älter Peter und sein Bruder wurden, desto größer wurden auch die Probleme der Brauerei. Das hatte auch damit
zu tun, dass einige große deutsche Bierhersteller wie etwa Krombacher viel Geld
ausgaben, um im Fernsehen Werbung für
ihre Produkte zu machen. Die kleine Pe-
Arbeiten, wenn die anderen feiern
ter-Brauerei konnte da nicht mithalten.
Und so verloren viele Kunden der Kowalskys plötzlich das Interesse an dem Bier
aus der fränkischen Provinz.
Was für die Verbraucher nicht mehr
als eine Modeentscheidung war, wurde
für Peter Kowalsky und seine Familie
schnell zu einer Bedrohung ihrer Existenz. Weil sie immer weniger Bier verkaufen konnten, fehlte ihnen das Geld,
um ihre Rechnungen zu bezahlen. Um
trotzdem den Alltag zu bestreiten, machten sie Schulden über Schulden und
suchten händeringend nach alternativen
Verdienstmöglichkeiten, um die finanziellen Löcher zu stopfen – ein täglicher
Kampf, der viel Kraft kostete.
Dass Kowalsky heute entspannt lächelnd in dem Haus seiner Kindheit sitzen kann und gemeinsam mit seiner
Mutter und seinem Bruder Millionen Getränkeflaschen quer durch ganz Deutschland verschickt, zeigt, wie wechselhaft
ein Unternehmerleben sein kann. Wie
nah Auf und Ab manchmal beieinander
liegen. Wie schnell einer aufsteigen kann
– und wie schnell einstiger Erfolg auch
wieder verfliegt.
Das Auf
und Ab
gehört
dazu
Peter Kowalsky kommt aus einer
Brauerfamilie, die einmal
fast pleite war. Da erfand sie
ein neues Getränk. Nur wollte
das am Anfang niemand haben
FRANKA BRUNS/AP;
BIONADE
Rettung durch Innovation
Dass er heute ist, wo er ist, hat Peter Kowalsky vor allem seinem Stiefvater Dieter Leipold zu verdanken: Schon in den
80er-Jahren, als Bioprodukte nur vereinzelt in den Läden zu finden waren, hatte
der zweite Mann seiner Mutter die
Idee, eine chemiefreie Limonade aus natürlichen Zutaten zu brauen und so der
Brauerei eine neue Perspektive zu verschaffen. Mehr als zehn Jahre lang tüftelte der Erfinder an dieser Idee – bis 1996
die erste Bionade in der eigenen Brauerei
abgefüllt werden konnte.
Der Erfinder hatte seine Arbeit getan,
aber nun waren Peter Kowalsky und seine Mutter dran: Ohne
Peter Kowalsky mit
wirklich genau zu wissen,
den Produkten, die
wie man ein neues Proihm und seiner Famidukt am besten verkauft,
lie den Erfolg zuzogen die beiden los, um
rückbrachten
ihre neue Ware anzupreisen. Einfach war das
nicht gerade: Zu Beginn ernteten sie oft
verständnislose Blicke von den Getränkehändlern, als sie ihre Getränke anboten. Eine Biobrause, dachten die wohl,
wo es doch Fanta, Sinalco und Sprite gibt
– wer braucht das schon? Kowalsky und
seine Mutter glaubten trotzdem an die
Idee des Mannes/Stiefvaters, und das
sollte sich auszahlen. Beharrlichkeit
+
CLUB DER
VISIONÄRE (5)
Marc Zuckerberg hat
ein soziales Netzwerk erfunden
Nun, ob Marc Zuckerberg wirklich
Facebook so richtig erfunden hat, ist
Ansichtssache. Zumindest hat er sich
auch von anderen anregen lassen. Aber
er hat das Unternehmen offiziell gegründet. Das war 2004. Zuckerberg
war 19 Jahre alt und Student an der
amerikanischen Harvard-Universität.
Zwei Jahre später brach er sein Studium ab. Anfänglich durften nur Studenten Facebook nutzen. Über eine In-
ternetseite tauschten sie Informationen
darüber aus, was sie gerade machten
und planten. Später öffnete Zuckerberg
sein soziales Netzwerk auch für NichtStudenten. Jeder durfte nun mitmachen, Fotos veröffentlichen und Nachrichten an Mitglieder versenden. Die
Nutzerzahl wuchs schnell. Heute sind
es bereits mehr als eine halbe Milliarde
Menschen. Nur Google und Microsoft
ziehen weltweit mehr Nutzer an als
Facebook. Alle Welt wartet nun auf
einen Börsengang des Unternehmens.
Denn bisher ist es im Privatbesitz.
Deswegen muss Facebook auch nicht
veröffentlichen, wie viel Geld es verdient. Schätzungen zufolge wird Zuckerberg in diesem Jahr etwa zwei
Milliarden Dollar dafür bekommen,
dass er Werbung auf Facebook zulässt.
IMPRESSUM
Chefredakteur: Jan-Eric Peters
Redaktion: Anette Dowideit, Florian Eder,
Olaf Gersemann (ViSdP), Daniel Zwick
Creative Director: Brian O’Connor
Layout: Anika Grebe, Manfred Pollmann,
Diemo Schwarzenberg
Infografik: Karin Sturm
Anzeigen: Philipp Zwez (ViSdP),
Stefanie Scheuer
([email protected])
„Zehn Jahre der belächelte Spinner zu
sein, der schräge Geschichten erzählt,
war nicht schön“, sagt Kowalsky im
Rückblick auf die schwierigen Anfangsjahre. Dass er trotzdem weitermachte,
habe „auch etwas mit dem Glauben an
die eigene Idee und natürlich mit Selbstbewusstsein zu tun“, meint er. Wie viele
Unternehmersprösslinge lernte auch er
von Kindesbeinen an, dass hartes Arbeiten einfach dazugehört und dass man
nicht bei jedem Problem den Kopf in den
Sand stecken darf: Kowalskys Eltern waren tagaus, tagein mit der Brauerei beschäftigt, sie ernährte ja die gesamte Familie. Da war es nur selbstverständlich,
dass auch Peter und sein drei Jahre jüngerer Bruder Stephan anpackten, wo und
wann immer Hilfe benötigt wurde.
In den Schulferien, wenn ihre Schulkameraden in den Urlaub fuhren, halfen die
Jungs dabei, Flaschen zu sortieren und
Kisten zu schleppen. Und als später das
Geld in der Familie knapp wurde, verbrachten die beiden Brüder jede freie Minute in der Dorfdisco – aber nicht mit
Tanzen: Mutter und Stiefvater hatten das
Lokal auf der Suche nach neuen Einkommensquellen gegründet. „Unsere Schulkameraden kamen zum Trinken, wir haben gearbeitet“, sagt Kowalsky. „Für uns
war das völlig normal.“
Harte Arbeit gehört genauso dazu wie
das Festhalten an einer Idee, resümiert
der Mann im gestreiften, sauber gebügelten Hemd. „Aber auch ein bisschen
Glück kann sehr hilfreich sein“, sagt er.
Keiner hätte voraussehen können, dass
der Bioboom gerade dann einsetzte, als
er und seine Familie mit Bionade an den
Markt gingen. „Wir kamen genau zum
richtigen Zeitpunkt, um das Marktpotenzial auszuschöpfen.“
Garantiert ist gar nichts
Ein paar Jahre lang ging es für die Kowalskys nur noch bergauf, doch im Alltag
muss der junge Unternehmer immer wieder erfahren, dass unternehmerischer Erfolg keine Selbstverständlichkeit ist und
jeden Tag aufs Neue verdient werden
muss. So versuchen immer mehr Getränkehersteller, den Erfolg von Bionade
nachzuahmen. Die Konkurrenz ist also
stark gewachsen. Nach einer kräftigen
Preiserhöhung im Jahr 2008 wandten
sich außerdem etliche ehemalige Bionade-Fans von dem Getränk ab – das alles
sind Probleme, die Peter Kowalsky nicht
abstreitet. Er will sie allerdings auch
nicht überbewertet sehen. „Rückschläge
gehören dazu“, sagt er offen. „Wir wussten immer, dass der gigantische Erfolgskurs der vergangenen Jahre nicht der
Normalzustand ist.“
Trotz der Widrigkeiten hat sich Kowalsky auch für die nächste Zukunft einiges
vorgenommen: Vor einem Jahr holten er
und die Bionade-Miteigentümer die viel
größere Radeberger Gruppe an Bord, die
zum Oetker-Konzern gehört, und gründeten ein Gemeinschaftsunternehmen.
Bionade ist darin der kleinere Gesellschafter – hat sich aber zum Ziel gesetzt,
das Getränk auch in anderen Ländern zu
einem Erfolg zu machen.

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