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Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Volkstrauertag 2010 am 14. November Anregungen und Gedanken zur Gestaltung von Gedenkstunden und Gottesdiensten Inhaltsverzeichnis Geleitwort Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Reinhard Führer 3 Wie kann Gott das zulassen? Gedanken zum Predigttext des Volkstrauertages 2010 – Lukas 21, 5-19 Bischof Dr. Gerhard Feige, Magdeburg Totengedenken 5 Redevorschlag 1 Johannes Mitscherling 6 Redevorschlag 2 Pfarrer Jürgen Doetsch 8 Alles vergeht, auch wir selbst 21 Gedanken zum Predigttext des Volkstrauertages 2010 – Römer 8, 18-25 Landesbischöfin der Evang. Kirche in Mitteldeutschland Ilse Junkermann, Magdeburg Gedichte - Vater - Annegret Kronenberg - Gras - Carl Sandburg 11 Lesungsvorschlag - Vater-Sohn-Soldatengrab - Wilhelmshavener Zeitung 1958 - Es bleiben Fragen - Wolfgang Held 13 Geleitwort (für den kirchlichen Bereich) Präses Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD 16 18 Gebet zum Volkstrauertag Fürbitte 24 Das deutsche Totensignal Lied vom guten Kamerad 26 Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Kurzdarstellung 28 Sammlungs- und Kollektenempfehlung 30 Titelbild: Bildcollage Zerstörter Reichstag Berlin 1945/Reichstagsgebäude Berlin 2010 Impressum: Herausgegeben vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Werner-Hilpert-Straße 2, 34117 Kassel - Telefon 0561-7009-200 Zusammenstellung: Erika Mayrer, kirchlicher Bereich: Propst Reinhold Kalden Gestaltung: Janine Tobi-Credé, Erika Mayrer - Lektorat: Dagmar Gild-Kristen Geleitwort Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind 65 Jahre vergangen. Die Welt hat sich seither verändert, grundlegend und schneller als jemals zuvor. Wer zu Beginn des Krieges geboren wurde, ist heute weit über 70 Jahre alt. Die Töchter und Söhne der Soldaten teilen oftmals das gleiche Schicksal: Sie sind als Halbwaisen aufgewachsen. Der fehlende Vater prägt fast eine ganze Generation. Menschen, die sich nur vage an den Vater erinnern, denen nur ein paar Briefe von ihm geblieben sind und vielleicht ein Grab auf einem weit entfernten Soldatenfriedhof. Andere haben noch nicht mal das. Sie suchen immer noch nach einer Spur des Vermissten, und ihre größte Hoffnung ist, irgendwann einmal an sein Grab treten zu können. Diese Töchter und Söhne befinden sich in einer Lebensphase, in der sie den nicht vorhandenen Vater als eine Lücke in ihrer eigenen Persönlichkeit wahrnehmen. Das mag ihnen früher – in ihrer Jugend, während der Die Mitarbeiter des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, die sich um die Gräber der beiden Weltkriege kümmern, haben oft mit dieser Kindergeneration zu tun. Es sind Foto: Uwe Zucchi Einweihung der Kriegsgräberstätte in Apscheronsk/Russland 2008 3 Ausbildung, der beruflichen und familiären Inanspruchnahme – gar nicht in dieser Weise bewusst geworden sein. Können sie nach all den Jahren nun mehr über sein Schicksal erfahren oder gar sein Grab besuchen, schließt sich ein Kreis, gewinnen sie inneren Frieden. Für diese Menschen arbeitet der Volksbund, für sie bauen und erhalten wir die Soldatenfriedhöfe, suchen wir nach Gräbern, betten wir im Osten jährlich über 40 000 Kriegstote dauerhaft auf würdige und gesicherte Sammelfriedhöfe um und versuchen, so viele Schicksale wie möglich zu klären. Aus dieser Sicht ist der Zweite Weltkrieg noch immer ein sehr aktuelles Ereignis. chen Dienst mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Anerkennung schenken. Dabei spielt es keine Rolle, ob man die politische Entscheidung zu den Einsätzen für richtig oder falsch hält. Zu viele sind bereits ums Leben gekommen. Ihnen und ihren Familien gilt unser Mitgefühl. Unser Gedenken am Volkstrauertag schließt auch diese Menschen mit ein. Reinhard Führer Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Am Volkstrauertag sollten wir uns über die gegenwärtige Bedeutung der Vergangenheit bewusst werden. Zwar neigen wir in zunehmendem Maße zum schnellen Vergessen und Verdrängen, doch zumindest an diesem Tag sollten wir innehalten und uns an das Leiden und Sterben während des Krieges und unter der Gewaltherrschaft erinnern. Das sind wir den Opfern schuldig, die ein Bestandteil unserer Vergangenheit sind und zu unseren Wurzeln gehören. Das schulden wir auch ihren Angehörigen, eben jenen Töchtern und Söhnen, die ein Anrecht auf unsere Solidarität haben. Das gemeinsame Gedenken schärft aber auch unseren Verstand, wenn wir aus den Schrecken der Vergangenheit die richtigen Schlüsse ziehen, wenn wir den Wert des Lebens und die Notwendigkeit des friedlichen Zusammenwirkens der Menschen erkennen. Der Volkstrauertag ist somit ein Tag des Gedenkens und des Nachdenkens, ein Tag der Erinnerung, des Mitgefühls und der Verbundenheit über die Generationen hinweg. Ein Anrecht auf unsere Solidarität haben auch all jene Frauen und Männer, die gegenwärtig in Auslandseinsätzen ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren. Wir sollten diesem gefährli- 4 Totengedenken Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren. Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind. Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde. Wir trauern mit den Müttern und mit allen, die Leid tragen um die Toten. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der Welt. Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten. Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler am Volkstrauertag 2009 5 Redevorschlag 1 Vor 57 Jahren versammelten sich Männer, Frauen, Kinder, Geschwister, Großeltern, ganze Familien, um zu trauern und der Opfer des Zweiten Weltkrieges zu gedenken. Ob Söhne oder Töchter, ob Väter oder Mütter, ob Ehegatten, andere Verwandte oder Freunde – sie alle starben als Soldaten oder als Zivilisten, oder sie waren vermisst, und die Zurückgebliebenen verband noch lange die alltägliche Ungewissheit, wer zurückkehren und wer im Krieg geblieben sein wird. Der Volkstrauertag, während des Nationalsozialismus als „Heldengedenktag“ missbraucht, wurde im Jahr 1952 wieder eingeführt, um im jährlichen Gedenken der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu erinnern. Volkstrauertag – was heißt das eigentlich? Zusammengesetzt aus den Worten „Volk“, „Trauer“ und „Tag“, bedeutet es vor allem eines: Es ist der Tag, an dem das Volk trauert. Doch 64 Jahre nach Kriegsende stellt sich mir für die Zukunft die Frage: Wie soll man um Menschen trauern, die man gar nicht kannte, zu denen man keinen persönlichen Bezug hat? Ergreift uns und die folgenden Generationen das Leid und die Grausamkeit des Krieges noch ausreichend, um überzeugt Arbeit für den Frieden leisten zu können? Das funktioniert sicher nur, wenn wir uns eines bewahren: Auch wenn keine direkten Verbindungen zu den Opfern mehr bestehen, so müssen uns doch der Krieg und seine Folgen weiterhin emotional bewegen. Doch wie ist dies zu schaffen, wenn es bald keine Zeitzeugen mehr gibt? Viele Jahre sind seitdem ins Land gegangen. Die Welt und unsere Lebenswirklichkeit haben sich stark verändert. Meine Generation, die Generation der heutigen Jugend, wird die letzte sein, welche mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges reden kann. Diese waren damals in ihrer Jugend, heute sind sie über siebzig, achtzig oder gar neunzig Jahre alt. Die darauf folgenden Generationen haben den Krieg nicht mehr miterlebt. Sie können sich nur schwer vorstellen, wie es ist, wenn über einem die feindlichen Flieger dröhnen, wenn Bomben fallen, Menschen schreien und man um sein Leben und das seiner Angehörigen bangt. Ich denke, keine Schilderung vermag diese Angst und dieses Leid so nachvollziehbar zu machen, dass es dem wahren Erleben entspricht. Meine Damen und Herren, das Wichtigste, das wir uns erhalten müssen, ist die Erinnerung an die Einzelschicksale. Wenn wir die Geschichte eines Kindes hören, dessen Eltern im Krieg starben, fühlen wir mit ihm. Wenn wir von einer ausgebombten Familie erfahren, die vor ihrem zerstörten Haus stand, ergreift uns das. Wir können uns das Leid dieser Menschen vorstellen und nachvollziehen, wie grausam es ist, seine Eltern zu verlieren oder von einem Tag auf den anderen vor dem Nichts zu stehen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass persönliche Erinnerungen erhalten und Einzelschicksale präsent bleiben, Einzelschicksale, die exemplarisch für viele stehen. So sollte jeder Schüler das Tagebuch der 6 Anne Frank in der Schule lesen. Aber auch Filme, wenn sie Gewalt weder verharmlosen noch verherrlichen, liefern einen wichtigen Beitrag, z.B. „Flags of our Fathers“ oder „Letters of Iwo Jima“ von Clint Eastwood. Sie veranschaulichen auf sehr persönliche und emotionale Weise, was der Krieg aus den Menschen macht: wie sie gegeneinander kämpfen und im Gegenüber nur ein Objekt sehen. Wie sie töten, um selbst zu überleben, auch wenn sie vielleicht im Herzen gute Menschen sind. Und beide Seiten sind in der gleichen auswegslosen Situation. Müssen wir hier nicht erkennen, dass Krieg niemals Gewinner hervorruft, sondern jeder Beteiligte zum Opfer des Krieges wird? Auch daran erinnert der Volkstrauertag. sondern vor allem auch der Dialog im kleinen wie auch im großen, internationalen Rahmen könnte ein Weg sein, etwas in den Köpfen der Menschen zu verändern. Dazu sollte der Volkstrauertag anregen: als ein Tag der Selbstkritik und der Mahnung, aber auch der Hoffnung und Zuversicht für eine friedliche Zukunft. Schüler Johannes Mitscherling, Mönchengladbach Hugo-Junkers-Gymnasiums, Rheydt, Volkstrauertag 2009 Doch sollte man nicht nur zurückblicken, um aus der Geschichte zu lernen, sondern der Volkstrauertag fordert auch dazu auf, unsere Lebenswirklichkeit heute kritisch zu prüfen, etwa in Bezug auf die vielen Vorurteile zwischen Nationen, Völkern und Religionen, die abgebaut werden müssen. Dazu betreibt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge vier Jugendbegegnungsstätten nahe Polen, in Belgien, in den Niederlanden und in Frankreich, wo die Jugendlichen über die aktive Beteiligung an der Kriegsgräberpflege Gelegenheit finden, staatenübergreifende Kontakte mit den ehemaligen Kriegsgegnern zu schließen. Darüber hinaus bieten viele Schulen internationalen Schüleraustausch an, etwa mit Frankreich oder England, wodurch Jugendliche ein halbes oder ein ganzes Jahr im Ausland verbringen können. Diese Chancen müssen wir nutzen. Wir müssen Verbindungen aufbauen und pflegen, miteinander auch über unangenehme Themen wie Krieg und Vorurteile sprechen. Nur im Dialog mit allen Beteiligten ist die Arbeit für den Frieden möglich. Nicht nur die Aufklärung in der Schule und der kritische Umgang mit Medien, Haben die Gräber uns wachgerüttelt? Werden wir die Mahnung der Toten nicht mehr vergessen? Der Mensch braucht solche Novembertage des Nachdenkens, damit er auch im Alltag weiß, dass wir Aggressionen abbauen, Mitmenschlichkeit üben und Feindschaft verhindern müssen. Philipp Brucker 7 Redevorschlag 2 Sowohl bei der zentralen Gedenkfeier der Franzosen in Paris zum 91. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkrieges als auch am 1. September 2009 in Danzig, als des 70. Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen und des Beginns des Zweiten Weltkrieges gedacht wurde, hielt die deutsche Bundeskanzlerin eine Ansprache – beides Zeichen für Frieden und Versöhnung zwischen einstigen Feinden. Angela Merkel stellte ihrer Rede voran: „Der schonungslose Umgang mit der eigenen Geschichte ist … die einzige Grundlage, um aus der Geschichte lernen und die Zukunft gestalten zu können. Zugleich weiß ich: Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden.“ Sodann sprach sie vom „Geschenk der deutsch-französischen Aussöhnung und Freundschaft“ sowie dem „Wunder der Freiheit des europäischen Kontinents“, welche beide als eine „Gnade der Geschichte“ anzusehen seien. als öffentlicher Gedenktag eine überflüssige Einrichtung? Brauchen wir überhaupt noch so etwas wie einen öffentlichen Akt der Trauer in jeder zivilen Gemeinde unseres Landes? Reichen nicht die offiziellen Gedenktage mit Reden der politischen Repräsentanten aus? Ist es wirklich nötig, dass heutzutage noch jemand die Schuldfrage anspricht? Ja, damals, während meiner Schulzeit in den 1970er-Jahren, war immer wieder von der „Kollektivschuld der Deutschen“ die Rede – aus dem Volk der „Dichter und Denker“ sei ein Volk der „Richter und Henker“ geworden. Als Christ war mir indes stets bewusst, dass das Böse im Menschen nicht einem Volk eingepflanzt sein kann, sondern dass Schuld unabhängig von Rasse und Religion jeden Einzelnen betrifft. Die politischen und gesellschaftlichen Umstände und Verstrickungen müssen natürlich analysiert werden und gehören in einen größeren Zusammenhang, zu Recht wird allenthalben der sorgsame Umgang mit der Geschichte gefordert, damit daraus gelernt werden kann. Doch selbst die Tragödie der beiden Weltkriege braucht nicht allein eine kollektive Schuldübernahme durch offizielle Personen, sondern auch den aufmerksamen Blick eines jeden Individuums auf seine Schuld und sein Gewissen. Denn Lernen aus der Geschichte bedeutet nicht Moralisieren oder das Einpauken eines Schuldkomplexes, sondern es eröffnet dem Individuum die Freiheit, sich für das Gute zu entscheiden und guten Gewissens sein Leben in Verantwortung für sich und andere zu gestalten. Indem Wir stehen hier vor einem Widerspruch, der sich gerade auch am Volkstrauertag immer wieder zeigt: Statt zu trauern und der Opfer der Kriege zu gedenken und als Deutsche offen Schuld einzugestehen, drängt es uns viel mehr, die Dankbarkeit darüber zum Ausdruck zu bringen, was uns trotz der verheerenden Folgen beider Weltkriege seit 1945 an Aussöhnung und Freundschaft geschenkt worden ist. So manchem gehen die Akte der Reue auf die Nerven. Schließlich leben wir im 65. Jahr des Friedens – eine Zeitspanne, die in unseren Breiten noch keine Generation friedlich erleben durfte. Ist also der Volkstrauertag 8 sich der Einzelne am Volkstrauertag Schuld und Versagen bewusst macht, vermag er aus der Erfahrung von Schuld zu lernen, wenn er sich diese Dimension des Menschlichen zur Selbsterkenntnis werden lässt, die Erkenntnis, die dem Menschen vor Augen führt, wie er seine Unschuld im weiten Sinne des Wortes verloren hat. Der Volkstrauertag könnte also im Sinne von Immanuel Kant so etwas sein wie „eine Aufforderung an die Vernunft, das Beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich das der Selbsterkenntnis, aufs Neue zu übernehmen“ (Vorrede zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781, A XI). deutsche und französische Soldaten erlebten. Die schier unendliche Zahl der Kreuze über den Soldatengräbern rührt heute noch ebenso zu Tränen wie alte Feldpostbriefe von Franzosen und Deutschen. Die Kriegsgräberfürsorge tut seit ihrer Gründung 1919 entscheidend Wichtiges: den Gefallenen eine würdige Ruhestätte mit Namen und Bestandsgarantie zu geben und sie somit dem Vergessen zu entreißen. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass sich die Lebenden über die Gräber hinweg die Hände reichen, sich miteinander bekannt und vielleicht sogar vertraut machen. Die Jugendlichen sind froh, dass sie etwa in Verdun nicht alleine bleiben mit ihren Eindrücken und Emotionen. Mir selbst geht es stets ebenso, wenn ich dorthin fahre oder auch in eine der Höllen der Shoa, nach Auschwitz oder Dachau: Zwar möchte ich einerseits eine Zeit alleine mit mir und meinen Gedanken sein, aber ich brauche andererseits auch den Rückhalt einer Gemeinschaft, das Gefühl, dass meine Eindrücke mitgetragen werden. Im Rahmen der internationalen Jugend- und Bildungsarbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge werden Seminare und Veranstaltungen durchgeführt sowie Reisen zu Kriegsschauplätzen, Gedenk- und Kriegsgräberstätten angeboten. Ein Tag in Verdun und der Besuch des Mémorial in Fleury lässt die jungen Menschen die Hölle erahnen, die Foto: Volksbund-Archiv Workcamp in Cannock Chase/Großbritannien 2009 9 Es ist ein meist wortloses Geschehen, es braucht lediglich kleine und zärtliche Gesten des gemeinsamen Gedenkens. Obwohl wir in Zeiten leben, wo Tod und Trauer allzu privatisiert oder gar tabuisiert werden, will der Mensch doch seine Anteilnahme und Trauer zeigen. Sehr emotional haben wir dies beim Selbstmord von Robert Enke erlebt, dem Torhüter von Hannover 96. Sie geschah gleichzeitig still und öffentlich. Keiner schämte sich der Tränen vor dem Unfassbaren. Wie wenig müssen wir uns erst schämen, wenn wir am Volkstrauertag vor dem Grauen eines millionenfachen Leids stehen, das zeitlich zwar weit entfernt scheint, aber immer wieder neu offenbart, wie sehr der Einzelne, ob Soldat oder Zivilopfer, einer unmenschlichen Erwartungshaltung ausgesetzt war: Wie viele sind in den Tod gegangen im festen Glauben, für „Gott und Vaterland“ oder für „Führer und Vaterland“ zu sterben – ein Hohn auf den lebendigen Gott und eine Schande für unser Land angesichts des sinnlosen Blutvergießens und der modernen Form von Menschenopfern! An einen solchen Gott habe ich nie geglaubt, einem solchen Vaterland diene ich nicht, und ein solcher Führer möge uns für alle Zukunft erspart bleiben! Vielmehr entzünde ich hier die Flamme des Gedenkens für die Gefallenen und die zivilen Opfer unserer Stadt, für die Gefallenen in meiner eigenen Familie, die ich nicht kannte, und versichere darüber hinaus meine Anteilnahme den Familien der Gefallenen in den kriegerischen Auseinandersetzungen bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr in unseren Tagen. Als Christ hoffe ich, dass sie zur Auferstehung der Toten geführt werden und ihnen ihre individuelle Schuld vergeben wurde. Noch ein weiteres Argument möchte ich anbieten, warum es sinnvoll ist, den Volkstrauertag zu begehen. Aus der Selbsterkenntnis, die Unschuld verloren zu haben, und dem unbän- digen Wunsch, durch Aussöhnung und Freundschaft diesen Stand wiederzuerlangen, sowie der öffentlichen Trauer, die den Einzelnen nicht alleine und anonym lässt, sondern die menschliche Sehnsucht nach Solidarität und Gemeinschaft gerade an dieser Grenze des Menschlichen zeigt, ergibt sich die Schlussfolgerung, dass nur ein Weg möglich ist, dies zu erreichen: den Weg der Liebe, und zwar wirklicher Liebe – so wie sie uns Jesus in der Bergpredigt gelehrt hat. Auch die politischen Ideologen und Kriegstreiber haben von Liebe geredet, etwa von Vaterlandsliebe. Aber wenn sie von Liebe sprachen, wurden sie höchstens rührselig und meinten doch nur sich selbst und ihresgleichen. Die Bergpredigt Jesu vermag am Volkstrauertag unser Herz zu weiten. Gleichzeitig schärft sie den Verstand, sodass wir erkennen: So etwas wie eine „Gnade der Geschichte“ gibt es nicht. Die Formulierung hat keinen Sinn. Gnade ist nicht ein beliebiger Begriff, sondern gehört in eine personale Beziehung: von Gott und Mensch oder von Mensch und Mensch. Gnade ist das unverdiente Geschenk der Liebe, die es allein zwischen Personen gibt. In der Geschichte gibt es keine Gnade, sondern nur Erkenntnisse und Konsequenzen, die wir für unser Staatswesen und das Zusammenleben der Menschen ziehen. Das klingt nüchtern, ist aber dennoch ehrlich – und anspruchsvoll zugleich. Abschließend möchte ich am heutigen Sonntag, dem Volkstrauertag, noch daran erinnern, dass trotz des traurigen Gedenkens der Sonntag nach christlichem Verständnis der erste Tag einer neuen Woche ist, weil Jesus Christus von den Toten auferstand – als Erster der Entschlafenen. Was wäre unsere Trauer, öffentlich oder privat, gäbe es keine Hoffnung? 10 Pfarrer Jürgen Doetsch, Leiter der Katholischen Akademie Trier Gedichte zum Volkstrauertag Vater Ein bezaubernder Frühlingstag im Mai. Er verführt mich dazu, im blühenden Garten ein paar Blumen zu pflücken und sie zum Friedhof zu tragen. Eine eigentümliche Stille empfängt mich hier. Schwere, von Stiefmütterchen duftgeschwängerte Luft sauge ich in mich hinein. So intensiv können Blumen nur in der Maisonne duften. Gedankenverloren schlendere ich zu einem mir vertrauten Grab. Die Ruhe tut gut. Es rührt sich nichts. Fast ist es so, als wage kein Laut diese Stille zu durchbrechen. Das Land, in dem er als Soldat sein Leben lassen musste, ist mir fremd geblieben, so fremd, wie auch er mir blieb. Wie gerne hätte ich einmal den Klang seiner Stimme oder sein Lachen gehört. Wie sehr hatte ich mir immer gewünscht, dass seine Arme mich umschlingen, seine Hand mir über den Kopf streicht. Er hatte sich so sehr auf mich gefreut und durfte mich nur ganz kurz erleben. Ob Menschen, die immer einen Vater hatten, begreifen können, welche Sehnsüchte und Wünsche vaterlose Kinder haben? Eine Hand voll Erde lasse ich durch meine Finger rieseln. Erde, die uns alle einmal aufnimmt. Ob Freund oder Feind, ob gut oder böse, der Erde ist das egal. Einmal wird auch mich diese Erde aufnehmen. Dann werde ich meine Sehnsucht stillen können. Sicher schließt er mich dann in seine starken Arme. Mein Vater kommt mir in den Sinn. Warum darf er nicht in dieser Heimaterde ruhen? Warum können diese bunten Frühlingsboten nicht sein Grab schmücken? Wo mag er zur letzten Ruhe gebettet sein? Werde ich es je einmal erfahren? Vielleicht stehen später meine Kinder einmal hier am Grab. Dann werde ich ihm zublinzeln und sagen: „Wieder Menschen, die Sehnsucht haben, Vater." Annegret Kronenberg 11 Gras Grass Stapelt die Körper hoch in Austerlitz und Waterloo. Schaufelt sie unter und lasst mich nur machen – Ich bin das Gras; ich bedecke alles. Und stapelt sie hoch in Gettysburg. Und stapelt sie hoch in Ypern und Verdun. Schaufelt sie unter und lasst mich nur machen. Zwei Jahre, zehn Jahre, und Mitreisende fragen den Schaffner: Was ist dies für ein Ort? Wo sind wir nun? Ich bin das Gras. Lasst mich nur machen. . Pile the bodies high at Austerlitz and Waterloo. Shovel them under and let me work – I am the grass; I cover all. And pile them high at Gettysburg. And pile them high at Ypres and Verdun. Shovel them under and let me work. Two years, ten years, and passengers ask the conductor: What place is this? Where are we now? I am the grass. Let me work. Carl Sandburg Foto: Volksbund-Archiv Kriegsgräberstätte in Narvik/Norwegen 2009 12 Lesungsvorschlag Vater-Sohn-Soldatengrab in Polen Aus beiden Weltkriegen blieben Tausende von Gräbern unbekannter Soldaten zurück. Allenfalls wurde die Ruhestätte durch ein schlichtes Holzkreuz ohne Namen gekennzeichnet, sodass eine Identifizierung erst nachträglich, im Zuge der Überführung auf eine der großen Kriegsgräberstätten, anhand der Erkennungsmarke möglich wurde. Viele andere Gefallene ruhen weiter an unbekannten Orten, wo sie notdürftig durch ihre Kameraden oder andere Soldaten beerdigt wurden – irgendwo am Rande der Kriegsschauplätze und Schlachtfelder. Die folgende Geschichte erzählt, wie es dazu kam, dass Vater und Sohn – der eine im Ersten, der andere im Zweiten Weltkrieg gefallen – im selben Grab in Polen bestattet wurden. Die Grablage selbst ist unbekannt. „Damals in Polen war es ähnlich wie heute. Es war ein regennasser Novembertag, und Nebel hing über kahlen Ästen“, setzte Oberlehrer Heck an zu erzählen. „An einem solchen Tag hatten wir den ersten Toten in meiner Kompanie. Eine seltsame Geschichte knüpft sich daran.“ Die Köpfe der Männer am runden Tisch im Wirtshaus des kleinen fränkischen Städtchens wandten sich dem Sprecher zu. Sie wussten, wenn der Oberlehrer erst einmal anfing zu berichten, dann steckte mehr dahinter. Sie mussten nicht lange warten. Hecks Gesicht nahm einen nachdenklichen Zug an, seine Hand umschloss den Fuß des Weinglases vor ihm. Dann erzählte er: „Wir trafen nach einem langen, ermüdenden Marsch in einem kleinen Dorf namens Wlochow ein. Unter uns war ein junger Bursche, der zu allem anderen geschaffen sein mochte, nur nicht zum Kriegshandwerk. Udo Wiegert hieß er, war der Sohn eines im Ersten Weltkrieg gefallenen Künstlers und selbst Maler. Wiegert war zart gebaut, schwächlich und oft kränklich, den Strapazen des harten Soldatendaseins im Frieden kaum, im Kriege schon gar nicht gewachsen. Ich hatte den Eindruck, dass ihn irgendetwas anderes antrieb und ihm über die oft unerträglichen Lebensumstände während des Feldzuges hinweghalf – vielleicht die Hoffnung auf ein fernes Ziel. Welcherart freilich dieses Ziel war und dass er es tatsächlich erreichte, das habe ich damals nicht wissen können. An jenem Abend in Wlochow hatte ich beim Abendappell noch an das Verbot erinnert, sich niemals einzeln außer Rufweite in den nahen Wald zu begeben. Trotzdem meldete mir gegen Mitternacht – ich wollte mich eben zum Schlafen niederlegen – einer meiner Zugführer das Verschwinden des Soldaten Wiegert. In seinem Quartier sei er ebenso wenig zu finden wie in einem der anderen von der Kompanie belegten Häuser. Also befahl ich die Kompanie zum Appell in einer halben Stunde und kleidete mich fluchend wieder an. In der Tat fehlte Wiegert, und niemand wusste, wo er war. Eine Suchaktion in dem nachtdunklen, unwegsamen und unbekannten Gelände war sinnlos. Bei Tage würde es sicher besser möglich sein, aber, so hoffte ich, bis dahin hatte sich Wiegert vielleicht auch wieder eingefunden. Doch dann erfuhr ich etwas von dem Zug- 13 führer, einem bedächtigen Feldwebel, was meine Sorgen freilich vergrößerte. Er erzählte, dass Wiegert in eine merkwürdige Aufregung geraten sei, als er erfuhr, dass dieses polnische Dorf Wlochow hieß. Dort sei sein Vater im Ersten Weltkrieg gefallen und sicher auch hier in der Nähe begraben, habe er seinen Kameraden gegenüber geäußert. Dies warf ein anderes Licht auf das Verschwinden Wiegerts. Sollte der Bursche sich etwa mutterseelenallein auf die Suche nach dem Grab seines Vaters gemacht haben? An diesem Abend fand ich über meinen sorgenvollen Gedanken erst spät in den Schlaf. An anderen Morgen kam ein polnischer Bauer aufgeregt zur Schreibstube geeilt und meldete, droben im Wald liege ein „germanski“ Soldat. Ja, und hier fanden wir ihn – tot. Das Merkwürdige aber war, dass wir nur wenige Meter von der Stelle entfernt beim Suchen nach Spuren auf ein altes, verwittertes Grabholz stießen, das zwar ohne Kennzeichen war, aber die typische Form eines deutschen Soldatenkreuzes hatte. Ob es Wiegerts Vater war, der hier begraben lag, wer konnte es sagen? Wiegert war wohl bei der Nachforschung nach der Ruhestätte seines Vaters auf Widerstandskämpfer gestoßen. Zwar hatte er sich, wie die Fußspuren zeigten, hart gewehrt, aber der Übermacht musste er rasch erlegen gewesen sein. Der Überfall war lautlos geschehen, der Wald hatte alle Geräusche erstickt. Wir betteten den Soldaten Udo Wiegert in das alte Soldatengrab. Einer der Landser machte eine Aufnahme, die ich dann an die Mutter bzw. Gattin der beiden Gefallenen schickte. Es ist mir bislang kein anderer Fall bekannt geworden, dass Vater und Sohn in zwei verschiedenen Kriegen gefallen sind und in einem gemeinsamen Soldatengrab nebeneinander liegen.“ Wilhelmshavener Zeitung 1958 Foto: Volksbund-Archiv Feldgrab in Polen 1942 14 Es bleiben Fragen Sprecher/in Sprecher/in Nebel, Regen, Wind, Kälte, entlaubte Bäume und Sträucher, bedrückende, gespenstische Stimmung: es ist November, der traurige, stille Monat im Jahr. Zigtausende Menschen zieht es zu den Gräbern ihrer Angehörigen, unzählige Lichter verwandeln die Friedhöfe in ein „Meer leuchtender Seelen“. Allerheiligen und Allerseelen sind Tage der Begegnung, Tage, an denen Lebende und Tote eine Familie bilden. Und doch bist du ein „Kriegskind“, indem du nicht merkst, wie der Krieg dich spielend erfasst. Wie du Werkzeug wirst im Kampf Mensch gegen Mensch. Wie in dir Samen gesät werden, aus denen Kriege und Gewalt erwachsen. Du findest es toll, als „Bildschirmkämpfer“ Macht, Waffen und gar „mehrere Leben“ zu haben und Menschen wie Marionetten zu befehligen und in einen wenn auch fiktiven Tod zu schicken. Am Ende möchtest du jedenfalls Sieger sein. Und was ist das für ein Sieg? Sprecher/in Gefühlsduseleien! Bald ist wieder einmal Volkstrauertag, ein Tag, mit dem ich nichts anzufangen weiß! Trauert denn unser Volk? Kann ein ganzes Volk überhaupt trauern? Wer oder was ist denn betrauerungswürdig? Ist es nicht ein Tag verordneter Trauer mit ritueller Gestaltung? Ich wüsste nicht, um wen oder was ich trauern könnte. Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, heißt es formal. Ich bin ein „Kriegskind“, kenne den Krieg nur als spannendes Abenteuer vor dem Fernseher, aus Büchern, im Computer oder als Spektakel im Kino. 15 Wolfgang Held Geleitwort (für den kirchlichen Bereich) Der Zweite Weltkrieg ging vor 65 Jahren zu Ende. Seine Nachwirkungen sind bis in unsere Gegenwart zu spüren. Manche Bilder des Krieges bleiben lebendig, eines steht uns heute besonders vor Augen. Der Volkstrauertag fällt in diesem Jahr auf den 14. November. Vor 70 Jahren, am 14. November 1940, flog die deutsche Luftwaffe einen schweren Bombenangriff auf die englische Stadt Coventry. Die Folgen waren verheerend. Mehr als 550 Menschen wurden getötet und weit über 4000 Häuser zerstört. Auch die mittelalterliche Kathedrale fiel den Bomben zum Opfer. Dieser Bombenangriff ist zu einem Symbol für die Schrecken des Krieges geworden. Coventry ist ein Zeichen dafür, dass im Krieg die einfachsten Grundregeln menschlichen Zusammenlebens außer Kraft gesetzt sind, etwa die Schonung jener, die sich nicht direkt zur Wehr setzen können und einem Angriff ausgeliefert sind. Kathedrale, ist seitdem ein Zeichen für Versöhnung, Frieden und Feindesliebe. „Vater, vergib“, heißt es, nicht „Vater, vergib ihnen!“ Auf diese Weise für Versöhnung einzutreten ist nicht leicht angesichts der Schrecken des Krieges. Doch Friede entsteht, wo Menschen erkennen, dass sie aneinander schuldig werden. Und die Erfahrung von Vergebung ermutigt, sich für den Frieden einzusetzen – auch wenn es aussichtslos erscheint. Der Volkstrauertag erinnert daran, dass dies immer wieder neu versucht werden muss. In einer Welt, in der die bewaffneten Konflikte und Auseinandersetzungen zunehmen, werden wir ermutigt, stets neu den Frieden zu suchen und ihm nachzujagen. Doch Coventry steht gleichermaßen dafür, dass der Wille zur Versöhnung stärker ist als Hass und Vernichtung. In der Weihnachtsmesse des Jahres 1940 rief der damalige Propst Richard Howard in einer von der BBC direkt aus den Ruinen der Kathedrale übertragenen Weihnachtsmesse zur Versöhnung auf. „Vater, vergib“, so betete der Propst – wie auch schon am Morgen nach dem Bombenangriff. Und später ließ er die Worte „Father forgive“ in die Chorwand der Ruine einmeißeln. Das Nagelkreuz von Coventry, zusammengefügt aus drei Zimmermannsnägeln aus der Balkendecke der zerstörten 16 Präses Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD, Düsseldorf Wir alle haben gesündigt und mangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten. Darum lasst uns beten: Vater, vergib! Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse: Vater, vergib! Das habsüchtige Streben der Menschen und Völker, zu besitzen, was nicht ihr Eigen ist: Vater, vergib! Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet: Vater, vergib! Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der anderen: Vater, vergib! Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Heimatlosen und Flüchtlinge: Vater, vergib! Den Rausch, der Leib und Leben zugrunde richtet: Vater, vergib! Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf dich: Vater, vergib! Lehre uns, o Herr, zu vergeben und uns vergeben zu lassen, dass wir miteinander und mit dir in Frieden leben. Darum bitten wir um Christi willen. Coventry-Gebet, EG 828 Foto: Volksbund-Archiv 17 Wie kann Gott das zulassen? Gedanken zum Predigttext des Volkstrauertages 2010 – Lukas 21, 5-19 mächtig fühlen. Wo bleibt da die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes? Wie kann Gott das zulassen? Diese Frage, ja diese Anklage hallt durch die Jahrhunderte. Wie kann Gott das zulassen? So haben viele besonders leidenschaftlich in und nach den furchtbaren Weltkriegen des letzten Jahrhunderts gefragt, nach den Konzentrationslagern, dem Völkermord an den Juden, nach Vertreibung und Flucht. Nicht wenige Menschen kommen gerade angesichts des Leidens Unschuldiger an den Punkt, sich zu fragen, ob Gott überhaupt existiert. Das Evangelium, das die Leseordnung der katholischen Kirche in diesem Jahr am Volkstrauertag vorsieht (Lk 21,5–19), nimmt uns zunächst nichts von dieser Frage. Im Gegenteil: Jesus rechnet offenbar damit, dass schreckliche Gräuel bevorstehen. Er rechnet mit Krieg und Unruhen, mit Erdbeben und Seuchen. Er weist darauf hin, dass diese Welt so ist, wie sie ist: „Diese Dinge müssen geschehen“ (vgl. Lk 21, 9). Und in geradezu apokalyptischen Bildern malt er das Ende der Welt aus, das Ende aller menschlichen, religiösen und politischen Ordnungen. „In Stalingrad die Frage nach Gott stellen, heißt, sie verneinen“, so schreibt der Sohn eines Pastors in seinem letzten Brief an den Vater. „Ich habe Gott gesucht: in jedem Trichter, in jedem zerstörten Haus, an jeder Ecke, bei jedem Kameraden, wenn ich in meinem Loch lag und am Himmel. Gott zeigte sich nicht, wenn mein Herz nach ihm schrie. Die Häuser waren zerstört, die Kameraden so tapfer oder so feige wie ich, auf der Erde waren Hunger und Mord, vom Himmel kamen Bomben und Feuer, nur Gott war nicht da. Nein, Vater, es gibt keinen Gott …“ Wie kann Gott das zulassen? Diese Frage ist in der Tat auch für uns Christen bedrängend, vor allem dann, wenn wir in unseren Familien und in unseren weiteren Lebenszusammenhängen selbst mit Leiden konfrontiert sind, das aus Gewalt und Hass entsteht; vor allem da, wo wir uns dieser Gewalt gegenüber ohn- Mit der Schilderung dieser sogenannten „kleinen Apokalypse“ will Jesus den Menschen, mit denen er spricht, jedoch keine Angst machen. Er stößt vielmehr zum Kern ihrer und damit auch unserer tiefsten Bedrängnis vor. Er nimmt ihre und unsere tiefste Not ernst und thematisiert sie. Ja, so sagt er, ihr habt recht, das alles gibt es und wird es geben: Krieg, Vernichtung, Terror und das Leiden Unschuldiger. Das alles ist so; und ihr seid mittendrin. Aber, und das ist nun das Entscheidende: Jesus lädt dazu ein, mit all der Angst, der Klage und der Verzweiflung einen Schritt weiterzugehen. Er lässt sich nicht auf die Frage ein, wie Gott das alles zulassen kann, sondern lenkt den Blick darauf, dass Gott der Herr der Geschichte ist und bleibt. Jesus nimmt uns 18 sozusagen mit dieser Frage an der Hand, um uns mit ihr Gott selbst zuzuwenden, der größer ist als unsere Verzweiflung und Bedrängnis. „Bleibt standhaft, lasst euch nicht beirren, lasst euch nicht erschrecken!“, so ruft er uns zu. „Denn Gott ist an eurer Seite.“ Jesus will unsere bedrängende Frage nach dem Leid in Hoffnung verwandeln. Diese Hoffnung antwortet gewiss nicht auf das Warum. Sie beantwortet nicht die Frage, warum junge Soldaten in der Hölle Stalingrads enden mussten. Sie beantwortet auch nicht die Frage des Iwan in Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“, warum auch die Kinder „zum Dünger für Gottes zukünftigen Himmel werden“. Wir wissen nicht, warum Gott solche Wege und Umwege geht. Aber Jesus Christus kann uns Mut machen, sich durch das Dunkel solcher Fragen hindurch an Gott festzumachen. Er selbst geht diesen Weg voran. Und es ist vor allem die Botschaft von seiner Auferstehung, die uns ein Licht gibt, dem wir uns anvertrauen können. Diese Botschaft besagt: Es gibt das Leiden, den Terror, die Gewalt und den Tod. Aber Gott erweist sich stärker als all das. So wie er Jesus in sein unzerstörbares Leben hineinnimmt, so will er auch an uns allen handeln. Gerechtigkeit wird das letzte Wort haben, Frieden und Freiheit werden sich durchsetzen – und die Liebe ist dem Tod gewachsen. Damit dies keine fromme Jenseitsvertröstung bleibt, ruft Jesus Christus uns dazu auf, mit ihm dafür zu kämpfen, dass diese Auferstehung schon hier und heute beginnt. Dies kann auf ganz verschiedene Weise geschehen. Im Evangelium ermuntert Jesus die Seinen dazu, in der Verfol- Foto: Volksbund-Archiv Denkmal auf dem Dukla-Pass/Slowakei 19 gung standzuhalten und mitten in der Bedrängnis Zeugnis zu geben für Gott. Das ist die Lichtspur der christlichen Märtyrer, angefangen bei Stephanus bis hin zu Edith Stein, Alfred Delp oder Dietrich Bonhoeffer. Sie halten sozusagen im Augenblick der Vernichtung den Himmel offen und zeigen auf eindringliche Weise, dass Gott tatsächlich der Herr der Geschichte ist. Nicht immer wird ein so radikales Zeugnis verlangt. Doch immer legt Gott sein Handeln auch in unsere Hände. Er schickt uns sozusagen an die Arbeit: heilbares Leiden zu lindern, Trauernde zu trösten, Frieden zu stiften und für Recht und Freiheit zu kämpfen. Uns allen wird zugemutet, Verantwortung zu übernehmen, damit diese Welt ein wenig menschli- cher wird. Von Albert Schweitzer stammt der Ausspruch: „So sehr mich das Problem des Elends in der Welt beschäftigte, so verlor ich mich doch nie im Grübeln darüber, sondern hielt mich an den Gedanken, dass es jedem von uns verliehen sei, etwas von diesem Elend zum Aufhören zu bringen.“ Das wäre ein Ansatzpunkt, um neuen Mut zu schöpfen. Lassen wir uns an diesem Volkstrauertag dazu ermutigen, so zu handeln, als ob Gott nur unsere Hände hätte – und zugleich alle Fragen, alle Vergeblichkeit und all unsre Grenzen seinen Händen anzuvertrauen. Bischof Dr. Gerhard Feige, Magdeburg Foto: Uwe Zucchi Gedenkfeier auf der Kriegsgräberstätte Lommel/Belgien 2009 20 Alles vergeht, auch wir selbst Gedanken zum Predigttext des Volkstrauertages 2010 – Römer 8, 18-25 Um das Ende geht es in diesen Wochen am Ende des Kirchenjahres. Das Ende des Kirchenjahres erinnert uns an unser eigenes Ende: Alles vergeht, auch wir selbst. Der Volkstrauertag erinnert uns insbesondere an die vielen Millionen Menschen, deren Leben gewaltsam und brutal geendet ist in den beiden verheerenden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts. Wenn die Lebenden am Volkstrauertag 2010 besonders dieser Toten gedenken, so erinnern sie damit an den Schmerz und das Grauen, durch das die vielen gegangen sind. Und sie verpflichten sich in diesem Gedenken zur Versöhnung über die Gräber hinweg und zum Frieden durch Gerechtigkeit. Sinnlos bleibt das Sterben der Millionen Kriegstoten auf allen Seiten. In sich selbst trägt es keinen Sinn. Es ist gut, dass wir vom Heldengedenken früherer Zeiten abgekommen sind, das versuchte, dem sinnlosen Tod einen Sinn zu verleihen; es ist gut, dass uns das Gedenken zu einem entschiedenen und ungeteilten Eintreten für einen Frieden ohne Gewalt verpflichtet. Solches Gedenken ist ganz in der Hoffnung verwurzelt, von der Paulus im achten Kapitel des Römerbriefs schreibt. Gerade weil Christen eine Hoffnung über alle menschlichen Möglichkeiten hinaus haben, gerade deshalb sind sie dazu verpflichtet, die Leiden dieser Weltzeit ernst zu nehmen. Ja, sie teilen das Foto: Volksbund-Archiv Eingang zur Kapelle auf der Kriegsgräberstätte Recogne-Bastogne/Belgien 21 Seufzen und Stöhnen der leidenden Kreatur im Angesicht von Ende und Vergänglichkeit und Nichtigkeit. Allerdings: Die Behauptung, die Paulus zu Beginn dieses Abschnitts aufstellt und in drei Argumentationssträngen erläutert, diese Behauptung ist eine große Provokation: „Ich behaupte: Nicht ins Gewicht fallen die Leiden der gegenwärtigen Zeit gegenüber der bevorstehenden Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll."1 Wie ein Grat ist diese Behauptung: Nach der einen Seite hin droht der Absturz in Richtung Schönreden und Bagatellisieren von Leiden: „Na, ist doch nicht so schlimm. Gegenüber dem, was im Jenseits bzw. in der Zukunft auf uns wartet, sind die Gegenwart und ihre Leiden leicht zu tragen. Ein Christ bleibt trotz allem, und sei es noch so schlimm, zuversichtlich und getröstet.“ Und nach der anderen Seite hin droht der Absturz in Form des Widerspruchs zu dieser Behauptung: Jetziges Leiden darf in keiner Weise relativiert werden; es wird so absolut gesetzt, dass es ausweglos erscheint. Dann hilft meistens nur Verdrängung, um mit so unermesslich viel und großem Leid zurecht zu kommen. Beide Absturzgefahren kennen wir reichlich aus der Geschichte und Kirchengeschichte, beide sind in unserer Gesellschaft präsent, auch unter Christen. Die Wanderung der Christen auf dem Grat zwischen der jetzigen Leidenszeit und der künftigen Herrlichkeit kann nur gelingen, wenn sie die Balance halten zwischen dem Jetzt und dem Dann. Und: wenn sie beim Balancieren auf Christus schauen. Er hat Leiden und Tod, Verfolgung und gewaltsame Unterdrückung am eigenen Leib ertragen. Ihn, den Geschundenen, hat der ewige Gott zu unvergänglichem Leben auferweckt. Sein Kreuz ist vom Marterpfahl zum Hoffnungszeichen geworden. In seiner Nachfolge auf dem Grat zwischen Jetzt und Dann zu bleiben, ohne abzustürzen, Foto: Volksbund-Archiv Kriegsgräberstätte in Fort de Malmaison/Frankreich 2008 22 das heißt zum Einen: Das Ausmaß des Leidens kann ganz in den Blick kommen und auch benannt werden und muss nicht schöngeredet (oder „heldengedenkredet“) werden, weil das Licht der Erlösung darauf fällt und weil in diesem Licht erst das ganze Ausmaß des Leidens sichtbar wird. Zugleich wird es in diesem Licht der kommenden Erlösung erst aushaltbar. Denn die Gewissheit der kommenden Erlösung geht davon aus: Das Leiden wird zu Ende gehen, es wird vergehen, es wird zu einem guten Ende kommen. Es ist „nur noch" eine Frage der Zeit. Eines Tages werden wir bei Gott ganz geborgen sein und sehen und spüren, was wir jetzt „nur" hoffen, und Trost und Heilung für immer finden. Und zum anderen heißt dies für die Nachfolge auf dem Grat zwischen Jetzt und Dann: Wenn seine Nachfolgerinnen und Nachfolger auf den Gekreuzigten und Auferstandenen voll Hoffnung blicken, dann werden sie von ihm an die Seite der Leidenden geschickt. Dort ist ihr Platz. Eben weil Gott allem Leiden ein Ende setzen wird, ja in Christus schon gesetzt hat, genau deshalb können wir, in der gewissen und getrosten Hoffnung dieses Endes, heute schon allen Formen von Leiden und Ungerechtigkeit entschieden widerstehen. Ein Vorgeschmack der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes soll den schalen Geschmack der Nichtigkeit durchsäuern wie Sauerteig das Brot. Menschen sollen schon jetzt sehen und schmecken, dass Gott ein Gott des Lebens ist und deshalb ein gutes Ende für alle Kreatur schaffen wird. Deshalb ist „schon unser Warten als solches erfüllt von der Gegenwart des Erwarteten". liegt dieses Ende der Schöpfung schon in den Wehen, das Stöhnen über den Gebärschmerz drängt bereits über unsere Lippen. Heute schauen wir auf fast zweitausend Jahre Weltzeit mit vielen, kaum fassbaren Leidensund Gewaltzeiten zurück – und können zu Recht fragen: Paulus, wann endlich kommt dieses nahe Ende? Macht solches Warten und Hoffen noch Sinn? Was würde Paulus uns heute schreiben? Er würde uns, so bin ich gewiss, auch schreiben: Haltet den Schmerz wach! Gebt die Toten nicht dem Vergessen anheim. Bleibt im Gedenken dem treu, der der Schöpfer und Erlöser eures Lebens ist. Und lasst euch von den Stätten und Zeiten des Gedenkens in einen Alltag rufen, die die Spur des Lebens als eine Spur von Gerechtigkeit und Frieden in dieser Welt breiter macht als die Schneisen, die Tod, Ungerechtigkeit und Krieg schlagen. Auch für heute gilt: Die gegenwärtige Zeit und ihre Leiden bleiben „leichtgewichtig", weil in der anderen Waagschale der künftigen Herrlichkeit das Leidensgewicht des Gekreuzigten und Auferstandenen ist. Damit ist alles Leiden schon von seinem Leben umfangen. So mögen uns die alten Worte des Paulus unsere Herzen stärken und sie mit brennender Geduld erfüllen. 1 Paulus und die ersten Christen haben das gute Ende der schlimmen Knechtschaft noch zu ihren Lebzeiten, jedenfalls in naher Zukunft erwartet. Mit einem dramatisch-lebendigen Bild drückt er dies aus: Wie bei einer Geburt 23 Übersetzung nach Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer, EKK NT Band VI/2, 1980, S. 146 Ilse Junkermann, Magdeburg, Landesbischöfin der Evang. Kirche in Mitteldeutschland Fürbittengebet zum Volkstrauertag Barmherziger Gott, wir danken dir für 65 Jahre Frieden in unserem Land, für alles was gelungen ist an Neuanfang und Wiederaufbau. Wir danken dir für zwanzig Jahre in wiedergewonnener Einheit unseres Vaterlandes. Doch nicht alle Mitbürger haben durch die Wiedervereinigung und den Frieden neuen Lebensmut gewonnen. Manche finden sich immer noch nicht zurecht oder nehmen ihre Möglichkeiten nicht wahr. So kommen wir mit unseren Bitten und rufen zu dir: Herr, erbarme dich. Wir bitten dich für die bis heute vom Krieg Gezeichneten, deren Körper verletzt und deren Seelen krank sind, die die Schmerzen nicht loswerden und die durch ihre Ängste noch immer nicht zur Ruhe kommen. Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich. Wir bitten dich für alle, die in dieser Welt besondere politische Verantwortung tragen, dass sie nicht den Verlockungen der Macht erliegen, sondern dass der Wille zum Frieden und zur Wohlfahrt der Völker sie regiere. Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich. Wir denken an alle, die am Krieg verdienen. Sie schüren Konflikte, damit sie noch mehr ihrer todbringenden Waffen verkaufen können. Dies klagen wir dir in ohnmächtigem Zorn. Gib den Mut, der Lust zu widerstehen, Angst und Schrecken zu verbreiten. Gib ihnen die Liebe zu den Menschen ins Herz und die Achtung vor dem Leben, das du geschaffen hast. Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich. Wir bitten dich für alle, die Opfer von Gewalt und Fanatismus, von Rassenwahn und Folter sind – für alle, die sich fürchten vor Menschen und vor dem, was diese ihnen und anderen antun können. Gib, dass sie Hilfe finden, Menschen, die ihnen Mut machen und denen sie in ihrer Angst vertrauen können. Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich. 24 Wir bitten dich für alle, die ihre Heimat verloren haben, und für die Ungezählten auf der Flucht; für alle, die in eine ungewisse Zukunft unterwegs sind. Wir bitten dich für zerrissene Familien, für entwurzelte und zu Gewalttaten missbrauchte Kinder. Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich. Wir bitten dich für die Verblendeten und alle, die sich verraten fühlen: Lass sie begreifen, dass du, Gott, Liebe bist. Daran lass uns durch nichts und niemanden irre werden. Aus deiner Liebe möchten wir Kraft schöpfen und damit das Böse besiegen; das Böse in uns selbst, und das Böse, das uns in anderen begegnet. Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich. Barmherziger Gott, schenke Versöhnung und Frieden, heile die Wunden und gib neuen Lebensmut. Darum bitten wir im Vertrauen auf Jesus Christus, unseren Herrn. Amen Foto: Volksbund-Archiv Einweihung der Kriegsgräberstätte Berjosa/Belarus 2005 25 Das deutsche Totensignal Das Lied vom „guten Kameraden“ Ich hatt’ einen Kameraden Ich hatt einen Kameraden, einen besseren findst Du nit. Die Trommel schlug zum Streite, er ging an meiner Seite in gleichem Schritt und Tritt, in gleichem Schritt und Tritt. Eine Kugel kam geflogen; gilt es mir oder gilt es dir? Ihn hat es weggerissen, er liegt mir vor den Füßen, als wär´s ein Stück von mir. Will mir die Hand noch reichen, derweil ich eben lad. „Kann dir die Hand nicht geben; bleib du im ew’gen Leben mein guter Kamerad!“ Volkslied nach Uhland Liederbuch der Bundeswehr Foto: Volksbund-Archiv Die Melodie des „Liedes vom guten Kameraden“ gehört zum festen Bestandteil militärischer Trauerzeremonielle und anderer musikalisch umrahmter Gedenkveranstaltungen, so auch zum Volkstrauertag. Wer an solchen Feiern teilgenommen hat, weiß, wie ergreifend die Melodie für die meisten Teilnehmer ist. Doch hegt auch mancher Vorbehalte gegen solcherart Sentimentalität: Das Lied steht heute im Verdacht einer hymnischen Verklärung von Soldatenopfer und kriegerischem Solidaritätsgefühl – „Kameradschaft“ ist zum Unwort mutiert. Der Volkstrauertag bietet Anlass, dem Entstehen und der späteren Entwicklung des traurigsten und berühmtesten aller deutschen Soldatenlieder nachzugehen. Der Text stammt von dem schwäbischen Romantiker Ludwig Uhland (1787–1862) und entstand, angeregt durch das Lied „Rewelge“ aus „Des Knaben Wunderhorn“, anlässlich des Tiroler Freiheitskampfes unter Andreas Hofer. Das Gedicht „Der gute Kamerad“ wurde aber erst drei Jahre später in den „Deutschen Dichterwald“ von Justinus Kerner aufgenommen – das war 1812, als 15 000 an Napoleon verkaufte württembergische Soldaten in den Russlandfeldzug mitziehen mussten. Die Mischung aus Trauer, Fatalismus und soldatischer Pflichterfüllung hat zu allen Zeiten die Menschen berührt, in seiner Innigkeit unterstrichen durch die Melodie eines alten Volksliedes, das von Friedrich Silcher bearbeitet wurde. Lazarett-Friedhof in Sologubowka/Russland, 1942 26 Früher wurden Begräbnisse musikalisch zumeist durch einen Trauermarsch und den Choral „Jesus, meine Zuversicht“ untermalt. Seit etwa 1871 wurde es zunehmend üblich, „Das Lied vom guten Kameraden“ bei offiziellen Anlässen zu spielen. Seit dem Ersten Weltkrieg gehört es zum festen Bestandteil des militärischen Abschiedszeremoniells, so z. B. bei der Beerdigung Hindenburgs 1934. Die Bundeswehr führt seit ihrem Bestehen diese Tradition fort. Nach festem Reglement ist das Lied bei oder nach Absenken des Sarges zu spielen, nicht vorher, zumeist durch einen einzelnen Trompeter. Auch deshalb ist es mit den „Totensignalen“ anderer Nationen vergleichbar, wie z. B. dem italienischen „Il silencio“ oder dem britischen „Last Post“. „Unsterbliche Opfer“ oder das „Lied vom kleinen Trompeter“, am Schluss folgte stets „Die Internationale“. Auf einer Einladungskarte zum Volkstrauertag 1971 heißt es: „Es wird gebeten, nach der Totenehrung – damals gesprochen von Bundeskanzler Willy Brandt – so lange stehen zu bleiben, bis das ‚Lied vom guten Kameraden‘ verklungen ist.“ Dieser Brauch gehört traditionell zur feierlichen Veranstaltung. So wird auch in diesem Jahr am Volkstrauertag die Melodie an vielen Orten in unserem Lande zu hören sein. Die Nationale Volksarmee der DDR hingegen erwies die militärischen Ehren durch den Trauermarsch von Chopin und das Arbeiterlied Foto: Uwe Zucchi Volkstrauertag auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in Berlin-Schönholzer Heide 2009 27 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Eine Kurzdarstellung Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist eine humanitäre Organisation. Er widmet sich im Auftrag der Bundesregierung der Aufgabe, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen. Der Volksbund betreut Angehörige in Fragen der Kriegsgräberfürsorge, er berät öffentliche und private Stellen, er unterstützt die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kriegsgräberfürsorge und fördert die Begegnung junger Menschen an den Ruhestätten der Toten. Heute hat der Volksbund etwa 600 000 aktive Mitglieder und Spender sowie über eine Million Gelegenheitsspender und Interessenten. Mit ihren Beiträgen und Spenden sowie den Erträgen aus der Haus- und Straßensammlung, die einmal im Jahr stattfindet, finanziert der Volksbund zu fast 80 Prozent seine Arbeit. Den Rest decken öffentliche Mittel des Bundes und der Länder. Gegründet wurde die gemeinnützige Organisation am 16. Dezember 1919 – aus der Not heraus. Die noch junge Reichsregierung war weder politisch noch wirtschaftlich in der Lage, sich um die Gräber der Gefallenen zu kümmern. Dieser Aufgabe widmete sich fortan der Volksbund, der sich als eine vom ganzen Volk getragene Bürgerinitiative verstand. Bis Anfang der dreißiger Jahre baute der Volksbund zahlreiche Kriegsgräberstätten aus. Ab 1933 unterwarf sich die Führung des Volksbundes aus eigenem Antrieb der Gleichschaltungspolitik der NS-Regierung. Die Errichtung von Soldatenfriedhöfen des Zweiten Weltkrieges übernahm der Gräberdienst der Wehrmacht. Erst 1946 konnte der Volksbund seine humanitäre Tätigkeit wieder aufnehmen. In kurzer Zeit gelang es, über 400 Kriegsgräberstätten in Deutschland anzulegen. 1954 beauftragte die Bundesregierung den Volksbund mit der Aufgabe, die deutschen Soldatengräber im Ausland zu suchen, zu sichern und zu pflegen. Im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen erfüllt der Volksbund seine Aufgabe in Europa und Nordafrika. In seiner Obhut befinden sich zurzeit 827 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten mit etwa 2,3 Millionen Kriegstoten. Mehr als 9 000 ehrenamtliche und 553 hauptamtliche Mitarbeiter/innen erfüllen die vielfältigen Aufgaben der Organisation. Nach der politischen Wende in Osteuropa nahm der Volksbund seine Arbeit auch in den Staaten des einstigen Ostblocks auf, wo im Zweiten Weltkrieg etwa drei Millionen deutsche Soldaten ums Leben kamen, d.h. mehr als doppelt so viele, wie auf den Kriegsgräberstätten im Westen ruhen. Diese Aufgabe stellt den Volksbund vor immense Schwierig- 28 Foto: Volksbund keiten: Viele der über hunderttausend Grablagen sind nur schwer auffindbar, zerstört, überbaut oder geplündert. Trotzdem richtete der Volksbund während der letzten Jahre über 300 Friedhöfe des Zweiten Weltkrieges und 190 Anlagen aus dem Ersten Weltkrieg in Ost-, Mittel- und Südosteuropa wieder her oder legte sie neu an. Dazu zählen 52 zentrale Sammelfriedhöfe. Über 30 Anlagen werden zurzeit instand gesetzt. Etwa 628 000 Kriegstote wurden umgebettet. Zur langfristigen Sicherung seiner Arbeit hat der Volksbund 2001 die Stiftung „Gedenken und Frieden“ gegründet. Mit der Anlage und Erhaltung der Friedhöfe bewahrt der Volksbund das Gedenken an die Kriegstoten. Die riesigen Gräberfelder erinnern die Lebenden an die Vergangenheit und konfrontieren sie mit den Folgen von Krieg und Gewalt. Zu diesem Zweck vermittelt der Volksbund unter anderem Fahrten zu den Kriegsgräbern, veranstaltet nationale und internationale Jugendlager zur Pflege von Soldatenfriedhöfen und informiert in Schulen und Schulfreizeiten. Das Leitwort lautet „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden“. Außerdem hat er in der Nähe von vier Friedhöfen Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten errichtet, wo Schul- und Jugendgruppen ideale Rahmenbedingungen für friedenspädagogische Projekte vorfinden. Bundeswehrsoldaten und Reservisten unterstützen den Volksbund durch Arbeitseinsätze auf in- und ausländischen Kriegsgräberstätten, bei der Organisation der Workcamps, bei Gedenkveranstaltungen sowie der Haus- und Straßensammlung. Der Volkstrauertag, der jedes Jahr im November von den Kommunen und vom Volksbund bundesweit ausgerichtet und unter großer Anteilnahme der wichtigen politischen und gesellschaftlichen Institutionen und der Bevölkerung begangen wird, ist ein Tag des Gedenkens und der Mahnung zum Frieden. Foto: Volksbund-Archiv Kranzniederlegung auf der Kriegsgräberstätte Langemark/Belgien 2008 29 Sammlungs- und Kollektenempfehlung Zu den Aufgaben des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. gehört es, Kriegsgräberstätten als Mahnmale gegen Krieg und Vergessen zu errichten und zu pflegen. Trotz der Fortschritte in der Abrüstung und trotz wachsender Friedenssehnsucht in der Welt geht das Töten und Getötetwerden weiter, werden Menschen dem Terror und der Gewalt ausgesetzt. Die Arbeit des Volksbundes ist nicht beendet, sie ist notwendiger denn je: als Dienst, der zur Versöhnung und zum friedlichen Miteinander der Völker mahnt und der sich zugleich denen hilfreich zuwendet, denen die Trauer um die Opfer von Krieg und Gewalt gemeinsam ist. Wir bitten heute, am Volkstrauertag, um Ihre Spende für diesen Dienst. Falls Sie mit dem für Sie zuständigen Landesverband keine individuelle Vereinbarungen getroffen haben, bitten wir die dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zugedachte Kollekte auf folgendes Konto einzuzahlen: Der Volksbund betreut heute im Auftrag der Bundesregierung die Gräber von etwa zwei Millionen deutschen Kriegstoten auf 827 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten. Er wird dabei von der Bundesregierung sowie von 1,6 Millionen Mitgliedern und Förderern unterstützt. Seit 1953 haben über 200 000 junge Menschen beim Bau und bei der Pflege mitgeholfen unter dem Leitwort: „Versöhnung über den Arbeit für den Frieden“ Gräbern – Weitere Auskünfte erteilen gerne alle Gliederungen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. sowie dessen Bundesgeschäftsstelle, Abteilung Gedenkkultur und Bildungsarbeit, Werner-HilpertStraße 2, 34117 Kassel. Commerzbank Kassel, Konto 3 222 999, BLZ 520 400 21 Foto: Volksbund-Archiv Volksbund Straßensammlung 30 Veranstaltungshinweise Der Volksbund organisiert oder unterstützt in Deutschland und im Ausland zahlreiche Veranstaltungen zum Volkstrauertag. Auf der Internetseite www.volksbund.de finden Sie in unserem Veranstaltungskalender eine Übersicht aller Gedenkveranstaltungen. Nähere Auskünfte zu Gedenkfeiern in Deutschland erteilen die zuständigen Landes- oder Bezirksverbände unter der Telefonnummer 0561-7009-200. Weitere Hinweise zu Veranstaltungen auf den über 800 Kriegsgräberstätten im Ausland erhalten Sie unter der Telefonnummer 0561-7009-149 oder über die oben genannte Internetseite. Wir möchten mit Ihrer Hilfe den Nutzern der Handreichung Beispiele zur Verfügung stellen, die sich schon andernorts bewährt haben und die man für andere Veranstaltungen verwenden kann. Falls Ihnen Gedenkansprachen oder andere Wortbeiträge zum Volkstrauertag zur Verfügung stehen, die in den letzten Jahren auf Ihren Gedenkveranstaltungen gehalten wurden und die besonders positive Resonanz gefunden haben, so würden wir uns freuen, wenn Sie uns diese Beiträge zur Verfügung stellen könnten. Unser Angebot für Sie Für die Gestaltung einer Gedenkstunde haben wir für Sie eine CD vorbereitet. Sie beinhaltet verschiedene Versionen des „Liedes vom guten Kameraden“, die Nationalhymne und das gesprochene Totengedenken. Bitte senden Sie mir die CD zum Volkstrauertag eine Handreichung zum Volkstrauertag 2010 Senden Sie diesen Coupon an Fax: 0561-7009-221, bestellen Sie telefonisch unter 0561-7009-200 oder per E-Mail an [email protected] Mitgliedsnummer: 31 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Abteilung K/M - Fördererkommunikation Werner-Hilpert-Str. 2 34117 Kassel Der Volksbund betreut im Auftrag der Bundesregierung die Gräber von über 2,3 Millionen deutschen Kriegstoten auf 827 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten. Er wird dabei von der Bundesregierung sowie von 1,6 Millionen Mitgliedern und Förderern unterstützt. Über 200 000 junge Menschen haben beim Bau und bei der Pflege der Kriegsgräberstätten mitgeholfen unter dem Leitwort: „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden“ Bernecker MediaWare AG (45/07-2010) Spendenkonto: 3 222 999 Commerzbank Kassel, BLZ 520 400 21