Dort, wo Berlin-Schöneberg weder hipp noch schick ist, erwartet

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Dort, wo Berlin-Schöneberg weder hipp noch schick ist, erwartet
Macherinnen – Über die Arbeit von Frauenprojekten, die bewegen.
Evrim Sommer unterwegs in Berliner Frauenprojekten
Arbeitsbesuch bei I.S.I. e.V.
gemeinnützige Initiative Selbstständiger Immigrantinnen
Ganz I.S.I. die eigene Chefin werden
Von Ina Krauß
Sie hatte schon in Peru während des Studiums eine kleine Firma gegründet. „Auch
hier in Deutschland wollte ich mich von Anfang an selbständig machen“, sagt Dina
„aber hier bekommt man nur einen Schreck.“ Man hört es der zierlichen,
temperamentvollen Frau an, wenn sie daran verzweifelt, dass ihr Engagement und
ihre Ideen, sich mit einem kleinen Unternehmen auf eigene Füße zu stellen, in
Deutschland nicht erwünscht sei und an vielen Regelungen scheitert.
Die Japanerin Ayumi berichtet von den Schwierigkeiten, als Ausländerin den
passenden Gewerbemietvertrag zu bekommen, obwohl sie das geeignete
Geschäftskonzept am passenden Ort und inklusive geprüftem Businessplan vorlegt.
Die Französin Seline scheitert am deutschen Krankenversicherungssystem. Alle drei
gehören derzeit zu einer Gruppe von Migrantinnen, die den Weg in die berufliche
Unabhängigkeit suchen. Unterstützt werden sie von I.S.I. e.V., der gemeinnützigen
Initiative Selbstständiger Immigrantinnen, die es in Berlin seit 1990 gibt. I.S.I., so ist
der formulierte Wille, unterstützt Frauen nichtdeutscher Herkunft, in ihrem Wunsch
nach ökonomischer Selbstständigkeit und gesellschaftlicher Integration - ein Projekt
von Migrantinnen für Migrantinnen.
„Werden Sie ihre eigene Chefin!“, heißt ein Motto. Mittels gezielter
Qualifizierungsmaßnahmen, die ganzheitlich ausgerichtet sind, sollen die
Teilnehmerinnen mit kaufmännischen, sozialen, rhetorischen und rechtlichen
Kenntnissen ausgestattet werden auf dem Weg zu einer erfolgreichen
Existenzsicherung. Garantinnen dieser Maßnahme sind alle Trainerinnen und
Coaches, die aufgrund ihrer eigenen Migrationsgeschichte und
Integrationserfahrungen Wissen und Verständnis für die Situation der Frauen
aufbringen.
Czarina Wilpert, Sozialwissenschaftlerin amerikanisch-mexikanischer Herkunft, eine
der Gründerinnen von I.S.I. und bis heute im Vorstand, sagt unmissverständlich, wie
„wenig wertschätzend“ die Erfahrungen der Migrantinnen hier in Berlin genutzt
werden. „Wenn Migrantinnen nicht sofort in den Beruf kommen oder auf dem
Arbeitsmarkt integriert werden, verlieren sie ihre Erfahrungskompetenz.“
Tanja, gebürtige Ukrainerin, kann ein Lied davon singen. Sie hat in der Heimat und in
Deutschland BWL studiert, gemeinsam mit ihrem Exmann in dessen Firma
gearbeitet. Nach der Scheidung steht sie nicht nur vor den Scherben ihres
Privatglücks und ist für die Kinder allein verantwortlich, sondern ihr werden mächtige
behördliche Steine in den Weg gelegt. „Ein Mutter-Kind-Kurs“ vom Jobcenter, statt
ernsthafter Job-Unterstützung für sie als Fachkraft. So versucht sie den Weg in eine
Selbstständigkeit.
Dass der gelingen kann, erzählt Canan, die inzwischen YoutubeBloggerin und
Pressefrau geworden ist, Aufträge hat und sich ihre Arbeit so einteilen kann, sodass
Familie und Beruf miteinander vereinbar sind.
Zara, die im Irak Jura studiert hatte, scheitert an der Anerkennung ihrer Examen in
Deutschland, kann aber altersbedingt in Deutschland nicht noch einmal studieren, da
sie und ihre Kinder ohne Bafög nicht existieren könnten. Und der Weg in eine andere
berufliche Selbstständigkeit scheitert an den Formalia des Jobcenters, das die I.S.I.Qualifizierungsmaßnahme nicht akzeptiert.
Es ist der Kreislauf deutscher Regelungen, der die meisten der hier diskutierenden
Frauen verzweifeln lässt. Ohne Unterstützung der Ämter keine Jobchancen, so dass
sie sich für eine Selbstständigkeit entscheiden würden. Hier ist aber die höchste
Hürde eine selbstständige Krankenversicherung, die erst einmal erarbeitet werden
müsste. Aber ohne Krankenversicherung keine Selbstständigkeit, ohne
Selbstständigkeit kein Einkommen. Ohne Einkommen keine Existenz und
Absicherung.
Czarina Wilpert macht darüber hinaus auf die Sprachkompetenzen der Frauen
aufmerksam. Jede spricht mindestens zwei Sprachen, ein Wert, der in Deutschland
überhaupt keine Beachtung finde. Zudem ihre kulturellen Erfahrungen, eine weitere
Ressource, die nicht gesehen oder ausgeschöpft werde.
„Ganz ISI Träume verwirklichen“ steht auf einer Postkarte, die die Macherinnen
gerne verteilen und mit denen sie auch auf amüsante Weise Aufmerksamkeit
schaffen. Dass es nicht immer alles „easy“ ist, wissen sie. Sie sind keine
Traumtänzerinnen, sondern ganz realistisch, schätzt Irina Luschnikowa, seit Jahren
Projektkoordinatorin und Dozentin, ein. „Wir drängen keine Frau in eine
Selbstständigkeit, wenn die Voraussetzungen dafür nicht geeignet sind.“ Aber „mit
guter Qualifikation und Ausbildung, mit sachlicher und fachlicher Hilfe und mit
Motivationstraining leisten wir enorm viel, damit die Frauen dem Arbeitsmarkt zur
Verfügung stehen können.“
Mit Evrim Sommer sitzt ihnen nicht nur eine erfahrene LINKE-Frauenpolitikerin
gegenüber, sondern zudem eine Frau mit Migrationsgeschichte. Vier Hauptthemen
sind es, die Evrim Sommer bei ISI in wechselnder individueller Konstellation hört: die
Nichtanerkennung ihrer Ausbildungen aus der Heimat, auch der akademischen
Ausbildung; mangelnde Unterstützung der Jobcenter für die Frauen, den Weg als
Selbstständige auf dem Arbeitsmarkt zu gehen; und die Strategie der Jobcenter, die
Qualifizierungsmaßnahmen von ISI, die aber aus Mitteln des Berliner Senats
gefördert werden, nicht anzuerkennen.
Hier werden nicht nur Frauen auf- und abgehalten, ökonomisch unabhängig zu
werden, sondern Steuergelder gleich doppelt verbrannt. „Politik und Verwaltung
brauchen noch viel Aufklärung, um zu verstehen, welche persönlichen und
kulturellen Ressourcen in unserer Stadt verschwendet werden“, sagt Evrim Sommer
und verspricht, sich für einen Termin bei der regionalen Arbeitsagentur stark zu
machen.

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