Strafbarkeit der Folter zu Vernehmungszwecken

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Strafbarkeit der Folter zu Vernehmungszwecken
EINLEITUNG
Am 3. Juni 1740 erließ Friedrich der Große folgende Cabinets-Ordre:
„SKM in Preußen etc. haben aus Bewegenden Uhrsachen resolviret, in dero
Landen bey denen Inquisitionen die Tortur gäntzlich abzuschaffen, außer bey dem
Crimine laesae Majestatis, und Landes Verrätherey, auch denen großen Mordthaten, wo viele Menschen ums Leben gebracht, oder viele Delinquenten deren
Connexion herauszubringen nöthig, impliciret sind; Hingegen sollen in allen übrigen Fällen, wann die Delinquenten die stärkesten und Sonnenklahre indicia und
Beweise, durch viele unverdächtige Zeugen und dergleichen wieder sich haben
und doch aus Hartnäckiger Boßheit nicht gestehen wollen, dieselben nach denen
Gesetzen bestraffet werden; Höchst dieselben Befehlen also dero Würdigst von
Cocceji allergnädigst das nöthige dieserhalb zu besorgen. Charlottenburg d. 3.
Juni 1740.“1
Mit dieser Regelung zur Abschaffung der Folter in Preußen war ein Beispiel
gesetzt worden, dem im Laufe der Zeit weitere Länder folgten, wie etwa
Österreich im Jahre 1776 und Bayern im Jahre 1806. Daß die preußische
Regelung aber wohl die berühmteste ist, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen,
daß Friedrich der Große sie bereits wenige Tage nach seinem Amtsantritt erließ.
Worin die in seiner Kabinettsorder angesprochenen „Bewegenden Uhrsachen“ lagen, die ihn zu diesem Schritt veranlaßt haben, ist nicht unumstritten,
ebenso wie die Frage, ob er im weiteren Verlauf seiner Herrschaft die Folter
tatsächlich vollständig abgeschafft hat2. Fest steht jedoch, daß die ursprüngliche
Regelung vom 3. Juni 1740 Ausnahmen vorsah, in denen die Folter zu Vernehmungszwecken zulässig blieb, wie etwa bei Majestätsbeleidigung und in
bestimmten Mordfällen.
Was die heutige Rechtslage in Deutschland anbelangt, so ist das Verbot der
Folter nicht nur im einfachen Gesetzesrecht, sondern auch im Verfassungs- und
Völkerrecht umfassend normiert. Als im Frühjahr 2003 bekannt wurde, daß die
Frankfurter Polizei dem Entführer des elfjährigen Jakob von Metzler mit der
Zufügung von Schmerzen gedroht hatte, um das Leben des Kindes zu retten,
begann jedoch eine erregte Debatte über die Frage, ob auch nach heutigem
Recht Ausnahmen vom Verbot der Folter gemacht werden könnten. Vor dem
Hintergrund der Anschläge des 11. September 2001 wurde dabei insbesondere
1
2
Zitiert nach Weist, DRiZ 1988, 298.
Umfassend zu diesen Fragen Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, 19 - 49.
Einleitung
2
der Kampf gegen den internationalen Terrorismus als möglicher Ausnahmefall
genannt.
Ein Jahr später wurde aus diesen Überlegungen Realität, als Fotos aus dem
Bagdader Abu-Ghureib-Gefängnis veröffentlicht wurden, die Mißhandlungen
irakischer Gefangener durch Angehörige der US-Streitkräfte zeigten3. Diese
sowie nachfolgende Berichte, die insbesondere das Vorgehen der Central Intelligence Agency betrafen4, wurden ebenfalls zum Gegenstand der in Deutschland
geführten Diskussion über die Folter5. Deren eigentlicher Auslöser aber war der
Frankfurter Entführungsfall6.
Die besagte Diskussion hat verdeutlicht, wie groß die Unsicherheit über die
Reichweite des Verbots der Folter ist; noch größerer Klärungsbedarf hat sich in
der Frage gezeigt, inwiefern der Einsatz von Folter zu Vernehmungszwecken
nicht nur verboten, sondern auch strafbar ist7. Diesen Fragen soll im Rahmen der
vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Dabei werden sich die Ausführun-
3
Vgl. hierzu etwa Erb, Jura 2005, 24, 28; Fonk, ETHICA 13 (2005), 3; Jerouschek, JuS
2005, 296; Marx, KJ 2004, 278 f. Vgl. aus der Presse Hersh, The New Yorker vom 17. Mai
2004, 38; Hoyng/von Ilsemann, Der Spiegel vom 3. Mai 2004, 132. Von offizieller Seite wurden die Vorfälle durch Generalmajor Taguba untersucht, dessen Report im Internet z. B. unter
http://news.bbc.co.uk/nol/shared/bsp/hi/pdfs/10_5_04_tagubareport.pdf [Stand: 2. Dezember
2005] abgerufen werden kann.
4
Vgl. hierzu aus jüngster Zeit etwa Priest, The Washington Post vom 2. November 2005,
A01; dies., The Washington Post vom 4. Dezember 2005, A01.
5
In Deutschland sorgte in diesem Zusammenhang eine Stellungnahme des Münchener
Historikers Michael Wolffsohn für besonderes Aufsehen; dieser bezeichnete den Einsatz von
Folter gegen Terroristen als „legitim“ und begründete seine Ansicht im nachhinein wie folgt
(FAZ vom 25. Juni 2004, 6): „Was legitim beziehungsweise vertretbar ist, ist denkbar, muß
oder darf aber nicht unbedingt machbar oder erlaubt sein. Anders formuliert: Was legitim ist,
ist weder automatisch legal, also Rechtens und dem gelten[d]en Recht entsprechend. Und was
eine Gesellschaft oder ein Staat möglicherweise rechtfertigt, ist noch lange kein geltendes
Recht. Das ist vereinfacht, der neu-jüdische, Nach-Herzlsche Konsens, die Mehrheitsmeinung.“
6
LG Frankfurt, 5/27 KLs 7570 Js 203814/03 (4/04), NJW 2005, 692, 696; Ellbogen, Jura
2005, 339; Gebauer, NVwZ 2004, 1405; Guckelberger, VBlBW 2004, 121; Hecker, KJ 2003,
210; Hilgendorf, JZ 2004, 331; Lüderssen, Rudolphi-FS, 691; Marx, KJ 2004, 278, 287; Perron, Weber-FS, 143; Quoirin, DRiZ 2003, 114; Saliger, ZStW 116 (2004), 35, 39; Tröndle/Fischer, StGB, § 32 Rdnr. 7b; Valerius, in: Tomášek (Hg.), Grundfragen des europäischen
Strafrechts, 98.
7
Vgl. hierzu Kinzig, ZStW 115 (2003), 791: „Kontroverse Stellungnahmen von Politikern
sowie ganz unterschiedliche Kommentare von Journalisten und Rechtsgelehrten offenbarten
in der Folge ein erhebliches Maß an Ungewissheit, wie die Folterandrohung des besagten
Polizeibeamten zu beurteilen ist. Nicht einmal ein Rudiment an gesicherten Erkenntnissen
scheint hier zu existieren.“
Einleitung
3
gen auf die geltende Rechtslage in Deutschland konzentrieren8, die durch ein
Zusammenspiel von Normen insbesondere des Straf-, Verfassungs- und
Völkerrechts geprägt ist.
8
Was die US-amerikanische Rechtslage anbelangt, so ist zu ihrer Klarstellung am 30. Dezember 2005 der Detainee Treatment Act of 2005 erlassen worden (http://jurist.law.pitt.edu/
gazette/2005/12/detainee-treatment-act-of-2005-white.php [Stand: 21. Mai 2006]). Wie umstritten sie zuvor war, verdeutlichen zwei Studien des Department of Justice. In einer ersten
Studie vom 1. August 2002 heißt es auszugsweise (U.S. Department of Justice, Memorandum
for Alberto R. Gonzales, 31): „Even if an interrogation method arguably were to violate
Section 2340A, the statute would be unconstitutional if it impermissibly encroached on the
President’s constitutional power to conduct a military campaign. As Commander-in-Chief, the
President has the constitutional authority to order interrogations of enemy combatants to gain
intelligence information concerning the military plans of the enemy. The demands of the
Commander-in-Chief power are especially pronounced in the middle of a war in which the
nation has already suffered a direct attack. In such a case, the information gained from interrogations may prevent future attacks by foreign enemies. Any effort to apply Section 2340A
in a manner that interferes with the President’s direction of such core war matters as the
detention and interrogation of enemy combatants thus would be unconstitutional.“ Weiter
heißt es hierin (U.S. Department of Justice, a. a. O., 39): „Even if an interrogation method,
however, might arguably cross the line drawn in Section 2340, and application of the statute
was not held to be an unconstitutional infringement of the President’s Commander-in-Chief
authority, we believe that under the current circumstances certain justification defenses might
be available that would potentially eliminate criminal liability.“ Diese Studie wurde am 30.
Dezember 2004 durch ein neues Memorandum vollständig ersetzt (U.S. Department of Justice, Memorandum for James B. Comey, 2): „This memorandum supersedes the August 2002
Memorandum in its entirety. Because the discussion in that memorandum concerning the
President’s Commander-in-Chief power and the potential defenses to liability was – and
remains – unnecessary, it has been eliminated from the analysis that follows. Consideration of
the bounds of any such authority would be inconsistent with the President’s unequivocal
directive that United States personnel not engage in torture.“