Ansprache von ZfW-Stadtrat Wolfgang Baumann

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Ansprache von ZfW-Stadtrat Wolfgang Baumann
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Ansprache von ZfW-Stadtrat Wolfgang Baumann anlässlich der Feierstunde zum
Volkstrauertag am Mahnmal auf dem Friedhof in Oberdürrbach
Meine Damen und Herren, heute wird deutschlandweit der Volkstrauertag begangen, der uns einlädt, einmal im Jahr innezuhalten, um der Opfer von Krieg
und Gewaltherrschaft zu gedenken.
Wir gedenken der Toten zweier Weltkriege. In diesem Jahr jährt sich der Beginn
des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Der Erste Weltkrieg kostete etwa 10 Millionen Menschen das Leben. Im Zweiten Weltkrieg starben etwa 60 Millionen
Menschen.
Wer überlebt hatte, litt oft zeitlebens unter Verletzungen, die ihm an Leib oder
Seele zugefügt worden waren. Fast jeder hatte den Verlust von nahen Angehörigen oder Freunden zu beklagen. Viele Menschen waren nach dem Krieg traumatisiert. Und so wie Würzburg nach dem 16. März 1945, so waren bei Kriegsende
weite Teile Europas verwüstet.
Nicht weniger einschneidend waren die politischen Folgen, besonders für
Deutschland, das mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen
hatte! Rund 15 Millionen unserer Landsleute verloren ihre Heimat, etwa zwei Millionen mussten bei Flucht und Vertreibung ihr Leben lassen. das restliche
Deutschland blieb über 40 Jahre geteilt, und so lange mussten die Menschen in
der ehemaligen DDR in Unfreiheit leben.
Die beiden Weltkriege und ihre Folgen gehören somit zu den zentralen Ereignissen der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie haben das kollektive Bewusstsein
vieler Völker nachhaltig geprägt. Ihre Folgen wirken bis heute nach. Deshalb
kommen wir gar nicht darum herum, uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Art
und Weise, wie wir dies tun, hat wiederum Konsequenzen für unsere Gegenwart
und für unsere Zukunft. Der Volkstrauertag gehört zu unserer Erinnerungskultur.
Der Volkstrauertag wurde unter dem Eindruck der fatalen Folgen des 1. Weltkrieges begründet als Gedenktag für die gefallenen deutschen Soldaten. 1922 fand
erstmals eine Gedenkstunde im Reichstag statt. Dessen Präsident Paul Löbe
forderte in seiner Ansprache dazu auf, die Toten zu ehren, ohne in glorifizierende
Heldenverehrung zu verfallen.
Leider blieben seine Worte ungehört. Die Nationalsozialisten missbrauchten den
Volkstrauertag. Alsbald benannten sie ihn in Heldengedenktag um und legten
diesen 1939 auf den Jahrestag der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Das Gedenken an die toten Soldaten des ersten Weltkriegs wurde dazu
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benutzt, zum Kämpfen und Sterben im nächsten krieg zu motivieren. Der Erste
Weltkrieg mit allen seinen Schrecken reichte offenbar nicht aus, die Menschen
von der Sinnlosigkeit des Kriegs zu überzeugen.
Im Gegenteil: Sog. Völkische Kreise, Chauvinisten und Revisionisten schreckten
nicht davor zurück, das Völkergemetzel propagandistisch auszuschlachten, um
die Bevölkerung auf einen weiteren Waffengang einzustimmen. Und viele liefen
mit, um die Schmach eines verlorenen Krieges zu rächen, manche ideologisiert,
von einem gottlosen Regime verhetzt, manche weil sie keine Alternative sahen.
Gott sei Dank war dies nach dem zweiten Weltkrieg anders. Die schrecklichen
Bilder, die zerlumpten und verwundeten Soldaten, die leergebrannten Häuser,
diese Bilder des Krieges lehrten uns: Es gibt am letzten Tag keine Sieger und
keine Verlierer. Es gibt nur Millionen von Menschen, die mit unsäglichen Leiden
und sogar mit dem Tod für den Hass derjenigen bezahlt haben, die sich für
Übermenschen hielten.“
Die Verwüstung unserer Stadt am 16. März 1945 hatte in der Bürgschaft vor allem einen Wunsch hervorgerufen: Nie wieder Krieg! Und von diesem Wunsch
waren auch die Politiker erfüllt, die nach 1945 den Versuch unternahmen, nach
Jahrhunderten der Rivalität und der militärischen Auseinandersetzungen ein vereinigtes Europa zu schaffen, ein Europa, in dem Kriege nicht mehr möglich sein
sollten.
69 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs können wir sagen: Ihre Vision
ist Wirklichkeit geworden. Nie zuvor gab es in der Mitte Europas eine so lange
Periode des Friedens. Und noch nie besaßen die Menschen auf unserem Kontinent ein solches Maß an Freiheit und Wohlstand wie heute. In der aktuellen Bewährungsprobe der Europäischen Union sollten wir uns diesen Zusammenhang
immer wieder bewusst machen. Denn Frieden und Freiheit sind alles andere als
selbstverständlich. Das zeigt der Blick zurück auf die europäische Geschichte im
vorigen Jahrhundert, auf die beiden Weltkriege, die Gewaltherrschaft und den
Völkermord der Nationalsozialisten und die Diktatur der SED. Und das zeigt der
Blick um uns herum auf die vielen Länder unserer Erde, in denen heute Krieg
und Gewalt, Unterdrückung und Verfolgung herrschen. Kosovo/Irak/Afghanistan/Ukraine/viele Staaten Afrikas beunruhigen uns sehr.
Krieg und ideologisch motivierte Gewalt sind ebenso Teil unserer Gegenwart.
Seit 1945 haben weltweit mehr als 200 kriegerische Konflikte stattgefunden und
dabei sind fast ebenso viele Menschen wie im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen. Und diese Konflikte spielen sich nur scheinbar weit von uns entfernt ab.
Seit 1991 ist die Bundeswehr bei friedenserhaltenden und Frieden erzwingenden
Auslandseinsätzen auch an Kampfhandlungen beteiligt. Viele Deutsche leisten
außerdem auch als Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen einen gefährlichen Dienst in Spannungs- und Kriegsgebieten. Wir gedenken heute auch der
Frauen und Männer, die dabei ums Leben gekommen sind. Auch ihren Angehörigen gilt unser Mitgefühl.
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Bedroht ist der Frieden aber auch hier bei uns. Die Terrormorde der NSU, die zur
Zeit in München juristisch aufgearbeitet werden, haben uns auf erschreckende
Weise deutlich gemacht: Frieden und Freiheit müssen immer wieder neu errungen und nötigenfalls verteidigt werden. Dazu gehört, dass wir Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Intoleranz und politischen Extremismus in unserer Mitte keinen Raum zur Entfaltung geben. Auch die gestrigen Ereignisse in Wunsiedel
mahnen zur Wachsamkeit.
Und ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in unserem Land kann es
nur geben, wenn jeder von uns in seinem persönlichen Umfeld den Frieden bewahrt und sich um ein gutes Miteinander bemüht. Frieden beginnt im Kleinen, in
der Familie, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und im Verein. Hier kann jeder
durch sein alltägliches Verhalten dazu beitragen, dass unsere Welt ein wenig
friedlicher und menschlicher wird.
Um es mit den Worten des Philosophen Karl Jaspers zu sagen: „Die Frage des
Friedens ist keine Frage an die Welt, sie ist eine Frage an jeden selbst.“
Damit erfüllen wir das Vermächtnis der Toten, derer wir heute gedenken, am besten. Wir tragen so dazu bei, dass sie wenigstens nicht umsonst gestorben sind.
Die Erinnerung an die Opfer von Krieg und Gewalt ist dann nicht mehr nur ein
Anlass zur Trauer, sondern zugleich ein Grund zur Hoffnung - zur Hoffnung, dass
wir auch in Zukunft in Frieden und Freiheit leben zu können.
Darin vor allem sehe ich heute den Sinn des Volkstrauertags. Es liegt also letztlich an uns selbst, ob dieser Gedenktag durch unser Verhalten im Alltag für uns
persönlich einen Sinn bekommt.
Würzburg, den 16.11.2014
Wolfgang Baumann
ZfW-Vorsitzender

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