Rede zum Volkstrauertag am 15. 11. 2008 am U-Boot

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Rede zum Volkstrauertag am 15. 11. 2008 am U-Boot
Rede zum Volkstrauertag
am 15. 11. 2008 am U-Boot-Ehrenmal Möltenort
gehalten von
Ltd. Militärdekan a.D. Dr. Heinz Zimmermann-Stock, Kosel
Vorstandsmitglied Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge S-H.
Die Rede wurde erarbeitet aufgrund einer Vorlage des erkrankten
Landesvorsitzenden des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge
Bürgermeister a.D. Karl-Heinz Zimmer
Sehr geehrter Herr Präsident Kapitän zur See Bischoff,
sehr geehrte Damen und Herren!
Sie haben mich freundlicherweise gebeten, hier in Vertretung des Landesvorsitzenden des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Herrn Bürgermeister a.D. Karl-Heinz Zimmer, vor dem
U-Boot-Ehrenmal in Möltenort zum Volkstrauertag eine Ansprache zu halten.
Angesichts der Gefallenen beider Weltkriege, der Opfer des Nationalsozialismus, überhaupt aller
Gewaltherrschaft, der politischen Verfolgung und des Terrors, derer wir zum Volkstrauertag gedenken wollen, wird immer von neuem der nachdenkliche Mensch sich der Vergänglichkeit dieser
Erde bewusst. Alles um uns herum ist vergänglich. Und wir Menschen stehen mitten drin und sind
nicht ausgenommen, wir sind ein Teil dieser Vergänglichkeit. Wir haben viele Fragen zu den Gräbern, dem Leid, der Ungerechtigkeit, wir fragen: Wie kann Gott das zulassen? Seltener richten wir
diese Frage an uns: Wie können wir das zulassen?
Zum Volkstrauertag mit seinem besonderen Gedenken an die Toten beider Weltkriege werden
manchmal auch Stimmen laut: Muss ein Volk denn seiner toten Soldaten gedenken? Die Gegenfrage lautet: Was ist das für ein Volk, das seiner toten Soldaten nicht gedenkt?
Natürlich stehen wir alle vor der Frage: Wofür sind sie denn gestorben? Machte das Sinn? Starben
sie für eine gerechte Sache? Und hier, das empfinden wir alle sehr stark, denke ich, ist manchmal
mehr das Schweigen angebracht als lautstarkes Erklären. Denn unser Menschsein in seiner Schwäche und Stärke spiegelt sich nicht in einer machtvollen Antwort wider, sondern fast rätselhaft in
einer für uns unbeantwortbaren Frage: Was ist der Mensch?
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In der Wehrmacht dienten während des 2. Weltkrieges insgesamt 17 Millionen Soldaten. 4,3 Millionen von ihnen haben den Krieg nicht überlebt. Das sind 25 % aller Soldaten. Zur U-Boot-Waffe
gehörten 38.000 Männer. 32.000 von ihnen blieben auf See. Das sind 86 %. Das ist ein einsamer,
ein besonders erschütternder Rekord, der diesem Ehrenmal und dieser Veranstaltung einen besonderen Charakter verleiht. Besonders auch in Bezug auf die Frage: Was ist der Mensch?
Der 2. Weltkrieg ist vor über 63 Jahren zu Ende gegangen. Wer mit 18 Jahren gegen Ende des
Krieges noch Soldat wurde und überlebt hatte, ist heute 81 Jahre alt. Die Zahl der Überlebenden
wird daher immer kleiner. Das gilt auch für die unendlich vielen Witwen.
Mütter und Väter der Gefallenen gibt es kaum noch. Die Kinder der Gefallenen sind auch schon
ältere Frauen und Männer. Mit anderen Worten: Die Zahl der Betroffenen, der ganz persönlich
Trauernden, ist klein geworden.
Das hat eine fundamentale Konsequenz: Die persönlichen, die individuellen Erinnerungen sind
nicht unvergänglich wie Erz. Sie vergehen wie der Wind und enden mit unserem Leben. Die
Trauerarbeit verobjektiviert sich und wird zur Arbeit an der Geschichte. Aber diese geschichtliche
Trauerarbeit muss geleistet werden. Auch in dem Ringen um eine Antwort auf die Frage: Was ist
der Mensch?
Um ein Wort des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, aufzugreifen. „Die
Würde des Menschen verpflichtet uns aber auch gegenüber den Toten, denn die menschliche Würde reicht über den Tod hinaus“.
Der Mensch besitzt zwar eine von Gott gewollte Gerichtsbarkeit, aber das letztgültige Gericht über
den Freispruch seiner Person erfolgt durch Gottes heiligen Ratschluss. Und weil dieser Ratschluss
auf uns Menschen seit der Schöpfung ruht, ist der Mensch mit einer Würde ausgezeichnet, die
nichts und niemand ihm nehmen kann, auch nicht der Mensch selbst.
Zur Menschenwürde und damit zur Gerechtigkeit gehören zudem auch die Bereitschaft und die
Fähigkeit, das Denken und Fühlen unserer Väter und Mütter nicht allein den Maßstäben der Gegenwart zu unterwerfen.
Die meisten U-Boot-Fahrer, die auf See blieben, waren junge Menschen. Ihr Leben hatte noch gar
nicht richtig begonnen. Sie waren zu jung, um Hitler gewählt und die Nationalsozialisten an die
Macht gebracht zu haben. Ali Cremer, der Kommandant von „U 333“ schreibt in seinen Erinnerungen: „Es war fast selbstverständlich, dass Politik von uns abperlte wie Wasser von einer Ente“.
Diese Situation machte sie anfällig für die Indoktrination durch den Staat, besonders durch die HJ.
Bernd von Staden, im Krieg junger Offizier und später Staatssekretär im Auswärtigen Amt, zieht
dieses Fazit: „Die Idealisten meiner Generation haben oft geirrt und sind Werten gefolgt, deren
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Gefährlichkeit sich ihnen nicht rechtzeitig enthüllte“. Sie liebten ihr Vaterland und wollten es unbedingt verteidigen. Diese Liebe wurde von einer verbrecherischen Führung missbraucht. Sie fielen
– wie es der große Philosoph Karl Jaspers formuliert hat, in Ausführung offenbar böser Befehle im
unschuldigen Glauben. Sie liefen auch dann noch aus, als es keine realistischen Chancen mehr für
unsere U-Boote gab. Denn sie taten „Ihre verdammte Pflicht“, wie Alexander Stahlberg seine
Kriegserinnerungen nannte. Wenn aber Wasserbomben das Boot immer weiter unter Wasser
drückten und ihm keinen Fluchtweg mehr ließen, dann – so stelle ich es mir vor – versiegten alle
Gedanken über das eigene Tun. Es blieb nur noch die nackte Todesangst.
Unsere Debatte über das 3. Reich wird beherrscht von der Frage: Wer war Täter, wer war Opfer,
wer war gar beides? 2005 sagte der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker auf unserem Soldatenfriedhof Sandweiler in Luxemburg: „Wenn ich mir die Grabsteine ansehe, sehe ich,
dass die, die hier begraben sind, kaum 20jährig waren, als sie ihr Leben verloren. Ich weigere mich,
in ihnen Täter zu sehen, sie sind Opfer. Nicht Opfer wie wir, aber Opfer.“
Liebe Gedenkstundeteilnehmende, jeder Mensch hat einen ihm von Gott zugesprochenen und gegebenen Eigenwert, den wir ihm nicht nehmen können. Das ist die Verfügung Gottes über uns
Menschen. Das meint Martin Luther mit der immer noch aktuellen und gesellschaftspolitisch
hochbrisanten Rechtfertigungslehre: Die Bestimmung jedes Menschen ist es, nicht durch Werke
gerecht zu werden, sondern er wird gerechtfertigt, weil Gott ihm gnädig ist.
Was ist der Mensch? Wir brauchen das christliche Menschenbild als tragbares Fundament, allen
scheinbar widersprechenden Erfahrungen zum Trotz.
Unser Gedenken hier vor dem U-Boot-Ehrenmal können wir nur antreten in der Demut und Ehrfurcht vor dem Leben, das im Sinne des christlichen Menschenbildes Schuld und! Vergebung
kennt.
Ob wir sie gekannt haben oder nicht, ob wir mit ihnen verwandt sind oder nicht. Die Toten der
beiden Weltkriege und der nationalsozialistischen Diktatur sind Teil der deutschen Geschichte. Sie
gehören zu unseren Wurzeln.
So gedenken wir heute unserer toten U-Boot-Fahrer als Opfer einer unseligen Zeit. Wir haben die
Verpflichtung dafür zu sorgen, dass ihr Tod nicht in Vergessenheit gerät.
Die anfangs gestellte Frage „Was ist der Mensch?“ kann dabei ein treuer Wegbegleiter sein, uns
nicht über unsere Geschöpflichkeit und unseren Schöpfer zu erheben.
Der Evangelische Bischof von Berlin Brandenburg, Bischof Huber, erinnerte einmal an Bischof
Dibelius, der 1955 seine Rede zum Volkstrauertag mit folgenden Worten schloss: „Gott macht es
uns nicht leicht. Aber über der hoffnungsarmen Gegenwart steht das Kreuz und ruft uns in eine
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Hoffnung hinein, von der wir wissen, dass sie ewigen Bestand hat. Dieser Hoffnung geloben wir
uns an – so grüßen wir unsere Toten.
Diesem Satz schließe ich mich mit vollem Herzen an.

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