Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007

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Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
Prof. Dr. F. Jeßberger
Mapping Universal Jurisdiction
Universität Hamburg
Fall Andischan
Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
In der Strafsache ./. Z.A. u. a. – AZ des Generalbundesanwaltes 3 ARP 116/05-2
beantrage ich namens und in Vollmacht der Anzeigenerstatter M.K., z.Zt. Symkent, Kasachstan,
E.U., T.C., sowie F.M., Mutter des zu Tode gekommenen M.A., alle Taschkent, Usbekistan, Geschädigte von im einzelnen unten erläuterten Gefangenenmisshandlungen und Folterungen durch Angehörige der usbekischen Polizei und Geheimdienste in usbekischen Haftanstalten bzw. Gefangenenlagern, und der im Anschluss an das Andischan-Massaker geflohenen K.R., O.B., K.K., alle z.Zt.
Amerfoort, Niederlande, Geschädigte des am 13.05.2005 von usbekischen Sicherheitskräften verübten Massakers in Andischan, alle usbekischer Nationalität,
durch
gerichtliche Entscheidung
die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigten
1. den früheren Innenminister der Republik Usbekistan, Z.A., geb. 10. Oktober 1949, Taschkent, Usbekistan,
2. den ersten Stellvertretenden Innenminister der Republik Usbekistan, T.O.M., geb. 10. Oktober 1950, Taschkent, Usbekistan,
3. den früheren Verteidigungsminister
1945, Taschkent, Usbekistan,
der Republik Usbekistan, K.G.G., geb. 17. Februar
4. den früheren Sicherheitsberater und derzeitigen Verteidigungsminister R.M., Taschkent,
Usbekistan,
5. den früheren Provinzgouverneur von Andischan S.B.B., Andischan
6. den Generalmajor K.A., Usbekistan,
7. den Generalmajor I.E.E., geb. 5. August 1945, Usbekistan,
8. den Oberst P.I.E., Usbekistan,
9. den Generalmajor V.A.M., Usbekistan,
10. den Oberst G.P., Usbekistan,
11. den Oberst V.T., Usbekistan,
12. den Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes R.R.I., geb. 22. Juni 1944, Usbekistan.
wegen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 VStGB, gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, Mord und Totschlag, §§ 211 und 212 StGB i.V.m.
§§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention,
hilfsweise die Aufnahme von Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft anzuordnen.
Der Antrag richtet sich gegen die Bescheide des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof
vom 30.03.2006, in dem mitgeteilt wird, dass der Strafanzeige vom 12.12.2005 keine Folge geleistet wird, und vom 16.10.2006, mit dem die Gegenvorstellung verworfen wird.
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Gliederung
1. Sachverhalt
1.1. Strafanzeige Rechtsanwalt W.K. vom 12.12.2005
1.2. Ergänzender Schriftsatz Rechtsanwalt W.K. vom 20.12.2005 mit Rechtsgutachten
Cassese
1.3. Ergänzender Schriftsatz Rechtsanwalt W.K. vom 21.12.2005
2. Gang des Ermittlungsverfahrens
2.1. Einstellungsvermerk des Generalbundesanwalt vom 30.03.2006
2.2. Gegenvorstellung Rechtsanwalt W.K. vom 27.04.2006
2.3. Verwerfung der Gegenvorstellung des Generalbundesanwalts vom 16.10.2006
3. Formelle Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens
3.1. Antragsbefugnis
3.2. Einhaltung der Fristen
3.3. Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz Einstellung nach § 153f StPO
3.4. Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz nicht erfolgter Aufnahme von Ermittlungen
4. Zusammenfassende Würdigung und Begründung des hinreichenden Tatverdachts gegen Z.A. u.a.
4.1 Verpflichtung zur Strafverfolgung
4.2 Hinreichender Tatverdacht
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1. Sachverhalt
Am 12.12.2005 übersandte der Unterzeichnende dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe namens und in Vollmacht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch,
New York, USA, vertreten durch die Europa-Direktorin L.L., Brüssel, Belgien, sowie der usbekischen
Staatsangehörigen und Opfer von Straftaten – Details dazu im Text unten- M.K., z.Zt. Symkent,
Kasachstan, E.U., T.C., sowie F.M., Mutter des zu Tode gekommenen M.A., alle Taschkent, Usbekistan, und der im Anschluss an das Andischan-Massaker geflohenen K.R., O.B., K.K., alle z.Zt.
Amerfoort, Niederlande, eine Strafanzeige wegen "sämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, namentlich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 8, Nr.
9 und Nr. 10 VStGB sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB sowie wegen
Mord und Totschlages, §§ 211 und 212 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UNAntifolterkonvention" gegen die im Rubrum im einzelnen bezeichneten zwölf usbekische Staatsbürger.
Die Strafanzeige umfaßte zunächst eine Darstellung des Sachverhaltes (I.). Dieser bestand aus
einer Schilderung der allgemeinen Situation in Usbekistan (I.1.) sowie der Folterungen und Repressionen, denen Teile der muslimischen Bevölkerung ausgesetzt sind (I.2.). Im Anschluss wurden
Folterstraftaten geschildert, die bis zum 30. Juni 2002 verübt wurden (I.3.), wobei insgesamt 3
Einzelfälle exemplarisch dargestellt wurden (I.3.2.). Der allgemeinen Darstellung von Folterstraftaten, die nach dem 30. Juni 2002 begangen wurden, und der Schilderung von zwei Einzelfällen
(I.4.1.+I.4.2.) folgte die Behandlung der im Zusammenhang mit dem Massaker von Andischan
begangenen Verbrechen (5.).
Danach wurden die oben geschilderten Folterstraftaten materiellrechtlich als Körperverletzungsstraftaten und Tötungsdelikte gemäß §§ 223, 223a, 211 ff. StGB iVm § 6 Nr. 9 StGB und Art. 5 der
UN-Anti-Folterkonvention sowie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und
5 VStGB eingestuft (II.1.+2.). Die Straftaten im Zusammenhang mit dem Andischan-Massaker
wurden als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 10 VStGB eingestuft.
Hieran schloss sich die Darstellung der strafrechtlichen Verantwortung der Beschuldigten und insbesondere die strafrechtliche Verantwortung Z.A.s als Vorgesetztem (III.) an. Weiterhin wurde das
Bestehen der deutschen Strafgewalt (IV.) nach dem Weltrechtsprinzip sowie das Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft gem. § 153f StPO dargelegt. Schließlich wurde die mangelnde Verfolgung der Straftaten in Usbekistan (V.) und die Ermittlungsmöglichkeiten deutscher Strafverfolger
(VI.) beschrieben sowie mögliche Hindernisse der Strafverfolgung in Deutschland wie die Immunität einzelner Beschuldigter abgehandelt (VII.).
Im einzelnen hatte die Strafanzeige vom 29.11.2004 folgenden Wortlaut:
(vgl. als Kopie in Anlage 1)
"Strafanzeige
wegen Folter und Verbrechen gegen
die Menschlichkeit
nach dem Völkerstrafgesetzbuch
gegen den usbekischen Innenminister Z.A. u. a.
Namens und in Vollmacht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, New York, USA,
vertreten durch die Europa-Direktorin L.L., Brüssel, Belgien, sowie der usbekischen Staatsangehörigen und Opfer von Straftaten – Details dazu im Text untenerstatte ich hiermit
Strafanzeige
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wegen sämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, namentlich wegen Verbrechen gegen
die Menschlichkeit, § 7 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 VStGB sowie wegen gefährlicher
Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB sowie wegen Mord und Totschlages, §§ 211 und 212 StGB
i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention gegen
die usbekischen Staatsbürger
1. den amtierenden Innenminister der Republik Usbekistan, Z.A., geb. 10. Oktober 1949,
Taschkent, Usbekistan, z. Zt. Hannover, Deutschland,
2. den ersten Stellvertretenden Innenminister der Republik Usbekistan, T.O.M., geb. 10. Oktober 1950, Taschkent, Usbekistan,
3. den Verteidigungsminister der Republik Usbekistan, K.G.G., geb. 17. Februar 1945, Taschkent, Usbekistan,
4. den Sicherheitsberater R.M., Taschkent, Usbekistan,
5. den Provinzgouverneur von Andischan S.B.B., Andischan
6. den Generalmajor K.A., Usbekistan,
7. den Generalmajor I.E.E., geb. 5. August 1945, Usbekistan,
8. den Oberst P.I.E., Usbekistan,
9. den Generalmajor V.A.M., Usbekistan,
10. den Oberst G.P., Usbekistan,
11. den Oberst V.T., Usbekistan,
12. den Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes R.R.I., geb. 22. Juni 1944, Usbekistan.
Da sich der Beschuldigte Z.A. bekanntermaßen derzeit für einen gewissen, aber nach hiesigen Erkenntnissen nicht unbegrenzten Zeitraum wegen einer Krankenbehandlung in Hannover in
Deutschland aufhält, wird um dringende Behandlung der Angelegenheit gebeten. Es wird um Bestätigung des Eingangs dieses Schreibens sowie Mitteilung des Aktenzeichens und des zuständigen
Sachbearbeiters bei der Bundesanwaltschaft gebeten, da ggf. weitere Informationen nachzutragen
sind.
Gliederung
I. Sachverhalt
1. Allgemeine Situation in Usbekistan
2. Folter und Repression gegen sogenannte unabhängige Muslime
3. Folterstraftaten bis zum 30. Juni 2002
3.1. Allgemein
3.2. Einzelfälle
4. Folterstraftaten nach dem 30. Juni 2002
4.1. Allgemein
4.2. Einzelfälle
5. Das Massaker von Andischan am 13. Mai 2005
II. Rechtliche Würdigung
1. Körperverletzungsstraftaten und Tötungsdelikte gemäß §§ 223, 223a, 211ff StGB iVm §
6 Nr. 9 StGB und Art. 5 der UN-Anti-Folterkonvention
2. Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und 5 VStGB)
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3. Das Andischan-Massaker als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und
Nr. 10 VStGB)
III. Strafrechtliche Verantwortung der Beschuldigten
IV. Bestehen der deutschen Strafgewalt, § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 5 der UN-Anti-Folterkonvention, § 1 VStGB und Verfolgungsermessen, § 153 f StPO
V. Straflosigkeit in Usbekistan
VI. Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche Strafverfolger
VII. Keine Immunität
VIII. Schlussbemerkung
I. Sachverhalt
1. Allgemeine Situation in Usbekistan
Die ehemalige Sowjetrepublik Usbekistan wurde, wie ihre zentralasiatischen Nachbarn Turkmenistan, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan, 1991 selbständig. Die knapp 27 Millionen Einwohner
sind zu 88 % sunnitische Muslime sowie zu 9 % russischorthodoxen Glaubens. Die von Präsident
I.K. geführte Regierung unterdrückt seit mehreren Jahren jegliche demokratische Opposition. Usbekistan gilt als eine der ärmsten Regionen der ehemaligen Sowjetunion und als gefährdet, zum
sog. „failed state“ (zusammengebrochenen Staat) zu werden. Aufgrund diverser ökonomischer
Maßnahmen der Regierung kam es in den vergangenen Jahren zu Demonstrationen und Protestaktionen der betroffenen Bevölkerungsteile. Usbekistan ist seit dem 11.09.2001 außenpolitisch mit
den USA und ihren Alliierten im sog. Anti-Terrorismus-Kampf verbündet. In der Folge des Andischan-Massakers vom 13. Mai 2005 wurde die Kooperation mit den USA beendet und die USA
mussten schließlich im November 2005 ihre letzten in Usbekistan stationierten Soldaten abziehen.
Im Gegensatz dazu hat die Bundesrepublik Deutschland etwa 300 Soldaten in Termes, 500 km
südlich der Hauptstadt Taschkent, stationiert. Der dortige Luftwaffenstützpunkt dient der Versorgung
der
internationalen
Schutztruppe
in
Afghanistan
(ISAF)
(vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/usbekistan; International Crisis Group Asia, Briefing Nr. 38 vom
25.05.2005; FAZ „Washington muss Stützpunkt in Usbekistan verlassen“ vom 31.07.2005 und FAZ
„Verschwörungstheorien“ von Reinhard Veser vom 24.11.2995). Eine neuerliche Vereinbarung wurde nach Zeitungsmeldungen (siehe SZ, 19.12.2005, S. 9) zwischen der usbekischen Regierung und
Verteidigungsstaatssekretär P. vor wenigen Tagen geschlossen, so dass die Bundeswehr den Flughafen Termes „langfristig“ nutzen kann.
2. Folter und Repressionen gegen sogenannte unabhängige Muslime
Menschenrechtsorganisationen und Vertreter von internationalen Institutionen wie der UN und der
OSZE berichten seit den 90er Jahren von einer zunehmenden Unterdrückung von oppositionellen
Strömungen sowie von Personen, die einen sogenannten unabhängigen Islam praktizieren.
Verschiedene Quellen sprechen von einer religiösen Verfolgung in Usbekistan, die zu Verhaftung
und regelmäßig auch zu Folter von insgesamt ca. 7.000 Menschen geführt hat (vgl. die umfassende
Dokumentation „Staatsfeinde schaffen. Religiöse Verfolgung in Usbekistan“, im englischen Original:
„Creating Enemies of the State. Religious persecution in Uzbekistan“ von Human Rights Watch,
2004, abgedruckt bei : http://hrw.org/reports/2004/uzbekistan0304/; die Zahl wird bestätigt von
der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ ).
Dies bedarf einer kurzen Erklärung, da es in Usbekistan einen Staatsislam gibt und alleine deswegen nicht die Zugehörigkeit zum Islam per se Anlaß zur Strafverfolgung, sondern die Zugehörigkeit
oder behauptete Zugehörigkeit zu bestimmte Strömungen. Unter dem Vorwurf, die unabhängigen
Muslime wollten einen islamischen Staat errichten, und man müsse den Säkularismus des Landes
bewahren, ging die Regierung in den 90er Jahren gegen unabhängige religiöse Strömungen und
dabei insbesondere gegen Anhänger der umstrittenen islamischen Gruppe Hizb ut-Tahrir vor. Im
Jahre 1999 kam es zu einer Reihe von Anschlägen, die extremistischen Islamisten zugeordnet wurden, insbesondere einer Explosion von fünf Bomben am 16.02.1999 in der Hauptstadt Taschkent.
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Im Anschluss an diese Anschläge kam es zu einer umfassenden Verhaftungs- und Prozesswelle. Die
Anschläge wurden der Islamischen Bewegung Usbekistan (IMU) zugeschrieben. Während nach unabhängigen Quellenberichten die IMU militärisch im Anschluss an den Afghanistan-Krieg der USA
und ihrer Verbündeten in Nordafghanistan fast vollkommen aufgerieben wurde, gilt die angebliche
Zugehörigkeit zu dieser Gruppe bis heute der usbekischen Regierung als Grund für das Einschreiten
und Tätigwerden gegen unabhängige islamische Gruppen und Personen (vgl. Marcus Bensmann,
„Demokraten, Clans und Apparatschiks“, Le Monde Diplomatique, Oktober 2005).
Im Einzelnen dokumentieren die bezeichneten Menschenrechtsberichte regelmäßige und systematische Verletzungen der Religions- und Glaubensausübung sowie des Rechts auf Gewissensfreiheit,
Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Wie aus den nachfolgend zitierten Berichten hervorgeht, wurden viele der verhafteten Menschen gefoltert und auf andere Weise misshandelt, um Geständnisse zu erzwingen. Sie wurden oftmals in Isolationshaft gehalten, hatten keinen Zugang zu
Verteidigern, erhielten kein faires Verfahren und wurden aufgrund von erfolterten Geständnissen
und konstruierten Beweisen verurteilt. Human Rights Watch kommt in dem bereits angesprochen
Bericht zu folgenden Schlussfolgerungen:
„Doch trotz der Behauptungen der usbekischen Regierung, dass ihre Verfolgungsmaßnahmen auf
den Terrorismus abzielen, haben wir herausgefunden, dass die meisten Inhaftierten weder wegen
terroristischer Handlungen noch wegen einer anderen Gewalttat angeklagt wurden. Terrorismusbekämpfung darf weder als Rechtfertigung für religiöse Verfolgung, noch darf sie als Rechtfertigung
für eine Politik der Kollektivbestrafung, die zur Verhaftung von Eltern, Geschwister und Ehegatten
führt, herangezogen werden. Es ist untragbar, dass Menschen bei ihrer Verhaftung gefoltert und
öffentlich bloßgestellt werden, dass man Drogen und Waffen bei ihnen versteckt, dass es Gerichtsverfahren gibt, in denen fünfmaliges Beten am Tag als Beweis dafür angesehen wird, dass ein Angeklagter Revolutionspläne hegt. Solche Methoden verletzen das Recht auf ein zügiges und faires
Verfahren auf das schwerste. Derartige Praktiken sind jedoch äußerst effektive Methoden zur religiösen Unterdrückung und haben verheerende Folgen für unabhängige muslimische Gemeinschaften.
Obwohl die Verhaftungskampagne landesweit durchgeführt wurde, scheint es, dass sich die Aktion
vor allem auf die Hauptstadt Taschkent und auf einige Städte im Fergana Tal konzentrierte, wo am
massivsten gegen unabhängige Muslimen vorgegangen wurde. Die überwältigende Mehrheit der
Fälle, die von Human Rights Watch und „Memorial“ dokumentiert wurden, betraf die Verhaftung
von Personen aus diesen Regionen. Wie in diesem Bericht aufgeführt, zielten die Aktionen der Regierung darauf ab, der angeblichen Bedrohung durch den islamischen „Fundamentalismus“ und
„Extremismus“ Herr zu werden, indem Muslime, die sich gegen die Kontrolle ihrer Religion seitens
der Regierung wehrten, zum Schweigen gebracht und bestraft werden. Diese Politik hatte zum Ziel,
den charismatischen Islam von der politischen Bühne zu entfernen, um einen potentiellen Konkurrenzkampf zwischen der I.K.-Regierung und den unabhängigen muslimischen Führern, um die Autorität und Loyalität der Menschen, zu verhindern. Die Angst der usbekischen Regierung, dass die
Religion ihr die Gunst und den Willen der Bürger streitig machen könnte, ist ein Überbleibsel aus
der Sowjetunion. Doch die I.K.-Regierung handelt ausschließlich im eigenen Interesse, wenn sie
traditionelle Methoden der Kontrolle mit neuen Taktiken verbindet, um religiöse Überzeugungen
davon abzuhalten, die Regierungsmacht herauszufordern. Die Regierungskampagne zielte zunächst
auf muslimische Geistliche ab, die sich weigerten ihre Predigten und Lehren soweit einzuschränken,
wie es von den Staatsbehörden vorgeschrieben wurde.
Andere Formen des Ungehorsams reichten von ihrem Widerstand gegen das Verbot der Regierung,
Lautsprecher für den Aufruf zum Gebet zu benutzen, die Weigerung, Präsident I.K. während des
Gottesdienstes zu loben und einer offenen Diskussion über die Vorteile eines islamischen Staates
oder der Anwendung des islamischen Rechts, bis zu ihrer Weigerung Informationen über ihre Gemeindemitglieder und Religionsbrüder an Sicherheitsdienste preiszugeben. Die Regierungsbehörden
bezeichneten die geistlichen Führer unrechtmäßigerweise als “Wahhabis” und belästigten oder verhafteten Personen, die enge oder auch nur entfernte Verbindungen zu ihnen aufwiesen – darunter
ihre Gemeindemitglieder (auch solche, die schon bevor ihre Führer in Ungnade gefallen waren nur
gelegentlich die Gottesdienste besucht hatten), aber auch die Studenten der Imame, Beschäftigte
der Moscheen und sogar ihre Angehörigen.
Im Jahre 1999 hatten die usbekischen Behörden systematisch begonnen, Personen wegen ihrer
Mitgliedschaft in der Hizb ut-Tahrir oder dem Besitz oder der Verbreitung von Literatur der Organisation zu verhaften. Genau wie bei den Verhaftungen im Umfeld der Imame, gerieten auch Personen mit nur gelegentlicher Verbindungen zu der Gruppe zur Zielscheibe. Die im Jahre 1950 im
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mittleren Osten gegründete Hizb ut-Tahrir erschien in Usbekistan zu ersten Mal um 1995. Zu Beginn hielt sich die Gruppe in Usbekistan eher bedeckt. Sie ging weder an die Öffentlichkeit, noch
meldete sie sich offiziell als Vereinigung an. Auch äußerte sie keine öffentlichen Statements. Bis
zum Jahr 1998 war die usbekische Regierung trotzdem auf die Mitglieder aufmerksam geworden.
Zu diesem Zeitpunkt erhöhte sich ihre Mitgliederzahl und die Gruppe verteilte offen ihre Schriften,
die nicht von den staatlichen Zensurbehörden, wie z.B. dem Verlag „Muslim Spiritual Board” (MSB),
der für islamische Angelegenheiten zuständigen Regierungsbehörde und dem Komitee für religiöse
Angelegenheiten, einer Abteilung des Ministerkabinetts, geprüft worden waren.
Weil die Ziele und Ideen von Hizb ut-Tahrir Religion und Politik kombinieren, kann die Gruppe als
weder ausschließlich politische noch ausschließlich religiöse Einheit klassifiziert werden. In Usbekistan bestrafen die Staatsbehörden Hizb ut-Tahrir Mitglieder ausdrücklich wegen ihres Glaubens, der
Äußerung dieses Glaubens und ihrer religiösen Aktivitäten.
Die usbekische Regierung verdächtigt alle Muslime, die nicht in dem von der Regierung festgelegten Rahmen ihrem religiösen Glauben Ausdruck verleihen. „Unabhängig“ in diesem Sinne bedeutet
nicht unbedingt einen Bruch mit traditionellen Formen der Religionsausübung, noch besteht Grund
zur Annahme, dass unabhängige Muslime aktiv daran arbeiten die Regierung herauszufordern. Die
usbekische Kampagne gegen den unabhängigen Islam zielt auf Muslime ab, die nicht darauf aus
sind, Unabhängigkeit vom Staat zu suchen, sondern auf solche, die von Staatsbehörden ganz einfach als „zu fromm“ angesehen werden. Sowohl Mitglieder der Hizb ut-Tahrir als auch Muslime, die
vom Staat als “Wahhabi” bezeichnet wurden, sehen sich größtenteils selbst als Hanafi Sunniten,
wie auch die meisten anderen Muslime in Usbekistan. Sie sind keine Anhänger des Wahhabbismus,
wie er im saudi-arabischen Kontext verstanden wird. Einige so genannte Wahhabis wurden deshalb
so bezeichnet, weil sie fünf Mal am Tag beteten, was von einigen örtlichen Behörden in usbekischen Provinzen als Beweis für übertriebene oder verdächtige Frömmigkeit gesehen wurde. Gleichermaßen wurde das Tragen eines Bartes oder eines gesichtsbedeckenden Kopftuches als übermäßiges Kundtun des religiösen Glaubens gesehen“.
Um das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen und vor allem an Folterfällen in Usbekistan in
den letzten Jahren zu verdeutlichen, seien nachfolgend, auch wegen der zahlreichen dokumentierten Einzelfälle, die Berichte internationaler Institutionen und Menschenrechtsorganisationen über
Usbekistan mit Links auf die jeweiligen Fundstellen aufgelistet. Aus der Aufstellung geht im übrigen
deutlich hervor, in welchem Umfang Folter in Usbekistan Thema internationaler Debatten und von
Gesprächen mit der usbekischen Regierung war. Verantwortliche der usbekischen Regierung, vor
allem die oben genannten Beschuldigten können, wenn sie nicht selbst in hohem Maße beteiligt
waren, nicht behaupten, sie hätten nicht gewusst und hätten, wenn sie denn Kommandogewalt
innehatten, nicht verhindern können, was in usbekischen Polizeizellen und Haftanstalten vor sich
geht.
Europäische Union
• EU and Uzbekistan - 4th Meeting of the Cooperation Council
Brussels, 27 Januar 2003
[http://europa.eu.int/comm/external_relations/uzbekistan/intro/cc4.htm]
• EU and Uzbekistan - 5th Meeting of the Cooperation Council
Brussels, 27 Januar 2004
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2004
2003
2002
2001
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http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2003/27873.htm
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2002/18400.htm
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http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2000/eur/858.htm
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Berichte über Individualfälle
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Urgent Action report: Khadji Khudjaev – 23 Aug 00
http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR460392000
-
Urgent Action report: Yusuf Dzhumaev – 7 Nov 01
http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620172001
-
Urgent Action report: Muhammad Salih – 29 Nov 01
http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR710042001
-
Urgent Action report: Mannopzhon Rakhmatullaye – 04 Dec 02
http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR460662002
-
Urgent Action report: Azizbek Karimov – 4 Jun 04
http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620112004
-
Urgent Action report: Ikram Mukhtarov, Yusuf Zhumayev – 30 Jul 04
http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620142004
-
Urgent Action report: Sodik Kodirov, Shukhrat Aripov – 15 Oct 04
http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620242004
Briefings und Berichte
-
Briefing to UN Human Rights Committee: “Uzbekistan – The Rhetoric of Human Rights
Protection” – 1 Jun 01
http://web.amnesty.org/library/Index/ENGEUR620062001?open&of=ENG-UZB
-
Briefing on human rights situation – 11 Oct 01
http://web.amnesty.org/library/index/ENGEUR620162001
-
Report: “Justice Only in Heaven – the Death Penalty in Uzbekistan” – 18 Nov 03
http://web.amnesty.org/library/Index/ENGEUR620112003?open&of=ENG-UZB
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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Prof. Dr. F. Jeßberger
-
Mapping Universal Jurisdiction
Universität Hamburg
Report: “Lifting the Siege on the Truth about Andizhan” – 20 Sep 05
http://web.amnesty.org/library/Index/ENGEUR620212005?open&of=ENG-UZB
OMCT -World Organization Against Torture
• State Violence in Uzbekistan: An Alternative Report to the UN Human Rights Committee,
28. Februar 2005
http://www.omct.org/pdf/procedures/2005/s_violence_uzbekistan_2_2005_eng.pdf
• Bericht der Human Rights Society of Uzbekistan (HRSU) über Misshandlungen gegenüber
Tolib Yakubov, Präsident der HRSU, und seiner Frau, Tursunoï Yakubova, 3. Dezember
2004
http://www.omct.org/base.cfm?page=article&num=5194&consol=close&kwrd=OMCT&ro
ws=2&cfid=2694509&cftoken=68952649
• “Uzbekistan: torture of persons accused of membership with the Hizb-ut-Tahrir – based
on HRW information”; August 2003
http://www.omct.org/base.cfm?page=article&num=3499&consol=close&kwrd=OMCT
&rows=3&cfid=2694509&cftoken=68952649
• “Uzbekistan: torture and unfair trial of a minor, Chingiz Suleimanov – based on HRW
information”, August 2003
http://www.omct.org/base.cfm?page=article&num=3480&consol=close&kwrd=OMCT&ro
ws=3&cfid=2694509&cftoken=68952649
• Bericht des “Kyrgyz Committee for Human Rights” über die Verhaftung und Folter von
Arabjon Sultanov wegen angeblicher Mitgliedschaft in der Hizb-ut-Tahrir, Juni 2003
http://www.omct.org/base.cfm?cfid=2694509&cftoken=68952649&page=article&cons
ol=close&rows=4&num=3344&kwrd=OMCT
• Bericht der “Human Rights Society of Uzbekistan (HRSU) ” über die Verhaftung und Folter
von Nabigeon Mirzanov, Februar 2003
http://www.omct.org/base.cfm?page=article&num=2879&consol=close&kwrd=OMCT
&rows=4&cfid=2694509&cftoken=68952649
United States Department of State – Länderberichte über Usbekistan
2004, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2004/41717.htm
2003, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2003/27873.htm
2002, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2002/18400.htm
2001, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2001/eur/8366.htm
2000, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2000/eur/858.htm
1999, Section 1.C: Torture and Other Cruel, Inhuman, or Degrading Treatment or Punishment
http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/1999/369.htm
Schließlich seien noch die Todesfälle hervorgehoben, die Untersuchungshäftlinge erlitten haben.
1998- 2000 dokumentierte Human Rights Watch 15 Todesfälle, die mit Folter in Verbindung gebracht
werden
konnten.
[“And
It
Was
Hell
All
Over
Again…,”
S.8;
http://www.hrw.org/reports/2000/uzbek/]
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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Im April 2003 berichtet Human Rights Watch, dass in den letzten Jahren in Usbekistan zahlreiche
Inhaftierte in der Haft als direkte Folge von Folter und Mißhandlungen durch Polizisten und Sicherheitsbeamte verstarben. Die usbekischen Behörden würden die Verantwortlichen nicht strafverfolgen. [Deaths in Custody in Uzbekistan, Human Rights Watch Briefing Paper, 4. April 2003, S.2;
http://hrw.org/backgrounder/eca/uzbek040403-bck.htm]
Zwischen November 2001 und April 2003 erhielt Human Rights Watch glaubhafte Informationen
über 8 Todesfälle in Verbindung mit Folter sowie 13 Fälle, in denen Misshandlungen und Verweigerung der notwendigen medizinischen Versorgung zum Tode führten. In keinem der Fälle fanden
ernsthafte
Untersuchungen
statt.
[Deaths
in
Custody
in
Uzbekistan,
S.3,
http://hrw.org/backgrounder/eca/uzbek040403-bck.htm]
3. Folterstraftaten bis 30. Juni 2002
3.1. Allgemein
In Strafverfahren in Usbekistan ist Folter an Inhaftierten üblich. Personen im Polizeigewahrsam
werden regelmäßig physisch und psychisch gefoltert. Insbesondere während der jahrelangen Kampagne der Regierung gegen unabhängige Moslems ab der Mitte der 90er Jahre wandte die Polizei
regelmäßig Folter an, um Geständnisse und Aussagen gegen andere Personen zu erzwingen. Bis
auf einige Ausnahmefälle werden Verdächtige in Strafverfahren in Untersuchungshaft gehalten.
Der Minister für Inneres und die ihm untergeordneten Behörden verweigern regelmäßig Gefangenen, ihre Familien über ihre Verhaftung zu informieren sowie Besuch zu empfangen. Die Behörden
verweigern den Untersuchungshäftlingen den Zugang zu Rechtsanwälten und erlauben lediglich in
Ausnahmefällen so genannte private Treffen mit den Anwälten. Personen, die in Strafverfahren
inhaftiert sind, die mit Religion oder Politik oder mit Straftaten der nationalen Sicherheit zu tun
haben, werden regelmäßig in so genannter Incommunicado-Haft gehalten. Während der Untersuchungen übt die Polizei oftmals Druck auf die Gefangenen aus, sich keinen Verteidiger zu nehmen.
Wenn Verteidiger oder ihre Familien versuchen, einen unabhängigen Verteidiger zu engagieren,
verweigern Polizei und Untersuchungsbehörden diesem Verteidiger oft den Zugang zum Gefangenen, bis dieser ein Geständnis abgelegt hat. Die Polizei nötigt Gefangene oft dazu, Unabhängigen
rechtlichen Beistand zu verweigern und drängt sie und ihre Familien dazu stattdessen, die Dienst
von staatlichen Pflichtverteidigern in Anspruch zu nehmen. Diese verteidigen nicht die Interessen
ihrer Mandanten und sind weiterhin nicht bereit, Beschwerden wegen Misshandlungen einzureichen. Selbst wenn Verteidiger Zugang zu ihren Mandanten erlangen, haben sie nicht das Recht
eine unabhängige objektive forensische medizinische Untersuchung zu veranlassen, um Beweise
für die erlittene Folter zu erlangen.
Die Folter findet in allen Haftstätten statt, in denen Untersuchungshaft vollstreckt wird, vor allem in
Polizeikasernen, Provinzabteilungen des Innenministeriums und dem zentralen Gebäude des Innenministeriums in Taschkent. Alle diese Gebäude werden vom Innenministerium verwaltet. Folter
wird weiterhin nach der Verurteilung in den Strafkolonien und Gefängnissen praktiziert, die ebenfalls vom Innenministerium verwaltet werden. Einige der dramatischsten Folterfälle, die dokumentiert sind, geschahen in den Gewahrsamszellen des zentralen Gebäudes des Innenministeriums und
des Taschkenter Polizeipräsidiums. Folter wird ebenfalls in den Gebäuden des nationalen Sicherheitsdienstes praktiziert. In einigen Fällen wurden Gefangene an unterschiedlichen Orten gefoltert.
Die gängigsten Foltermethoden sind das Schlagen mit Fäusten und Gummiknüppeln und Metallstäben, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt, Elektroschocks sowie die Zufügung von Verbrennungen
durch Zigaretten oder brennende Zeitungen, das Aufhängen von Gefangenen an ihren Fäusten oder
Knöcheln sowie die Erzeugung von Erstickungszuständen durch übergestülpte Plastiktüten und
Gasmasken.
Vor 2002 hat die usbekische Regierung keinerlei Anstalten unternommen, Polizei und Sicherheitskräfte für Folterstraftaten verantwortlich zu machen oder diese zu ermitteln.
Da Usbekistan in der Zwischenzeit der UN-Anti-Folter-Konvention beigetreten ist, konnte das Komitee gegen Folter des UN-Menschenrechtskommissars im Jahre 2002 eine umfassende Untersuchung in Usbekistan durchführen und gelangte dabei zu Ergebnissen, die in einem Bericht vom 06.
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Juni 2002 (in Kopie als Anlage) zusammengefasst sind. Das Komitee leitet seine Schlussfolgerungen damit ein, dass es Verständnis zeigt für die Schwierigkeiten in der Überwindung eines totalitären Systems in Richtung einer demokratischen Regierungsform.
Dies könne jedoch nicht als Rechtfertigung für Folter dienen.
Namentlich drückt das Komitee seine Besorgnis über folgende Umstände aus:
• die zahlreichen dauerhaften und glaubwürdigen Berichte über besonders brutale Handlungen von Folter und anderen grausamen inhumanen und entwürdigender Behandlung oder Bestrafung durch Strafverfolgungsbehörden dem Mangel an Zugang für
Rechtsbeistände, Ärzte oder medizinische Experte und Familienangehörigen nach Freiheitsentzug, als Vorkehrung gegen Folter
• die zahlreichen Fälle von Verurteilungen, die auf Geständnissen beruhen und der kontinuierliche Gebrauch des Kriteriums von „gelösten Kriminalfällen“ als Basis für die Belobigung von Strafverfolgungsbehörden, die zusammengenommen mit anderen Bedingungen Voraussetzung für den Gebrauch von Folter und Misshandlung von Gefangenen
schaffen, um Geständnisse zu erzielen.
(vgl. Bericht vom 06.06.2002 CAT/C/CR/28/7).
Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo Van Boven kommt in seinen Berichten vom 3. Februar 2003, vom 13. Februar 2004 und vom 21. Februar 2005 (in Kopie anbei) zu ähnlichen Ergebnissen. Insbesondere stellt er fest, dass Folter in praktisch allen Fällen gebraucht wird, in denen es
um Verbrechen nach Art. 156, 159 und 244 des usbekischen Strafgesetzbuches geht. Hier ginge es
vor allem darum, Geständnisse der in Gewahrsam genommenen Personen zu erlangen und in den
Augen der Öffentlichkeit diejenigen zu bestrafen, die in religiösen oder politischen Aktivitäten in
Opposition zu staatlichen Interessen agieren, also bei sogenannten Staatssicherheitsverbrechen.
3.2 Einzelfälle
Es wird hinsichtlich der zahlreichen berichteten und dokumentierten Einzelfälle zunächst auf die in
der Anlage beigefügten Berichte verwiesen. Einige prägnante Fälle, unter ihnen der nachfolgende
des Menschenrechtsaktivisten M.K., sollen dennoch nachfolgend beschrieben werden.
M.K.
Der Menschenrechtsaktivist M.K. war der Vorsitzende des Büros der Uzbekistan (Human Rights
Society of Uzbekistan (HRSU) in Buston in der Jizzakh- Provinz und ein Vertreter des regionalen
Gremiums der Birlik-(„Einheit“) Oppositionspartei. Mehr als sieben Jahre lang ertrug M.K. Schikanierungen, Verfolgung und durch die Regierung veranlasste Inhaftierung. M.K. befindet sich derzeit
ausserhalb von Usbekistan aufgrund der nach wie vor für ihn bestehenden Bedrohungslage.
M.K. wurde 1998 wegen einer erfundenen Betäubungsmittel-Anzeige verhaftet und mit einer Anzeige wegen religiösen Extremismus bedroht. Er wurde in der Haft so stark gefoltert, dass er permanente Schäden davon getragen hat. Er berichtet gegenüber Human Rights Watch über seinen
Fall :
„Als ich am 3. September 1998 die Strasse entlang ging, hielten mich 4 Männer an. Ich kannte
einen von ihnen und streckte zur Begrüßung meine Hand aus. Er nahm beide meiner Hände, drehte
sie mir auf den Rücken und steckte mich in ein Auto.... Die Männer zu meinen beiden Seiten fingen
an, mich im Auto zu schlagen... sie schlugen mich während der gesamten Fahrt zur benachbarten
Polizeistation.“
Er berichtet weiter, wie er später in der Haftanstalt in dem Innenministerium in Taschkent festgehalten wurde: „Sie fragten mich, ob ich ein ‚Wahhabi’ sei: wo ich studiert hätte, wo ich unterrichten
würde, wer mein Lehrer sei und ob ich O.Q. (O.Q.N.) kennen würde, in welcher Bezeihung ich zu
T.I. (Generalsekretär der HRSU) stehen würde? ... Männer in Zivilkleidung kamen herein und verhörten mich und dann kamen andere und schlugen mich, jeden Tag. Sie legten Papierbögen auf
den Tisch und verlangten, ich solle alles, was passiert war, aufschreiben. Ich schrieb alles auf, sie
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lasen es, aber sie billigten es nicht und schlugen mich. Daraufhin verliessen sie das Zimmer und
meinten, ‚überlege es Dir noch einmal’.
In Bezug auf die Misshandlung durch die Polizei in der Haftanstalt des Innenministeriums sagte er,
„sie schlugen mich mit ihren Fäusten. Einer schlug mir von hinten in die Seiten und sie drehten
mich um und schlugen mir in den Bauch... Ich hatte danach sogar Angst, zu essen. Wenn du so
geschlagen wirst, könnte dein Bauch platzen, daher habe ich nichts gegessen. Die ersten drei Tage
rührten sie mich nicht an, sie befragten mich nur. Dann, nach drei Tagen, wiederholte sich die Situation jeden Tag und sie schlugen mich eine Woche lang.“
M.K. schildert in einem Mitteilungsblatt der Menschenrechtsgesellschaft von Uzbekistan (Human
Rights Society of Uzbekistan-HRSU) im Detail die erlittenen Misshandlungen durch die Polizei. Das
im September 1999 veröffentlichte Blatt zitiert M.K. „über mehrere Tage zwangen sie mich, breitbeinig zu stehen und sie traten mir zwischen die Beine. Manchmal zwangen sie mich, auf den Boden zu liegen, sie fesselten meine Hände auf den Rücken und einer zwang mich auf den Boden in
dem er seinen Fuß zwischen meine Schulterblätter drückte während ein Dritter mich auf meine
Fußsohlen schlug... am häufigsten schlugen sie mir auf den Kopf, was noch lange danach weh tat.“
Am 16. Februar 2004 verhafteten Behörden M.K. erneut. Sie steckten ihn drei Tage in Isolationshaft, bedrohten und zwangen ihn, ein diktiertes Geständnis zu unterschreiben. Er wurde anschließend in einem unfairen Gerichtsverfahren, welches sich auf seine Menschenrechtsarbeit konzentrierte, zu 3 Jahren Freiheitsstrafe wegen angeblichen Waffenbesitzes verurteilt. Das Urteil wurde in einer Berufung zu einer Geldstrafe reduziert.
Die Verfolgung durch Regierungsbehörden eskalierte nach dem Massaker von Andischan am 13.
Mai 2005. Am 30. Mai 2005 reiste M.K. von Jizzakh zum Gebäude des Justizministeriums nach
Taschkent, um an einer von Menschenrechtlern organisierten Demonstration teilzunehmen. Der
Protest richtete sich gegen das Unterlassen der Regierung, die Birlik-Partei zu registrieren. Vier
Männer in Zivilkleidung hielten M.K. fest und zogen seinen Ausweis sowie sein Mobiltelefon ein.
Beamte verhörten ihn 6 Stunden lang und verlangten, dass er durch Unterschrift bestätige, illegal
an einer Demonstration teilgenommen zu haben. M.K. berichtete Human Rights Watch: „sie bedrohten mich und meinten, falls ich Buston nicht verlassen würde, könnte meinen Kindern oder
meiner Frau etwas zustoßen.“ Später, am selben Tag, hielt die Polizei M.K. fest, als er in einem
Internet-Cafe seine E-Mails las.
M.K. wurde erneut am 1. Juni 2005 festgehalten und danach am 13. Juni und wurde während der
Monate Juni und Juli 2005 unter konstante Bewachung und faktischen Hausarrest gestellt. Am 1.
August – nachdem M.K. in Jizzkah den britischen Botschafter in Usbekistan getroffen hatte – hielt
die Polizei ihn erneut fest. Ein ranghoher Beamter drohte ihm, seine Beziehungen zu Fremden einzustellen und Buston innerhalb von 15 Tagen zu verlassen. Er bedrohte darüber hinaus M.K.s Leben, indem er sagte „ich kann dich schlagen oder töten und niemand wird mich dazu befragen.
Was soll ich mit dir machen? In Stücke reissen oder dich totschlagen? Du kannst wählen!“ Am 3.
August, einen Tag vor einem geplanten Treffen in Jizzakh mit dem amerikanischen Botschafter in
Usbekistan, hielt die Polizei M.K. erneut fest. Ein ranghoher Beamter drohte M.K. mit Haft. M.K.
floh aus Jizzakh am 5. August 2005. Nach seiner Flucht aus Buston verfolgten ihn die Behörden
weiterhin und fragten seine Verwandten und Nachbarn nach seinem Aufenthaltsort. Aus Furcht vor
weiterer Verfolgung, ungesetzlicher Haft und Folter, floh M.K. aus Usbekistan.
Der Fall des Imam A.I.
Ein besonders drastischer Einzelfall ist der des Imam A.I.. Der 1968 geborene Absolvent des Islamischen Instituts in Buchhara war Assistent des mittlerweile verschwundenen Imam N.. Als dieser
von seinem Posten als Imam der Tokhtaboy-Moschee 1996 entfernt wurde, inhaftierte man A.I.
und hielt ihn für 15 Tage wegen „Hooliganismus“ inhaftiert. Danach war A.I. in Taschkent 1998 bis
1999 in der Burijar-Moschee als Imam tätig und erlangte schnell eine große Popularität.
Er wurde im Februar 1999 verhaftet und im Polizeigewahrsam geschlagen und gefoltert. Er wurde
anschließend zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Im August 1999 wurde er
auf Bewährung freigelassen. Zu den Bewährungsauflagen zählte die regelmäßige Meldung bei den
Polizeibehörden. Im Juli 2000 wurde er durch die Polizei ein weiteres Mal inhaftiert. Er berichtete,
dass er während der darauf folgenden Untersuchungshaft gefoltert wurde. Im April 2001 wurde er
zu 19 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
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Insbesondere wurde A.I. durch Offiziere des Taschkenter Polizeipräsidiums (MVD) im Verlaufe seines Gewahrsams im Februar 1999 mehrfach geschlagen. Die Offiziere nahmen A.I. auf eine Polizeistation in Raum 190, wo ein Mann, der lediglich als A. identifiziert werden konnte, begann, ihn zu
beleidigen. Dann gingen vier Leute auf ihn los, forderten ihn auf, seine Jacke auszuziehen und setzten ihn in eine Ecke. Sie begannen ihn zu schlagen, drehten ihm die Arme hinter den Rücken und
zwangen ihn zu Boden. Sie schlugen seine Arme und seine Beine und verursachten dabei mehrere
Verletzungen. Ein OSZE-Prozessbeobachter konnte am letzten Tag der gegen A.I. laufenden
Hauptverhandlung notieren, dass der Imam in der Hauptverhandlung die Polizei beschuldigte, ihn
im Vernehmungsraum, aber auch im Aufzug und im Korridor der Polizeistation geschlagen zu haben. Danach, so sagte A.I. aus, wurde er zum Raum 194 verbracht, wo er ebenfalls kontinuierlich
geschlagen wurde. Die Beamten riefen zwei Zeugen herbei, um eine Durchsuchung seiner Habseligkeiten durchzuführen. Bei der Durchsuchung wurde ein Substanz „entdeckt“, die später als Opium identifiziert wurde. Als A.I. abstritt, dass die Drogen ihm gehörten und sich weigerte, eine entsprechenden Polizeireport zu unterzeichnen, schlug die Polizei ihn. Er wurde wegen illegalen Handels von Drogen angeklagt.
Als A.I.s Verteidigerin ihn am nächsten Tag, dem 21.02.1999 aufsuchte, bemerkte sie, dass sein
Körper mit Schlag- und Verbrennungswunden bedeckt war. Nach diesem Zusammentreffen verboten die Behörden A.I., seine Rechtsanwältin und seine Familie zu treffen, bis die Untersuchung
beendet war. Während der Folgemonate waren seine Familienangehörigen noch nicht einmal darüber informiert, wo er gefangen gehalten war. Über darauf folgende Zeit wird berichtet, dass er
zunächst im Keller und später in einer regulären Zelle des Innenministeriums in Taschkent inhaftiert war für eine Woche, bevor er zum Taschkenter Polizeipräsidium verbracht wurde. Nach seiner
Ankunft wurde er befragt, ob er Beschwerden hätte und er antwortete ja, er sei geschlagen worden. Statt diese Beschwerden aufzunehmen, wurde er in einem separaten Raum geschlagen. Er
wurde solange geschlagen und befragt, ob er tatsächlich Beschwerden hätte, bis er sich unter dem
Eindruck der Misshandlungen bereit erklärte, ein Dokument zu unterzeichnen, dass er keinerlei
Beschwerden wegen physischer Misshandlungen gegen die Behörden habe.
In der Gerichtsverhandlung bezeichnete das Gericht, die Schilderungen von Misshandlungen durch
A.I. als erfunden, um seine Bestrafung zu vermeiden.
Nachdem er aufgrund eines Gnadenaktes des Präsidenten entlassen worden war, wurde er im Juli
2000 erneut festgenommen und in Untersuchungshaft gehalten und dort gefoltert. Insgesamt wurde er fünf Monate im Hauptquartier der Taschkenter Polizei (MVD) in Incommunicado-Haft gehalten. Ein Verteidiger wurde in dieser Zeit nicht zugelassen. In seiner Hauptverhandlung sagte A.I.
aus, dass er mehr als zwei Wochen grausam gefoltert worden sei. Die Polizei hätte behauptet, er
besitze Waffen und habe das Versteck von ihm wissen wollen. Er sagte aus, dass die Haut unter
seinen Füßen verbrannt worden war und er an seinen Genitalen verbrannt worden sei.
Bei einer Gelegenheit wurde er nach eigenen Aussagen dem amtierenden Innenminister und Beschuldigten zu 1. persönlich aus einer Folterzelle im zentralen Gebäude des Innenministeriums
vorgeführt, was für ihn ein Ausdruck dafür war, welche Bedeutung die usbekischen Behörden seinem Fall beimaßen. A.I. sagte während seiner Hauptverhandlung aus, dass ihn Z.A. persönlich
befragt und ihn gedrängt habe, die Wahrheit auszusagen. A.I. habe Z.A. erklärt, dass er durch
Angehörige der Polizeikräfte gefoltert worden sei und dass diese ihn dazu gezwungen hätten, zu
gestehen, dass er Waffen besitze, obwohl er diese in Wirklichkeit nicht besäße. Z.A. habe weiterhin
A.I. gedrängt, er möge sagen, wo die Gewehre sein. Als A.I. aussagte, er habe keine Gewehre,
habe Z.A. erwidert, er habe doch bereits einmal ausgesagt, dass da seien Gewehre. A.I. sagte weiter aus, dass er nach dem Zusammentreffen mit dem Minister erneut gefoltert worden wäre und
gezwungen worden wäre, auszusagen, dass die Waffen sich in Kasachstan befänden.
Er gab den Polizisten eine Adresse in Kasachstan als Versteck an. Später teilte die kasachische
Polizei mit, dass es eine solche Adresse nicht gebe. Nachdem die usbekischen Offiziellen an das
Innenministerium von Kasachstan Vorwürfe gerichtet hatten, sie würden es versäumen, die Einfuhr
von Waffen nach Usbekistan zu verhindern, verlangte ein stellvertretender Innenminister der Republik Kasachstan A.I. zu sprechen. Die usbekische Polizei instruierte A.I., bei dieser Begegnung zu
sagen, was sie ihm vorgaben. Da sein Gesicht auf der linken Seite angeschwollen war, wollten sie
ihn schließlich nicht mit dem stellvertretenden Minister reden lassen und bereiteten stattdessen ein
schriftliches Geständnis vor und dieses wurde dann an den kasachischen Regierungsvertreter so
weitergegeben. Schließlich wurde er nicht wegen des Besitzes von Waffen angeklagt (vgl. die Falldarstellung im Human Rights Watch-Bericht, „Creating Enemies of the State“, S. 95 ff., S. 232 ff.).
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4. Folterstraftaten nach 30. Juni 2002
4.1 Allgemein
Trotz der oben angesprochenen Besuche und den Berichten des UN-Sonderberichterstatters für
Folter und des UN-Komitees gegen Folter im Jahre 2002 setzte sich die Praxis von systematischer
Folter im Polizeigewahrsam in Usbekistan fort. Insbesondere fand weiterhin Folter in Untersuchungshaftstätten und Strafhaftanstalten statt, die unmittelbar unter Verwaltung des Ministeriums
für Inneres standen. Weder die Foltermethoden noch die Haftbedingungen änderten sich wesentlich. Lediglich aufgrund des internationalen Drucks fanden seit 2002 mehrere von der usbekischen
Regierung so bezeichneten Untersuchungen wegen Foltervorwürfen statt. In drei Todesfällen in
Haft im Jahre 2004 erlaubte die usbekische Regierung unabhängigen Experten, die Fälle zu untersuchen. Die Experten kamen in diesen Fällen zu dem Schluss, dass Folter und Misshandlungen die
Tode nicht verursacht hätten.
Nichtsdestotrotz bestand und besteht eine Kultur von Straflosigkeit für Folterstraftaten und die
Regierung hat es insgesamt verabsäumt, Verantwortliche für Folter zur Verantwortung zu ziehen.
Die Regierung behauptet zwar, im Jahre 2003 insgesamt 192 Angehörige der Strafverfolgungsbehörden dafür diszipliniert zu haben, dass sie die Strafprozessordnung und die verfassungsrechtlichen Rechte von Beschuldigten verletzt hätten. Aber weder die Natur der Verletzungen noch der
Inhalt der Disziplinarmaßnahmen wurde mitgeteilt. Solche unspezifizierten Berichte existieren
ebenfalls für das Jahr 2002. Insgesamt hat die Regierung keinerlei Schritte unternommen, Folteropfer zu entschädigen oder zu rehabilitieren.
Stattdessen bestreitet die Regierung regelmäßig das Ausmaß des Folterproblems und bezeichnet
die Fälle als Einzelvorkommnisse. So bezeichneten Menschenrechtsorganisationen den Plan der
Regierung zur Implementierung der UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, inhumane
und entwürdigende Behandlung oder Bestrafung vom 09.03.2004 als schwach, weil keine der Empfehlungen des UN-Sonderberichterstatters umgesetzt worden seien.
Insgesamt haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche internationale Institutionen und Menschenrechtsorganisationen mit der systematischen Folter in Usbekistan beschäftigt. Die bereits
wiedergegebene Liste von Berichten belegt eindrücklich das Ausmaß von Folter und Gefangenenmisshandlung auf der einen Seite. Auf der anderen Seite verdeutlicht die Liste, dass Beschwerden
wegen der Folterstraftaten und Gefangenenmisshandlungen ständiges Thema zwischen Vertretern
internationaler Institutionen und der usbekischen Regierung waren.
Eine Zusammenfassung der Situation der Jahre 2002 bis 2005 nach dem Besuch des UNSonderberichterstatters in Usbekistan gibt ein Human Rights Watch-Bericht vom 18.03.2005 mit
dem Titel „Torture Reform Assessment: Uzbekistan’s Implementation of the Recommendation of
the Special Rapporteur on Torture“. In diesem Bericht werden die rechtlichen und praktischen Bemühungen
usbekischer
Behörden
zur
Umsetzung
der
Empfehlungen
des
UNSonderberichterstatters untersucht. Im letzten Kapitel gelangen die Berichterstatter unter der
Überschrift „Fortgesetzte Folter“ zu dem desaströsen Ergebnis, dass unabhängig von dem nationalen Regierungs- Aktionsplan Folter in Usbekistan fortgesetzt wird und die Kultur der Straflosigkeit
sich nicht verändert habe. Das Büro von Human Rights Watch in der Hauptstadt Taschkent habe
zahlreiche ernste Fälle von Foltervorwürfen seit 2002 dokumentiert. In Prozessen, die von der Menschenrechtsorganisation beobachtet worden waren, hätten Richter nach wie vor vollkommene Indifferenz gegenüber Foltervorwürfen gezeigt und Beweise akzeptiert, die mutmaßlich unter Folter
gewonnen worden sind. In Berichten werden u.a. die Fälle von B.M. und A.Y., sowie von F.T. und
J.V. ausführlich dargestellt.
4.2 Einzelfälle
M.A.
Im 17.01.2000 verhaftet der usbekische Geheimdienst (SMB) M.A. wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in Hizb ut-Tahrir. Er wurde zwei Tage lang in dem Gebäude des SMB im Keller gefoltert und
insbesondere elektroschockgefoltert. Mitte 2002 wurde M.A. zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, weil
er basierend auf dem Buch „Die islamische Charta“ Unterrichtsstunden gegeben habe sowie damit
verbundenen Tatvorwürfe. Im Februar 2001 wurde seine Strafe in einem Berufungsverfahren auf
19 Jahre reduziert.
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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Universität Hamburg
M.A. wurde zur Strafvollstreckung in das Jaslyk Gefängnis im Westen von Usbekistan verbracht,
eine Haftstätte, die für ihre harte Behandlung von religiösen Gefangenen bekannt ist. Im Mai 2002
erhielt Human Rights Watch Informationen darüber, dass M.A. im Gefängnis geschlagen und in eine
Strafzelle gesteckt worden sei, weil er sich geweigert habe, seine Gebete zu beenden. Ein Mitgefangener berichtete, dass sowohl M.A. als auch ein anderer religiöser Gefangener, H.A., in so genannte Strafzellen verbracht worden seien als Bestrafung dafür, dass sie ihre religiöse Praxis im
Gefängnis fortsetzten.
Am 08.08.2002 wurde der Körper von M.A. seiner Familie in Taschkent gebracht. Am gleichen Tag
wurde der Familie von H.A. dessen Körper gebracht. Beide waren in Jaslyk zu Tode gefoltert worden. Einzelpersonen berichteten Human Rights Watch, dass diese Körper klare Zeichen von Folter,
insbesondere von Verbrennungen an Füßen, Armen und Unterarmen sowie schweren Verbrennungen an Hals und Nacken aufgezeigt hätten. M.A.s Hände hätten keine Fingernägel mehr gehabt.
Fotografien dokumentierten die Körperverletzungen. Ein Arzt teilte der Familie mit, dass die Verbrennungen nur aufgrund der Verbrühung mit heißem Wasser zugefügt worden sein können. Eine
große Zahl von Polizeibeamten war anwesend, als der Körper von M.A. seiner Familie übergeben
wurde und Polizei kontrollierte die Besucher in dem Haus der Familie und bei der Beerdigung. Polizeifahrzeuge hatten die Gegend weiträumig abgesperrt und alle Besucher auf dem Weg zum Haus
der Familie untersucht und einigen Besucher, wie einer Expertin von Human Rights Watch, den
Zugang verweigert. Angestellte des Büros des Generalstaatsanwaltes K. bedrohten die Familie von
M.A. mehrfach, dass sie keine Interviews über die Umstände von M.A.s Tod geben sollten. Ein Mitgefangener, M.Z., der in den Nachbarzellen gefoltert worden zur gleichen Zeit wie M.A. und H.A.
und später in ein Gefängnis Nr. 46 nahe der Stadt Navui verbracht worden ist, hatte in der Zwischenzeit einem Vertreter der US-Botschaft mitgeteilt, dass der Leiter der Haftanstalt in Jaslyk,
G.S., die drei zu Tode gekommenen Gefangenen mehrfach gesehen hätte, aber keinen Arzt oder
medizinische Hilfe herbeigeholt hätte.
Die internationale Gemeinschaft protestierte in ungewöhnlich starker und vereinter Art und Weise
gegen die brutalen Todesfälle. Repräsentanten der EU, der OSZE und der Vereinigten Staaten trafen sich jeweils mit dem damaligen Außenminister K. und protestierten gegen die Todesfälle und
forderten eine unabhängige Untersuchung. Die usbekische Regierung teilte 2003 mit, dass die zum
Tode führenden Verletzungen aufgrund eines kurzen Kampfes, der wenige Minuten gewährt habe,
zwischen Inhaftierten verursacht worden sei, in dessen Verlauf heißes Wasser über M.A. und H.A.
geschüttet worden sei. Die OSZE beschwerte sich über dieses Untersuchungsergebnis, das mit den
objektiven Befunden nicht in Einklang zu bringen sei. Insbesondere belegte ein forensischer Bericht, den die britische Botschaft in Taschkent veranlasst hatte, auf der Grundlage der Fotografien
von M.A.s Körper, dass dieser multiple Schlagverletzungen und in deren Folge eine Trauma erlitten
hatte. Im übrigen würde das Muster der Verbrennungen auf dem Körper eine Linie auf dem unteren
Brustkorb markieren, was ein klares Anzeichen dafür sei, dass dem Inhaftierten heißes Wasser
beigebracht worden sei, während diese Person in irgendeiner Form in einem Bad oder in einem
Behältnis aufhältig war. Solche Verbrühungen seien nicht aufgrund eines schnellen Übergießens mit
heißem Wasser zu erzielen.
Danach unternahmen die usbekischen Behörden keine weiteren Schritte, um die Todesfälle näher
aufzuklären oder gar die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen.
5. Das Massaker von Andischan am 13. Mai 2002
Am 13.05.2005 kam es in der von über 300.000 Einwohnern bewohnten Provinzhauptstadt im Ferghana-Tal im Wesen Usbekistans nahe der Grenze zu Kirgisien zu dem bisher schwersten Massaker
durch Regierungstruppen mit schätzungsweise 700 bis 1.000 toten Zivilisten.
Das Ferghana-Tal ist nicht nur eine der bevölkerungsreichsten Regionen Usbekistans, sondern wird
auch von mehrheitlich streng gläubigen Muslimen bewohnt. Aufgrund der sozialen politischen und
religiösen Konfrontation im Laufe der 90er war das Tal ein Schwerpunkt der Auseinandersetzungen.
Bereits 1997/1998 kam es nach der Ermordung mehrerer Milizionäre zu einer Verhaftungswelle von
1.000 bis 1.500 Personen. Auch im Anschluss an die oben dargestellten Bombenexplosionen am
10.02.1999 wurden innerhalb von zwei Wochen 200 bis 500 Menschen festgenommen. Aufgrund
von extremen sozialen Spannungen wegen Importrestriktionen und wegen der teilweisen Zerstörung von traditionellen Basarvierteln kam es 2004/2005 zu Demonstrationen und Straßenblockaden.
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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Der unmittelbare Anlass für die Ereignisse am 13.05.2005 in Andischan war ein Strafverfahren
gegen 23 lokale Geschäftsleute, Unternehmer und Handwerker. Diese waren inhaftiert und beschuldigt worden, Mitglieder eine islamischen Gruppierung namens Akrmiya zu sein und den Sturz
der Regierung vorbereitet zu haben. Nach allen Kommentierungen bleibt unklar, ob eine Gruppe
mit diesem Namen tatsächlich existiert. Der Name geht jedenfalls auf einen muslimischen Lehrer
namens A.Y. zurück, der 1992 ein Traktat mit dem Namen „Der Weg zum Glauben“ verfasst hatte.
A.Y. ist – mit kurzen Unterbrechungen – seit 1998 inhaftiert und verbüßt derzeit eine 17jährige
Freiheitsstrafe. Die Geschäftsleute hatten mit ihren Unternehmungen relativ großen wirtschaftlichen Erfolg und waren populär für ihre soziale Beschäftigungspolitik und für darüber hinausgehende Sozialleistungen wie die Errichtung von Schulen. Von einigen Kommentatoren wird gemutmaßt,
dass dieser wirtschaftliche Erfolg den traditionell korrupten Funktionären Anstoß zu den Repressalien gab. Der gegen die Geschäftsleute geführte Strafprozess wurde seit dem 10.02.2005 vor dem
Strafgericht in Andischan verhandelt und wurde an jedem Hauptverhandlungstag mit friedlichen
und schweigsamen Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude begleitet. Am letzten Prozesstag,
dem 11.05.2005 hatten sich mehr als 2.000 Menschen vor dem Termin eingefunden.
Der unmittelbare Anlass für die Ereignisse ist nach den verschiedenen Quellen strittig. Eine Gruppe
bewaffneter Personen soll in der Nacht vom 12. auf den 13.05.2005 zunächst eine Polizeistation
und später eine Kaserne überfallen und dort Waffen geraubt haben. Im Anschluss daran werden
aus dem Gefängnis von Andischan 600, nach anderen Angaben bis zu 2.000 Personen, darunter die
23 angeklagten Geschäftsleute, befreit. Es scheint unklar, aus welchen Personen sich die jeweiligen
angreifenden Gruppen zusammensetzten und ob ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Demonstrationen anlässlich des Prozesses gegen die Geschäftsleute besteht.
Jedenfalls wurde im Laufe des 13.05.2005 eine zentrale Demonstrationsveranstaltung auf dem
Hauptplatz von Andischan, dem Babur-Platz, einberufen. Zu dieser Demonstration fanden sich viele
der aus dem Gefängnis befreiten Personen sowie zwischen 10.000 und 15.000 Zivilisten zusammen. Bereits auf dem Wege zur Demonstration kam es zu mehreren einzelnen Schusswechseln,
deren genaue Ursache und Ausgang unklar ist. So soll es zu Schießereien am Geheimdienstgebäude gekommen sein mit etwa 30 Toten. Im Laufe des Vormittags des 13.05.2005 stürmte eine bewaffnete Gruppe das zentrale Verwaltungsgebäude, den Hokimiyat und nahm ca. 30 Personen,
darunter den Leiter der Staatsanwaltschaft und den Leiter der Steuerinspektion, als Geiseln. Die
Masse der Demonstranten nahm an diesen Ausschreitungen nicht teil. Vielmehr wurde auf dem
Platz auf die sozialen Verhältnisse in der Region und die korrupte unsoziale Wirtschaftspolitik der
Regierung angeprangert.
Nach mittlerweile vorliegenden Protokollen von Telefonkontakten soll ein Teil der bewaffneten
Gruppe unmittelbar Kontakt mit dem usbekischen Innenminister Z.A. aufgenommen haben. Dieser
lehnte jedoch Verhandlungen ab und stellte den Demonstranten Ultimaten.
Bereits im Verlaufe des Tages war es zu einzelnen Schusswechseln gekommen. Militär- und Polizeifahrzeuge fuhren im hohen Tempo an den Demonstranten vorbei und beschossen diese gezielt.
Dabei war es bereits zu mehreren Dutzend Toten gekommen. Nichtsdestotrotz harrten die Demonstranten auf dem Hauptplatz aus. Zum einen mag die desaströse soziale und wirtschaftliche
Lage der Menschen dabei ein Motiv gewesen sein. Zum anderen soll nach mehreren Zeugenaussagen das Gerücht umhergegangen sein, dass Präsident I.K. persönlich auf dem Platz erscheine und
mit der Versammlung über ihre Forderungen wolle.
Dann wurde das Gelände um den Platz von Polizei und Regierungstruppen weiträumig mit Schützenpanzern, LKW und Militärjeeps abgesperrt. Auf höheren Gebäuden und auf Dächern und hinter
Hauseingängen sowie Barrikaden wurden Scharfschützen postiert. Zwischen 17.00 und 18.00 Uhr
sollen Regierungstruppen das Feuer auf die Menschenmassen auf dem Platz eröffnet haben. Von
mehreren Seiten gleichzeitig wurde ungezielt das Feuer auf die Masse der Zivilisten eröffnet. Augenzeugen schilderten das weitere Geschehen dann so, dass ein scheinbarer Ausweg über eine der
Hauptstraßen, den Cholpon-Prospekt, freigelassen wurde. In der Hoffnung, über diese Hauptstraße
entfliehen zu können, flohen die Tausende von Menschen, unter ihnen Frauen, Kinder und alte
Menschen und wurden dabei gezielt von den Regierungstruppen beschossen. Hierbei kam es zu
700 bis 1.000 Toten.
Ein großer Teil von vor allem jungen Menschen und Männern, ca. 500 Menschen, passierte die kirgisische Grenze, nachdem es auch dort zu einer Schießerei gekommen war. Für diese Flüchtlinge
wurde ein Flüchtlingslager errichtet, das Anfang Juni in das Landesinnere der kirgisischen Provinz
Jalal-Abad verlegt wurde. Mittlerweile befindet sich auch ein Großteil der Flüchtlinge in einem von
der rumänischen Regierung verwalteten Flüchtlingslager in Rumänien aufgrund der sich verschär-
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fenden Sicherheitssituation in Kirgisien. Ein weiter Teil der Flüchtlinge wurde in diverse westliche
Staaten u.a. Finnland, Holland und Deutschland verbracht.
Im Anschluss an das Massaker verbreitete die usbekische Regierung zunächst eine Version, wonach
bewaffnete Rebelen für das Blutbad verantwortlich seien. Innerhalb weniger Tage wurden die Straßen von Andischan von Toten und verletzten Personen gesäubert. Die Strassen wurden gewaschen
und blutüberspritzte Gebäudefassaden überstrichen. Allen unabhängigen Journalisten und Menschenrechtlern wurde der Zugang zu Krankenhäusern, Leichenschauhäusern und Friedhöfen, die
alle von bewaffneten Kräften bewacht wurden, verwehrt. Ausländische Journalisten wurden inhaftiert und gezwungen, die Stadt zu verlassen. Ihre Notizen, Filme und Videos wurden von den Behörden beschlagnahmt. Zahlreiche Körper wurden außerhalb der Stadt mit unbekannten Verbleib
transportiert. Bis heute wissen viele Familienangehörigen nicht, wo ihre toten Angehörigen verblieben sind. Nach Zeugenaussagen soll es zumindest zu 2.000 Verletzten gekommen sein, deren weiterer Verbleib teilweise ebenfalls ungeklärt ist. Nach drei Tagen lud die usbekische Regierung internationale Beobachter in die Stadt ein. Die eingeladenen Personen konnten jedoch mit keinen Augenzeugen sprechen. Im weiteren Verlauf kam es dann zu mehreren Aussagen von Augenzeugen,
unter ihnen teilweise prominente Menschenrechtler, die den Ausmaß des von Regierungstruppen
angerichteten Massakers wahrheitsgemäß berichten konnten. Die usbekische Regierung reagierte
darauf mit einer beispiellosen Verhaftungswelle, die vor allem Menschenrechtler und Journalisten
sowie potenzielle Augenzeugen betraf. So befinden sich derzeit der Sprecher der Gruppe ‚Appeliatsa’, S.Z., L.S., beide aus Andischan und sieben weitere Aktivisten aus anderen Städten in Haft. In
der weiteren Abfolge wurden von mehreren internationalen Organisationen umfangreiche Berichte
über den Aufstand veröffentlicht, die größtenteils auf der Befragung von einzelnen Zeugen und vor
allem von Augenzeugen, die sich in die Flüchtlingslager in Kirgisien bzw. Rumänien retten konnten,
beruhten. Die Regierung bemühte sich darum, einzelne Flüchtlinge durch Täuschung und Zwang
zur Rückkehr zu bewegen, verlangte die Auslieferung einzelner Personen von den Aufnahmeländern
und übte massiven Druck auf die im Lande verbliebenen Verwandten der Flüchtlinge aus. Vier Asylsuchende wurden von Kirgisien gegen ihren Willen usbekischen Behörden übergeben, sie „verschwanden“ für zwei Monate und sollen nunmehr vor Gericht gestellt werden.
Nachdem die International Crisis Group am 25.05.2005 ihren Bericht „Usbekistan – Der Aufstand in
Andischan“ und Human Rights Watch am 03.06.2005 den 60seitigen Bericht „Kugeln fielen wie
Regen“ veröffentlicht hatten, kam es auch auf Ebene der Europäischen Union und der OSZE zu
drastischen Stellungnahmen. Die OSZE veröffentlichte einen umfassenden Untersuchungsbericht
am 20. Juni 2005 (OSZE-ODIHIR-Bericht vom 20.06.2005 “Preliminary Findings On The Events In
Andijan, Uzbekistan, 13 May 2005” in Kopie als Anlage anbei) und forderte den OSZETeilnahmestaat Usbekistan auf, eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse zuzulassen. Der
NATO-Rat forderte am 24.05.2005 eine unabhängige Untersuchung der Fälle. Am 13.06.2005 wurde auf einem EU-Außenministertreffen in Luxemburg beschlossen, dass Sanktionen gegen Usbekistan ergriffen würden, wenn keine unabhängige Untersuchung der Ereignisse stattfinden würde.
Insbesondere die US-Regierung forderte die usbekische Regierung zu Untersuchungen auf. Aus
diesem Grunde wurden die USA im Juli 2005 dazu aufgefordert, ihren Stützpunkt in KarschiChanbad aufzugeben und binnen 180 Tagen sämtliche Flugzeuge und Soldaten aus Usbekistan
abzuziehen. Diese Operation wurde nach Pressemeldungen am 24.11.2005 abgeschlossen durch
den Rückzug der letzten Soldaten (vgl. FAZ, 31.07.2005 und 24.11.2005). Am 03.10.2005 ergriff
schließlich der Rat der Europäischen Außenminister Maßnahmen gegen Usbekistan. Ein Waffenembargo wurde verhängt. Das EU-Usbekistan-Kooperationsabkommen wurde eingefroren. Im übrigen
wurde eine gemeinsame Position des Rates am 14.11.2005 mit restriktiven Maßnahmen gegen
Usbekistan abgefasst (Position 2005/792/GASP).
Als in diesem Zusammenhang wohl wichtigste Maßnahme wurde in Art. 3 der Position beschlossen,
dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen zu unternehmen hätten, um die Einreise
oder den Transit der Individuen, die in einer an die Position anschließenden Liste aufgelistet wurden, die direkt verantwortlich für die ungezielten und unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt in
Andischan und die Verhinderung einer unabhängigen Untersuchung sind.
Diese Liste umfasst an der Spitze den Beschuldigten Z.A. sowie die weiteren als Beschuldigten aufgeführten elf Personen.
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Die Anzeigenerstatter, die Opfer der Ereignisse in Andischan waren
Alle vier Anzeigenerstatter waren am 13. Mai 2005 auf dem Bobur-Platz, als usbekische Sicherheitskräfte begannen, die Menschenmasse zu beschießen. Auf sie und ihre Familien wurde wiederholt geschossen. Sie waren gezwungen, den Platz unter heftigem Artilleriefeuer zu verlassen. Sie
beobachteten die Tötung vieler anderer Demonstranten, die sich mit ihnen auf dem Platz befanden.
Die vier flohen mit mehreren hundert weiteren Personen mit einem Fußmarsch nach Kirgisien. Später wurden sie von dem UN- Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) nach Rumänien und schließlich nach Holland transportiert, wo sie sich zur Zeit aufhalten.
II. Rechtliche Würdigung
Die angezeigten Straftaten sind nach deutschem Strafrecht sowohl materiell als auch strafanwendungsrechtlich und prozessual unterschiedlich danach zu bewerten, ob sie vor dem 30.06.2002
oder nach Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches, also nach dem 30.06.2002 stattgefunden
haben.
1. Körperverletzungsstraftaten gemäß §§ 223, 223a, 211 ff. StGB i.V.m. § 6 Nr. 9 StGB
und Art. 5 der UN- Anti-Folterkonvention
In den Todesfällen sind die Tatbestände des Mordes (§ 211 StGB), des Totschlages (§ 212 StGB)
oder der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) gegeben. Darüberhinaus ist in allen Folterfällen der Tatbestand der Gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) in mehreren Tatbestandsalternativen in fast allen beschriebenen Fällen erfüllt, nämlich § 224 I Nr. 2 (begangen mittels Waffe
oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges), Nr. 4 (gemeinschaftlich begangen) und Nr. 5 (mittels einer das Leben gefährdenden Handlung) StGB. Daneben sind in mehreren Fällen die Tatbestände des Menschenraubes (§ 234 StGB) sowie in fast allen Fällen die Tatbestände der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) und der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt.
2. Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB)
In den Fällen mit Tatzeitpunkt nach dem 30.6.2002 liegen verschiedene Tatbestandsvarianten des
§ 7 VStGB, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, vor. Es sind zumindest die Varianten des § 7
VStGB Nr. 1 (Töten eines Menschen), Nr. 5 (Folter), Nr. 7 (Verschwindenlassen), Nr. 8 (schwere
Körperverletzung) , Nr. 9 (schwere Freiheitsberaubung) und Nr. 10 (Verfolgung einer Gruppe) verwirklicht.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB sind die im Tatbestand aufgezählten Einzeltaten, die „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“ begangen wurden.
Das Vorliegen der Einzeltaten ist nach dem oben unter 1. dargestellten Tötungs-, Folter-, Freiheitsberaubungs- sowie Gruppenverfolgungshandlungen unproblematisch. Ein Angriff gegen die Zivilbevölkerung erfordert nach der zur Auslegung des § 7 VStGB heranzuziehenden Art. 7 Abs. 2 a
IStGH-Statuts „eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Abs. 1 genannten
Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der
Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zur Folge hat.“(vgl. Werle,
Völkerstrafrecht Rn. 628 ff.). Entscheidend ist also zunächst, dass sich die Taten gegen eine Zivilbevölkerung schlechthin („any civilian population“) und nicht gegen Einzelpersonen richten müssen. Isolierte Gewaltakte sollten dem Tatbestand nicht unterliegen.
Im vorliegenden Fall richten sich sämtliche unter I. aufgezählten Straftaten gegen die Zivilbevölkerung. Unzweifelhaft handelt es sich bei der politischen Situation in Usbekistan um keine Kriegsoder Bürgerkriegssituation. Auch die Tatsache, dass einzelnen Betroffenen von Folter- oder Tötungsdelikten vorgeworfen wird, sich bewaffnet gegen die Regierung in Usbekistan aufgelehnt zu
haben, nimmt der betroffenen Gruppe insgesamt nicht den Charakter der Zivilbevölkerung. Denn
für die Bestimmung der Zivilbevölkerung soll „die Schutzbedürftigkeit der Opfer, die aus ihrer
Wehrlosigkeit gegenüber staatlicher, militärischer oder sonst organisierter Gewalt folgt“, ausschlaggebend sein. Die Zivilpersonen, die zum Zeitpunkt der Tatbegehung nicht Teil einer organi-
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sierten gewaltanwendenden Macht sind, die ihrer tatsächlichen Rolle in diesem Zeitpunkt nach
nicht an Feindseeligkeiten teilnehmen, sind ebenso wie gefangengenommene Soldaten oder Teilnehmer an bewaffneten Auseinandersetzungen im Kriegsfalle taugliche Tatobjekte als Teil der Zivilbevölkerung. Die obigen Ausführungen insbesondere zur Errichtung eines systematischen Folterregimes in Usbekistan belegen, dass es sich um einen ausgedehnten und systematischen Angriff
auf die Zivilbevölkerung handelt. Die systematische Anwendung von Folter und von Misshandlungen geht letztlich aus der Gesamtheit der oben dokumentierten Menschenrechtsberichte hervor,
nicht zuletzt aus den ausdrücklichen Feststellungen des UN-Sonderberichterstatters, Theo van
Boven, in seinen Berichten.
3. Das Andischan-Massaker als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB)
Selbst im Falle der Auseinandersetzung von Andischan kann die Anwesenheit von einzelnen bewaffneten Elementen innerhalb der zehntausendköpfigen Menge von Demonstranten den Charakter
dieser Menschenmasse als Zivilbevölkerung aufgrund der genannten Kriterien nicht aufheben (vgl.
m.w.N. Werle, Rn. 629 bis 633).
Allein die Zahl der Todesopfer und Verletzen im Falle der Auseinandersetzung von Andischan belegen eindrücklich, dass es sich bei dem koordinierten Vorgehen von den unterschiedlichen Einheiten
der staatlichen Sicherheitskräfte um einen ausgedehnten Angriff im Sinne von § 7 VStGB handelte.
Auch der Bundesgesetzgeber ist der Auffassung, dass dann ein ausgedehnter Angriff dann vorliegen soll, wenn er „eine große Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung fordert“ ( vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/8524 S. 20)
Das für die Erfüllung des Tatbestandes der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erforderliche „Politikelement“ liegt ebenfalls vor, da die Darlegungen systematische Folterstraftaten und dem militärisch organisiertes Andischan-Massaker belegen, dass die Repressionsmaßnahmen Ausdruck der
Politik der Regierung von Usbekistan sind. Im übrigen belegen die umfangreichen Bemühungen der
usbekischen Regierung, eine Aufklärung der Ereignisse zu verhindern und Augenzeugen und Betroffene zu inhaftieren und bedrohen, diesen Befund. An der unmittelbaren Beteiligung von staatlichen Funktionsträgern bestehen keinerlei Zweifel.
III. Die strafrechtliche Verantwortung der Beschuldigten, insbes. des Z.A.
Zur Beschreibung der Rolle der Beschuldigten und einer ersten Einschätzung ihrer strafrechtlichen
Verantwortung könnte man sich zunächst darauf beschränken, allgemein auf die bereits mehrfach
angesprochene gemeinsame Position der Europäischen Union 205/792/GASP vom 15.11.2005 betreffend restriktive Maßnahmen gegen Usbekistan zu verweisen. Denn die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gem. § 160 Abs. 1 StPO setzt zunächst nur einen Anfangsverdacht voraus. Dieser
liegt im vorliegenden Fall bereits schon deswegen vor, weil die Europäische Union in Art. 3 der angesprochenen gemeinsamen Position beschlossen hat, die notwendigen Maßnahmen zu unternehmen, um die Einreise oder den Transit der oben genannten Beschuldigten in einen Mitgliedsstaat zu
verhindern, weil offensichtlich nach den bei der Europäischen Union vorliegenden Informationen
diese Personen direkt verantwortlich für den wahllosen und unverhältnismäßigen Gebrauch von
Gewalt bei dem Massaker von Andischan und der Verhinderung einer nachfolgenden unabhängigen
Untersuchung sind.
Insofern wird angeregt, über die beteiligten Bundesministerien die Informationen beizuziehen, die
zu der geschilderten Auffassung der Europäischen Union geführt haben.
Darüber hinaus lässt sich allerdings über die Rolle des Beschuldigten Z.A. einiges mehr ausführen.
Denn er hat als amtierender Innenminister sowohl bezüglich der Folterstraftaten und vor allem bei
dem Einsatz von Regierungstruppen gegen die Zivilbevölkerung in Andischan am 13.05.2005 eine
herausragende Rolle gespielt.
Allgemein ist zur Struktur der Exekutive in Usbekistan auszuführen, dass der Präsident von Usbekistan das Staatsoberhaupt und die oberste Autorität der Republik ist und als Sprecher des Kabinetts der Minister gem. Art. 89 der usbekischen Verfassung fungiert. Das Kabinett wird durch ihn
in der Weise geleitet, dass er Minister einstellen und entlassen kann und diese dann vom Parlament
bestätigt sein müssen.
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Innerhalb des Kabinetts spielt der Minister für Inneres eine hervorgehobene Rolle. Er ist dem Präsidenten untergeordnet und dem Präsidenten, dem Rest des Kabinetts und dem Parlament verantwortlich (vgl. Art. 2, 3, 15 des Statuts über das Ministerium für Inneres der Republik Usbekistan).
Gem. Art. 16 des Statuts ist der Innenminister verantwortlich für die materielle und technische
Ausstattung der internen Regierungstruppen. Der Minister fungiert gleichzeitig als Oberbefehlshaber für die motorisierten Elemente der Polizei sowie die internen Truppen. Er ist ermächtigt, alle
Mittel, inklusive Gewalt einzusetzen „um massive Störungen und andere außerordentliche Umstände auf dem Territorium der Republik zu lösen“. Er ist ebenfalls ermächtigt, die Spezialeinheiten der
Polizei einzusetzen, um die nationale Sicherheit und außerordentliche Umstände auf dem Territorium der Republik zu regeln.
Z.A. wurde in Taschkent in 1949 geboren. Von 1967 bis 1971 war er als Metallarbeiter, danach bei
den Sowjetischen Streitkräften tätig. In den Jahren 1971-76, arbeitete Z.A. im Ministerium des
Inneren. 1976 graduierte er an der Rechtsfakultät der Staatlichen Universität von Taschkent. Von
1976 bis 1991 hatte er diverse Regierungsfunktionen inne, u.a. Leiter des Taschkenter RegionalExekutiv-Komitee des Ministeriums des Inneren und Leiter der Kriminaluntersuchungsabteilung.
Der Beschuldigte Z.A. ist seit dem 16. September 1991 Minister für Inneres von Usbekistan. (Biografie nach Radio Free Europe/Radio Liberty)
Der Innenminister in Usbekistan ist der Kopf der mächtigsten Sicherheitsbehörde der Republik.
Nach einer Studie des Open Society Institute sind die Polizeikräfte Usbekistans wie in anderen
zentralasiatischen Staaten wesentlich mächtiger als die Militärs und haben ihre eigenen bewaffneten Einheiten, die für die innere Kontrolle eingesetzt werden (vgl. Dimitry Pashkun, „Structure
practice of State Administration in Uzbekistan“, Open Society Institute, Budapest 2003, S. 32).
Dementsprechend ist auch das Auftreten von Innenminister Z.A. bei verschiedenen Gelegenheiten
im Falle innenpolitischer Auseinandersetzungen in Usbekistan ausgefallen. So hat er bspw. bei einem Treffen von örtlichen Führern im November 2002 ausgeführt, „dass Usbeken gnadenlos gegen
Terroristen kämpfen müssen. Nur in diesem Fall wird unsere Ideologie verteidigt“ (vgl. BBCÜberschrift und Übersetzung einer Sendung des usbekischen Fernsehkanals TV 1 vom 31.10.2002).
Auch bei anderen Gelegenheiten war Z.A. derjenige Minister der usbekischen Regierung, der auf
vermeintliche oder wirkliche terroristische Bedrohungen reagiert hat. So hat er nach dem
11.09.2001 eine erhöhte Sicherheitsstufe angeordnet und interne Regierungstruppen in der gesamten Republik in Alarmbereitschaft versetzt (vgl. BBC-Übersetzung eines Berichtes von Interfax
News Agency Moskau vom 26.09.2001).
Nach den bisherigen Feststellungen und Äußerungen zur Beteiligung von Regierungstruppen an
dem Massaker von Andischan ist davon auszugehen, dass diese Truppen unter der effektiven Befehlsgewalt des Innenministers Z.A. standen. Dies kommt bspw. in einem Schreiben der USAußenministerin C.R. an den Senator J.B. des US-Senates zum Ausdruck, in dem es wie folgt heißt:
„Es scheint so, dass die meisten der Einheiten, die in die Andischan-Tragödie verwickelt waren,
zum Ministerium für Inneres gehörten sowie einige Elemente des nationalen Sicherheitsdienstes,
der Grenztruppen und des Verteidigungsministeriums ebenfalls beteiligt waren. Einige Augenzeugen hatten berichtet, dass die Einheit des Ministeriums für Inneres direkt in die Ereignisse verwickelt waren.“ (vgl. Brief der Außenministerin C.R. vom 27.07.2005)
Ein Augenzeuge, der von Human Rights Watch interviewt wurde, konnte berichten, dass am Morgen des 13.05.2005 keine Polizisten auf der Straße waren, aber in der Nähe des Polizeipräsidiums
eine große Anzahl von Polizisten voll bewaffnet und mit kugelsicheren Westen versammelt war.
Zahlreiche Medienveröffentlichungen wiesen drauf hin, dass Andischan am 13.05.2005 von einem
soliden Ring von Einheiten von usbekischen Truppen und insbesondere usbekischer Polizei umschlossen war. Diese Truppen bestanden aus größeren Einheiten von Regierungstruppen und Personal des Ministeriums für Inneres. Auf der Straße in Richtung des kirgisischen Ortes Osh waren
etwa zehn Checkpoints der Polizei MVD eingerichtet. Am 14.05.2005 wurde in der Presse berichtet,
dass Andischan unter totaler Kontrolle der Behörden von Usbekistan steht, auch wenn einzelne
Schüsse noch zu hören sind. Darüber sei die Presse von einem MVD-Angehörigen informiert worden, der anonym bleiben wollte.
Auf der Liste der Personen, die nicht in die Europäische Union einreisen dürfen, befinden sich der
Generalmajor V.M. (Beschuldigter zu 9) sowie der Oberst V.T. (Beschuldigter zu 11). Die beiden
Männer sind die verantwortlichen Kommandeure für ein Bataillon, das als „Bars“ bzw. einer Spezialtruppe des 7. Direktorates angesehen wird. Die Tatsache, dass sich die Kommandeure dieser
beiden Eliteeinheiten auf der Liste befinden, belegt, dass die Europäische Union davon ausgeht,
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dass sie an den Ereignissen von Andischan beteiligt waren. Als Vorgesetzter dieser beiden Einheiten
ist Innenminister Z.A. unmittelbar verantwortlich.
In einer Vielzahl von offiziellen Verlautbarungen war im übrigen davon die Rede, dass Z.A. selbst
die Befehlsgewalt zur Niederschlagung des Aufstandes Andischan hatte. Anlässlich des EUGipfeltreffens vom 09.06.2005 meldete Reuters, dass Innenminister Z.A. offiziell Verantwortung
darüber hatte, die Rebellion in Andischan niederzuschlagen, eine Maßnahme, die die usbekische
Regierung als erfolgreiche Operation gegen Terroristen und Banditen bezeichnet hatte (vgl. Reuters
News vom 09.06.2005). Eine Reihe von Journalisten berichteten, dass Z.A. für die Sicherheitskräfte
verantwortlich war, die später in die Protestmenge im Osten der Stadt gefeuert haben (vgl. Jeremy
Page und Antony Browne, The Times, 18.11.2005). Präsident I.K. selbst hat gegenüber der Presse
geäußert, dass die Regierung in direkten Verhandlungen mit einem Teil der protestierenden Menge
stand. In erster Linie hätte die Regierung dem usbekischen Innenminister Z.A. diese schwierige
und komplizierte Aufgabe übergeben. Z.A. hätte permanent die Verhandlungen über das Telefon
geführt (vgl. BBC, Transkript und Übersetzung einer Sendung des 1. Usbekischen Radios vom
14.05.2005). Weiter hieß es darüber hinaus, dass der usbekische Innenminister Z.A. und der Gouverneur der Region, S.B., Beschuldigter zu 5., die Verhandlungen geführt und Repräsentanten der
Öffentlichkeit ebenfalls daran teilgenommen hätten (vgl. BBC, Transkript und Übersetzung einer
Sendung des 1. Usbekischen Fernsehens vom 14.05.2005). Im übrigen äußerte sich Z.A. selbst in
bezug auf einen der bewaffneten Personen innerhalb der protestierenden Menge, K.P., dass dieser
der Mann gewesen sei, mit dem er Z.A. am 13.05.2005 gesprochen habe. Nach Beendigung der
Demonstration „haben wir weder seinen Körper gefunden noch befand er sich unter den gefangenen Militanten“ (vgl. „The Times of central Asia“ vom 18.05.2005). In dem OSZE-Bericht zu den
Ereignissen vom 13.05.2005 heißt es ebenfalls:
„Gegen 13.00 Uhr, so wird berichtet, fand eine telefonische Besprechung zwischen einem der Organisatoren der Protestveranstaltung und dem Minister für Inneres Z.A. statt. Die Organisatoren
forderten Freiheit, Demokratie und die Freilassung von politischen Gefangenen, einschließlich A.Y..
Der Minister für Inneres soll geantwortet haben, dass er ihre Forderungen bedenkt und sie zurückrufen würde. Der Menge wurde über dieses Gespräch berichtet und bejubelte das Ergebnis. Eine
Stunde später, während einer anderen telefonischen Unterhaltung zwischen den beiden, soll Z.A.
gesagt haben, dass die Protestveranstaltung augenblicklich zu beenden sei. Falls dies nicht der Fall
sei, würden Sicherheitskräfte schießen. Er bot den Protestierenden einen Korridor nach Kirgisien an
und befahl den Protestierenden Usbekistan zu verlassen. Er soll sie Terroristen genannt haben und
ausgeführt haben, dass Terroristen keinen Platz in Usbekistan hätten.“ (vgl. OSZE-Bericht, S. 22).
In dem Human Rights Watch-Bericht heißt es ebenfalls, dass eine der bewaffneten Personen innerhalb der protestierenden Menge Kontakt zu hohen Regierungsoffiziellen aufgenommen habe und
insbesondere mit Innenminister Z.A. zu verhandeln begonnen habe. Nach der Aussage eines Zeugen, der im Gebäude des Hokimiyat anwesend war, soll der als Geisel genommene Staatsanwalt
der Stadt dem bereits erwähnten A.P. Z.A.s Telefonnummer gegeben haben und A.P. dazu gedrängt haben, Z.A. persönlich anzurufen. Der Staatsanwalt habe ausgeführt, dass er sicher sei,
dass die Regierung die Forderungen der Protestierenden anhören würde, zumal wenn die Funktionäre realisieren würden, wie groß die Menge der Protestierenden sei. Der Zeuge sagte weiter aus,
dass A.P. daraufhin Z.A. angerufen und die Verhandlungen begonnen habe. Präsident I.K. gab bei
mehreren Gelegenheiten bekannt, dass Minister Z.A. den Kontakt zu den Geiselnehmern in Hokimiyat gehalten habe (vgl. BBC, Monitoring Central Asia vom 14.05.2005).
Schließlich wird berichtet, dass das letzte Telefonat zwischen Z.A. und A.P. gegen 17.00 Uhr am
Nachmittag des 13.05.2005 stattgefunden habe. Etwa 15 bis 20 Minuten bevor der Sturm der Regierungstruppen auf den Platz und die protestierende Menge begonnen habe. Bei dieser Gelegenheit habe Z.A. eine Warnung an die Protestierenden gerichtet. Er soll gesagt haben, dass wenn
nötig, 300 bis 400 Menschen umgebracht würden (vgl. Galima Bukharbaeva, „Blood in the Streets
of Andijan“, The Wallstreet Journal Europe vom 17.05.2005).
Der Beschuldigte Z.A. ist nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft strafrechtlich verantwortlich für das gesamte angezeigte Geschehen. Die Prinzipien der
Rechtssprechung zur strafrechtlichen Verantwortung der ehemaligen DDR-Politbüromitglieder sind
in vollem Umfange auf sie anwendbar ( vgl. insbesondere BGH, NJW 1994, Seite 2703 ff).
Nach dieser Rechtssprechung verwirklicht der Hintermann den Tatbestand dann, wenn er durch
Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag
regelhafte Abläufe auslöst. Derartige Rahmenbedingungen kommen insbesondere bei staatlichen,
unternehmerischen oder geschäftsähnlichen Organisationsstrukturen in Betracht. Handelt der Hin-
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termann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des
unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft. Den Hintermann in solchen Fällen nicht als den Täter zu behandeln, würde dem objektiven
Gewicht seines Tatbeitrages nicht gerecht, zumal häufig der Verantwortlichkeit mit größerem Abstand zum Tatort, nicht ab, sondern zunimmt“ (BGH a. a. O. Seite 2706).
Die bisherigen Erkenntnisse über seine Rolle bei dem Massaker am 13.05.2005 legen nahe, dass
Z.A. selber als mittelbarer Täter der am 13.05.2005 begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich verantwortlich ist. Bezüglich der weiteren elf Beschuldigten müssen die Ermittlungen abgewartet werden, um zu beurteilen, ob diese ebenfalls als mittelbare Täter bzw. als
Mittäter, Anstifter oder Gehilfen gem. §§ 25 f. StGB haftbar sind.
Vorgesetztenverantwortlichkeit (§ 4 VStGB)
Im übrigen ist Z.A. nach den Kriterien der Vorgesetztenverantwortlichkeit gem. § 4 VStGB verdächtig.
Die Verantwortlichkeit von militärischen und zivilen Vorgesetzten ist seit den Nürnberger und dem
Tokioter Kriegsverbrechertribunalen sowie den UNWCC-Prozessen völkergewohnheitsrechtlich anerkannt (vgl. Kai Ambos, Der allgemeine Teil des Völkerstrafrechtes, S. 666 ff, 97 ff m. w. N., Werle, a.a.O., S. 178 ff). Das Prinzip der Vorgesetztenverantwortlichkeit ist danach durch die internationalen Strafgerichtshöfe für Ruanda und Jugoslawien in zahlreichen Fällen bestätigt worden (vgl.
Werle, a.a.o., S. 180 m.w.N. ) und im römischen Statut des internationalen Strafgerichtshof wird
die Materie in Artikel 28 geregelt.
Aufgrund des verfassungsrechtlich abgesicherten Schuldprinzips im deutschen Strafrecht regelt das
Völkerstrafgesetzbuch die Vorgesetztenverantwortlichkeit abweichend vom ISTGH-Statut in drei
verschiedenen Normen, nämlich § 4, § 13 und § 14 VStGB. Die für die nachfolgenden rechtlichen
Erwägungen wichtigste Vorschrift des § 4 VStGB lautet wie folgt:
„Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter
Absatz 1:
Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen
daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des StGB findet in diesem Fall keine Anwendung.
Absatz 2:
Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehlsoder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die
in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle
ausübt.“
Im Einzelnen setzt die Strafbarkeit nach § 4 VStGB ein Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis, ein
durch den Untergebenen begangenes Völkerrechtsverbrechen als Folge der Aufsichtsverletzung, die
Kenntnis dieses Völkerrechtsverbrechen sowie schließlich das Unterlassen der gebotenen Maßnahmen durch den Vorgesetzten voraus.
Das Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis erfordert bei militärischen Befehlshabern, dass sie innerhalb eines militärischen Verbandes Befehlsgewalt („command“) inne haben (vgl. Werle, a.a.O.,
S. 181 ff, Ambos, a.a.O., S. 673 ff). Entscheidend ist jedoch nicht die formale Befehlsgewalt.
„Vielmehr kann eine Einstufung als Vorgesetzter immer unter Berücksichtigung der tatsächlichen
Befehls- und Weisungsverhältnisse im konkreten Fall begründet werden“ (vgl. Werle, a.a.O.). Für
zivile bzw. nicht militärische Vorgesetzte ist kennzeichnend, dass sie effektive Kontrollmöglichkeiten über Personen ausüben. Ambos spricht von tatsächlicher Führungsgewalt und Kontrolle.
Die Voraussetzung des Grundverbrechens erfordert ein in Folge des Versäumnisses des Vorgesetzten begangenes Völkerrechtsverbrechen.
Der Vorgesetzte macht sich dann nach § 4 VStGB strafbar, wenn er die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen unterlässt. Er muss über die tatsächlichen Möglichkeiten verfügen, das Völ-
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kerrechtsverbrechen zu verhindern oder Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Weiterhin sind
die erforderlichen und angemessenen Gegenmaßnahmen durch ihn zu ergreifen.
Während es für eine Strafbarkeit nach Art. 28 IStGH genügt, dass der Vorgesetzte die Verbrechen
seiner Untergebenen hätte kennen müssen, setzt § 4 VStGB Vorsatz, also mindestens dolus eventualis, voraus.
Gemessen an diesen Kriterien ist der Beschuldigte Z.A. nicht nur für das Massaker vom 13.05.2005
in Andischan als Vorgesetzter unmittelbar strafrechtlich verantwortlich, sondern für die oben bezeichneten Folterfälle.
Nach übereinstimmenden Aussagen des Präsidenten I.K. und des Beschuldigten selbst sowie weiterer Augenzeugen war er am 13.05.2005 der verantwortliche Regierungsfunktionär zur Niederschlagung der Protestdemonstration in Andischan. Dies kommt zum einen dadurch zum Ausdruck, dass
er selber die Verhandlungen mit den teilweise bewaffneten Geiselnehmern während des gesamten
Tages geführt hat und diesen gegenüber den Einsatz von Gewalt angedroht hat und dass schließlich kurz nach dem letzten Gespräch, in dem diese Drohung noch einmal erneuert wurde, der Einsatz von Gewalt tatsächlich erfolgte. Z.A. ist im übrigen Oberbefehlshaber der meisten am
13.05.2005 eingesetzten Truppen gewesen.
Bezüglich der Foltertaten ist festzuhalten, dass im Prinzip sämtliche Haftstätten, in denen Untersuchungshaft und sämtliche Haftanstalten, in denen später Strafhaft vollstreckt wird unter dem Oberkommando des Innenministers Z.A. stehen. Lediglich einige Gewahrsamsstätten befinden sich in
den Händen des Sicherheitsdienstes. Aber in den oben angesprochenen Einzelfällen wurden die
Betroffenen an Orten und von Personal gefoltert, das dem Innenminister Z.A. direkt unterstand.
Z.A. ist auch in vielfältigster Weise über die Tatsache informiert (gewesen), dass in seiner Verwaltung stehenden Haftanstalten und durch ihm unterstelltes Personal in vielfältiger Weise gefoltert
worden ist und gefoltert wird. Dies ist zum einen belegt durch die Vielzahl der veröffentlichten
Menschenrechtsberichte, die bereits oben unter 1. im Rahmen des Sachverhaltes geschildert wurden. Weiterhin haben sich eine Vielzahl von Vertretern der bezeichneten Menschenrechtsorganisationen sowie der UN und der OSZE und diplomatisches Personal bei diversen Gelegenheiten mit
Z.A. und der gesamten usbekischen Regierung ins Benehmen gesetzt, um die Beendigung der systematischen Folter in usbekischer Haft zu fordern.
Hierbei ist an erster Stelle der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo van Boven zu
nennen. Van Boven besuchte das Land im Rahmen einer UN-Mission im Jahre 2002, sein Report
vom Jahre 2003 basiert auf dieser Mission. Anlässlich seines Besuches hat er Z.A. getroffen und
das Thema der andauernden Folter in Usbekistan mit ihm besprochen. Eine Vielzahl von ehemals in
Usbekistan eingesetzten Diplomaten kann dies ebenfalls bezeugen. Im Einzelnen werden die als
Zeugen in Betracht kommenden Personen unten unter V. (Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche
Strafverfolger) bezeichnet werden.
Human Rights Watch führt zum Beleg für die Informiertheit von Z.A. über die systematische Anwendung von Folter folgende Besprechungen einzelner Mitglieder der Organisation mit dem Innenministerium und Briefwechsel zum Thema ‚Folter’ auf :
“Meetings with Minister of the Interior Z.A. or his Deputy regarding torture
• The Special Rapporteur on Torture met with Minister of Interior Z.A. during his mission in
November/December 2002.
• On October 28 1999, J.F., chair of Human Rights Watch’s Board of Directors, and H.G.,
director of the Europe and Central Asia division of Human Rights Watch, met with the Deputy Minister of Interior S.A. in Tashkent and presented HRW’s concerns about torture, including the case of the death in custody of F.U. and the torture of B.S.. The Deputy Minister claimed that complaints about ill-treatment while in police custody were simply attempts by detainees to interfere with the process of the investigation: “Of course, regarding complaints of ill-treatment during interrogation, yes, we’ve received such complaints.
Such complaints are regular and [were] even directed at me. But of course there are no
cases when the criminal agrees freely to work and cooperate with us…. These statements
are rare and such complaints actually are submitted by people who want to escape from
criminal responsibility.” [“And It Was Hell All Over Again…,” p. 47.]
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• In December 2000, K.R., executive director of Human Rights Watch, met with the Deputy
Minister of Interior S.A. and presented the findings of Human Rights Watch’s report “And It
Was Hell All Over Again…”: Torture in Uzbekista, including raising a number of specific
cases of torture and ill-treatment and pressing the Deputy Minister to hold torturers accountable.
• On March 30, 2004, R.D., then-acting director of the ECA division of HRW, together with
A.S. and A.G., met with R.K., deputy minister and head of GUIN (prison administration)
and M.G., (then) chief of staff at GUIN, as well as I.P., head of the republic department of
counterterrorism to present the findings from our report "Enemies of the State," and to set
out specific concerns relating to allegations of MVD torture and mistreatment of detainees
in pre-trial and post-conviction
• On December 17, 2004, R.D., S.K., a member of HRW’s Board, C.B., HRW’s Associate Director, and A.G. met with Col. A.S. (was then head of the investigations directorate, now is
a deputy minister), A.Z. (expert in Religious extremism), A.S. (newly appointed MVD expert in human rights) to discuss our concerns regarding torture and the ongoing atmosphere of impunity.
• It should also be noted that the U.S. Embassy reports that it raises torture cases with Minister Z.A. on a regular basis. Other embassies, as well as the representative of the Organization for Security and Cooperation in Europe in Tashkent, may also raise torture concerns in regular meetings with Z.A. and other senior government officials. It is unclear
whether any of these officials would be able or willing to testify against Z.A.. However, there is at least one former diplomat who would be willing to testify about his meetings with
Z.A.
Letters on Torture Sent to the Minister of Interior Z.A. or other Ministry of Interior Staff
Human Rights Watch sent numerous letters to the Uzbek government setting out our concern
regarding torture or asking for additional information regarding torture. The following letters were
either sent directly to Minister of the Interior Z.A. or he was copied on the correspondence:
Case reporting:
August 31, 1998
• Reported human rights violations, including torture, committed prior to and during the
Supreme Court criminal trial [torture allegations in cases of I.P., N.Y., J.Y. (who was sixteen years old, and U.Y.)]
August 1, 2000
• Reported information on T.A. case (relatives of a prisoner were harassed for their contact
with human rights organizations)
March 22, 2001
• Reported a death from torture in MIA custody (case of E.U.)
August 19, 2002
• Additional reporting on Y.R. case (torture). Initial letter was sent to President K. on June
21, 2002
January 7, 2005
• Reported death of S.U. in Novoi prison 64/29 on January 2, 2005
Information Requests:
November 11, 1997
• Info request re widespread police abuse [received response no.6/983 from December 17,
1997]
August 1, 2000
• Info request re efforts to combat torture, the status of human rights work, and the pro
blem of domestic violence
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• Specific request to provide info for a report on torture [And It Was Hell All Over Again:
Torture in Uzbekistan]
February 7, 2000
• Info request for a report on torture [And It Was Hell All Over Again: Torture in Uzbeki
stan]
Government’s Acknowledgement of Torture
Before U.N. Committee against Torture
•
The Uzbek government’s own Initial Report to the United Nations Committee
against Torture confirmed in 1999 that citizens’ complaints of police abuse,
including physical and psychological ill-treatment, were in fact increasing. [U.N.
Committee against Torture “Consideration of Reports Submitted by States Parties
Under Article 19 of the Convention: Initial Reports of States Parties Due in 1996
Addendum: Uzbekistan,” 24 August 1999, please see attached file]
By government officials
•
In meeting with HRW in October 1999, A.S., head of the (government)
Center for Human Rights, acknowledged that there is a problem of torture and
that it is obvious from people’s complaints [Holly’s notes from meeting with
A.S.]
•
National Action Plan, June 2004 [UN document A 15916, please see attachment]
•
The measures, taken by the Government of the Republic OF Uzbekistan in the field of
providing and encouraging human rights [Document circulated by the Uzbek Embassy,
please see attachment]”
Es steht somit zweifelsfrei fest, dass Innenminister Z.A. als Befehlshaber bzw. als ziviler Vorgesetzter sowohl bezüglich der Folterstraftaten als auch bezüglich des Massakers von Andischan am
13.05.2005 effektive Befehlsgewalt inne hatte. Er war über alle Ereignisse in seinem Verantwortungsbereich bestens informiert, wie die Zeugenaussagen und Berichte eindrücklich belegen. Es
besteht im übrigen kein Zweifel daran, dass er die effektive Möglichkeit gehabt hätte, die Folterstraftaten und das in Andischan begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern.
Damit ist eine Vorgesetztenverantwortlichkeit nach § 4 VStGB gegeben.
Im übrigen kommen sowohl für den Beschuldigten Z.A. als auch für sämtliche weitere Beschuldigte
als sonstige Straftaten die Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 13 VStGB sowie das Unterlassen
der Meldung einer Straftat nach § 14 VStGB in Betracht.
IV. Begründung der deutschen Strafgewalt gem. § 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 5 der UN-AntiFolterkonvention und § 1 VStGB und Verfolgungsermessen, § 153f StPO
Als Ergebnis der im vorhergehenden Abschnitt vorgenommenen rechtlichen Würdigung ist folgendes festzuhalten: Materiellrechtlich gesehen sind die hier angezeigten Taten als Tötungsdelikte (§§
211 ff StGB), Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff StGB) und Straftaten gegen die persönliche Freiheit (§§ 235, 239 ff StGB) und als Foltertaten im Sinne der Anti-Folter-Konvention und schließlich –
die nach dem 30. Juni 2002 begangenen- als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ( § 7 VStGB) zu
sehen.
Strafanwendungsrechtlich gilt für die Foltertaten das deutsche Strafrecht gem. § 6 Nr. 9 StGB
i.V.m. Art. 5 der UN-Anti-Folterkonvention. Für die nach diesem Datum, also nach dem Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches, begangenen Taten gilt zusätzlich § 1 VStGB sowie die flankierende strafprozessuale Norm des § 153f StPO.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Begründung der deutschen Strafgewalt und dem (eventuellen) Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft.
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Für die Folterdelikte gilt das deutsche Strafrecht aufgrund der Generalklausel des § 6 Nr. 9 StGB.
Hier besteht bezüglich der Folterstraftaten vor Geltung des Völkerstrafgesetzbuches die Auffassung, dass durch das Übereinkommen gegen Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984, jedenfalls nach Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes
vom 06.04.1990 (BGBl 1990 II, 246) – ebenfalls vorbehaltlich eines eventuellen Erfordernisses des
Inlandsbezuges – das deutsche Strafrecht gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2001 – 3 StR 372/00, S.
8f. , Schönke/Schröder-Eser, StGB 26. Auflage, § 6 Rd 11, jeweils m. w. N.).
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 StGB alter Fassung galt für die im § 6 aufgezählten Katalogtaten das Weltrechtsprinzip, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters, dem Recht des
Tatortes und dem Tatort. Dennoch entwickelte die Rechtssprechung als ungeschriebene Voraussetzung das Erfordernis des sogenannten „legitimierenden inländischen Anknüpfungspunktes“, dass
also im Einzelfall – und zwar zur Begründung der deutschen Strafgewalt- ein unmittelbarer Bezug
der Strafverfolgung zum Inland bestehen müsse. Angesichts der Vielzahl der im § 6 StGB aufgezählten Taten mag diese Rechtssprechung bei einem Teil der dort aufgezählten Delikte eine gewissen Berechtigung haben. Bezüglich der Völkerstraftaten wurde die Rechtssprechung vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches stark kritisiert (vgl. nur Merkel, Universale Jurisdiktion bei völkerrechtlichen Verbrechen. Zugleich ein Beitrag zur Kritik des § 6 StGB, in: Lüderssen (Hrsg.) Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse? 1998, Band 3, 273ff.). Jedenfalls lehnte die
herrschende Auffassung im Schrifttum dieses Erfordernis bei Völkerstraftaten ab (vgl. vor allem
Eser, in: Eser u.a. (Hrsg.), Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, S.3ff.; Werle, JZ 1999,
S.1181,1182; JZ 2000,755,759). Letztlich wurde diese Rechtssprechung hinsichtlich Völkerstraftaten vor allem bei der Beurteilung von Balkankriegsverbrechen relevant. Insoweit ließ es das Bundesverfassungsgericht zuletzt (Beschluss vom 12.12. 2000 – 2 BvR 1290/99, S.22) offen, ob ein
zusätzlicher legitimierender inländischer Anknüpfungspunkt überhaupt erforderlich ist. Der Bundesgerichtshof nahm in seinem bereit oben zitierten Urteil (a.a.O., S. 20) einen unmittelbaren Bezug
zur Strafverfolgung im Inland durch den ständigen Aufenthalt des Angeklagten in Deutschland zwar
als gegeben an, neigte jedoch dazu, jedenfalls bei § 6 Nr. 9 StGB keinen „über den Wortlaut des §
6 StGB hinaus legitimierenden Anknüpfungspunkt im Einzelfall“ mehr zu verlangen. Durch das Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches und des § 153f StPO hat sich dieses Problem entschärft
bzw. von der Begründung der deutschen Strafgewalt in die Bestimmung des staatsanwaltschaftlichen Ermessens verlagert. Diese – erneute eindeutige – gesetzgeberische Wertung, von der Literatur einhellig als „Klarstellung“ und nicht als Novum kommentiert ( vgl. Gesetzesbegründung, BT
Drucksache 14 8527, a.a.O.; Löwe- Rosenberg- Beulke, Strafprozessordnung, Nachlieferung, Rn. 1
zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153f) und Absage an die vom Bundesgerichtshof scheinbar selbst aufgebene
Rechtsprechung muss dann im übrigen auch bei der Auslegung des § 6 I Nr.1 und 9 StGB in der
Weise berücksichtigt werden, dass ein inländischer Anknüpfungspunkt auch für Altfälle nicht mehr
notwendig ist (Beulke a.a.O. hält die Frage unter Verweis auf Zimmermann, ZRP 2002, 97, 100 für
noch „ungeklärt“).
Der Wortlaut des § 1 VStGB läßt hinsichtlich der nach dem 30.06.2002 verübten Taten keinerlei
Zweifel: Das Völkerstrafgesetzbuch gilt für die hier in Rede stehenden Verbrechen des Völkermordes und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit „auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen
wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist“. Damit ist die deutsche Strafgewalt für diese Taten
unproblematisch begründet. ( vgl. Gesetzesbegründung, BT- Drucksache 14/8527, a.a.O.; LöweRosenberg-Beulke, Strafprozessordnung, Nachlieferung, Rn. 1 zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153f)
Die deutsche Strafgewalt – für die nach dem 30.06.2002 begangenen Taten wegen § 1 VStGB ohnehin gegeben – ist daher auch für die Alttaten begründet, richtigerweise schon wegen des eindeutigen Wortlautes des § 6 StGB und der oben zitierten herrschenden Literturmeinung dazu.
Bei Alttaten gilt die Vorschrift des § 153c StPO, die der Staatsanwaltschaft prinzipiell ein weites
Ermessen einräumt. Dieses Ermessen ist jedoch im vorliegenden Fall einerseits durch das Ausmass
der angezeigten Taten und deren Qualifikation als Völkerstraftaten erheblich eingeschänkt und
durch die hinsichtlich der Völkerrechtsverbrechen eindeutigen gesetzgeberischen Wertungen und
politischen Initiativen der Bundesregierung, die durch eine Nichtaufnahme von Ermittlungen geradezu konterkariert würden. Schließlich reduzieren die oben genannten Gesichtspunkte das staatsanwaltschaftliche Ermessen, so dass ein Absehen von der Verfolgung nach Maßgabe des § 153c
StPO kaum rational begründbar erscheint.
Für die nach neuem Recht zu beurteilenden Taten ist der Maßstab des § 153f StPO relevant. Diese
prozessuale Regel soll das in § 1 VStGB festgelegte Weltrechtsprinzip, „flankieren“ und das Ermessen des Staatsanwaltes strukturieren, der nach neuem Recht nicht nur eine Befugnis, sondern eine
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Strafverfolgungspflicht hat (vgl. Werle/Jessberger, JZ 2002,725,732 f). Das Völkerstrafgesetzbuch
bezieht auch insoweit eine völkerstrafrechtsfreundliche Position.
Nach den obigen Erörterungen ist eine der Voraussetzungen des § 153f Abs. 1 zumindest teilweise
erfüllt, nämlich dass ein Inlandsaufenthalt eines der Tatverdächtigen gegeben ist (vgl. Werle/Jessberger, a.a.O.).
Im Übrigen stellt die Regelung des § 153f StPO klar, dass die Staatsanwaltschaft zwar von der
Verfolgung bestimmter Taten absehen kann und insoweit das Ermessen nach § 153f StPO strukturiert und eingeschränkt ist. Jedoch muss die Staatsanwaltschaft bei dem Nichtvorliegen der in §
153f StPO genannten Voraussetzungen nicht einstellen. Weiterhin ist durch die Verwendung des
Wortes insbesondere in Abs. 2 klar gestellt, dass auch andere, den Inlandsbezug herstellende Voraussetzungen das Verfolgungsermessen der Staatsanwaltschaft reduzieren. Daher kommen die im
vorherigen Abschnitt dargestellten Inlandsbezüge hier zum Tragen. Die Gesetzesbegründung zu §
153f Abs. 2 Strafprozessordnung (BT Drucksache 14/8524, S. 38) macht zudem deutlich, dass die
Regel, nämlich die Geltung des Weltrechtsprinzips gemäß § 1 VStGB, nur in den Fällen durchbrochen wird, wo der Inlandsbezug komplett fehlt „und außerdem kein internationaler Strafgerichtshof
oder ein unmittelbar betroffener Staat – im Rahmen eines justitiziellen Verfahrens – die Verfolgung
der Tat übernommen hat“. Dann sei nach dem Grundsatz der Subsidiarität von der Strafverfolgung
in Deutschland abzusehen. Das Legalitätsprinzip bleibe aber unberührt, wenn es nur am Inlandsbezug fehle oder nur die Verfolgung im Ausland eingeleitet worden ist. An diesen beiden Voraussetzungen fehlt es hier: weder fehlt es am Inlandsbezug noch sind von unmittelbar betroffenen Staaten Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden. In Usbekistan werden im Gegenteil im Falle
des Massakers von Andischan Aufklärungsmaßnahmen noch verhindert.
Damit gilt das Weltrechtsprinzip; dessen Ziel, die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen zu
verhindern, ist zu befördern.
Die beiden wesentlichen Gesichtspunkte, die für eine Einstellung sprechen könnten (vgl. insoweit
die Kommentierung von Beulke, a.a.O., R. 41), nämlich bereits angelaufene Strafverfolgungstätigkeiten eines vorrangig berufenen Staates oder einer internationalen Behörde und völlige Inlandsferne der Fälle, sind beim hiesigen Fallgeschehen nicht gegeben.
Für eine Einstellung des Verfahrens nach § 153f Strafprozessordnung ist daher kein Raum.
V. Straflosigkeit in Usbekistan
Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden deutscher Strafverfolgungsbehörden ist sowohl nach dem
Völkerstrafgesetzbuch (§ 1 VStGB, § 153f StPO) als auch nach dem für die Taten vor dem
30.06.2002 geltenden Rechts unproblematisch gegeben. Im Rahmen der Erwägungen nach § 153f
StPO mag sich darüber hinaus eine Frage stellen, die in der bisherigen Praxis der Verhandlung von
Fällen nach dem Völkerstrafgesetzbuch nach Ansicht des Generalbundesanwaltes eine große Rolle
spielt. In dem Einstellungsbescheid des Generalbundesanwaltes vom 10.02.2005 zur Einstellung
bzw. Nichteinleitung eines Strafverfahrens gegen den US-Verteidigungsminister D.R. u.a. heißt es
dazu:
„Das Weltrechtsprinzip legitimiert jedoch nicht ohne weiteres eine uneingeschränkte Strafverfolgung. Ziel des Völkerstrafgesetzbuches ist es, Strafbarkeits- und Strafverfolgungslücken zu unterbinden. Dies hat jedoch vor dem Hintergrund der Nichteinmischung in die Souveränität fremder
Staaten zu geschehen.“
Dies folge aus dem Komplementaritäts-Prinzip des Art. 17 des IStGH-Statuts. Nur wenn die zur
Aburteilung berufene Justiz des betroffenen Nationalstaats „unwilling“ oder „unable“ zur Strafverfolgung ist, können deutsche Strafverfolgungsbehörden tätig werden. Die Zuständigkeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden ist nachrangig gegenüber dem Tatortstaat und dem Heimatstaat
von Tätern und Opfern und als so genannte Auffangzuständigkeit zu verstehen, die eine Straflosigkeit vermeiden soll, im übrigen aber die zuständigen Gerichtsbarkeiten nicht unangemessen zur
Seite drängen soll.
Im Falle von Usbekistan muss von einem Zustand umfassender Straflosigkeit sowohl für die Folterstraftaten als auch für das Massaker von Andischan vom 13.05.2005 ausgegangen werden. Der
Vollständigkeit halber sei hervorgehoben, dass internationale Gerichtsbarkeit für die zur Anzeige
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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gebrachten Straftaten nicht in Betracht kommt: weder hat Usbekistan das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshof gezeichnet, noch hat der Sicherheitsrat der UN Anstalten unternommen,
die in Usbekistan begangenen Verbrechen durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag
untersuchen zu lassen. Andere nationale Justizbehörden von Drittstaaten sind bisher nicht tätig
geworden. Es besteht daher ein klassischer Fall von Straflosigkeit für schwerste Menschenrechtsverletzungen. Dies wurde bereits oben im Rahmen des Sachverhaltes zu Folterstraftaten ausgeführt. Hinsichtlich des Massakers von Andischan am 13.05.2005 lassen die Reaktionen der usbekischen Behörden an Eindeutigkeit nicht zu wünschen übrig. Bereits in einer ersten Presseerklärung
befand Präsident I.K., dass fanatische und extremistische Gruppen den Volksaufstand in Kirgisien
in Usbekistan wiederholen wollten, um ein utopisches muslimisches Kalifat zu errichten. Die bewaffneten Menschen seien aus dem Ausland gekommen und hätten mit Hilfe von Ausländern und
ausländischer Unterstützung Verbrechen begangen. Die Regierung bestritt, dass Regierungstruppen
auf jene Demonstranten geschossen hätten und bezeichneten im übrigen alle Toten als Folge des
Vorgehens der bewaffneten Extremisten. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen behinderten die usbekische Regierung die Aufklärung des Massakers vom 13.05.2005. Wie bereits hervorgehoben
wurden der Bobur-Platz und Cholbon-Prospekt gesperrt und von Körpern und Spuren von Toten
und Verletzten gereinigt. Die Körper wurden mit unbekanntem Ziel entfernt. Beschädigte und verschmutzte Gebäude wurden hergerichtet. Medienvertreter wurden nach Andischan eingeladen.
Allerdings wurden Notizen und Filme der Journalisten konfisziert, die Augenzeugen der Ereignisse
waren. Die Journalisten wurden bedroht und dazu gezwungen, die Stadt zu verlassen. Andischan
wurde von Sicherheitskräften umschlossen. Die von usbekischen Behörden am 18.05.2005 für Diplomaten und Journalisten organisierte Tour durch Andischan dauerte eine Stunde und ließ den Beteiligten keine Möglichkeit, mit Augenzeugen und Bewohnern der Stadt zu sprechen. Sicherheitsbehörden hielten die Vertreter von so genannten Nachbarschaftskomitees dazu an, allen Anwohnern
mitzuteilen, dass ihnen verboten sei, mit Ausländern oder Journalisten über die Ereignisse vom
13.05.2005 zu sprechen. Die Regierung inhaftierte hunderte, möglicherweise tausende von Personen in der Nachfolge der Ereignisse vom 13.05.2005. Viele der Inhaftierten wurden bedroht bzw.
geschlagen, um Geständnisse zu erzwingen, dass sie zu extremistischen religiösen Organisationen
gehören sowie während der Proteste am 13.05.2005 Waffen getragen zu haben, um andere Beteiligte zu belasten.
Im Übrigen fand im Anschluss an den 13.05.2005 eine Repressionskampagne der Regierung gegen
Menschenrechtsorganisationen, politischer Aktivisten und unabhängiger Journalisten statt. Insbesondere die Akteure der zivilen Gesellschaft, die Augenzeugen der Ereignisse waren, wurden bedroht bzw. inhaftiert. Mindestens sieben Verteidiger von Menschenrechts- und politischen Aktivisten aus Andischan sind derzeit in Untersuchungshaft und erwarten einen Strafprozess. Mindestens
zwei Menschenrechtsaktivisten wurden gezwungen, das Land zu verlassen.
Darüberhinaus hat sich die usbekische Regierung geweigert, dem Druck der internationalen Gemeinschaft nach einer unabhängigen internationalen Untersuchung stattzugeben. Es wurden eine
Reihe von Versuchen unternommen, die usbekische Regierung zu Untersuchungen anzuhalten.
Nach einer Meldung der BBC vom 25.05.2005 hat Präsident I.K. all diese Forderungen zurückgewiesen. Seine Begründung lautet, dass Usbekistan ein souveräner Staat ist, sein eigenes Verfassungssystem, seine gewählte Regierung und seinen gewählten Präsidenten habe. Es sei daher nicht
möglich, dass eine Kommission von außen käme und einen weiteren Aufstand provozieren sowie
ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen und die Weltöffentlichkeit falsch informieren würde. Er
könne bereits im Voraus sagen, wie die Schlussfolgerungen lauten würden. Sie wären nicht anders
als in Tschetschenien und in anderen Ländern. Das Ziel solcher Untersuchungen wäre es, die usbekische Regierung dafür zu beschuldigen, was sie alles nicht getan hat und wofür sie verantwortlich
sei. Als ob Usbekistan ein schuldiges Land sei, müsse man um Nachgiebigkeit bitten.
Die usbekische Regierung hat nachgewiesenermaßen lediglich die Straftaten ermittelt und vor Gericht gestellt, die durch bewaffnete Gruppen am 12. und 13.05.2005 begangen wurden. Diese
Straftaten wurden als Terrorismus, Angriff auf die konstitutionelle Ordnung, Mord, Organisation
einer kriminellen Bande und von Massenprotesten, Geiselnahme und illegaler Besitz von Waffen
und Explosivmaterial bezeichnet. Der Einsatz von Gewalt durch Regierungstruppen wurde nicht
untersucht. Zwar wurde durch das usbekische Parlament eine so genannte Untersuchungskommission über die Ereignisse in Andischan eingesetzt, deren Mandat eine sorgfältige Analyse der Handlungen der Regierung und Sicherheitsstrukturen beinhalten sollte. Angehörige der Generalstaatsanwaltschaft präsentierten die Ergebnisse dieser Kommission am 05. und 06.09.2005. Die Schlussfolgerung der Kommission lautete, dass schwerbewaffnete Rebelengruppen, unterstützt von ausländischen extremistischen Organisationen 300 Waffen geraubt hätten und damit terroristische
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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Akte in Andischan begangen hätten. Als Ergebnis dieser Untersuchung wurden zunächst 15 Personen wegen der oben bezeichneten Straftaten vor Gericht gestellt. Diese von der internationalen
Presse als Schauprozesse bezeichneten Gerichtsverhandlungen haben in der Zwischenzeit unter
teilweise internationaler Beobachtung stattgefunden. Die Angeklagten hatten keinen Zugang zu
kompetenten und effektiven Verteidigern, sondern mussten mit Pflichtverteidigern vor Gericht auftreten, von denen keiner die Schuld seiner Mandanten in Frage stellte, sondern die vielmehr nach
einhelligen Berichten hervorhoben, dass ihre Mandanten unmittelbar gestanden hätten und um
Vergebung durch den Präsidenten von Usbekistan bitten würden. Es wurden keinerlei objektive
Beweise in den Gerichtsverhandlungen erhoben. Weder forensische noch ballistische noch medizinische Berichte wurden präsentiert. Lediglich solche Zeugen wurden vernommen, die die Version der
Regierung unterstützten.
Die Verfahren nahmen einen derartigen kritikwürdigen Verlauf, dass der UN-Hochkommissar für
Menschenrechte, vier UN-Sonderberichterstatter sowie der Verantwortliche für eine gemeinsame
Sicherheits- und Außenpolitik der EU J.S. im Laufe der Zeit scharfe Kritik an den Prozessen äußerten.
Es kann somit festgehalten werden, dass sowohl bezüglich der angezeigten Folterstraftaten als
auch bezüglich der Straftaten von Regierungstruppen bei den Ereignissen in Andischan am
13.05.2005 absolute Straflosigkeit herrscht.
VI. Ermittlungsmöglichkeiten für deutsche Strafverfolger
Bundesdeutsche Strafverfolgungsbehörden sind nicht nur legitimiert gem. § 6 Nr. 9 StGB und § 1
VStGB sowie wegen Völkervertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht, die in Usbekistan begangenen Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Sie sind nach geltenden deutschem Verfassungsund Strafprozessrecht dazu verpflichtet, zumal - wie oben ausgeführt - in Usbekistan ein Zustand
der Straflosigkeit herrscht. Denn, wie in der Gesetzesbegründung zurecht ausgeführt wird: Selbst
wenn „die Tat keinen Inlandsbezug auf(weist, WK), … aber noch keine vorrangige Jurisdiktion mit
Ermittlungen begonnen (hat, WK), so verlangt das Legalitätsprinzip im Zusammenhang mit
dem Weltrechtsgrundsatz, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die
ihnen möglichen Ermittlungsanstrengungen unternehmen, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland oder im Ausland) vorzubereiten“.
Deutsche Strafverfolgungsbehörden haben aber auch eine Vielzahl von Möglichkeiten, die in Usbekistan begangenen Straftaten zu ermitteln.
In den vergangenen Wochen haben Mitarbeiter von Human Rights Watch und andere Menschenrechtsorganisationen zahlreiche Versuche unternommen, mit Opfern und Augenzeugen der Ereignisse von Andischan Kontakt aufzunehmen. Die Menschen sind zum großen Teil traumatisiert und
eingeschüchtert. Vor allem diejenigen, die Familienangehörige in Usbekistan haben, sind sehr vorsichtig mit Meinungsäußerungen gegenüber ausländischen Vertretern. Obwohl viele sich eine Strafverfolgung der Verantwortlichen des Massakers vom 13.05.2005 wünschen, sind sie alle nicht bereit, eventuelle Schritte selbst zu unternehmen bzw. Vollmachten zu zeichnen, weil sie Repressalien
gegen sie selbst bzw. ihre Familien befürchten.
Es kommt jedoch eine Vielzahl von Personen als Zeugen für die Ereignisse vom 13.05.2005 in Betracht. Dies sind namentlich die 450 bis 500 Personen, die noch am Tag der Ereignisse aus Usbekistan nach Kirgisien geflüchtet sind. Von diesen Personen sind mittlerweile über 400 in einem
Flüchtlingslager in Rumänien aufhältig. 15 Personen befinden sich als Flüchtlinge in Deutschland,
elf in Finnland, andere in Norwegen, den Niederlanden und Schweden. Die Verwaltungsakten der in
Deutschland aufhältlichen, wegen der Ereignisse in Andischan geflüchteten, Personen können im
übrigen beigezogen werden, woraus sich weitere Ermittlungsansätze ergeben dürften.
Viele dieser Personen sind unmittelbare Opfer und haben Schusswunden erlitten. Alle können Augenzeugnisse über die Ereignisse vom 13.05.2005 ablegen. Es sei an dieser Stelle noch einmal
hervorgehoben, dass bisher niemand umfassend die Zeugnisse der hier bezeichneten Personen
aufgenommen und diese auch nur in irgendeiner Form systematisiert hat. Diese Arbeit ist in jedem
Fall zu leisten, um zu verhindern, dass auch in der Zukunft die Verbrechen der usbekischen Regierungsverantwortlichen ungestraft bleiben. Wenn internationale Strafverfolgungsbehörden und An-
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gehörige der Justiz von dritten Staaten dazu weder willens noch in der Lage sind, müssen deutsche
Strafverfolgungsbehörden angesichts der beschriebenen Voraussetzungen dies übernehmen.
Schließlich ist eine Vielzahl von Personen, die im Nachfolgenden namentlich bezeichnet werden,
bereit oder jedenfalls dazu in der Lage, Zeugnis über die Ereignisse in Usbekistan und die Reaktionen von usbekischen Regierungsverantwortlichen, insbesondere des Beschuldigten Innenministers
Z.A. abzulegen.
• Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter T.V.B. hat eine umfassende UNMission im Jahre 2002 in Usbekistan durchgeführt und auf dieser Grundlage einen Bericht
im Jahre 2003 erstattet. Er hat selbst mit Z.A. Gespräche geführt, in denen es um die Foltervorwürfe gegen Usbekistan ging. Herr T.V.B. kann den systematischen Einsatz von Folter
in Usbekistan ebenso bezeugen wie das Fehlen von effektiven Reaktionen der Regierung,
um dieses Problem zu lösen.
• Der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan C.M., ist derzeit in London aufhältig
und ist bereit und in der Lage über zahlreiche Treffen mit Z.A., in denen es um Folter ging,
zu berichten. Seine Kontaktadresse sowie seine Telefonnummer lauten wie folgt: [hier
anonymisiert]
• Der ehemalige deutsche Botschafter in Usbekistan Dr. M.H. hat bis 2004 residiert. Auch
er dürfte in der Lage sein, über seine Treffen mit Z.A. und die Gespräche über Misshandlugen und Folter zu berichten. Dr. M.H. ist derzeit in Weißrussland aufhältig.
• Der ehemalige US-Botschafter in Usbekistan J.H. hat bis 2003 residiert. Er hat während
zahlreicher Gespräche das Thema der Folter mit usbekischen Regierungsbehörden regelmäßig erörtert, zum Teil täglich. Insbesondere hat er die Todesfälle M.A. u.a. direkt mit der
Regierung erörtert, aber dabei war vor allem der Beschuldigte Z.A. sein unmittelbarer Gesprächspartner. J.H. ist derzeit in der Ukraine aufhältig.
• Der ehemalige Botschafter S.S. hat Usbekistan im Jahre 2000 besucht und dabei Präsident K. und möglicherweise auch Minister Z.A. getroffen.
• Der ehemalige niederländische diplomatische Repräsentant in Taschkent T.K. hat die
Folterfälle ebenfalls sorgfältig verfolgt und war in Gespräche mit der Regierung beteiligt.
• Die Menschenrechtsaktivisten und Untersucher von Amnesty International A.S.P. und
M.W. sowie von
• Die Memorial-Mitglieder V.P. und N.M. können über ihre Untersuchungen ebenso berichten wie die Menschenrechtsaktivisten L.S., R.S., M.K.. L.S. war Augenzeuge der Ereignisse
von Andischan. Er hat insbesondere beobachtet wie Körper am Tage nach dem Massaker
am Schauplatz des Verbrechens wegtransportiert wurden. Er konnte weiterhin Polizeibeamte beobachten, die zwischen den Körpern umhergingen und nach Verwundeten gefragt haben. Wenn sich Überlebende gemeldet haben, wurden sie durch gezielte Schüsse ermordet.
S. ist derzeit in den USA aufhältig. R.S. kann über die Folter und Bedrohungen im Polizeigewahrsam berichten, die er selber erlitten hat. Er lebt ebenfalls zur Zeit in den USA. M.K.
war ebenfalls Opfer von Misshandlungen im Polizeigewahrsam im Jahre 1998. Er wartet
derzeit auf eine Entscheidung des UNHCR über seinen Flüchtlingsstatuts und eine Zuweisung zu einem sicheren Drittstaat.
• Der ehemalige Korrespondent für Zentralasien des dänischen Radios M.A. hat eine Vielzahl von Folterfällen systematisch verfolgt. Er war nach dem Andischan-Massaker in Osh in
Kirgisien und hat dort zahlreiche Überlebende und Augenzeugen des Massakers interviewt.
• F.M. ist die Mutter des zu Tode gekommenen M.A. Sie kann über seine Verletzungen und
über ihre eigenen Nachforschungen berichten. Sie lebt in Usbekistan.
• T.C. kann ebenfalls über Misshandlungen ihres Sohnes D.C. im Polizeigewahrsam berichten.
• E.U. und I.A. sind Menschenrechtsaktivisten, die selber Opfer von Polizeigewalt und
Misshandlungen geworden sind. Beide leben zur Zeit in Usbekistan.
• I.M. ist eine unabhängige Anwältin und frühere Richterin, die eine Reihe von wichtigen
politischen und religiösen Personen in den 90er Jahren bis heute vertreten hat. Viele dieser
Personen haben ihr gegenüber berichtet, dass sie in Untersuchungshaft und in Strafhaft
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gefoltert wurden. Sie kann über die objektiven Anzeichen für Folter und die Berichte ihrer
Mandanten Zeugnis ablegen.
• N.K. ist ebenfalls Anwältin und Leiterin der Rechtshilfegesellschaft von Usbekistan. Sie
hat ebenfalls eine Vielzahl von Folteropfern verteidigt .
• D.K. und Dr. O.R. und A.M. leben alle in Usbekistan und haben Beobachtungen mitzuteilen über Folterungen gegenüber ihren Familienangehörigen.
• M.I., ein Menschenrechtsaktivist der derzeit in Norwegen lebt, hat ebenfalls zahlreiche
Folterfälle untersucht und kann hierüber berichten.
• Der deutsche Staatsbürger und Journalist M.B. war am 13.05.2005 auf dem
Hauptplatz in Andischan anwesend und kann darüber Zeugnis ablegen. Er lebt derzeit in
Kasachstan.
• Frau B.B. ist Journalistin und war ebenfalls als Reporterin für AP am 13.05.2005 in Andijan anwesend. Sie hat über die Gespräche zwischen den Beschuldigten Z.A. und dem als
Teilnehmer an den bewaffneten Auseinandersetzungen verdächtigen Parpef berichtet und
kann hierüber Zeugnis ablegen. Sie lebt derzeit in Kasachstan.
VII. Keine Immunität
Zum möglichen Verfahrenshindernis der Immunität bei einzelnen Angezeigten, vor allem dem amtierenden Innenminister Usbekistans Z.A. sei nur ausgeführt, dass selbst nach dem hoch umstrittenen Urteil des Internationalen Gerichtshofes (IGH) vom 14.02.2002 im Yerodia–Fall ( EuGRZ 2003,
563ff) eine solche nur bei amtierenden Aussenministern (bzw. Staatspräsidenten) in Betracht käme
(vgl. Maierhöfer, EuGRZ 2003, 545 ff). Weiterhin und dies wird insbesondere in der deutschen Diskussion oft übersehen bezieht sich das Urteil nur auf den Erlass eines Haftbefehls gegen eine aktuell von der Immunität geschützte Person und nicht auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.
Da Z.A. sich im übrigen auf einem rein privaten Aufenthalt in Deutschland, nämlich zur Krankenbehandlung, zu befinden scheint, kann auch nicht wegen § 20 Abs. 1 GVG von der Strafverfolgung
abgesehen werden. Die Tatsache, dass ihm die Bundesrepublik Deutschland in Ausnahme von dem
generellen Einreiseverbot gemäß der Gemeinsamen Position der EU 2005/792/GASP vom
14.11.2005 aus humanitären Gründen (nach Artikel 3 Nr. 6 der Position) ein Visum erteilt hat,
kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Die visaerteilende Stelle ist nicht befugt, Z.A. strafrechtliche Immunität zu gewähren. Z.A. konnte im übrigen hierauf auch nicht vertrauen. Er ist vielmehr
auf eigenes Risiko nach Deutschland eingereist. Hätte er vor seiner Einreise Rechtsrat eingeholt,
wäre er auf eine mögliche Strafverfolgung nach den oben dargelegten Vorschriften aufmerksam
gemacht worden.
VIII. Schlußbemerkung
Aufgrund des umfangreichen Sachverhaltes und der damit verbundenen rechtlichen Probleme
konnten nicht alle Gesichtspunkte in der vorliegenden Anzeige umfassend abgehandelt werden,
ohne den Umfang der vorliegende Strafanzeige ausufern zu lassen. Es wird daher ausdrücklich um
Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme sowie zur Einreichung von Gutachten bzw.
Unterlagen gebeten, falls die Bundesanwaltschaft beabsichtigen sollte, kein Ermittlungsverfahren
einzuleiten. Angesichts der bisherigen Erfahrungen in Verfahren nach dem VStGB kann der Anzeigenerstatter nicht auf die Möglichkeit einer Gegenvorstellung verwiesen werden, wenn die eigentliche Entscheidung der Bundesanwaltschaft bereits gefallen ist und letztlich keine Einflussmöglichkeit
mehr besteht. Vielmehr gebietet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs eine Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn dies - wie hier- ausdrücklich angekündigt und erbeten wird.
Es wird darauf hingewiesen, dass hier keine Informationen über den Gesundheitszustand des Beschuldigten Z.A. vorliegen. Sein genauer Zustand ist letzlich für die Frage der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und der einzuleitenden strafprozessualen Maßnahmen zunächst unerheblich.
Es versteht sich von selbst, dass entgegen öffentlicher Äußerungen von Vertretern von Bundesministerien seine gesundheitliche Situation für die Einleitung von Ermittlungen, selbst für strafpro-
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zessuale Maßnahmen gegen ihn selbst, kein Hindernis darstellt. Vielmehr legen die gegen ihn vorliegenden Beweismittel und Indizien gerade angesichts einer möglicherweise drohenden Ausreise
eine schnelle Abwägung auch der Anordnung von Untersuchungshaft gemäß §§ 112 ff StPO unter
Berücksichtigung möglicher Beeinträchtigungen seiner Haftfähigkeit nahe.
Die Bundesanwaltschaft ist nach altem Recht nicht zuständig für die Ermittlungen wegen der Folterstraftaten (§§ 223ff, 211ff StGB i. V. m. § 6 Nr. 9 StGB und UN-Anti-Folterkonvention). Es
müsste daher theoretisch eine Entscheidung nach § 13 a StPO bezüglich der aufgelisteten Foltereinzelfälle beantragt werden, was hiermit für den Fall der Nichtaufnahme von Ermittlungen wegen
Verbrechens gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ausdrücklich beantragt wird. Für diesen Fall
wird vorgeschlagen, das Landgericht Hannover als das zuständige zu bestimmen.
Eine solche Gerichtsstandbestimmung erübrigt sich nach hiesiger Auffassung bei Einleitung eines
Ermittlungsverfahren wegen Völkermordes, da die Folterstraftaten dann Annexstraftaten im Sinne
der bekannten Rechtssprechung bundesdeutscher Obergerichte (zu den Jugoslawienverfahren, vgl.
BGH NStZ 1999, S.396ff.) darstellen und die Bundesanwaltschaft insoweit für die Ermittlungsverfahren zuständig bleibt."
Der Strafanzeige wurden die folgenden deutsch- und englischsprachigen Anlagen beigefügt:
1. Vollmachten der Anzeigenerstatter
2. Bericht der International Crisis Group, The Andijan Uprising, 25. Mai 2005
3 A. United Nations Sonderberichterstatter für Folter, Bericht von Februar 2003 über eine Mission
nach Usbekistan von 24. November bis 6. Dezember 2002 [E/CN.4/2003/68/Add.2/p. 21 ,]
3 B. United Nations Sonderberichterstatter für Folter, Bericht von Februar 2004 über eine Mission
nach Usbekistan von November bis Dezember 2002 [E/CN.4/2004/56/Add.3]
3 C. United Nations Sonderberichterstatter für Folter, Bericht von Februar 2005 über eine Misstion
nach Usbekistan von November bis Dezember 2002 [E/CN4./2005/62/Add.2]
4. Committee against Torture, April-Mai 2002, Conclusions and Recommendations of the Committee against Torture: Uzbekistan. 06/06/2002. CAT/C/CR/28/7
5. Human Rights Watch-Bericht vom 18.03.2005 „Torture Reform Assessment: Uzbekistan’s Implementation of the Recommendation of the Special Rapporteur on Torture“.
6. Human Rights Watch-Bericht vom 03.06.2005 „Bullets were falling like rain“
7. OSZE-ODIHIR-Bericht vom 20.06.2005 “Preliminary Findings On The Events In Andijan, Uzbekistan, 13 May 2005”
8. Human Rights Watch-Bericht von September 2005 „Burying the Truth“
9. Gemeinsame Position der Europäischen Union 205/792/GASP vom 15.11.2005 betreffend restriktive Maßnahmen gegen Usbekistan
10. Englische Übersetzung eines Briefes von Dmitri Chikunov an seine Mutter Tamara Chikunova
aus dem Jahre 1999.
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1.2.
Mit Schriftsatz vom 14.12.2005 an den Generalbundesanwalt bat der Unterzeichner ausdrücklich
darum, die Namen der Anzeigenerstatter, insbesondere der sich in Usbekistan aufhaltenden, so
vertraulich wie im Rahmen eines Strafverfahrens dieser Art möglich, zu behandeln. Human Rights
Watch habe insbesondere auf die für die in Usbekistan lebenden Anzeigenerstatter bestehende
ernsthafte Gefahr hingewiesen. Sie seien trotz der konkreten Gefahr, die für sie bestand, entschlossen gewesen, sich der Strafanzeige anzuschließen.
Mit Schriftsatz vom 15.12.2005 bestätigte der Generalbundesanwalt den Eingang der Strafanzeige
vom 12.12.2005 nebst Anlagen und teilte das Aktenzeichen 3 ARP 116/05-2 mit.
Mit Schriftsatz vom 20.12.2005 nahm der Unterzeichnende ergänzend Stellung. Insbesondere wurde ein für das vorliegende Verfahren erstelltes Rechtsgutachten von Prof. Antonio Cassese, Professor für internationales Recht an der Universität von Florenz in Italien, ehemaliger Richter und Präsident des Internationalen Strafgerichtshofes für das frühere Jugoslawien (1993 bis 2000) sowie
ehemaliger Vorsitzender der UN-Untersuchungskommission für Darfur (2004 bis 2005) mit dem
Titel „Immunität für ausländische Staatsfunktionäre bei Verdacht von internationalen Verbrechen“
überreicht und kurz erläutert. (vgl. Gutachten in Kopie als Anlage 2)
Cassese stellte die Prinzipien der Immunität im Völkerrecht, der Wegfall der Immunität im Falle von
internationalen Verbrechen und die verschiedenen Kategorien der durch die Immunitätsregeln geschützten Staatsfunktionäre und die in der Strafanzeige vertretene Ansicht dar, dass der usbekische Innnenminister Z.A. hinsichtlich der ihm gemachten Tatvorwürfe keine Immunität genieße.
Im Einzelnen kam Prof. Cassese zu folgenden Ergebnissen:
Grundsätzlich genieße ein Innenminister, der sich im Ausland aufhält, nach allgemeinem internationalen Völkerrecht keine persönliche Immunität gegen Strafverfolgung bezüglich offizieller oder
privater Handlungen. Allerdings könne ihm unter speziellen Umständen persönliche Immunität gewährt werden, insbesondere, wenn er sich auf offizieller Mission im Ausland aufhält und dabei seinen eigenen Staat repräsentiert.
Zwar könne nationales Recht bis zu einem gewissen Umfang einen breiteren Rahmen für die Immunität ausländischer Offizieller gewähren. Wenn es jedoch um mögliche Strafverfolgung für internationale Verbrechen geht, sei die Gewährung von Immunitäten, die nicht im internationalen Recht
vorgesehen sind, von folgenden unbedingten Voraussetzungen abhängig:
a) Immunität müsse explizit gewährt werden; sie könne nicht implizit daraus geschlossen werden,
dass einem ausländischen Staatsfunktionär die Einreise auf das Gebiet des Forumstaates gewährt
wird.
b) Sie müsse in irgendeiner Form mit einem offiziellen Anlass verbunden sein;
c) Sie dürfe nicht zur Immunität für internationale Verbrechen führen;
d) Sie müsse zeitlich begrenzt sein.
Zwar gewährte das deutsche Recht persönliche Immunitäten für ausländische Offizielle, die deutsches Territorium auf offizieller Einladung betreten (§ 20 GVG), so Cassese. Diese Vorschrift müsse
jedoch im Lichte von und im Einklang mit den generellen Prinzipien und Regeln des internationalen
Rechts ausgelegt werden. Daraus folge, dass die deutsche Vorschrift so interpretiert werden muss,
dass ein ausländischer Offizieller in Deutschland dann persönliche Immunität genießt, solange er
deutsches Territorium auf Einladung betritt, um bilaterale oder multilaterale Treffen oder eine offizielle Zeremonie wegen ähnlicher offizieller Anlässe zu besuchen. Der ausländische Offizielle, der
aus privaten Gründen nach Deutschland einreist, genieß daher keine Immunität nach § 20 GVG.
Die Gewährung eines Einreisevisums aus humanitären Gründen an einen ausländischen Staatsoffiziellen nach der Gemeinsamen Position des Europäischen Rates, um diesen von Reiserestriktionen
nach Art. 3 der GASP 2005/792/GASP einer Ausnahme zu gewähren, umfasst laut Cassese nicht
die Gewährung von Immunität für die Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit
und Folter. Die fragliche Einreiseausnahme aus humanitären Gründen rechtfertige lediglich die
Ausnahme von dem generellen Einreise- oder Transitverbot. Der ausländische Staatsoffizielle darf
sich auf dem Territorium eines Mitgliedstaates der Europäischen Union aufhalten. Wenn er allerdings internationaler Verbrechen beschuldigt wird, existieren keine legalen Hürden, um ihn für diese Verbrechen strafzuverfolgen. Die Gewährung einer Ausnahme von einem Einreiseverbot der
Europäischen Union kommt laut Cassese keiner offiziellen Einladung nach deutschem Recht gleich.
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1.3.
Mit weiterem Schriftsatz vom 21.12.2005 übersandte der Unterzeichner eine auf den 20.05.2005
datierte Stellungnahme des ehemaligen UN-Sonderberichterstatters für Folter, Herrn Theo van
Boven, die eigens für dieses Verfahren erstellt worden war. (vgl. den Brief als Anlage 3)
Die Ausführungen von Herrn van Boven bestätigten nochmals, dass Folter eine systematische Praxis in Usbekistan darstellt, welche als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten ist. Van
Boven wies daraufhin, dass hohe Regierungsfunktionäre entweder die Folterpraxis kennen müssen
oder sie hätten kennen müssen. Schließlich erklärte sich Herr van Boven bereit, als Zeuge für ein
deutsches Ermittlungsverfahren zur Verfügung zu stehen.
Der Unterzeichner vertrat die Auffassung, dass selbst nach einer möglichen Ausreise von Minister
Z.A. aus Deutschland ein Ermittlungsverfahren durchgeführt werden müsse. Denn genau dieser Fall
sei im Gesetzgebungsverfahren für das Völkerstrafgesetzbuch erörtert worden. Ein Niederschlag
dieses Gedankens finde sich in der Gesetzesbegründung. Hinsichtlich der manifesten Verbrechen in
Usbekistan existiere absolute Straflosigkeit, und weder internationale Strafverfolgungsbehörden
noch die Behörden dritter Staaten zeigten sich rechtlich dazu befugt bzw. willens, notwendige Ermittlungshandlungen durchzuführen. Um eine eventuelle Strafverfolgung des Innenminister Z.A.s
u.a. in die Menschenrechtsverletzungen verwickelten Personen für die Zukunft zu ermöglichen,
müssen derzeit von dazu befugten Strafverfolgungsbehörden Beweise gesichert werden.
Aus diesem Grunde seien in der Strafanzeige vom 12.12.2005 zahlreiche Vorschläge für Ermittlungshandlungen gemacht worden. Der eine Teil bezog sich auf Ermittlungen über Menschenrechtsverletzungen vertraute Personen wie Herrn van Boven. Der andere Teil der vonseiten der
Anzeigenerstatter vorgeschlagenen Ermittlungshandlungen bezieht sich auf die Vernehmung von
Personen, die Zeuge und Opfer des Massakers von Andischan waren. Diese Personen seien für
deutsche Strafverfolgungsbehörden unmittelbar greifbar. Ein gutes Dutzend usbekischer Flüchtlinge
befinde sich in Deutschland. Vier der Anzeigenerstatter befänden sich in den Niederlanden und
seien bereit, entweder zur Vernehmung nach Deutschland einzureisen oder Aussagen vor einer
deutschen Stelle in den Niederlanden zu tätigen. Weitere Flüchtlinge befänden sich in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Dazu komme eine große Anzahl von Flüchtlingen, die sich
nach wie vor in Rumänien befinden und deren Zeugnisse bisher noch von keiner Strafverfolgungsbehörde aufgenommen wurden. Der Unterzeichner wies weiterhin daraufhin, dass mit einem dauernden Beweisverlust zu rechnen sei, wenn die Gelegenheit versäumt würde, zum die Zeugnisse
der bezeichneten Personen aufzunehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man den Aufenthalt der
im unmittelbaren Anschluss an das Massaker geflüchteten Personen aus Andischan noch vollziehen
und die Erinnerung der Auskunftspersonen sei noch frisch.
Mit Schriftsatz vom 3.1.2006 reichte der Unterzeichner im Nachgang zu seiner Strafanzeige vom
12.12.2005 sowie seinem ergänzenden Schreiben vom 20.12.2005 anbei eine von ihm veranlasste
Übersetzung des Gutachtens von Prof. Antonio Cassese.
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2. Gang des Ermittlungsverfahrens
2.1.
Mit Schriftsatz vom 23.03.2006, zugestellt am 30.03.2006, teilte der Generalbundesanwalt dem
Unterzeichnenden mit, dass er die mit Schriftsatz vom 12.12.2005 erstattete und mit Schreiben
vom 20. und 21.12.2005 ergänzte Anzeige geprüft habe und aus den in einem beigefügten Vermerk ausgeführten Gründen der Anzeige keine Folge geben würde.
Dem Vermerk des Generalbundesanwalts vom 23.03.2006 wurde folgende Begründung angefügt:
(vgl. den Vermerk in Kopie als Anlage 4)
"1. Die Mehrzahl der angezeigten Folterstraftaten wurde nach dem Vorbringen der Anzeigeerstatter vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches am 30.Juni 2002 begangen. Auf diese
Taten ist das VStGB nicht anwendbar (§ 2 Abs.1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG).
2. Hinsichtlich aller Vorfälle, die nach Einführung des Völkerstrafgesetzbuches am 30. Juni
2002 zum Nachteil ausländischer Staatsbürger stattgefunden haben könnten, ergibt die
nach § 153f Abs. 1 StPO vorzunehmende Abwägung, dass für ein Tätigwerden deutscher
Ermittlungsbehörden kein Raum ist.
a) Zwar gilt für die im Völkerstrafgesetzbuch unter Strafandrohung gestellten Verbrechen
das Weltrechtsprinzip (§ 1 VStGB). Danach bedarf es für die Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches keines wie immer gearteten Bezugs zum Inland. Jedoch gilt nach § 153f StPO
das Legalitätsprinzip auch bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht uneingeschränkt. Zumal in Fällen, in denen ein Deutscher weder als Täter noch als Opfer in Betracht kommt und sich ein möglicher Täter weder im Inland aufhält noch ein solcher Aufenthalt zu erwarten ist, kann von der Strafverfolgung abgesehen werden, wenn die Aufnahme von Ermittlungen keinen nennenswerten Aufklärungserfolg verspricht. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
- Sämtliche Vorfälle wurden außerhalb des Geltungsbereiches der Strafprozessordnung begangen (§ 153 c Abs. 1 Nr. 1 StPO).
- Die angezeigten und in sonstigen, hier vorliegenden Unterlagen genannten Personen sind
keine deutschen Staatsbürger (§ 153f Abs. 2 Satz1 Nr. 1 StPO).
- Keine der angezeigten Personen hält sich im Inland auf. Auch ist ein solcher Aufenthalt
unter Umständen, die eine Strafverfolgung erlauben würden, nicht zu erwarten (§153f
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Dies betrifft insbesondere den ehemaligen usbekischen Innenminister Z.A.. Zwar hatte sich Z.A. aufgrund eines aus humanitären Gründen erteilten Visums zeitweilig zu einer Heilbehandlung in Hannover aufgehalten. Jedoch
hatte
er nach vorliegenden Erkenntnissen Deutschland bereits etwa zwei Wochen vor
Eingang der Strafanzeige von amnesty international am 5. Dezember 2005 wieder ver- lassen. Ein künftiger Aufenthalt von Herrn Z.A. ist nicht zu erwarten. Zum einen wegen
des von der Europäischen Union gegen ihn verhängten Einreiseverbotes, aber auch wegen der breiten öffentlichen Diskussion der Vorgänge in den Medien, die nach der Öf- fentlichmachung der Strafanzeigen durch amnesty international und Human Rights
Watch erfolgte.
b) Umstände, die eine Aufnahme von Ermittlungen trotz Vorliegens der Voraussetzungen
des § 153f StPO rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn
durch Ermittlungen deutscher Strafverfolgungsbehörden ein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland oder im
Ausland) vorzubereiten. Dies ist hier nicht der Fall. Zur Aufklärung möglicher Tatvorwürfe
gemäß § 7 VStGB (namentlich den Nachweis von Gesamttat und Politikelement) wären in
beiden Tatkomplexen Ermittlungen vor Ort in Usbekistan unerlässlich. Diese könnten, da
deutsche Ermittlungsbehörden in Usbekistan über keine Exekutivbefugnisse verfügen, nur
durch Rechtshilfe der usbekischen Regierung erfolgen. Dies erscheint vornherein aussichtslos. Angesichts dieser Beweislage war im Übrigen zu keiner Zeit ein dringender Tatverdacht
gegen eine der angezeigten Personen gegeben. Ein solcher wäre jedoch Voraussetzung für
den Erlass eines von amnesty international thematisierten Haftbefehl gegen den ehemaligen usbekischen Innenminister gewesen.
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Darüber, dass ein nennenswerter Aufklärungserfolg der angezeigten Tat nur durch Ermittlungen vor Ort in Usbekistan erzielt werden kann, sind sich auch die Anzeigeerstatter im
Klaren. Amnesty international selbst führt in seinen Andischan-Report vom September
2005 Folgendes aus: […]
Vergleichbar eingehende Ausführungen müssten auch zur Aufklärung der zur Anzeige gebrachten Folterstraftaten durchgeführt werden. Besonderes Augenmerk wäre dabei auf den
Nachweis des sogenannten Politikelements zu richten. Danach muss der Angriff gegen die
Zivilbevölkerung "in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer
Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat" (Art. 7 Abs. 2 lit. a IStGH-Statut) erfolgen. Anderenfalls verwirklichen die in §§ 7 VStGB aufgeführten Einzeltaten nicht den
Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Die Anzeigeerstatter verweisen
hierzu auf die Berichte des UN-Sonderberichterstatters van Boven, der die Anwendung von
Folter in Usbekistan als "systematisch" bezeichnet habe. Unerwähnt bleibt indessen, dass,
so van Boven, die Folter tatsächlich einen systematischen Charakter haben kann, ohne aus
der direkten Absicht einer Regierung zu resultieren. "Sie kann die Folge von Faktoren sein,
deren Kontrolle für die Regierung schwierig ist, und ihre Existenz kann eine Diskrepanz zwischen der Politik, die von der zentralen Regierung festgesetzt wird, und deren Umsetzung
seitens der lokalen Verwaltung sein. Eine unzureichende Gesetzgebung, die in der Praxis
Spielraum für den Einsatz von Folter lässt, kann ebenfalls zur systematischen Anwendung
dieser Praxis beitragen."
Letzteres weist die usbekische Regierung ebenso mit Nachdruck zurück, wie auch den Vorwurf, die Empfehlungen des Sonderberichterstatters der UN-Menschenrechtskonvention für
Fragen der Folter nur unzureichend umgesetzt zu haben. Die usbekische Botschaft in
Deutschland führt hierzu aus: […]
Ob und inwieweit vor diesem Hintergrund gleichwohl von einer nach § 7 VStGB strafbegründenden Duldung oder gar Förderung systematischer Folter durch die usbekische Regierung ausgegangen werden muss, ist durch deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht aufklärbar.
Bei verständiger Gesamtwürdigung der Beweislage ist somit in keinem der angezeigten
Tatkomplexe ein wesentlicher Beweisverlust durch ein Nichttätigwerden deutscher Strafverfolgungsbehörden zu besorgen. Hinzu kommt, dass viele Sachverhalte bereits umfänglich
von Nichtregierungsorganisationen und von den Vereinten Nationen dokumentiert worden
sind. Die Auffassung, gleichwohl müsse in einem deutschen Ermittlungsverfahren weltweit
existierendes Beweismaterial mit Blick auf das uneingeschränkte Weltrechtsprinzip (§ 1
VStGB) durch Strengbeweis dokumentiert und systematisch aufbereitet werden, auch wenn
ein Aufenthalt und damit eine Verurteilung der Täter in Deutschland nicht zu erwarten sei,
geht fehl. Dies würde im Ergebnis auf eine rein symbolische Strafverfolgung hinauslaufen.
Eine solche war vom deutschen Gesetzgeber aber auch bei Völkerstraftaten ausdrücklich
nicht gewollt, zumal hierdurch die ohnehin personell und finanziell begrenzten Strafverfolgungsressourcen zu Lasten sonstiger, erfolgversprechender Strafverfolgung langfristig gebunden würden.
3. Abschließend bedarf es auch keiner Gerichtsstandsbestimmung bezüglich der angezeigten
Foltertaten, die vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuches am 30. Juni 2002 begangen
wurden. Aus den oben dargelegten Gründen ist nicht damit zu rechnen, dass diese Taten
durch eine Landesstaatsanwaltschaft verfolgt würde (§ 153c StPO)."
Mit Schreiben vom 19.04.2006 beantragte der Unterzeichnende beim Generalbundesanwalt Akteneinsicht. Dem Ersuchen kam der Generalbundesanwalt durch Übersendung der Akten mit Schreiben
vom 27.4.2006 nach. Aus der Akte ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse, da sie im Prinzip nur
den Schriftverkehr zwischen dem Unterzeichner und der Bundesanwaltschaft enthält. Weiterhin ist
der Akte lediglich zu entnehmen, dass sich kurz vor der hiesigen Anzeigenerstattung bereits amnesty international - Deutschland - mit einem kurzen Anschreiben an die Bundesanwaltschaft gewandt hatte, das die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Z.A. nahe legte, ohne dies
ausführlich zu begründen.
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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2.2.
Am 27.04.2006 erhob der Unterzeichner namens und in Vollmacht der Anzeigeerstatter Gegenvorstellung gegen den Bescheid vom 30.03.2006.
Die vom Unterzeichner gefertigte Gegenvorstellung hat im einzelnen folgenden Wortlaut:
(vgl. als Kopie Anlage 5)
"namens und in Vollmacht der von mir vertretenen Anzeigenerstatter erhebe ich
Gegenvorstellung
gegen den Bescheid vom 30.03.2006.
Der Generalbundesanwalt verkennt den Sinn und Zweck des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) –
dazu 1), geht fälschlicherweise davon aus, dass durch Ermittlungen deutscher Strafverfolgungsbehörden kein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte und dies ein Grund für die
Einstellung des Verfahrens sei - dazu 2), zieht unverständlicherweise entgegen anderslautender
Berichte des UN-Sonderberichterstatters für Folter einen offiziellen Bericht der usbekischen Botschaft in Deutschland zur Begründung dafür heran, dass eine nach § 7 VStGB strafbegründende
Duldung oder Förderung systematischer Folter durch die usbekische Regierung durch deutsche
Strafverfolgungsbehörden nicht aufklärbar sei - dazu 3) und verkennt sämtliche vom Anzeigenerstatter beigebrachten Informationen und Beweise, die den Verdacht erhärten, dass die angezeigten
Straftaten in Ausführung und Unterstützung der staatlichen Politik Usbekistans begangen wurden dazu 4).
1.
Der Generalbundesanwalt hat mit der Entscheidung, keine Ermittlungen im Fall Z.A. einzuleiten,
dem Sinn und Zweck des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) zuwidergehandelt.
a. Mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes und dem VStGB wurden zusätzliche Instrumente geschaffen, die es ermöglichen sollen, Straftaten, die sich gegen die vitalen
Interessen der Völkergemeinschaft richten, weltweit zu verfolgen. Aus diesem Grund knüpfen beide
Regelwerke nicht an einen wie auch immer gearteten Inlandsbezug an, sondern sind Ausdruck des
Weltrechtsprinzips. Sie knüpfen an Völkergewohnheitsrecht und an zahlreiche einschlägige Konventionen an, als deren wichtigste die Völkermordkonvention, die Genfer Rotkreuz-Abkommen und das
UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 zu nennen sind. Aus den genannten Konventionen
ergeben sich nicht nur (Straf-) Tatbestände, sondern auch die Befugnis zu strafen sowie teilweise
Verfolgungs- und Bestrafungspflichten.1 Ziel des VStGB ist es, die Straflosigkeit von Völkerstraftaten zu beenden oder zumindest zu minimieren.2
Das VStGB und das Rom-Statut bauen dabei auf dem Prinzip der Solidarität auf.3 Der verfolgende
Drittstaat wird „im Interesse der Staatengemeinschaft als Ganzer“ tätig.4 Die internationale Staatengemeinschaft einerseits und die einzelnen Staaten andererseits verpflichten sich, zur Verbreitung des humanitären Völkerrechts die sogenannten Kernverbrechen (core crimes) zu verfolgen.
Die sich dabei ergebende Überlappung der Strafverfolgungszuständigkeit, bspw. des IStGH, des
Tatortstaates und der Bundesrepublik Deutschland, wird nicht nur hingenommen, sondern ist sogar
gewollt, um eine lückenlose Strafverfolgung zu gewährleisten.5
Die usbekischen Behörden haben kein einziges Verfahren gegen Angehörige des Staatsapparates
wegen Folter oder wegen des Massakers in Andischan eingeleitet. Im Gegenteil: in Usbekistan
herrscht ein Zustand der Straflosigkeit für staatlich verstärkte Kriminalität. Die Regierung ist aktiv
an der Vernichtung von Beweisen beteiligt, schüchtert Zeugen und Opfer von Staatsverbrechen ein
und setzt sie teilweise selber einer Strafverfolgung aus. Die Behörden des primär zuständigen Tatort-Staates sind mithin nicht gewillt, Straftaten von Mitgliedern der eigenen Regierung oder des
1
Kai Ambos, Internationales Strafrecht, München 2006, Rn. 93ff. ; Gerhard Werle, Völkerstrafrecht, Tübingen 2003, Rn. 170ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen
2
BT-Drucks. 14/8524, S. 37.
3
BT-Drucks. 14/8524, S. 37; KK-Schoreit, 5. Aufl., 2003, § 153 f Rn. 3.
4
Ambos, a.a.O.
5
Ambos, a.a.O., Rn. 129ff.
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eigenen Staatsapparates aufzuklären und zu verfolgen. Der IStGH ist nicht zuständig, da Usbekistan das Rom-Statut nicht unterzeichnet und ratifiziert hat. Gerade in solchen, für die Deliktskonstellation typischen, Situationen ist es notwendig, dass Staaten wie Deutschland, deren Strafrecht
eine weltweite Verfolgung von Völkerstraftaten vorsieht, stellvertretend für die internationale Staatengemeinschaft die Strafverfolgung übernehmen.
Auf diesem Gedanken der Komplementarität baut das gesamte Völkerstrafrecht auf.6 Wie der Generalbundesanwalt selbst in seiner Entscheidung im Falle des US-Verteidigungsministers D.R. vom
10.02.20057 ausführt, zielt das deutsche Völkerstrafgesetzbuch darauf ab, Strafbarkeits- und
Strafverfolgungslücken zu schließen. Die Zuständigkeit deutscher Strafverfolgungsbehörden greife
dann ein, wenn die Strafverfolgung durch den vorrangig zuständigen Staat – hier Usbekistan –
oder einen internationalen Gerichtshof nicht gewährleistet wird oder nicht gewährleistet werden
kann.8 Die Übertragung dieser von dem Generalbundesanwalt selbst aufgestellten Prinzipien führt
in diesem Fall zu dem zwingenden Erfordernis, Ermittlungen in Deutschland gegen die angezeigten
Personen aufzunehmen.
Im übrigen missachtet der Generalbundesanwalt rechtlich verbindliche Entscheidungen auf europäischer Ebene. Denn der Ratsbeschluss vom 8. Mai 2003 -2003/335/JHA- legt den nationalen Strafverfolgungsbehörden eine Reihe von Pflichten auf und verweist in der Präämbel (7) und (8) ausdrücklich darauf, dass die „Wirksamkeit der Ermittlung und Strafverfolgung“ von Kriegsverbrechen
u.a. auf nationaler Ebene von einer „engen Zusammenarbeit zwischen den betreffenden nationalen
Strafverfolgungs- und Ausländerbehörden“ abhänge und die „enge grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den betreffenden Behörden der Vertragsparteien des Römischen Statuts“ von
grosser Bedeutung sei. Eine national beschränkte Betrachtungsweise, wie sie der Generalbundesanwalt in seiner Entscheidung zum Ausdruck bringt, ist nicht nur systemwidrig und schadet dem
Gedanken und der Praxis universeller Verfolgung internationaler Delikte, sondern verkennt Entscheidungen auf europäischer Ebene.
b. Dem Bescheid des Generalbundesanwalts liegt zudem eine grundsätzlich falsche Interpretation
des § 153f StPO zugrunde. Im Bereich des VStGB gilt – wie auch im gesamten übrigen Strafrecht –
das Legalitätsprinzip, so dass es den deutschen Strafverfolgungsbehörden nur in dem eng begrenzten Rahmen des § 153f StPO möglich ist, von einer Strafverfolgung abzusehen. Diese Norm ermöglicht ein Absehen von der Verfolgung nur, wenn die Straftaten nicht im Inland begangen wurden,
Täter oder Opfer keine Deutschen sind und der Täter sich nicht im Inland aufhält und ein solcher
Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist (Abs. 1) und wenn schon eine anderweitige Strafverfolgung
stattfindet (Abs. 2). Liegen diese Voraussetzungen – wie in diesem Fall – vor, dann steht es im
Ermessen der Staatsanwaltschaft, von einer Strafverfolgung abzusehen. Der Generalbundesanwalt
ist aber weder dazu verpflichtet, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153f
StPO eine Aufnahme von Ermittlungen abzulehnen, noch bedarf es einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Generalbundesanwalt trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO ein
Ermittlungsverfahren einleitet. Wenn der Generalbundesanwalt aber ausführt, dass „Umstände, die
eine Aufnahme von Ermittlungen trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO rechtfertigen könnten“, nicht vorlägen und daher für ein Tätigwerden der deutschen Strafverfolgungsbehörden kein Raum sei, wird das Legalitätsprinzip auf den Kopf gestellt. Nicht die Aufnahme von Ermittlungen ist begründungsbedürftig, sondern die Nichteinleitung bzw. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens.
c. Darüber hinaus verkennt der Generalbundesanwalt, dass § 153f StPO auf das hiesige Fallgeschehen nicht ohne weiteres anwendbar ist. Denn die Vorschrift geht in Absatz 2 von einer Einstellungsmöglichkeit nur für den Fall aus, dass ein Beschuldigter niemals in Deutschland aufhältig war
und dies ist zumindest im Falle Z.A. nachweislich nicht der Fall: Z.A. war im November 2005 für
einen gewissen Zeitraum in Deutschland. Damit ist das Erfordernis der Präsenz im Geltungsbereich
des VStGB erfüllt. Dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden im Moment seines Aufenthaltes
keine Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet haben, kann nicht dazu führen, dass Z.A. davon in
der Weise profitiert, dass nunmehr kein Verfahren mehr gegen ihn stattfinden kann. Die Bundesanwaltschaft hätte proprio motu Ermittlungen gegen ihn einleiten müssen, dazu war sie verpflichtet.
6
BT-Drucks. 14/8524, S. 37, vgl. auch Ambos und Werle, a.a.O.
JZ 2005, S. 311.
8
Ebd.
7
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2.
Der Generalbundesanwalt geht weiterhin davon aus, dass durch Ermittlungen deutscher Strafverfolgungsbehörden kein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte. Der Generalbundesanwalt stellt dabei im wesentlichen darauf ab, dass zur Aufklärung der angezeigten Taten Ermittlungen vor Ort erforderlich seien. Dafür seien die deutschen Ermittlungsbehörden auf die
Rechtshilfe der usbekischen Regierung angewiesen, deren Gewährung aber unrealistisch sei.
a. Zwar ist es richtig, dass ein Absehen von der Verfolgung in den Fällen nahe liegen kann, in denen Ermittlungen deutscher Behörden keinen nennenswerten Aufklärungserfolg versprechen. Allerdings handelt es sich dabei nicht – wie es der Bescheid des Generalbundesanwalts nahe legt – um
ein Tatbestandsmerkmal, sondern um ein Kriterium, dass bei der Ausübung des pflichtgemäßen
Ermessens eine Rolle spielen kann. Ein mangelnder Aufklärungserfolg ist aber nur dann zu erwarten, wenn es überhaupt keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden Beweise erheben und Beweismittel sichern können. Dieses Kriterium kann daher nur in eng
begrenzten Ausnahmefällen ausschlaggebend sein. Würde man tatsächlich das Kriterium des zu
erwartenden Aufklärungserfolges als Maßstab für die Beantwortung der Frage heranziehen, ob Ermittlungen eingeleitet werden oder nicht, dann würde man den Sinn und Zweck eines jeden Ermittlungsverfahrens umkehren. Denn ein Aufklärungserfolg lässt sich regelmäßig nicht am Anfang,
sondern erst nach Abschluss der Ermittlungen feststellen.
b. Ein Aufklärungserfolg ist immer unter Berücksichtigung der oben skizzierten Grundsätze des
internationalen Systems der Strafverfolgung im Völkerstrafrecht zu beurteilen. Ein Aufklärungserfolg ist daher nicht erst dann anzunehmen, wenn mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann,
dass man dem Tatverdächtigen das Vorliegen sämtlicher schuldbegründender Tatsachen nachweisen kann. Vielmehr ist es ausreichend, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der bestehende
Anfangsverdacht durch die Aufnahme von Ermittlungen erhärtet werden kann. Die so gewonnenen
Erkenntnisse, selbst wenn sie möglicherweise allein für eine Anklage nicht ausreichen werden, können dann in einem eventuellen Verfahren – bei geänderter Situation – in Usbekistan, in einem
Drittland oder vor einem internationalen Gericht verwendet werden.9 Der mögliche Einwand, ein
Strafverfahren in Deutschland könne nicht dem Zweck dienen, Ermittlungsergebnisse für derartige
Verfahren im Ausland zu sammeln, geht zumindest im Völkerstrafrecht fehl bzw. ist angesichts der
oben geschilderten Entwicklung antiquiert. Die grosse Bedeutung internationaler Zusammenarbeit
wird bei diesem Argument ebenso verkannt wie die Tatsache, dass im Völkerstrafrecht die hergebrachten Strafzwecke nicht ohne weiteres anwendbar sind und dass deutsche Strafverfolgungsbehörden stellvertretend für die Weltgemeinschaft tätig würden.
c. Der Generalbundesanwalt überschätzt daher auch grundsätzlich die Notwendigkeit, Ermittlungen
in Usbekistan vorzunehmen, um einen Verdacht gegen einen der angezeigten Personen zu erhärten. Zwar ist es ohne jeden Zweifel am sinnvollsten und am effektivsten, Beweise direkt vor Ort zu
erheben, Zeugenbefragungen durchzuführen, Tatorte zu besichtigen, medizinische und andere
Sachverständige heranzuziehen. Dies wäre wünschenswert. Im Moment sind aber derartige Ermittlungen in weiter Ferne. Vielmehr herrscht in Usbekistan absolute Straflosigkeit für die angezeigten
Straftaten. Diese Situation ist geradezu typisch für Fälle von Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip, für die auch das VStGB gedacht ist.
Allerdings sind auch außerhalb Usbekistans Beweismittel verfügbar, die zunächst erhoben werden
können und in der Anzeige benannt worden sind. Dieses Beweismaterial ist auch nicht weltweit
verstreut, wie vom Generalbundesanwalt behauptet, sondern befindet sich im mittelbaren oder
unmittelbaren Zugriff des Generalbundesanwaltes.
Allein 15 Personen, die Zeugen der Ereignisse vom 13.05.2005 geworden sind, befinden sich als
Flüchtlinge in Deutschland. Die Asylverfahrensakten der in Deutschland aufhältigen Personen lassen sich in einem Ermittlungsverfahren beiziehen und können Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen geben. Weitere Flüchtlinge und Zeugen der angezeigten Taten, die sich in Finnland, Schweden,
den Niederlanden und Rumänien aufhalten, können auch durch deutsche Strafverfolgungsbehörden
vernommen werden. Möglich ist auch eine kommissarische Vernehmung durch Vertreter der jeweiligen nationalen Strafverfolgungsbehörden. Aufgrund der Schwere der Delikte ist es dem Generalbundesanwalt auch möglich, Eurojust einzuschalten. Gemäß Art. 4 Abs. 2 Eurojust-Decision kann
Eurojust auf Antrag einer mitgliedsstaatlichen Strafverfolgungsbehörde tätig werden. Eine Vernehmung der Tatzeugen ist dringend angezeigt, da ansonsten Beweisverlust droht, wenn erst abge-
9
Vgl. auch BT-Drucks. 14/8524, S. 37.
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wartet wird und die Zeugen dann nur noch schwer auffindbar sein werden. Ausserdem droht insbesondere bei den Zeugen eine Abnahme des Erinnerungsvermögens.
Auch die weiteren in der Anzeige genannten Experten und Journalisten, die Aufschluss darüber
geben können, in welchem Maße in Usbekistan durch staatliche Stellen die in der Anzeige aufgeführten Straftaten begangen werden, sind nicht weltweit verstreut, sondern ohne größeren Aufwand zu vernehmen. Die Namen und Adressen sind in der Strafanzeige benannt worden. Auch
wenn dies in vielen Fällen nicht im Strengbeweisverfahren möglich ist, können zur Sicherung der
Beweise Befragungen der Zeugen durch Konsulatsangehörige oder durch Beauftragte vorgenommen werden. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter Theo van Boven, und andere Zeugen sind
sogar bereit, für eine Aussage nach Deutschland zu reisen.
d. Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist es daher auch nicht von Bedeutung, ob
Rechtshilfe von der usbekischen Regierung zu erwarten ist. Das VStGB wurde gerade für solche
Konstellationen geschaffen, in denen der primär zuständige Staat – weil er dazu nicht willens oder
nicht in der Lage ist – die nach dem VStGB strafbaren Delikte nicht verfolgt. In den meisten Fällen
wird es sich um regierungsnahe oder staatsverstärkte Kriminalität handeln, die von den Behörden
des Staates aus nahe liegenden Gründen nicht verfolgt und sanktioniert wird. Aus eben diesen
Gründen werden die Regierungsstellen Rechtshilfeersuchen der deutschen Strafverfolgungsbehörden in den meisten Fällen ablehnen. Würde man die Kooperationsbereitschaft des primär zuständigen Staates zur Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB
machen, würde man das Weltrechtsprinzip aufgeben und in das Ermessen derjenigen stellen, die
eigentlich mit dem Instrument des Völkerstrafrechts verfolgt werden sollten. Von der usbekischen
Regierung zu erwarten, dass sie Ermittlungen eines ausländischen Staates auf ihrem Territorium
wegen Straftaten, die usbekische Staatsvertreter begangen haben sollen, zulassen oder dulden
werden, ist realitätsfern. Insofern kann die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB
nicht davon abhängig sein, ob auch Ermittlungen vor Ort – in diesem Fall in Usbekistan – vorgenommen werden können.
3.
Gänzlich unverständlich ist die Argumentation des Generalbundesanwalts, wenn er einen offiziellen
Bericht des usbekischen Botschaft in Deutschland heranzieht, um zu begründen, dass eine nach § 7
VStGB strafbegründende Duldung oder Förderung systematischer Folter durch die usbekische Regierung durch deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht aufklärbar sei. Überraschend ist der Umstand, dass für die Staatsanwaltschaft mittlerweile die Aussage von potentiell Beschuldigten ausreichend ist, um das Vorliegen eines gegen sie gerichteten Tatverdachts zu verneinen, ohne dass
auch nur ansatzweise die Glaubhaftigkeit der Aussage überprüft wird. Der Bericht der usbekischen
Botschaft enthält fast ausschließlich allgemeine Aussagen, die lediglich in einem Fall (der Erweiterung des Folter-Paragraphen) fallspezifische Informationen enthält.
4.
Der Generalbundesanwalt verkennt auch sämtliche vom Anzeigenerstatter beigebrachten Informationen und Beweise, die den Verdacht erhärten, dass die angezeigten Straftaten in Ausführung und
Unterstützung der staatlichen Politik Usbekistans begangen wurden.
a. Zwar ist Usbekistan der UN-Anti-Folter-Konvention mittlerweile beigetreten. Allerdings führte
dies nicht zu einer Veränderung der Situation in den staatlichen Gefängnissen und Anstalten. Auch
nach dem Beitritt wurden immer wieder Berichte über Folter von Betroffenen und von internationalen Beobachtern, wie dem Komitee gegen Folter des UN-Menschenrechtskommissars oder dem UNSonderberichterstatter für Folter, Theo van Boven, veröffentlicht. Zwar wurden in einigen wenigen
Fällen von der usbekischen Regierung Untersuchungen vorgenommen; in den meisten Fällen blieben die staatlichen Folterungen aber folgenlos, wie der Human Rights Watch-Bericht vom
18.03.2005 über die Folter-Praxis in Usbekistan dokumentiert. Danach dominiert weiterhin eine
Kultur der Straflosigkeit in Bezug auf Folter. Die Regierung und insbesondere der Innenminister
Z.A. haben, obwohl sie spätestens seit dem Bericht des UN-Anti-Folter-Komitees von der ausufernden Praxis von Folter in den staatlichen Gefängnissen Kenntnis hatten, nichts unternommen, um
diese Praxis zu beenden und die Verantwortlichen strafzuverfolgen. Diese Fälle können daher nicht
als Verfehlungen Einzelner interpretiert werden, sondern legen es nahe, sie als Ausdruck einer
staatlichen Politik zu verstehen.
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Das „Politikelement“ in dem Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfordert zwar,
wie der Generalbundesanwalt unter Bezug auf Werle10 ausführt, einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung „in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die
einen solchen Angriff zum Ziel hat“. Die Voraussetzungen für die Annahme eines derartigen „Politikelements“ liegen hier aber vor. Denn diese sind nicht so restriktiv zu interpretieren, wie es der
Generalbundesanwalt in seiner Entscheidung nahe legt. Dies legt gerade der in Bezug genommene
Werle in seinen weiteren Ausführungen dar11. So setzt das Merkmal „Politik“ weder förmliche programmatische Festlegungen voraus, noch bedarf es einer klaren und präzisen Ausformulierung auf
höchster Staats- oder Organisationsebene. Der Begriff ist vielmehr, so Werle12, „im weiten Sinne
einer geplanten, geleiteten oder organisierten Tatbegehung zu verstehen, die den Gegensatz zu
spontanen und isolierten Gewaltalten bildet“. Die Politik des Staates muss dabei nicht in der Übernahme einer Führungsrolle bei der Verbrechensbegehung oder in der aktiven Förderung der Gesamttat bestehen, sondern kann schon in deren Duldung begründet sein.13
Hier liegt zumindest eine Duldung einer systematischen Praxis von Folter vor. Zwar ist es richtig,
wenn der Generalbundesanwalt unter Bezugnahme auf die Definition des Anti-Folter Komitees der
Vereinten Nationen darauf verweist, dass die Bezeichnung einer Folterpraxis als „systematisch“
nicht notwendigerweise eine entsprechende Absicht der Regierung mit umfasst. Allerdings hat der
UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo van Boven, in seinem Bericht, auf den sich auch der
Generalbundesanwalt bezieht, nicht nur eine systematische Anwendung von Folter in Usbekistan
festgestellt, sondern – in dem darauf folgenden Absatz! – auch deren Kenntnis bzw. vorsätzliche
Nichtkenntnis durch höhere Dienstränge und politisch Verantwortliche konstatiert. So führt der
Bericht aus: „If the top leadership of these forces and those politically responsible above them do
not know of the existence of a system which the Special Rapporteur’s delegation was able to discover in a few days, it can only be because of a lack of a desire to know. […] The very hierarchical
nature of the law enforcement bodies also make it difficult to believe that the top leadership of
these forces is not aware of the situation.“14
Diese Ausführungen weisen daraufhin hin, dass zumindest eine Duldung der Verbrechensbegehung
durch politische und staatliche Verantwortungsträger vorliegt. Der Generalbundesanwalt liegt damit
falsch in der Annahme, dass die strafbegründende Duldung oder gar Förderung systematischer
Folter durch die usbekische Regierung nicht durch deutsche Strafverfolgungsbehörden aufklärbar
sei. Dafür bedürfte es nur der umfassenden Sichtung und Prüfung des von dem Anzeigenerstatter
beigebrachten Beweismaterials. Sowohl Vertreter von Human Rights Watch als auch der UN-AntiFolter-Kommission und der UN-Sonderberichterstatter für Folter können Informationen darüber
bereitstellen, inwieweit die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates erfolgten bzw. erfolgen. Nicht ausreichend kann es hingegen sein,
wenn der Generalbundesanwalt lediglich auf offizielle Verlautbarungen staatlicher Institutionen
abstellt, um damit eine Nichtnachweisbarkeit des „Politikelements“ zu begründen. Dagegen spricht
nicht nur die in diesem Fall erdrückende Beweislage, sondern auch die Ratio des Völkerstrafrechts:
Der Tatbestand würde zu einem Papiertiger verkommen, wenn die Propaganda einer Regierung
oder des Staates dazu führen könnte, dass der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit nicht mehr nachweisbar wird. Die Fälle, in denen staatliche Institutionen von sich aus zugeben,
Folter als Mittel ihrer Politik einzusetzen, dürften recht selten vorkommen. Staatlichen und Regierungsstellen stünde es damit offen, durch simple Propagandaschriften eine Strafverfolgung ihrer
Vertreter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern.
Die hier vertretene Sichtweise wird nunmehr auch massiv von Theo van Boven, dem ehemaligen
UN-Sonderberichterstatter für Folter, gestützt, der sich nach Kenntnisnahme des Einstellungsbescheides mit einem Brief an die Generalbundesanwältin wandte und sich gegen Fehlinterpretationen seines eigenen Berichtes verwehrt. Der Brief wird in deutscher Übersetzung als Anlage beigefügt. Van Boven stellt mit aller Deutlichkeit klar, dass Folter ständige Praxis in Usbekistan ist.
Selbst wenn die Befehlshaber von dieser Praxis nicht gewusst haben sollten, hätten sie jedenfalls
davon wissen müssen. Hinsichtlich der Bezugnahme des Generalbundesanwaltes auf einen Bericht
der usbekischen Botschaft über „Reformbemühungen“ weist er daraufhin, dass er wie alle unab10
Werle, Völkerstrafgesetzbuch (2003), Rn. 640.
Ebd., Rn. 642 f. mit weiteren Nachweisen
12
Ebd.,
13
Ebd., Rn. 647.
14
Bericht des Sonderberichterstatters für Folter, Theo van Boven, zu seinem Besuch in Usbekistan vom
24.11.-06.12.2002, Seite 21.
11
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hängigen Beobachter diese Massnahmen als Schaufensterschmuck ansieht. Abschliessend bedauert
er die Einstellung des Verfahrens und hält sie für ein falsches Signal in Richtung der usbekischen
Behörden und für einen Mangel an Aufmerksamkeit für das Anliegen der Opfer von Folter und des
Andischan-Massakers.
Auch der Nachfolger Theo van Bovens in der Position des UN-Sonderberichterstatters für Folter,
Manfred Nowak, teilt in einem ebenfalls in deutscher Übersetzung beigefügten Brief vom 14. Juni
2006 an die Europadirektorin von Human Rights Watch, L.L., dessen Auffassung, dass Folter in
Usbekistan systematisch praktiziert wird. Er teilt mit, dass seit dem Bericht seines Vorgängers aus
dem Jahre 2002 weiterhin ernsthafte Foltervorwürfe gegen usbekische Strafverfolgungsbehörden
erhoben werden. Im Anschluss an die Ereignisse von Andischan im Mai 2005 hätte auch die UNHochkommissarin für Menschenrechte berichtet, dass gewichtige Beweise existierten, dass usbekisches Militär und Sicherheitskräfte schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen hätten. Ein
Beleg hierfür sei auch, dass unabhängige internationale Untersuchungen der Ereignisse nicht zugelassen würden.
b. Auch das Massaker in Andischan, das den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit
erfüllt (§ 7 VStGB, siehe Anzeige), erfolgte in Ausübung und Unterstützung der staatlichen Politik.
In einer Vielzahl von offiziellen Verlautbarungen war davon die Rede, dass Z.A. selbst die Befehlsgewalt zur Niederschlagung des Aufstandes von Andischan hatte. Anlässlich des EU-Gipfeltreffens
vom 09.06.2005 meldete Reuters, dass Innenminister Z.A. offiziell Verantwortung darüber hatte,
die Rebellion in Andischan niederzuschlagen; eine Maßnahme, die die usbekische Regierung als
erfolgreiche Operation gegen Terroristen und Banditen bezeichnet hatte (vgl. Reuters News vom
09.06.2005). Eine Reihe von Journalisten berichteten, dass Z.A. für die Sicherheitskräfte verantwortlich war, die später in die Protestmenge im Osten der Stadt gefeuert haben (vgl. Jeremy Page
und Antony Browne, The Times, 18.11.2005). Präsident I.K. selbst hat gegenüber der Presse geäußert, dass die Regierung in direkten Verhandlungen mit einem Teil der protestierenden Menge
stand. In erster Linie hätte die Regierung dem usbekischen Innenminister Z.A. diese schwierige
und komplizierte Aufgabe übergeben. Z.A. hätte permanent die Verhandlungen über das Telefon
geführt (vgl. BBC, Transkript und Übersetzung einer Sendung des 1. Usbekischen Radios vom
14.05.2005). Weiter hieß es, dass der usbekische Innenminister Z.A. und der Gouverneur der Region, S.B.B., Beschuldigter zu 5., die Verhandlungen geführt und Repräsentanten der Öffentlichkeit
ebenfalls daran teilgenommen hätten (vgl. BBC, Transkript und Übersetzung einer Sendung des 1.
Usbekischen Fernsehens vom 14.05.2005). Im übrigen äußerte sich Z.A. selbst in Bezug auf eine
der bewaffneten Personen innerhalb der protestierenden Menge, K.P., dass dieser der Mann gewesen sei, mit dem er, Z.A., am 13.05.2005 gesprochen habe: Nach Beendigung der Demonstration
„haben wir weder seinen Körper gefunden noch befand er sich unter den gefangenen Militanten“
(vgl. „The Times of central Asia“ vom 18.05.2005). In dem OSZE-Bericht zu den Ereignissen vom
13.05.2005 heißt es ebenfalls:
„Gegen 13.00 Uhr, so wird berichtet, fand eine telefonische Besprechung zwischen einem der Organisatoren der Protestveranstaltung und dem Minister für Inneres Z.A. statt. Die Organisatoren
forderten Freiheit, Demokratie und die Freilassung von politischen Gefangenen, einschließlich A.Y..
Der Minister für Inneres soll geantwortet haben, dass er ihre Forderungen bedenkt und sie zurückrufen würde. Der Menge wurde über dieses Gespräch berichtet und bejubelte das Ergebnis. Eine
Stunde später, während einer anderen telefonischen Unterhaltung zwischen den beiden, soll Z.A.
gesagt haben, dass die Protestveranstaltung augenblicklich zu beenden sei. Falls dies nicht der Fall
sei, würden Sicherheitskräfte schießen. Er bot den Protestierenden einen Korridor nach Kirgisien an
und befahl den Protestierenden Usbekistan zu verlassen. Er soll sie Terroristen genannt haben und
ausgeführt haben, dass Terroristen keinen Platz in Usbekistan hätten.“ (vgl. OSZE-Bericht, S. 22).
In dem Human Rights Watch-Bericht heißt es ebenfalls, dass eine der bewaffneten Personen innerhalb der protestierenden Menge Kontakt zu hohen Regierungsoffiziellen aufgenommen habe und
insbesondere mit Innenminister Z.A. zu verhandeln begonnen habe. Nach der Aussage eines Zeugen, der im Gebäude des Hokimiyat anwesend war, soll der als Geisel genommene Staatsanwalt
der Stadt dem bereits erwähnten A.P. Z.A.s Telefonnummer gegeben haben und A.P. dazu gedrängt haben, Z.A. persönlich anzurufen. Der Staatsanwalt habe ausgeführt, dass er sicher sei,
dass die Regierung die Forderungen der Protestierenden anhören würde, zumal wenn die Funktionäre realisieren würden, wie groß die Menge der Protestierenden sei. Der Zeuge sagte weiter aus,
dass A.P. daraufhin Z.A. angerufen und die Verhandlungen begonnen habe. Präsident I.K. gab bei
mehreren Gelegenheiten bekannt, dass Minister Z.A. den Kontakt zu den Geiselnehmern in Hokimiyat gehalten habe (vgl. BBC, Monitoring Central Asia vom 14.05.2005).
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Schließlich wird berichtet, dass das letzte Telefonat zwischen Z.A. und A.P. gegen 17.00 Uhr am
Nachmittag des 13.05.2005 stattgefunden habe. Etwa 15 bis 20 Minuten bevor der Sturm der Regierungstruppen auf den Platz und die protestierende Menge begonnen habe. Bei dieser Gelegenheit habe Z.A. eine Warnung an die Protestierenden gerichtet. Er soll gesagt haben, dass wenn
nötig, 300 bis 500 Menschen umgebracht werden würden (vgl. Galima Bukharbaeva, „Blood in the
Streets of Andijan“, The Wallstreet Journal Europe vom 17.05.2005).
Aus diesen Berichten und Zitaten wird deutlich, dass das Massaker von Andischan nicht das Ergebnis des Handelns einzelner Sicherheitskräfte darstellt oder als Exzess von Polizeieinheiten angesehen werden kann, sondern Ausdruck einer staatlichen Politik ist, für die u.a. der Beschuldigte Z.A.
verantwortlich ist. Schon die nachträgliche Rechtfertigung des Verbrechens als „erfolgreiche Operation gegen Terroristen“ durch die Regierung macht deutlich, dass die Folgen des Einsatzes der Sicherheitskräfte gegen die protestierende Menge wenn nicht von den Regierungsmitgliedern gewollt,
so doch zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Z.A. selbst hat, wie aus den obigen Berichten ersichtlich ist, im Rahmen der Verhandlung mit Vertretern der Demonstranten angekündigt,
dass geschossen werden würde und dass, wenn es nötig sei, 300-500 Menschen umgebracht werden würden, wenn die Veranstaltung nicht sofort beendet werde. Diese vorherige Ankündigung
macht deutlich, dass der darauf folgende Einsatz von massiver Waffengewalt nicht als Exzess der
unmittelbar vor Ort handelnden Sicherheitskräfte zu interpretieren ist, sondern direkte Folge einer
staatlichen Politik ist, die mit allen Mitteln versucht, jeglichen Protest zu unterdrücken.
Gestützt wird dieser Befund durch die Vielzahl der Berichte von internationalen Institutionen und
Menschenrechtsorganisationen über die erste Prozessserie gegen Teilnehmer an den AndischanProtesten. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt, wurde trotz mehrerer hundert Toter nicht ein
einziges Verfahren gegen einen Angehörigen der Sicherheitskräfte eingeleitet. Stattdessen finden
Schauprozesse gegen mutmassliche Teilnehmer an den Andischan-Protesten statt, die mit rechtsstaatlichen Maßstäben nicht zu vereinbaren sind. Neben den in der Strafanzeige bereits zitierten
Berichten kommt zuletzt das OSZE-ODIHR (Office for Democratic Institutions and Human Rights) in
seinem Bericht vom 21. April 200615 zu diesem Ergebnis.
5. Selbst wenn man eine unmittelbare Tatbeteiligung des Beschuldigten Z.A. an den angezeigten
Taten entgegen den obigen Ausführungen verneint, ist dieser nach den Kriterien der Vorgesetztenverantwortlichkeit gem. § 4 VStGB verdächtig; ein Umstand, der von dem Generalbundesanwalt
überhaupt nicht thematisiert wurde. Nach § 4 VStGB macht sich ein Vorgesetzter dann strafbar,
wenn er vorsätzlich die erforderlichen und angemessenen Maßnahmen unterlässt, Völkerstraftaten,
die von seinen Untergebenen begangen werden, zu verhindern, obwohl er über die tatsächliche
Möglichkeit dazu verfügt.
a. Als Innenminister unterstehen ihm sämtliche Haftstätten, in denen Untersuchungshaft und später Strafhaft vollstreckt wird. Wie schon in der Anzeige ausgeführt, hatte der Beschuldigte Z.A.
umfangreich Kenntnis über die fortgesetzten Folterungen in den ihm unterstehenden usbekischen
Gefängnissen. Allein Vertreter von Human Rights Watch haben ihn seit 1999 mindestens in sechs
Fällen aufgesucht, um ihn über die ständigen Folterungen zu informieren. Auch Vertreter der UN
und der OSZE haben in persönlichen Gesprächen den Beschuldigten Z.A. über den Sachverhalt
informiert. Die einzelnen Gespräche wurden schon in der Anzeige aufgelistet. Als unmittelbarer
Vorgesetzter hatte Z.A. somit Kenntnis von den von seinen Untergebenen begangenen Völkerstraftaten. Er leitete aber keine Maßnahmen ein, die geeignet gewesen wären, diese Straftaten für die
Zukunft zu verhindern, obwohl er als Dienstherr die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Die in dem
Bericht der usbekischen Botschaft in Deutschland aufgelisteten Maßnahmen sind viel zu unkonkret,
um der Regierung und damit auch dem Beschuldigten Z.A. ein wirklich ernsthaftes und effektives
Vorgehen gegen Folter in den staatlichen Haftanstalten unterstellen zu können. Eine Verbesserung
des Systems der gerichtsmedizinischen Kontrolle von Gefangenen und die Einrichtung einer Verwaltung für den Schutz von Menschenrechten, wie in dem Bericht angekündigt, sind zwar grundsätzlich begrüssenswert, allerdings viel zu vage, um die Annahme zu rechtfertigen, dass die Regierung aktiv wirksame Möglichkeiten zur Unterbindung von Folterungen in den staatlichen Gefängnissen unternimmt. Sie waren nachweislich auch in der Praxis nicht effektiv.
b. Das Massaker von Andischan, dem Hunderte von Menschen zum Opfer fielen, wurde ebenfalls zu
einem großen Teil von den Polizeieinheiten, die der Befehlsgewalt des Innenministers unterstehen,
verübt. Diese Polizeieinheiten haben nicht etwa autonom oder im Exzess gehandelt, sondern in
15
Warschau, Mai 2006; vgl. auch die elektronische Version des Berichtes auf
http://www.osce.org/odihr/
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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Kenntnis und in Absprache mit dem Beschuldigten Z.A.. Wie schon in der Strafanzeige ausgeführt,
hatte der Innenminister an diesem Tag die Befehlsgewalt über die eingesetzten Polizeieinheiten.
Z.A. hatte Kenntnis von der gesamten Situation, also von der Demonstration und der Anwesenheit
der Polizeieinheiten. Kurz nachdem die Geiselnehmer mit dem Beschuldigten per Telefon verhandelt hatten, fand der Sturm der Regierungstruppen auf die protestierende Menge statt. Diesen Angriff hätte Z.A. – wenn er ihn nicht sogar befohlen hat, wovon realistischerweise auszugehen ist –
verhindern können, indem er auf die ihm unterstehenden Einsatzkräfte einwirkt, um ein gewalttätiges Vorgehen gegen die protestierende Menge zu unterbinden. Diese Möglichkeit hat der Beschuldigte Z.A. nicht genutzt, obwohl er die Möglichkeit gehabt hätte, woraus sich zweifelsfrei eine Vorgesetztenverantwortlichkeit auch für die Ereignisse in Andischan ergibt.
6.
Widersprüchlich ist auch die Argumentation des Generalbundesanwalts, eine Einreise des usbekischen Innenministers sei aufgrund der breiten, öffentlichen, durch die Strafanzeige ausgelösten
Diskussion nicht zu erwarten und das Verfahren daher schon aus diesem Grunde einzustellen sei.
Dies würde bedeuten, dass die Aufnahme von Ermittlungen mit dem Argument abgelehnt werden
könnte, dass ein Ermittlungsverfahren deshalb nicht zum Erfolg führen würde, da dieses dazu
führt, dass die beschuldigte Person nicht in den Geltungsbereich des VStGB einreisen werde. Damit
würde das VStGB ad absurdum geführt. Der Generalbundesanwalt muss sich bei dieser Argumentation die Frage gefallen lassen, warum er nicht von sich aus und ohne Beteiligung der Öffentlichkeit
Ermittlungen aufgenommen hat, als sich der usbekische Innenminister im Dezember 2005 in
Deutschland aufgehalten hat, obwohl er dazu verpflichtet gewesen ist.
Die Ausführungen des Generalbundesanwalts lassen auch den Eindruck aufkommen, als wenn generell bei nichtinländischem Aufenthalt des Beschuldigten kein Ermittlungsverfahren eingeleitet
wird. Zumindest wenn es sich um den Vorwurf des Terrorismus oder um BtM-Delikte handelt, lassen sich deutsche Strafverfolger in der Praxis nicht davon abschrecken, Ermittlungsmaßnahmen
auch gegen einen Beschuldigten zu ergreifen, der sich nicht im Inland aufhält. Darüber hinaus existiert auch die Möglichkeit, einen internationalen Haftbefehl gegen einen Beschuldigten zu erlassen.
Das Beispiel von Herrn Z.A., der von Deutschland nach Dubai gereist sein soll, zeigt auch, dass
Beschuldigte von VStGB-Vorwürfen in Länder reisen, mit denen auf vertraglicher oder vertragsloser
Grundlage eine Auslieferungsverpflichtung gegenüber Deutschland existiert. Dem Generalbundesanwalt stehen daher ausreichend Möglichkeiten der Strafverfolgung auch von sich nicht im Inland
aufhaltenden Beschuldigten offen. Der Generalbundesanwalt übersieht im übrigen, dass sich die
Anzeige nicht nur auf den usbekischen Innenminister, sondern auch auf andere Personen der
Staatsapparates erstreckt.
7. Schließlich geht die Begründung des Generalbundesanwalts zur Gerichtsstandsbestimmung nach
§ 13a StPO fehl. Da die Bundesanwaltschaft für die Ermittlung der Folterstraftaten, die vor dem
30.06.2002 begangen wurden und daher nicht nach dem VStGB verfolgt werden können, sondern
nur nach den §§ 223 ff, 211 ff. i. V. m. § 6 Nr. 9 StGB und UN-Folter-Konvention, bedarf es, da es
an einem nach §§ 7-9 StPO begründeten Gerichtsstand fehlt, einer Gerichtsstandsbestimmung
durch den Bundesgerichtshof. Wenn der Generalbundesanwalt darauf abstellt, dass die dann zuständige Landesstaatsanwaltschaft das Verfahren nach § 153c StPO einstellen werde, überschreitet
er seine Befugnisse. Diese Entscheidung muss der zuständigen Landesstaatsanwaltschaft überlassen bleiben.
Die Sache ist daher insoweit dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen."
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2.3.
Mit Schreiben vom 16.10.2006 teilte der Generalbundesanwalt mit, dass er der Gegenvorstellung
des Unterzeichners nicht Folge leisten werde.
Diese Entscheidung wurde wie folgend begründet:
(vgl. Vermerk in Kopie als Anlage 6)
"1. Das Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens beruht nicht auf einer Verkennung
des Normzweckes des § 153f Abs. 1 Satz 1 StPO.
Diese Vorschrift knüpft nach Wortlaut und Gesetzeszweck nicht an das Erfordernis einer vorrangigen anderweitigen Strafverfolgung an. Dementsprechend kann bei Vorliegen der Voraussetzungen
des § 153f Abs. 1 Satz 1 StPO auch keine Pflicht deutscher Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung von Straftaten nach dem VStGB für den Fall hergeleitet werden, dass der Sachverhalt nicht
durch eine vorrangig zuständige Gerichtsbarkeit verfolgt wird. Aus der Entscheidung über die gegen den US-Verteidigungsminister D.R. und andere gestellten Strafanzeige ergibt sich nichts anderes. Dort wurde hinsichtlich der angezeigten Personen, die sich nach dem damaligen Sachvortrag
nicht im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, an die Voraussetzungen des §
153f Abs. 1 Satz 1 StPO angeknüpft und von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen. Der hier erst nach seiner Ausreise durch die Strafanzeigen vom 5. und 12. Dezember 2005
bekannt gewordene zeitweilige Aufenthalt des Angezeigten Z.A. in der Bundesrepublik Deutschland
steht einer Entscheidung gemäß § 153f StPO im vorliegenden Fall nicht entgegen. Die Anwendbarkeit des § 153f StPO wird nur durch eine im Beurteilungszeitpunkt fortdauernde oder künftig zu
erwartende, nicht aber durch eine bereits beendete Anwesenheit eines Beschuldigten ausgeschlossen.
2. Ein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigender Ermittlungserfolg ist beim angezeigten Sachverhalt nicht zu erzielen.
Sinn und Zweck der Regelung des VStGB und des § 153f StPO ist es nicht, Strafverfolgungsbehörden in jedem Fall zu einer Strafverfolgung anzuhalten, auch wenn diese, wie im konkreten Fall, nur
ansatzweise möglich ist (vgl. BT-Drucksache 14/8542, S. 37). Die bloße Erhärtung eines Anfangsverdachts, der absehbar nicht einer umfasssenden Sachverhaltsaufklärung zugeführt werden
kann, rechtfertigt nicht die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. So liegt es hier. Für eine umfassende Aufklärung der angezeigten Sachverhaltskomplexe, insbesondere das Funktionieren der inkriminierten staatlichen Sicherheitsapparate, sind Ermittlungen vor Ort in Usbekistan erforderlich.
Diese Notwendigkeit resultiert auch aus der Stellungnahme der usbekischen Botschaft in Deutschland zur Frage der Umsetzung von Vorschlägen der UN-Menschenrechtskommission, die deswegen
im Bescheid vom 30. März 2006 zitiert wurde. Die darin aufgeführten Darstellungen der Situation in
Usbekistan enthalten zugleich ein qulifiziertes Bestreiten von Misständen und umreißen den Themenbereich, über den Beweis zu erheben wäre, um den Nachweis für die systematische, politisch
gewollte Verletzung von Menschenrechten zu erbringen. Da deutsche Ermittlungsbehörden ohne
Einwilligung des betroffenen Staates kein Mandat für ein Vorgehen auf fremdem Hoheitsgebiet besitzen und es an der Bereitschaft usbekischer Behörden zur Zusammenarbeit für ein von deutschen
Behörden geführtes Strafverfahren fehlt, ist ein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigender Ermittlungserfolg nicht erkennbar.
3. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Verpflichtung des Generalbundesanwalts, den Sachverhalt
hinsichtlich nicht in seiner Zuständigkeit fallender Tatkomplexe dem Bundesgerichtshof zur Gerichtsstandsbestimmung vorzulegen, besteht nicht.
Auch eine sachlich zuständige, aber örtlich nicht zuständige Staatsanwaltschaft eines Bundeslandes
kann - selbst bei Vorliegen des Voraussetzungen des § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO - einen Antrag gemäß § 13a StPO auf Gerichtsstandsbestimmung stellen. Sie wird dies tun, wenn sie eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens sieht, ansonsten von der
Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 153c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO absehen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 13a Rn. 4)."
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Mit Schriftsatz vom 18.10.2006 an den Generalbundesanwalt übersandte der Unterzeichnende eine
im Journal of International Criminal Justice, Ausgabe 4/2006 von Salvatore Zappalá, Professor für
Internationales und EU-Recht an der Universität Catania, verfasste Kritik der Entscheidung des
Generalbundesanwalts vom 23.03.2006, gegen Z.A. keine Ermittlungen einzuleiten. (vgl. Artikel in
Kopie als Anlage 7)
3. Formelle Voraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens
3.1. Antragsbefugnis
Die Geschädigten M.K., z.Zt. Symkent, Kasachstan, E.U., T.C., sowie F.M., Mutter des zu Tode
gekommenen M.A., alle Taschkent, Usbekistan, und der im Anschluss an das Andischan-Massaker
geflohenen K.R., O.B., K.K., alle z.Zt. Amerfoort, Niederlande sind befugt, das Klageerzwingungsverfahren zu betreiben, weil sie sich der Strafanzeige vom 12.12.2005 angeschlossen haben und
weil sie Verletzte im Sinne des § 172 Abs. 1 StPO sind. Sie wären als Verletzte von Tötungs- bzw.
Körperverletzungsdelikten nebenklageberechtigt gemäß § 395 Abs. 1 Nr. 1 c), Abs. 2 Nr. 1 StPO.
Die Anzeigenerstatter M.K., E.U., T.C. und F.M. bzw. ihre Angehörigen sind wiederholt Opfer von
Misshandlungen und Folter in der Haft geworden und sind teilweise in der Haft an den Folgen der
Misshandlungen und folterbedingten Verletzungen gestorben. Die Anzeigeerstatter K.R., O.B. und
K.K. sind von usbekischen Sicherheitskräften am 13. Mai 2005 auf dem Bobur-Platz in Andischan
beschossen worden und sind daher Opfer von versuchten Körperverletzungs- und Tötungsdelikten.
Die Schilderungen der Anzeigenerstatter in der Strafanzeige erlauben nur eine vorläufige rechtliche
Würdigung. Eine umfassende Würdigung muss zu einem späteren Zeitpunkt nach erfolgten Zeugenvernehmungen der Geschädigten und weiteren Ermittlungen vorbehalten bleiben. Mit dem Anschluss an die Strafanzeige und der Erhebung der nachfolgenden Gegenvorstellung haben die Geschädigten jedenfalls ihr unbedingtes Strafverfolgungsinteresse zum Ausdruck gebracht.
3.2. Einhaltung der Fristen
Das Rechtsmittel der Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 StPO ist im vorliegenden Fall nicht gegeben,
da der Einstellungsbescheid von der Bundesanwaltschaft stammt. Der Bescheid der Bundesanwaltschaft vom 23.03.2006, im Büro des Unterzeichners am 30.03.2006 eingegangen, enthielt jedoch
keine Rechtsmittelbelehrung. Die Ein-Monats-Frist gemäß § 172 Abs. 2 S. 1 StPO läuft daher gemäß § 172 Abs. 2 S. 3 StPO nicht.
3.3. Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz Einstellung nach § 153f StPO
Die in der Gegenvorstellung näher erläuterte Ausgestaltung des § 153f StPO bestimmt auch die
Möglichkeiten eines Klageerzwingungsverfahren. Grundsätzlich ist zwar nach § 172 Abs. 2 Satz 3
StPO eine Klageerzwingung ausgeschlossen, wenn die Staatsanwaltschaft aus Opportunitätsgründen, wozu auch § 153f StPO gezählt wird, von der Verfolgung abgesehen hat. Jedoch ist ein Klageerzwingungsverfahren gegen Opportunitätsentscheidungen in den Fällen zulässig, in denen bereits
die tatbestandlichen Voraussetzungen der das Opportunitätsprinzip und damit das staatsanwaltschaftliche Ermessen eröffnenden Norm nicht gegeben sind oder jedenfalls deren Nichtvorliegen
gerügt wird. Einer gerichtlichen Überprüfung durch ein Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs.
2 Satz 3 StPO sind die sich auf § 153f StPO berufenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft
zugänglich, die sich auf die in Abs. 1 und Abs. 2 niedergelegten gesetzlichen Voraussetzungen beziehen. Denn diese sind Ausdruck des § 153f StPO zugrunde gelegten und von § 172 StPO geschützten Legalitätsprinzips. Daher unterliegt es gerichtlicher Kontrolle, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 153f StPO erfüllt sind (im einzelnen streitig bei OLG Stuttgart, NStZ 2006, S.
117). Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 153f StPO vor, so ist zumindest weiterhin gerichtlich überprüfbar, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt und ob die Grenze zur Willkür überschritten worden ist (OLG Stuttgart, NStZ 2006, S. 117).
Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob ein Inlandsaufenthalt der Beschuldigten besteht
bzw. zu erwarten ist (§ 153f Abs. 1 S. 1 StPO). Weiterhin ist zu erläutern, warum der Generalbundesanwalt seine Einstellungsentscheidung angesichts der nicht zu erwartenden Strafverfolgung im
Hinblick auf § 153f Abs. 2 Nr. 4 StPO so nicht hätte treffen dürfen. Auch ist die Annahme falsch,
dass Ermittlungen durch deutsche Strafverfolgungsbehörden keine Aussicht auf Erfolg hätten und
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damit das Ermessen des Generalbundesanwalts gegen die Aufnahme von Ermittlungen ausfallen
musste.
Der Unterzeichner rügt, dass der Generalbundesanwalts fälschlich vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des § 153f Abs. 1 StPO ausgegangen ist und die sich hieran anschließende Ermessensentscheidung willkürlich getroffen hat. Damit ist das Klageerzwingungsverfahren statthaft.
Außenpolitische oder anderweitig begründete Bedenken im Wege einer Güterabwägung (§ 34
StGB) einer eventuellen Strafverfolgung entgegenzustellen (KK-Schoreit § 153f. Rn. 3), wäre unzulässig. Denn die gesetzlichen Einstellungsvoraussetzungen – und damit die Geltung des Legalitätsprinzips – sind gesetzlich geregelt und in diesem Rahmen gibt es für eine derartige Interpretation
keinen Raum. Das Legalitätsprinzip kann nur durch Gesetz eingeschränkt werden, ansonsten wäre
es ein Opportunitätsprinzip.
3.4 Zulässigkeit des Klageerzwingungsverfahrens trotz nicht erfolgter Aufnahme von
Ermittlungen
„Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass das Gesetz in § 172 StPO die Statthaftigkeit des Klageerzwingungsverfahrens an sich nur für den Fall vorsieht, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt Ermittlungen aufgenommen und das Verfahren sodann mangels genügendem
Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Der nicht ausdrücklich geregelte Fall, dass die Ermittlungsbehörde überhaupt von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens absieht, weil nach ihrer Ansicht hierfür keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen, kann nicht anders behandelt werden. Denn für die rechtliche Bewertung macht
es keinen Unterschied, ob die Staatsanwaltschaft formell Ermittlungen durchführt oder diese ablehnt, weil in beiden Fällen die Beachtung des Legalitätsprinzips in Frage steht“ (so ausdrücklich
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Januar 2005 – 1 Ws 152/03 – unter Bezugnahme auf OLG
Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2002 – 1 Ws 85/02).
Dementsprechend hat sich das Oberlandesgericht Karlsruhe in dem Beschluss vom 16. Dezember
2003 ausdrücklich einer Rechtsprechung mehrerer weiterer Oberlandesgerichte angeschlossen,
welche eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft durch das Oberlandesgericht zur Aufnahme der
Einleitung eines Ermittlungsverfahrens dann für zulässig erklärt haben, wenn die Ermittlungsbehörde zu Unrecht aus Rechtsgründen einen Anfangsverdacht verneint und deshalb jede tatsächliche
Aufklärung des Sachverhaltes unterlassen hat. Diesen Fall habe der Gesetzgeber mit Beseitigung
der gerichtlichen Voruntersuchung durch das erste Strafverfahrensänderungsgesetz zum 01. Januar 1975 (vgl. BGBl. Teil 1, S. 3393 ff, 3399) nicht bedacht. Deshalb komme eine lückenfüllende
Rechtsfortbildung in Betracht (vgl. hierzu Rieß, NStZ 1986, S. 433; KG NStZ 1990, S. 355 ff). Diese Auffassung entspräche der in der Strafprozessordnung vorgesehenen Rollenverteilung, „nach
welcher die Ermittlungskompetenz der Staatsanwaltschaft zugewiesen ist und es nicht Aufgabe der
Oberlandesgerichte im Klageerzwingungsverfahren sein kann, ggf. unter Bestimmung von Tatverdächtigen umfangreiche Sachverhalte selbst aufzuklären“. Zwar sähe die Vorschrift des § 173 Abs.
3 StPO die Möglichkeit der Anordnung von Ermittlungen durch den Senat des Oberlandesgerichts
zur Vorbereitung seiner Entscheidung vor. Damit seien aber nur solche Fälle erfasst, „in welchen
bereits ein weitgehend aufgeklärter Sachverhalt“ vorläge, „der lediglich in einzelnen Punkten näherer Vertiefung“ bedürfe. Die Ermittlungsbehörde habe in rechtlicher Hinsicht die Reichweite des
Legalitätsprinzips gem. § 152 Abs. 2 StPO verkürzt, wenn sie ohne nähere Sachaufklärung eine
Strafbarkeit zu Unrecht aus rechtlichen Gründen verneine. § 152 Abs. 2 StPO sei „Ausfluss des
Legalitätsprinzips“. Danach sei die Staatsanwaltschaft „dann zur Aufnahme von Ermittlungen verpflichtet, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat besteht.
Wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat bestehen, so obläge es der Staatsanwaltschaft und der Polizei diese nach Ihren Möglichkeiten aufzuklären“ (§ 160 StPO). Das Legalitätsprinzip geböte es, „den Ermittlungsansätzen im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten und
Ressourcen zunächst einmal nachzugehen“ (so ausdrücklich OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.
Januar 2005; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2002 unter Bezugnahme auf OLG
Zweibrücken, NStZ 1981, 193; OLG Bremen, OLGSt StPO § 175 Nr. 1, OLG Koblenz, NStZ 1995,
50 ff; OLG Braunschweig, Wistra 1993, 31 ff; KG NStZ 1990, 355 ff, mit Anm. Wohlers, 300 f = JZ
1991, 46, mit Anm. Eisenberg, 47ff, OLG Celle, Beschluss vom 26.04.2002, 2 Ws 94/02; jüngst
auch OLG Köln, NStZ-RR 2003, 212; OLG Hamm StV 2002, 128, 129 ff; zustimmend Lilie Anmerkung zu OLG Hamm StV 2002, 130; Meyer-Goßner, 47. Auflage, § 175 Rn 2; a. A. KK-Schmid, §
175, 5. Auflage, Rn 2 unter Verweis „den klaren, einer richterlichen Rechtsfortbildung nicht zugänglichen Wortlaut der §§ 171, 172, 173 Abs. 3 und 175“; Kuhlmann, NStZ 1981, 193f).
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Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass das Klageerzwingungsverfahren zunächst aus
den oben (3.3) ausgeführten Gründen zulässig ist, obwohl die Bundesanwaltschaft sich bei der
Nichtaufnahme von Ermittlungen auf § 153f StPO stützt. Die Tatsache, dass dementsprechend
keine Ermittlungen stattgefunden haben und auch kein Einstellungsbescheid nach § 170 Abs. 2
StPO vorliegt, hindert entsprechend der geschilderten Argumentation des Oberlandesgerichts Karlsruhe und weiterer Oberlandesgerichte nicht an der Durchführung eines Klageerzwingungsverfahrens.
4. Zusammenfassende Würdigung und Begründung des hinreichenden Tatverdachts gegen Z.A.
4.1. Verpflichtung zur Strafverfolgung
a) In einem Gutachten von November 2006 zur Geltung des Weltrechtsprinzips im VStGB, das für
ein anderes Ermittlungsverfahren nach VStGB eingeholt wurde, haben Prof. Dr. Michael Bothe und
Dr. Andreas Fischer-Lescano folgendes ausgeführt:
(vgl. in Kopie als Anlage 8)
„Die Völkerrechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte ist dadurch gekennzeichnet, dass grundlegende und wertbezogene Ordnungsvorstellungen sich in den internationalen Beziehungen verdichten.
Kernpunkt dieser Ordnungsvorstellungen ist der Schutz der Menschenrechte. Eine Verletzung dieser
Grundsätze betrifft nicht nur den Staat, dessen Territorium, dessen Staatsorgane oder dessen
Staatsangehörige, die durch diese Verletzung konkret betroffen sind, sondern sie betrifft rechtlich
gesehen jedes Mitglied der Internationalen Rechtsgemeinschaft. Deshalb spricht man in diesem
Zusammenhang auch von Verpflichtungen erga omnes. Konsequenz dieser Betroffenheit aller Staaten ist ihre Befugnis, Schritte zu ergreifen, die Beachtung dieser grundlegenden Ordnungsprinzipien
gegenüber einem Staat, der sie verletzt, durchzusetzen. Zu solchen Schritten gehört auch die Ausübung staatlicher Strafgewalt nach dem Weltrechtsprinzip (universal jurisdiction). Eine Grenze dieser Befugnis zur Rechtsdurchsetzung ist das völkerrechtliche Gewaltverbot, obwohl das nicht mehr
unbestritten ist.
Diese Entwicklung ist im Grundsatz unbestritten. Zu den Delikten, die auf diese Weise nach dem
Grundsatz der universal jurisdiction von Staaten verfolgt und bestraft werden dürfen, gehören heute Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In den Worten der
Richterin am Jugoslawien-Strafgerichtshof van den Wyngaert:
„Internationally law clearly permits universal jurisdiction for war-crimes and crimes against humanity. For both crimes, permission under international law exists. For crimes against humanity,
there is no clear treaty provision on the subject but it is accepted that, at least in the case of genocide, states are entitled to assert extraterritorial jurisdiction”.
Eben davon geht auch das am 30.06.2002 in Kraft getretene deutsche Völkerstrafgesetzbuch
(VStGB) aus. Das VStGB ist gegenüber dem Strafgesetzbuch und dem IStGH-Statutgesetz ein eigenständiges Regelwerk. Es enthält einen Teil mit allgemeinen Bestimmungen und einen besonderen, in dem die Tatbestände des Völkermords, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der
Kriegsverbrechen normiert werden. Diese Strafgewalt wird nach dem Weltrechtsprinzip ausgeübt, §
1 VStGB, d.h. auf den Tatort und die Staatsangehörigkeit von Täter und Opfer kommt es insoweit
nicht an.“ (aaO. S.3 ff.)
Der Wortlaut des § 1 VStGB läßt hinsichtlich der nach dem 30.06.2002 verübten Taten keinerlei
Zweifel: Das Völkerstrafgesetzbuch gilt für die hier in Rede stehenden Verbrechen gegen die
Menschlichkeit „auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist“. Damit ist die deutsche Strafgewalt für diese Taten unproblematisch begründet (vgl.
Gesetzesbegründung, BT Drucksache 14 8527, a.a.O.; Löwe- Rosenberg- Beulke, Strafprozessordnung, Nachlieferung, Rn. 1 zu § 153 c, Rn. 2 zu § 153f).
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Universität Hamburg
b) Der Generalbundesanwalt hat insbesondere verkannt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der das Opportunitätsprinzip und damit das staatsanwaltschaftliche Ermessen eröffnenden
Norm (§ 153f Abs. 1 i.V.m. § 153f Abs. 2 StPO) nicht gegeben waren. Denn er geht fälschlicher
Weise davon aus, dass ein Aufenthalt der Tatverdächtigen in Deutschland nicht mehr zu erwarten
sei. Dabei missachtete er aber das vom Gesetzgeber intendierte weite Verständnis des Inlandsaufenthalts, wonach jeder (freiwillige oder unfreiwillige) Kontakt mit dem deutschen Hoheitsgebiet (sei
es ein vorübergehender Aufenthalt oder eine Durchreise), der eine Ergreifung ermöglicht, ausreicht
(vgl. Gesetzesbegr. in Lüder/Vormbaum (Hrsg.), Materialien zum VStGB, 2003, S. 61); auch: LRBeulke § 153f Rn 15; SK-Weßlau § 153f Rn 9). Eine Einstellungsmöglichkeit ergibt sich daher nur
für den Fall, dass der Beschuldigte zu keinem Zeitpunkt in Deutschland aufhältig war (vgl. Zappalà,
Journal of International Criminal Justice 4/2006, S. 606, in Kopie als Anlage 8). Der Beschuldigte
Z.A. hat sich jedoch nachweislich im November 2005 für einen gewissen Zeitraum in Deutschland
zur Krankenbehandlung aufgehalten, womit das Erfordernis der Präsenz im Geltungsbereich des
VStGB erfüllt ist. Da es sich dem Vernehmen nach um eine schwerwiegende Erkrankung handelte,
ist anzunehmen, dass die Behandlung durch deutsche Spezialisten zu einem späteren Zeitpunkt
fortgesetzt wird und ein zukünftiger Aufenthalt Z.A.s in Deutschland daher nicht auszuschließen ist.
Ausserdem laufen die Reisebeschränkungen aus der Gemeinsamen Position der Europäischen Union
Mitte März 2007 aus, da sich die Staaten der EU nach Ablauf der ursprünglichen einjährigen Frist
nur auf eine kurze Verlängerung von drei Monaten einigen konnten. Danach bestehen daher aller
Voraussicht nach keine Einreisehindernisse für Z.A..
Im übrigen kann der Umstand, dass eine Einleitung der Strafverfolgung zum Zeitpunkt des Aufenthaltes Z.A.s nicht erfolgte, nicht dazuführen, dass der Beschuldigte sich durch Ausreise einer Strafverfolgung entziehen kann. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden bereits vor der Anzeigeerstattung tätig werden können und müssen. Von der Kenntnis der deutschen Behörden, wenn auch
nicht notwendigerweise der Bundesanwaltschaft, über den Aufenthalt Z.A.s ist auszugehen, da vor
seiner Einreise ein aufwendiges Visa-Genehmigungsverfahren durchlaufen werden musste. Es liegt
daher ein organisatorisches Versäumnis auf Seiten bundesdeutscher Behörden vor, da Teile der
Bundesregierung und untergeordneter Behörden über die Ein- und Ausreise Z.A.s offenkundig informiert, diese auch teilweise abgewickelt haben, die Strafverfolgungsbehörden jedoch entgegen
des Legalitätsprinzips keine Ermittlungen gegen den in Deutschland aufhältlichen und damit gemäß
§ 153f StPO strafzuverfolgenden Z.A. eingeleitet haben. Dieses Versäumnis der deutschen Strafverfolgungsbehörden kann sich schlechterdings nicht zu Gunsten des Beschuldigten auswirken.
Selbst wenn man mit dem Generalbundesanwalt vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153f Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StPO ausgeht, war dieser nicht verpflichtet,
die Aufnahme von Ermittlungen abzulehnen. Vielmehr entspricht es dem gesetzgeberischen Willen
nur in einem eng begrenzten Rahmen, Ausnahmen vom Legitimitätsprinzip zu machen (vgl. auch
Zappalà, aaO., S. 607). Es hätte also keiner besonderen Rechtfertigung bedurft, trotz des Vorliegen
der Voraussetzungen des § 153f StPO ein Ermittlungsverfahren einzuleiten (vgl. Ambos, NStZ
2006, S. 435). Wenn der Generalbundesanwalt aber ausführt, dass „Umstände, die eine Aufnahme
von Ermittlungen trotz Vorliegen der Voraussetzungen des § 153f StPO rechtfertigen könnten“,
nicht vorlägen und daher für ein Tätigwerden der deutschen Strafverfolgungsbehörden kein Raum
sei, wird das Legalitätsprinzip auf den Kopf gestellt. Nicht die Aufnahme von Ermittlungen ist begründungsbedürftig, sondern die Nichteinleitung bzw. Einstellung eines Ermittlungsverfahrens.
Mit seiner Argumentation erweckt der Generalbundesanwalt den Eindruck, als sei es gängige
staatsanwaltschaftliche Praxis, bei nicht inländischem Aufenthalt von Beschuldigten kein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Hierzu ist auszuführen, dass sich deutsche Strafverfolger in der Regel
nicht davon abschrecken lassen, Ermittlungsverfahren auch gegen solche Beschuldigte zu ergreifen, die sich nicht im Inland aufhalten, zumal wenn es sich beispielsweise um Vorwürfe des Terrorismus oder des BtM-Handels handelt. Denn in jenen Verfahren erwägen deutsche Strafverfolger
regelmäßig die Möglichkeit, internationale Haftbefehle bzw. europäische Haftbefehle gegen die dortigen Beschuldigten zu erwirken. Selbst wenn man dem GBA folgen will und zum Zeitpunkt der
Anzeigenerstattung den dringenden Tatverdacht für nicht gegeben ansieht, hätte die Möglichkeit
eines späteren, andernorts zu vollstreckenden haftbefehls im hiesigen Verfahren erwogen werden
müssen.
Fall Andischan| Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Januar 2007
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c) Die vom Generalbundesanwalt zu treffende Ermessensentscheidung über eine Verfahrenseinstellung nach § 153f Abs. 1, 2 StPO darf nicht aufgrund falsch gedeuteter tatsächlicher Umstände oder
auf andere Weise fehlerhaft getroffen worden sein.
Soweit das OLG Stuttgart in seinem Beschluss vom 13.9.2005 – 5 Ws 109/05 feststellt, dass die
eigentliche Ermessensentscheidung i.R.d. §153f StPO nicht justiziabel sei und gerichtlich nur überprüfbar sei, ob überhaupt Ermessen ausgeübt wurde und ob die Grenze zur Willkür überschritten
sei, kann dies nicht überzeugen. Durch diese Selbstbeschneidung gerichtlicher Prüfungskompetenz
wird ermöglicht, dass der im VStGB niedergelegte gesetzgeberische Wille der Einführung des Weltrechtsprinzip faktisch durch politische Erwägungen der Staatsanwaltschaft umgangen werden kann.
Der renommierte Völkerstrafrechtler Kai Ambos, der in der Expertenarbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz an der Ausarbeitung des Entwurfes zum Völkerstrafgesetzbuch beteiligt war,
kritisiert daher den Beschluss des OLG Stuttgart, weil „die zentrale Frage einer Verfolgung durch
den zuständigen Staat als eigentliche Ermessensentscheidung nicht gerichtlich überprüfbar sein
soll“ und dies zu der Besorgnis Anlass gebe, „dass das WRP faktisch (im prozessualen Wege) durch
eine exekutivische Steuerung der völkerrechtlichen Strafverfolgungstätigkeit desavouiert wird"
(Ambos, NStZ 2006, S. 437). Der bloße Verweis auf das Opportunitätsprinzip und den Ausschluss
des Klageerzwingungsverfahrens nach § 172 Abs. 2 Satz 3 könne nicht überzeugen, da der Gesetzgeber sich „aus Zeitgründen“ diesbezüglich „keine weiteren Gedanken über Rechtsbehelfsmöglichkeiten und insbesondere“ darüber hat machen können, „das § 153f rein numerisch in die in § 172
Abs. 2 Satz 3 letzter Halbsatz StPO genannte Aufzählung fällt. Immerhin seien schon nach geltender Rechtslage ein Klageerzwingungsverfahren gegen eine Einstellung aufgrund des §§ 153 ff.
StPO mit der Behauptung zulässig, „dass die gesetzlichen Ermessensvoraussetzungen nicht vorgelegen haben, der Ermessenspielraum also überhaupt nicht eröffnet gewesen sei und deshalb die
Anklagepflicht fortbestanden habe“. Diese Erwägungen müssten „erst recht für § 153f“ gelten,
„denn diese Vorschrift sieht eine doppelte Ausnahme vom WRP und Legalitätsprinzip für Verbrechen vor, die über die Anklagepflicht des nationalen Strafprozessrechts hinaus einer völkerrechtlichen Verfolgungs- und Bestrafungspflicht unterliegen“. Dies spreche für eine „strikte Rechtskontrolle“. Im Ergebnis bedeute „all dies das bei § 153f völkerrechtlich verstärkte Legalitätsprinzip durch
eine gerichtliche Mitwirkungspflicht gesichert werden“ müsse. Dies könne entweder durch eine analoge Anwendung der Vorschriften des Klageerzwingungsverfahrens gem. § 172 oder durch die Einfügung eines obergerichtlichen Zustimmungserfordernisses in § 153f geschehen. Zuletzt weist Ambos darauf hin – und dies ist für die vorliegende Anzeige von besonderer Bedeutung –, dass eine
Einstellung nach § 153f StPO keine strafklageverbrauchende Wirkung zukomme, so „dass eine
einmal zurückgewiesene Anzeige – bei vorliegender Tatsache – durchaus erneut eingereicht“ werden könne.
Der allgemeine Verweis auf die gerichtliche Unüberprüfbarkeit staatsanwaltschaftlicher Einstellungsentscheidungen, die auf dem Opportunitätsprinzip (§ 153 ff. StPO) beruhen (arg. ex § 172 II
S. 3 StPO) ist auch deshalb nicht ausreichend, weil berücksichtigt werden muss, dass nach der
gesetzlichen Systematik grundsätzlich eine gerichtliche Beteiligung bei Opportunitätsentscheidungen vorgesehen ist (§§ 153 Abs.1 Satz 1, 153a Abs. 1 Satz1, 153b, 153e StPO) und nur bei Taten
von geringer Schwere, seien es geringfügige Vergehen (§ 153 Abs. 1 Satz 1, § 153a Abs. 1 Satz 7)
oder jegliche Auslandstaten (§ 153c) oder der Strafverfolgung stehen überwiegende politische Interessen entgegen (§ 153c Abs. 3, § 153d). Keiner dieser Gründe trifft auf § 153f StPO zu: die
angezeigten Straftaten sind von erheblicher Schwere, im Völkerstrafrecht gilt ausdrücklich das
Weltrechtsprinzip und überwiegende politische Interessen sind nicht geltend gemacht worden. Darüber hinaus bestehen auch angesichts der EU-weiten Verurteilung und Sanktionsmaßnahmen infolge des Massakers von Andischan keine überwiegenden politischen Interessen an einer Nichtverfolgung der Taten.
Aus den eben genannten Gründen ist die Einstellungsentscheidung des Generalbundesanwalts im
vollen Umfang gerichtlich überprüfbar.
Im vorliegenden Fall hat der Generalbundesanwalt bereits deshalb sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil er fälschlicher Weise davon ausgeht, dass durch Ermittlungen deutscher Strafverfolgungsbehörden kein nennenswerter Aufklärungserfolg erzielt werden könnte und diese Umstände ihn zur
Einstellung der Ermittlungen bewegt haben. Im Wesentlichen stellt er darauf ab, dass zur Aufklärung der angezeigten Taten Ermittlungen vor Ort erforderlich seien, wofür die deutschen Ermittlungsbehörden auf die Rechtshilfe der usbekischen Regierung angewiesen, deren Gewährung aber
unrealistisch sei. Dabei ließ der GBA zum einen unberücksichtigt, dass die benannten und ohne
weiteres im Inland und europäischen Ausland zu vernehmenden Augenzeugen des Andischan-
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massakers durchaus Beobachtungen hätten neben dem unmittelbaren Tatgeschehen bekunden
können, die für die Beurteilung der Rolle der Beschuldigten von Bedeutung hätte sein können z.B.
Präsenz von Beschuldigten an oder in der Nähe des Tatortes, Stärke und genaue Ausstattung,
möglicherweise sogar genaue Zuordnung der Polizei- und Militäreinheiten.
Zwar mag es richtig sein, dass ein Absehen von der Verfolgung in den Fällen nahe liegen kann, in
denen Ermittlungen deutscher Behörden keinen nennenswerten Aufklärungserfolg versprechen. Ein
mangelnder Aufklärungserfolg ist im Prinzip nur dann zu erwarten, wenn es überhaupt keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden Beweise erheben oder Beweismittel sichern können. Dieses Kriterium kann daher nur in eng begrenzten Ausnahmefällen
ausschlaggebend sein. Hier hätten es schon Gründe der Beweissicherung geboten, die Augenzeugen des Massakers zu vernehmen. Denn ihre Erinnerungen werden nicht ewig halten. Jeder Strafjurist ist sich darüber im klaren, wie schnell gerade bei komplexen Geschehen mit hunderten von
handelnden Personen wie die Geschehnisse vom 30.05.2005 Erinnerungen verblassen, wie wichtig
zeitnahe Vernehmungen sind. Alleine schon deswegen hätte aus Beweissicherungsgründen
Deutschland stellvertretend für die anderen EU-Mitgliedsstaaten tätig werden müssen, da sich Z.A.
nun einmal auf deutschem Territorium aufgehalten hat. Würde man tatsächlich das Kriterium des
zu erwartenden Aufklärungserfolges als Maßstab für die Beantwortung der Frage heranziehen, ob
Ermittlungen eingeleitet werden oder nicht, dann würde man den Sinn und Zweck eines jeden Ermittlungsverfahrens umkehren. Denn ein Aufklärungserfolg lässt sich regelmäßig nicht am Anfang,
sondern erst nach Abschluss der Ermittlungen feststellen.
Die Bundesanwaltschaft hat auch nicht berücksichtigt, dass Deutschland auf vielfältige Weise im
internationalen Rechtshilfe- und Auslieferungsverkehr vernetzt ist. In erster Linie ist hier das europäische Haftbefehlsverfahren zu nennen, dass eine vereinfachte Auslieferung zwischen den Staaten
der europäischen Union erlaubt. Verbrechen gegen die Menschlichkeit zählen sowohl nach dem
europäischen Rahmenabkommen über den europäischen Haftbefehl als auch nach dem neuen Gesetz über den europäischen Haftbefehl zu den Delikten, in denen auf das Prinzip der Gegenseitigkeit verzichtet und daher im Wege des europäischen Haftbefehls ausgeliefert werden kann. Daneben bestehen Möglichkeiten im Rahmen des europäischen Auslieferungsabkommens vom
13.12.1957 (BGBl. 1964 II , 1369, 1976 II, 1778, 1982 I, 2071, 1994 II, 299). Diesem Abkommen
haben sich eine Reihe von Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören, angeschlossen
wie die Schweiz, Israel, Ukraine, Türkei (siehe allein die Vertragstabelle des europäischen Auslieferungsübereinkommens bei: Schomburg/Lagodny: Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Rd. 10
zum Europäischen Auslieferungsabkommen). Zudem bestehen zahlreiche bilaterale Rechtshilfeund Auslieferungsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und anderen und es
wird auf vertragsloser Grundlage zwischen verschiedenen Ländern und der Bundesrepublik
Deutschland Auslieferungsverkehr betrieben (z.B. Argentinien). All diese Möglichkeiten der internationalen Rechtshilfe könnten im Ermittlungsverfahren gegen Z.A. genutzt werden. Mithin stehen
der Bundesanwaltschaft ausreichende Möglichkeiten der Strafverfolgung weswegen es für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist, ob Rechtshilfe von
der usbekischen Regierung zu erwarten ist.
Weiterhin hat der Generalbundesanwalt die Grundsätze des internationalen Systems der Strafverfolgung im Völkerstrafrecht nicht hinreichend berücksichtigt. Das VStGB und das Rom-Statut bauen
dabei auf dem Prinzip der Solidarität auf und sind Ausdruck dafür, dass sich die internationale
Staatengemeinschaft ebenso wie die einzelnen Staaten zur Verfolgung von schweren Völkerrechtsverbrechen verpflichtet haben (BT-Drucks. 14/8524, S. 37; KK-Schoreit, 5. Aufl., 2003, § 153f Rn.
3). Der verfolgende Drittstaat wird „im Interesse der Staatengemeinschaft als Ganzer“ tätig (Kai
Ambos, Internationales Strafrecht, München 2006, Rn 93 ff.). Auch die Gesetzesbegründung zum
Völkerstrafgesetzbuch stellt klar, dass selbst wenn „die Tat keinen Inlandsbezug auf [weist, WK],
…, aber noch keine vorrangige Juristriktion mit Ermittlungen begonnen [hat, WK], „verlangt das
Legalitätsprinzip im Zusammenhang mit dem Weltrechtsgrundsatz, dass die deutschen
Strafverfolgungsbehörden jedenfalls die ihnen möglichen Ermittlungsanstrengungen
unternehmen, um eine spätere Strafverfolgung (sei es in Deutschland oder im Ausland)
vorzubereiten“. (vgl. hierzu auch: Zappalà, aaO., S. 608)
Ein Aufklärungserfolg ist im Völkerstrafrecht daher nicht erst dann anzunehmen, wenn mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass man dem Tatverdächtigen das Vorliegen sämtlicher
schuldbegründender Tatsachen nachweisen kann. Vielmehr ist es ausreichend, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der bestehende Anfangsverdacht durch die Aufnahme von Ermittlungen
erhärtet werden kann. Die so gewonnenen Erkenntnisse, selbst wenn sie möglicherweise allein für
eine Anklage nicht ausreichen werden, können dann in einem eventuellen Verfahren – bei geänder-
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ter Situation – in Usbekistan, in einem Drittland oder vor einem internationalen Gericht verwendet
werden. Der mögliche Einwand, ein Strafverfahren in Deutschland könne nicht dem Zweck dienen,
Ermittlungsergebnisse für derartige Verfahren im Ausland zu sammeln, geht zumindest im Völkerstrafrecht fehl. Die grosse Bedeutung internationaler Zusammenarbeit wird bei diesem Argument
ebenso verkannt wie die Tatsache, dass im Völkerstrafrecht die hergebrachten Strafzwecke nicht
ohne weiteres anwendbar sind und dass deutsche Strafverfolgungsbehörden stellvertretend für die
Weltgemeinschaft tätig würden.
Unberücksichtigt ließ der Generalbundesanwalt auch, die möglichen Auswirkungen die die Aufnahme von Ermittlungen durch deutsche Behörden auf die usbekischen Strafverfolgungsorgane haben
könnte. Wie der Fall Pinochet gezeigt hat, kann die Aufnahme von Ermittlungen in einem Drittland,
den primär zuständigen Staat dazu bewegen, das Strafverfahren zu übernehmen.
Der Generalbundesanwalt überschätzt daher - aus den genannten Gründen - auch grundsätzlich die
Notwendigkeit, Ermittlungen in Usbekistan vorzunehmen, um einen Verdacht gegen einen der angezeigten Personen zu erhärten. Zwar ist es ohne jeden Zweifel am sinnvollsten und am effektivsten, Beweise direkt vor Ort zu erheben, Zeugenbefragungen durchzuführen, Tatorte zu besichtigen,
medizinische und andere Sachverständige heranzuziehen. Aber auch außerhalb Usbekistans sind
hinreichende Beweismittel verfügbar. Dieses Beweismaterial ist auch nicht weltweit verstreut, wie
vom Generalbundesanwalt behauptet, sondern befindet sich im mittelbaren oder unmittelbaren
Zugriff des Generalbundesanwaltes, wie bereits in der Anzeige und der Gegenvorstellung ausführlich dargestellt.
Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist es daher auch nicht von Bedeutung, ob Rechtshilfe von der usbekischen Regierung zu erwarten ist. Das VStGB wurde gerade für solche Konstellationen geschaffen, in denen der primär zuständige Staat – weil er dazu nicht willens oder nicht in
der Lage ist – die nach dem VStGB strafbaren Delikte nicht verfolgt. In den meisten Fällen wird es
sich um regierungsnahe oder staatsverstärkte Kriminalität handeln, die von den Behörden des
Staates aus nahe liegenden Gründen nicht verfolgt und sanktioniert wird. Aus eben diesen Gründen
werden die Regierungsstellen Rechtshilfeersuchen der deutschen Strafverfolgungsbehörden in den
meisten Fällen ablehnen. Würde man die Kooperationsbereitschaft des primär zuständigen Staates
zur Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB machen, würde
man das Weltrechtsprinzip aufgeben und in das Ermessen derjenigen stellen, die eigentlich mit
dem Instrument des Völkerstrafrechts verfolgt werden sollten. Insofern kann die Einleitung eines
Ermittlungsverfahrens nach dem VStGB nicht davon abhängig sein, ob auch Ermittlungen vor Ort –
in diesem Fall in Usbekistan – vorgenommen werden können.
d) Der Generalbundesanwalt kommt aber nicht nur zu einer falschen Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Ermittlungsverfahrens, sondern berücksichtigt in seiner Ermessensentscheidung auch
nicht den fundamentalen Grundsatz des Völkerstrafgesetzbuches der Verhinderung der Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen (BT-Drucks. 14/8524, S. 37).
Mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes und dem VStGB wurden Instrumente geschaffen, die es ermöglichen sollen, Straftaten, die sich gegen die vitalen Interessen der
Völkergemeinschaft richten, weltweit zu verfolgen. Aus diesem Grund knüpfen beide Regelwerke
nicht an einen wie auch immer gearteten Inlandsbezug an, sondern sind Ausdruck des Weltrechtsprinzips. Die sich aus der Einführung des Weltrechtsprinzips ergebende Überlappung der Strafverfolgungszuständigkeit, bspw. des IStGH, des Tatortstaates und der Bundesrepublik Deutschland,
wird nicht nur hingenommen, sondern ist sogar gewollt, um eine lückenlose Strafverfolgung zu
gewährleisten (Ambos, a.a.O., Rn. 129ff.). Dieser Grundsatz der Verhinderung der Straflosigkeit
von Völkerrechtsverbrechen findet auch Ausdruck im § 153f Abs. 2 Satz 1 StPO, wonach "insbesondere" beim kumulativen Vorliegen der Nr. 1-4 ein Verfahren eingestellt werden "kann", wenn
u.a. eine anderweitige strafrechtliche Verfolgung der Tat (Nr. 4) gewährleistet ist.
Die in § 153f Abs. 2 StPO geregelte Konstellation liegt jedoch im vorliegenden Fall nicht vor. Im
Bezug auf die angezeigten Straftaten besteht bisher absolute Straflosigkeit: Die usbekischen Behörden haben kein einziges Verfahren gegen Angehörige des Staatsapparates wegen Folter oder
wegen des Massakers in Andischan eingeleitet. Die Regierung ist aktiv an der Vernichtung von Beweisen beteiligt, schüchtert Zeugen und Opfer von Staatsverbrechen ein und setzt sie teilweise
selber einer Strafverfolgung aus. Die Behörden des primär zuständigen Tatort-Staates sind mithin
nicht gewillt, Straftaten von Mitgliedern der eigenen Regierung oder des eigenen Staatsapparates
aufzuklären und zu verfolgen. Der IStGH ist nicht zuständig, da Usbekistan das Rom-Statut nicht
unterzeichnet und ratifiziert hat.
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In dieser für die Deliktskonstellation typischen, Situationen ist es notwendig und vom deutschen
Gesetzgeber mit der Schaffung des VStGB gewollt, dass Staaten wie Deutschland, deren Strafrecht
eine weltweite Verfolgung von Völkerstraftaten vorsieht, stellvertretend für die internationale Staatengemeinschaft die Strafverfolgung übernehmen. Der Generalbundesanwalt hat jedoch völlig verkannt, dass sich aus dem übergeordneten Ziel des deutschen VStGB, der Verhinderung des Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen, auch bei reinen Auslandstaten eine Ermessensreduktion zu
Gunsten der Aufnahme der Ermittlungen ergeben kann, um damit ein späteres Rechtshilfeersuchen
oder Ermittlungen in einem anderen Staat oder durch den IStGH vorzubereiten bzw. zu unterstützen (vgl. Gesetzesbegr. in Lüder/Vorbaumb (Hrsg.), Materialien zum VStGB, 2003, S. 61, KKSchoreit § 153f, Rn 9, LR-Beulke § 153f Rn 42; SK-Weßlau § 153f Rn 11).
Im Übrigen missachtet der Generalbundesanwalt rechtlich verbindliche Entscheidungen auf europäischer Ebene. Denn der Ratsbeschluss vom 8. Mai 2003 -2003/335/JHA- legt den nationalen Strafverfolgungsbehörden eine Reihe von Pflichten auf und verweist in der Präämbel (7) und (8) ausdrücklich darauf, dass die „Wirksamkeit der Ermittlung und Strafverfolgung“ von Kriegsverbrechen
u.a. auf nationaler Ebene von einer „engen Zusammenarbeit zwischen den betreffenden nationalen
Strafverfolgungs- und Ausländerbehörden“ abhänge und die „enge grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den betreffenden Behörden der Vertragsparteien des Römischen Statuts“ von
grosser Bedeutung sei. Eine national beschränkte Betrachtungsweise, wie sie der Generalbundesanwalt in seiner Entscheidung zum Ausdruck bringt, ist nicht nur systemwidrig und schadet dem
Gedanken und der Praxis universeller Verfolgung internationaler Delikte, sondern verkennt Entscheidungen auf europäischer Ebene und ist der europäischen Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung wenig dienlich.
e) Die Entscheidung des Generalbundesanwalts, die Ermittlungen unter Berufung auf § 153f StPO
nicht zu erheben, ist – wie gezeigt – in verschiedener Hinsicht fehlerhaft.
Zum einen hat der Generalbundesanwalt fälschlicher Weise das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale des § 153f Abs. 1 Satz1 StPO angenommen. Zum anderen ist er unzutreffender Weise davon
ausgegangen, dass Ermittlungstätigkeiten deutscher Strafverfolgungsorgane keine Aussicht auf
Erfolg hätten. Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt fundamentale Grundsätze des deutschen VStGB, des internationalen Völkerstrafrechts und des Europarechts im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nicht beachtet. Dieses völlige Verkennen der gesetzgeberischen Intention
und der besonderen Umstände des internationalen Völkerstrafrechts führt dazu, dass die Entscheidung des Generalbundesanwalts auch nach den vom OLG Stuttgart (aaO.) aufgestellten Kriterien
bei einer Einstellungsentscheidung nach § 153f StPO als willkürlich eingeschätzt werden muss.
4.2. Hinreichender Tatverdacht
Das Oberlandesgericht Karlsruhe legt in der oben zitierten Entscheidung vom 10. Januar 2005 Wert
darauf, dass auch in der Konstellation, der Nichtdurchführung von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft, die formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf gerichtliche Entscheidungen vorliegen. Diese eröffneten erst den Rechtsweg zum Oberlandesgericht (vgl. a.a.O., S. 13).
Erforderlich ist demnach, dass in dem Antrag die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen
Klage begründen sollen und die Beweismittel angegeben sind. Das Gericht solle in die Lage versetzt
werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und Anlagen, eine Schlüssigkeitsprüfung hinsichtlich der Erfolgsaussichten in formeller und materieller Hinsicht vorzunehmen.
Dies mag bei den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen wie Antragsbefugnis, Einhaltung der
Fristen sowie Schilderung des Gangs der Ermittlungen ohne weiteres einzuhalten sein. Problematischer erweisen sich diese Anforderungen in dem vorliegenden Fall bezüglich der Begründung der
Erhebung der öffentlichen Klage gegen die zwölf Beschuldigten. Denn die Strafanzeige vom
12.12.2005 intendierte die Begründung eines Anfangsverdachts gegen die zwölf Beschuldigten
sowie die Mitteilung der Tatsachen, aus denen sich dieser Anfangsverdacht herleitet. Ein wesentlicher Teil des Sachverhaltes ist bisher noch nicht aufgeklärt. Nichtsdestotrotz soll anhand des bisherigen Vortrages nachfolgend eine vorläufige zusammenfassende Würdigung und Begründung des
hinreichenden Tatverdachtes erfolgen. Die nachfolgenden Ausführungen stützen sich dabei im Wesentlichen auf die Darlegungen in der (oben zitierten) Strafanzeige vom 12.12.2005 sowie einzelne
Erkenntnisse aus den ergänzend beigebrachten Schriftsätzen und Materialien. Dabei sollen Wiederholungen vermieden werden, so dass bezüglich der Begründung sowie des Umfanges der deutschen Strafgewalt voll umfänglich auf die Darlegungen in der Strafanzeige zu § 1 VStGB, § 6 Nr. 9
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StGB und bezüglich der Körperverletzungsdelikte auf die vom Bundesgerichtshof in den Fällen des
Völkermordes in Bosnien entwickelten Rechtsprechung zur Annexstraftaten (vgl. BGH NStZ 1999,
396 ff) verwiesen werden soll. Gleiches gilt für eventuelle Strafverfolgungshindernisse (Immunität).
Die rechtliche Würdigung der an den Anzeigenerstattern begangenen Misshandlungen als Folter
und damit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist ebenfalls in der Strafanzeige detailliert vorgenommen worden. Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich.
Wesentliche Dokumente, vor allem interne Regierungspapiere und Befehle, harren allerdings noch
der Veröffentlichung und Auswertung. Es ist nur ein Bruchteil der infrage kommenden Zeugen,
sowohl aus dem Bereich der usbekischen Regierung, Verwaltung und des Militärs als auch aus dem
Kreise der Geschädigten, – in welcher Form auch immer – zu Wort gekommen. Daher sind die
nachfolgenden Ausführungen zur Täterschaft der einzelnen Beschuldigten nur als vorläufig zu betrachten. Allerdings ist wie in der Strafanzeige bei den nachfolgenden Ausführungen in besonderer
Weise zu berücksichtigen, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in ihrer gemeinsamen Position der Europäischen Union 205/792/GASP vom 15.11.2005 betreffend restriktive Maßnahmen gegen Usbekistan (siehe als Kopie in Anlage 9) nach eigenen Ermittlungen nicht nur darauf verständigt hatten, den Einsatz von Gewalt durch usbekische Sicherheitskräfte in Andischan zu
verurteilen. Man hat sich vielmehr ausweislich des Absatzes 6 der Präambel dazu entschlossen,
Restriktionen gegen die Personen zu ergreifen, „die unmittelbar verantwortlich für den wahllosen
und unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt in Andischan und die Verhinderung einer unabhängigen Untersuchung“ seien. Dem Annex II der gemeinsamen Position ist dann weiterhin zu entnehmen, dass die zwölf hier Beschuldigten nach Auffassung der EU genau diese Kriterien erfüllen. Im
einzelnen dazu:
Der Beschuldigte zu 1), Z.A., hat sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1
und Nr. 8 VStGB) strafbar gemacht, indem er als Innenminister der Republik Usbekistan kraft der
Organisationsherrschaft, über die aufgrund seines Amtes verfügte, am 13.05.2005 Anweisungen
geben hat, auf die in Andischan versammelten zivilen Demonstranten wahllos und massenhaft
scharf zu schießen. Als Innenminister befehligt der Beschuldigte zu 1) die bewaffneten und sonstigen Polizeikräfte Usbekistans sowie die internen Regierungstruppen. Die am 13.05.2005 in Andischan eingesetzten Regierungstruppen gehörten zu den Z.A. unterstehenden Einheiten. Aus dem
Umstand, dass der Beschuldigte zu 1) teilweise selbst mit den Demonstrierenden im telefonischen
Kontakt stand (vgl. Präsident Karimov in: BBC a.a.O.; OSZE-Bericht, S. 22; Galima Burkharbaeva,
aaO.), ergibt sich, dass er unmittelbar an den Vorgängen am 13.05.2005 beteiligt war. Selbst wenn
eine kleine Zahl der Demonstranten bewaffnet war, ändert dies nichts an dem Umstand, dass die
sich in Andischan versammelnden Menschen als Zivilbevölkerung i.S.d. § 7 VStGB eingeordnet
werden müssen (vgl. Werle, a.a.O., Rn 629 ff.). Da die usbekische Regierung verlautbaren ließ,
dass sie das Vorgehen vom 13.05.2005 als eine erfolgreiche Operation gegen Terroristen und Banditen wertete, und Z.A. laut Zeugenaussage ein blutiges Ende der Demonstration vom 13.05.2005
mit mehreren 300 – 400 Toten angedroht hat (vgl. Galima Burkharbaeva, a.a.O.) ist davon auszugehen, dass Z.A. bewußt und zielgerichtet die wahllose Erschießung von Zivilisten in einem ausgedehnten Umfang angeordnet hat. Aufgrund der aufgeführten Aussage, kann es sich bei den Schüssen auf die Demonstranten nicht um eine unvorhergesehenen Überreaktion einzelner Sicherheitskräfte halten. Auch angesichts der großen Zahl an Verletzten und Toten muss der Angriff als aufgedehnt i.S.d. § 7 VStGB angesehen werden.
Weiterhin hat sich der Beschuldigte zu 1) gemäß § 4 VStGB strafbar gemacht, indem er als ziviler
Vorgesetzter es unterlassen hat, den ausgedehnten Angriff auf die Demonstranten in Andischan zu
verhindern. Nach übereinstimmender Aussage des Präsidenten I.K. und des Beschuldigten war
dieser der verantwortliche Befehlshaber zur Niederschlagung der Demonstration. Da er selbst Verhandlungen mit den bewaffneten Geiselnehmern in Andischan an diesem Tag geführt und Gewalt
angedroht hat, hatte er Kenntnis vom Angriff auf die Demonstranten und hätte damit die Verantwortung gehabt diese zu verhindern.
Im Bezug auf die Folterstraftaten hat sich der Beschuldigte zu 1) insoweit gemäß § 4 VStGB i.V.m.
§ 7 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 7, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 VStGB sowie wegen gefährlicher Körperverletzung
gemäß §§ 223, 224, 25 Abs.2 StGB sowie wegen Mord und Tötung gemäß §§ 211 und 212, 25 Abs.
2 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention strafbar gemacht.
Sämtliche Haftstätten der Untersuchungshaft und des Strafvollzuges unterstehen dem Oberkommando des Beschuldigten in seiner Funktion als Innenminister. In den dargestellten Fällen wurden
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die Opfer in Haftstätten und von Personal gefoltert, die dem Beschuldigten direkt unterstanden.
Der Beschuldigte ordnete die oben dargestellte Folterpraxis persönlich an. Zumindest hatte er aber
Kenntnis von dem Umstand, dass in seinem Machtbereich massenhaft gefoltert wird und dies systematisch als Verhörmethode eingesetzt wurde. Diese Kenntnis kann der Beschuldigte spätestens
seit dem Besuch des ehemaligen UN-Sonderberichtserstatters für Folter, Theo van Boven, nicht
mehr bestreiten. Denn Theo van Boven hat persönlich und ausführlich im Jahr 2002 mit dem Beschuldigten über die andauernden Folterpraktiken in Usbekistan gesprochen. Eine Vielzahl damals
anwesender Diplomaten kann dies bezeugen. Dennoch hat es der Beschuldigte unterlassen, effektive Masnahmen zur Verhinderung der angezeigten Folterstraftaten zu erlassen, wie verschiedene
aktuelle Berichte belegen. Der Bericht der usbekischen Botschaft in Deutschland kann diese Feststellung vieler unabhängiger Beobachter nicht entkräften, da er eindeutig im Interesse der Beschuldigten geschrieben worden ist und daher eher als Schutzbehauptung gewertet werden muss.
Die Beschuldigten zu 2) - 12) haben sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7
Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 8 VStGB strafbar gemacht, indem sie als ranghohe zivile bzw. militärische
Machthaber kraft ihrer Organisationsherrschaft, über die sie aufgrund ihrer Ämter verfügten, am
13.05.2005 Anweisungen gaben, bzw. weiterleiteten und umsetzten, die zu dem massenhaften und
wahllosen Angriff gegen die unbewaffneten, friedlichen Demonstranten in Andischan führten. Aufgrund der Schlüsselfunktion ihrer Ämter haben die Beschuldigten an der Niederschlagung des Massakers und damit an der Tötung bzw. Verletzung hunderter von Menschen aktiv teilgenommen.
Der Beschuldigte zu 9) und der Beschuldigte zu 11) sind Kommandeure eines Bataillons, das als
Spezialtruppe des 7. Direktorats angesehen wird. Sie sind hinreichend verdächtig, ihre Truppen am
13.05.2005 eingesetzt zu haben und damit unmittelbar an dem Einsatz der Truppen gegen die
Zivilbevölkerung beteiligt gewesen zu sein.
Diese Annahmen werden dadurch bestätigt, dass – wie oben dargestellt- die EU die Beschuldigten
mit einem Einreiseverbot belegt hat.
Darüber hinaus hat sich der Beschuldigte zu 12.) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 4 VStGB i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 7, Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 10 StGB sowie wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224, 25 Abs.2 StGB sowie wegen Mord und Tötung gemäß
§§ 211 und 212, 25 Abs. 2 StGB i.V.m. §§ 1 VStGB, 6 Nr. 9 StGB und UN-Antifolterkonvention
strafbar gemacht, indem er kraft seiner Organisationsherrschaft als Leiter des Nationalen Sicherheitsdienstes die systematische Anwendung von Folter bei Vernehmungen durch Angehörige seines
Sicherheitsdienstes anordnete. Aufgrund der systematischen Folterpraxis sind zahlreiche Menschen, darunter die Anzeigenerstatter, über einen langen Zeitraum an unbekannten Orten festgehalten worden, ohne dass Familienangehörige und Rechtsbeistände darüber informiert wurden. Sie
wurden körperlich misshandelt oder getötet und sonst menschenunwürdig behandelt. Diese Vorgänge waren dem Beschuldigte zumindest bekannte und er duldete diese. Spätestens durch den
Besuch des UN-Sonderberichtserstatter Theo van Boven im Jahr 2002 muss der Beschuldigte auf
die Folterpraktiken seines Sicherheitsdienstes in Kenntnis gesetzt worden sein. Dennoch hat er es
unterlassen effektive Maßnahmen zur Verhinderung der angezeigten Folterstraftaten durch seine
Untergebenen zu verhindern.
Die in Betracht kommenden Beweismittel sind oben (S.56) im einzelnen dargestellt und erläutert
worden. Neben den in bezug genommenen Berichten sind dies vor allem die Zeugen, Theo Van
Boven, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter, der ehemalige britische Botschafter in
Usbekistan C.M., der ehemalige deutsche Botschafter in Usbekistan M.H. und der ehemalige USBotschafter in Usbekistan J.H. sowie zahlreiche Journalisten als Augenzeugen.
W.K.,
Rechtsanwalt
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