Sarah Schilliger: Transnationale Care‐Arbeit: Osteuropäische

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Sarah Schilliger: Transnationale Care‐Arbeit: Osteuropäische
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Transnationale Care-Arbeit:
Osteuropäische Pendelmigrantinnen in
Privathaushalten von Pflegebedürftigen
Sarah Schilliger
Zusammenfassung
Haushalte von Pflegebedürftigen sind in den vergangenen Jahren in der Schweiz zu
Arbeitsplätzen für osteuropäische Pendelmigrantinnen geworden. Im Bereich der
24-Stunden-Betreuung entwickelt sich ein Sonderarbeitsmarkt für Migrantinnen, die
im Rhythmus von zwei Wochen bis drei Monaten zwischen Herkunftsland und Arbeitsplatz hin und her pendeln. Durch die erweiterte EU-Personenfreizügigkeit erschliesst
sich den Vermittlungsagenturen ein grosses Reservoir an flexiblen Arbeitskräften.
Dieser Beitrag geht in einem ersten Teil den Hintergründen dieses expandierenden
Betreuungsmarktes nach und thematisiert, wie dieser Boom mit Veränderungen in
verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Feldern zu tun hat: mit Umbrüchen
in der Care-Ökonomie, mit veränderten Geschlechterverhältnissen und Familienstrukturen sowie mit Veränderungen im Migrations- und Arbeitsmarktregime. Im
zweiten Teil werden die Bedingungen auf dem neu entstehenden transnationalen
Markt für Betreuungsdienstleistungen beleuchtet. Dabei wird auf die konkreten
Arbeitsverhältnisse in der 24-Stunden-Betreuung, auf die Rechtslage sowie auf die
Logik und Funktionsweise der transnationalen Vermittlungsagenturen fokussiert.
Abschliessend wird danach gefragt, wie sich durch diese aktive Rekrutierung von
Care-Migrantinnen die globalen Abhängigkeiten und Ungleichheiten entlang von
Geschlecht, Klasse und Nationalität verändern und welcher politische Handlungsbedarf sich daraus ableiten lässt.
Résumé
En Suisse, les foyers de personnes dépendantes sont devenus ces dernières années
le lieu de travail de migrantes pendulaires d’Europe de l’Est. Dans le cadre de la prise
en charge 24 heures sur 24, un marché d’emploi se fait jour pour des migrantes qui
font la navette entre leur pays d’origine et leur lieu de travail à un rythme de toutes
les deux semaines à tous les trois mois. Suite à l’élargissement de la libre circulation
des personnes au sein de l’UE, un gros réservoir de main-d’œuvre flexible s’ouvre
aux agences de placement. Dans une première partie, la présente contribution éclaire
les circonstances de l’expansion de ce marché, passant en revue notamment les
diverses évolutions sociales et politiques qui en sont à l’origine: bouleversement de
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l’économie des soins, mutations des rapports de genre et des structures familiales et
modifications des régimes migratoires et de l’emploi. Une seconde partie porte sur les
conditions qui prévalent sur le marché transnational émergent des prestations de prise
en charge. Elle revient ici sur les modalités concrètes de la prise en charge 24 heures
sur 24, sur les aspects juridiques ainsi que sur la logique et le fonctionnement des
agences de placement transnationales. On s’interrogera aussi sur la façon dont ce
recrutement actif de migrantes rejaillit sur les dépendances et inégalités mondiales
entre les sexes, les classes et les nationalités ainsi que sur les actions politiques qui
s’imposent de ce fait.
1
Einführung
«Osteuropäerinnen arbeiten zu Dumpinglöhnen als Privatpflegerinnen in der
Schweiz» (NZZ am Sonntag, 13. März 2011). «In der Not wachen illegale
Engel» (Appenzeller Zeitung, 28. Februar 2011). «Ungelernt und für 3 Franken
Stundenlohn: Jetzt kommen die Dumpingpflegerinnen» (Blick, 22.07.2011).
Seit 2011 – und insbesondere seit der Erweiterung der Personenfreizügigkeit
am 1. Mai 2011 – ist die Rundumbetreuung von SeniorInnen durch Frauen
aus Osteuropa ein Dauerbrenner in den (Deutsch-)Schweizer Medien. Nach
Jahren der Tabuisierung ist die mediale Debatte um Care-Migrantinnen in
der Schweiz lanciert. Neben Berichten zur prekären Arbeitsbedingungen im
Haushalt und zu den teilweise dubiosen Praktiken der boomenden Vermittlungsagenturen gibt es Medienberichte, in denen das neue Pflegearrangement
als perfekte Lösung gesehen wird. In der NZZ vom 27. Juni 2011 etwa wird
eine Frau aus Polen porträtiert, die einen Demenzpatienten betreut, dabei
«über den Job eine zweite Familie gefunden» hätte und «sich wohl fühle in
ihrer neuen Familie in der Schweiz». Der mediale Diskurs bewegt sich zwischen Skandalisierung der Irregularität und Propagierung einer perfekten
Win-Win-Win-Lösung (Gewinnsituation für die Pflegebedürftigen, ihre
Angehörigen wie auch für die osteuropäischen Betreuerinnen).
In einzelnen Medienberichten wird dabei die Zahl von rund 30’000
hauptsächlich schwarzarbeitenden Osteuropäerinnen in Schweizer Haushalten
herumgereicht (z. B. Rundschau auf SF1, 29. Juni 20111). Diese Schätzung
ist sicher zu hoch gegriffen. Offizielle Zahlen zur Verbreitung der privaten
Care-Arrangements mit osteuropäischen Pendelmigrantinnen gibt es nicht
– wegen des bedeutenden Anteils an irregulärer Arbeit, der statistisch nicht
erfasst werden kann. Doch kann man zweifellos sagen, dass die Haushalte von
Pflegebedürftigen in den vergangenen Jahren auch in der Schweiz zu Arbeitsplätzen für osteuropäische Pendelmigrantinnen geworden sind. Berichte von
1
«Billige Polinnen», Sendung im Internet unter http://www.videoportal.sf.tv/
video?id=2c86ba50-7ebf-49d7-8124-09d15b88b46e.
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ambulanten Pflegerinnen der Spitex, die vermehrt osteuropäische 24-StundenBetreuerinnen in Haushalten antreffen, aber auch die zahlreichen, teils im
gesetzlichen Graubereich praktizierenden Vermittlungsagenturen und die regen
Diskussionen von betroffenen Angehörigen in Internet-Foren sind Indizien
dafür, dass die Beschäftigung von Care-Migrantinnen in der Schweiz boomt.
Im ersten Teil dieses Beitrages werden die Hintergründe dieses
expandierenden Betreuungsmarktes gezeigt und es wird thematisiert, wie
dieser Boom mit Veränderungen in verschiedenen gesellschaftlichen und
politischen Feldern zu tun hat: mit Umbrüchen in der Care-Ökonomie, mit
veränderten Geschlechterverhältnissen und Familienstrukturen sowie mit
Veränderungen im Migrations- und Arbeitsmarktregime. Im zweiten Teil
werden die Bedingungen auf dem neu entstehenden transnationalen Markt
für Betreuungsdienstleistungen beleuchtet. Dabei wird auf die konkreten
Arbeitsverhältnisse in der 24-Stunden-Betreuung, auf die Rechtslage sowie
auf die Logik und Funktionsweise der transnationalen Vermittlungsagenturen
fokussiert. Abschliessend wird danach gefragt, wie sich durch diese aktive
Rekrutierung von Care-Migrantinnen die globalen Abhängigkeiten und
Ungleichheiten entlang von Geschlecht, Klasse und Nationalität verändern
und welcher politische Handlungsbedarf sich daraus ableiten lässt.
2
Gesellschaftliche und politische Hintergründe des
wachsenden Sorgemarktes im Privathaushalt
Die Beschäftigung von Migrantinnen als Care-Arbeiterinnen ist in vielen
europäischen Ländern häufiger geworden (van Hooren, 2012). Welche gesellschaftlichen und politischen Hintergründe führen zu dieser steigenden Nachfrage nach so genannten live-ins 2 in Privathaushalten von Pflegebedürftigen?
Hierzu muss das komplexe Zusammenspiel verschiedener gesellschaftlicher
Sektoren – zwischen Familie, Staat, Markt und Zivilgesellschaft – bei der
Finanzierung und Ausführung von Care-Arbeit für pflegebedürftige Menschen näher betrachtet werden. Wie jüngste internationale Vergleichsstudien
zeigen (Lyon und Glucksmann, 2008, van Hooren, 2012, Simonazzi, 2009),
beeinflussen staatlich unterschiedlich ausgestaltete Care-, Migrations- und
Arbeitsmarktpolitiken die Verbreitung von privaten Care-Arrangements mit
Migrantinnen.
2
Live-ins steht für Arbeitnehmende, die in dem Haushalt, in dem sie arbeiten, gleichzeitig
auch wohnen (im Gegensatz zu live-outs, die ausserhalb des Haushalts wohnen, in dem sie
Betreuungsarbeit leisten).
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2.1
Care-Regime im Umbruch
Im Rahmen des wohlfahrtsstaatlichen Umbaus – insbesondere seit der sich im
Zuge der Krise verschärfenden Sparpolitik – ist der öffentliche Care-Sektor in
verschiedenen Ländern unter Rationalisierungsdruck geraten. Doch Pflegeund Betreuungsarbeit lässt sich – im Gegensatz zur Güterproduktion – nicht
in ein Billiglohnland standortverlagern und auch nur beschränkt beschleunigen (Madörin, 2007). Im Rahmen neoliberaler Restrukturierungen sind
als Rationalisierungsmassnahme deshalb in einzelnen Ländern die Pflegesysteme zunehmend an private Akteure «outgesourced» und dabei häufig auch
öffentliche Unterstützungsgelder eingespart worden. Je kleiner der öffentlich
finanzierte Care-Sektor ist, desto grösser ist die Nachfrage nach privaten
Angeboten (van Hooren, 2012, 144). Der steigende Anteil an Pflege- und
Haushaltsdienstleistungen durch den privaten (häufig profitorientierten)
Sektor führt dabei zur Herausbildung einer spezifischen Form von teils im
Graumarkt angesiedelten Arbeitsverhältnissen in Privathaushalten, die häufig
schlecht bezahlt und abgesichert sind und meistens durch Migrantinnen
ausgeführt werden.
Doch nicht überall ist dieser Anstieg von privaten Care-Arrangements
mit Migrantinnen gleichermassen verbreitet. Bezüglich der Organisation der
Versorgung in der Altenpflege kann vereinfacht zwischen drei verschiedenen
wohlfahrtsstaatlichen Regimes unterschieden werden (van Hooren, 2012, 142):
a)
b)
Familialistisches Care-Regime, in dem die Vorstellung gilt, dass die
Familie (häufig weibliche Familienmitglieder) eine zentrale Rolle in
der Betreuung von Pflegebedürftigen übernimmt. Der Staat ist wenig
involviert bei der Bereitstellung und der Finanzierung von Pflege und
Betreuung. In einigen familialistisch geprägten Care-Regimes werden
den Haushalten für die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger so
genannte Cash-for-Care-Beiträge (Pflegegeld) ausbezahlt. Dies fördert
die direkte Anstellung von Migrantinnen in Haushalten (migrant in
the family model) – teils legal, teils auf dem Schwarzmarkt (Beispiel
Italien: Bettio et al., 2006, Spanien: Leon, 2010).
Liberales Care-Regime, in dem die Altenpflege an den Markt «outgesourced» ist und dieser die Standards für die Versorgung und Rekrutierung von Arbeitskräften setzt. Hier sind die Arbeitsbedingungen
tendenziell schlechter und die Löhne tiefer als im öffentlichen Sektor.
Care-Arbeiterinnen werden durch private Agenturen in Haushalte
vermittelt, wobei der Sektor wegen des tiefen Lohnniveaus stark durch
Migrantinnen geprägt ist (migrant in the market model) (Beispiel England: Cangiano und Shutes, 2010).
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c)
Sozialdemokratisches Care-Regime, in dem Care-Dienstleistungen stark
öffentlich finanziert werden und sowohl private Agenturen als auch die
direkte Anstellung von Migrantinnen in Haushalten wenig verbreitet
sind (Beispiel Holland: van Hooren, 2012, da Roit, 2010).
Die Schweiz ist in diesem Modell nicht eindeutig zu verorten. Meist kommt
bei Pflegebedürftigen ein Care-Patchwork zur Anwendung: Für die Behandlungs- und Grundpflege (nursing) wird auf die öffentlich mitfinanzierte Spitex
zurückgegriffen, die (psychosoziale) Betreuung sowie Haushaltsdienstleistungen (social care) sind vorwiegend Privatsache. Die Angehörigen bilden dabei
noch immer das Rückgrat häuslicher Pflege (Perrig-Chiello et al., 2010, 18).
Zwei Drittel der pflegenden Angehörigen sind Frauen, wobei die Hälfte ihren
eigenen Partner pflegt und ein weiteres Drittel die Eltern oder ein Elternteil
(ebenda, 23). Der aufgerechnete Geldwert unbezahlter Betreuung und Pflege
von erwachsenen Personen im eigenen wie in einem fremden Haushalt übertrifft die Kosten der Spitex-Dienste bei weitem (Höpflinger et al., 2011, 12).
Angehörige nennen «Liebe und Zuneigung» sowie «moralische Verpflichtung»
als Hauptgründe, sich selbst um Pflegebedürftige in der Familie zu kümmern
(Perrig-Chiello et al., 2010, 39 f.).
Zurzeit zeichnet sich jedoch auch in der Schweiz ein Trend hin zu
einer vermehrten Delegierung von Care-Arbeit an den Markt ab. Dabei finden zunehmend auch Care-Arrangements mit migrantischen Betreuerinnen
innerhalb des Familiensettings Verbreitung. Die Vermittlung läuft dabei
vorwiegend über einen liberalisierten, wenig regulierten Arbeitsmarkt, auf
dem sich Agenturen als zentrale Akteure profilieren. Im Folgenden werden
die markantesten Hintergründe dieser Entwicklung skizziert.
2.1.1 Pflegepotenzial in der Familie stösst an Grenzen
Die Gratispflege durch Angehörige – vor allem Töchter, Schwiegertöchter
und PartnerInnen – ist heute immer weniger eine Selbstverständlichkeit. Die
Erwerbsarbeitsquote der Frauen ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen: 76,5% der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren gehen einer bezahlten
Arbeit nach – die Schweiz hat damit im europäischen Vergleich eine sehr hohe
Frauenerwerbsquote (BFS, 2012)3. Die stärkere Vertretung der Frauen in der
Erwerbssphäre ging dabei nicht mit einer egalitäreren Verteilung der Haushalts- und Care-Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern einher: Statistiken
zeigen, dass vergleichsweise wenig Männer unbezahlte Care-Arbeit leisten
(BFS, 2011). Viele Frauen sehen sich deshalb bei Pflegebedürftigkeit von
3
Die hohe weibliche Erwerbsquote geht aber mit einem hohen Anteil an Teilzeitarbeit
einher: Über die Hälfte der erwerbstätigen Schweizerinnen (57.8 %) arbeitet Teilzeit (BFS
2012).
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Familienangehörigen mit einem zweiten Vereinbarkeitskonflikt konfrontiert.
Wie bei der Kinderbetreuung sind es auch bei der Betreuung von Angehörigen
bei Versorgungslücken meistens die Frauen, die ihr Erwerbsarbeitspensum
reduzieren: Bei einer quantitativen Umfrage unter pflegenden Angehörigen
antworteten 57% der pflegenden Töchter, dass durch die Pflegesituation eine
Reduktion ihres Arbeitspensums notwendig war, 16% gaben an, den Job ganz
aufgegeben zu haben (Perrig-Chiello et al., 2010, 25). Diese Situation ist
häufig mit chronischem Stress, Verzicht und verschiedenartigen Belastungen
verbunden. Das informelle Pflegepotenzial in der Familie stösst also immer
mehr an Grenzen. Stundenweise Angebote im privaten Betreuungs- und
Haushaltssektor, aber auch 24-Stunden-Betreuung zuhause fallen somit auf
eine steigende Nachfrage.
2.1.2 Ökonomisierung und Privatisierung des Pflegesektors
Parallel zu der oben beschriebenen Entwicklung führen aktuelle Ratio­na­li­
sie­rungs- und Privatisierungstrends im öffentlich (mit-)finanzierten CareSektor zu weiteren Versorgungsengpässen: Spitäler, aber auch Non-ProfitOrganisationen wie die öffentliche Spitex sind einem rigiden Spardiktat
unterworfen und ökonomische Effizienzkriterien gewinnen an Bedeutung4.
Spitex-Angestellte berichten, wie sie ihre Arbeit inzwischen wie im Akkord
zu verrichten haben. In den meisten Kantonen sind die Pflegerinnen mit
einer Art mobiler Stechuhr ausgerüstet, in welche sie alle zehn bis fünfzehn
Minuten eingeben, welche Pflegeleistung inzwischen erbracht wurde (QuasiTaylorisierung, Greuter, 2011). Dabei bleibt wenig Zeit für ein persönliches
Gespräch oder die Erfüllung eines Bedürfnisses der Pflegeabhängigen ausserhalb des stark reglementierten Aufgabenkatalogs.
Bei den Spitex-Diensten werden nur die Pflegeleistungen (nursing)
von den Krankenkassen übernommen. Die Kosten für haushaltsbezogene
Dienstleistungen und Betreuungsdienste (social care) hat der/die NutzerIn –
sprich der/die KundIn – zu einem überwiegenden Teil aus der eigenen Tasche
zu bezahlen (out of pocket). Dies schlägt sich auch in den OECD-Statistiken
nieder: Die Ausgaben für die Langzeitpflege sind zwar überdurchschnittlich
hoch – die Schweiz liegt hier gleichauf mit den nordischen Ländern Dänemark,
Finnland und Norwegen und mit Holland. Ein Sonderfall ist die Schweiz
aber, was den Anteil der öffentlichen Finanzierung betrifft: Während in den
4
Vergleiche für die Spitäler die Einführung der Fallkostenpauschalen und die Befürchtung
der «blutigen Entlassungen» (Bartholomeyczik, 2011). Bei der Spitex hat die seit 2008 wegfallende Subventionierung der Spitex-Löhne durch den nationalen AHV-Fonds, der bisher
16% der Lohnsumme der öffentlichen Spitex abdeckte, zu einem erhöhten Spar- und Rationalisierungsdruck geführt. In beiden Institutionen gewinnen wirtschaftliche Effizienzkriterien
an Bedeutung.
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OECD-Ländern durchschnittlich rund 85% der Langzeitpflege öffentlichsolidarisch finanziert wird, liegt dieser Anteil in der Schweiz unter 40%
(OECD, 2011, 47; Abbildung 1). Die Schweiz ist ein privater Sozialstaat
(Streckeisen, 2010) – ganz besonders im Bereich der Altersversorgung und
Gesundheit. Dies schafft für Anbieter privater profitorientierter Pflege- und
Betreuungsdienste eine ideale Ausgangslage.
Ausgaben für Langzeitpflege (Anteil BIP), öffentlich (dunkelgrau) und privat (hellgrau)
Abbildung 1:
Anteil am BIP (%)
4.0
Private Ausgaben für Langzeitpflege
3.5
3.5
3.6
Öffentliche Ausgaben für Langzeitpflege
3.0
2.5
2.0
2.0
1.5
1.3 1.3
1.0 1.0
1.0
1.6
2.2 2.2
1.7 1.7
1.1
Schweden
Niederlande
Finnland
Norwegen
Schweiz
Dänemark
Island
Belgien
Japan
Frankreich
OECD
Kanada
Luxemburg
Neuseeland
Österreich
Deutschland
USA
Slowenien
Australien
Polen
0.4
Spanien
Korea
0.3 0.3
Ungarn
0.2 0.2
Slowakische Republik
0.1
Portugal
0.0
1.5 1.5
2.1
0.8
Tschechische Republik
0.5
1.4 1.4
2.0
Quelle: OECD, 2011, 46.
2.1.3 Bedarf nach Pflege und Betreuung zuhause nimmt zu
Der Wunsch, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu leben, nimmt zu.
Dies gilt insbesondere für Demenzkranke: Nur 40% leben in Heimen. Laut
der Schweizerischen Alzheimer-Vereinigung leben heute 64’400 demenzkranke
Menschen zuhause, wobei rund 20’000 alleine in einem Haushalt sind (www.
alz.ch). Die Zahl der älteren Menschen wird in der Schweiz aufgrund des
Alterns geburtenstarker Nachkriegsjahrgänge (Babyboomer) deutlich ansteigen. Besonders hoch wird dieser Anstieg bei den über 80-Jährigen sein, auch
weil sich die Lebenserwartung voraussichtlich weiter erhöhen wird (Höpflinger
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et al., 2011, 7). Die Zahl der über 64-jährigen pflegebedürftigen Menschen
wird laut Prognosen von 125’000 im Jahr 2010 auf gut 182’000 im Jahr 2030
ansteigen (+46%). Weil mehr Menschen ein sehr hohes Alter erreichen, wird
es mehr an Demenz erkrankte PatientInnen geben (Anstieg binnen 20 Jahren
um 75%) (ebenda, 10). Dabei entsteht ein Wachstumsmarkt: Betrugen die
Ausgaben für Alters- und Langzeitpflege im Jahr 2005 rund 7,3 Milliarden
Franken pro Jahr (ohne Einberechnung des Werts der unbezahlten Arbeit),
werden sie im Jahr 2030 nach Schätzungen des Gesundheitsobservatoriums
17,8 Milliarden Franken ausmachen (OBSAN, 2008).
2.2
Transnationalisierung des Arbeitsmarktes im Zuge der
EU-Personenfreizügigkeit
In eine immer akutere «Versorgungslücke» – hervorgerufen durch den Rückgang der informellen Pflege, den sozialstaatlichen Ab- beziehungsweise Umbau
und den gleichzeitig gestiegenen Bedarf in der ambulanten Pflege – treten
zunehmend kommerzielle Anbieter von Pflege- und Betreuungsdienstleistungen. «Wir beginnen dort, wo die öffentlichen Angebote enden.» Die SpitexAngestellten hätten für das Zwischenmenschliche oft zu wenig Zeit – «und
da springen wir ein» – so wirbt zum Beispiel Home Instead Senior Care, eine
US-amerikanische Franchise-Firma, die den Schweizer Care-Markt in den
letzten Jahren aufgemischt hat. Während für stundenweise Einsätze in der
Schweiz wohnhafte Betreuerinnen eingesetzt werden, sind es in der Rundumbetreuung ausschliesslich Pendelmigrantinnen, wie die Geschäftsleiterin
einer Agentur darlegt:
«Für 24 Stunden Betreuung findet man keine Schweizerin. Sie muss ja im Haushalt der pflegebedürftigen Person leben, also die müssen immer da sein. Und das
macht keine Schweizerin. Und zudem verdienen sie ja nicht so wahnsinnig viel,
eine Schweizerin würde dafür nicht arbeiten, das ist sicher.»
Im Bereich der 24-Stunden-Betreuung entwickelt sich ein Sonderarbeitsmarkt
für Migrantinnen, die im Rhythmus von zwei Wochen bis drei Monaten
zwischen Herkunftsland und Arbeitsplatz hin und her pendeln. Durch die
erweiterte EU-Personenfreizügigkeit erschliesst sich den Agenturen ein grosses
Reservoir an flexiblen Arbeitskräften. Seit dem 1. Mai 2011 braucht es für
Kurzaufenthalte bis zu 90 Tagen keine Bewilligung mehr, die Betreuerinnen
müssen von den Agenturen lediglich beim Arbeitsamt gemeldet werden.
Die Migrantinnen, die in Schweizer Haushalten von Pflegebedürftigen
arbeiten und leben, kommen hauptsächlich aus Osteuropa, insbesondere aus
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Polen, Ungarn, Litauen und der Slowakei, aber auch aus Deutschland5. Sie
sind somit in der Regel Bürgerinnen der EU-25. Meistens handelt es sich
um ältere Frauen ab 45 Jahren, deren Kinder inzwischen Jugendliche oder
junge Erwachsene sind. Nicht selten sind es gut qualifizierte Frauen6, die
wegen hoher Arbeitslosigkeit und tiefen Löhnen nun im Westen nach Arbeit
suchen, um ihre Familien in den Herkunftsländern zu ernähren und um den
Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Hier in der Schweiz ist jedoch
nicht ihre Berufsqualifikation gefragt, sondern eine andere Kapazität, die
den Frauen von Natur aus qua Geschlecht zugeschrieben wird: die Fähigkeit,
so genannte Care-Arbeit zu verrichten, also ältere bedürftige Menschen zu
pflegen und zu betreuen und Haushaltstätigkeiten wie Kochen, Putzen und
Waschen zu verrichten.
Die Care-Migrantinnen betreiben mit ihrer Pendelmigration eine Art
von «Lebenspraxis der zwei Standbeine» (Hess, 2005). Die Pendelmigration
ermöglicht es ihnen, das Leben im eigenen Land fortzuführen, auch wenn
sie dort nur schwer ein Auskommen finden. So wird also nicht migriert, um
das Land zu verlassen, sondern viel eher, um bleiben zu können (Morokvasic, 1994). Der Familiennachzug steht meistens ausser Diskussion – schon
deswegen, weil der prekäre Lohn hier in der Schweiz niemals eine Familie
ernähren könnte. So arbeiten die Frauen wenige Wochen bis einige Monate
in der Schweiz, wohnen im Privathaushalt und verwenden dabei praktisch
kein Geld für sich, da sie Kost und Logis bekommen. Dann kehren sie für
eine gewisse Zeit in ihr Herkunftsland zurück, bevor sie häufig wieder in
denselben Haushalt in der Schweiz kommen.
Das Leben in zwei verschiedenen Haushalten wird ermöglicht durch
transnationale Netzwerke, denen verschiedene Akteure sowohl in den Herkunftsländern wie in der Schweiz angehören: Verwandte und Bekannte, die
schon im Ausland arbeiten, Vermittlungsagenturen, Busunternehmen, aber
auch persönliche Kontakte zu Schweizer Familien mit pflegebedürftigen
Angehörigen. Diese wiederum reichen sich teilweise unter der Hand Infos
und Telefonnummern von osteuropäischen Care-Arbeiterinnen weiter. Es
scheint, dass durch diese ausgedehnten informellen Netzwerke ein beträchtli-
5
Es gibt auch Sans-Papiers (Migrantinnen aus Drittstaaten, die über keinen Aufenthaltsstatus verfügen) im Bereich der Altenbetreuung. Eine aktuelle Studie zu Sans-PapiersHausarbeiterinnen im Kanton Zürich zeigt jedoch, dass Sans-Papiers (vor allem Frauen aus
Lateinamerika) stärker in stundenweiser Putzarbeit im Privathaushalt engagiert sind, teilweise
auch in Kinderbetreuung. Weniger als 10% der untersuchten Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten fallen auf die Betagtenbetreuung (Knoll et al., 2012).
6
Viele Care-Migrantinnen verfügen über ein Universitätsdiplom oder einen Fachhochschulabschluss, sind jedoch nur in wenigen Fällen im Pflegebereich ausgebildet.
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cher Teil der Arbeitsverhältnisse ohne Agenturen vermittelt und häufig nicht
beim Arbeitsamt gemeldet wird.
3
Arbeit aus Liebe? Bedingungen auf dem globalisierten
Sorgemarkt
3.1
Arbeits- und Lebensbedingungen
Die Tätigkeiten, die die Care-Migrantinnen ausüben, sind mehrheitlich
der Hauswirtschaft und Betreuung (social care) zuzuordnen und nicht der
eigentlichen Pflege (nursing). Es sind also Aufgaben, für die es keine Berufsausübungsbewilligung braucht. In der Realität kommt es trotzdem vor, dass
die 24-Stunden-Betreuerinnen eigentliche Pflegeaufgaben übernehmen müssen
(für die sie meistens nicht ausgebildet sind). Ihre Haupttätigkeit bezieht sich
jedoch auf hauswirtschaftliche und betreuerische Dienstleistungen:
−−
−−
Hauswirtschaft: zum Beispiel Einkaufen, Mahlzeiten zubereiten, Aufräumen, Waschen, Bügeln, Putzen, Haustiere und Pflanzen versorgen
Betreuung: körperbezogene Aufgaben wie Hygiene, Begleitung zur
Toilette, zu Bett bringen, Begleitung zu Arztterminen sowie alles, was
unter «Gesellschaft leisten» subsumiert werden kann (Spaziergänge,
Gespräche führen, Spielen, Vorlesen) – und schlicht präsent sein, falls
etwas passiert (z. B. ein Sturz) und um die Einsamkeit der pflegebedürftigen Person zu dämmen.
Oft besteht kein klares Pflichtenheft. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit
ist fliessend und eine Abgrenzung schwierig, da die Betreuerin im Haushalt der
Pflegebedürftigen lebt und dementsprechend während 24 Stunden abrufbereit
ist. Arbeitsbeziehung und intime Privatbeziehung sind kaum zu trennen. Eine
Umfrage bei AgenturleiterInnen zeigt, dass von vielen Agenturen als Freizeit
gewertet wird, was eigentlich als Arbeitsleistung gilt: So zählt der Spaziergang
mit der rollstuhlgängigen Patientin laut Aussage eines Agenturleiters nicht als
Betreuungsdienst, sondern wird als Freizeit verbucht. Auch das gemeinsame
Essen – auch wenn die Betreuerin der demenzkranken Person das Essen
eingeben muss – wird nicht als eigentliche Arbeitstätigkeit gesehen.
Bezüglich Entlöhnung, sozialer Absicherung sowie Arbeitszeit- und
Ruhezeitenregelungen ist der Arbeitsmarkt für 24-Stunden-Betreuung als
höchst prekär zu bezeichnen. Im Folgenden werden einige Charakteristika
der Arbeits- und Lebensbedingungen in der 24-Stunden-Betreuung erläutert:7
7
Wichtig ist hier anzumerken, dass die Arbeitsverhältnisse differieren. Sie sind unter
anderem geprägt vom Gesundheitszustand der/des Pflegebedürftigen, von der Unterstützung
beziehungsweise Entlastung durch Familie und Angehörige (indem sie z. B. die Care-Arbeiterin
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−−
−−
−−
−−
3.2
Geringe Entlöhnung: Zumindest für ein eigenständiges Leben in der
Schweiz ist der Lohn kaum existenzsichernd. Die Frauen verdienen
zwischen 1’500 und 3’500 Franken, plus Kost und Logis. Es sind aber
auch einige Fälle bekannt, in denen den Migrantinnen deutlich unter
1’000 Franken ausbezahlt wurden. Zu berücksichtigen ist, dass eine
Pendelmigrantin über das Jahr gesehen nur Halbzeit arbeiten kann, da
sie für die Zeit im Heimatland nicht entschädigt ist. Der hier verdiente
Monatslohn muss also in Normalfällen für zwei Monate reichen.
Arbeitsplatzunsicherheit, kurze Kündigungsfristen: Da es sich in den
meisten Fällen um befristete/temporäre Arbeitseinsätze handelt, ist
die Kündigungsfrist entsprechend kurz (2 bis 7 Tage). Die Arbeitsplatzsicherheit ist gering – die betreute Person kann von einem Tag
auf den anderen sterben und die Beschäftigung entfällt. Zudem ist die
Lohnfortzahlung bei Krankheit ungenügend oder gar nicht gewährt.
Lange und entgrenzte Arbeitszeiten: Häufig arbeiten die Care-Migrantinnen lange und sehr zerstückelt über 24 Stunden. Für den
Bereitschaftsdienst – das heisst die Standby-Stunden, in denen die
Care-Arbeiterinnen im Haushalt anwesend sein müssen (z. B. in der
Nacht) – wird in den allermeisten Fällen kein Entgelt bezahlt. Mehr
als die fehlende Entlöhnung beklagen die Care-Migrantinnen die
mangelhafte Nachtruhe und die kurzen Erholungszeiten.
Wenig Privatsphäre, soziale Isolation und psychische Überforderung: Mit
der fehlenden Freizeit und der permanenten Anwesenheitspflicht gehen
häufig ein Mangel an Privatsphäre und soziale Isolation wegen fehlender sozialer Kontakte ausserhalb des Haushalts einher. Zudem sind
Betreuerinnen, die keine fachliche Unterstützung durch die Agentur
bekommen, insbesondere bei schweren Pflegefällen (z. B. fortgeschrittene Demenz) häufig auch psychisch am Anschlag oder überfordert.
Rechtliche Grauzonen
«Es läuft immer überall alles illegal. Wenn man bei der Frau F. (Betreiberin einer
Agentur, Anmerkung d. A.) in das Büro geht und die linke Schublade aufzieht,
dann ist alles legal, aber wenn man unter den Fussboden guckt, dann sind da die
restlichen Dossiers stapelweise. Also zehn Prozent sind legal und die restlichen
sind einfach nicht gemeldet. […] Und hier in der Schweiz fängt die illegale Arbeit
erst richtig an.»
So äussert sich Frau Z., die Geschäftsleiterin eines Betreuungsunternehmens,
die nach eigenen Angaben viel Wert darauf legt, dass sie sich im legalen Bereich
am Wochenende ablösen) und von der konkreten Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses und
der Existenz oder Nichtexistenz einer fachlichen Begleitung durch das Betreuungsunternehmen.
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bewegt und alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Sie deutet an, dass Betreuungsunternehmen nicht alle Arbeitsverträge beim kantonalen Arbeitsamt
melden und dass die Grenzen zwischen regulären und irregulären Praktiken
der Agenturen fliessend sind. Die zurzeit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen für den neu entstandenen Arbeitsmarkt der Betagtenbetreuung
in Privathaushalten sind kompliziert und teilweise lückenhaft, entsprechend
sind die Arbeitsverhältnisse weitgehend unreguliert. Die durch Migrantinnen
ausgeführte Betagtenbetreuung in Privathaushalten berührt verschiedene
Rechtsgebiete wie namentlich das Migrations- und Aufenthaltsrecht sowie
insbesondere das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht (Medici und Schilliger, 2012). Aufgrund der komplizierten Rechtssituation sind manchmal
weder die Care-Migrantinnen noch die auftraggebenden Haushalte der
pflegebedürftigen Personen in der Lage, abgesicherte Aussagen über die
Legalität des Arbeitsverhältnisses zu machen. Im Folgenden werden einige
dieser Grauzonen benannt (für detaillierte Ausführungen zum Rechtsstand
bezüglich Arbeitsverhältnissen im Privathaushalt siehe das Rechtsgutachten
von Medici, 2011):
−−
−−
−−
Weisungsrecht bei Entsendung: Mit dem Entsendegesetz können europäische Firmen (z. B. eine Agentur aus Polen) Angestellte während
90 Tagen pro Jahr in die Schweiz entsenden. Viele der untersuchten
Agenturen (insbesondere jene mit vergleichsweise billigen Angeboten)
operieren mit dem Entsendegesetz. Dabei ist die entsandte Person
nicht in der Schweiz, sondern im Land des Entsendeunternehmens
den Sozialversicherungen unterstellt. Die bilateralen Abkommen schreiben vor, dass das Entsendeunternehmen als Arbeitgeber und damit
auch als Auftraggeber mit Weisungsrecht fungieren muss. Es ist jedoch
schwierig vorstellbar, dass die Betreuerin für jeden Arbeitsschritt im
Haushalt mit dem Entsendeunternehmen in Osteuropa in Kontakt
steht. Bei live-ins wird das Weisungsrecht mindestens teilweise durch
die pflegebedürftige Person oder deren Angehörige ausgeübt. In diesem
Fall spricht man juristisch von einem Personalverleih, der jedoch nur
von Unternehmen mit Sitz in der Schweiz getätigt werden darf.
Scheinselbstständigkeit: Einige Unternehmen vermitteln Selbstständige
in Haushalte. Da die Care-Arbeiterinnen jedoch nur in einem einzelnen
Haushalt tätig sind und somit nur einen Arbeitgeber haben, ist diese
Form ebenfalls irregulär (so genannte Scheinselbstständige).
Aufenthaltsrecht: Einige Care-Arbeiterinnen sind mit einer Grenzgän­
gerInnenbewilligung aktiv. Diese sieht eine wöchentliche Rückkehr an
den Wohnsitz im Heimatland vor, was bei einem üblichen Pendelrhythmus von zwei Wochen bis drei Monaten nicht praktiziert wird. Andere
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−−
3.3
Agenturen überziehen die gesetzlich erlaubten bewilligungsfreien 90
Arbeitstage pro Kalenderjahr und beantragen keine Bewilligung für
eine weitere Beschäftigung.
Überlange Arbeitszeiten und Standby-Stunden in der Nacht: Da der
Arbeitsplatz Privathaushalt nicht unter den Geltungsbereich des
Arbeitsrechts fällt, kommen die arbeitsrechtlich festgelegten Höchstarbeitszeiten und die Regeln bezüglich Nachtarbeit nicht zur Anwendung.
Zwar legen in allen Kantonen kantonale Normalarbeitsverträge (NAV)
gewisse Rahmenbedingungen bezüglich Arbeits- und Ruhezeiten fest.
Diese sind jedoch nicht zwingend und können mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag wegbedungen werden. In den Arbeitsverträgen
werden die Care-Arbeiterinnen selbst dafür verantwortlich gemacht,
die Arbeits- und Ruhezeiten einzuhalten, was bei den personalisierten
Arbeitsverhältnissen im Privathaushalt entsprechend schwierig ist.
Lohnbestimmungen: In dem auf den 1. Januar 2011 erlassenen nationalen NAV für die Hauswirtschaft sind keine Arbeitszeiten, sondern
nur Mindestlöhne festgelegt. Der nationale NAV bezieht sich auf
Arbeitsverhältnisse im Privathaushalt, die mehr als fünf Stunden im
gleichen Haushalt umfassen – vom Putzen, Bügeln und Kochen über
Kinderhüten bis zur Betreuung alter Menschen. Für Hausangestellte
ohne entsprechende Ausbildung setzt der NAV einen Mindestlohn von
18.20 Franken fest (wobei für Kost und Logis täglich 33 Franken vom
Lohn abgezogen werden). Das Problem hier ist jedoch die eigenwillige
Definition von Arbeitszeit durch die Betreuungsunternehmen (siehe
Abschnitt 3.1). Gemäss Bundesgericht muss auch der Bereitschaftsdienst zwingend entlöhnt werden, wobei die Höhe des Lohns nicht
festgelegt ist. Dies ist bei den wenigsten Betreuungsunternehmen der
Fall. Meistens werden die Care-Arbeiterinnen lediglich für fünf bis
acht Stunden täglich entlöhnt. Wenn man den Lohn bezogen auf die
effektive Arbeits- und Präsenzzeit berechnet, fallen viele Unternehmen
weit unter den durch den NAV vorgeschriebenen Mindestlohn.
Logik der Vermittlungsagenturen und Betreuungsunternehmen
«Helferinnen aus Polen sind nicht nur günstiger, sondern können sich auch besser
um Sie kümmern, weil sie mit Ihnen unter einem Dach wohnen. Es liegt in ihrer
Natur, fürsorglich, warmherzig und liebevoll zu sein.» (www.gute-wesen.de).
So wirbt die Vermittlungsagentur «Gute Wesen», die in der Schweiz und in
Deutschland 24-Stunden-Betreuung anbietet. Agenturen und Betreuungsunternehmen werben mit traditionellen Familienwerten: Die AltenbetreuFahne SRK-Buch, 25.2.2013 / © Seismo Verlag AG, Zürich
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erin wird nicht primär als «Arbeiterin» (mit sozialen Rechten und einem
gesellschaftlichen Status), sondern als «Haushaltshilfe», als «gutes Wesen»
oder als die «Perle der Familie» bezeichnet. Gefragt sind nicht bloss weibliche Betreuerinnen, sondern Frauen mit einer gewissen Herkunft. Dabei
bedienen sich die Betreuungsunternehmen ethnischer Stereotypen: Polinnen
werden als besonders fürsorglich und warmherzig, als anspruchslos, willig
und dankbar dargestellt. Es wird auch positiv erwähnt, dass Polinnen häufig
praktizierende Katholikinnen seien – ein Verweis, der wohl auf Nächstenliebe
und Sittlichkeit hindeuten soll. Hellhäutige Europäerinnen, deren religiöse
Bindungen im Christentum liegen, vermitteln zudem einen geringen Grad
an Fremdheit. Dass es hauptsächlich Frauen über 45 Jahre sind, sieht ein
interviewter Geschäftsleister deshalb als Vorteil, weil «ältere Frauen sexuell
nicht mehr so aktiv» seien. In Abgrenzung zu jungen Frauen geht er davon
aus, dass ältere Mütter weniger das Bedürfnis hätten, in den Ausgang zu
gehen – womit sie im Haushalt permanent verfügbar bleiben.
Inzwischen hat sich in der Schweiz für live-ins, die gegen Kost, Logis und
einen bescheidenen Lohn 24 Stunden am Tag im Haushalt von Pflegebedürftigen leben, die Bezeichnung Senio-Pair etabliert: Die Firma Hauspflegeservice
aus dem Zürcher Oberland, die Senio-Pairs vermittelt, beschreibt diese als
«… eine Person, die Zeit hat für Spaziergänge, fürs Einkaufen, für den Erhalt der
sozialen Beziehungen und für alles, was der Haushalt und die Menschen darin
so brauchen. Sie wohnt bei Ihnen zuhause und soll ein ‹Familienmitglied› sein,
genauso wie es für ‹Aupairs› in jungen Familien ist.» (www.hauspflegeservice.ch)
Im Gegensatz zum Schweizer Au-Pair-Reglement, nach dem eine Au-Pair in
einer Familie täglich höchstens fünf Stunden Kinderbetreuung und leichte
Hausarbeiten verrichten darf 8, sind die Voraussetzungen bei Senio-Pairs ganz
andere: Auf ihnen lastet die Hauptverantwortung für die Pflege und Betreuung
einer Person rund um die Uhr. Viele Betreuungsunternehmen stützen sich
auf dieses Familienmodell und die Logik der Zwischenmenschlichkeit und
grenzen sich dabei von Institutionen wie der Spitex ab, die durch die Rationalisierung und den Effizienzdruck tendenziell weniger auf die individuellen
Bedürfnisse eingehen können.
Die Preise für eine 24-Stunden-Betreuung sind sehr unterschiedlich.
Während es auf dem Internet schon Billigangebote für weniger als 2’000 Euro
gibt, verlangen andere über 10’000 Franken pro Monat. Einige Agenturen
stufen die Preise ab – je nach Betreuungsstufe der pflegebedürftigen Person
und/oder nach Deutschkenntnissen und Erfahrungen der Betreuerin. Von
8
Tatsächlich werden auch bei jungen Frauen, die als Au-Pair in Haushalten mit Kindern
arbeiten, diese Arbeitszeitregelungen nur selten eingehalten. Das offizielle Bild von Au-Pair als
Kulturaustausch entspricht wenig der Realität junger Au-Pairs aus Osteuropa (vergleiche dazu
Hess, 2005).
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der Familie müssen zusätzlich zu den monatlichen Kosten und allfälligen
Vermittlungsgebühren auch ein Zimmer plus kostenlose Verpflegung für die
Betreuerin garantiert werden.
4
Fazit und Ausblick
4.1
Win-Win? Ein kritischer Blick auf (globale) soziale Ungleichheiten
Bei der Betreuung von Pflegebedürftigen im Privathaushalt entsteht zurzeit ein stark deregulierter Markt – ein prekärer, vergeschlechtlichter und
ethnisierter Arbeitsmarkt. Care-Arrangements mit Migrantinnen werden
häufig als Win-win-Situationen dargestellt: Hausarbeiterinnen könnten
dank der Beschäftigung in Privathaushalten den prekären Bedingungen in
ihrem Herkunftsland entfliehen, finanzielle Autonomie erlangen und in
ihrem Herkunftsland «Entwicklungshilfe» leisten, gleichzeitig entlasteten sie
Familien. Ich plädiere dafür, auf dieses 24-Stunden-Betreuungsarrangement
etwas genauer hinzuschauen:
−−
−−
−−
Mit einem Blick auf die prekären Arbeitsverhältnisse: Stellen wir uns so
die Zukunft der Betreuung zuhause vor, zu diesen tiefen Löhnen und
schlechten Arbeitsbedingungen?
Mit einem Blick auf Geschlechterverhältnisse: Was bedeutet dies bezüglich der Wertschätzung von Care-Arbeit? Wird hier nicht einmal mehr
traditionell weibliche Arbeit dequalifiziert? Die Neuorganisation der
geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung auf globaler Ebene führt zu neuen
Ungleichheiten zwischen Frauen und wertet traditionell als weiblich
betrachtete Tätigkeiten im Haushalt weiter ab.
Mit einem Blick auf globale Ungleichheiten: Kritisch reflektiert werden
müsste auch, welche Konsequenzen diese aktive Rekrutierung von
Care-Arbeiterinnen für die Care-Ökonomien in den Herkunftsländern hat und wie sich durch das Care-Arrangement der 24-StundenBetreuung die globalen Abhängigkeiten und Ungleichheiten entlang
von Geschlecht, Klasse und Nationalität verändern.
Bei ihrem Aufbruch in fremde Haushalte verlassen die Frauen zum Teil
eine Familie, für die wiederum irgendwie gesorgt werden muss: Verwandte,
Nachbarn oder Frauen, die aus noch ärmeren Verhältnissen oder Ländern
stammen, übernehmen diese Aufgabe. Auf diese Weise kommt es zu globalen
Abhängigkeiten, welche die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild (2001)
als «globale Sorgeketten» (global care chains) bezeichnet. Diese entstehen analog
zu globalen Produktionsketten und können ganze Erdteile umspannen. Die
Metapher der Sorgeketten verdeutlicht ein koloniales Verhältnis, in welchem
anstelle von Rohstoffen ein soziales Gut, nämlich emotionale Arbeit, von
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den Ländern des globalen Nordens angeeignet wird. Die Care-Krise in den
westlichen Ländern wird um den Preis ihrer Auslagerung in die besagten
Regionen entschärft (Widding et al., 2009).
Es etabliert sich hier ein Modus transnationaler sozialer Reproduktion,
der ans Gastarbeiterregime erinnert. Dabei erfolgt eine räumliche Trennung
der Verwertung der Arbeitskraft von ihrer Reproduktion: Hier in der Schweiz
ist die pure Arbeitskraft gefragt, die soziale und kulturelle Reproduktion der
Arbeitskraft erfolgt im Herkunftsland. Ein Geschäftsleiter einer Agentur,
die Migrantinnen aus Osteuropa in die Schweiz vermittelt, spricht denn
auch davon, dass die Frauen nach zwei oder drei Monaten Volleinsatz in
einem Haushalt eines Demenzkranken «ausgepowert» seien und sich in ihrer
Familie im Herkunftsland erholen müssten. Nicht nur die Erholung und
Wiederherstellung der Arbeitskraft, auch die Kosten der sozialen Sicherung
werden weitgehend ausgelagert: einerseits auf die Einzelnen und ihre Familien,
andererseits auf die sozialen Sicherungssysteme in den Herkunftsländern.
Den Migrantinnen müssen keine Ausbildungen oder Erwerbsausfälle bezahlt
und im Alter müssen sie nicht in der Schweiz betreut werden. Durch die
Rekrutierung von Care-Migrantinnen in Haushalte von Pflegebedürftigen
werden somit auf eine für den Schweizer Sozialstaat billige Art und Weise
Versorgungslücken im Sozialsystem gefüllt, die durch die demografische
Entwicklung, Umbrüche im Geschlechterregime und den Umbau des Wohlfahrtsstaates akut werden.
4.2
Ausblick auf politische Handlungsfelder
«Eine stärkere Regulierung bringt für Angehörige und Pflegerinnen mehr
administrativen Aufwand. Sie ist nicht nötig und treibt die Preise in die
Höhe», kommentiert der Tagesanzeiger (6. Juni 2012, S. 2) die Forderungen
von Seiten gleichstellungspolitischer- und gewerkschaftlicher Kreise, den
24-Stunden-Betreuungssektor zu regulieren. Klar bieten heute Billigangebote
auf dem unregulierten 24-Stunden-Betreuungsmarkt auch finanziell weniger
gut gestellten Familien die Möglichkeit, eine Betreuungsperson im eigenen
Haushalt anzustellen. Doch soll dieser weit verbreitete Wunsch, den Lebensabend möglichst in den eigenen vier Wänden verbringen zu können, durch
die Etablierung eines prekären Niedriglohnsektors in der privaten Pflege und
Betreuung erreicht werden?
Wie Beispiele in den Niederlanden oder in Skandinavien zeigen, kann
durch eine stärker wohlfahrtsstaatlich unterstützte Pflege und Betreuung
zuhause der Entwicklung eines privaten, häufig irregulären Arbeitsmarktes
im Privathaushalt entgegengewirkt werden. In der Schweiz muss jedoch ein
grosser Anteil der Care-Leistungen von den Haushalten privat finanziert werden
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(siehe Abschnitt 2.1). Ein Ausbau der öffentlich-solidarischen Finanzierung
und die Bereitstellung einer bedürfnisorientierten Care-Infrastruktur im
Rahmen des service public wäre durchaus finanzierbar (über direkte Steuern
und z. B. Erbschaftssteuern), wenn der politische Wille da wäre.
Vieles deutet heute jedoch darauf hin, dass dieser prekäre Arbeitsmarkt
in der privaten 24-Stunden-Betreuung weiter wachsen wird. Umso wichtiger
sind eine verstärkte Regulierung und die Durchsetzung von Arbeitsstandards im
Haushaltssektor – so schwierig dies auch ist, in Anbetracht des speziellen Charakters des Arbeitsplatzes Privathaushalt, der sich einer arbeitsmarktlichen Aufsicht
tendenziell entzieht. Insbesondere bezüglich Praktiken der Agenturen müssten
mehr Kontrollen stattfinden. Zudem wäre eine klare Regulierung der Arbeitszeiten notwendig (Gewährung von Ruhezeiten, Entschädigung für Standby
usw.). Dazu müsste der Privathaushalt dem Arbeitsgesetz unterstellt werden.
Die Unterstellung des Haushalts unter Arbeitsrecht ist auch eine
Forderung, für die sich auf internationaler Ebene das Netzwerk der domestic
workers (International Domestic Workers Network, IDWN) einsetzt. Im Rahmen
dieses selbstorganisierten Netzwerks haben sich Hausarbeiterinnen aus der
ganzen Welt in den vergangenen Jahren stark für die Verabschiedung einer
ILO-Konvention für die Rechte der Hausarbeiterinnen eingesetzt. Diese
wurde im Juni 2011 in Genf anlässlich der 100. ILO-Hauptversammlung
abgesegnet, was als grosser Erfolg im Kampf für global gültige Mindestnormen
im Privathaushalt gelten kann. In dieser ILO-Konvention Nr. 189 werden
Hausarbeiterinnen erstmals international als Arbeitnehmerinnen mit definierten Rechten anerkannt und damit anderen Beschäftigten gleichgestellt.
Festgeschrieben sind beispielsweise eine wöchentliche Mindestruhezeit (24
Stunden am Stück innerhalb von sieben Tagen), Überstundenvergütung und
Einhaltung von Mindestlohnbestimmungen. Ein wichtiger Punkt ist auch
die Aufklärung und Information der Beschäftigten über ihre Rechte und die
Rahmenbedingungen. Die ILO-Konvention soll nun in den einzelnen Ländern
ratifiziert und schliesslich auch umgesetzt werden. Dafür müsste in der Schweiz
aber zuerst einmal eine Öffentlichkeit für das Anliegen geschaffen werden.
Eine weitere Notwendigkeit für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der 24-Stunden-Betreuung wie auch für die Verbesserung der Qualität
der Betreuungsverhältnisse ist die Schaffung von Anlaufstellen, die beide Seiten
für juristische wie fachliche Beratung nutzen könnten (Begleitung von Angehörigen und Pflegebedürftigen wie von Care-Arbeiterinnen). Die Beratungen
sollten dabei in verschiedenen Sprachen stattfinden – telefonisch wie vor Ort.
Zudem müsste für eine Verbreitung von schriftlichem Informationsmaterial9
9
Die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich hat wichtige Informationen juristischer Art für Anstellungen in Privathaushalten in einer Broschüre zusammengetragen:
http://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/gleichstellung/haushalthilfe_im_alter.html.
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sowie für die Erstellung einer Info-Website gesorgt werden. Idealerweise würden sich aus diesen Anlaufstellen auch soziale Räume entwickeln, an denen
sich Care-Arbeiterinnen treffen, vernetzen und untereinander austauschen
könnten – auch um der Isolation des Haushalts ein Stück weit entgehen zu
können. Zu denken ist auch an Qualifizierungsmassnahmen und Sprachkurse.
So wichtig eine Regulierung, die Durchsetzung von Arbeitsrechten sowie
die Etablierung von Anlaufstellen sind, so unverzichtbar ist eine grundsätzliche
gesellschaftliche Debatte über die Existenz und Expansion dieses segregierten
Arbeitssektors im Privathaushalt, der die geschlechtliche und internationale
Arbeitsteilung reproduziert. Denn auch wenn im Haushaltssektor «würdigere» Arbeitsbedingungen erkämpft werden: Dieser bleibt weiterhin ein
Mikrokosmos, in dem sich soziale Ungleichheiten – zwischen reichen und
ärmeren Ländern, zwischen den Geschlechtern, zwischen Haushalten mit
unterschiedlichen finanziellen Ressourcen – widerspiegeln. Die Problematik
ist komplex und kann nicht isoliert betrachtet werden: Sie tangiert sowohl
die Sozial- und Gesundheitspolitik, als auch die Migrations-, Arbeitsmarktund Geschlechterpolitik. Heute scheint es deshalb dringend notwendig,
den gemeinhin als «Privatsache» wahrgenommenen Bereich der Care-Arbeit
zuhause zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung und Gestaltung zu
machen. Letztlich geht es darum, Ideen und Utopien zu entwickeln, wie wir
uns ein gutes und würdiges Leben im Alter in einer Gesellschaft vorstellen,
die sich nicht auf Ungleichheiten stützt.
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