VTT Handreichung 2010-07-20.qxd:Handreichung

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VTT Handreichung 2010-07-20.qxd:Handreichung
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Volkstrauertag 2010
am 14. November
Anregungen und Gedanken zur Gestaltung
von Gedenkstunden und Gottesdiensten
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort
Präsident des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V.,
Reinhard Führer
3
Wie kann Gott das zulassen?
Gedanken zum Predigttext des
Volkstrauertages 2010 – Lukas 21, 5-19
Bischof Dr. Gerhard Feige, Magdeburg
Totengedenken
5
Redevorschlag 1
Johannes Mitscherling
6
Redevorschlag 2
Pfarrer Jürgen Doetsch
8
Alles vergeht, auch wir selbst
21
Gedanken zum Predigttext des
Volkstrauertages 2010 – Römer 8, 18-25
Landesbischöfin der Evang. Kirche in
Mitteldeutschland
Ilse Junkermann, Magdeburg
Gedichte
- Vater
- Annegret Kronenberg
- Gras
- Carl Sandburg
11
Lesungsvorschlag
- Vater-Sohn-Soldatengrab
- Wilhelmshavener Zeitung 1958
- Es bleiben Fragen
- Wolfgang Held
13
Geleitwort
(für den kirchlichen Bereich)
Präses Nikolaus Schneider,
Vorsitzender des Rates der EKD
16
18
Gebet zum Volkstrauertag
Fürbitte
24
Das deutsche Totensignal
Lied vom guten Kamerad
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Der Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V.
Kurzdarstellung
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Sammlungs- und
Kollektenempfehlung
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Titelbild: Bildcollage
Zerstörter Reichstag Berlin 1945/Reichstagsgebäude Berlin 2010
Impressum: Herausgegeben vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.,
Werner-Hilpert-Straße 2, 34117 Kassel - Telefon 0561-7009-200
Zusammenstellung: Erika Mayrer, kirchlicher Bereich: Propst Reinhold Kalden
Gestaltung: Janine Tobi-Credé, Erika Mayrer - Lektorat: Dagmar Gild-Kristen
Geleitwort
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind
65 Jahre vergangen. Die Welt hat sich seither
verändert, grundlegend und schneller als
jemals zuvor. Wer zu Beginn des Krieges
geboren wurde, ist heute weit über 70 Jahre
alt. Die Töchter und Söhne der Soldaten teilen
oftmals das gleiche Schicksal: Sie sind als
Halbwaisen aufgewachsen. Der fehlende
Vater prägt fast eine ganze Generation.
Menschen, die sich nur vage an den Vater
erinnern, denen nur ein paar Briefe von ihm
geblieben sind und vielleicht ein Grab auf
einem weit entfernten Soldatenfriedhof.
Andere haben noch nicht mal das. Sie suchen
immer noch nach einer Spur des Vermissten,
und ihre größte Hoffnung ist, irgendwann
einmal an sein Grab treten zu können.
Diese Töchter und Söhne befinden sich in
einer Lebensphase, in der sie den nicht vorhandenen Vater als eine Lücke in ihrer eigenen Persönlichkeit wahrnehmen. Das mag
ihnen früher – in ihrer Jugend, während der
Die Mitarbeiter des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge, die sich um die Gräber
der beiden Weltkriege kümmern, haben oft
mit dieser Kindergeneration zu tun. Es sind
Foto: Uwe Zucchi
Einweihung der Kriegsgräberstätte in Apscheronsk/Russland 2008
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Ausbildung, der beruflichen und familiären
Inanspruchnahme – gar nicht in dieser Weise
bewusst geworden sein. Können sie nach all
den Jahren nun mehr über sein Schicksal
erfahren oder gar sein Grab besuchen,
schließt sich ein Kreis, gewinnen sie inneren
Frieden. Für diese Menschen arbeitet der
Volksbund, für sie bauen und erhalten wir die
Soldatenfriedhöfe, suchen wir nach Gräbern,
betten wir im Osten jährlich über 40 000
Kriegstote dauerhaft auf würdige und gesicherte Sammelfriedhöfe um und versuchen,
so viele Schicksale wie möglich zu klären. Aus
dieser Sicht ist der Zweite Weltkrieg noch
immer ein sehr aktuelles Ereignis.
chen Dienst mehr öffentliche Aufmerksamkeit
und Anerkennung schenken. Dabei spielt es
keine Rolle, ob man die politische Entscheidung zu den Einsätzen für richtig oder falsch
hält. Zu viele sind bereits ums Leben gekommen. Ihnen und ihren Familien gilt unser Mitgefühl. Unser Gedenken am Volkstrauertag
schließt auch diese Menschen mit ein.
Reinhard Führer
Präsident des Volksbundes
Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
Am Volkstrauertag sollten wir uns über die
gegenwärtige Bedeutung der Vergangenheit
bewusst werden. Zwar neigen wir in zunehmendem Maße zum schnellen Vergessen und
Verdrängen, doch zumindest an diesem Tag
sollten wir innehalten und uns an das Leiden
und Sterben während des Krieges und unter
der Gewaltherrschaft erinnern. Das sind wir
den Opfern schuldig, die ein Bestandteil unserer Vergangenheit sind und zu unseren Wurzeln gehören. Das schulden wir auch ihren
Angehörigen, eben jenen Töchtern und Söhnen, die ein Anrecht auf unsere Solidarität
haben. Das gemeinsame Gedenken schärft
aber auch unseren Verstand, wenn wir aus
den Schrecken der Vergangenheit die richtigen Schlüsse ziehen, wenn wir den Wert des
Lebens und die Notwendigkeit des friedlichen
Zusammenwirkens der Menschen erkennen.
Der Volkstrauertag ist somit ein Tag des
Gedenkens und des Nachdenkens, ein Tag der
Erinnerung, des Mitgefühls und der Verbundenheit über die Generationen hinweg.
Ein Anrecht auf unsere Solidarität haben auch
all jene Frauen und Männer, die gegenwärtig
in Auslandseinsätzen ihre Gesundheit und ihr
Leben riskieren. Wir sollten diesem gefährli-
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Totengedenken
Wir denken heute
an die Opfer von Gewalt und Krieg,
an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir trauern
um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege
unserer Tage, um die Opfer von
Terrorismus und politischer Verfolgung,
um die Bundeswehrsoldaten und
anderen Einsatzkräfte,
die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir gedenken
der Soldaten, die in den Weltkriegen
starben,
der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft,
als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben
verloren.
Wir gedenken heute auch derer,
die bei uns durch Hass und Gewalt gegen
Fremde und Schwache Opfer geworden
sind.
Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden,
weil sie einem anderen Volk angehörten,
einer anderen Rasse zugerechnet wurden
oder deren Leben wegen einer Krankheit
oder Behinderung als lebensunwert
bezeichnet wurde.
Wir trauern
mit den Müttern und mit allen,
die Leid tragen um die Toten.
Aber unser Leben steht im Zeichen der
Hoffnung auf Versöhnung unter den
Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den
Menschen zu Hause und in der Welt.
Wir gedenken derer,
die ums Leben kamen, weil sie Widerstand
gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,
und derer, die den Tod fanden, weil sie an
ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben
festhielten.
Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler
am Volkstrauertag 2009
5
Redevorschlag 1
Vor 57 Jahren versammelten sich Männer,
Frauen, Kinder, Geschwister, Großeltern,
ganze Familien, um zu trauern und der Opfer
des Zweiten Weltkrieges zu gedenken. Ob
Söhne oder Töchter, ob Väter oder Mütter, ob
Ehegatten, andere Verwandte oder Freunde –
sie alle starben als Soldaten oder als Zivilisten,
oder sie waren vermisst, und die Zurückgebliebenen verband noch lange die alltägliche
Ungewissheit, wer zurückkehren und wer im
Krieg geblieben sein wird. Der Volkstrauertag,
während des Nationalsozialismus als „Heldengedenktag“ missbraucht, wurde im Jahr 1952
wieder eingeführt, um im jährlichen Gedenken der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu erinnern.
Volkstrauertag – was heißt das eigentlich?
Zusammengesetzt aus den Worten „Volk“,
„Trauer“ und „Tag“, bedeutet es vor allem
eines: Es ist der Tag, an dem das Volk trauert.
Doch 64 Jahre nach Kriegsende stellt sich mir
für die Zukunft die Frage: Wie soll man um
Menschen trauern, die man gar nicht kannte,
zu denen man keinen persönlichen Bezug
hat? Ergreift uns und die folgenden Generationen das Leid und die Grausamkeit des Krieges noch ausreichend, um überzeugt Arbeit
für den Frieden leisten zu können? Das funktioniert sicher nur, wenn wir uns eines bewahren: Auch wenn keine direkten Verbindungen
zu den Opfern mehr bestehen, so müssen uns
doch der Krieg und seine Folgen weiterhin
emotional bewegen. Doch wie ist dies zu
schaffen, wenn es bald keine Zeitzeugen
mehr gibt?
Viele Jahre sind seitdem ins Land gegangen.
Die Welt und unsere Lebenswirklichkeit haben
sich stark verändert. Meine Generation, die
Generation der heutigen Jugend, wird die
letzte sein, welche mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges
reden kann. Diese waren damals in ihrer
Jugend, heute sind sie über siebzig, achtzig
oder gar neunzig Jahre alt. Die darauf folgenden Generationen haben den Krieg nicht
mehr miterlebt. Sie können sich nur schwer
vorstellen, wie es ist, wenn über einem die
feindlichen Flieger dröhnen, wenn Bomben
fallen, Menschen schreien und man um sein
Leben und das seiner Angehörigen bangt. Ich
denke, keine Schilderung vermag diese Angst
und dieses Leid so nachvollziehbar zu
machen, dass es dem wahren Erleben entspricht.
Meine Damen und Herren, das Wichtigste,
das wir uns erhalten müssen, ist die Erinnerung an die Einzelschicksale. Wenn wir die
Geschichte eines Kindes hören, dessen Eltern
im Krieg starben, fühlen wir mit ihm. Wenn
wir von einer ausgebombten Familie erfahren,
die vor ihrem zerstörten Haus stand, ergreift
uns das. Wir können uns das Leid dieser Menschen vorstellen und nachvollziehen, wie
grausam es ist, seine Eltern zu verlieren oder
von einem Tag auf den anderen vor dem
Nichts zu stehen. Deshalb müssen wir dafür
sorgen, dass persönliche Erinnerungen erhalten und Einzelschicksale präsent bleiben, Einzelschicksale, die exemplarisch für viele stehen. So sollte jeder Schüler das Tagebuch der
6
Anne Frank in der Schule lesen. Aber auch
Filme, wenn sie Gewalt weder verharmlosen
noch verherrlichen, liefern einen wichtigen
Beitrag, z.B. „Flags of our Fathers“ oder „Letters of Iwo Jima“ von Clint Eastwood. Sie veranschaulichen auf sehr persönliche und emotionale Weise, was der Krieg aus den Menschen macht: wie sie gegeneinander kämpfen
und im Gegenüber nur ein Objekt sehen. Wie
sie töten, um selbst zu überleben, auch wenn
sie vielleicht im Herzen gute Menschen sind.
Und beide Seiten sind in der gleichen auswegslosen Situation. Müssen wir hier nicht
erkennen, dass Krieg niemals Gewinner hervorruft, sondern jeder Beteiligte zum Opfer
des Krieges wird? Auch daran erinnert der
Volkstrauertag.
sondern vor allem auch der Dialog im kleinen
wie auch im großen, internationalen Rahmen
könnte ein Weg sein, etwas in den Köpfen der
Menschen zu verändern. Dazu sollte der
Volkstrauertag anregen: als ein Tag der Selbstkritik und der Mahnung, aber auch der Hoffnung und Zuversicht für eine friedliche
Zukunft.
Schüler Johannes Mitscherling,
Mönchengladbach
Hugo-Junkers-Gymnasiums, Rheydt,
Volkstrauertag 2009
Doch sollte man nicht nur zurückblicken, um
aus der Geschichte zu lernen, sondern der
Volkstrauertag fordert auch dazu auf, unsere
Lebenswirklichkeit heute kritisch zu prüfen,
etwa in Bezug auf die vielen Vorurteile zwischen Nationen, Völkern und Religionen, die
abgebaut werden müssen. Dazu betreibt der
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
vier Jugendbegegnungsstätten nahe Polen, in
Belgien, in den Niederlanden und in Frankreich, wo die Jugendlichen über die aktive
Beteiligung an der Kriegsgräberpflege Gelegenheit finden, staatenübergreifende Kontakte mit den ehemaligen Kriegsgegnern zu
schließen. Darüber hinaus bieten viele Schulen internationalen Schüleraustausch an, etwa
mit Frankreich oder England, wodurch
Jugendliche ein halbes oder ein ganzes Jahr
im Ausland verbringen können. Diese Chancen müssen wir nutzen. Wir müssen Verbindungen aufbauen und pflegen, miteinander
auch über unangenehme Themen wie Krieg
und Vorurteile sprechen. Nur im Dialog mit
allen Beteiligten ist die Arbeit für den Frieden
möglich. Nicht nur die Aufklärung in der
Schule und der kritische Umgang mit Medien,
Haben die Gräber uns wachgerüttelt?
Werden wir die Mahnung der Toten
nicht mehr vergessen?
Der Mensch braucht solche
Novembertage des Nachdenkens,
damit er auch im Alltag weiß,
dass wir Aggressionen abbauen,
Mitmenschlichkeit üben und
Feindschaft verhindern müssen.
Philipp Brucker
7
Redevorschlag 2
Sowohl bei der zentralen Gedenkfeier der
Franzosen in Paris zum 91. Jahrestag des
Endes des Ersten Weltkrieges als auch am
1. September 2009 in Danzig, als des 70. Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen
und des Beginns des Zweiten Weltkrieges
gedacht wurde, hielt die deutsche Bundeskanzlerin eine Ansprache – beides Zeichen für
Frieden und Versöhnung zwischen einstigen
Feinden. Angela Merkel stellte ihrer Rede
voran: „Der schonungslose Umgang mit der
eigenen Geschichte ist … die einzige Grundlage, um aus der Geschichte lernen und die
Zukunft gestalten zu können. Zugleich weiß
ich: Geschehenes kann nicht ungeschehen
gemacht werden.“ Sodann sprach sie vom
„Geschenk der deutsch-französischen Aussöhnung und Freundschaft“ sowie dem
„Wunder der Freiheit des europäischen Kontinents“, welche beide als eine „Gnade der
Geschichte“ anzusehen seien.
als öffentlicher Gedenktag eine überflüssige
Einrichtung? Brauchen wir überhaupt noch so
etwas wie einen öffentlichen Akt der Trauer in
jeder zivilen Gemeinde unseres Landes? Reichen nicht die offiziellen Gedenktage mit
Reden der politischen Repräsentanten aus? Ist
es wirklich nötig, dass heutzutage noch
jemand die Schuldfrage anspricht?
Ja, damals, während meiner Schulzeit in den
1970er-Jahren, war immer wieder von der
„Kollektivschuld der Deutschen“ die Rede –
aus dem Volk der „Dichter und Denker“ sei
ein Volk der „Richter und Henker“ geworden.
Als Christ war mir indes stets bewusst, dass
das Böse im Menschen nicht einem Volk eingepflanzt sein kann, sondern dass Schuld
unabhängig von Rasse und Religion jeden Einzelnen betrifft. Die politischen und gesellschaftlichen Umstände und Verstrickungen
müssen natürlich analysiert werden und
gehören in einen größeren Zusammenhang,
zu Recht wird allenthalben der sorgsame
Umgang mit der Geschichte gefordert, damit
daraus gelernt werden kann. Doch selbst die
Tragödie der beiden Weltkriege braucht nicht
allein eine kollektive Schuldübernahme durch
offizielle Personen, sondern auch den aufmerksamen Blick eines jeden Individuums auf
seine Schuld und sein Gewissen. Denn Lernen
aus der Geschichte bedeutet nicht Moralisieren oder das Einpauken eines Schuldkomplexes, sondern es eröffnet dem Individuum die
Freiheit, sich für das Gute zu entscheiden und
guten Gewissens sein Leben in Verantwortung für sich und andere zu gestalten. Indem
Wir stehen hier vor einem Widerspruch, der
sich gerade auch am Volkstrauertag immer
wieder zeigt: Statt zu trauern und der Opfer
der Kriege zu gedenken und als Deutsche
offen Schuld einzugestehen, drängt es uns
viel mehr, die Dankbarkeit darüber zum Ausdruck zu bringen, was uns trotz der verheerenden Folgen beider Weltkriege seit 1945 an
Aussöhnung und Freundschaft geschenkt
worden ist. So manchem gehen die Akte der
Reue auf die Nerven. Schließlich leben wir im
65. Jahr des Friedens – eine Zeitspanne, die in
unseren Breiten noch keine Generation friedlich erleben durfte. Ist also der Volkstrauertag
8
sich der Einzelne am Volkstrauertag Schuld
und Versagen bewusst macht, vermag er aus
der Erfahrung von Schuld zu lernen, wenn er
sich diese Dimension des Menschlichen zur
Selbsterkenntnis werden lässt, die Erkenntnis,
die dem Menschen vor Augen führt, wie er
seine Unschuld im weiten Sinne des Wortes
verloren hat. Der Volkstrauertag könnte also
im Sinne von Immanuel Kant so etwas sein
wie „eine Aufforderung an die Vernunft, das
Beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich
das der Selbsterkenntnis, aufs Neue zu übernehmen“ (Vorrede zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781, A XI).
deutsche und französische Soldaten erlebten.
Die schier unendliche Zahl der Kreuze über
den Soldatengräbern rührt heute noch ebenso zu Tränen wie alte Feldpostbriefe von Franzosen und Deutschen. Die Kriegsgräberfürsorge tut seit ihrer Gründung 1919 entscheidend Wichtiges: den Gefallenen eine würdige
Ruhestätte mit Namen und Bestandsgarantie
zu geben und sie somit dem Vergessen zu
entreißen. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass
sich die Lebenden über die Gräber hinweg die
Hände reichen, sich miteinander bekannt und
vielleicht sogar vertraut machen. Die Jugendlichen sind froh, dass sie etwa in Verdun nicht
alleine bleiben mit ihren Eindrücken und
Emotionen. Mir selbst geht es stets ebenso,
wenn ich dorthin fahre oder auch in eine der
Höllen der Shoa, nach Auschwitz oder
Dachau: Zwar möchte ich einerseits eine Zeit
alleine mit mir und meinen Gedanken sein,
aber ich brauche andererseits auch den
Rückhalt einer Gemeinschaft, das Gefühl,
dass meine Eindrücke mitgetragen werden.
Im Rahmen der internationalen Jugend- und
Bildungsarbeit des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge werden Seminare und
Veranstaltungen durchgeführt sowie Reisen
zu Kriegsschauplätzen, Gedenk- und Kriegsgräberstätten angeboten. Ein Tag in Verdun
und der Besuch des Mémorial in Fleury lässt
die jungen Menschen die Hölle erahnen, die
Foto: Volksbund-Archiv
Workcamp in Cannock Chase/Großbritannien 2009
9
Es ist ein meist wortloses Geschehen, es
braucht lediglich kleine und zärtliche Gesten
des gemeinsamen Gedenkens.
Obwohl wir in Zeiten leben, wo Tod und Trauer allzu privatisiert oder gar tabuisiert werden,
will der Mensch doch seine Anteilnahme und
Trauer zeigen. Sehr emotional haben wir dies
beim Selbstmord von Robert Enke erlebt, dem
Torhüter von Hannover 96. Sie geschah
gleichzeitig still und öffentlich. Keiner schämte sich der Tränen vor dem Unfassbaren. Wie
wenig müssen wir uns erst schämen, wenn
wir am Volkstrauertag vor dem Grauen eines
millionenfachen Leids stehen, das zeitlich
zwar weit entfernt scheint, aber immer wieder neu offenbart, wie sehr der Einzelne, ob
Soldat oder Zivilopfer, einer unmenschlichen
Erwartungshaltung ausgesetzt war: Wie viele
sind in den Tod gegangen im festen Glauben,
für „Gott und Vaterland“ oder für „Führer
und Vaterland“ zu sterben – ein Hohn auf
den lebendigen Gott und eine Schande für
unser Land angesichts des sinnlosen Blutvergießens und der modernen Form von Menschenopfern! An einen solchen Gott habe ich
nie geglaubt, einem solchen Vaterland diene
ich nicht, und ein solcher Führer möge uns für
alle Zukunft erspart bleiben! Vielmehr entzünde ich hier die Flamme des Gedenkens für
die Gefallenen und die zivilen Opfer unserer
Stadt, für die Gefallenen in meiner eigenen
Familie, die ich nicht kannte, und versichere
darüber hinaus meine Anteilnahme den Familien der Gefallenen in den kriegerischen Auseinandersetzungen bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr in unseren Tagen. Als
Christ hoffe ich, dass sie zur Auferstehung
der Toten geführt werden und ihnen ihre individuelle Schuld vergeben wurde. Noch ein
weiteres Argument möchte ich anbieten,
warum es sinnvoll ist, den Volkstrauertag zu
begehen. Aus der Selbsterkenntnis, die
Unschuld verloren zu haben, und dem unbän-
digen Wunsch, durch Aussöhnung und
Freundschaft diesen Stand wiederzuerlangen,
sowie der öffentlichen Trauer, die den Einzelnen nicht alleine und anonym lässt, sondern
die menschliche Sehnsucht nach Solidarität
und Gemeinschaft gerade an dieser Grenze
des Menschlichen zeigt, ergibt sich die
Schlussfolgerung, dass nur ein Weg möglich
ist, dies zu erreichen: den Weg der Liebe, und
zwar wirklicher Liebe – so wie sie uns Jesus in
der Bergpredigt gelehrt hat. Auch die politischen Ideologen und Kriegstreiber haben von
Liebe geredet, etwa von Vaterlandsliebe.
Aber wenn sie von Liebe sprachen, wurden
sie höchstens rührselig und meinten doch nur
sich selbst und ihresgleichen. Die Bergpredigt
Jesu vermag am Volkstrauertag unser Herz zu
weiten. Gleichzeitig schärft sie den Verstand,
sodass wir erkennen: So etwas wie eine
„Gnade der Geschichte“ gibt es nicht. Die
Formulierung hat keinen Sinn. Gnade ist nicht
ein beliebiger Begriff, sondern gehört in eine
personale Beziehung: von Gott und Mensch
oder von Mensch und Mensch. Gnade ist das
unverdiente Geschenk der Liebe, die es allein
zwischen Personen gibt. In der Geschichte
gibt es keine Gnade, sondern nur Erkenntnisse und Konsequenzen, die wir für unser
Staatswesen und das Zusammenleben der
Menschen ziehen. Das klingt nüchtern, ist
aber dennoch ehrlich – und anspruchsvoll
zugleich.
Abschließend möchte ich am heutigen Sonntag, dem Volkstrauertag, noch daran erinnern, dass trotz des traurigen Gedenkens der
Sonntag nach christlichem Verständnis der
erste Tag einer neuen Woche ist, weil Jesus
Christus von den Toten auferstand – als Erster
der Entschlafenen. Was wäre unsere Trauer,
öffentlich oder privat, gäbe es keine Hoffnung?
10
Pfarrer Jürgen Doetsch,
Leiter der Katholischen Akademie Trier
Gedichte
zum Volkstrauertag
Vater
Ein bezaubernder Frühlingstag im Mai.
Er verführt mich dazu, im blühenden Garten
ein paar Blumen zu pflücken und sie zum
Friedhof zu tragen. Eine eigentümliche Stille
empfängt mich hier.
Schwere, von Stiefmütterchen
duftgeschwängerte Luft
sauge ich in mich hinein.
So intensiv können Blumen nur
in der Maisonne duften.
Gedankenverloren schlendere ich
zu einem mir vertrauten Grab.
Die Ruhe tut gut. Es rührt sich nichts.
Fast ist es so, als wage kein Laut
diese Stille zu durchbrechen.
Das Land, in dem er als Soldat sein Leben
lassen musste, ist mir fremd geblieben,
so fremd, wie auch er mir blieb.
Wie gerne hätte ich einmal den Klang
seiner Stimme oder sein Lachen gehört.
Wie sehr hatte ich mir immer gewünscht,
dass seine Arme mich umschlingen,
seine Hand mir über den Kopf streicht.
Er hatte sich so sehr auf mich gefreut
und durfte mich nur ganz kurz erleben.
Ob Menschen, die immer einen Vater
hatten, begreifen können,
welche Sehnsüchte und Wünsche
vaterlose Kinder haben?
Eine Hand voll Erde lasse ich
durch meine Finger rieseln.
Erde, die uns alle einmal aufnimmt.
Ob Freund oder Feind, ob gut oder böse,
der Erde ist das egal.
Einmal wird auch mich diese Erde
aufnehmen. Dann werde ich meine
Sehnsucht stillen können.
Sicher schließt er mich dann
in seine starken Arme.
Mein Vater kommt mir in den Sinn.
Warum darf er nicht in dieser
Heimaterde ruhen?
Warum können diese bunten
Frühlingsboten nicht sein Grab schmücken?
Wo mag er zur letzten Ruhe gebettet sein?
Werde ich es je einmal erfahren?
Vielleicht stehen später meine Kinder
einmal hier am Grab.
Dann werde ich ihm zublinzeln
und sagen: „Wieder Menschen,
die Sehnsucht haben, Vater."
Annegret Kronenberg
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Gras Grass
Stapelt die Körper hoch in Austerlitz und
Waterloo.
Schaufelt sie unter und lasst mich nur
machen –
Ich bin das Gras; ich bedecke alles.
Und stapelt sie hoch in Gettysburg.
Und stapelt sie hoch in Ypern und Verdun.
Schaufelt sie unter und lasst mich nur
machen.
Zwei Jahre, zehn Jahre, und Mitreisende fragen den Schaffner:
Was ist dies für ein Ort?
Wo sind wir nun?
Ich bin das Gras.
Lasst mich nur machen.
.
Pile the bodies high at Austerlitz and
Waterloo.
Shovel them under and let me work –
I am the grass; I cover all.
And pile them high at Gettysburg.
And pile them high at Ypres and Verdun.
Shovel them under and let me work.
Two years, ten years, and passengers ask the
conductor:
What place is this?
Where are we now?
I am the grass.
Let me work.
Carl Sandburg
Foto: Volksbund-Archiv
Kriegsgräberstätte in Narvik/Norwegen 2009
12
Lesungsvorschlag
Vater-Sohn-Soldatengrab in Polen
Aus beiden Weltkriegen blieben Tausende
von Gräbern unbekannter Soldaten zurück.
Allenfalls wurde die Ruhestätte durch ein
schlichtes Holzkreuz ohne Namen gekennzeichnet, sodass eine Identifizierung erst
nachträglich, im Zuge der Überführung auf
eine der großen Kriegsgräberstätten, anhand
der Erkennungsmarke möglich wurde. Viele
andere Gefallene ruhen weiter an unbekannten Orten, wo sie notdürftig durch ihre Kameraden oder andere Soldaten beerdigt wurden
– irgendwo am Rande der Kriegsschauplätze
und Schlachtfelder.
Die folgende Geschichte erzählt, wie es dazu
kam, dass Vater und Sohn – der eine im
Ersten, der andere im Zweiten Weltkrieg
gefallen – im selben Grab in Polen bestattet
wurden. Die Grablage selbst ist unbekannt.
„Damals in Polen war es ähnlich wie heute. Es
war ein regennasser Novembertag, und Nebel
hing über kahlen Ästen“, setzte Oberlehrer
Heck an zu erzählen. „An einem solchen Tag
hatten wir den ersten Toten in meiner Kompanie. Eine seltsame Geschichte knüpft sich
daran.“
Die Köpfe der Männer am runden Tisch im
Wirtshaus des kleinen fränkischen Städtchens
wandten sich dem Sprecher zu. Sie wussten,
wenn der Oberlehrer erst einmal anfing zu
berichten, dann steckte mehr dahinter. Sie
mussten nicht lange warten. Hecks Gesicht
nahm einen nachdenklichen Zug an, seine
Hand umschloss den Fuß des Weinglases vor
ihm. Dann erzählte er: „Wir trafen nach
einem langen, ermüdenden Marsch in einem
kleinen Dorf namens Wlochow ein. Unter uns
war ein junger Bursche, der zu allem anderen
geschaffen sein mochte, nur nicht zum
Kriegshandwerk. Udo Wiegert hieß er, war
der Sohn eines im Ersten Weltkrieg gefallenen
Künstlers und selbst Maler. Wiegert war zart
gebaut, schwächlich und oft kränklich, den
Strapazen des harten Soldatendaseins im Frieden kaum, im Kriege schon gar nicht gewachsen. Ich hatte den Eindruck, dass ihn irgendetwas anderes antrieb und ihm über die oft
unerträglichen Lebensumstände während des
Feldzuges hinweghalf – vielleicht die Hoffnung auf ein fernes Ziel. Welcherart freilich
dieses Ziel war und dass er es tatsächlich
erreichte, das habe ich damals nicht wissen
können.
An jenem Abend in Wlochow hatte ich beim
Abendappell noch an das Verbot erinnert,
sich niemals einzeln außer Rufweite in den
nahen Wald zu begeben. Trotzdem meldete
mir gegen Mitternacht – ich wollte mich eben
zum Schlafen niederlegen – einer meiner Zugführer das Verschwinden des Soldaten Wiegert. In seinem Quartier sei er ebenso wenig
zu finden wie in einem der anderen von der
Kompanie belegten Häuser.
Also befahl ich die Kompanie zum Appell in
einer halben Stunde und kleidete mich
fluchend wieder an. In der Tat fehlte Wiegert,
und niemand wusste, wo er war. Eine Suchaktion in dem nachtdunklen, unwegsamen
und unbekannten Gelände war sinnlos. Bei
Tage würde es sicher besser möglich sein,
aber, so hoffte ich, bis dahin hatte sich
Wiegert vielleicht auch wieder eingefunden.
Doch dann erfuhr ich etwas von dem Zug-
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führer, einem bedächtigen Feldwebel, was
meine Sorgen freilich vergrößerte. Er erzählte,
dass Wiegert in eine merkwürdige Aufregung
geraten sei, als er erfuhr, dass dieses polnische Dorf Wlochow hieß. Dort sei sein Vater
im Ersten Weltkrieg gefallen und sicher auch
hier in der Nähe begraben, habe er seinen
Kameraden gegenüber geäußert. Dies warf
ein anderes Licht auf das Verschwinden Wiegerts. Sollte der Bursche sich etwa mutterseelenallein auf die Suche nach dem Grab seines
Vaters gemacht haben? An diesem Abend
fand ich über meinen sorgenvollen Gedanken
erst spät in den Schlaf.
An anderen Morgen kam ein polnischer
Bauer aufgeregt zur Schreibstube geeilt und
meldete, droben im Wald liege ein „germanski“ Soldat. Ja, und hier fanden wir ihn – tot.
Das Merkwürdige aber war, dass wir nur
wenige Meter von der Stelle entfernt beim
Suchen nach Spuren auf ein altes, verwittertes Grabholz stießen, das zwar ohne Kennzeichen war, aber die typische Form eines deutschen Soldatenkreuzes hatte.
Ob es Wiegerts Vater war, der hier begraben
lag, wer konnte es sagen?
Wiegert war wohl bei der Nachforschung
nach der Ruhestätte seines Vaters auf Widerstandskämpfer gestoßen. Zwar hatte er sich,
wie die Fußspuren zeigten, hart gewehrt,
aber der Übermacht musste er rasch erlegen
gewesen sein. Der Überfall war lautlos
geschehen, der Wald hatte alle Geräusche
erstickt.
Wir betteten den Soldaten Udo Wiegert in
das alte Soldatengrab. Einer der Landser
machte eine Aufnahme, die ich dann an die
Mutter bzw. Gattin der beiden Gefallenen
schickte.
Es ist mir bislang kein anderer Fall bekannt
geworden, dass Vater und Sohn in zwei verschiedenen Kriegen gefallen sind und in
einem gemeinsamen Soldatengrab nebeneinander liegen.“
Wilhelmshavener Zeitung 1958
Foto: Volksbund-Archiv
Feldgrab in Polen 1942
14
Es bleiben Fragen
Sprecher/in
Sprecher/in
Nebel, Regen, Wind, Kälte,
entlaubte Bäume und Sträucher,
bedrückende, gespenstische Stimmung:
es ist November,
der traurige, stille Monat im Jahr.
Zigtausende Menschen zieht es
zu den Gräbern ihrer Angehörigen,
unzählige Lichter verwandeln
die Friedhöfe
in ein „Meer leuchtender Seelen“.
Allerheiligen und Allerseelen
sind Tage der Begegnung,
Tage, an denen Lebende und Tote
eine Familie bilden.
Und doch bist du ein „Kriegskind“,
indem du nicht merkst,
wie der Krieg dich spielend erfasst.
Wie du Werkzeug wirst
im Kampf Mensch gegen Mensch.
Wie in dir Samen gesät werden,
aus denen Kriege und Gewalt erwachsen.
Du findest es toll,
als „Bildschirmkämpfer“
Macht, Waffen und gar
„mehrere Leben“ zu haben und Menschen
wie Marionetten zu befehligen und in einen
wenn auch fiktiven Tod zu schicken.
Am Ende möchtest du jedenfalls Sieger sein.
Und was ist das für ein Sieg?
Sprecher/in
Gefühlsduseleien!
Bald ist wieder einmal Volkstrauertag,
ein Tag, mit dem ich nichts anzufangen weiß!
Trauert denn unser Volk?
Kann ein ganzes Volk überhaupt trauern?
Wer oder was ist denn betrauerungswürdig?
Ist es nicht ein Tag verordneter Trauer mit
ritueller Gestaltung?
Ich wüsste nicht, um wen oder was ich
trauern könnte.
Gedenken an die Opfer
von Krieg und Gewaltherrschaft,
heißt es formal.
Ich bin ein „Kriegskind“,
kenne den Krieg nur
als spannendes Abenteuer
vor dem Fernseher,
aus Büchern,
im Computer
oder als Spektakel im Kino.
15
Wolfgang Held
Geleitwort
(für den kirchlichen Bereich)
Der Zweite Weltkrieg ging vor 65 Jahren zu
Ende. Seine Nachwirkungen sind bis in
unsere Gegenwart zu spüren. Manche Bilder
des Krieges bleiben lebendig, eines steht uns
heute besonders vor Augen.
Der Volkstrauertag fällt in diesem Jahr auf
den 14. November. Vor 70 Jahren, am
14. November 1940, flog die deutsche Luftwaffe einen schweren Bombenangriff auf die
englische Stadt Coventry. Die Folgen waren
verheerend. Mehr als 550 Menschen wurden
getötet und weit über 4000 Häuser zerstört.
Auch die mittelalterliche Kathedrale fiel den
Bomben zum Opfer. Dieser Bombenangriff ist
zu einem Symbol für die Schrecken des Krieges geworden. Coventry ist ein Zeichen dafür,
dass im Krieg die einfachsten Grundregeln
menschlichen Zusammenlebens außer Kraft
gesetzt sind, etwa die Schonung jener, die
sich nicht direkt zur Wehr setzen können und
einem Angriff ausgeliefert sind.
Kathedrale, ist seitdem ein Zeichen für Versöhnung, Frieden und Feindesliebe.
„Vater, vergib“, heißt es, nicht „Vater, vergib
ihnen!“ Auf diese Weise für Versöhnung
einzutreten ist nicht leicht angesichts der
Schrecken des Krieges. Doch Friede entsteht,
wo Menschen erkennen, dass sie aneinander
schuldig werden. Und die Erfahrung von Vergebung ermutigt, sich für den Frieden einzusetzen – auch wenn es aussichtslos erscheint.
Der Volkstrauertag erinnert daran, dass dies
immer wieder neu versucht werden muss. In
einer Welt, in der die bewaffneten Konflikte
und Auseinandersetzungen zunehmen, werden wir ermutigt, stets neu den Frieden zu
suchen und ihm nachzujagen.
Doch Coventry steht gleichermaßen dafür,
dass der Wille zur Versöhnung stärker ist als
Hass und Vernichtung. In der Weihnachtsmesse des Jahres 1940 rief der damalige
Propst Richard Howard in einer von der BBC
direkt aus den Ruinen der Kathedrale übertragenen Weihnachtsmesse zur Versöhnung
auf. „Vater, vergib“, so betete der Propst –
wie auch schon am Morgen nach dem Bombenangriff. Und später ließ er die Worte
„Father forgive“ in die Chorwand der Ruine
einmeißeln. Das Nagelkreuz von Coventry,
zusammengefügt aus drei Zimmermannsnägeln aus der Balkendecke der zerstörten
16
Präses Nikolaus Schneider,
Vorsitzender des Rates der EKD,
Düsseldorf
Wir alle haben gesündigt und mangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten.
Darum lasst uns beten:
Vater, vergib!
Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse:
Vater, vergib!
Das habsüchtige Streben der Menschen und Völker, zu besitzen, was nicht ihr Eigen ist:
Vater, vergib!
Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet:
Vater, vergib!
Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der anderen:
Vater, vergib!
Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Heimatlosen und Flüchtlinge:
Vater, vergib!
Den Rausch, der Leib und Leben zugrunde richtet:
Vater, vergib!
Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf dich:
Vater, vergib!
Lehre uns, o Herr, zu vergeben und uns vergeben zu lassen, dass wir miteinander und mit
dir in Frieden leben.
Darum bitten wir um Christi willen.
Coventry-Gebet, EG 828
Foto: Volksbund-Archiv
17
Wie kann Gott das
zulassen?
Gedanken zum Predigttext des Volkstrauertages 2010 – Lukas 21, 5-19
mächtig fühlen. Wo bleibt da die Güte und
Menschenfreundlichkeit Gottes?
Wie kann Gott das zulassen? Diese Frage, ja
diese Anklage hallt durch die Jahrhunderte.
Wie kann Gott das zulassen? So haben viele
besonders leidenschaftlich in und nach den
furchtbaren Weltkriegen des letzten Jahrhunderts gefragt, nach den Konzentrationslagern, dem Völkermord an den Juden, nach
Vertreibung und Flucht. Nicht wenige Menschen kommen gerade angesichts des
Leidens Unschuldiger an den Punkt, sich zu
fragen, ob Gott überhaupt existiert.
Das Evangelium, das die Leseordnung der
katholischen Kirche in diesem Jahr am Volkstrauertag vorsieht (Lk 21,5–19), nimmt uns
zunächst nichts von dieser Frage. Im Gegenteil: Jesus rechnet offenbar damit, dass
schreckliche Gräuel bevorstehen. Er rechnet
mit Krieg und Unruhen, mit Erdbeben und
Seuchen. Er weist darauf hin, dass diese Welt
so ist, wie sie ist: „Diese Dinge müssen
geschehen“ (vgl. Lk 21, 9). Und in geradezu
apokalyptischen Bildern malt er das Ende der
Welt aus, das Ende aller menschlichen, religiösen und politischen Ordnungen.
„In Stalingrad die Frage nach Gott stellen,
heißt, sie verneinen“, so schreibt der Sohn
eines Pastors in seinem letzten Brief an den
Vater. „Ich habe Gott gesucht: in jedem Trichter, in jedem zerstörten Haus, an jeder Ecke,
bei jedem Kameraden, wenn ich in meinem
Loch lag und am Himmel. Gott zeigte sich
nicht, wenn mein Herz nach ihm schrie. Die
Häuser waren zerstört, die Kameraden so tapfer oder so feige wie ich, auf der Erde waren
Hunger und Mord, vom Himmel kamen Bomben und Feuer, nur Gott war nicht da. Nein,
Vater, es gibt keinen Gott …“
Wie kann Gott das zulassen? Diese Frage ist
in der Tat auch für uns Christen bedrängend,
vor allem dann, wenn wir in unseren Familien
und in unseren weiteren Lebenszusammenhängen selbst mit Leiden konfrontiert sind,
das aus Gewalt und Hass entsteht; vor allem
da, wo wir uns dieser Gewalt gegenüber ohn-
Mit der Schilderung dieser sogenannten
„kleinen Apokalypse“ will Jesus den Menschen, mit denen er spricht, jedoch keine
Angst machen. Er stößt vielmehr zum Kern
ihrer und damit auch unserer tiefsten
Bedrängnis vor. Er nimmt ihre und unsere tiefste Not ernst und thematisiert sie. Ja, so sagt
er, ihr habt recht, das alles gibt es und wird es
geben: Krieg, Vernichtung, Terror und das Leiden Unschuldiger. Das alles ist so; und ihr
seid mittendrin.
Aber, und das ist nun das Entscheidende:
Jesus lädt dazu ein, mit all der Angst, der
Klage und der Verzweiflung einen Schritt weiterzugehen. Er lässt sich nicht auf die Frage
ein, wie Gott das alles zulassen kann, sondern
lenkt den Blick darauf, dass Gott der Herr der
Geschichte ist und bleibt. Jesus nimmt uns
18
sozusagen mit dieser Frage an der Hand,
um uns mit ihr Gott selbst zuzuwenden,
der größer ist als unsere Verzweiflung
und Bedrängnis. „Bleibt standhaft, lasst
euch nicht beirren, lasst euch nicht
erschrecken!“, so ruft er uns zu. „Denn
Gott ist an eurer Seite.“ Jesus will unsere
bedrängende Frage nach dem Leid in
Hoffnung verwandeln. Diese Hoffnung
antwortet gewiss nicht auf das Warum.
Sie beantwortet nicht die Frage, warum
junge Soldaten in der Hölle Stalingrads
enden mussten. Sie beantwortet auch
nicht die Frage des Iwan in Dostojewskis
Roman „Die Brüder Karamasow“, warum
auch die Kinder „zum Dünger für Gottes
zukünftigen Himmel werden“.
Wir wissen nicht, warum Gott solche
Wege und Umwege geht. Aber Jesus
Christus kann uns Mut machen, sich
durch das Dunkel solcher Fragen hindurch an Gott festzumachen. Er selbst
geht diesen Weg voran. Und es ist vor
allem die Botschaft von seiner Auferstehung, die uns ein Licht gibt, dem wir uns
anvertrauen können. Diese Botschaft
besagt: Es gibt das Leiden, den Terror, die
Gewalt und den Tod. Aber Gott erweist
sich stärker als all das. So wie er Jesus in
sein unzerstörbares Leben hineinnimmt,
so will er auch an uns allen handeln.
Gerechtigkeit wird das letzte Wort
haben, Frieden und Freiheit werden sich
durchsetzen – und die Liebe ist dem Tod
gewachsen.
Damit dies keine fromme Jenseitsvertröstung bleibt, ruft Jesus Christus uns dazu
auf, mit ihm dafür zu kämpfen, dass
diese Auferstehung schon hier und heute
beginnt. Dies kann auf ganz verschiedene
Weise geschehen. Im Evangelium ermuntert Jesus die Seinen dazu, in der Verfol-
Foto: Volksbund-Archiv
Denkmal auf dem Dukla-Pass/Slowakei
19
gung standzuhalten und mitten in der
Bedrängnis Zeugnis zu geben für Gott. Das ist
die Lichtspur der christlichen Märtyrer, angefangen bei Stephanus bis hin zu Edith Stein,
Alfred Delp oder Dietrich Bonhoeffer. Sie halten sozusagen im Augenblick der Vernichtung
den Himmel offen und zeigen auf eindringliche Weise, dass Gott tatsächlich der Herr der
Geschichte ist.
Nicht immer wird ein so radikales Zeugnis verlangt. Doch immer legt Gott sein Handeln
auch in unsere Hände. Er schickt uns sozusagen an die Arbeit: heilbares Leiden zu lindern,
Trauernde zu trösten, Frieden zu stiften und
für Recht und Freiheit zu kämpfen. Uns allen
wird zugemutet, Verantwortung zu übernehmen, damit diese Welt ein wenig menschli-
cher wird. Von Albert Schweitzer stammt der
Ausspruch: „So sehr mich das Problem des
Elends in der Welt beschäftigte, so verlor ich
mich doch nie im Grübeln darüber, sondern
hielt mich an den Gedanken, dass es jedem
von uns verliehen sei, etwas von diesem Elend
zum Aufhören zu bringen.“ Das wäre ein
Ansatzpunkt, um neuen Mut zu schöpfen.
Lassen wir uns an diesem Volkstrauertag dazu
ermutigen, so zu handeln, als ob Gott nur
unsere Hände hätte – und zugleich alle Fragen, alle Vergeblichkeit und all unsre Grenzen
seinen Händen anzuvertrauen.
Bischof Dr. Gerhard Feige,
Magdeburg
Foto: Uwe Zucchi
Gedenkfeier auf der Kriegsgräberstätte Lommel/Belgien 2009
20
Alles vergeht, auch wir
selbst
Gedanken zum Predigttext des Volkstrauertages 2010 – Römer 8, 18-25
Um das Ende geht es in diesen Wochen am
Ende des Kirchenjahres. Das Ende des Kirchenjahres erinnert uns an unser eigenes
Ende: Alles vergeht, auch wir selbst.
Der Volkstrauertag erinnert uns insbesondere
an die vielen Millionen Menschen, deren
Leben gewaltsam und brutal geendet ist in
den beiden verheerenden Weltkriegen des
20. Jahrhunderts.
Wenn die Lebenden am Volkstrauertag 2010
besonders dieser Toten gedenken, so erinnern
sie damit an den Schmerz und das Grauen,
durch das die vielen gegangen sind. Und sie
verpflichten sich in diesem Gedenken zur Versöhnung über die Gräber hinweg und zum
Frieden durch Gerechtigkeit. Sinnlos bleibt
das Sterben der Millionen Kriegstoten auf
allen Seiten. In sich selbst trägt es keinen Sinn.
Es ist gut, dass wir vom Heldengedenken
früherer Zeiten abgekommen sind, das versuchte, dem sinnlosen Tod einen Sinn zu verleihen; es ist gut, dass uns das Gedenken zu
einem entschiedenen und ungeteilten Eintreten für einen Frieden ohne Gewalt verpflichtet.
Solches Gedenken ist ganz in der Hoffnung
verwurzelt, von der Paulus im achten Kapitel
des Römerbriefs schreibt. Gerade weil Christen eine Hoffnung über alle menschlichen
Möglichkeiten hinaus haben, gerade deshalb
sind sie dazu verpflichtet, die Leiden dieser
Weltzeit ernst zu nehmen. Ja, sie teilen das
Foto: Volksbund-Archiv
Eingang zur Kapelle auf der Kriegsgräberstätte
Recogne-Bastogne/Belgien
21
Seufzen und Stöhnen der leidenden Kreatur
im Angesicht von Ende und Vergänglichkeit
und Nichtigkeit.
Allerdings: Die Behauptung, die Paulus zu
Beginn dieses Abschnitts aufstellt und in drei
Argumentationssträngen erläutert, diese
Behauptung ist eine große Provokation: „Ich
behaupte: Nicht ins Gewicht fallen die Leiden
der gegenwärtigen Zeit gegenüber der bevorstehenden Herrlichkeit, die an uns offenbar
werden soll."1
Wie ein Grat ist diese Behauptung: Nach der
einen Seite hin droht der Absturz in Richtung
Schönreden und Bagatellisieren von Leiden:
„Na, ist doch nicht so schlimm. Gegenüber
dem, was im Jenseits bzw. in der Zukunft auf
uns wartet, sind die Gegenwart und ihre Leiden leicht zu tragen. Ein Christ bleibt trotz
allem, und sei es noch so schlimm, zuversichtlich und getröstet.“
Und nach der anderen Seite hin droht der
Absturz in Form des Widerspruchs zu dieser
Behauptung: Jetziges Leiden darf in keiner
Weise relativiert werden; es wird so absolut
gesetzt, dass es ausweglos erscheint. Dann
hilft meistens nur Verdrängung, um mit so
unermesslich viel und großem Leid zurecht zu
kommen. Beide Absturzgefahren kennen wir
reichlich aus der Geschichte und Kirchengeschichte, beide sind in unserer Gesellschaft
präsent, auch unter Christen.
Die Wanderung der Christen auf dem Grat
zwischen der jetzigen Leidenszeit und der
künftigen Herrlichkeit kann nur gelingen,
wenn sie die Balance halten zwischen dem
Jetzt und dem Dann. Und: wenn sie beim
Balancieren auf Christus schauen. Er hat Leiden und Tod, Verfolgung und gewaltsame
Unterdrückung am eigenen Leib ertragen.
Ihn, den Geschundenen, hat der ewige Gott
zu unvergänglichem Leben auferweckt. Sein
Kreuz ist vom Marterpfahl zum Hoffnungszeichen geworden.
In seiner Nachfolge auf dem Grat zwischen
Jetzt und Dann zu bleiben, ohne abzustürzen,
Foto: Volksbund-Archiv
Kriegsgräberstätte in Fort de Malmaison/Frankreich 2008
22
das heißt zum Einen: Das Ausmaß des Leidens
kann ganz in den Blick kommen und auch
benannt werden und muss nicht schöngeredet (oder „heldengedenkredet“) werden, weil
das Licht der Erlösung darauf fällt und weil in
diesem Licht erst das ganze Ausmaß des Leidens sichtbar wird. Zugleich wird es in diesem
Licht der kommenden Erlösung erst aushaltbar. Denn die Gewissheit der kommenden
Erlösung geht davon aus: Das Leiden wird zu
Ende gehen, es wird vergehen, es wird zu
einem guten Ende kommen. Es ist „nur noch"
eine Frage der Zeit. Eines Tages werden wir
bei Gott ganz geborgen sein und sehen und
spüren, was wir jetzt „nur" hoffen, und Trost
und Heilung für immer finden.
Und zum anderen heißt dies für die Nachfolge auf dem Grat zwischen Jetzt und Dann:
Wenn seine Nachfolgerinnen und Nachfolger
auf den Gekreuzigten und Auferstandenen
voll Hoffnung blicken, dann werden sie von
ihm an die Seite der Leidenden geschickt.
Dort ist ihr Platz. Eben weil Gott allem Leiden
ein Ende setzen wird, ja in Christus schon
gesetzt hat, genau deshalb können wir, in der
gewissen und getrosten Hoffnung dieses
Endes, heute schon allen Formen von Leiden
und Ungerechtigkeit entschieden widerstehen. Ein Vorgeschmack der herrlichen Freiheit
der Kinder Gottes soll den schalen Geschmack
der Nichtigkeit durchsäuern wie Sauerteig das
Brot. Menschen sollen schon jetzt sehen und
schmecken, dass Gott ein Gott des Lebens ist
und deshalb ein gutes Ende für alle Kreatur
schaffen wird. Deshalb ist „schon unser Warten als solches erfüllt von der Gegenwart des
Erwarteten".
liegt dieses Ende der Schöpfung schon in den
Wehen, das Stöhnen über den Gebärschmerz
drängt bereits über unsere Lippen.
Heute schauen wir auf fast zweitausend Jahre
Weltzeit mit vielen, kaum fassbaren Leidensund Gewaltzeiten zurück – und können zu
Recht fragen: Paulus, wann endlich kommt
dieses nahe Ende? Macht solches Warten und
Hoffen noch Sinn?
Was würde Paulus uns heute schreiben?
Er würde uns, so bin ich gewiss, auch schreiben: Haltet den Schmerz wach! Gebt die
Toten nicht dem Vergessen anheim. Bleibt im
Gedenken dem treu, der der Schöpfer und
Erlöser eures Lebens ist. Und lasst euch von
den Stätten und Zeiten des Gedenkens in
einen Alltag rufen, die die Spur des Lebens
als eine Spur von Gerechtigkeit und Frieden in
dieser Welt breiter macht als die Schneisen,
die Tod, Ungerechtigkeit und Krieg schlagen.
Auch für heute gilt: Die gegenwärtige Zeit
und ihre Leiden bleiben „leichtgewichtig",
weil in der anderen Waagschale der künftigen
Herrlichkeit das Leidensgewicht des Gekreuzigten und Auferstandenen ist. Damit ist alles
Leiden schon von seinem Leben umfangen.
So mögen uns die alten Worte des Paulus
unsere Herzen stärken und sie mit brennender
Geduld erfüllen.
1
Paulus und die ersten Christen haben das
gute Ende der schlimmen Knechtschaft noch
zu ihren Lebzeiten, jedenfalls in naher Zukunft
erwartet. Mit einem dramatisch-lebendigen
Bild drückt er dies aus: Wie bei einer Geburt
23
Übersetzung nach Ulrich Wilckens,
Der Brief an die Römer, EKK NT Band VI/2, 1980, S. 146
Ilse Junkermann, Magdeburg,
Landesbischöfin der Evang. Kirche
in Mitteldeutschland
Fürbittengebet
zum Volkstrauertag
Barmherziger Gott,
wir danken dir für 65 Jahre Frieden in unserem Land,
für alles was gelungen ist an Neuanfang und Wiederaufbau.
Wir danken dir für zwanzig Jahre in wiedergewonnener Einheit unseres Vaterlandes.
Doch nicht alle Mitbürger haben durch die Wiedervereinigung und den Frieden neuen
Lebensmut gewonnen. Manche finden sich immer noch nicht zurecht oder nehmen ihre
Möglichkeiten nicht wahr. So kommen wir mit unseren Bitten und
rufen zu dir:
Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für die bis heute vom Krieg Gezeichneten, deren Körper verletzt und deren
Seelen krank sind, die die Schmerzen nicht loswerden und die durch ihre Ängste noch immer
nicht zur Ruhe kommen.
Wir rufen zu dir:
Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für alle, die in dieser Welt besondere politische Verantwortung tragen, dass
sie nicht den Verlockungen der Macht erliegen, sondern dass der Wille zum Frieden
und zur Wohlfahrt der Völker sie regiere.
Wir rufen zu dir:
Herr, erbarme dich.
Wir denken an alle, die am Krieg verdienen. Sie schüren Konflikte, damit sie noch mehr ihrer
todbringenden Waffen verkaufen können. Dies klagen wir dir in ohnmächtigem Zorn.
Gib den Mut, der Lust zu widerstehen, Angst und Schrecken zu verbreiten. Gib ihnen die
Liebe zu den Menschen ins Herz und die Achtung vor dem Leben, das du geschaffen hast.
Wir rufen zu dir:
Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für alle, die Opfer von Gewalt und Fanatismus, von Rassenwahn und Folter
sind – für alle, die sich fürchten vor Menschen und vor dem, was diese ihnen und anderen
antun können. Gib, dass sie Hilfe finden, Menschen, die ihnen Mut machen und denen sie in
ihrer Angst vertrauen können.
Wir rufen zu dir:
Herr, erbarme dich.
24
Wir bitten dich für alle, die ihre Heimat verloren haben, und für die Ungezählten auf der
Flucht; für alle, die in eine ungewisse Zukunft unterwegs sind. Wir bitten dich für zerrissene
Familien, für entwurzelte und zu Gewalttaten missbrauchte Kinder.
Wir rufen zu dir:
Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für die Verblendeten und alle, die sich verraten fühlen: Lass sie begreifen,
dass du, Gott, Liebe bist. Daran lass uns durch nichts und niemanden irre werden.
Aus deiner Liebe möchten wir Kraft schöpfen und damit das Böse besiegen;
das Böse in uns selbst, und das Böse, das uns in anderen begegnet.
Wir rufen zu dir:
Herr, erbarme dich.
Barmherziger Gott, schenke Versöhnung und Frieden, heile die Wunden und gib neuen
Lebensmut. Darum bitten wir im
Vertrauen auf Jesus Christus, unseren Herrn.
Amen
Foto: Volksbund-Archiv
Einweihung der Kriegsgräberstätte Berjosa/Belarus 2005
25
Das deutsche Totensignal
Das Lied vom „guten Kameraden“
Ich hatt’ einen Kameraden
Ich hatt einen Kameraden, einen
besseren findst Du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
er ging an meiner Seite
in gleichem Schritt und Tritt,
in gleichem Schritt und Tritt.
Eine Kugel kam geflogen;
gilt es mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
er liegt mir vor den Füßen,
als wär´s ein Stück von mir.
Will mir die Hand noch reichen,
derweil ich eben lad.
„Kann dir die Hand nicht geben;
bleib du im ew’gen Leben
mein guter Kamerad!“
Volkslied nach Uhland
Liederbuch der Bundeswehr
Foto: Volksbund-Archiv
Die Melodie des „Liedes vom guten Kameraden“ gehört zum festen Bestandteil militärischer Trauerzeremonielle und anderer musikalisch umrahmter Gedenkveranstaltungen,
so auch zum Volkstrauertag.
Wer an solchen Feiern teilgenommen hat,
weiß, wie ergreifend die Melodie für die meisten Teilnehmer ist. Doch hegt auch mancher
Vorbehalte gegen solcherart Sentimentalität:
Das Lied steht heute im Verdacht einer hymnischen Verklärung von Soldatenopfer und
kriegerischem Solidaritätsgefühl – „Kameradschaft“ ist zum Unwort mutiert. Der Volkstrauertag bietet Anlass, dem Entstehen und
der späteren Entwicklung des traurigsten und
berühmtesten aller deutschen Soldatenlieder
nachzugehen.
Der Text stammt von dem schwäbischen
Romantiker Ludwig Uhland (1787–1862) und
entstand, angeregt durch das Lied „Rewelge“ aus „Des Knaben Wunderhorn“, anlässlich des Tiroler Freiheitskampfes unter Andreas Hofer. Das Gedicht „Der gute Kamerad“
wurde aber erst drei Jahre später in den
„Deutschen Dichterwald“ von Justinus Kerner aufgenommen – das war 1812, als
15 000 an Napoleon verkaufte württembergische Soldaten in den Russlandfeldzug mitziehen mussten. Die Mischung aus Trauer, Fatalismus und soldatischer Pflichterfüllung hat
zu allen Zeiten die Menschen berührt, in seiner Innigkeit unterstrichen durch die Melodie
eines alten Volksliedes, das von Friedrich Silcher bearbeitet wurde.
Lazarett-Friedhof in Sologubowka/Russland, 1942
26
Früher wurden Begräbnisse musikalisch
zumeist durch einen Trauermarsch und den
Choral „Jesus, meine Zuversicht“ untermalt.
Seit etwa 1871 wurde es zunehmend üblich,
„Das Lied vom guten Kameraden“ bei offiziellen Anlässen zu spielen. Seit dem Ersten
Weltkrieg gehört es zum festen Bestandteil
des militärischen Abschiedszeremoniells, so
z. B. bei der Beerdigung Hindenburgs 1934.
Die Bundeswehr führt seit ihrem Bestehen
diese Tradition fort. Nach festem Reglement
ist das Lied bei oder nach Absenken des Sarges zu spielen, nicht vorher, zumeist durch
einen einzelnen Trompeter. Auch deshalb ist
es mit den „Totensignalen“ anderer Nationen
vergleichbar, wie z. B. dem italienischen
„Il silencio“ oder dem britischen „Last Post“.
„Unsterbliche Opfer“ oder das „Lied vom
kleinen Trompeter“, am Schluss folgte stets
„Die Internationale“.
Auf einer Einladungskarte zum Volkstrauertag 1971 heißt es: „Es wird gebeten, nach der
Totenehrung – damals gesprochen von Bundeskanzler Willy Brandt – so lange stehen zu
bleiben, bis das ‚Lied vom guten Kameraden‘
verklungen ist.“ Dieser Brauch gehört traditionell zur feierlichen Veranstaltung. So wird
auch in diesem Jahr am Volkstrauertag die
Melodie an vielen Orten in unserem Lande zu
hören sein.
Die Nationale Volksarmee der DDR hingegen
erwies die militärischen Ehren durch den Trauermarsch von Chopin und das Arbeiterlied
Foto: Uwe Zucchi
Volkstrauertag auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in Berlin-Schönholzer Heide 2009
27
Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V.
Eine Kurzdarstellung
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist eine humanitäre Organisation. Er
widmet sich im Auftrag der Bundesregierung
der Aufgabe, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und
zu pflegen. Der Volksbund betreut Angehörige in Fragen der Kriegsgräberfürsorge, er
berät öffentliche und private Stellen, er unterstützt die internationale Zusammenarbeit auf
dem Gebiet der Kriegsgräberfürsorge und fördert die Begegnung junger Menschen an den
Ruhestätten der Toten.
Heute hat der Volksbund etwa 600 000 aktive Mitglieder und Spender sowie über eine
Million Gelegenheitsspender und Interessenten. Mit ihren Beiträgen und Spenden sowie
den Erträgen aus der Haus- und Straßensammlung, die einmal im Jahr stattfindet,
finanziert der Volksbund zu fast 80 Prozent
seine Arbeit. Den Rest decken öffentliche Mittel des Bundes und der Länder.
Gegründet wurde die gemeinnützige Organisation am 16. Dezember 1919 – aus der Not
heraus. Die noch junge Reichsregierung war
weder politisch noch wirtschaftlich in der
Lage, sich um die Gräber der Gefallenen zu
kümmern. Dieser Aufgabe widmete sich
fortan der Volksbund, der sich als eine vom
ganzen Volk getragene Bürgerinitiative verstand. Bis Anfang der dreißiger Jahre baute
der Volksbund zahlreiche Kriegsgräberstätten
aus. Ab 1933 unterwarf sich die Führung des
Volksbundes aus eigenem Antrieb der Gleichschaltungspolitik der NS-Regierung. Die
Errichtung von Soldatenfriedhöfen des Zweiten Weltkrieges übernahm der Gräberdienst
der Wehrmacht.
Erst 1946 konnte der Volksbund seine humanitäre Tätigkeit wieder aufnehmen. In kurzer
Zeit gelang es, über 400 Kriegsgräberstätten
in Deutschland anzulegen. 1954 beauftragte
die Bundesregierung den Volksbund mit der
Aufgabe, die deutschen Soldatengräber im
Ausland zu suchen, zu sichern und zu pflegen.
Im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen
erfüllt der Volksbund seine Aufgabe in Europa
und Nordafrika. In seiner Obhut befinden sich
zurzeit 827 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten
mit etwa 2,3 Millionen Kriegstoten. Mehr als
9 000 ehrenamtliche und 553 hauptamtliche
Mitarbeiter/innen erfüllen die vielfältigen
Aufgaben der Organisation.
Nach der politischen Wende in Osteuropa
nahm der Volksbund seine Arbeit auch in den
Staaten des einstigen Ostblocks auf, wo im
Zweiten Weltkrieg etwa drei Millionen deutsche Soldaten ums Leben kamen, d.h. mehr
als doppelt so viele, wie auf den Kriegsgräberstätten im Westen ruhen. Diese Aufgabe
stellt den Volksbund vor immense Schwierig-
28
Foto: Volksbund
keiten: Viele der über hunderttausend Grablagen sind nur schwer auffindbar, zerstört,
überbaut oder geplündert. Trotzdem richtete
der Volksbund während der letzten Jahre über
300 Friedhöfe des Zweiten Weltkrieges und
190 Anlagen aus dem Ersten Weltkrieg in Ost-,
Mittel- und Südosteuropa wieder her oder
legte sie neu an. Dazu zählen 52 zentrale
Sammelfriedhöfe. Über 30 Anlagen werden
zurzeit instand gesetzt. Etwa 628 000 Kriegstote wurden umgebettet.
Zur langfristigen Sicherung seiner Arbeit hat
der Volksbund 2001 die Stiftung „Gedenken
und Frieden“ gegründet.
Mit der Anlage und Erhaltung der Friedhöfe
bewahrt der Volksbund das Gedenken an die
Kriegstoten. Die riesigen Gräberfelder erinnern die Lebenden an die Vergangenheit und
konfrontieren sie mit den Folgen von Krieg
und Gewalt. Zu diesem Zweck vermittelt der
Volksbund unter anderem Fahrten zu den
Kriegsgräbern, veranstaltet nationale und
internationale Jugendlager zur Pflege von Soldatenfriedhöfen und informiert in Schulen
und Schulfreizeiten. Das Leitwort lautet „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den
Frieden“. Außerdem hat er in der Nähe von
vier Friedhöfen Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten errichtet, wo Schul- und
Jugendgruppen ideale Rahmenbedingungen
für friedenspädagogische Projekte vorfinden.
Bundeswehrsoldaten und Reservisten unterstützen den Volksbund durch Arbeitseinsätze
auf in- und ausländischen Kriegsgräberstätten, bei der Organisation der Workcamps, bei
Gedenkveranstaltungen sowie der Haus- und
Straßensammlung.
Der Volkstrauertag, der jedes Jahr im November von den Kommunen und vom Volksbund
bundesweit ausgerichtet und unter großer
Anteilnahme der wichtigen politischen und
gesellschaftlichen Institutionen und der Bevölkerung begangen wird, ist ein Tag des Gedenkens und der Mahnung zum Frieden.
Foto: Volksbund-Archiv
Kranzniederlegung auf der Kriegsgräberstätte Langemark/Belgien 2008
29
Sammlungs- und
Kollektenempfehlung
Zu den Aufgaben des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V. gehört es, Kriegsgräberstätten als Mahnmale gegen Krieg und
Vergessen zu errichten und zu pflegen. Trotz
der Fortschritte in der Abrüstung und trotz
wachsender Friedenssehnsucht in der Welt
geht das Töten und Getötetwerden weiter,
werden Menschen dem Terror und der Gewalt
ausgesetzt. Die Arbeit des Volksbundes ist
nicht beendet, sie ist notwendiger denn
je: als Dienst, der zur Versöhnung und zum
friedlichen Miteinander der Völker mahnt und
der sich zugleich denen hilfreich zuwendet,
denen die Trauer um die Opfer von Krieg und
Gewalt gemeinsam ist.
Wir bitten heute, am Volkstrauertag, um
Ihre Spende für diesen Dienst.
Falls Sie mit dem für Sie zuständigen Landesverband keine individuelle Vereinbarungen
getroffen haben, bitten wir die dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zugedachte Kollekte auf folgendes Konto einzuzahlen:
Der Volksbund betreut heute im Auftrag der
Bundesregierung die Gräber von etwa zwei
Millionen deutschen Kriegstoten auf 827
Kriegsgräberstätten in 45 Staaten. Er wird
dabei von der Bundesregierung sowie von 1,6
Millionen Mitgliedern und Förderern unterstützt.
Seit 1953 haben über 200 000 junge
Menschen beim Bau und bei der Pflege mitgeholfen unter dem Leitwort:
„Versöhnung über den
Arbeit für den Frieden“
Gräbern
–
Weitere Auskünfte erteilen gerne alle
Gliederungen des Volksbundes Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V. sowie dessen
Bundesgeschäftsstelle, Abteilung Gedenkkultur und Bildungsarbeit, Werner-HilpertStraße 2, 34117 Kassel.
Commerzbank Kassel,
Konto 3 222 999, BLZ 520 400 21
Foto: Volksbund-Archiv
Volksbund Straßensammlung
30
Veranstaltungshinweise
Der Volksbund organisiert oder unterstützt in Deutschland und im Ausland zahlreiche Veranstaltungen zum Volkstrauertag. Auf der Internetseite www.volksbund.de finden Sie in
unserem Veranstaltungskalender eine Übersicht aller Gedenkveranstaltungen.
Nähere Auskünfte zu Gedenkfeiern in Deutschland erteilen die zuständigen Landes- oder
Bezirksverbände unter der Telefonnummer 0561-7009-200.
Weitere Hinweise zu Veranstaltungen auf den über 800 Kriegsgräberstätten im Ausland
erhalten Sie unter der Telefonnummer 0561-7009-149 oder über die oben genannte Internetseite.
Wir möchten mit Ihrer Hilfe den Nutzern der Handreichung Beispiele zur Verfügung stellen,
die sich schon andernorts bewährt haben und die man für andere Veranstaltungen verwenden kann. Falls Ihnen Gedenkansprachen oder andere Wortbeiträge zum Volkstrauertag zur
Verfügung stehen, die in den letzten Jahren auf Ihren Gedenkveranstaltungen gehalten
wurden und die besonders positive Resonanz gefunden haben, so würden wir uns freuen,
wenn Sie uns diese Beiträge zur Verfügung stellen könnten.
Unser Angebot für Sie
Für die Gestaltung einer Gedenkstunde haben wir für Sie eine CD vorbereitet. Sie beinhaltet
verschiedene Versionen des „Liedes vom guten Kameraden“, die Nationalhymne und das
gesprochene Totengedenken.
Bitte senden Sie mir
die CD zum Volkstrauertag
eine Handreichung zum Volkstrauertag 2010
Senden Sie diesen Coupon an Fax: 0561-7009-221,
bestellen Sie telefonisch unter 0561-7009-200 oder
per E-Mail an [email protected]
Mitgliedsnummer:
31
Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e.V.
Abteilung K/M
- Fördererkommunikation Werner-Hilpert-Str. 2
34117 Kassel
Der Volksbund betreut
im Auftrag der Bundesregierung
die Gräber von über 2,3 Millionen
deutschen Kriegstoten auf 827
Kriegsgräberstätten
in 45 Staaten.
Er wird dabei von der Bundesregierung
sowie von 1,6 Millionen Mitgliedern
und Förderern unterstützt.
Über 200 000 junge Menschen
haben beim Bau und bei der Pflege
der Kriegsgräberstätten mitgeholfen
unter dem Leitwort:
„Versöhnung über den Gräbern –
Arbeit für den Frieden“
Bernecker MediaWare AG (45/07-2010)
Spendenkonto: 3 222 999
Commerzbank Kassel, BLZ 520 400 21