Unterwegs im Tangoschritt – Streifzüge durch Buenos Aires

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Unterwegs im Tangoschritt – Streifzüge durch Buenos Aires
Edith Werner
Unterwegs im Tangoschritt –
Streifzüge durch Buenos Aires
Wiesenburg Verlag Schweinfurt 2009
ISBN 978-3-940756-75-6
160 S., mit Illustrationen, 15.90 €
Lassen Sie sich mitnehmen auf siebzehn Streifzüge
durch die Metropole am Rio de la Plata, in Tangobars,
verschwiegene Winkel, das kleine Café an der Ecke,
auf den teuersten und prunkvollsten Friedhof der Welt
und in die Bonbonera, das Fußballstadion, in dem
Diego Maradona seine Triumphe feierte.
Mit dem Blick des Insiders, ohne die nötige Distanz der Zugereisten schon ganz verloren zu
haben, erzählt Edith Werner, die seit drei Jahren in Argentinien lebt, von einer der
aufregendsten Megastädte der Südhalbkugel. Buenos Aires, Zentrum der Kultur, des Tangos,
des Theaters, aber auch lautstarker Protestmärsche, lässt niemanden kalt.
Eine Hauptrolle in dieser Liebesgeschichte mit kleinen Missverständnissen und großen
Entdeckungen spielen die Porteños: Die Einwohner der Elf-Millionen-Stadt kann so leicht
nichts erschüttern, und wenn es einmal arg kommt, hilft ein Cafecito, ein tiefschwarzer
Kaffee.
Der handliche Reisebegleiter für Erkundungen in bekannten und in weniger besuchten Ecken
der tangoseligen Hauptstadt des Cono Sur.
Explorando Buenos Aires, al ritmo del tango.
Diecisiete paseos por la “Reina del Plata,” descubriendo los tangobares, los pequeños
rincones escondidos, el café de la esquina, el cementerio más lujoso del mundo, y la
Bombonera, donde Diego Maradona ha festejado sus triunfos.
Con ojos de conocedora – pero sin haber perdido del todo la mirada distante de la recién
llegada –, y entusiasta caminadora, Edith Werner, que vive en Buenos Aires desde hace tres
años, nos describe una de las ciudades más fascinantes del hemisferio sur: Buenos Aires, el
centro de la cultura, del tango, de los museos, de los teatros y también de las ruidosas
marchas de protesta.
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Los protagonistas de esta historia de amor con sus pequeños malentendidos y grandes
descubrimientos, son los porteños. Hay poco que puede conmover a los once millones de
habitantes de esta ciudad, pero si algo grave sucediera, un cafecito bien cargado siempre
ayudaría.
Esta guía que cabe en el bosillo acompañará al viajero curioso tanto a lugares conocidos
como a rincones por muchos ignorados de la capital del tango del Cono Sur.
Leseprobe
Second Life – In der Totenstadt
Fast hätte ich eine Wohnung am Friedhof ergattert, aber sie überstieg dann
doch mein Budget. Die Wohnlage am Friedhof von RECOLETA ist eine der
teuersten. Porteños genießen offenbar den Blick auf diese Prunkstadt der Toten, die nur den mit der Mentalität der Argentinier Unvertrauten schaudern
lässt. Weniger bekannt, aber fast ebenso pompös ist der Friedhof von
CHACARITA, auf dem bis 2006 zwei Herzkönige der Vergangenheit begraben
waren, Carlos Gardel und Juan Perón, bevor Peron auf die Familienestancia in Vicente
Lopez umgebettet wurde. So sind Friedhofsbesuche ein Muss, will man ein wenig in die
Gefühlswelt des Porteños eindringen.
Also steuere ich zuerst Recoleta an. Andenkenstände drängen sich vor dieser touristischen
Hauptattraktion. 1822 steht in Gold auf Marmor auf der Schwelle. In der Säulenhalle des
Eingangs ist man auf Touristen eingestellt. Ein Heftchen mit Lageplan wird mir in die Hand
gedrückt. Trotz allem, was ich schon über diesen besonderen Friedhof gehört habe, bin ich
nicht vorbereitet auf die Orgie von pomp funèbre. Die Häuser der Toten sind kaum kleiner
als die der Lebenden in den Vorstädten. Ganze Straßenzüge entlang reihen sich die
Todestempel in weiß gleißendem Marmor oder in spiegelndem dunklem Granit aneinander.
Steinerne Engel weinen, ernst blicken Skulpturen der Verstorbenen auf den Besucher.
Meisterstücke der Schmiede- und Steinmetzkunst sind die Portale. Kreuz und Schlange,
Krone und Flügel, Stundenglas und Totenkopf, unendliche Variationen christlicher
Todessymbolik ranken auf den schmiedeeiserneren Türen. Vom überreich verzierten Mausoleum des Historismus bis zur Strenge Neuer Sachlichkeit sind alle Stilrichtungen aus der
Glanzzeit des Friedhofs vertreten, dazu jeder denkbare Stil der ferneren Vergangenheit.
Ägyptische Pyramiden, griechische Tempel, gotische Gewölbe, Feengrotten und elegante,
moderne Kuben scheinen sich gegenseitig ausstechen zu wollen. Drinnen stehen die Särge
mit ihren weißen Spitzendecken, flankiert von Kandelabern und Kreuzen. Gelegentlich fällt
ein Lichtschein in allen Regenbogenfarben durch die farbigen Glasfenster. Eine Treppe führt
in den Untergrund, wo weitere Särge stehen. Man stapelt tief, weil der Baugrund der
Teuerste der Stadt ist. Recoleta ist eine Studie in Sepulkralarchitektur und in merkwürdigen
Todesriten. Der Friedhof Recoleta ist aufgedonnert wie ein Transvestit. Dagegen ist der
Père Lachaise ein Mauerblümchen, befand der Schriftsteller Franzobl, als er diese exotische
Wunderkammer besuchte.
Ein Mausoleum hier kostet ein Vermögen. Ganze Generationen der Haute Volée Argentiniens sind in diesen Familiengrabstellen beigesetzt worden. Neue kommen nicht mehr
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hinzu, aber die vorhandenen Gruften können noch neu belegt werden. Im Mai 2009 gab es
wieder einmal eine Bestattung in Recoleta. Tausende folgten dem Sarg von Raúl Alfonsín,
dem verehrten ersten demokratischen Präsidenten nach der Militärdiktatur. Eine Grabstelle
in Recoleta ist eine begehrte Liegenschaft. So hat sich ein schwunghafter Zweithandel
entwickelt. Wer bereit ist, seine Toten auf einen anderen Friedhof umzubetten, kann sein
Mausoleum verkaufen. Als eine ehemalige Politikerin vom Staat wegen Bereicherung
belangt werden sollte, wurden ihre Besitzungen in der Zeitung ausgebreitet. Eine Gruft in
Recoleta gehörte zu der Aufzählung ihrer Reichtümer.
Die meisten Besucher sammeln sich am vergleichsweise schlichten Grab der Familie Duarte,
in dem Eva Perón ruht. Nie fehlt es hier an Zeichen der Verehrung. So mancher kanonisierte
Heilige würde Evita wohl um die Anhänglichkeit ihrer Getreuen beneiden.
Die etwas makabre Anmutung des Friedhofs wird noch durch die zahlreichen Katzen
verstärkt, die um Ecken schnüren oder sich auf Grabsockeln sonnen. Draußen lehnt ein weiß
geschminkter Mann in Frack und Zylinder am Zaun und blickt gedankenverloren auf die
ersten Zeilen der Totenhäuser, eine Schale mit Münzen neben sich. Er verkörpert das
portensische Amalgam aus Theatralik und Melancholie und das Geschäft, das man mit dieser
spezifischen Mischung gerne macht...
Mit subte, Taxi, tren und colectivo
Es geschah in der subte, in der Kurve zwischen Avenida de Mayo und Diagonal Norte. Bemerkt habe ich es erst viel später. Ein Künstler unter den
Taschendieben hatte mich in der U-Bahn um 200 Pesos erleichtert, aus
meiner Hosentasche! Ein Freund, dem ich mein Leid klagte, winkte ab. Er
trifft in der U-Bahn häufiger einen ehemaligen Mitschüler, der inzwischen
seinen Lebensunterhalt mit Taschendiebstahl bestreitet. Ein leichtes
Kopfnicken, man kennt einander ja, und jeder geht seiner Wege. Das hält
mich nicht ab, mit subte, tren und den asthmatischen Bussen, den colectivos, durch die Stadt
zu gondeln und mit anderen Fahrgästen einen Schwatz zu halten. Auf diese Weise erfahre
ich, wo das beste chilenische Restaurant ist, gerate in eine Vernissage peruanischer Kunst
oder lasse das Leben auf der Rivadavia, nach fester Meinung aller Porteños die längste
Straße der Welt, an mir vorüberziehen.
Tausende von colectivos sind auf den Straßen von Buenos Aires unterwegs und machen die
Busse zum städtischen Hauptverkehrsmittel. Die colectivos sind Teil der städtischen
Folklore. Eine Welt mit zwanzig Sitzen hieß eine Fernsehserie, die ganz im colectivo spielte.
Die Busfahrer schmücken ihre Kabinen fast so phantasievoll aus wie die Truckfahrer.
Spiegel, ein Rosenkranz oder ein rotes Band, um den Kryptoheiligen Gauchito Gil, der für
Reisende zuständig ist, günstig zu stimmen, gehören dazu. Mehr als 500 Buslinien gibt es.
Von meinem Balkon aus kann ich in den drei Straßen, die ich überblicke, allein sieben
verschiedene Linien ausmachen. Noch einmal so viele erreiche ich in Fußwegabstand. Man
braucht kaum je weiter als ein, zwei Blocks zu laufen, um einen Bus zu erreichen. Die
schnaufenden, rostigen Gefährte schieben sich durch fast jede Straße.
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Busfahren ist eine hohe Kunst. Zuerst gilt es den Guia T zu studieren. Ganz Buenos Aires ist
in diesem unentbehrlichen Heftchen in Planquadrate aufgeteilt, in denen alle Busse
verzeichnet sind, die in der Capital Federal verkehren. Man sucht erst im Planquadrat des
Ausgangs- und dann des Zielorts nach dem passenden Bus. Will man mit derselben Buslinie
zurück, gilt es, nach der Rückfahrtstrecke zu suchen, denn fast alle Straßen sind Einbahnstraßen, und die Busse nehmen zurück meistens einen anderen Weg als hin, abgesehen von
häufigen Umleitungen wegen Baustellen. Hat man die richtige Buslinie gefunden, fragt man
den Fahrer besser, ob er wirklich dahin fährt, wo man hin möchte, denn viele Buslinien
haben mehrere ramales, Abzweigungen von der Hauptstrecke. Der Sechziger, der bei mir
vorbeifährt und fast die ganze Stadt bis hinaus in den Vorort Tigre bestreicht, hat allein 25
verschiedene Routen. Um Fahrpläne braucht man sich nicht zu kümmern, denn es gibt sie
nicht. Man stellt sich an und wartet. Manchmal kommen zwei hintereinander, manchmal
dauert es etwas länger, jedoch selten mehr als ein paar Minuten. Ist es der Richtige und man
ist eingestiegen, dann sollte man sich sehr gut festhalten. Die Fahrer lieben es, mit größtmöglichem Tempo die kurzen Strecken zu überwinden, auf denen nicht Stop and Go
herrscht, und an den Haltestellen scharf zu bremsen. Manchmal ist es schwer auszumachen,
ob da wirklich eine Haltestelle ist und für welche Buslinie. Ein Hinweis sind die Schlangen
von Wartenden, die ein paar Münzen in der Hand halten, gilt es doch im Bus den Automaten
mit dem äußerst raren Hartgeld zu füttern, nachdem man dem Fahrer angesagt hat, wo man
aussteigen will und er den Preis eingetippt hat. Sobald man dieses Manöver erfolgreich
hinter sich gebracht hat, heißt es, den günstigsten Stehplatz zu ergattern, denn Sitzplätze
finden sich fast nur außerhalb der Stoßzeiten. Nur nach jahrelangem Training gelingt es, wie
ein echter Porteño gelassen auf schwankendem Grund zu stehen und gleichzeitig zu
telefonieren, zu lesen oder mit seinem Nachbarn einen Schwatz zu halten. Mindestens das
Kramen nach Kleingeld und die Unsitte der Busgesellschaften, die raren Münzen irgendwo
zu horten und zu verkaufen, sollen nun bald ein Ende haben. Die Präsidentin höchstpersönlich versprach, dass die Busse mit Kartenautomaten ausgestattet werden sollen.
Eigentlich ist das angekündigte Datum schon verstrichen, aber wie vieles in der Stadt am Rio
de La Plata will auch diese Neuerung gute Weile haben. Wegen ihrer ebenso häufigen wie
selten erfüllten Ankündigungen hat Cristina Fernandez de Kirchner schon den Spitznamen
Ankündigungspräsidentin weg. Immerhin wurden bereits ein paar Busse mit Kartenautomaten gesichtet. Irgendwann wird es soweit sein…
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