Das Rätsel von Limone

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Das Rätsel von Limone
Ein Beispiel für den Rückgang
einer arteriosklerotischen Plaque
bei einem Patienten, der hoch
dosiertes ETC-216 erhalten hatte.
Die Plaqueregion (Atheroma
Area) nahm von 8.1 mm2 (Bild
links) zu 5.35 mm2 (Bild rechts)
ab. Die Gefäßweite (Lumen Area)
blieb fast konstant. EEM bedeutet
äußere elastische Membran (EEM
Area) der Arterie.
Das Rätsel von Limone
Rückbildung der Arteriosklerose durch Infusionen
Prof. Dr. med. Helmut Gohlke, Chefarzt Klinische Kardiologie II, Herz-Zentrum Bad Krozingen
Der Gardasee ist als beliebtes Ferienziel und ideales Surfrevier bekannt. Er bietet jedoch noch weitere Besonderheiten. In dem am Seeufer gelegenen Ort Limone leben 40 Personen, die eine
Variante des gefäßschützenden HDL-Cholesterins
besitzen, das als APO A1 Milano in die Literatur
eingegangen ist. Diese Menschen haben trotz
niedriger HDL-Spiegel eine lange Lebenserwartung
und entwickeln keine koronare Herzerkrankung.
Interessanterweise erstreckt sich dieser Schutz
gegen koronare Herzerkrankung nicht auf die
Arteriosklerose im Bereich der Halsschlagadern.
Bei dem APO A1 Milano ist an einer Position die
Aminosäure Cystein gegen Arginin ausgetauscht.
Dadurch kommt es zu einer Verstärkung des
gefäßschützenden Effekts. In Tierstudien konnte
bereits eine Rückbildung der Arteriosklerose nach
Infusion des APO A1 Milano dokumentiert werden.
In einer in mehreren Kliniken durchgeführten
wissenschaftlichen Studie wurden 57 Patienten
zwischen 30 und 75 Jahren eingeschlossen, bei denen
wegen einer akuten Durchblutungsstörung am
Herzen eine Herzkatheteruntersuchung (Koronarangiographie) durchgeführt worden war. 12
Patienten erhielten ein Scheinmedikament (Placebo),
die anderen Patienten erhielten je 15 bzw. 45 mg
pro kg Körpergewicht ETC-216, ein künstlich hergestelltes APO A1 Milano in jeweils einer Infusion pro Woche über einen Zeitraum von fünf
Wochen. Vor Beginn der Therapie wurde bei allen
Patienten eine Ultraschalluntersuchung in den
Herzkranzgefäßen durchgeführt. Es wurden nur Gefäße beurteilt, die nicht durch eine Ballondilatation aufgedehnt worden waren. Nach fünf Wochen
wurde die Ultraschalluntersuchung in den Arterien
wiederholt, und die Entwicklung der Arteriosklerose
beurteilt und mit der Voruntersuchung verglichen.
Alter, Größe und Gewicht, auch der Gebrauch
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von blutfettsenkenden Medikamenten (Statinen)
war in beiden Gruppen gleich.
Bei den mit einem Scheinmedikament behandelten Patienten nahmen die Plaques, d. h. die
herdförmigen Ablagerungen, die die Herzgefäße
verengen, leicht zu. Dagegen kam es in der mit
ETC-216 behandelten Patientengruppe zu einer Besserung. Die Plaques bildeten sich im Durchschnitt
um 3,17 % zurück. Diese Veränderungen waren
bereits nach fünf Wochen festzustellen. Dass in einer so kurzen Zeit
eine messbare Rückbildung
der Arteriosklerose in den
Herzkranzgefäßen festzustellen war, ist
außerordentlich
erstaunlich.
Allerdings: Die Interpretation der Ergebnisse dieser Studie ist durch die sehr kleine Patientenzahl
erschwert und auch durch die Tatsache, dass Patienten mit der höheren Dosierung keine
besseren Ergebnisse zeigten als Patienten mit der niedrigeren Dosierung.
Die Studie weist jedoch
auf die Bedeutung des
HDL-Cholesterins für
die Rückbildung der
Arteriosklerose in den Herzkranzgefäßen hin.
Außerdem wirft die Studie die Frage auf, ob das
ETC-216 besser ist als das normale HDL-Cholesterin.
Über den Mechanismus der Rückbildung besteht
ebenfalls noch Unklarheit. Die Experten der
Arbeitsgruppe dieser Studie sind der Auffassung,
dass möglicherweise das ETC-216 den Cholesterinrücktransport aus den Plaques in die Leber
begünstigt, wo dann das Cholesterin umgewandelt und ausgeschieden werden kann. Oder sind
andere Eigenschaften des HDL-Cholesterins dafür
verantwortlich? HDL kann gegen die freien Radikale, gegen Entzündungen, gegen Blutgerinnselbildung wirken und verbessert das Endothel
(Innenauskleidung der Arterien).
Weitere Untersuchungen an einer größeren Patientenzahl und auch mit anderen HDL-Variationen sind notwendig, um diese Ergebnisse abzusichern. Wenn das Ergebnis positiv ausfällt, stünde
damit eine schonende zusätzliche Behandlungsmöglichkeit in einem Gesamtkonzept der Therapie der koronaren Herzkrankheit zur Verfügung. Wir werden über die weiteren Fortschritte
auf diesem Gebiet berichten.
Literatur: Steven E. Nissen, Taro Tsunoda, E. Murat Tuzcu,
Paul Schoenhagen, Christopher J. Cooper, Muhammad Yasin,
Gregory M. Eaton, Michael A. Lauer, W. Scott Sheldon, Cindy L.
Grines, Stephen Halpern, Tim Crowe, James C. Blankenship,
and Richard Kerensky: Effect of Recombinant ApoA-I Milano
on Coronary Atherosclerosis in Patients With Acute Coronary
Syndromes: A Randomized Controlled Trial
JAMA, Nov. 2003; 290: S. 2292 – 2300
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