um die Würde der Frauen zu heben
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um die Würde der Frauen zu heben
Feministisches Grundstudium V Lehrgang universitären Charakters 6. Diplomlehrgang Jänner 2006 bis Dezember 2007 „.... um die Würde der Frauen zu heben...“ Autorin, Politikerin und philosophische Feministin, Olympe de Gouges, die „Femme Auteur“ Verfasserin : Gabriele Eisenriegler-Bunyai Erstbegutachtung: Dr.in Ursula Kubes-Hofmann Zweitbegutachtung: Dipl. Päd. Verena Bruchhagen Abgabetermin: 30. Mai 2008 Rosa-Mayreder-College, Wien Bundesinstitut für Erwachsenenbildung, Strobl/OÖ VHS-Ottakring, Wien 0 Inhaltsverzeichnis Einleitung .................................................................................................................................. 2 Historischer Hintergrund der französischen Revolution ..................................................... 5 1 Historische Lebensgeschichte............................................................................................... 9 Olympe de Gouges (7.5.1748 – 3.11.1793) .............................................................................. 9 1.1 Kindheit und Jugend ......................................................................................................... 9 1.2 Bildung und Beruf........................................................................................................... 11 1.3 Soziale Kontakte und Umfeld ......................................................................................... 14 1.4 Anerkennung als Schriftstellerin und Autorin ................................................................ 16 2 Philosophischer und politischer Hintergrund .................................................................. 22 2.1 Frauenbild der Epoche .................................................................................................... 22 2.2 Ablehnung des feministischen Ansatzes durch die Revolutionäre ................................. 25 2.3 Die Frauenrechtsdeklaration von Olympe de Gouges .................................................... 27 3 Bedeutung Olympe de Gouges in der Gegenwart ........................................................... 31 3.1 Aktualität ist immer noch gegeben ................................................................................. 31 3.1.1 Terre des Femmes ........................................................................................................ 32 3.2 Gesetzliche Grundlagen als Voraussetzung und Absicherung der Gleichberechtigung. 33 4 Zusammenfassung............................................................................................................... 39 4.1 Jede Frau hat Geschichte ................................................................................................ 39 4.2 Frauen als Heldinnen ...................................................................................................... 40 4.3 „... um die Würde der Frauen zu heben ...“ und role models heute ................................ 42 Literaturverzeichnis............................................................................................................... 45 Anhang .................................................................................................................................... 47 1 Einleitung Auf der Historienreise in die Frauengeschichte des 17. Jahrhunderts bis zur Moderne lernte ich im Lehrgang des Feministischen Grundstudiums, Lehrgang 5, im Basismodul I – Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I), bei Frau Dr.in Ursula KubesHofmann, Lehrgangsleiterin, die mir bis dahin völlig unbekannte Olympe de Gouges kennen und machte mich mit ihrer Lebensgeschichte vertraut. Im Bemühen, die Geschichte Olympe de Gouges im Kontext philosophischer und politischer Hintergründe zu verstehen und zu begreifen, welchen Einfluss und welche Bedeutung die Arbeit einer Feministin aus der Epoche der beginnenden Aufklärung heraus aus dem französischen Absolutismus für uns noch immer hat, veranlasste mich, die Lebensgeschichte dieser außergewöhnlichen Frau mittels einer Literaturrecherche so umfangreich wie möglich zu erforschen. Wichtig war für mich, das Zustandekommen und die Bedeutung ihrer Werke, insbesondere die Erklärung der Frauen- und Bürgerinnenrechte, für unsere weibliche Gegenwart auch im Hinblick auf die aktuelle soziale und politische Arbeit von Feministinnen als weiteres Thema in meine Diplomarbeit aufzunehmen. Die Aufgabe bestand darin, aus ihrer Welt in unsere Gegenwart überzuleiten und der Frage nachzugehen, welchen Wert ihr Engagement in Fragen der Frauenrechte, der Gleichberechtigung und der Nichtdiskriminierung für uns heute darstellt. Was lernen wir modernen Frauen von Olympe de Gouges und wie können wir ihr Wissen positiv integrieren? Die Fragen, die sich aus dieser Bearbeitung ergaben, betrafen einerseits den Menschen Olympe de Gouges, die im Zeitalter des Ancien Regime geboren wurde. Andererseits betrafen meine Fragen die von Olympe de Gouges gehegten Hoffnungen auf große Veränderungen durch die Französische Revolution: persönliche Freiheit und Unabhängigkeit, für die Gleichberechtigung, die Égalite der Geschlechter und eine Beendigung der Sklaverei. Und sie kämpfte für diese Hoffnungen mit modernen Mitteln wie der Veröffentlichung von Schriften. Anhand ihrer Lebensgeschichte galt es auch herauszufinden, mit welchen Schwierigkeiten und Hindernissen Olympe de Gouges konfrontiert wurde: Zum Bespiel mit Migrationsproblemen. Denn in Paris, wo sie als junge verwitwete Migrantin mit ihrem Sohn und ohne entsprechende Sprachkenntnisse ankam, musste sie ihr Leben neu organisieren, ohne ihren Lebensunterhalt selbst verdienen zu dürfen. 2 Oder, wie sie erfahren musste, dass ihr leiblicher Vater einer von jenen Aristokraten war, der sich um seine außerehelichen Kinder nicht zu kümmern und sorgen brauchte. Folglich musste er sie auch nicht als Tochter anerkennen, wodurch Olympe de Gouges rechtlos blieb, vor allem in Zusammenhang mit dem Erbrecht. All diese Erfahrungen feilten die Persönlichkeit dieser faszinierenden Frau dahingehend, dass sie mit ihrer Lebensgeschichte als Heldin in die Geschichte einzieht, die die Mängel in ihrem Leben mit den vorgegebenen Möglichkeiten vergleicht und davon überzeugt ist, dass ihr Handeln eine entscheidende Wende auch im gesellschaftlichen Bereich bewirkt. Für mich ist Olympe de Gouges eine Heldin der französischen Revolution, da sie unangepasst und abweichend von gesellschaftliche Normen bereits Geschichte geschrieben hat. Denn sie erkannte als eine der ersten, dass die neue geschriebene Verfassung aller Franzosen für alle Franzosen nicht für alle gelten sollte, denn „die Hälfte“ der französischen Bevölkerung, nämlich der weibliche Anteil, sollte weiterhin in der Abhängigkeit aller Männer und somit rechtlos verhaftet bleiben. Wie wichtig es ist, Bedürfnisse einzelner und ganzer Gruppen als Gebot in Recht zu formulieren, zu verankern und durch Recht Verbote gegen willkürlich Herrschende zu vollziehen, wurde von Olympe de Gouges frühzeitig erkannt und in ihrer Frauenrechtsdeklaration dokumentiert. Die Frauen der französischen Revolution befanden sich eine Zeit lang in einer gemeinsamen Bewegung wie kaum zuvor und sie erhofften sich Gehör und rechtlich abgesicherte Anerkennung zu verschaffen in der revolutionären Aufbruchsstimmung am Ende des 18. Jahrhunderts. Viele Frauen aus dem gehobenen Bürgertum und des liberalen Adels, aber auch Frauen aus dem sogenannten Dritten Stand veröffentlichten ihre Schriften, Briefe und Abhandlungen zum Teil anonym oder unter einem männlichen Pseudonym, um dem Druck der Öffentlichkeit zu entgehen. Gleichberechtigung, das Recht auf Bildung, Beruf und Wahlrecht, auf freie Meinungsäußerung, auf Besitz, auf Scheidung, und Frauenrechte im Allgemeinen, die sich durch alle Bildungsschichten zogen, mussten gegen heftige Widerstände erst erkämpft werden. Diesen Hindernissen stellte sich Olympe de Gouges ihren Gegnern herausfordernd und mutig, indem sie unter ihre Werke ihren eigenen Namen setzte. Gut, dass die französische Revolution weit hinter uns liegt und wir geraten dabei in Versuchung zu denken, dass uns all diese Ungerechtigkeit nie wieder passieren kann. Doch die Arbeit der deutschen Organisation Terre de Femmes zeigt uns, wie wichtig das Kämpfen um Frauen- und Menschenrechte auf der ganzen Welt weiterhin ist, unter ständiger Angst 3 um´s Überleben. Denn die Gewaltakte an Frauen durch aktuelle Menschenrechtsverletzungen wie Ehrenmorde, Zwangsverheiratungen, Genitalverstümmelungen und Vergewaltigung als strategische Maßnahme in Kriegsereignissen bedrohen weiterhin unsere Vorstellung von Zivilisation und erfordern eine aktive Auseinandersetzung und politisches Engagement. Role Models in der Frauengeschichte sind Frauen wie Olympe de Gouges, Serap Cileli und Simone de Beauvoir, durch die wir den Zugang zur Frauengeschichte, die sich nicht als Herrschaftsgeschichte definiert, finden. Es sind mutige und unabhängige Frauen, die Geschichte haben, so wie wir selbst – jede Frau von uns – eine Geschichte hat. All jene Frauen, die anonym gegen jede Art von Menschenrechtsverletzungen gekämpft haben und kämpfen, zeigen uns, dass es immer möglich war und ist, mit motiviertem Widerstand gegen bestehende Unterdrückung zu kämpfen. 4 Historischer Hintergrund der französischen Revolution Im Geburtsjahr von Olympe de Gouges herrschte der Absolutismus des „Ancien Regime“ unter dem Bourbonen Ludwig XV in Frankreich. 1770 vermählte Ludwig XV seinen Enkel den Herzog von Berry und zukünftigen Ludwig XVI (1754-1793) mit der Erzherzogin Marie Antoinette, einer Tochter von Kaiserin Maria Theresia. Er war ein im Zeitalter des Barocks Musterbeispiel für einen Herrscher des Absolutismus. Die Menschen waren alle Untertanen, den Adeligen blieben jedoch soziale Vorrechte, die Privilegien. Der Adel war von Steuern befreit, bekleidete hohe Posten in der Armee und der Kirche und vor Gericht wurden sie besser behandelt als Nichtadelige. Der Prototyp der Ständegesellschaft, aus dem Stand in den man hinein geboren wurde, fiel man nicht mehr heraus.1 Doch die Freigeister der Aufklärung hinterfragten den für sie ungerechten feudalen Ständestaat. Die finanzielle Misswirtschaft mit dem ungleichen Steuersystem, die Korruption der Verwaltung, die Willkürjustiz, dazu die von den Kriegen ausgebrannte Bevölkerung sowie Frivolität und Intrigen bei Hof führten die Revolutionäre aller Lager zu den Grundsätzen ihrer Bewegung: der Freiheit, der Gleichheit, der Rationalität, der Transparenz und der Moral 2. Die französische Revolution lässt sich nach Eberhard Schmitt in 5 Phasen einteilen: Die erste Phase als die Phase der Pre-Revolution von 1787 bis 1788. Im August 1787 erfolgte der Teilstaatsbankrott der Krone, der die Krone aus dem politischen Machtkampf ausschaltete. Am 8. August 1788 fand die Einberufung der Generalstände statt. In dieser Zeitspanne wurden die späteren Programme und Zielsetzungen ausgearbeitet. Und diese konnten anlässlich der Wahlen zu den Generalständen von 1789 (5. Mai 1789)3 in Versailles, bei denen es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern des 3. Standes und dem König und den Adeligen kam, bereits vorhanden sein. In Paris fanden erste Arbeiterproteste statt, die auf Befehl des Königs gewaltsam niedergeschlagen wurden. Eine bewaffnete Bürgerwehr wurde zusammengestellt und die Pariser Commune bildete sich zu einer Art Gegenregierung. In weiterer Folge erklärte sich der 3. Stand im Juni 1789 zur Nationalversammlung. 1 2 3 wikipedia.org/wiki/Ancien, Zugriff am 9.8.2007 Schmitt, Eberhart, Einführung in die französische Revolution (1980) S 50 ff. www.historia-universalis.de/historia_universalis/franzRev, Zugriff am 23.5.2008 5 Die zweite Phase der Errichtung der konstitutionellen Monarchie nennt sich auch die Revolution Bourgoise oder Revolution de la Liberté. Diese Phase von 1789 bis 1792 war die erste Phase der eigentlichen Revolution. Konflikte zwischen dem Adel und dem 3. Stand im Kampf um die Abschaffung der Privilegien des 1. Standes entflammten in ganz Frankreich, insbesondere die Bauern kämpften in Südfrankreich um die Aufhebung der Feudalherrschaft, gegen die Leibeigenschaft und gegen die Armut der bäuerlichen Landbevölkerung (Grande Peur), die auch zu Unruhen zwischen den Bauern und den Bürgern führte. Dann am 26.8.1789 erfolgte endlich die Verkündung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Trotz der bestehenden Armut und Hungersnöte in Paris zeigte der König, Louis XVI, massiven Widerstand gegen die neue Verfassung, weswegen es Anfang Oktober 1789 zu dem Marsch der Pariser Marktfrauen nach Versailles kam, bei dem die Frauen das Schloss Versailles besetzten und schlussendlich den König und seine königliche Familie nach Paris „entführen“ konnten. Auch im Oktober 1789 gab es weiterhin Unruhen in Paris, die mittels Kriegsrecht von der Nationalversammlung, die gleichfalls nach Paris umgezogen war, niedergeschlagen wurden. Das Jahr 1790 wurde genutzt um Reformen zu gestalten, denn viele Probleme plagten ganz Frankreich, so die Staatsschulden, eine Neuordnung des Wahlrechtes und die Bauernaufstände in Südfrankreich, und waren zu lösen sowie Fragen in Sachen neuer Bürgerrechte. Bereits im Sommer 1790 formierte sich die revolutionäre Pariser Volksbewegung der Sansculotten, die später im Jahre 1791 durch ihre Auseinandersetzungen mit der Nationalversammlung und der Regierung an Bedeutung für die französische Revolution gewannen. Auf diesen Zusammenschluss wurde seitens der Nationalversammlung sofort reagiert und es wurde ein Koalitionsverbot für berufsständische Vereinigungen ausgesprochen, das einem Verbot von Arbeiterversammlungen gleichkam. Die verhinderte Flucht des Königs nach Varennes im Juni 1791 brachte eine neuerliche Wende in den Verlauf der Revolution, denn die königliche Flucht ließ den Ruf nach der Abschaffung der Monarchie laut werden und schaffte wieder kämpferische Auseinandersetzungen bis endlich im August die neue Nationalversammlung gewählt wurde und am 3.9.1791 die erste geschriebene Verfassung Frankreichs unterzeichnet wurde, auf die der König seinen Eid leistete. In all diesen Jahren erfolgte die Umstrukturierung Frankreichs vom Ständestaat einer Monarchie zur konstitutionellen Monarchie bzw. zum konstitutionellen Einheitsstaat. 6 Diese Phase wurde 1792 bis 1794 abgelöst durch die Konventsherrschaft der Girondisten und Jakobiner. Diese Phase wird auch die Revolution Democratique oder Revolution de l´Égalite genannt. Und umfasste auch die Diktatur des Wohlfahrtsausschusses. Mit dem Terreur vom September 1793 bis Mai 1794 und dem Grande Terreur im Juni/Juli 1794, der am 27.7.1794 (= 9. Thermidor des Jahres II) unter Robespierre und Saint Just zusammenbrach. In dieser Phase stand Frankreich ganz im Einfluss des Krieges (seit 1792 gegen Europa). In dieser Zeitspanne setzte sich die Sansculottenbewegung mit ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ansprüchen durch. Vorerst übernahmen im Winter 1791 bis zum Frühjahr 1792 die Girondisten die Herrschaft in der Nationalversammlung und in der Regierung. Am 20.4.1792 erklärte die Nationalversammlung Österreich den Krieg. In ganz Frankreich gab es weiterhin Teuerungsunruhen und Bauernaufstände. Als der König einen Minister der Girondisten entließ, kam es zu einem letzten Machtkampf zwischen ihm und den Revolutionären. Der Sturm auf die Tuilerien am 10.8.1792 führte zur Inhaftierung der königlichen Familie und zur Abschaffung der Monarchie am 21.9.1792. Ludwig XVI wurde am 21.1.1793 auf dem Revolutionsplatz guillotiniert. Zwei Monate später errichteten die Revolutionäre das Revolutionstribunal und einen weiteren Monat später die Einsetzung des Wohlfahrtsausschusses. In Paris gingen die bewaffneten Auseinandersetzungen weiter und erstmals erzwangen die aufgebrachten Sansculotten den Ausschluss der Girondisten aus dem Konvent und erreichten damit, dass die Jakobiner die Herrschaft im Konvent übernahmen. Mit dem Eintritt Robespierres als Mitglied des Wohlfahrtsausschusses spricht man vom Beginn des Terreurs. Die Sansculotten erzwangen eine weitere Radikalisierung der Revolutionäre, wie durch die Festsetzung für Höchstpreise, der Guillotinierung der Girondisten und dem Verbot der Frauenclubs. Olympe de Gouges wurde ein Opfer dieser radikalen Forderungen. In der Phase der Bürgerlichen Republik von 1794 bis 1799 wurde im Inneren der Rechtsstaat wieder hergestellt und nach außen die Hegemonialstellung Frankreichs. Neben den Hinrichtungen des Königs und der Königin, den Girondisten, der Revolutionäre, Generäle finden sich in den Listen der unter der Guillotine Verstorbenen auch Namen, die mit dem Schicksal von Olympe de Gouges verbunden waren: dazu zählen Robespierre und der ehemalige öffentliche Ankläger des Revolutionstribunals, Antoine-Quentin Fouquier-Tinville (1795). Die Ära Napoleons von 1799 bis 1815 zählen wenige Historiker zur französischen Revolution, doch meint der Autor4, dass viele Gesichtspunkte vorhanden sind, diese Phase als 4 vgl. Eberhard Schmitt, Einführung in die Geschichte der französischen Revolution, (1980) S. 50 ff. 7 die fünfte Phase der französischen Revolution zu benennen, um die gesamte Zeitspanne als Einheit sehen zu können. 8 1 Historische Lebensgeschichte Olympe de Gouges (7.5.1748 – 3.11.1793) 1.1 Kindheit und Jugend Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre Olympe de Gouges in eine intakte Kleinfamilie geboren. Doch diese Struktur zerbricht für die Familie Gouze und das kleine Mädchen Olympe de Gouges bereits sehr bald nach seiner Geburt. Am 7. Mai 1748 wurde Olympe de Gouges als Marie Gouze, drittes Kind der Ehe des Ehepaares Pierre Gouze, Metzger, und Ann-Olympe Mouisset, Wäscherin, geboren und im Familienregister (=Taufregister) der Stadt Montauban (okzitanisch: Montalban) im Südwesten Frankreichs, ca. 50 km nördlich von Toulouse, der heutigen Region: Midi-Pyrenees, als legitimes, also eheliches Kind eingetragen.5 Der im Familienregister als legitimer Vater verzeichnete Pierre Gouze stirbt zwei Jahre nach ihrer Geburt und ihre Mutter entschließt sich, ein zweites Mal zu heiraten, und zwar einen Polizeibeamten. Diese Entscheidung trifft sie vermutlich aus finanziellen Erwägungen, da sie für insgesamt drei Kinder zu sorgen hatte und den drei Kindern und sich eine Existenz sichern musste. Das kleine Mädchen Marie musste früh eine weitere bittere Wahrheit erfahren und verkraften, nämlich die, dass sie nicht die Tochter ihres Vaters, des Metzgers Pierre Gouze, war, auch nicht die Tochter des Polizeibeamten, ihrem Stiefvater, sondern die außereheliche Tochter des reichen und adeligen Literaten, Jean-Jacques Lefranc, Marquis de Pompignan, und ihrer Mutter. Denn der als Literat tätige adelige Pate von Ann-Olympe Mouisset, hatte diese während ihrer aufrechten Ehe mit Pierre Gouze geschwängert.6 Werte wie die Religion und die Frömmigkeit bestimmten die Moral der Bevölkerung und insbesondere die des feudalen Landadels nach außen hin. Gerade in Montauban befand man sich in einem theologischen Zentrum. Doch dieser moralische Heiligenschein glänzte schon lange nicht mehr. Besonders bei der Landbevölkerung machte sich Unmut breit wegen der feudalen Besitzverhältnisse und der feudalen Lebensweise des Landadels. Die Risiken der einfachen Frauen durch eine außereheliche Schwangerschaft waren im Lichte der Doppelmoral besehen unvorstellbar groß und ohne Konsequenzen für den Täter. So ist es 5 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I) S.62 www.hannelore-schroeder.nl/olympe-de-gouges-stiftung/mutter der Menschenrechte; Schröder, Hannelore, 1995, Olympe de Gouges. Mensch und Bürgerin, Zugriff am 26.4.2007 6 9 nicht weiter verwunderlich, sondern höchstwahrscheinlich zutreffend, dass Marie Gouze die natürliche Tochter und theoretisch die einzige Nachfahrin des adeligen Literaten, JeanJacques Lefranc, Marquis de Pompignan, war, ohne die offizielle Anerkennung ihrer adeligen Abstammung erfahren zu haben, obwohl eine solche Anerkennung rein rechtlich durchaus möglich gewesen wäre. (Als Beispiel für die Geisteshaltung am französischen Hof erwähne ich an dieser Stelle den damaligen französischen König , Ludwig XV, der von seinen sieben außerehelichen Kindern lediglich einen Sohn anerkannt hatte7). Für den Vater von Olympe de Gouges, dem damaligen Weltbild nach ein frommer Katholik, und dessen Familie, gab es keinen Grund und keine Veranlassung, kein Gesetz und keinen Vaterschaftstest und somit erst recht keine Moral, die ihn veranlassen konnte, seine leibliche Tochter anzuerkennen und für ihren Unterhalt seinem Stand entsprechend einen Beitrag zu leisten oder gar für sie zu sorgen. Nach dem Tode des Pierre Gouzes im Jahre 1750 wollte er zwar für eine standesgemäße Erziehung und Bildung von Marie sorgen, dies hatte jedoch die Mutter Marie`s, die sich abermals verehelicht hatte, abgelehnt und somit verhindert. Diese Wahrheit, ein illegitimes Kind mit adeliger Abstammung zu sein, prägte Marie Gouze bzw. Olympe de Gouges ihr Leben lang. Formte ihren Widerstand gegen jede Art von Unmoral im Sinne einer ganzheitlichen Gesellschaftskritik. Bereits ihr erster Briefroman handelte von ihrer illegitimen Herkunft und in ihrem Nachwort zu ihrer Erklärung der Frauenrechte, ca. zehn Jahre später, griff sie diese Doppelmoral auf und an und schrieb: „Der reiche kinderlose Epikureer findet nichts dabei, wenn er zu seinem armen Nachbarn geht und dessen Familie vermehrt“8. Marie Gouze verbrachte ihre Kindheit und Jugend gemeinsam mit der Mutter und ihren Geschwistern (die ersten beiden Jahre ihres Lebens mit dem Vater Pierre Gouze, dann die weiteren Jahre mit dem Stiefvater), in der Stadt Montauban. Die kleine provenzalische Stadt erlangte Bedeutung durch ihre weithin bekannten theologischen Akademien und die theologische Fakultät. Marie Gouze konnte als Mädchen keine dieser Schulen oder die Fakultät besuchen, denn es gab in ganz Frankreich und in ganz Europa keine Schulpflicht. Schon gar nicht für Mädchen und speziell für arme Mädchen war der Zugang zu den Schulen nicht möglich und nicht 7 8 www.de.wikipedia.org/wiki/bourbonen, Zugriff am 29.5.2008 De Gouges, Olympe Rechte der Frau und Bürgerin (1791), Nachwort 10 erlaubt. Da ist es bereits als kleiner Fortschritt zu sehen, dass Olympe de Gouges trotz der kleinen und bescheidenen Verhältnisse, in denen sie aufwuchs, bei den Ursulinen in den Grundkenntnissen des Lesens und Schreibens unterrichtet worden war. Nicht in Französisch, sondern in ihrer provenzalischen Muttersprache, dem Okzitanischen. Sie war somit nicht zur Gänze Analphabetin, ein Schicksal, wie es zur damaligen Zeit armen Frauen und Mädchen mehr oder weniger gesetzlich bestimmt war. Lediglich Wohlhabende und Besitzende konnten die Bildung ihrer Töchter fördern. Französisch galt als die Landessprache des Nordens und wurde daher in Paris gesprochen. Erst als Olympe de Gouges in Paris ankam lernte sie französisch als Zweitsprache. Mit siebzehn Jahren wurde Marie auf Grund der finanziellen Abhängigkeiten und Nöte ihrer Familie gezwungen, diese zu verlassen und eine ihr existenzsichernde, aufgezwungene Vernunftehe einzugehen. Somit fand ihre Jugend durch eine Zwangsverheiratung ein abruptes Ende. Sie musste dem familiären und gesellschaftlichen Zwang nachgeben und wurde mit dem reichen Louis-Yves Aubry, einem traiteur (Verwalter, Koch, Wirt) verheiratet, den sie überhaupt nicht liebte und den sie später als „den verhassten Mann“9 bezeichnen wird. Doch zunächst eröffnete sie mit ihm eine Gastwirtschaft. Bereits im ersten Jahr nach der Hochzeit wird ihr Sohn Pierre geboren. Der Ehemann Aubry stirbt zwei Jahre nach der Hochzeit bei einem Unfall während eines Hochwassers. Marie Gouze ist zu diesem Zeitpunkt im Jahr 1767 neunzehn Jahre und ihr Sohn Pierre ist gerade ein Jahr alt. 1.2 Bildung und Beruf Marie zieht nach dem Tod ihres Mannes mit Pierre etwa im Jahr 1768 nach Paris, wo bereits ihre ältere Schwester Jeanne und deren Mann lebten. Zu erwähnen ist, dass Olympe de Gouges in Begleitung des Transportunternehmers Jacques Bietrix de Rozieres nach Paris gezogen war, mit dem sie eine freie und langjährige Verbindung eingegangen war, ohne sich mit ihm gesetzlich zu verheiraten, denn sie weigerte sich eine zweite Ehe einzugehen. Er unterstützte Marie finanziell, musste diese Zahlungen jedoch als Kreditrückzahlungen tarnen, da jede Art von Schenkungen an Konkubinen verboten waren.10 9 Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela; Menschenrechte: Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich (2001), Univ. Wien, S. 7 (aus De Gouges, Olympe: Mensch und Bürgerin „Die Rechte der Frau“ (1791); Schröder, Hannelore (1995)) 10 www.hannelore-schroeder.nl/olympe-de-gouges-stiftung/mutter der Menschenrechte, Schröder, Hannelore, 1995, Olympe de Gouges. Mensch und Bürgerin, Zugriff am 26.4.2007 11 Die Frage scheint berechtigt, welche Hoffnungen sich in der jungen Olympe de Gouges fanden, als sie von ihrer Familie fortzog, allein mit ihrem kleinen Sohn, weg aus der ländlichen Enge, hinein in eine neue Zukunft des vorrevolutionären Paris, den literarischen Spuren ihres inoffiziellen Vaters folgend: Dort legte sie ihren alten Namen ab und änderte den Familiennamen von Gouze auf de Gouges. Ihren Vornamen änderte sie von Marie auf den Vornamen ihrer Mutter, Olympe. Es entstand ihr neuer Name, der ihr offenkundig auch zu einer neuen Identität als Künstlerin und Schriftstellerin verhalf. Mit dem Namen entwarf sie sich selbst als Kunstfigur. Ihr neuer aristokratisch klingender Künstlername, mit dem sie ihre Werke unterschrieb, lautete Olympe de Gouges. Auch ihre ältere Schwester Jeanne übernahm den neuen Künstlernamen. Zu diesem Zeitpunkt war sich Olympe de Gouges dessen ganz genau bewusst, dass sie Nachfahrin des Adeligen und Literaten, Jean-Jaques Lefranc Marquis de Pompignan, war. Das veranlasste sie, wie ihr leiblicher Vater zu schreiben. Olympe de Gouges leitete selbstbewusst nicht aus ihrer Herkunft ihr Talent zum Schreiben ab, sondern aus ihrer biologischen Abstammung. Da sie jedoch ihre Kindheit und Jugend in kleinbürgerlichen Verhältnissen zugebracht hatte und um die Not und Ausbeutung der einfachen Menschen Bescheid wusste, konnte sie aus sich selbst heraus reflektierend die Widersprüche aus den bestehenden Machtverhältnissen erkennen und die möglichen Wege aus der ständigen Unterdrückung durch eine feudale Herrschaft niederschreiben. Mit Hilfe ihres Talents, ihrer Begabung, ihres Intellekts und der Gewissheit und Sicherheit, das Talent zum Schreiben auf Grund ihres biologischen Erbes zu besitzen, richtete sie ihr schriftstellerisches Potential auf den Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit durch ihre Benachteiligung als Frau. Doch um gleichzeitig zu literarischer Anerkennung zu gelangen, musste sie als alleinerziehende Mutter einen ungewöhnlichen Weg für sich selbst und ihr Kind wählen. Ihr sozialer Status als Witwe und außereheliche Tochter eines Aristokraten verschafften ihr einerseits in Paris die Möglichkeit berühmte und einflussreiche Pariser kennen zu lernen. Andererseits gab es keine andere Möglichkeit Geld zu verdienen außer von Unterhaltszahlungen ihrer Verehrer zu leben. Und so lebte sie die ersten zehn Jahre nach ihrer Ankunft in Paris als Femme Galante. Die ihr zur Verfügung stehende freie Zeit verbrachte Olympe de Gouges damit, sich autodidaktisch zu bilden und sich die Fähigkeit des Schreibens anzueignen, wobei für sie sehr bald feststand, dass sie als Schriftstellerin arbeiten wollte. Die 12 einengenden Fesseln und Rollenzuschreibungen einer Ehe und der gesellschaftlichen Normen standen ihr bei dieser Entscheidung nicht im Weg. Olympe de Gouges war unvermögend, jedoch noch jung, besonders schön, begabt, klug und selbstbewusst als sie in den Pariser Salons Prominente und Aristokraten traf, die sie verehrten und schätzten. Diese unterstützten sie, in die Pariser Theaterszene und in die Pariser Salons der Intellektuellen einzutreten und ermöglichten ihr dort Fuß zu fassen. Als außereheliche Tochter eines bekannten adeligen Literaten hatte sie endlich einen leichten Vorteil bei dem Zugang in die Welt des Theaters und der Schriftstellerei. Aber dennoch war es bis dahin ein weiter Weg, denn den Beruf der weiblichen Autorin gab es offiziell nicht. Olympe de Gouges nutzte ihre neuen Kontakte mit Künstlern, Schauspielern und Literaten um sich in Französisch durch Konversation zu bilden, sie las die Texte politischer und philosophischer Schriften, bildete sich in Sprache und Kultur durch Theaterbesuche und übte ihre literarischen Gehversuche. Trotz ihres sehr ambitionierten Vorgehens und ihrer intellektuellen Entwicklung vermisste sie für ihre Werke und ihr Wirken die nötige Schulbildung und sie bemerkte immer wieder, dass der Bildungsmangel ihrer Jugend eine grundlegende Benachteiligung für sie bedeutete. Sie beklagte diesen Umstand als etwas sehr Persönliches in ihrem Leben, doch konnte sie unter anderem durch den Begriff der Natur des Philosophen Rousseau einen Weg für sich selbst finden, um diesen Ausbildungsmangel, zu kompensieren. Durch die „Natur“ ihres Vaters fand Olympe de Gouges ihre schriftstellerische Begabung. Und immer wieder betonte sie gerne, dass sie ein „Werk der Natur“ sei.11 „Ich kann von mir behaupten, daß ich eine ihrer raren Schöpfungen bin. Alles habe ich ihr zu verdanken, nie einen anderen Lehrmeister gekannt; selbst meine philosophischen Betrachtungen können die bei mir nur allzu tief verwurzelten Unvollkommenheiten ihrer Erziehung nicht ausrotten. So hat man mir vorgeworfen, ich wisse mich in Gesellschaft nicht zu bewegen; obzwar mich diese Charakterschwäche in einem ungünstigen Licht erscheinen lasse, könnte ich dennoch eine diese anbetungswürdigen Frauen sein, wenn ich mich weniger vernachlässigte“12. Niemals verschwieg Olympe de Gouges, dass ihr Bildungswille und ihre Arbeit unter den vielen Bildungsdefiziten ihrer Kindheit litt und sie überzeugte trotzdem kompensierend durch Fleiß und Intelligenz, durch selbständiges Denken und Handeln - letztendlich durch zahlreiche Veröffentlichungen. 11 12 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus, (Textsammlung I), S. 63 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus, (Textsammlung I), S. 63 13 Das Recht auf freie Berufswahl zu erhalten, war auf Grund ihrer unsicheren Einkommenssituation eine ihrer wichtigsten Forderungen. Daher schrieb sie: „Ich biete ein untrügliches Mittel an, die Würde der Frauen zu heben, nämlich, sie mit den Männern zusammen an allen Erwerbszweigen teilhaben zu lassen“.13 1.3 Soziale Kontakte und Umfeld Olympe de Gouges war nach unseren heutigen Begriffen eine alleinerziehende Mutter, die es aus ihren Lebensumständen für selbstverständlich erachtete ihr Geld selbst zu verdienen, um ihre Existenz und die ihres Sohnes zu sichern und um unabhängig ein eigenständiges Leben zu führen. Und sie war selbstbewusst genug, um ihren eigenen Weg zu gehen und ihre Interessen zu wahren. Somit stand für sie fest, dass sie mit ihrem vom Vater geerbten Talent ihren Lebensunterhalt als Schriftstellerin verdienen wollte. Sie bewegte sich in der Welt der Schauspieler, der Literaten und der Gebildeten, die sie in den Pariser Salons und Lesezirkeln traf und mit denen sie in Kontakt kam. Und trotz ihres Talents lebte sie vorerst in einer Welt, die für Frauen nicht vorsah, öffentlich zu wirken. Die Mehrheit der Frauen musste als Tagelöhnerinnen wie zum Beispiel als Wäscherinnen oder Näherinnen arbeiten, um ihren Familien, ihren Kindern, Brot kaufen zu können; doch von den wohlhabenden und gebildeten Frauen wurde erwartet und gefordert und somit über sie bestimmt, dass sie ihre „weibliche Natur“ nach dem Ehemann und den Kindern ausrichteten und über keine den Männern vorbehaltenen Tätigkeiten Ambitionen verfügten oder auch nur Gedanken einer solchen Ambition hegten. Zehn Jahre musste Olympe de Gouges als Femme Galante ihren Lebensunterhalt ihren Lebensunterhalt verdienen. Auf Grund ihrer Schönheit und ihrer Beliebtheit bekam sie den Namen Babichon (Rehlein) verliehen mit dem sie in den Petit Almanach eingegangen ist. Die Salons der Femmes Galantes waren Salons des Vergnügens und der Zerstreuung als „höchstes Ziel und letzter Zweck dieser Gesellschaft, die dabei ist, sich zu Tode zu amüsieren“14. Sie selbst äußerte sich kaum zu ihren galanten Jahren. Dass diese nicht besonders einfach für sie waren, kann aus einem Satz ihrer Frauenrechtserklärung geschlossen 13 Olympe-Feministische Arbeitshefte zur Politik, Heft 1 (Juni 1994), S. 19 Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela Menschenrechte: Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich, (2001), Univ. Wien, S. 8 (vgl. Noack, Paul, Olympe de Gouges 1748 – 1793 Kurtisane und Kämpferin für die Rechte der Frau (1992) S. 35) 14 14 werden: „Doch müssen wir nicht zugeben, dass in einer Gesellschaft, wo der Mann die Frau gleich einem Sklaven von der afrikanischen Küste kauft, ihr jeder andere Weg, Wohlstand zu erwerben, verwehrt ist?“15 In diesen Salons des brodelnden Paris lernte sie Aristokraten und die Pariser Prominenz kennen wie auch Louis-Philippe-Joseph, duc d´Orleans, den späteren Philippe Égalite bzw. Citoyen Égalite, kennen, der sich bewusst von seinem adeligen Stand und dem Hof abspaltete und auf Grund seiner sozialen und liberalen Haltung eine wichtige Rolle während der Revolution eingenommen hatte. Als junge Mutter brach sie mit der Konvention und verweigerte eine weitere Heirat zu Gunsten ihrer persönlichen Freiheit. In Paris begann sie ein offenes, engagiertes und avantgardistisches Leben zu führen. Olympe de Gouges nutzte ihre Fähigkeiten um kritisch mit oppositionellen Frauen und Männern die gesellschaftlichen Missstände zu erkunden und literarisch zu verarbeiten. Sie gewann unter anderem die langjährige Freundschaft des Literaten, Louis-Sebastian Mercier mit dem sie ein gemeinsames Interesse an Literatur und Politik verband.16 Mercier förderte ihren Intellekt und unterstützte ihren Freiheitsdrang und führte sie in die Kreise der Journalisten und Philosophen ein. Er schriebt über sie: „Die Freundschaft der Frauen hat einen viel sanfteren Reiz als die der Männer, sie ist aktiv, wachsam, sie ist zärtlich; sie ist tugendhaft, und vor allem sie ist dauerhaft.“17 Im Laufe ihres literarischen und politisch engagierten Schaffens hatte sie Freunde in den bürgerlichen Salons und somit im bürgerlichen Lager gewonnen und natürlich wichtige politische Gegner auf Grund ihrer zahllosen politisch motivierten Veröffentlichungen, die oppositionell zur Gesellschaft und den Revolutionären standen. Sie war Mitglied des von wahrscheinlich Sophie de Condorcet 1791 gegründeten Vereins Cercle Social18, dessen deklariertes Ziel die politische und rechtliche Gleichberechtigung der Frauen war und sie war aktiv im Club der Republikanerinnen. Und auf Grund ihres intensiven Schaffens in der Frauenrechtsbewegung war sie wahrscheinlich gut mit den anderen Frauen der Bewegung vernetzt. Dass ihre Werke eine geringe Verbreitung fanden, lag eher an der Tatsache, dass Frauen nicht lesen konnten. 15 16 17 Olympe-Feministische Arbeitshefte zur Politik, Heft 1, (Juni 1994) S. 19 www.hannelore-schroeder.nl/olympe-de-gouges-stiftung Zugriff vom 26.4.2007 (S. 3 von 5) Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela Menschenrechte: Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich, (2001), Univ. Wien, S. 8 (vgl. Noack, Paul, Olympe de Gouges 1748 – 1793 18 de.wikipedia.org/wiki/Olympe_de_Gouges, Zugriff am 26.4.2007, S. 2 von 5 15 Ihre Nähe zu der revolutionären Bewegung drückte sie folgendermaßen aus: „Abhold jeder Intrige, jenseits aller Parteien, deren leidenschaftliche Kämpfe Frankreich gespalten haben, bahnte ich mir einen neuen Weg; mich nur auf meine eigenen Augen verlassend, nur meiner eigenen inneren Stimme gehorchend bin ich den Törichten entgegengetreten.“19 Da sie politisch überparteilich agiert hatte, konnten ihre Schriften und Werke auch nicht von einer Partei einseitig vereinnahmt werden. Durch ihre Kontakte zu den politischen Klubs und den Salons war sie lange Zeit sicher vor den Übergriffen der Machthaber, doch bei der allerletzten Entscheidung der Revolutionäre konnte auch sie sich nicht mehr helfen. 1.4 Anerkennung als Schriftstellerin und Autorin Anerkennung konnte Olympe de Gouges durchaus aus verschiedensten Quellen schöpfen: den Bürgerlichen und Intellektuellen und den Revolutionären, aus allen jenen Mitkämpfern und Mitkämpferinnen, denen es um Gerechtigkeit des Individuums und um Gerechtigkeit von ausgegrenzten Gruppen, wie den afrikanischen Sklaven, und um politische Veränderungen ging. Für umjubelte Theaterstücke und faszinierende Prämieren blieb jedoch keine Zeit in ihrem Leben. Die Stücke waren durch eine Fülle von rebellischen Forderungen wie der nach Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und der nach Gerechtigkeit hinsichtlich gesellschaftspolitisch brisanter Themen wie der Auflösung der Sklaverei, von hoher sozialpolitischer Relevanz und galten somit als eindeutig skandalös. Sie verarbeitete Themen in ihren Stücken mit aktuellem Bezug, denen jedoch die Dringlichkeit und Wichtigkeit nicht eingeräumt wurde, da es ja vorrangig galt die Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit unter allen Franzosen herzustellen und die Feudalherrschaft zwischen Knechten und Herren aufzulösen. 19 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I) S. 64 16 Unterstützung in ihrer kritischen Haltung und Gleichgesinnte fand Olympe de Gouges in den Jahren vor der Revolution, als die Erwartungen nach einer grundlegenden, positiven Veränderung durch die Gleichheitswerte, die Brüderlichkeit und die Freiheit, Frauen und Männer Seite an Seite, Schulter an Schulter, stehen ließen und Frauen hoch motiviert gemeinsam für die Grundrechte aller Menschen kämpften. Motivation fand sie in den ersten Jahren der Revolution in den Frauenclubs und in den Frauenvereinen, die politisch aktiv die konstitutionelle Monarchie und späterhin die Bürgerregierung hinsichtlich der Beteiligung der Frauen am öffentlichen Geschehen und an den öffentlichen Entscheidungen gestalten wollten. 1789 war sie die einzigartige Frau Autorin, die „femme auteur“, deren Stück Zamore und Mirza oder glückliche Schiffbruch mit Schauspielern der Comedie Francaise als politisches Stück uraufgeführt wurde. Olympe de Gouges traf im Alter von 30 Jahren (ca. im Jahr 1778) die Entscheidung ihr Leben mit etwas Sinnvollem selbst zu erfüllen und entschied sich als außereheliche Tochter eines Literaten unter diskreter Berufung auf ihren Vater selbst als Literatin in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten20, mit dem Selbstbewusstsein das Talent ihres Vaters geerbt zu haben. In den literarischen Kreisen von Paris kannte man den leiblichen Vater von Olympe de Gouges als Literaten, da er im Jahr 1759 den Fauteuil 8 an der Academie Francaise inne hatte. Er scheiterte jedoch an der zynischen Kritik Voltaires an seinem Stück. Nach dieser Niederlage verließ er Paris schwer gekränkt, um sich wieder in seiner provenzalischen Heimat Montauban niederzulassen.21 Schon 1774, im Alter von etwa 26 Jahren, begann Olympe de Gouges unter ihrem neuen Künstlernamen – mutig als Frau erkennbar ! – ihre ersten politischen Denkschriften zu verfassen, die jedoch erst im Revolutionsjahr 1789 veröffentlicht werden konnten. Ihr allererstes Werk war ein autobiografischer Briefroman, Memoires de Madame Valmont, der 1784 erschien und in dem sie ihre illegitime Herkunft als natürliche Tochter beschrieb.22 Für diesen Roman wählte Sie den Briefroman als modernes Stilmittel ganz bewusst aus. Denn die Renaissance des Briefromans Mitte des 18. Jahrhunderts ermöglichte ihr einerseits eine 20 Hassauer, Friederike, Tribüne und Schafott, Iris Bubenik, Ute Schalz-Laurenze, „...ihr werten Frauenzimmer!“, S. 28 21 www.1911encyclopedia.org/Jean_Jaques Zugriff am 23.5.2008 22 www.uni-ulm.de/frauen/biographien Zugriff am 26.4.2007 17 persönliche und gleichzeitig eine gesellschaftskritische Haltung einzunehmen und andererseits die weibliche Tradition ihrer Vorbilder, der „Femmes de Lettres“ fortzusetzen.23, 24 Auch der von ihr sehr geschätzte Jean-Jacques Rousseau schrieb La Nouvelle Heloise in der Form eines Briefromanes. Briefromane lagen bei der literarischen aufgeklärten Avantgarde ganz im Trend der Zeit. Bereits nach der ersten Veröffentlichung begannen die Diffamierungen gegenüber der Schriftstellerin, die als Frau in eine Männerdomäne einbrach und mutig unter eigenem Namen an die Öffentlichkeit tritt.25 Die Comedie Francaise als Staatstheater, welches ab 1786 im Palais Royal ihren Sitz hatte, war natürlich ein männlich dominiertes Genre. Die Schauspieler der Comedie Francaise besaßen gemeinsam mit den Schauspielern der Comedienne-Italienne das Aufführungsmonopol für alle neuen Stücke die zur Aufführung kamen, woraus sich ein Vorrecht gegenüber den Schriftstellern ableiten ließ, welches erst im Jahr 1790 gebrochen wurde.26 Olympe de Gouges musste jahrelange Kämpfe mit den Mitgliedern der Comedie Francaise ausfechten, um als Frau und als Autorin, als die „femme auteur“, zur Aufführung eines Dramas mit gesellschaftspolitischem Anspruch in der Comedie Francaise zugelassen zu werden. Im Jahr 1774 schrieb die junge Schriftstellerin das Theaterstück L´Esclavage de Negres, doch wieder fand sich für die engagierte und junge Autorin kein Verleger, der sich für dieses erste gesellschaftskritische Theaterstück einer Frau interessierte und sich für sie als revolutionäre und kritische Autorin einsetzte. Viele Jahre später nach heftigen Auseinandersetzungen, Verleumdungen und öffentlichen Diffamierungen als Frau sowie einer Verhaftung konnte Olympe de Gouges ihr Drama - unter dem neuen Titel - Zamora und Mirza oder der glückliche Schiffbruch, ebenfalls im Jahr 1784 bzw. 1785 zur Veröffentlichung im Theater der Comedie Francaise einreichen. Das Theaterstück handelt von der damals in den Kolonien Frankreichs existierenden Sklaverei. Es zeigte die Sklaverei als eine Menschenrechtsverletzung durch Frankreich in der Öffentlichkeit auf und forderte gleichzeitig die Aufhebung der Sklaverei durch neue und gerechtere gesetzliche Regelungen. Dieses politische Stück wurde erst im Jahr 1789 an der Comedie Francaise aufgeführt, also 23 24 25 www.anabell.de vom 4.12.2007 www.wikipedia vom 4.12.2007 Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela, Menschenrechte: Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich (2001), Univ. Wien, S. 9 (aus De Gouges, Olympe: Mensch und Bürgerin „Die Rechte der Frau“ (1791); Schröder, Hannelore (1995) S. 82) 26 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus, (Textsammlung I) S. 63 18 während der eigentlichen Revolutionsphase, doch davor lagen insgesamt fünf lange Jahre (1784 –1789) mit vielen ernsthaften Streitigkeiten und politischen Auseinandersetzungen zwischen Olympe de Gouges und den Hofschauspielern des Königs und dem Versuch im Jahr 1785, sie auf Grund ihrer revolutionären Gesinnung ins Gefängnis zu bringen. Dem damaligen Verhaftungsbefehl 1785 entging Olympe de Gouges nur durch persönliche Beziehungen.27 Die Comedie Francaise verfügte einerseits über eine Art Monopol, das erst im Jahre 1791 von der revolutionären Nationalversammlung aufgehoben wurde. Die „königliche Akademie“ war natürlich auch andererseits von seinen adeligen und monarchistischen Unterstützern abhängig. Fünf Jahre später im Jahr 1789 war das Theaterstück über die Sklaverei politisch noch brisanter und aktueller, denn die Stadt Paris stöhnte unter den Hungersnöten und Unruhen. Alle Forderungen der Revolutionäre nach Gleichheit und Freiheit kumulierten in der Hoffnung auf die Menschen- und Bürgerrechtserklärung sowie die erste Verfassung Frankreichs. Ihr eben erst aufgeführtes Stück musste bereits nach der Premiere wegen des Verursachens von Unruhen und Krawallen sofort – und für immer – vom Spielplan des Theaters abgesetzt werden.28 Ihr Stück wurde in den Zeitungen verhöhnt, worauf sie schrieb: „Warum diese unerschütterliche Voreingenommenheit gegen mein Geschlecht? Und warum sagt man, wie ich es habe laut sagen hören, dass die Comedie Francaise keine Stücke von Frauen spielen sollte? Ich bin eine Frau, wenig reich... Wird es denn den Frauen niemals erlaubt sein, den Schrecken der Armut anders zu entkommen als mit niederträchtigen Mitteln?“29. Auch die Aufhebung der Sklaverei erhielt nach 1789 keine weitere Chance und wurde als Menschenrechtsverletzung in Frankreich viele weitere Jahre beibehalten. Doch der Wille von Olympe de Gouges nach Unabhängigkeit und künstlerischer, literarischer Freiheit und ihre Vorstellung von einem Recht auf ein eigenes Leben ohne jeglicher Fremdbestimmung sowohl in Bezug auf die Wahl ihrer sexuellen Partner als auch in Bezug auf die Berufswahl brachten ihr üble Verfemungen ein, die sie als Frau diskriminierten und diskreditierten. Olympe de Gouges behielt jedoch ihren Idealismus und gebrauchte ihren Verstand und ließ sich von ihrer Entscheidung als Schriftstellerin zu arbeiten, auch nicht durch die vehementesten Anfeindungen, abhalten. 27 www.hannelore-schroeder.nl/olympe-de-gouges-stiftung, S. 4 von 5, Zugriff am 26.4.2007 ebenda 29 www.dadalos.org/Menschenrechte/Frauenrechte, Zugriff am 26.4.2007 28 19 Für ihr Theaterstück Le Mariage inattendu de Cherubin bekam sie jedoch bereits 1786 im tonangebenden Mercure de France eine positive Rezension des gefürchteten Dramatikers Le Harpe. Parallel dazu – verstärkt ab 1789 – veröffentlichte sie in all den Jahren ungebrochen in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung und mit ihrer literarischen Begeisterung politische Schriften, Zeitungsartikel sowie unzählige Briefe an das Volk und kommentiert und gestaltet auf diese Weise die politischen Vorgänge; sie setzte sich für Minderheitenrechte und die Gleichheit zwischen den Geschlechtern ein, weswegen sie immer wieder öffentlich verhöhnt wurde. Ihre zentralen Themen zur Gleichberechtigung sind Bildung, Berufe und Ämter, Eigentumsrechte für Frauen und der Priviliegienabbau, Kampf gegen Vaterschaftsleugnungen sowie Abschaffung der Patriarchenrechte der Männer und die freie Wahl der sexuellen Partner. Der Nationalkonvent äußerte sich bereits damals mit den Worten: „Die Ehre der Frauen besteht darin, in aller Stille die guten Eigenschaften ihres Geschlechts zu kultivieren, im Schutzmantel ihrer Bescheidenheit und im Schatten ihres zurückgezogenen Lebens. Es steht den Frauen weiterhin nicht an, den Männern den Weg zu weisen...“30. Ein Jahr vor der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, im Jahr 1788, veröffentlichte sie ihre erste patriotische Propagandaschrift im Journal General de France versehen mit dem Titel Brief einer Bürgerin an das Volk oder Projekt einer Vaterlandskasse, in der sie auf den Teilbankrott der Krone hinwies und forderte, dass alle Stände, ausgenommen den König, Steuer zahlen sollen.31 Sie veröffentlichte daraufhin weitere insgesamt mehr als fünfzig politische Schriften, wovon die meisten vermutlich in Paris plakatiert wurden. Ein Jahr später, 1789, veröffentlichte sie die Heroischen Taten einer Französin oder wie Frankreich von den Frauen gerettet wird, worin sie an den Patriotismus der französischen Frauen appellierte, sie mögen nach dem Vorbild der antiken Römerinnen ihren Schmuck zur Rettung der Nation der Nationalversammlung opfern.32 Nach der Verabschiedung der ersten geschriebenen Verfassung Frankreichs am 3. September 1791, wonach Frankreich eine konstitutionelle Monarchie wurde und die Umstrukturierung von einer ständischen Monarchie in einen Einheitsstaat erfolgte, publizierte 30 Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela, Menschenrechte:Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich, (2001), Univ. Wien, S.10 (vgl. Noack, Paul, Olympe de Gouges 1748 – 1793 Kurtisane und Kämpferin für die Rechte der Frau (1992) S.44) 31 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I) S. 63 32 www.anabell.de (Zugriff am 10.10.2007) 20 Olympe de Gouges, nunmehr 43 Jahre alt, ihre für uns so bedeutsame Declaration des droits de la femme et de la citoyenne, die sie der Nationalversammlung übermittelte. „Mit dem Mut der Schönen“ schrieb sie für alle Frauen, die sie als das an Schönheit und Mut im Ertragen der Mutterschaft überlegene Geschlecht bezeichnete, selbstbewusst für alle Frauen, ein ich zum wir entwickelte und ein sozialpolitisches Werk schuf, das unserer heutigen Erklärung der Menschenrechte nicht nur um nichts nachsteht, sondern aus feministischer Sicht überlegen bzw. gleichwertig ist. Selbstbewusst schrieb sie daher: „Nur der Mann hat sich aus der Ausnahme ein Prinzip zurechtgeschneidert. Extravagant, blind, von den Wissenschaften aufgeblasen und degeneriert, will er diesem Jahrhundert der Aufklärung und Scharfsichtigkeit, doch in krassester Unwissenheit, despotisch über ein Geschlecht befehlen, das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt. Er möchte von der Revolution profitieren, er verlangt sein Anrecht auf Gleichheit“.33 Gleichfalls 1791 entstand ihr Contract Social (in Anlehnung an Jean-Jaques Rousseau´s Contract), der Entwurf eines Gesellschaftsvertrages für Ehepartner, der Teil ihrer Frauenrechtserklärung war. Nach der Absetzung des Königs Louis XVI am 10.8.1792 infolge seiner Flucht nach Varenne und seiner Anklage wegen Hochverrats bis hin zu seiner Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren am 21.1.1793 setzte sich Olympe de Gouges als Republikanerin vehement für den König ein, da sie um Ausgleich bemüht war: „Es genügt nicht den Kopf eines Königs rollen zu lassen, um ihn zu töten, er lebt noch lange nach seinem Tod. Wirklich tod ist er, wenn er seinen Sturz überlebt.“34 Sie kritisierte öffentlich auf Schärfste das Vorgehen der Revolutionäre. Ihre politischen Äußerungen und Schriften in diesen Jahren, 1792 und 1793, somit in der Phase der Konventsherrschaft der Girondisten und Jakobiner, die Veröffentlichung ihres Dramas Der Einzug von Dumouriez in Brüssel, (das ihr insofern zum Verhängnis wurde, als der von ihr angegriffene französische General Dumouriez wenige Tage nach der Uraufführung zu den Revolutionären überlief), ihre Schmähschriften gegen die mächtigen Mitglieder der Revolutionsregierung, Robespierre und Marat, die sie darin als „Usurpator der Macht“ und „willenloser Handlanger“ bezeichnete, sowie letzten Endes ihre Wandzeitung die Drei Urnen, in der sie zu einer direkten Volkswahl mit drei Wahlmöglichkeiten – Republik, 33 Annette Kuhn, Die Macht der Frauen, der Avantgarde der Französischen Revolution, HG Andrea Graf Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht und Ohnmacht (1990) S. 8 34 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I) S. 64 21 Föderative Republik oder Monarchie – für eine bestimmte Regierungsform aufrief 35, führten zu ihrer Verhaftung als Girondistin wegen Verrats. Wenige Monate vor ihrem Tod, den sie vorausgesehen hatte, veröffentlichte sie ein politisches Testament, in dem es heißt: „Bürger ihr könnt mir den Tod geben, meine Prophezeiungen indes und meinen Einsatz für das Gemeinwohl könnt ihr mir nicht ungeschehen machen.“36 Das letzte Schriftstück von Olympe de Gouges ist ein trauriger Bestandteil Ihres Erbes an ihren Sohn, ein letzter Brief an ihren Sohn Pierre, den sie im Gefängnis verfasste. Sie teilte ihm darin mit, dass ihr kein Anwalt ihrer Wahl zu ihrer Verteidigung zur Verfügung gestellt werde. Und, dass die Antwort seitens des öffentlichen Anklägers des Revolutionstribunals Antaine-Quentin Fouquier-Tinville auf ihren Wunsch lautete: „Sie habe genug Hirn, um sich selbst zu verteidigen“.37 Ihre Bitte wurde abgewiesen. Das Gerichtsurteil wurde am 3. November 1793 an Olympe de Gouges vollstreckt. In ihrem Vermächtnis ist unter anderem Folgendes zu lesen: „Mein Herz vermache ich dem Vaterland, meine Ehrbarkeit den Männern, meine Seele den Frauen.“38 Olympe de Gouges nahm stets einen übergeordneten Standpunkt ein. Denn jede Form von Fanatismus und moralischer Abweichung führe zu “Menschen ohne Charakter“, also ohne moralisches Empfinden.39 2 Philosophischer und politischer Hintergrund 2.1 Frauenbild der Epoche Der Gleichheitsgedanke der Revolution machte es möglich, dass sich einzelne Frauen nicht länger als unterdrückte Minderheit begreifen konnten. Wie Olympe de Gouges strebten Frauen nach Berufen, die ausschließlich von Männern ausgeübt wurden. Die gebildeten Frauen forderten ihre Zulassung an den Universitäten und die politisch engagierten Frauen wollten politische Ämter bekleiden. Unverständnis und Missachtung durch die Männer war 35 Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela: Menschenrechte:Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich, (2001), Univ. Wien, S. 10 36 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I), S. 65 37 Zitat aus dem Brief an Pierre (1793) In: Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela Menschenrechte: Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich (2001), Univ. Wien, S.11 (aus De Gouges, Olympe: Mensch und Bürgerin „Die Rechte der Frau“ (1791); Schröder, Hannelore (1995), S. 93) 38 www.uni-ulm.de/frauen/biographien Zugriff am 26.4.2007 39 FGS (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I)S. 64 22 der Lohn ihrer Gleichheitsbestrebungen. Die Revolution bewirkte auch, dass Frauen den Mut aufbrachten, gemeinsam für ihre Anliegen – die spezifischen Frauenrechte – aufzutreten. Der kollektive weibliche Widerstand hatte begonnen.40 Es wurden politische Frauenclubs gegründet, Flugblätter und feministische Journale herausgegeben. Politische Führerinnen wie Olympe de Gouges, Edda Palm, Theroigne de Mericourt, Rose Lacombe und Paulie Leon verschafften sich Gehör in Massenversammlungen, durch Volksreden und durch Zeitungsartikel. Andere Frauen wie Madame Roland und Manon de Condorcet beeinflussten offen ihnen bekannte und verwandte männliche Politiker.41 Die erste Form einer Frauenbewegung war entstanden.42 Es galt den öffentlichen Raum als Frau und Bürgerin zu erobern. Die Frauenrechtsbewegung wurde somit auch durch namhafte Männer wie Jean Antoine de Condorcet unterstützt, der in der Nationalversammlung zu Beginn der Revolution 1789 ein Plädoyer Für die Zulassung der Frauen zum Bürgerrecht hielt.43 Es wurde die These Descartes ̀ über die Geschlechtslosigkeit der Vernunft diskutiert und über die „Gleichheit der Geschlechter“ nach Francois Poulain de la Barres von 1673.44 Den Erwartungen und Forderungen der Frauen wurden jedoch andere männliche Definitionen von Weiblichkeit entgegengesetzt, die sich im Verlauf der Revolution letztendlich in den Entscheidungen durchsetzten. Frauen, so wurde argumentiert, hätten eine „besondere Natur“, weswegen die Teilnahme am politischen Geschehen und das Ausüben von Macht der „besonderen Natur“ der Frau widersprach. Frauen wurden letzten Endes wegen ihrer sogenannten „Naturwidrigkeit“ von der Öffentlichkeit und der Gleichheit ausgeschlossen.45, 46 Die Naturlehre des Jean Jaques Rousseau über das Wesen der Frau, die auf Grund ihrer natürlichen Neigung geduldig die Knechtschaft des Mannes erträgt, mit der Folge der Ungleichheit zwischen Mann und Frau, bestätigte den Mann als rechtmäßigen Eigentümer der Frau. Die Frau wurde aus dem politischen Raum zurückgedrängt und durch ihre Fähigkeit der 40 Kubes-Hofmann, Ursula Das unbewusste Erbe (1993) S. 86 Schaeffer-Hegel, Barbara, Perversion der Liebe und Politik der Vernunft, Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht Ohnmacht (1990) S. 16 42 FGS (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I) S. 61 43 Schaeffer-Hegel, Barbara, Perversion der Liebe und Politik der Vernunft, Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht Ohnmacht (1990) S.17 44 Schaeffer-Hegel, Barbara, Perversion der Liebe und Politik der Vernunft, Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht Ohnmacht (1990), S.17 45 Friederike Hassauer, Tribüne und Schafott S. 29 46 Schaeffer-Hegel, Barbara, Perversion der Liebe und Politik der Vernunft Zur Politk des Weiblichen Frauen Macht Ohnmacht, (1990) S. 28 41 23 „weiblichen Natur“ in die Familie hinein. Eine bürgerliche Liebesideologie bildete sich heraus, die an den weiblichen Geschlechtscharakter gebunden war und noch immer ist.47, 48 Und es gelang die Argumentation, dass es aus Gründen der Vernunft und der Natur besser wäre, wenn Frauen mit politischen und öffentlichen Angelegenheiten nichts zu schaffen hätten. Fichte beweist in seiner Abhandlung „Deduktion der Ehe“, dass sich alle Menschen durch Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung auszeichnen. Der Naturzweck der Geschlechterwesen, Mann und Frau, läge in der Produktion von Nachkommen. Der spezifische Naturzweck würde sich im Geschlechtsakt vollziehen, in dem der Mann aktiv seine Selbstverwirklichung findet; hingegen die Frau – ohne eigenen Trieb – nur Mittel zum Zweck der Befriedigung ihres Mannes ist. Da jedoch Frauen auch Menschen sind, müssten sie einen Trieb besitzen, der sie aus der passiven in eine aktive Position bringt. Diesen Trieb erkennt Fichte als den Naturtrieb der Frau, welcher ihr die Fähigkeit verleiht, sich dem Mann als Mittel zu dessen Befriedigung hinzugeben. Dieser Naturtrieb war nach Fichte der Liebestrieb der Frauen. Die Rolle der bürgerlichen Frau entwickelte sich in der Folge zunehmend dahin, als Gattin, Hausfrau und Mutter für eine gesittete Familie innerhalb der Gesellschaft verantwortlich zu sein und für deren Wohlergehen zu sorgen.49 Dieses Frauenbild wurde vom modernen und aufgeklärten Mann entworfen und richtete sich auch an diesen. Frauen fanden sich nun wieder in der ökonomischen Abhängigkeit von ihren Ehemännern. Als Frau der Aufklärung wurde sie zum „Schönen Eigentum“50 des Mannes, zu der für den Mann idealen Frau, die ihn und ihre Kinder selbstlos liebt. Ein natürliches Wesen ohne jegliche Bestimmung außerhalb der Familie und somit angebunden in einem rechtsfreien Raum. Die tatkräftigen Frauen der Revolution wandten sich zunächst gegen diese neue, ihnen zugeschriebene Rolle und wehrten sich. Doch unter dem Druck der angedrohten Konsequenzen, die sie einschüchterten und in Angst versetzten, mussten sich die Frauen aus der Öffentlichkeit zurückziehen, die sie mitbestimmt hatten.51 47 Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela Menschenrechte: Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich (2001), Univ. Wien, S 5 48 Kubes-Hofmann, Ursula, Das unbewusste Erbe (1993) S. 21, S. 49 49 ebenda S 50 50 ebenda S 48 51 Barbara Schaefer-Hegel, Perversion der Liebe und Politik der Vernunft, Zur Politik des Weiblichen, Frauen Macht und Ohnmacht (1990) S. 16 24 2.2 Ablehnung des feministischen Ansatzes durch die Revolutionäre Die Frauen der Revolution kämpften aus Idealismus um die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse und hofften auf das Ende der sie in Sanftmut zwingende Abhängigkeiten. Sie kämpften auf unterschiedlichste Art und Weise wie zum Beispiel die legions d´amazones in der Armee oder die Mütter der Revolution , die Brot und Nahrung für ihre Familien besorgen mussten . Für die meisten Frauen der Revolutionsjahre entstand eine Art der Identifikation mit den Werten der Revolutionsbewegung, die Opitz 1991 als „unauflöslichen Interdependenzzusammenhang“ der Sphären zwischen Öffentlichkeit und Privatem, Familie und Gesellschaft, bezeichnet hat.52 In allen Lebensbereichen übernahmen die Frauen dieselben Aufgaben wie die Männer. Es gab Frauen, die sich zu einer eigenen Armee zusammenschlossen, es gab Frauen, die gemeinsam Seite an Seite mit ihren Männern durch die Straße zogen und in den zahlreichen Schlachten kämpften, es gab Frauen die Protestmärsche organisierten und politisch-militante Aktionen planten und es gab die Frauen, die die traditionelle Versorgungsfrage übernommen hatten. Im Zug der Pariser Marktfrauen nach Versailles im Oktober 1789 erlangte diese ihren Höhepunkt. All diese öffentlichen Aktivitäten zogen die daraus resultierende Anerkennung der Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte durch den König nach sich. Und es gab Frauen wie Olympe de Gouges, die Frauenvereinigungen und politische Frauenclubs, den Club des Citoyennes Republicaines Revolutionnaires gründeten, Flugblätter und Journale verfassten, wie z.B. Claire Lacombe oder Pauline Leon. 1789 träumten Frauen von der Gleichheit zwischen Männern und Frauen. Die Gleichheit, die Égalite der Geschlechter, zwischen Mann und Frau, die Arbeit an den Frauenrechten und der Patriotismus standen im Zentrum von Olympe de Gouges Werken, die sie grundsätzlich philosophisch und politisch durchdacht hatte. Sie sprach in den politischen Fragen von dem Erfordernis der Notwendigkeit der „Vereinigung von Frau zu Mann“ für die Beschließung, die Ausführung und Beurteilung der Gesetze.53 Für sie bedeutete „Gleichheit“ nicht nur die Angleichung an die Rechte des Mannes, sondern sie verlangte auch die Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau auf Grund ihres anatomischen Geschlechts an einem ihnen möglichen Maß an Freiheit zu orientieren. 52 FGS V (2006-2007), Basismodul Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I) (Gerhard 1989, S. 133) (Textsammlung I), S. 61 53 ebenda 25 Bis zur Konventsherrschaft im Herbst 1792 verlief die Entwicklung für die aufgeklärten Bürgerlichen – Bourgeoisie contra Feudaladel – nach Plan. Zu diesem Zeitpunkt schien für die Frauenbewegung mit ihren Forderungen nach Recht auf Ausbildung, freier Berufswahl, der Anerkennung, dem Schutz sowie der Familienbildung, dem aktiven Wahlrecht, alles möglich. Denn auch Frauen wollten gleich und frei sein und am öffentlichen Leben gleichberechtigt teilnehmen. Doch bereits im April 1793 erklärte der Konvent, dass Kinder, Irre, Minderjährige, Frauen und Kriminelle kein Bürgerrecht genießen. In weiterer Konsequenz wurden im Oktober 1793 die politischen Frauenclubs verboten und geschlossen. Im 18. Jahrhundert wird die „Aufklärung der Männer dominant“. Die „feministische Aufklärung“ wird bekämpft und in der Revolution vollständig „vernichtet“.54 Der Klassenkampf des linken Flügels der französischen Linken unter Robespierre ging noch viel weiter. Mit dem Ziel der Errichtung einer sozialen Demokratie in Frankreich, strebte er eine grundlegende Umformung der Gesellschaft an, die der Fraternité im Zukunftsstaat der Linken.55 In diesem großen intellektuellen Programm waren die Befreiung und die Emanzipation der Frauen nicht vorgesehen. Unter dem Anspruch auf epochale Befreiung der Menschheit redupliziert die Revolution die Ständeordnung der Geschlechter: Libertät und Egalität existieren nur für die männerbündlerische Fraternität, für die Gemeinschaft der „patriarchalisch vereindeutigten“ Bürger.56 „Erinnert Euch dieser Virago“, rief Pierre Gaspard Chaumette zwei Wochen nach dem Tod von Olympe de Gouges einer Gruppe von Jakobinern zu, die ihre Frauen mitgebracht hatten, „erinnert Euch dieses Mannweibs (femme-homme) der schamlosen Olympe de Gouges, die als erste Frauenvereinigungen einrichtete, die aufhörte, ihr Hauswesen zu besorgen, die politisieren wollte und Verbrechen beging. Alle solchen unmoralischen Wesen wurden vom Rachefeuer der Gesetze vernichtet; und“, sagte er insbesondere zu den Republikanerinnen, „ihr wolltet ihr nacheifern? Nein, ihr spürt wohl, dass ihr nur dann interessant und wahrhaft der Wertschätzung würdig seid, wenn ihr das seid, was die Natur wollte, dass ihr seid. Wir wollen, dass die Frauen respektiert werden; darum werden wir sie zwingen, sich selbst zu respektieren“.57 Mit dieser Rede am 15.11.1793 vor der Pariser Commune erreichte der jakobinische Abgeordnete Chaumette den Ausschluss der 54 Frysak, Viktoria; Kersuc, Daniela Menschenrechte: Frauenrechte? Menschenrechte im Kulturvergleich (2001), Univ. Wien, S. 6 55 Eberhard Schmitt: Einführung in die Geschichte der französischen Revolution (1980) S. 50 ff. 56 Friederike Hassauer, Tribüne und Schafott, HG. Iris Bubenik-Bauer; Ute Schalz-Laurenze, „...ihr werten Frauenzimmer, auf!“ S.29 57 Friederike Hassauer, Tribüne und Schafott, Iris Bubenik, Ute Schalz-Laurenze, „...ihr werten Frauenzimmer, auf!“, S. 27 26 Frauen aus den Ratssitzungen. Das bedeutete für die Frauenabordnungen, dass sie ihre Forderungen nicht mehr selbst, sondern nur durch männliche Volksvertreter dem Rat vorbringen konnten. Der konsequente Ausschluss der Frauen aus der politischen Öffentlichkeit begann. In den Monaten davor zeichnete sich bereits die antifeministische Haltung der Jakobiner ab. Nach dem Sturz der Girondisten – auch durch die Revolutionären Republikanerinnen – nahmen frauenfeindliche Äußerungen seitens der Jakobiner immer weiter zu.58 Die politische Öffentlichkeit fand ab dem Jahr 1793 immer mehr ohne Frauen statt. 1795 wurde den Frauen die Teilnahme an jeglichen politischen Versammlungen verboten und 1800 wurde ihnen das Tragen der Kokarde untersagt.59 In diesem Zusammenhang sind der Mut und der Einsatz von Olympe de Gouges zu verstehen, nämlich die aufgeklärte Befreiung der gleichberechtigten Frau aus philosophischen Ansätzen abgeleitet mit dem Anspruch auf politische Umsetzung. In der nach ihrer Hinrichtung veröffentlichen Urteilsbegründung hieß es: „Olympe de Gouges, die mit ihrer exaltierten Vorstellungskraft geboren war, hielt ihr Delirium für eine Inspiration der Natur. Ein Staatsmann wollte sie sein, und das Gesetz hat die Verschwörerin dafür bestraft, dass sie die Tugenden vergaß, die ihrem Geschlecht geziemen“.60 2.3 Die Frauenrechtsdeklaration von Olympe de Gouges Olympe de Gouges verfasste im Jahr 1791 ihre Erklärung der Frau und Bürgerin, nachdem sie erkennen musste, dass alle Frauen auf Grund der Erklärung der Menschen und Bürgerrechte von 1789 weiterhin recht- und somit im politischen Sinne machtlos blieben. Ihrer aufklärerischen Überzeugung entsprechend, vermeinte sie mit Mitteln des Protests, der freien Rede auf der Rednertribüne oder der Pressefreiheit eine grundlegende, gesetzliche Änderung der Situation herbeiführen zu können. Sie kämpfte für die Gleichheit der Geschlechter, gegen den Ausschluss der Frauen von der allgemeinen Rechtsgleichheit und 58 Kuhn, Annette, Die Macht der Frauen, der Avantgarde der Französischen Revolution, Zur Politik des Weiblichen, Frauen Macht und Ohnmacht S 88 59 Schaefer-Hegel, Barbara, Perversion der Liebe und Politik der Vernunft, Zur Politik des Weiblichen, Frauen Macht und Ohnmacht S. 17 60 FGS 2004-2005 Modul Geschichte des politischen Feminismus 27 gegen die Unterwerfung der Frauen unter die Gewalt der Männer im rechtsfreien Bereich der privaten Intimität.61 Die erste vom Volk ausgehende geschriebene Verfassung Frankreichs sollte im September 1791 verabschiedet werden. Grundlage der Verfassung war die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, die – ohne Einbindung der Frauenrechte – die Gleichheit zwischen allen Männern herstellen sollte. Olympe de Gouges erkannte den Handlungsbedarf für die Frauenbewegung und verfolgte daher das Ziel, die Frauenrechte als Gesetzesantrag so zu formulieren, dass diese von der Nationalversammlung verabschiedet und als eigener Katalog rechtzeitig in die neue Verfassung aufgenommen werden konnten.62 „Wir, Mütter, Töchter, Schwestern, Vertreterinnen der Nation verlangen, in die Nationalversammlung aufgenommen zu werden. In Anbetracht dessen, dass Unkenntnis, Vergessen oder Missachtung der Rechte der Frauen die alleinigen Ursachen öffentlichen Elends und der Korruption der Regierungen sind, haben wir uns entschlossen, in einer feierlichen Erklärung gestützt auf einfache und unangreifbare Grundsätze, sich immer zu Erhaltung der Verfassung, der guten Sitten und zum Wohle aller auswirken mögen; die unveräußerlichen und heiligen Rechte der Frau und Bürgerin darzulegen, damit diese Erklärung allen Mitgliedern der Gesellschaft ständig vor Augen ist und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert; damit die Machtausübung von Frauen ebenso wie jene von Männern jederzeit am Zweck der politischen Einrichtung gemessen und somit auch mehr geachtet werden kann; damit die Beschwerden von Bürgerinnen, nunmehr gestützt auf einfache und unangreifbare Grundsätze, sich immer zu Erhaltung der Verfassung, der guten Sitten und zum Wohl aller auswirken mögen. Das an Schönheit wie Mut im Ertragen der Mutterschaft überlegene Geschlecht anerkennt und erklärt die Frauenrechte 1791 und fordert deren Verabschiedung von der Nationalversammlung.“63 Angeblich verunmöglichte das frühe Inkrafttreten der Verfassung jedoch dieses politische Vorgehen Olympe de Gouges .̉ Einer These nach, befand sich das gesamte Werk der Erklärung der Frau und Bürgerin gerade in Druck, als die Verfassung in Kraft trat.64 61 Olympe - Feministische Arbeitshefte zur Politik, Heft 1, (Juni 1994), S. 10 Frysak, Viktoria; Kersic, Daniele; Menschenrechte: Frauenrechte? (2001) Univ.Wien S 19 63 Olympe-Feministische Arbeitshefte zur Politik, Heft 1 (Juni 1994) S. 11; Erklärung der Rechte der Frau, Präambel (1791) 64 Frysak, Viktoria; Kersic, Daniele; Menschenrechte: Frauenrechte? (2001) Univ.Wien S. 19 62 28 Olympe de Gouges widmete die Frauenrechtserklärung der Königin Marie Antoinette. In einem Brief an die Königin suchte sie deren Unterstützung in der Hoffnung, sie würde sich der Frauenrechtsbewegung anschließen: „Madame, Für die Sprache, die man zu Königen spricht, bin ich wenig geschaffen; darum greife ich nicht zur Schmeichelei der Höflinge, um Euch mit diesem ungewöhnlichen Werk zu huldigen. Mein Ziel, Madame, besteht darin, rückhaltlos zu Euch zu sprechen ... Nur derjenigen, die der Zufall auf einen so herausragenden Rang erhob, steht es zu, dem Aufschwung der Frauenrechte (Droits de la Femme) Nachdruck zu verleihen. (...) Niemals wird man es Euch als Verbrechen anrechnen, wenn Ihr an der Wiederherstellung der Sitten arbeitet (Restauration des moeurs), um Eurem Geschlecht alle Festigkeit (consistence) zu geben, derer es nur fähig ist. Zum Unglück für das neue Regime ist dies leider nicht das Werk eines Tages. Diese Revolution kann sich nur dann vollziehen, wenn alle Frauen durchdrungen sind von ihrem beweinenswerten Geschick und den Rechten, die sie in der Gesellschaft verloren haben (...) Madame, unterstützt eine so schöne Sache! Verteidigt dies unglückliche Geschlecht (...)“ Angeschlossen an diesen Brief waren eine Präambel („hommes, es-tu capable d´etre juste ....Mann, bist du fähig, gerecht zu sein?“), die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (Artikel I-XVII), eine Postambel („Frau, erwache...“), der Contract Social und zwei Postskripte. Dieses umfassende Werk legte sie der Nationalversammlung vor und forderte dessen Verabschiedung in ihrer letzten Sitzung oder in der folgenden Legislaturperiode. Sie „sehe jetzt schon, wie der ganze höllische Rattenschwanz sich gegen sie erheben werde“, hatte Olympe de Gouges angenommen.65 Dazu kam es jedoch nicht. Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin wurde von der Nationalversammlung zurückgewiesen. Olympe de Gouges wurde zum Skandalon, nicht weil sie die Egalität forderte, sondern auf Grund des Dominanzanspruchs mit dem sie ihre Erklärung über die der Menschenrechtserklärung setzte.66 Aus Reflexion und Überzeugung lehnte sie die neutrale Formulierung der Artikel der Menschenrechtsdeklaration ab und begründete damit die Erkenntnis, dass mit geschlechtsneutralen Begriffen eine Hierarchie der Geschlechterordnung verbunden ist. Da sie in ihren Überlegungen auf die Vereinigung von Mann und Frau abzielte, stellte sie nicht 65 66 Frysak, Viktoria; Kersic, Daniele; Menschenrechte: Frauenrechte? (2001) Univ.Wien S. 18 Friederike Hassauer, Tribüne und Schafott, HG. Iris Bubernik-Bauer, Ute Schalz-Laurenze, “... werten Frauenzimmer,, auf!“, S. 37 29 einfach die Schwesterlichkeit neben die Brüderlichkeit, sondern formulierte die gesamte Menschenrechtserklärung von 1789 neu. Sie ersetzte explizit das Wort Homme (=Mensch, Mann) durch Femme (=Frau) und stellte somit ihre Frauenrechtserklärung der allgemeinen Menschenrechtserklärung gegenüber.67 Durch dieses Verfahren machte sie die Lücken der Menschenrechtserklärung sichtbar. Und bei diesen Lücken handelte es sich ausnahmslos um Frauenrechte. Dies war der eigentliche Skandalon der französischen Revolution von 1789: nicht die Reduzierung der Frauen auf ihr Geschlecht, sondern die Reduzierung „angeblicher“ Menschenrechte auf das Geschlecht der Männer – und der mit dieser Reduzierung einhergehende Etikettenschwindel.68 Für Olympe de Gouges bedeutete Gleichheit zwischen den Geschlechtern jedoch nicht eine bloße Angleichung an die Rechte des Mannes, sondern dass diese einen übergeordneten Maßstab in Bezug auf Freiheit verlangt.69 Die endgültige Ablehnung des Feministischen Ansatzes durch die Revolutionäre der Konventsherrschaft erfolgte tiefgehend. Der Einfluss von Frauen im politischen Leben war nicht erwünscht und durfte somit nicht Platz greifen. Erwünscht waren hingegen Frauen, die in ihrer Rolle weiterhin das traditionelle, apolitische Verhalten zeigten, das sie angeblich von Natur aus mitbrächten. Folglich wurden Frauen weiter aus allen Bereichen der Macht ausgeschlossen und blieben rechtlos - ohne jeglichen Anspruch auf Recht, außer der Rechtsund Schuldfähigkeit vor Gericht. Somit reduziert sich die soziale Rolle der Frau wieder auf ihre Geschlechternatur.70 Den härtesten und gewaltvollsten Ausschluss aus der Gesellschaft, nämlich der fremdbestimmte Tod durch die Hinrichtung, musste auch Olympe de Gouges erfahren. Ihre Forderungen für alle Frauen wurden abgelehnt und durch den Vollzug der Exekution an ihr wurden Frauen über viele Jahre hindurch in Angst und Schrecken versetzt. 67 ebenda S. 33 68 Schaeffer-Hegel, Barbara, Perversion der Liebe und Politik der Vernunft, Zur Politik des Weibllichen, Frauen Macht und Ohnmacht (1990) S. 29 69 De Gouges, Olympe, 70 Friederike Hassauer, Tribüne und Schafott, HG.Iris Bubernik-Bauer, Ute Schalz-Laurenze, “... werten Frauenzimmer,, auf!“, S. 29 30 3 Bedeutung Olympe de Gouges in der Gegenwart 3.1 Aktualität ist immer noch gegeben Olympe de Gouges war eine feministische Revolutionärin im ständigen Diskurs um die Wahrung bzw. die Berücksichtung der Frauen- und Menschenrechte vor und während der französischen Revolution. Sie war eine avantgardistische, intellektuelle Frau, die ihre Vorstellungen und Ideen über Gerechtigkeit und Emanzipation in ein geschriebenes Recht für Frauen fasste; und die ihr Leben dadurch riskierte, förmlich aufs Spiel setzte, weil sie die politischen Entscheidungen des Konvents für unmoralisch hielt und sie sich darüber öffentlich äußerte und in weiterer Folge gegen die damaligen Machtstrukturen verlor. In der Auseinandersetzung mit dem Thema, dass Frauenrechte Menschenrechte sind, ist die Begegnung mit Olympe de Gouges dankenswerterweise bereits programmiert. Im Bereich der Menschenrechts- und Frauenbewegung ist sie vielfach zitiert und eine Vielzahl von ihren Forderungen, Aussprüchen und nicht zuletzt ihre Frauenrechtsdeklaration beeindrucken uns auf Grund ihrer klaren Sichtweise und ihres Mutes, sich nicht nur über das politische Geschehen zu informieren, sondern mittels Publikationen andere zu informieren und öffentlich Kritik als Frau an den Machthabern zu üben und eigenständige Positionen mit der damit verbundenen Forderung nach freier Meinungsäußerung zu vertreten. Die weltweit aktive Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes stellte im Forum für Geschichte die Biografie von Olympe de Gouges vor und die Erklärung der Frauen- und Bürgerinnenrechte. Terre des Femmes schreibt dazu, dass mehr als 200 Jahre nach ihrem Tod die weiblichen Nachfahren von Olympe de Gouges im Kampf für Gleichberechtigung, Schulbildung, Berufsausbildung und Studium profitiert haben, denn diese gehören zu modernen Errungenschaften moderner Demokratien.71 So hat nun auch Olympe de Gouges einen wichtigen Platz bei Terre des Femmes gefunden, an dem sie sich würdig und endlich verstanden gefühlt hätte und vor allem könnte sie von diesem Ort aus mitverfolgen, was sich weltweit weiterhin an Unterdrückung von Frauen und Kindern abspielt, insbesondere in der Dritten Welt. Bei einem Vergleich zwischen den beiden Epochen, der französischen Revolution und der gegenwärtigen globalen Epoche, vermeint 71 http://literaturkritik.de/public/rezension Zugriff vom 19.2.2008 31 man beinahe, dass sich hier keine zwei Jahrhunderte dazwischen befinden können. Doch all unser Wissen über die bestehenden Menschenrechtsverletzungen bringt unsere nachhaltige Verantwortung für unsere Welt an die Oberfläche und fordert uns dazu auf, nach unseren besten Möglichkeiten zu handeln und Unrecht wirkungsvoll und vor allem engagiert zu bekämpfen. Eine Gruppe von solchen widerständigen Frauen hat den Verein Terre des Femmes ins Leben gerufen und kämpft seit wahrlich vielen Jahren in den Bereichen der wirkungsvollen Gegensteuerung zu den Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Kindern in Europa und auf der ganzen Welt. 3.1.1 Terre des Femmes 72,73 Bei der Organisation Terre des Femmes handelt es sich um eine im Jahr 1981 in Tübingen, Deutschland, gegründete gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mädchen, die durch internationale Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen, Einzelfallhilfe und Förderung von einzelnen Projekten Frauen und Mädchen unterstützt und die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Rechte von Frauen, ungeachtet ihrer konfessionellen, politischen, ethnischen und nationalen Identität zu verteidigen. Die Schwerpunktthemen der Arbeit von Terre des Femmes sind seit Jahren der Kampf gegen Frauenhandel, Genitalverstümmelungen, häusliche Gewalt, Ehrverbrechen, Sextourismus und die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen in z.B. Mittelamerika und Indien u.v.m.. Seit 1981 hat sich die Zahl der Mitglieder des Vereines auf ca. 2700 Mitfrauen und Fördermitglieder erhöht. 1990 wurde in Tübingen eine Bundesgeschäftsstelle mit hauptamtlichen Mitgliedern eingerichtet, wodurch die Vereinstätigkeit erheblich professionalisiert werden konnte. Terre des Femmes finanziert sich ausschließlich über Spenden. Sonst teilt sich Terre de Femmes in Städtegruppen auf, die ehrenamtlich mitarbeiten. Durch Publikationen, Mitteilungen an die Medien, Unterschriftenkampagnen, Informationsstände, Rundschreiben und Veranstaltungen will Terre des Femmes die breite Öffentlichkeit sensibilisieren, aufklären und über Diskriminierung, Misshandlung und Verfolgung von Frauen informieren und zu Aktionen anregen. 72 73 FGS (2004-2005) Geschichte des politischen Feminismus (Textsammlung I) www.literaturkritik.de/public Zugriff vom 19.2.2008 32 Ausbeutung, Terre des Femmes ruft auch immer wieder zu Postkartenaktionen auf. Bei diesen Aktionen werden Protestkarten an jene Firmen geschickt, die unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen ihre Produkte in „Dritte Welt Ländern“ produzieren lassen. Immer am 25. November am Internationalen Tag: Nein zur Gewalt an Frauen! bereitet Terre des Femmes solche Aktionen vor wie zum Beispiel eine Demonstration vor einem Reisebüro gegen Billigurlaubssangebote in Sextourismusländer. Jährlich seit 2001 findet das einwöchige Filmfest FrauenWelten von Terre des Femmes im November statt, bei dem über 30 Spielfilme und Dokumentationen aus über 20 Ländern mit den inhaltlichen Schwerpunkten von Frauenrechten in verschiedenen Kulturen, wie der Situation von arabischen Frauen, „Frauenrechte und globale Wirtschaft“ und zum Thema betreffend „Häusliche Gewalt“ gezeigt werden. Gleichzeitig wird ein Rahmenprogramm mit Diskussionsrunden zum Thema, wie Frauenrechte weltweit mit Mitteln des Films verteidigt werden können, angeboten. Auch mit dem Frauen Filmfest kooperiert Terre des Femmes mit Wien. Wanderausstellungen zum Thema Frauenhandel und Zwangsprostitution, „Tatmotiv Ehe“ und Genitalverstümmelung werden so angeboten, dass sie von jedem Wohnort aus gebucht werden können. In Deutschland wurde die Kampagne Stoppt Zwangsheirat mit dem Preis für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet. 3.2 Gesetzliche Grundlagen als Voraussetzung und Absicherung der Gleichberechtigung Olympe de Gouges hatte bereits 1791 erkannt, dass Menschenrechte auch Frauenrechte beinhalten müssen. Sie stellte daher der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 mit einem klaren feministischen Ansatz die Erklärung der Rechte der Frauen- und Bürgerin entgegen, um die den Frauen vorenthaltenen Rechte, mit einer vollständig ausgearbeiteten Erklärung als Rechtsgrundlage einzufordern.74 Die Ausgangslage war ja die, dass vermutlich alle Frauen der französischen Revolution auf die Einführung der gesetzlichen Grundlagen zur Absicherung ihrer Rechte und der Gleichberechtigung in ihrem neuen nach Freiheit und Gleichheit strebenden Frankreich, gehofft haben und 1789 von der Erreichung ihrer Vorstellungen überzeugt waren. Die Gleichheitsforderungen der Frauen von 1789 schlossen den Wunsch nach einer Beachtung der Geschlechterdifferenz mit ein. 75 74 Kuhn, Annette, Die Macht der Frauen, der Avantgarde der Französischen Revolution, Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht und Ohnmacht (1990) S. 83 75 Annette Kuhn, Die Macht der Frauen, der Avantgarde der Französischen Revolution, Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht und Ohnmacht (1990) S. 82 33 In einer Petition der Frauen des Dritten Standes an den König vom 1.1.1789 ist zu erkennen, wie dringlich den Frauen die Forderung nach einem rechtssicheren Raum war: „Befreiung von den „letzten Ketten, die sie noch an einen herrischen Rest von Feudalität binden...“ und „Könnten die Frauen, die dauernd Gegenstand der Bewunderung und der Verachtung der Männer sind, könnten die Frauen in dieser allgemeinen Aufregung nicht auch ihre Stimme tönen lassen?“.76 Es ging den Frauen um Bildung, politische Ämter, Bekämpfung der Armut und deren Folgen für Frauen und der Gleichberechtigung innerhalb der Ehe und innerhalb der Familie durch Abschaffung aller Privilegien des männlichen Geschlechts, denn ohne gesetzliche Grundlagen waren sie lediglich Besitz ihrer Väter, Ehemänner und des Staates. Bei den Frauen des Dritten Standes handelte es sich um selbständige und erwerbstätige Bürgerinnen, die kaum mehr als das Existenzminimum verdienten und somit nie ökonomisch unabhängig leben konnten. Um sich als den Männern gleichwertig sehen zu können, forderten sie logischerweise ihre ökonomische Selbständigkeit, Bildung und die Möglichkeit der freien Partnerwahl.77 Zur Absicherung der Frauen und Kinder in den Ehen und Familien wurde von Olympe de Gouges der Entwurf eines Gesellschaftsvertrags für Ehepartner ausgearbeitet. Olympe de Gouges wusste, dass die Gleichheitsbestrebungen der Frauen nur durch die Erreichung einer gesetzlichen Verankerung der Frauenrechte erfüllt werden konnten. Jedes Zugeständnis an Entscheidungsfreiheit bedeutete lediglich weiterhin der Abhängigkeit eines Mannes ausgeliefert zu sein und konnte natürlich jederzeit wieder zurückgenommen werden. Nur das Gesetz konnte als ordnungspolitische Größe für eine stabile Rechtssicherheit sorgen. In diesem Sinne findet auch die gegenwärtige Frauenarbeit bei Terre des Femmes statt, die weltweit Frauen, die sich aus den unterschiedlichsten Formen der Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in Not befinden, helfend unterstützt. Denn neben den Maßnahmen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit hinsichtlich der Verletzung von Menschenrechten an Frauen, vermittelt Terre des Femmes Frauen in Not an Kriseneinrichtungen und startet Briefaktionen an die Regierungen weltweit. Dazu arbeitet die Menschenrechtsorganisation eng mit anderen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen zusammen. 76 ebenda Kuhn, Annette, Die Macht der Frauen, der Avantgarde der Französischen Revolution Zur Politik des Weiblichen Frauen, Macht und Ohnmacht (1990), S. 84 77 34 Derzeit (Februar 2008) unterstützt Terre des Femmes acht Selbsthilfeprojekte und Initiativen von Frauen für Frauen in Ländern außerhalb Deutschlands, unter anderem drei Aufklärungsprojekte gegen Genitalverstümmelung in Afrika. In Zahlen ausgedrückt handelt es sich dabei um eine Größenordnung von weltweit zwischen 130 bis 150 Millionen Mädchen und Frauen, die sich jährlich um etwa 2 Millionen vergrößert. In Europa, so schätzt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), werden jährlich drei Millionen Frauen und Mädchen Opfer von Genitalverstümmelungen.78 Das erklärte Ziel des Projektes von Terre des Femmes ist es einen Beitrag zur Gesundheitsförderung der afrikanischen Frauen zu leisten. Gleichzeitig wird eine größere Eigenständigkeit und Selbstbestimmung der Frauen gefördert. Denn die Erfahrung zeigt, dass Frauen mit entsprechender Information die schädliche und frauenfeindliche Genitalverstümmelung (Infibulation: Entfernen der Klitoris, der inneren und äußeren Schamlippen, Zunähen der Vagina bis auf eine minimale Größe79 ablehnen und aktiv gegen diese tradierte Beschneidung, vorgehen. Auch zeigt die Praxis, dass in Dörfern in denen die Frauen, die Männer, die Dorfchefs und die Beschneiderinnen selbst in die Aufklärungsarbeit miteinbezogen werden, nicht mehr beschnitten wird. (Projektleiterin in Burkina Faso, Rakieta Poyga-Sawadogo).80 Diese Hilfeleistung der intensiven Aufklärungsarbeit zur Bewusstseinsveränderung ist, um tradierte und frauenfeindliche Rollenbilder bei Frauen und Männern durch neue Bilder in der Gesellschaft bei Frauen und Männern entstehen zulassen, als Instrument zur Veränderung bestehender struktureller Gewalt immens wichtig. Auch die gezielte Aufklärung der Frauen über ihre Rechte, vor allem in traditionellen Regionen, schafft die Möglichkeit zur Anpassung regionaler und nationaler Rechtsvorschriften an die internationalen Richtlinien und Bestimmungen hinsichtlich der Wahrung der Frauenrechte, die Frauen vor Armut, Gewalt und jeglicher Diskriminierung schützen sollen.81 Neben der Menschenrechtsorganisation Terre de Femmes wenden sich mehrere nationale, regierungsunabhängige und internationale Organisationen, wie die UNO, UNICEF, UNIFEM, die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, Menschen für Menschen Intact und TARGET gegen die Praxis der Beschneidung weiblicher Genitalien und fordern 78 de.wikipedia.org/wiki/Beschneidung (Zugriff vom 26.3.2007) FGS V (2006-2007), Modul Gesellschaftspolitik und feministische Kritik II, Cross Impact Studie, Genitalverstümmelung 80 www.literaturkritik.de/public/rezension, Menschenrechte sind Frauenrechte-Über die Arbeit von Terre des Femmes Zugriff am 19.2.2008 81 Frauenrechte-Menschenrechte: Vom Traum zur Wirklichkeit, Horizont 3000 (2002), S. 63 79 35 offensivere Maßnahmen zur Respektierung elementarer Menschenrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit.82 Ausbeutung der Frauen durch kulturelle Praktiken wurde erstmals anlässlich der Wiener Abschlusserklärung bei der Menschenrechtsweltkonferenz 1993 in Wien als unvereinbar mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person gesehen.83 3.3 Menschenrechte – Frauenrechte damals, Menschenrechte heute Die in der Aufklärung begründeten Menschenrechte zielten auf die Verankerung der unveräußerliche Grundrechte und Grundfreiheiten aller Menschen und, dass diese berechtigt sind, ihre Rechte auch zu verteidigen und dafür einzutreten. Nach den Philosophen John Locke, Thomas Paine und Jean Jaques Rousseau sind alle Menschen gleich und übernehmen die gleichen Rechte und Pflichten. Der Staat hat die Sicherung der natürlichen Rechte des Menschen zum Ziel. Rechte und Pflichten, die für jeden Einzelnen gleich sind, bieten auch ein Recht auf Sicherheit und auf Schutz vor Willkür.84 Frauen wurden aus diesem Vertrag jedoch ausgeschlossen und erhielten kein Bürgerinnenrecht. Das Europa des 21. Jahrhunderts zeigt sich uns bereits in einem anderen Licht. Seit dem Jahr 1957 als in den römischen Verträgen, die der Errichtung der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dienten, das Prinzip der Lohngleichheit für Männer und Frauen verankert wurde, spielt die Gleichstellung der Geschlechter eine immer wesentlichere Rolle für die europäischen und nationalen PolitikerInnen. Frauenrechte, insbesondere die Beseitigung der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts, sind mittlerweile integraler Bestandteil der Menschenrechte und zählen zu den menschlichen Grundrechten. Die europäische Union hat seit den 1970er Jahren im Zuge ihrer Gleichstellungspolitik dreizehn Richtlinien zur Gleichstellung erlassen. Eine, sehr dringend erwartete Richtlinie war die betreffend (Sexuelle) Belästigung, die erst mit der Novelle der Gleichbehandlungsrichtlinie im Jahr 2002 als Diskriminierung sexistischer und geschlechtsspezifischer Art auf EU-Ebene ausdrücklich verboten wurden. 82 de.wikipedia.org/wiki/Beschneidung, Zugriff am 26.3.2007 FGS V (2006-2007), Basismodul Geschichte des politischen Feminismus 84 NEUHOLD, Brita, Internationale Dimensionen aus Menschenrechte – Frauenrechte, Internationale, europarechtliche und innerstaatliche Dimensionen, 2003, Studienverlag 83 (Hsgb.), 2003, S. 22 36 Die Gleichbehandlungsrichtlinie unterscheidet zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung, die beide verboten sind: Als Beispiel für die unmittelbare Diskriminierung führe ich folgendes Beispiel an: Ein Arbeitgeber verhält sich unmittelbar diskriminierend, wenn er eine schwangere Frau wegen der finanziellen Kosten, die ihre schwangerschaftsbedingte Abwesenheit auslösen, nicht anstellt. Als Beispiel für eine mittelbare Diskriminierung kann die Schlechterstellung von Teilzeitkräften genannt werden, da sich diese nicht unmittelbar gegen Frauen richtet, jedoch Frauen im Regelfall davon betroffen sind. Doch um Frauenrechte durchzusetzen bedarf einer ständigen prozesshaften Überprüfung. Diese erfolgt durch den Europäischen Gerichtshof, dessen Entscheidungen immer mit Spannung erwartet werden, da diese für die europäische und nationale Gleichstellungspolitik von Bedeutung und somit richtungweisend sind.85, 86 In Wien wurde mit dem Wiener Gleichbehandlungsgesetz von 1996 der EU-Richtlinie aus dem Jahr 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zuganges zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen entsprochen. Zwei weitere EG-Richtlinien wurden eingearbeitet und das Gesetz entsprechend novelliert: Im Jahr 1997 betreffend die Beweislast bei Diskriminierung auf Grund des Geschlechts und im Jahr 2002 die weitere europäische Änderung der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Im September 2004 sind hinsichtlich der Dienstordnung und der Vertragsbedienstetenordnung weitere entsprechende Gesetzesänderung für die Bediensteten der Stadt Wien in Kraft getreten. Diese Gesetzesänderungen waren durch die Verpflichtung Österreichs, drei EURichtlinien umzusetzen, und zwar die Antirassismus-Richtlinie (2000/43/EG), die Rahmenrichtlinie für Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG) und die Änderungs-Richtlinie zur Verwirklichung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Arbeitsleben notwendig geworden (2002/73/EG). Das aus 7 Teilen bestehende Gesetz gilt für die Bediensteten der Stadt Wien (BeamtInnen und Vertragsbedienstete) und die, die sich darum bewerben und - mit Sonderbestimmungen - für LandeslehrerInnen. 85 86 FGS V (2006-2007), Modul 2 Recht.Macht.Geschlecht, Gleichstellungspolitik in der EU FGS V (2006-2007), Basismodul Geschichte des politischen Feminismus 37 Der zweite Teil des Gesetzes umfasst die Gleichbehandlung mit dem Gleichbehandlungsgebot sowie die Rechtsfolgen der Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes. Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts als auch Diskriminierungen auf Grund der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Orientierung sowie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sind durch gesetzlich Bestimmungen verboten. Die mit der Gleichbehandlung und Frauenförderung befassten Einrichtungen und Personen (Gleichbehandlungskommission, Gleichbehandlungsbeauftragte) und deren Aufgaben sind im 3. Teil des Gesetzes angeführt. Die besonderen Förderungsmaßnahmen für Frauen sind im vierten Teil des Gesetzes geregelt; der 5. Teil ist dem Berichtswesen gewidmet und im sechsten Teil finden sich die entsprechenden Sonderbestimmungen für die LandeslehrerInnen. Im Teil 7 sind die Übergangs- und Schlussbestimmungen zitiert.87 Seitens der Stadt Wien gibt es jedenfalls ein klares öffentliches Bekenntnis dazu, dass Frauenund Gleichstellungspolitik querschnittorientiert zu sein hat. Die Stadt Wien hat als einziges Bundesland im Jahr 2005 eine eigene Projektstelle für Gender Mainstreaming in der Konzernspitze eingerichtet. Diese Positionierung von Gender Mainstreaming direkt in der Magistratsdirektion hat sich für Wien als sehr positiv erwiesen, da Gender Mainstreaming besonders in den Bereichen Planung, Wohnbau, Gesundheit, Jugend und Kultur sowie in den von der Stadt Wien dotierten Fonds (z.B. Wiener ArbeitnehmerInnenfonds) berücksichtigt wurde.88 Das Know-how Wiens bei der Implementierung von Gender Mainstreaming ist mittlerweile international gefragt und viele Expertinnen der Stadt Wien haben ihre Erfahrung in viele europäische und amerikanische Städte exportiert. Wirkungsvolle Kampagnen wurden gestartet, Hinweisschilder wurden unter dem Titel „Wien sieht anders“ so verändert, dass das Bewusstsein für Gender Mainstreaming geschärft wurde durch allgemein bekannte Piktogramme und Schilder mit getauschtem Geschlecht.89 Gender Mainstreaming versteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung politischer Prozesse mit dem Ziel, eine geschlechterbezogene Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle an politischen Entscheidungen beteiligte Akteure und Akteurinnen einzubeziehen (1998).90 87 Wiener Gleichbehandlungsgesetz 1996 i.d.g.F., Frauen in Wien, Informationen von A-Z, HG.MA 57-Frauenabteilung der Stadt Wien (2005), S. 155 89 www.wien.gv.at/nachrichten Zugriff vom 28.12.2006 90 FGS V (2006-2007) Modul 4 Gesellschaftspolitik und feministische Kritik I 88 38 4 Zusammenfassung 4.1 Jede Frau hat Geschichte „Jede Frau sollte mindestens ein Jahr Frauengeschichte studieren, egal was sie sonst macht. Jede Frau ändert sich, wenn sie weiß, dass sie eine Geschichte hat.“ (Zitat Gerda Lerner)91. „Jede von uns hat ihre Geschichte und wir bringen sie in jedem Augenblick des Lebens in vielfältiger Weise zum Ausdruck. Zum Beispiel durch unsere unterschiedlichen Lebenswelten, die sich in einem Wechselspiel komplexer struktureller gesellschaftlicher und kultureller Beziehungsgeflechte gestalten. Wir machen daher „unsere Geschichte zwar nicht (nur) aus freien Stücken, aber wir machen sie selbst“ (Rosa Luxemburg).92 Die Motivierung für meine Diplomarbeit ein geschichtliches Thema aufzugreifen, ergab sich aus meinem Wunsch mein Wissen in möglichst vielen Disziplinen zu erweitern. Und mit der Lebensgeschichte von Olympe de Gouges stand plötzlich eine Frau vor mir, deren Leben in so vielen Facetten schimmerte, so dass ich an meine eigene Begeisterungsfähigkeit erinnert wurde. Gleichzeitig wurde mir durch das Studium ermöglicht, vieles über diese Frau und die dazugehörigen historischen Zusammenhänge aus feministischer Sichtweise zu erfahren. Mich interessierte ihre Lebensgeschichte im Zusammenhang mit all den politischen und philosophischen Strömungen dieser Zeit und die Frage, warum wird letztendlich die Todesstrafe gegen eine Frau verhängt, die jahrelang für diese Gemeinschaft Frankreich und die Revolution gekämpft hat. Inwiefern hat sie durch ihre Positionierung, die biologische Geschlechterdifferenz in ein Recht zu fassen und dieses Recht einzufordern, gegen die Inhalte der Revolution verstoßen, wer wollte sie und jede Frau so gering sehen, dass man(n) sie entmachtete? Und warum durften die neu geschaffenen Menschenrechte nicht auch für Frauen gelten ? Was sagt Olympe de Gouges uns Frauen heute, was sie durch ihre Schriften hinterlassen hat, was ich andere Frauen wissen lassen muss? Nachdem sie so lange 91 92 FGS V (2006-2007) Basismodul Geschichte des politischen Feminismus, Textsammlung I, Vorwort ebenda 39 totgeschwiegen wurde, so wie viele andere Frauen in Angst versetzt und belassen wurden, ist es auch mir wichtig geworden, meinen Teil zu ihrem Bekanntwerden beizutragen. Es war mir wichtig herauszufinden, dass Olympe de Gouges sich nicht in eine Opferrolle begeben hat, sondern aktiv am politischen Leben teilgenommen hat, um mit ihren Fähigkeiten ein Gleichgewicht in den so aufgewühlten Jahren der Revolution zu schaffen. Dass sie sich während der Vorbereitungsarbeit für ihre Deklaration der Frau und Bürgerin der Unterstützung durch ein soziales Gefüge und Netz sicher sein konnte. Und, dass sie den Mut hatte, die herrschende, politische Mehrheit zu reizen und ihr entgegen zu treten bzw. entgegen zu schreiben im Sinne ihres Idealismus. Denn die großen zentralen Themen ihrer Werke galten dem Patriotismus, der Gleichheit und Gleichberechtigung und den Menschenrechtsverletzungen. Sie erkannte als eine der ersten, dass die neue geschriebene Verfassung nicht für alle gelten sollte, denn „die Hälfte“ der französischen Bevölkerung, nämlich der weibliche Anteil, verblieb weiterhin in der Abhängigkeit aller Männer und somit rechtlos in der Gesellschaft. Wie wichtig es ist, Bedürfnisse einzelner und ganzer Gruppen als Gebot in Recht zu formulieren zu verankern und durch Recht Verbote gegen willkürlich Herrschende zu vollziehen, wurde von Olympe de Gouges frühzeitig erkannt. Und ich glaube, dass wir von dieser Frau jede Menge lernen können: vor allem politisches Selbstbewusstsein, Zivilcourage, Leidenschaft für den Gegenstrom und Sehnsucht nach Identität. Ihr kulturelles Erbe, das sie uns hinterlassen hat, ist weiterhin von immenser Bedeutung, denn ihr persönlicher Lebensweg zeigt uns wie wichtig es ist, ungeachtet patriarchal-dominanter Strukturen aktiv und somit „heldinnenhaft“ das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit einzufordern. 4.2 Frauen als Heldinnen In Deutschland gibt es seit dem Jahr 2001 die Vergabe des Olympe-de-Gouges-Preises durch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen an Frauen, die nach Meinung der Preisverleiherinnen durch ihren Mut und ihre Unerschrockenheit im Kampf um Frauen- und Menschenrechte zu Heldinnen geworden sind. 40 Am 9.3.2008 wurde dieser Preis an die Frauenrechtlerin und Autorin Serap Cileli vergeben, in Würdigung und Danksagung an ihren Einsatz gegen die Zwangsverheiratung und gegen Ehrenmorde, weswegen ich an dieser Stelle ein Gedicht der Autorin einfüge.93 Frei sein Leben möchte ich ohne Angst, frei ohne Gewalt. Frei sein ohne Ketten, frei, um ja oder nein zu sagen. Frei, um meine Schwächen zu zeigen, weil auch du nicht fehlerfrei bist, so frei, um Gefühle geben zu können, ohne Zwang ohne Scham. Frei sein von Tränen aus Trauer, möchte ich lachen, wie so manches Kind aus der Seele. Träume träumen und kein Albtraum mehr. Leben möchte ich in unbegrenzter Freiheit, frei um Wege zu gehen, ohne gebunden zu sein. Frei leben und nicht gelebt werden, frei und ohne Gewalt, dass es anderen Mut macht. Serap Cileli, 18.10.2002 94 Die Autorin und Feministin Serap Cileli kam mit ihrer Familie 1974 aus dem türkischen Ardana nach Deutschland und wurde mit 15 Jahren in die Türkei zwangsverheiratet. Nach 7 Jahren Zwangsehe konnte sie nach Deutschland fliehen. Seit damals widmet sie ihre politische Arbeit der Betreuung von muslimischen und türkischen Frauen und Mädchen in ganz Europa und veröffentlichte zu diesem Thema bereits zahlreiche Gedichte und Romane. Ihr neuestes Buch wird im Oktober 2008 erscheinen und trägt den Titel: „Eure Ehre – unser Leid, „Zwangsverheiratung ist Vergewaltigung auf Lebensdauer“. 93 94 www.spiegel.de/politik Zugriff am 26.5.2008 www.serap-cileli.de Zugriff am 26.5.2008 41 Beiden Frauen waren und sind sich mit Sicherheit der Gefahren und der möglichen Konsequenzen für ihr widerständiges Verhaltens bewusst und ließen sich trotz ihrer Rechtlosigkeit nicht einschüchtern. Ihre innere Überzeugung hinsichtlich ihres Anliegens, auch ihr Glaube, sowie ihr politisches Bewusstsein und ihre persönliche Betroffenheit, die Solidarität und die Freundschaft zu Gleichgesinnten ließen sie die Angst überwinden und Widerstand gegen die politischen und privaten Gewaltstrukturen leisten. Heldinnen sind Frauen wie Olympe de Gouges und Serap Cileli, durch die wir auch den Zugang zur Frauengeschichte, die sich nicht als Herrschaftsgeschichte definiert, finden. Heldinnen sind mutige und unabhängige Frauen, die Geschichte haben, so wie wir selbst – jede Frau von uns – eine Geschichte hat. Die Leistungen aller berühmten Rebellinnen, aller die in Vereinigungen Widerstand leisten und leisteten und all jene Frauen, die anonym aktiv gegen jede Art von Menschenrechtsverletzungen gekämpft haben, zeigen uns, dass es immer möglich war und ist, mit motiviertem Widerstand gegen bestehende Unterdrückung zu kämpfen. Doch sind nicht auch jene Alltagsfrauen Heldinnen, wie die tausenden Versorgungsfrauen, Mütter, Ehefrauen, Marktfrauen, die am 5.und 6. Oktober 1789 von dem Arbeiterdorf St. Antoine bei Paris über das Rathaus von Paris nach Versailles marschierten, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln für ihre Familien beim König zu erkämpfen und zu sichern. Bewaffnet mit Waffen aus dem Rathaus wurden sie auf ihrem Weg - nach und nach - von Männern und Frauen aus allen Ständen begleitet um der Nationalversammlung die Forderungen der Frauen zu überbringen. Und die Frauen waren erfolgreich, denn der französische König unterzeichnete noch am Abend des 5. Oktober 1789 zwei entscheidende Dekrete betreffend die Sicherung der Getreideversorgung für Paris und die Zusicherung, die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ohne Bedingungen zu unterschreiben. 95 4.3 „... um die Würde der Frauen zu heben ...“ und role models heute Olympe de Gouges verankerte in ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin die unveräußerlichen Ansprüche der Frau auf Anerkennung als würdevolles, eigenständiges 95 Kuhn Annette, Die Macht der Frauen, der Avantgarde der Französischen Revolution, Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht und Ohnmacht, S. 86, 87 42 menschliches Wesen, das dem Mann auf allen Ebenen ebenbürtig ist.96 Ihre Eigenständigkeit konnte Olympe de Gouges unter Beweis stellen, denn ihr temperamentvoller und rebellischer Charakter ließ sie ohne jeden Zweifel ein durchaus emanzipiertes Leben führen. Sie verweigerte nach ihrer leidvollen Ehe eine weitere eheliche Bindung und begab sich bewusst nicht mehr in die Hand eines Mannes von dem sie geistig, körperlich und ökonomisch abhängig war.97 Der dadurch erhaltene persönliche Freiraum half ihre Zielsetzungen klar und eindeutig zu formulieren. Im Laufe ihres Lebens entschied sie selbst, was für sie richtig war und sie äußerte sich angriffslustig und aufgeklärt zu allen großen Themen der Frauen- und Menschenrechte wie Bildung, Beruf, Gleichberechtigung und Widerstand für Frauen und Sklaverei. Als gleichberechtigten Teil einer Gesellschaft verstand sie sich, in der sie zur Unabhängigkeit von eingrenzenden Rollenmustern aufrief. Olympe de Gouges ist eine von jenen Frauen, die eine für uns unvergessliche Lebensgeschichte hat, da sie bereit war, ihre Erkenntnisse und Forderungen zu veröffentlichen und in eine Rolle geschlüpft war, die es uns heute ermöglicht, sie selbst als role model in eine Reihe mit unseren modernen Philosophinnen wie etwa Simone de Beauvoir, zu stellen. Zwischen diesen beiden Frauen liegen etwa 150 Jahre, in denen zwar grundlegende Veränderungen wie das Wahlrecht für Frauen verfassungsmäßig verankert wurde, doch die Abwehr der bürgerlichen Werte, die Frauen in ihrer Denk- und Handlungsfähigkeit einschränken und unterdrücken, ist diesen beiden Feministinnen noch immer gemeinsames Thema. Auch Simone de Beauvoir führte ein Leben, das sich für uns als Modell angeboten hat und weiterhin anbietet. Als Schriftstellerin, Philosophin und Feministin des 20. Jahrhunderts kämpfte sie ihr ganzes Leben lang gegen Unterdrückung und Gewalt. Sie gilt als eine der Begründerinnen des Feminismus nach 1968. In ihrem 1949 erschienenen Buch Das andere Geschlecht vertritt sie die These, dass die Unterdrückung der Frau im Patriarchat gesellschaftlich bedingt sei: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“. Frauen sind von den Männern zum „Anderen Geschlecht“ gemacht worden. Das bedeutet nach Simone de Beauvoir, dass sich der Mann als das Absolute, das Essentielle, das Subjekt setzt, während der Frau die Rolle der Anderen, des Objekts zugewiesen wird. Sie wird immer in Abhängigkeit vom Mann definiert. Deshalb hat sie mit 96 Frauenrechte-Menschenrechte: Vom Traum zur Wirklichkeit (2002), Horizont 3000, S. 17 FGS V (2006-2007), Basismodul Geschichte des politischen Feminismus, Textsammlung I, Vorwort, 97 43 stärkeren Konflikten zu kämpfen als der Mann. Wenn sie ihrer „Weiblichkeit gerecht werden will, muss sie sich mit einer passiven Rolle begnügen, dies steht aber ihrem Wunsch entgegen, sich als freies Subjekt durch Aktivität selbst zu entwerfen“.98 Simone de Beauvoir engagierte sich gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Jean-Paul Satre gegen den Vietnam- und Algerienkrieg, stellte sich ab den 1970er Jahren der internationalen Frauenbewegung zur Verfügung und trat als eine der Ersten für die Straffreiheit der Abtreibung ein.99 Im Gegensatz zu Olympe de Gouges konnte Simone de Beauvoir Anerkennung und Ruhm erlangen, solange sie noch lebte. Doch auch sie blieb nicht verschont von Kritik und Anfeindungen aus allen politischen Lagern. 98 99 http://de.wikipedia.org/wiki/Simone_de_Beauvoir, Zugriff am 21.5.2008 www.literaturkritik.de/public Zugriff vom 19.2.2008 44 Literaturverzeichnis GOUGES DE, Olympe, Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, 1791 FEMINISTISCHES GRUNDSTUDIUM, Die Entwicklung der internationalen Frauenrechte, FGS 2004-2005 Geschichte des politischen Feminismus, Dr. Ursula Kubes-Hofmann, Rosa-Mayreder-College (Hsgb.) FRAUEN IN WIEN, Informationen von A–Z, MA57 Frauenabteilung der Stadt Wien(Hg.), 2005, S. 165-166 FRYSAK, Viktoria, Menschenrechte: Frauenrechte? Eine Arbeit an Olympe de Gouges, Menschenrechte im Kulturvergleich, Univ. Wien 2001: S. 5-20 HARTZ von, Irene, Olympe de Gouges –Versuch, eine historische Präsenz wiederherzustellen, aus Olympe-Feministische Arbeitshefte zur Politik, Heft , Juni 1994; S. 16-20 HASSAUER, Friederike, Tribüne und Schafott, aus „... ihr werten Frauenzimmer, auf!“ Iris Bubenik-Bauer, Ute Schalz-Laurenze (Hsgb.) S. 25-42 HORIZONT 3000, Frauenrechte–Menschenrechte: Vom Traum zur Wirklichkeit, 2002, HORIZONT 3000 (Hsgb.) S 7-19 KAINTZEL, Brigitta, Olympe de Gouges, aus Geschichte des politischen Feminismus, Dr. Ursula Kubes-Hofmann, Rosa-Mayreder-College (Hsgb.) S. 59–65. KERSIC, Daniela, Menschenrechte: Frauenrechte? Eine Arbeit an Olympe de Gouges, Menschenrechte im Kulturvergleich, Univ. Wien 2001; S. 5–20 KUBES-HOFMANN, Ursula, Das unbewusste Erbe, Wiener Frauenverlag (Hrsg.) 1993, S 12-86 KUHN, Annette, Die Macht der Frauen, der Avantgarde der Französischen Revolution, aus: Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht und Ohnmacht, Andrea Graf (Hsgb.)1990; S 81-91 NEUHOLD, Brita, Internationale Dimensionen aus Menschenrechte – Frauenrechte, Internationale, europarechtliche und innerstaatliche Dimensionen, 2003, Studienverlag (Hsgb.), 2003, S. 21-23 OLYMPE-Feministische Arbeitshefte zur Politik, Heft 1 (Juni 1994), SCHAEFFER-HEGEL, Barbara, Perversion der Liebe und Politik der Vernunft, aus: Zur Politik des Weiblichen Frauen Macht und Ohnmacht, Andrea Graf (Hsgb.)1990; S 15-32 SCMITT, Eberhard, Einführung in die Geschichte der Französischen Revolution, 1980, S.50ff Wiener Gleichbehandlungsgesetz 1996 i.d.g.F. http://www.dadalos.org/deutsch/Menschenrechte (26.4.2007) http://www.frauenrechte.de/tdf/index (19.2.2008) http://www.hannelore-schroeder.nl/olympe-de-gouges-stiftung (26.4.2007) http://www.hannelore-schroeder.nl/vita (26.4.2007) http://www.literaturkritik.de/public/rezension (19.2.2008) http://www.uni-ulm.de/frauen/biographien (26.4.2007) http://de.wikipedia.org/wiki/Das_andere_Geschlecht (21.5.2008) http://de.wikipedia.org/wiki/Olympe- de_ Gouges (26.4.2007) http://de.wikipedia.org/wiki/Simone_de_Beauvoir (21.5.2008) 45 Code of Honour: Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche gekennzeichnet habe. Purkersdorf, 8. Juni 2008 Gabriele Eisenriegler- Bunyai 46 Anhang Frauenrechte 1791 Artikel 1: Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten. Die sozialen Unterschiede können nur im allgemeinen Nutzen begründet sein. Artikel 2: Ziel und Zweck jedes politischen Zusammenschlusses ist der Schutz der natürlichen und unveräußerlichen Rechte sowohl der Frau als auch des Mannes. Diese Rechte sind: Freiheit, Sicherheit, das Recht auf Eigentum und besonders das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung. Artikel 3: Das Prinzip jeder Herrschaft ruht wesentlich in der Nation, die nichts anderes darstellt als eine Vereinigung von Frauen und Männern. Keine Körperschaft und keine einzelne Person kann Macht ausüben, die nicht ausdrücklich daraus hervorgeht. Artikel 4: Freiheit und Gerechtigkeit bestehen darin, den anderen zurückzugeben, was ihnen zusteht. So wird die Frau an der Ausübung ihrer natürlichen Rechte nur durch die fortdauernde Tyrannei, die der Mann ihr entgegensetzt, gehindert. Diese Schranken müssen durch Gesetze der Natur und Vernunft revidiert werden. Artikel 5: Die Gesetze der Natur und Freiheit wehren alle Handlungen von der Gesellschaft ab, die ihr schaden könnten. Alles, was durch diese weisen und göttlichen Gesetze nicht verboten ist, darf nicht behindert werden, und niemand darf gezwungen werden, etwas zu tun, was diese Gesetze nicht ausdrücklich vorschreiben. Artikel 6: Das Gesetz sollte Ausdruck des allgemeinen Willens sein. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Gestaltung mitwirken. Es muss für alle das gleiche sein. Alle Bürgerinnen und Bürger, die gleich sind vor den Augen des Gesetzes, müssen gleichermaßen nach ihren Fähigkeiten, ohne andere Unterschiede als die ihrer Tugenden und Talente, zu allen Würden, Ämtern und Stellungen im öffentlichen Leben zugelassen werden. 47 Artikel 7: Für Frauen gibt es keine Sonderrechte: sie werden verklagt, in Haft genommen und gefangengehalten, in den durch das Gesetz bestimmten Fällen. Frauen unterstehen wie Männer den gleichen Strafgesetzen. Artikel 8: Das Gesetz soll nur Strafen verhängen, die unumgänglich und offensichtlich notwendig sind, und niemand darf bestraft werden, es sei denn kraft eines rechtsgültigen Gesetzes, das bereits vor der Tat in Kraft war, und das legal auf Frauen angewandt wird. Artikel 9: Gegenüber jeder Frau, die für schuldig befunden wurde, muss das Gesetz mit großer Strenge angewendet werden. Artikel 10: Niemand darf wegen seiner Meinung, auch wenn sie grundsätzlicher Art ist, verfolgt werden. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Tribüne zu besteigen, vorausgesetzt, dass ihre Handlungen und Äußerungen die vom Gesetz gewahrte öffentliche Ordnung nicht stören. Artikel 11: Die freie Gedanken- und Meinungsäußerung ist eines der kostbarsten Rechte der Frau, denn diese Freiheit garantiert die Vaterschaft der Väter an ihren Kindern. Jede Bürgerin kann folglich in aller Freiheit sagen: “Ich bin die Mutter eines Kindes, das du gezeugt hast“, ohne dass ein barbarisches Vorurteil sie zwingt, die Wahrheit zu verschleiern. Dadurch soll ihr nicht die Verantwortung für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch Gesetz bestimmten Fällen abgenommen werden. Artikel 12: Ein höherer Nutzen erfordert die Garantie der Rechte der Frau und Bürgerin. Diese Garantie soll zum Vorteil aller, und nicht zum persönlichen Vorteil derjenigen dienen, denen diese Rechte anvertraut sind. Artikel 13: Für den Unterhalt der Polizei und für die Verwaltungskosten werden von der Frau wie vom Manne gleiche Beträge gefordert. Hat die Frau teil an allen Pflichten und Lasten, dann muss sie ebenso teilhaben an der Verteilung der Posten und Arbeiten, in niederen und hohen Ämtern und im Gewerbe. Artikel 14: Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, selbst oder durch ihre Repräsentanten über die jeweilige Notwendigkeit der öffentlichen Beiträge zu befinden. Die 48 Bürgerinnen können dem Prinzip, Steuern in gleicher Höhe aus ihrem Vermögen zu zahlen, nur dann beipflichten, wenn sie an der öffentlichen Verwaltung teilhaben und die Steuern, ihre Verwendung, ihre Einziehung und Zeitdauer mit festsetzen. Artikel 15: die weibliche Bevölkerung, die gleich der männlichen Beiträge leistet, hat das Recht, von jeder öffentlichen Instanz einen Rechenschaftsbericht zu verlangen. Artikel 16: Eine Gesellschaft, in der die Garantie der Rechte nicht gesichert und die Trennung der Gewalten nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung. Die Verfassung ist null und nichtig, wenn die Mehrheit der Individuen, die die Nation darstellen, an ihrem Zustandekommen nicht mitgewirkt hat. Artikel 17: Das Eigentum gehört beiden Geschlechtern vereint oder einzeln. Jede Person hat darauf ein unverletzliches und heiliges Anrecht. Niemandem darf es als wahres Erbteil der Nation vorenthalten werden, es sei denn, eine öffentliche Notwendigkeit, die gesetzlich festgelegt ist, mache es augenscheinlich erforderlich, jedoch unter der Voraussetzung einer gerechten und vorher festgesetzten Entschädigung. 49